URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)
10. November 2016 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Richtlinie 2002/47/EG — Geltungsbereich — Begriffe ‚Finanzsicherheit‘, ‚maßgebliche Verbindlichkeiten‘ und ‚Bestellung‘ einer Finanzsicherheit — Möglichkeit, eine Finanzsicherheit zu verwerten, auch wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde — Vertrag über ein Girokonto mit einer Pfandrechtsklausel“
In der Rechtssache C‑156/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Civillietu departaments (Oberster Gerichtshof, Senat für Zivilsachen, Lettland) mit Entscheidung vom 11. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2015, in dem Verfahren
„Private Equity Insurance Group“ SIA
gegen
„Swedbank“ AS
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), der Richter E. Juhász und C. Vajda, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Mai 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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der „Private Equity Insurance Group“ SIA, vertreten durch N. Šlitke, advokāts, |
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der „Swedbank“ AS, vertreten durch R. Vonsovičs, D. Lasmanis und I. Balmaks, advokāti, sowie durch R. Rubenis, |
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der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und J. Treijs-Gigulis als Bevollmächtigte, |
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der spanischen Regierung, vertreten durch M. García-Valdecasas Dorrego und V. Ester Casas als Bevollmächtigte, |
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der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Kraehling als Bevollmächtigte im Beistand von J. Holmes, Barrister, und B. Kenelly, QC, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Rius, A. Sauka und K.‑P. Wojcik als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Juli 2016
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten (ABl. 2002, L 168, S. 43). |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Private Equity Insurance Group“ SIA und der „Swedbank“ AS über eine von der „Private Equity Insurance Group“ SIA gegen die „Swedbank“ AS erhobene Schadensersatzklage. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 98/26/EG
3 |
Art. 1 der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen (ABl. 1998, L 166, S. 45) bestimmt: „Diese Richtlinie gilt
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4 |
Art. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Richtlinie sieht vor: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
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Richtlinie 2002/47
5 |
In den Erwägungsgründen 1, 3 bis 5, 9, 10, 17 und 18 der Richtlinie 2002/47 heißt es:
…
…
…
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6 |
Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt: „(1) Diese Richtlinie legt eine Gemeinschaftsregelung für die Finanzsicherheiten fest, die den Anforderungen der Absätze 2 und 5 genügen bzw. gemäß den Absätzen 4 und 5 bestellt wurden. (2) Sowohl der Sicherungsnehmer als auch der Sicherungsgeber muss einer der folgenden Kategorien angehören:
(3) Die Mitgliedstaaten können Finanzsicherheiten aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnehmen, wenn eine der Vertragsparteien der Kategorie unter Absatz 2 Buchstabe e) angehört. … (4) a) Finanzsicherheiten sind eine Barsicherheit oder Finanzinstrumente. … (5) Diese Richtlinie gilt für besitzgebundene Finanzsicherheiten, bei denen die Besitzverschaffung schriftlich nachgewiesen werden kann. Der Nachweis der Besitzverschaffung muss die Identifizierung der betreffenden Finanzsicherheit ermöglichen. Hierfür gilt u. a. als ausreichend, wenn im Effektengiro übertragbare Wertpapiere dem maßgeblichen Konto gutgeschrieben wurden oder ein entsprechendes Guthaben in solchen Wertpapieren besteht oder wenn die Barsicherheit einem bezeichneten Konto gutgeschrieben wurde oder ein entsprechendes Barguthaben besteht. …“ |
7 |
In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2002/47 heißt es: „(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
…
…
… (2) ‚Bestellung‘ bzw. ‚bestellt‘ im Sinne dieser Richtlinie bedeutet, dass dem Sicherungsnehmer oder seinem Vertreter eine Finanzsicherheit geliefert oder im Wege des Effektengiros gutgeschrieben wurde oder ihnen auf sonstige Weise der Besitz oder die Kontrolle daran verschafft wurde, sofern er den Besitz oder die Kontrolle nicht bereits innehatte. Der Besitzverschaffung gemäß dieser Richtlinie steht nicht entgegen, dass der Sicherungsgeber Anspruch auf Rückgewähr bestellter Sicherheiten im Austausch gegen andere Sicherheiten oder auf Rückgewähr überschüssiger Sicherheiten hat. (3) ‚Schriftlich‘ im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet auch die elektronische Aufzeichnung sowie jede andere Art der Aufzeichnung mittels eines dauerhaften Datenträgers.“ |
