URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

13. Oktober 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste — Richtlinie 2002/21/EG — Art. 4 Abs. 1 — Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde — Wirksames Rechtsbehelfsverfahren — Wirksamkeit der Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde bis zum Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens — Zeitliche Wirkungen einer Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit der eine Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde aufgehoben wird — Möglichkeit, eine Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde rückwirkend aufzuheben — Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes“

In der Rechtssache C‑231/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof, Polen) mit Entscheidung vom 18. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2015, in dem Verfahren

Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej,

Petrotel sp. z o.o. w Płocku

gegen

Polkomtel sp. z o.o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej, vertreten durch L. Ochniewicz, radca prawny,

der Petrotel sp. z o.o. w Płocku, vertreten durch K. Stompel, adwokat,

der Polkomtel sp. z o.o., vertreten durch E. Barembruch, radca prawny,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, J. Hottiaux und L. Nicolae als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Juni 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 sowie Unterabs. 2 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2002, L 108, S. 33) in der durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 37) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenrichtlinie).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej (Präsident des Amtes für elektronische Kommunikation, im Folgenden: Präsident des UKE) und der Petrotel sp. z o.o. w Płocku (im Folgenden: Petrotel) auf der einen Seite und der Polkomtel sp. z o.o. auf der anderen Seite wegen einer Entscheidung des Präsidenten des UKE im Rahmen einer Streitigkeit zwischen diesen beiden Unternehmen wegen der von Polkomtel verlangten Vergütungssätze für die Anrufzustellung in ihrem Mobilfunknetz.

Rechtlicher Rahmen

3

Art. 4 der Rahmenrichtlinie, der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden (im Folgenden: NRB) betrifft, sieht in Abs. 1 vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer oder Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste, der von einer Entscheidung einer [NRB] betroffen ist, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Diese Stelle, die auch ein Gericht sein kann, muss über angemessenen Sachverstand verfügen, um ihrer Aufgabe wirksam gerecht zu werden. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Umständen des Falles angemessen Rechnung getragen wird und wirksame Einspruchsmöglichkeiten gegeben sind.

Bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens bleibt die Entscheidung der [NRB] wirksam, sofern nicht nach Maßgabe des nationalen Rechts einstweilige Maßnahmen erlassen werden.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

4

In einem Verfahren, das dem Ausgangsverfahren vorausging, erließ der Präsident des UKE nach einer Analyse des relevanten Marktes am 30. September 2008 eine Entscheidung, mit der er Polkomtel als Unternehmen mit erheblicher Marktmacht auf dem betreffenden Markt verpflichtete, die Vergütungssätze für die Anrufzustellung in ihrem Mobilfunknetz an eine in dieser Entscheidung vorgegebene Höhe anzupassen (im Folgenden: Entscheidung vom 30. September 2008). Polkomtel erhob gegen diese Entscheidung Klage.

5

Während das Verfahren über die Klage gegen die Entscheidung vom 30. September 2008 beim zuständigen Gericht anhängig war, verhandelte Polkomtel mit Petrotel u. a. über eine Änderung der Vergütungssätze für die Anrufzustellung in ihrem Mobilfunknetz. Da sich die beiden Unternehmen nicht einigen konnten, wurde der Präsident des UKE um Beilegung des Streits zwischen ihnen ersucht.

6

Mit Entscheidung vom 17. März 2009, die der Durchführung der Entscheidung vom 30. September 2008 diente, entschied der Präsident des UKE den Streit, indem er u. a. die Bedingungen des Vertrags zwischen Petrotel und Polkomtel über die Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Mobilfunknetz von Polkomtel änderte (im Folgenden: Entscheidung vom 17. März 2009). Der Präsident des UKE verpflichtete Polkomtel mit dieser Entscheidung, ihre Vergütungssätze für die Anrufzustellung an die in seiner Entscheidung vom 30. September 2008 vorgegebene Höhe anzupassen. Polkomtel erhob gegen die Entscheidung vom 17. März 2009 ebenfalls Klage beim Sąd Okręgowy w Warszawie – Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Bezirksgericht Warschau – Gericht für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz, Polen).

7

Während die Klage gegen die Entscheidung vom 17. März 2009 noch anhängig war, wurde die Entscheidung vom 30. September 2008 mit Urteil vom 23. März 2011 des Sąd Okręgowy w Warszawie – Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Bezirksgericht Warschau – Gericht für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz) aufgehoben, das mit Urteil vom 30. Januar 2012 des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau, Polen) bestätigt wurde.

8

Mit Urteil vom 26. Oktober 2012 hob der Sąd Okręgowy w Warszawie – Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Bezirksgericht Warschau – Gericht für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz) die Entscheidung vom 17. März 2009 mit der Begründung auf, dass diese zur Durchführung der Entscheidung vom 30. September 2008 ergangene Entscheidung keine Grundlage mehr habe, da die in der Entscheidung vom 30. September 2008 vorgesehenen Verpflichtungen rückwirkend erloschen seien. Daher führe die Aufhebung der Entscheidung vom 17. März 2009 auch zur rückwirkenden Aufhebung der Verpflichtung von Polkomtel, ihre Vergütungssätze an die in der Entscheidung vom 30. September 2008 vorgegebene Höhe anzupassen.

