SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 21. Juli 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑282/15

Queisser Pharma GmbH & Co. KG

gegen

Bundesrepublik Deutschland

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Braunschweig [Deutschland])

„Lebensmittelsicherheit — Mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften zum Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Aminosäuren enthaltenden Nahrungsergänzungsmitteln — Möglichkeit einer in das behördliche Ermessen gestellten Ausnahme“

I – Einführung

1.

Die vorliegende Rechtssache betrifft das Verfahren im deutschen Recht zur Erwirkung einer Ausnahme vom dort vorgesehenen allgemeinen Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Lebensmitteln, die u. a. Aminosäuren enthalten.

2.

Mit seinem Ersuchen möchte das nationale Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Erfordernis, wonach eine befristete, in das behördliche Ermessen gestellte Ausnahmegenehmigung erlangt werden muss, ehe solche Lebensmittel in Deutschland hergestellt und vertrieben werden dürfen, mit den Art. 34 bis 36 AEUV, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (im Folgenden: Lebensmittelrecht-Verordnung) und der Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 (im Folgenden: Lebensmittelzusatzstoffe-Verordnung) vereinbar ist.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

1. Verordnung Nr. 178/2002: Lebensmittelrecht-Verordnung

3.

In der Verordnung Nr. 178/2002 ( 2 ) sind die Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts festgelegt. Nach Art. 1 hat die Verordnung ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit des Menschen zum Ziel, wobei ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts gewährleistet wird. Außerdem werden „die Voraussetzungen für die Schaffung eines tragfähigen wissenschaftlichen Fundaments … zur Untermauerung der Entscheidungsfindung in Fragen der Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit“ festgelegt.

4.

In Art. 4 („Anwendungsbereich“) heißt es, dass sich Kapitel II der Verordnung (das die Art. 4 bis 21 umfasst) „auf alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln [bezieht]“ und dass die „in den Artikeln 5 bis 10 festgelegten allgemeinen Grundsätze … einen horizontalen Gesamtrahmen [bilden], der einzuhalten ist, wenn Maßnahmen getroffen werden“.

5.

Art. 6 („Risikoanalyse“) sieht vor, dass sich das Lebensmittelrecht grundsätzlich auf Risikoanalysen stützt und dass die Risikobewertung „auf den verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen [beruht] und … in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen ist“.

6.

Abs. 1 des Art. 7 („Vorsorgeprinzip“) sieht vor, dass „[i]n bestimmten Fällen, in denen nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen die Möglichkeit gesundheitsschädlicher Auswirkungen festgestellt wird, wissenschaftlich aber noch Unsicherheit besteht, … vorläufige Risikomanagementmaßnahmen zur Sicherstellung des in der Gemeinschaft gewählten hohen Gesundheitsschutzniveaus getroffen werden [können], bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen“. Nach Art. 7 Abs. 2 müssen solche Maßnahmen verhältnismäßig sein.

7.

Art. 14 schreibt vor, dass Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden dürfen und als nicht sicher gelten, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Nach Art. 14 Abs. 7 gelten Lebensmittel, „die spezifischen Bestimmungen der Gemeinschaft zur Lebensmittelsicherheit entsprechen, … hinsichtlich der durch diese Bestimmungen abgedeckten Aspekte als sicher“. Art. 14 Abs. 9 lautet: „Fehlen spezifische Bestimmungen der Gemeinschaft, so gelten Lebensmittel als sicher, wenn sie mit den entsprechenden Bestimmungen des nationalen Lebensmittelrechts des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie vermarktet werden, in Einklang stehen, sofern diese Bestimmungen unbeschadet des Vertrags, insbesondere der Artikel 28 und 30, erlassen und angewandt werden.“

8.

Gemäß Art. 53 kann die Kommission Sofortmaßnahmen treffen, wenn davon auszugehen ist, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein ernstes Risiko darstellt, dem durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht auf zufriedenstellende Weise begegnet werden kann. Art. 55 verleiht der Kommission die Befugnis zur Erstellung eines allgemeinen Plans für das Krisenmanagement.

2. Verordnung Nr. 1925/2006: Lebensmittelzusatzstoffe-Verordnung

9.

Gemäß dem zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1925/2006 ( 3 )„können [wenn keine spezifischen Unionsvorschriften bestehen] unbeschadet der Bestimmungen des Vertrags einschlägige einzelstaatliche Vorschriften angewendet werden“.

10.