8 |
Art. 3 („Formerfordernisse“) dieser Richtlinie sieht vor: „(1) Die Mitgliedstaaten verlangen nicht, dass die Bestellung und die Wirksamkeit einer Finanzsicherheit sowie die prozessuale Beweisführung bei einer Finanzsicherheit oder die Besitzverschaffung an einer Finanzsicherheit von der Erfüllung von Formerfordernissen abhängen. (2) Absatz 1 hindert nicht, dass diese Richtlinie für besitzgebundene Finanzsicherheiten gilt, bei denen die Besitzverschaffung schriftlich nachgewiesen werden kann und sofern die Bestellung der Finanzsicherheit schriftlich oder in rechtlich gleichwertiger Form nachgewiesen werden kann.“ |
9 |
In Art. 4 („Verwertung der Sicherheit“) der Richtlinie 2002/47 heißt es: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Verwertungs- bzw. Beendigungsfall der Sicherungsnehmer jede in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wie folgt verwerten kann: …
… (4) Finanzsicherheiten können vorbehaltlich der Bedingungen der Sicherheitsvereinbarung in der vorgenannten Weise verwertet werden, ohne dass
(5) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wirksam werden kann, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber oder ‑nehmer ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde oder Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden oder das Verfahren bzw. die Maßnahmen andauern. …“ |
10 |
Art. 8 („Nichtanwendung bestimmter Insolvenzbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestellung einer Finanzsicherheit sowie die Besitzverschaffung daran nicht allein deshalb für unwirksam oder nichtig erklärt werden oder rückgängig gemacht werden dürfen, weil die Bestellung oder die Besitzverschaffung
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Bestellung einer Finanzsicherheit oder die Besicherung einer Verbindlichkeit oder die Besitzverschaffung an einer Finanzsicherheit, die am Tag der Eröffnung, jedoch nach der Eröffnung eines Liquidationsverfahrens oder der Einleitung von Sanierungsmaßnahmen erfolgt, rechtlich verbindlich und absolut wirksam ist, wenn der Sicherungsnehmer nachweisen kann, dass er von der Eröffnung des Verfahrens bzw. der Einleitung der Maßnahmen keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte. (3) Enthält die Sicherungsvereinbarung entweder
so stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Bestellung einer Finanzsicherheit, einer zusätzlichen Finanzsicherheit oder einer Finanzsicherheit als Ersatz oder im Austausch gemäß einer solchen Verpflichtung bzw. einem solchen Recht nicht allein deswegen als unwirksam angesehen oder rückgängig gemacht oder für nichtig erklärt werden kann, weil
…“ |
Lettisches Recht
11 |
Das Finanšu nodrošinājuma likums (Gesetz über Finanzsicherheiten) wurde erlassen, um die Richtlinie 2002/47 in lettisches Recht umzusetzen. |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
12 |
Am 14. April 2007 schlossen die „Izdevniecība Stilus“ SIA, deren Rechtsnachfolgerin die Private Equity Insurance Group ist, und die Swedbank einen Standardvertrag über ein Girokonto. Dieser Vertrag enthält eine Klausel über eine Finanzsicherheit, nach der die auf dem Girokonto befindlichen Guthaben von Izdevniecība Stilus verpfändet werden, um alle Forderungen der Swedbank gegenüber Izdevniecība Stilus zu sichern. |
13 |
Am 25. Oktober 2010 wurde Izdevniecība Stilus für insolvent erklärt. Im Anschluss daran schloss der Insolvenzverwalter mit der Swedbank einen neuen Vertrag über ein Girokonto, der die gleiche Pfandrechtsklausel enthielt. |
14 |
Am 8. Juni 2011 belastete die Swedbank das Girokonto von Izdevniecība Stilus mit 192,30 lettischen Lats (LVL) (ungefähr 274 Euro) an Kontoführungsgebühren für den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung. |
15 |
Izdevniecība Stilus erhob, vertreten durch den Insolvenzverwalter, Klage gegen die Swedbank auf Rückerstattung dieses Betrags und berief sich dazu auf die im nationalen Recht aufgestellten Grundsätze der Gleichbehandlung aller Gläubiger im Insolvenzverfahren und auf das Verbot der Vornahme von Handlungen einzelner Gläubiger, die andere Gläubiger benachteiligen können. |
16 |
Das erstinstanzliche Gericht und das Berufungsgericht in Lettland wiesen diese Klage unter Berufung u. a. auf das Gesetz über Finanzsicherheiten, wonach Finanzsicherheiten von der Anwendung des Insolvenzrechts ausgenommen sind, als unbegründet ab. Beim Augstākās tiesas Civillietu departaments (Oberster Gerichtshof, Senat für Zivilsachen, Lettland) wurde daraufhin Kassationsbeschwerde eingelegt. |
