Rechtssache C‑344/15
National Roads Authority
gegen
The Revenue Commissioners
(Vorabentscheidungsersuchen der Appeal Commissioners)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 – Tätigkeit der Verwaltung und Bereitstellung von Straßenanlagen gegen Zahlung einer Maut – Von einer Einrichtung des öffentlichen Rechts ausgeübte Tätigkeiten, die ihr im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen – Vorhandensein privater Betreiber – Größere Wettbewerbsverzerrungen – Bestehen eines gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbs“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 19. Januar 2017
Harmonisierung des Steuerrechts – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Steuerpflichtige – Einrichtungen des öffentlichen Rechts – Behandlung als Nichtsteuerpflichtige für die im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübten Tätigkeiten – Ausnahmen – Steuerpflicht bei größeren Wettbewerbsverzerrungen – Umfang – Tätigkeit der Verwaltung und Bereitstellung von Straßenanlagen gegen Zahlung einer Maut – Vorhandensein privater Betreiber – Ausschluss
(Richtlinie 2006/112 des Rates, Art. 2 Abs. 1, Art. 9 und Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2)
Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die eine Tätigkeit ausübt, die darin besteht, Zugang zu einer Straße gegen Zahlung einer Maut zu gewähren, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht als mit den privaten Betreibern im Wettbewerb stehend anzusehen ist, die Mautgebühren auf anderen mautpflichtigen Straßen gemäß einem Vertrag mit der betreffenden Einrichtung des öffentlichen Rechts nach nationalen Rechtsvorschriften erheben.
Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht eine Einschränkung der in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie aufgestellten Regel vor, dass Einrichtungen des öffentlichen Rechts in Bezug auf Tätigkeiten oder Umsätze, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, als Nichtmehrwertsteuerpflichtige behandelt werden. Somit soll die erstgenannte Bestimmung die in Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 der Richtlinie enthaltene Grundregel wieder aufleben lassen, wonach jede wirtschaftliche Tätigkeit grundsätzlich der Mehrwertsteuer unterliegt, und darf daher nicht eng ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2009, SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, C‑102/08, EU:C:2009:345, Rn. 67 bis 68). Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie so auszulegen ist, dass die in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme von der Behandlung als Mehrwertsteuerpflichtige zugunsten der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden, keine praktische Wirksamkeit hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. November 2003, Taksatorringen, C‑8/01, EU:C:2003:621, Rn. 61 bis 62, und vom 25. März 2010, Kommission/Niederlande, C‑79/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:171, Rn. 49).
Wie dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie und der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung zu entnehmen ist, setzt die Anwendung dieser Bestimmung zum einen voraus, dass die betreffende Tätigkeit im – gegenwärtigen oder potenziellen – Wettbewerb mit einer von privaten Wirtschaftsteilnehmern durchgeführten Tätigkeit ausgeübt wird, und zum anderen, dass die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Tätigkeiten in mehrwertsteuerlicher Hinsicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt, die unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren zu beurteilen sind. Hieraus ergibt sich, dass das bloße Vorhandensein privater Wirtschaftsteilnehmer auf einem Markt ohne Berücksichtigung von Tatsachen, objektiven Indizien und einer Analyse dieses Marktes weder das Bestehen eines gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbs noch das Vorliegen einer größeren Wettbewerbsverzerrung belegen kann.
(vgl. Rn. 36, 37, 43, 44, 51 und Tenor)