Nach Art. 1 betrifft die Verordnung den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln mit dem Ziel, das wirksame Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und gleichzeitig ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen.

11.

Gemäß der Definition in Art. 2 bezeichnet der Ausdruck „anderer Stoff“ einen anderen Stoff als ein Vitamin oder einen Mineralstoff, der eine ernährungsbezogene oder eine physiologische Wirkung hat.

12.

Kapitel III der Verordnung („Zusatz bestimmter anderer Stoffe“) besteht allein aus Art. 8. Dieser sieht ein Verfahren vor, das im Wesentlichen „Anwendung findet“, wenn ein anderer Stoff als Vitamine oder Mineralstoffe Lebensmitteln zugesetzt wird, die zu einer Aufnahme von weit höheren als unter normalen Bedingungen aufgenommenen Mengen dieses Stoffes führen würden und/oder die ein potenzielles Risiko für die Verbraucher bergen würden. Im Weiteren heißt es in Art. 8, dass die Kommission beschließen kann, einen Stoff oder eine Zutat in Anhang III der Verordnung aufzunehmen.

13.

Gemäß Art. 8 Abs. 6 legt die Kommission Durchführungsbestimmungen zur Anwendung des Art. 8 fest. Diese wurden in Form der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 307/2012 ( 4 ) erlassen.

14.

Nach Art. 11 („Einzelstaatliche Vorschriften“) ist die Kommission über neue Rechtsvorschriften zum Verbot oder der Beschränkung des Zusatzes anderer Stoffe zu Lebensmitteln zu unterrichten; es gilt das in Art. 12 der Lebensmittelzusatzstoffe-Verordnung festgelegte Verfahren.

B – Nationales Recht

15.

Die nachstehenden nationalen Bestimmungen des deutschen Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB) ( 5 ) bilden den rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits nach deutschem Recht.

16.

§ 2 Abs. 2 und 3 LFGB verweist auf die Definition des Begriffs „Lebensmittel“ in Art. 2 der Verordnung Nr. 178/2002 und des Begriffs „Lebensmittelzusatzstoff“ in den Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 ( 6 ). Zudem stehen nach § 2 Abs. 3 den Lebensmittelzusatzstoffen gleich:

„1.   Stoffe mit oder ohne Nährwert, die üblicherweise weder selbst als Lebensmittel verzehrt noch als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet werden und die einem Lebensmittel aus anderen als technologischen Gründen beim Herstellen oder Behandeln zugesetzt werden …,

3.   Aminosäuren und deren Derivate,

…“

17.

Nach § 4 LFGB gelten die Vorschriften dieses Gesetzes für Lebensmittelzusatzstoffe auch für die ihnen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 gleichgestellten Stoffe.

18.

Gemäß § 6 Abs. 1 LFGB ist es verboten,

„1.

bei dem Herstellen oder Behandeln von Lebensmitteln, die dazu bestimmt sind, in den Verkehr gebracht zu werden,

a)

nicht zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe unvermischt oder in Mischungen mit anderen Stoffen zu verwenden,

2.

Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, die entgegen dem Verbot der Nummer 1 hergestellt oder behandelt sind oder einer nach § 7 Absatz 1 oder 2 Nummer 1 oder 5 erlassenen Rechtsverordnung nicht entsprechen,

…“

19.

§ 54 Abs. 2 und 3 LFGB sieht zu Einfuhrzwecken die Möglichkeit von Ausnahmen vom Verbot des § 6 vor. Solche Ausnahmen werden nach einer Risikobeurteilung erteilt, bei der Erkenntnisse der internationalen Forschung sowie die Ernährungsgewohnheiten in Deutschland berücksichtigt werden. Die Entscheidungen werden in Form von Allgemeinverfügungen erlassen und wirken zugunsten aller Einführer des betreffenden Erzeugnisses. Sie sind in angemessener Frist zu erlassen. Sofern diese Frist 90 Tage überschreitet, sind die Gründe hierfür anzugeben.

20.