17 |
In diesem Zusammenhang führt dieses Gericht aus, dass die Richtlinie 2002/47 vor dem Hintergrund insbesondere der Richtlinie 98/26 erlassen wurde, die Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssysteme betrifft. Also fragt es sich erstens, ob die Richtlinie 2002/47 auch auf ein Guthaben anzuwenden ist, das sich auf einem gewöhnlichen Bankkonto wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden befindet, das außerhalb von Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen im Sinne der Art. 1 und 2 der Richtlinie 98/26 genutzt wird. |
18 |
Der Augstākās tiesas Civillietu departaments (Oberster Gerichtshof, Senat für Zivilsachen) hat zweitens Zweifel an der Vereinbarkeit des Vorrangs der Finanzsicherheit vor allen anderen Arten von Sicherheiten, insbesondere der in ein öffentliches Register eingetragenen wie der Hypothek, mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Es fragt sich insbesondere, ob ein solcher Vorrang im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie 2002/47 gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. |
19 |
Das vorlegende Gericht führt drittens aus, dass das Gesetz über Finanzsicherheiten ebenso auf die in Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/47 angeführten Personen wie auf natürliche Personen anwendbar ist. Daher fragt es sich zum einen, ob diese Bestimmung die Erstreckung der Vorschriften dieser Richtlinie auf Personen zulässt, die von ihrem persönlichen Anwendungsbereich ausdrücklich ausgenommen sind, und zum anderen, falls das so ist, ob diese Bestimmung unmittelbar anwendbar ist. Das vorlegende Gericht räumt zwar ein, dass diese Fragen vor dem Hintergrund des Ausgangsrechtsstreits hypothetisch sind, es ist aber der Ansicht, dass sie im Fall einer möglichen Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über Finanzsicherheiten durch den Latvijas Republikas Satversmes tiesa (Verfassungsgerichtshof, Lettland) wichtig sein könnten. |
20 |
Unter diesen Umständen hat der Augstākās tiesas Civillietu departaments (Oberster Gerichtshof, Abteilung für Zivilsachen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Zu den Vorlagefragen
Zur ersten und zur zweiten Frage
21 |
Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen ist, dass sie dem Sicherungsnehmer einer Finanzsicherheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach das auf einem Bankkonto befindliche Guthaben zugunsten der Bank verpfändet wird, um alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber zu besichern, das Recht gibt, diese Sicherheit zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. |
22 |
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2002/47 nach ihrem dritten Erwägungsgrund zu einer weiteren Integration und höheren Kostenwirksamkeit des Finanzmarkts sowie zur Stabilität des Finanzsystems in der Europäischen Union beitragen soll. |
23 |
Zu diesem Zweck wurde durch diese Richtlinie eine Regelung eingeführt, die – wie aus ihren Erwägungsgründen 5, 9, 10 und 17 hervorgeht – den Verwaltungsaufwand der Parteien bei der Bestellung von Finanzsicherheiten im Sinne dieser Richtlinie möglichst gering halten und die Rechtssicherheit dieser Finanzsicherheiten erhöhen soll, indem sie von bestimmten nationalen Vorschriften des Insolvenzrechts ausgenommen sind, sowie rasche und unbürokratische Verwertungsverfahren vorsehen soll, um die finanzielle Stabilität zu sichern und Dominoeffekte im Fall einer Vertragsverletzung durch eine der Parteien der Sicherungsvereinbarung zu begrenzen. |
24 |
Somit verbietet zum einen Art. 3 der Richtlinie 2002/47 den Mitgliedstaaten, zu verlangen, dass die Bestellung und die Wirksamkeit einer Finanzsicherheit sowie die prozessuale Beweisführung bei einer Finanzsicherheit oder die Besitzverschaffung an einer Finanzsicherheit von der Erfüllung von Formerfordernissen abhängen. |
25 |
Zum anderen sieht Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/47 vor, dass der Sicherungsnehmer eine in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts bestellte Finanzsicherheit auf eine der angeführten Arten verwerten können muss. Nach Art. 4 Abs. 5 dieser Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass eine Finanzsicherheit vereinbarungsgemäß wirksam werden kann, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber oder ‑nehmer ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde oder Sanierungsmaßnahmen eingeleitet wurden oder das Verfahren bzw. die Maßnahmen andauern. |