9

Der Präsident des UKE und Petrotel legten gegen das Urteil des Sąd Okręgowy w Warszawie – Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Bezirksgericht Warschau – Gericht für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz) vom 26. Oktober 2012 Berufung beim Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) ein, der die Berufung mit Urteil vom 19. September 2013 u. a. mit der Begründung zurückwies, dass die in der Rechtsprechung der polnischen Verwaltungsgerichte aufgestellten Grundsätze für das Verwaltungsverfahren, nach denen die Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung nur ex nunc wirke, auf den Rechtsstreit nicht anzuwenden seien. Der Präsident des UKE und Petrotel legten gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) ein.

10

Das vorlegende Gericht bestätigt den Ansatz des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) und führt aus, dass es die Anwendung der in der vorstehenden Randnummer angeführten Grundsätze des Verwaltungsverfahrens unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht erlaube, einen effektiven gerichtlichen Schutz im Sinne von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 4 der Rahmenrichtlinie zu gewährleisten. Es sei gerechtfertigt, dass die mit Streitigkeiten auf dem Gebiet der Regulierung der elektronischen Kommunikationsnetze und ‑dienste befassten Gerichte im Hinblick auf die Folgen der Aufhebung einer Entscheidung wie der vom 30. September 2008 einen autonomen Ansatz ausarbeiteten.

11

Laut diesem Ansatz könne das Gericht, das über die Klage gegen die sofort vollziehbare Entscheidung vom 17. März 2009, die der Durchführung der Entscheidung vom 30. September 2008 gedient habe, nach Aufhebung der letztgenannten Entscheidung die Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Mobilfunknetz für den Zeitraum ändern, den die Entscheidung vom 17. März 2009 erfasse, oder diese Entscheidung aufheben, so dass insoweit die Verpflichtung zur Anwendung dieser Sätze im selben Zeitraum entfalle. Die Aufhebung der Entscheidung vom 17. März 2009 beeinträchtige die Effektivität des Unionsrechts auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation nicht und ermögliche es der NRB, eine neue Entscheidung zu erlassen, in der sie die Höhe der Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Mobilfunknetz in dem Vertrag zwischen den Netzanbietern für den Zeitraum regele, der von der Entscheidung vom 17. März 2009 erfasst worden sei.

12

Da jedoch Petrotel vortrage, die Entscheidung vom 17. März 2009 sei im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Rahmenrichtlinie wirksam geblieben und die Aufhebung der Entscheidung vom 30. September 2008 könne nicht ex tunc wirken, frage sich, ob diese Bestimmung die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten beschränke und welche Bedeutung der Verwirklichung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Schutzes im Sinne dieses Artikels in Verbindung mit Art. 47 der Charta zukomme.

13

Die Annahme, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes zur rückwirkenden Änderung oder Aufhebung einer Entscheidung der NRB berechtige, diene der Sicherstellung eines Ausgleichs zwischen dem Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts im Bereich der Regulierung der elektronischen Kommunikationsnetze und ‑dienste und dem Grundsatz des effektiven gerichtlichen Schutzes und sei nicht mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit oder des Vertrauensschutzes unvereinbar.

14

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 der Rahmenrichtlinie dahin auszulegen, dass, wenn ein Netzanbieter die Entscheidung der NRB betreffend die Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Netz dieses Anbieters (erste Entscheidung) und anschließend den Folgebescheid der NRB anficht, mit dem ein Vertrag zwischen dem Adressaten der ersten Entscheidung und einem anderen Unternehmen in der Weise geändert wird, dass die von diesem anderen Unternehmen entrichteten Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Netz des Adressaten der ersten Entscheidung an die in der ersten Entscheidung festgelegten Sätze angeglichen werden (Durchführungsbescheid), das innerstaatliche Gericht, das festgestellt hat, dass die erste Entscheidung aufgehoben wurde, den Durchführungsbescheid angesichts von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Rahmenrichtlinie und der Interessen des durch den Durchführungsbescheid begünstigten Unternehmens, die sich aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit ergeben, nicht aufheben darf, oder ist Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass das innerstaatliche Gericht den Durchführungsbescheid der NRB aufheben und infolgedessen die darin vorgesehenen Pflichten für die Zeit vor der Gerichtsentscheidung entfallen lassen kann, wenn es annimmt, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Bescheid der NRB angefochten hat, der der Umsetzung der in der später aufgehobenen ersten Entscheidung vorgesehenen Pflichten diente?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

15

Polkomtel trägt vor, die vom Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) vorgelegte Frage sei unzulässig, da das vorlegende Gericht die anwendbaren Bestimmungen des polnischen Rechts nicht genau angebe und den Zusammenhang, den es zwischen den Bestimmungen des nationalen Rechts und des Unionsrechts herstelle, nicht konkret beschreibe. Die Vorlagefrage sei außerdem allgemein gehalten und hypothetischer Natur, da sie ein Ersuchen um eine allgemeine Beurteilung der Wirkungen einer Entscheidung eines nationalen Gerichts darstelle, mit der eine Entscheidung der NRB aufgehoben werde, obwohl diese Beurteilung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich sei.