§ 68 LFGB bestimmt:

„(1)

Von den Vorschriften dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen können im Einzelfall auf Antrag Ausnahmen nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 zugelassen werden. …

(2)

Ausnahmen dürfen nur zugelassen werden

1.

für das Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen bestimmter Lebensmittel …, sofern Ergebnisse zu erwarten sind, die für eine Änderung oder Ergänzung der für Lebensmittel … geltenden Vorschriften von Bedeutung sein können, unter amtlicher Beobachtung oder sofern eine Angleichung der Rechtsvorschriften an Rechtsakte der … Europäischen Union noch nicht erfolgt ist; dabei sollen die schutzwürdigen Interessen des Einzelnen sowie alle Faktoren, die die allgemeine Wettbewerbslage des betreffenden Industriezweiges beeinflussen können, angemessen berücksichtigt werden,

4.

in sonstigen Fällen, in denen besondere Umstände, insbesondere der drohende Verderb von Lebensmitteln … dies zur Vermeidung unbilliger Härten geboten erscheinen lassen; …

(3)

Ausnahmen dürfen nur zugelassen werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr für die menschliche oder tierische Gesundheit nicht zu erwarten ist; …

(5)

Die Zulassung einer Ausnahme nach Absatz 2 ist auf längstens drei Jahre zu befristen. In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 1 kann sie auf Antrag dreimal … um jeweils längstens drei Jahre verlängert werden, sofern die Voraussetzungen für die Zulassung fortdauern.“

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

21.

Die Queisser Pharma GmbH & Co. KG (im Folgenden: Queisser) ist in Deutschland ansässig. Sie stellt das Nahrungsergänzungsmittel Doppelherz aktiv + Eisen + Vitamin C + Histidin + Folsäure her und vertreibt dieses; es enthält u. a. L-Histidin (im Folgenden: Doppelherz-Erzeugnis). Bei L-Histidin handelt es sich um eine Aminosäure.

22.

Im März 2006 beantragte Queisser beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine Ausnahmegenehmigung nach § 68 LFGB. Sie begehrte insbesondere die Erteilung einer Genehmigung zur Herstellung und zum Vertrieb des Doppelherz-Erzeugnisses als Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland.

23.

Im November 2012 wurde der von Queisser gestellte Antrag abgelehnt. Gemäß § 68 Abs. 3 LFGB darf eine Ausnahmegenehmigung nur erteilt werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr für die menschliche oder tierische Gesundheit nicht zu erwarten ist. Nach Ansicht des BVL ist die im Doppelherz-Erzeugnis enthaltene Aminosäure L-Histidin nicht gesundheitsschädlich. Das Amt hat jedoch Bedenken hinsichtlich des Eisengehalts des Erzeugnisses. Die Ablehnung des Antrags erfolgte daher nicht wegen der Aminosäure L-Histidin, sondern wegen des Eisengehalts.

24.

Queisser legte beim BVL Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Sie legte wissenschaftliche Erkenntnisse zur Sicherheit des Eisengehalts des Doppelherz-Erzeugnisses vor. Der Widerspruch wurde im Februar 2013 zurückgewiesen.

25.

Im März 2013 erhob Queisser beim vorlegenden Gericht Klage gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid. Noch während dieses Verfahren anhängig war, hob das BVL am 17. Februar 2015 seinen Bescheid auf und erteilte Queisser nach § 68 Abs. 1 und 2 Nr. 1 LFGB eine auf drei Jahre befristete Ausnahmegenehmigung.

26.

Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Braunschweig das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:

1.

Sind Art. 34, Art. 35 und Art. 36 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Verbindung mit Art. 14 der Verordnung Nr. 178/2002 so auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren (hier: L-Histidin) verbietet, soweit hierfür nicht unter bestimmten weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird?

2.

Ergibt sich aus der Systematik von Art. 14, Art. 6, Art. 7, Art. 53 und Art. 55 der Verordnung Nr. 178/2002, dass nationale Verbote einzelner Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten nur unter den dort genannten Voraussetzungen erlassen werden dürfen, und steht dies einer nationalen gesetzlichen Regelung wie unter 1. beschrieben entgegen?

3.

Ist Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 so auszulegen, dass er einer nationalen gesetzlichen Regelung wie unter 1. beschrieben entgegensteht?

27.

Queisser, die deutsche Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Queisser und die Kommission haben an der Sitzung vom 12. Mai 2015 teilgenommen.

IV – Würdigung

A – Einführung

28.

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob das Erfordernis einer Ausnahmegenehmigung für die Herstellung und den Vertrieb von Aminosäuren enthaltenden Nahrungsergänzungsmitteln vereinbar ist mit i) den Bestimmungen des Vertrags über den freien Warenverkehr, ii) der Verordnung Nr. 178/2002 und iii) der Verordnung Nr. 1925/2006. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Fragen des nationalen Gerichts in umgekehrter Reihenfolge behandeln.

29.