26 |
Demnach schließt die durch die Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung aus, dass die Bestellung von Finanzsicherheiten von der Erfüllung von Formerfordernissen abhängt, und gibt den Sicherungsnehmern das Recht, die Finanzsicherheiten zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. |
27 |
Es ist allerdings zu prüfen, ob eine Sicherheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt. |
28 |
Es steht fest, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Sicherheit gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/47 in deren persönlichen Anwendungsbereich fällt. |
29 |
Was den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/47 angeht, ist zunächst festzustellen, dass die mit der Sicherheit besicherten Verbindlichkeiten „maßgebliche Verbindlichkeiten“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. f dieser Richtlinie sein müssen. Nach der Definition in dieser Bestimmung sind „maßgebliche Verbindlichkeiten“ Verbindlichkeiten, die durch Finanzsicherheiten besichert sind und ein Recht auf Barzahlung und/oder Lieferung von Finanzinstrumenten begründen. Maßgebliche Verbindlichkeiten können ganz oder teilweise bestehen aus gegenwärtigen oder künftigen Verbindlichkeiten einschließlich solcher, die aus einem Rahmenvertrag oder einer ähnlichen Vereinbarung erwachsen, aus Verbindlichkeiten einer anderen Person als der des Sicherungsgebers gegenüber dem Sicherungsnehmer oder aus Verbindlichkeiten, die lediglich allgemein oder ihrer Art nach bestimmt oder bestimmbar sind und gelegentlich entstehen. |
30 |
Wie alle Verfahrensbeteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, vortragen, erfasst die Definition der „maßgeblichen Verbindlichkeiten“ in Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2002/47 eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in der die Sicherheit alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber erfasst. |
31 |
Zum einen ist nämlich der Ausdruck „Verbindlichkeiten, die … ein Recht auf Barzahlung … begründen“ der in Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2002/47 enthaltenen Definition mangels einer ausdrücklichen Beschränkung in der Richtlinie 2002/47 dahin zu verstehen, dass er alle Verbindlichkeiten betrifft, die ein Recht auf Barzahlung begründen, und somit auch die gewöhnlichen Geldschulden eines Kontoinhabers gegenüber seiner Bank wie die im Ausgangsverfahren fraglichen Kontoführungsgebühren. |
32 |
Da zum anderen die maßgeblichen Verbindlichkeiten nach der Definition in Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2002/47 ganz oder teilweise aus gegenwärtigen oder künftigen Verbindlichkeiten bestehen können, einschließlich solcher, die aus einem Rahmenvertrag oder einer ähnlichen Vereinbarung erwachsen, gilt diese Definition auch für eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in der die Sicherheit nicht nur eine individuelle Verbindlichkeit, sondern alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber erfasst. |
33 |
Dann ist festzustellen, dass die Sicherheit im Sinne der Richtlinie 2002/47 gemäß deren Art. 1 Abs. 4 Buchst. a aus einer Barsicherheit oder Finanzinstrumenten bestehen muss. Was den Begriff „Barsicherheit“ angeht, wird dieser in Art. 2 Abs. 1 Buchst. d dieser Richtlinie als ein auf einem Konto gutgeschriebener Betrag oder vergleichbare Geldforderungen, beispielsweise Geldmarkt-Sichteinlagen, definiert. Außerdem geht aus dem 18. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervor, dass Bargeld aus dieser Definition ausgeschlossen ist. Da in der Richtlinie 2002/47 kein anderer Ausschluss vorgesehen ist, ist festzustellen, dass – wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge ausgeführt hat – diese Definition das auf einem Bankkonto wie dem des Ausgangsverfahrens befindliche Guthaben erfasst. |
34 |
Zu der vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Frage, ob der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/47 im Hinblick auf den Kontext, in dem diese Richtlinie erlassen wurde, auf das Barguthaben beschränkt werden muss, das sich auf Konten befindet, die im Rahmen von Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen im Sinne der Art. 1 und 2 der Richtlinie 98/26 genutzt werden, ist festzustellen, dass eine solche Beschränkung im Wortlaut der Richtlinie 2002/47 keine Stütze findet. Die Richtlinie 2002/47 hat aber im Gegenteil – wie sich aus ihrem vierten Erwägungsgrund ergibt – die bestehenden Rechtsakte ergänzt, indem sie weitere Bereiche regelt und eine Erweiterung vornimmt, auch wenn sie – wie aus den Erwägungsgründen 1 und 4 dieser Richtlinie hervorgeht – in einem Rahmen angenommen wurde, der u. a. aus der Richtlinie 98/26 besteht, und der Unionsgesetzgeber der Ansicht war, dass gemeinsame Regeln für die zugunsten von Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen im Sinne dieser Richtlinie bestellten Sicherheiten von Nutzen seien. Wie der Generalanwalt in Nr. 31 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bestätigt im Übrigen auch die Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Finanzsicherheiten (ABl. 2001, C 180 E, S. 312), dass die Richtlinie 2002/47 in der Absicht erlassen wurde, über den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/26 hinauszugehen. |