16

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 16. April 2016, Polkomtel, C‑397/14, EU:C:2016:256, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17

Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Vorlageentscheidung stellt den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen sowie die Analyse der Rechtsprechung der polnischen Gerichte nämlich hinreichend ausführlich dar, um die Tragweite der Vorlagefrage beurteilen zu können. Außerdem geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen klar hervor, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie es einem nationalen Gericht erlaubt, eine Entscheidung der NRB rückwirkend aufzuheben, und dass die Antwort auf diese Frage erforderlich ist, um über die Kassationsbeschwerden gegen das Urteil des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) zu entscheiden, mit dem die Entscheidung vom 17. März 2009 rückwirkend aufgehoben wurde.

18

Die Vorlagefrage ist daher zulässig.

Zur Begründetheit

19

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 sowie Unterabs. 2 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der NRB befasst ist, diese Entscheidung rückwirkend aufheben darf, wenn es der Auffassung ist, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Rechtsbehelf eingelegt hat.

20

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Art. 4 der Rahmenrichtlinie Ausfluss des nach Art. 47 der Charta gewährleisteten Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist, der die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet, den gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2015, T‑Mobile Austria, C‑282/13, EU:C:2015:24, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

So verpflichtet Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 der Rahmenrichtlinie die Mitgliedstaaten, wirksame Rechtsbehelfsverfahren vorzusehen, nach denen jeder Nutzer oder Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste, der von einer Entscheidung einer NRB betroffen ist, einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Nach dem zweiten Unterabsatz dieses Absatzes bleibt die Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens wirksam, sofern nicht nach Maßgabe des nationalen Rechts einstweilige Maßnahmen erlassen werden.

22

Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie schreibt keine besonderen Verfahrensregeln für die Umsetzung der Verpflichtung zur Gewährleistung eines wirksamen Rechtsbehelfsverfahrens vor und regelt nicht die zeitlichen Wirkungen einer Entscheidung eines nationalen Gerichts, mit dem eine Entscheidung der NRB aufgehoben wird.

23

In Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung ist es grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Verfahrensautonomie unter Beachtung der sich aus den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität ergebenden Anforderungen die Verfahrensregeln für einen Rechtsbehelf wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vorzusehen (vgl. entsprechend Urteile vom 18. März 2010, Alassini u. a., C‑317/08 bis C‑320/08, EU:C:2010:146, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting, C‑93/12, EU:C:2013:432, Rn. 35).

24

Wie sich aus Rn. 20 des vorliegenden Urteils ergibt, ist Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, der die Verpflichtung zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsbehelfsverfahrens vorsieht, Ausfluss des in Art. 47 der Charta verankerten Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Schutzes der Rechte, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, EU:C:2007:163, Rn. 44), der in jedem Einzelfall zu beachten ist.

25

Ein nationales Gericht, das mit dem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der NRB befasst ist, muss diese daher rückwirkend aufheben können, wenn es der Auffassung ist, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Rechtsbehelf eingelegt hat.

26

Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Rahmenrichtlinie steht dieser Möglichkeit weder entgegen noch schränkt er sie ein.

27

Aus dieser Bestimmung ergibt sich nämlich nur, dass ein gegen eine Entscheidung der NRB eingelegter Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat, sofern nicht nach Maßgabe des nationalen Rechts einstweilige Maßnahmen erlassen werden. Die Entscheidung der NRB ist somit grundsätzlich während der Dauer des Verfahrens anwendbar; dies berührt nicht die Möglichkeit, die Entscheidung nach Abschluss des Verfahrens rückwirkend aufzuheben, wenn das nationale Gericht der Auffassung ist, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Rechtsbehelf eingelegt hat.

28

Wie das vorlegende Gericht ausführt, läuft zudem die Möglichkeit für ein nationales Gericht, eine Entscheidung der NRB rückwirkend aufzuheben, auch nicht der Wahrung der Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zuwider.

29

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes ableitet, gebietet, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2009, Plantanol, C‑201/08, EU:C:2009:539, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a., C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2 der Rahmenrichtlinie lässt sich klar entnehmen, dass die Entscheidung der NRB, die Gegenstand des Rechtsbehelfs ist, nach dieser Bestimmung nur bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens wirksam bleibt. Daher können Wirtschaftsteilnehmer, die an einem Rechtsbehelf im Sinne von Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie beteiligt sind, nicht darauf vertrauen, dass bei einer Aufhebung der in Rede stehenden Entscheidung der NRB diese Aufhebung nicht ex tunc wirkt.

31

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 sowie Unterabs. 2 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der NRB befasst ist, diese Entscheidung rückwirkend aufheben können muss, wenn es der Auffassung ist, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Rechtsbehelf eingelegt hat.

Kosten

32

Für die Parteien ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Sätze 1 und 3 sowie Unterabs. 2 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 47 der Charta ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde befasst ist, diese Entscheidung rückwirkend aufheben können muss, wenn es der Auffassung ist, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Rechtsbehelf eingelegt hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.