Aus den nachstehend dargelegten Gründen bin ich der Meinung, dass die nationale Ausnahmeregelung, soweit es um Aminosäuren geht, nicht von der Verordnung Nr. 1925/2006 erfasst wird ( 7 ).

30.

Die Regelung unterliegt jedoch der Verordnung Nr. 178/2002, insbesondere deren Art. 6 und 7. Diese Bestimmungen schreiben vor, a) dass nationale lebensmittelrechtliche Maßnahmen auf eine Risikobewertung gestützt werden müssen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, bzw. b) dass aufgrund des Vorsorgeprinzips geltende Beschränkungen verhältnismäßig sein müssen. Meiner Ansicht nach ist die Vereinbarkeit einer Ausnahmeregelung der Art, wie sie das nationale Gericht in seinem Ersuchen beschreibt, mit den genannten Bestimmungen mit einer Reihe von Fragezeichen zu versehen.

31.

Was die Art. 34 bis 36 AEUV betrifft, meine ich, dass diese Vorschriften nicht anwendbar sind, weil es sich vorliegend um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt handelt.

B – Dritte Frage

32.

Mit seiner dritten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 einer Ausnahmeregelung der im Vorlagebeschluss beschriebenen Art entgegensteht.

33.

Aminosäuren sind, soweit sie eine ernährungsbezogene oder eine physiologische Wirkung haben, „andere Stoffe“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1925/2006.

34.

Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 regelt das Verfahren, das Anwendung findet, um einen „anderen Stoff“ in Anhang III der Verordnung (der ein Verzeichnis der „anderen Stoffe“ enthält, deren Verwendung verboten oder nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist oder bei denen wissenschaftliche Unsicherheit besteht) aufzunehmen. Damit stellt sich die Frage, ob der bloße Umstand, dass eine Aminosäure nicht in Anhang III aufgezählt ist, es den Mitgliedstaaten verwehrt, die Verwendung der Aminosäure als Lebensmittel zu beschränken.

35.

Meines Erachtens ist diese Frage eindeutig zu verneinen.

36.

Es trifft zwar zu, dass nach Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 das dort festgelegte Verfahren „Anwendung findet“, wenn Lebensmitteln ein „anderer Stoff“ unter bestimmten Bedingungen zugesetzt wird ( 8 ). Aus der Verwendung der Worte „findet Anwendung“ ließe sich herleiten, dass das Verfahren in allen Fällen eines Verbots oder einer Beschränkung der Verwendung eines Stoffes obligatorisch ist.

37.

Allerdings sprechen, wie die Kommission in ihren Schriftsätzen ausführt, Art. 11 und der zweite Erwägungsgrund der Verordnung gegen eine solche Auslegung. Im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1925/2006 heißt es, dass bei Fehlen spezifischer Unionsvorschriften über „andere Stoffe“ einschlägige einzelstaatliche Vorschriften angewendet werden können. Gemäß Art. 11 der Verordnung („Einzelstaatliche Vorschriften“) hat ein Mitgliedstaat, der neue Rechtsvorschriften zum Verbot oder der Beschränkung der Verwendung „anderer Stoffe“ in Lebensmitteln erlassen will, die Kommission entsprechend zu unterrichten und das in Art. 12 der Verordnung festgelegte Verfahren anzuwenden.

38.

Folglich ergibt sich aus Art. 11 und dem zweiten Erwägungsgrund, dass nach Inkrafttreten der Verordnung erlassene einschlägige einzelstaatliche Vorschriften nach Maßgabe eines spezifischen Verfahrens angezeigt werden müssen und von der Kommission de facto verhindert werden können. Umgekehrt steht die Verordnung nicht der Anwendung einzelstaatlicher Vorschriften entgegen, die bereits vor Inkrafttreten der Verordnung bestanden.

39.

Nach alledem lautet die Antwort auf die dritte Frage des nationalen Gerichts, dass Art. 8 der Verordnung Nr. 1925/2006 einer nationalen gesetzlichen Regelung nicht entgegensteht, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, soweit hierfür nicht eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird.

C – Zweite Frage

40.

Mit seiner zweiten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die Art. 6, 7, 14, 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002 einer Ausnahmeregelung der im Vorlagebeschluss beschriebenen Art entgegenstehen.

41.