35 |
Folglich kann der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/47 nicht als auf Barguthaben beschränkt angesehen werden, die sich auf Konten befinden, die im Rahmen von Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen im Sinne der Richtlinie 98/26 genutzt werden. |
36 |
Es ist jedoch festzustellen, dass die Richtlinie 2002/47 nach ihrem Art. 1 Abs. 5 Unterabs. 1 für besitzgebundene Finanzsicherheiten gilt, bei denen die Besitzverschaffung schriftlich nachgewiesen werden kann, was nach Art. 2 Abs. 3 dieser Richtlinie auch die elektronische Aufzeichnung sowie jede andere Art der Aufzeichnung mittels eines dauerhaften Datenträgers bezeichnet. Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht seinerseits ausdrücklich vor, dass das in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie enthaltene Verbot, die Bestellung einer Finanzsicherheit von der Erfüllung von Formerfordernissen abhängig zu machen, nicht daran hindert, dass diese Richtlinie für besitzgebundene Finanzsicherheiten gilt, sofern die Bestellung der Finanzsicherheit schriftlich nachgewiesen werden kann. |
37 |
Nach der Definition in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2002/47 bedeutet die Bestellung einer Finanzsicherheit, dass dem Sicherungsnehmer oder seinem Vertreter eine Finanzsicherheit geliefert oder im Wege des Effektengiros gutgeschrieben wurde oder ihnen auf sonstige Weise der Besitz oder die Kontrolle daran verschafft wurde, sofern er den Besitz oder die Kontrolle nicht bereits innehatte. |
38 |
In dieser Richtlinie wird jedoch nicht konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen das Kriterium, dass der Sicherungsnehmer den „Besitz oder die Kontrolle“ daran bzw. darüber erlangen muss, im Fall einer Sicherheit an einer unkörperlichen Sache wie im Ausgangsverfahren, die auf einem Bankkonto befindliche Guthaben betrifft, erfüllt ist. |
39 |
Mangels einer ausdrücklichen Verweisung auf das Recht der Mitgliedstaaten muss dieses Kriterium in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten, die unter Berücksichtigung seines Wortlauts, seines Kontexts sowie seines Ziels gefunden werden muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2015, A, C‑184/14, EU:C:2015:479, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
40 |
Aus dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/47 geht hervor, dass diese ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Erwägungen einerseits und der Sicherheit der Parteien der Finanzsicherheit und etwaiger Dritter andererseits schaffen will, indem zum einen Formalitäten bei der Bestellung einer Finanzsicherheit vermieden werden und zum anderen gefordert wird, dass die Bestellung einer Finanzsicherheit durch eine bestimmte Form der Besitzaufgabe erfolgt. |
41 |
Das Erfordernis hinsichtlich der Bestellung der Finanzsicherheit soll nämlich gewährleisten, dass der in der Sicherungsvereinbarung bezeichnete Sicherungsnehmer tatsächlich in der Lage ist, im Fall des Eintritts des Ereignisses, das zur Verwertung dieser Sicherheit führt, darüber zu verfügen. |
42 |
Zudem ergibt sich aus dem 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/47, dass diese rasche und unbürokratische Verwertungsverfahren vorsieht, um die finanzielle Stabilität zu sichern und Dominoeffekte im Fall einer Vertragsverletzung durch eine der Parteien der Sicherungsvereinbarung zu begrenzen. Das Erfordernis hinsichtlich der Bestellung der Finanzsicherheit ist geeignet, ein solches Ziel zu fördern, da es die Gewähr dafür bietet, dass der Sicherungsnehmer tatsächlich in der Lage ist, über die Sicherheit zu verfügen. |
43 |
Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2002/47 steht der Besitzverschaffung gemäß dieser Richtlinie nicht entgegen, dass der Sicherungsgeber Anspruch auf Rückgewähr bestellter Sicherheiten im Austausch gegen andere Sicherheiten oder auf Rückgewähr überschüssiger Sicherheiten hat. Dieser Anspruch hätte aber keine Bedeutung, wenn angenommen würde, dass dem Sicherungsnehmer einer Sicherheit in Form von auf einem Bankkonto befindlichem Guthaben auch dann der „Besitz daran oder die Kontrolle darüber“ verschafft wurde, wenn der Kontoinhaber darüber frei verfügen darf. |
44 |
Folglich kann man nur dann annehmen, dass der Sicherungsnehmer einer Sicherheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die das auf einem gewöhnlichen Bankkonto befindliche Guthaben betrifft, „den Besitz oder die Kontrolle“ an bzw. über dieses Guthaben erlangt hat, wenn der Sicherungsgeber daran gehindert ist, über die Sicherheit zu verfügen. |
45 |
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass eine Finanzsicherheit grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/47 fällt, wenn sie nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestellt wurde. |
46 |
Art. 8 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie verhindert nämlich im Wesentlichen, dass ein Insolvenzverfahren auf Finanzsicherheiten zurückwirkt, die vor der Eröffnung dieses Verfahrens bestellt wurden. Wurde eine Sicherheit nach der Eröffnung eines solchen Verfahrens bestellt, ist die Sicherungsvereinbarung nach Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie hingegen nur ausnahmsweise rechtlich verbindlich und absolut wirksam, nämlich nur, wenn die Sicherheit am Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt wurde und wenn der Sicherungsnehmer nachweist, dass er von der Eröffnung des Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 63 und 64 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, folgt daraus, dass die Richtlinie 2002/47 vorbehaltlich der in ihrem Art. 8 Abs. 2 angeführten Fälle die nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestellten Sicherheiten nicht erfasst. |
47 |
Im vorliegenden Fall ist es angesichts der Feststellungen in den Rn. 44 und 46 des vorliegenden Urteils Sache des vorlegenden Gerichts, insbesondere zu prüfen, ob zum einen der von der Swedbank vom Konto von Izdevniecība Stilus abgebuchte Betrag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diesem Konto eingegangen ist oder, falls er am Tag dieser Eröffnung dort eingegangen ist, die Swedbank nachgewiesen hat, dass sie von der Eröffnung dieses Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte, und zum anderen, ob Izdevniecība Stilus daran gehindert war, nach dem Eingang des Betrags auf diesem Konto über dieses Guthaben zu verfügen. |
48 |
Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht scheint es, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind. In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof waren sich die Parteien des Ausgangsverfahrens nämlich darüber einig, zum einen, dass der von der Swedbank abgebuchte Betrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem fraglichen Konto eingegangen ist, und zum anderen, dass die im Ausgangsverfahren streitige Sicherungsvereinbarung keine Klausel enthält, nach der Izdevniecība Stilus daran gehindert gewesen wäre, nach der Einzahlung auf das Konto über dieses Guthaben zu verfügen. |
49 |
Da schließlich das vorlegende Gericht daran zweifelt, ob die durch die Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung mit dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vereinbar ist, ist noch darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die in Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Gleichheit vor dem Gesetz ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, nach dem vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist. Eine unterschiedliche Behandlung ist gerechtfertigt, wenn sie auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, d. h., wenn sie im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, und wenn diese unterschiedliche Behandlung in angemessenem Verhältnis zu dem mit der betreffenden Behandlung verfolgten Ziel steht (Urteil vom 17. Oktober 2013, Schaible, C‑101/12, EU:C:2013:661, Rn. 76 und 77 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). |
50 |
Wie aus Rn. 26 des vorliegenden Urteils hervorgeht, schließt die durch die Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung aus, dass die Bestellung von Finanzsicherheiten von der Erfüllung von Formerfordernissen abhängt, und gibt den Sicherungsnehmern das Recht, die Finanzsicherheiten zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Diese Regelung räumt also Finanzsicherheiten im Vergleich zu anderen Sicherungsarten, die nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, einen Vorteil ein. |
51 |
Es ist aber festzustellen, dass eine solche unterschiedliche Behandlung auf einem objektiven Kriterium beruht, das im Zusammenhang mit dem rechtlich zulässigen Ziel der Richtlinie 2002/47 steht, die Rechtssicherheit und die Wirksamkeit der Finanzsicherheiten zu erhöhen, um die Stabilität des Finanzsystems zu sichern. |
52 |
In dem Vorabentscheidungsersuchen wird außerdem nichts angeführt, was die Annahme erlaubte, dass diese unterschiedliche Behandlung außer Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass die sachliche Anwendbarkeit der Richtlinie 2002/47 von der Bestellung der Sicherheit abhängt und vorbehaltlich von Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie verlangt, dass diese Bestellung vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfolgt ist. Wie der Generalanwalt in Nr. 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, folgt daraus, dass die nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf das Konto des Sicherungsgebers eingezahlten Beträge grundsätzlich nicht unter die von der Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung fallen. Was im Übrigen den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie betrifft, erlaubt deren Art. 1 Abs. 3 den Mitgliedstaaten, Finanzsicherheiten auszunehmen, wenn eine der Vertragsparteien der Kategorie unter Art. 1 Abs. 2 Buchst. e dieser Richtlinie angehört. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die von der Richtlinie 2002/47 eingeführte Regelung nur einen Teil der Aktiva des Sicherungsgebers betrifft, für den dieser eine bestimmte Form der Besitzaufgabe akzeptiert hat. |
53 |
Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Prüfung der ersten und der zweiten Vorlagefrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Richtlinie 2002/47 im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichbehandlung beeinträchtigen könnte. |
54 |
Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen ist, dass sie dem Sicherungsnehmer einer Finanzsicherheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach das auf einem Bankkonto befindliche Guthaben zugunsten der Bank verpfändet wird, um alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber zu besichern, nur dann das Recht gibt, diese Sicherheit zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wenn zum einen das Guthaben, das Gegenstand der Sicherheit ist, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diesem Konto eingegangen ist oder, falls es am Tag dieser Eröffnung dort eingegangen ist, die Bank nachgewiesen hat, dass sie von der Eröffnung dieses Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte, und wenn zum anderen der Inhaber dieses Kontos daran gehindert war, nach dem Eingang des Betrags auf diesem Konto über dieses Guthaben zu verfügen. |
Zur dritten und zur vierten Frage
55 |
Mit der dritten und der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2002/47 dahin auszulegen ist, dass er einem Mitgliedstaat gestattet, den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie auf natürliche Personen zu erstrecken, und ob diese Vorschrift unmittelbar anwendbar ist. |
56 |
Es ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Rechtfertigung für ein Vorabentscheidungsersuchen nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen liegt, sondern darin, dass das Ersuchen für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits über das Unionsrecht erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. November 2013, Romeo, C‑313/12, EU:C:2013:718, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
57 |
Im vorliegenden Fall räumt das vorlegende Gericht aber ein, dass die dritte und die vierte Frage im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits rein hypothetisch sind, da dieses Verfahren keine natürliche Person betrifft. |
58 |
Wie der Generalanwalt in Nr. 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die Möglichkeit, dass diese Fragen bei einer eventuellen Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über Finanzsicherheiten durch den Latvijas Republikas Satversmes tiesa (Verfassungsgerichtshof) wichtig sind, ihnen nicht ihren im Ausgangsverfahren hypothetischen Charakter nehmen. |
59 |
Unter diesen Umständen sind die dritte und die vierte Frage unzulässig. |
Zur fünften Frage
60 |
Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es in dem Fall, dass die Zielsetzung und Tragweite der Richtlinie 2002/47 begrenzter sind als die Zielsetzung und Tragweite des nationalen Gesetzes zur Umsetzung dieser Richtlinie, möglich ist, die Auslegung dieser Richtlinie heranzuziehen, um eine Klausel über eine Finanzsicherheit, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf dem nationalen Recht beruht, für unwirksam zu erklären. |
61 |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens ausdrücklich in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgeführt, von dem das vorlegende Gericht im Rahmen der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Zusammenarbeit Kenntnis haben sollte und den es sorgfältig zu beachten hat (Beschlüsse vom 12. Mai 2016, Security Service u. a., C‑692/15 bis C‑694/15, EU:C:2016:344, Rn. 18, sowie vom 8. September 2016, Google Ireland und Google Italy, C‑322/15, EU:C:2016:672, Rn. 15). |
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So hat das vorlegende Gericht die genauen Gründe anzugeben, aus denen es Zweifel bezüglich der Auslegung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat und ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof für erforderlich hält. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass es unerlässlich ist, dass das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Vorschriften des Unionsrechts, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden nationalen Recht herstellt (Urteil vom 10. März 2016, Safe Interenvíos, C‑235/14, EU:C:2016:154, Rn. 115, sowie Beschluss vom 12. Mai 2016, Security Service u. a., C‑692/15 bis C‑694/15, EU:C:2016:344, Rn. 20). |
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Die in den Vorlageentscheidungen gemachten Angaben dienen nicht nur dazu, dem Gerichtshof zweckdienliche Antworten auf die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zu ermöglichen, sondern sollen auch die Regierungen der Mitgliedstaaten sowie die sonstigen Betroffenen in die Lage versetzen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juli 2016, Ognyanov, C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 20, sowie Beschluss vom 8. September 2016, Google Ireland und Google Italy, C‑322/15, EU:C:2016:672, Rn. 17). |
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Im vorliegenden Fall beschränkt sich das vorlegende Gericht darauf, die fünfte Frage zu stellen, ohne sie in der Begründung des Vorlagebeschlusses weiter zu erläutern. Was die Formulierung dieser Frage angeht, begnügt sie sich mit einem allgemeinen Hinweis auf den Fall, dass die Zielsetzung und Tragweite der Richtlinie 2002/47 begrenzter sind als die Zielsetzung und Tragweite des nationalen Gesetzes, ohne die konkreten Elemente oder Bestimmungen dieser Richtlinie und des nationalen Rechts anzugeben, die das vorlegende Gericht veranlasst haben, diese Frage zu stellen. |
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Somit ist es unmöglich, den Fall, auf den sich das vorlegende Gericht in seiner fünften Frage bezieht, mit Sicherheit zu erfassen. Insbesondere ermöglicht es der Vorlagebeschluss dem Gerichtshof nicht, festzustellen, ob das vorlegende Gericht die im Ausgangsverfahren rein hypothetische Situation meint, dass der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2002/47 begrenzter ist als derjenige des nationalen Rechts, oder ob es sich auf andere Fälle bezieht. |
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Der Vorlagebeschluss ermöglicht es aufgrund dieser Lücken weder den Regierungen der Mitgliedstaaten noch den sonstigen Betroffenen im Sinne von Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, zweckdienliche Erklärungen zu der fünften Frage abzugeben, noch dem Gerichtshof, dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zur Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zu geben. |
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Unter diesen Umständen ist die fünfte Frage unzulässig. |
Kosten
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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt: |
Die Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten ist dahin auszulegen, dass sie dem Sicherungsnehmer einer Finanzsicherheit wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, wonach das auf einem Bankkonto befindliche Guthaben zugunsten der Bank verpfändet wird, um alle Forderungen der Bank gegenüber dem Kontoinhaber zu besichern, nur dann das Recht gibt, diese Sicherheit zu verwerten, auch wenn gegenüber dem Sicherungsgeber ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wenn zum einen das Guthaben, das Gegenstand der Sicherheit ist, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diesem Konto eingegangen ist oder, falls es am Tag dieser Eröffnung dort eingegangen ist, die Bank nachgewiesen hat, dass sie von der Eröffnung dieses Verfahrens keine Kenntnis hatte und auch nicht haben konnte, und wenn zum anderen der Inhaber dieses Kontos daran gehindert war, nach dem Eingang des Betrags auf diesem Konto über dieses Guthaben zu verfügen. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Lettisch.