In Art. 1 der Verordnung Nr. 178/2002 sind „die allgemeinen Grundsätze für Lebens- und Futtermittel im Allgemeinen und für die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit im Besonderen auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene festgelegt“. Die Verordnung gilt „für alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln“. Art. 4 Abs. 2 bestimmt, dass die Art. 5 bis 10 „einen horizontalen Gesamtrahmen [bilden], der einzuhalten ist, wenn Maßnahmen getroffen werden“. Nach Art. 4 Abs. 3 „[werden d]ie bestehenden lebensmittelrechtlichen Grundsätze und Verfahren … so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1. Januar 2007 so angepasst, dass sie mit den Artikeln 5 bis 10 in Einklang stehen“.

42.

Aus dem eindeutigen Wortlaut der vorstehenden Bestimmungen geht hervor, dass eine nationale gesetzliche Regelung, wie sie in der ersten Frage des nationalen Gerichts beschrieben ist, so angepasst werden müsste, dass sie spätestens ab dem 1. Januar 2007 u. a. mit den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 in Einklang steht.

1. Anwendbarkeit der Art. 14, 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002

43.

Vor einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den Art. 6 und 7 in den nachstehenden Abschnitten werde ich zunächst kurz auf die anderen Bestimmungen der Verordnung Nr. 178/2002 eingehen, die das nationale Gericht in seiner zweiten Frage nennt.

44.

Gemäß Art. 14 Abs. 9 der Verordnung Nr. 178/2002 gelten Lebensmittel in Ermangelung spezifischer Bestimmungen der Gemeinschaft als sicher, wenn sie unbeschadet des Vertrags mit dem nationalen Recht in Einklang stehen. Die Regelungen des Vertrags, insbesondere diejenigen über den freien Warenverkehr, auf die Art. 14 Abs. 9 verweist, werden unten in Abschnitt D erörtert. Abgesehen vom Vertrag verweist Art. 14 Abs. 9 schlichtweg auf die einzelstaatlichen Vorschriften. Die Bestimmung selbst steht daher einer Ausnahmeregelung, wie das nationale Gericht sie in seinem Vorabentscheidungsersuchen beschreibt, nicht entgegen.

45.

Außerdem kann Art. 14 Abs. 9 der Verordnung Nr. 178/2002 nichts an der Anwendbarkeit der Art. 6 und 7 ändern. Die Bestimmung verweist auf einzelstaatliche Regelungen für all diejenigen (konkreten) Konstellationen, die nicht ausdrücklich von Unionsvorschriften erfasst sind. Art. 14 Abs. 9 lässt sich sicherlich nicht als Ausnahme von den Grundsätzen der Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 verstehen, die als allgemeine und transversale Bestimmungen selbst bei Fehlen spezifischer Vorschriften in vollem Umfang anwendbar bleiben.

46.

Was die anderen Absätze von Art. 14 betrifft, so ist Art. 14 Abs. 7 und 8 der Verordnung Nr. 178/2002, soweit keine spezifischen Unionsbestimmungen Anwendung finden, hier nicht unmittelbar einschlägig. Art. 14 Abs. 1 bis 6 sieht im Wesentlichen vor, dass Lebensmittel nicht in Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie nicht sicher oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Folglich stehen diese Bestimmungen als solche einer Ausnahmeregelung der Art, wie sie im Ersuchen des nationalen Gerichts beschrieben ist, nicht entgegen.

47.

Hinsichtlich der Art. 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002 ist darauf hinzuweisen, dass diese Vorschriften Sofortmaßnahmen und das Krisenmanagement betreffen. Als solche stehen sie einer Ausnahmeregelung der Art, wie sie im Ersuchen des nationalen Gerichts beschrieben ist, nicht entgegen.

2. Allgemeine Bemerkungen zu den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002

48.

Nach Art. 6 der Verordnung Nr. 178/2002 ist bei Risikomanagementmaßnahmen im nationalen Lebensmittelrecht den Ergebnissen einer Risikobewertung Rechnung zu tragen. Die Risikobewertung beruht auf den „verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen und ist in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise vorzunehmen“.

49.

Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 („Vorsorgeprinzip“) bestimmt, dass in Fällen, in denen nach einer Risikobewertung noch wissenschaftliche Unsicherheit besteht, vorläufige Risikomanagementmaßnahmen getroffen werden, „bis weitere wissenschaftliche Informationen für eine umfassendere Risikobewertung vorliegen“. Solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein.

50.

An dieser Stelle bedarf es einer wichtigen Vorbemerkung zum Verhältnis zwischen diesen beiden Bestimmungen und zum Wesen des in Art. 7 normierten Vorsorgeprinzips. Nach dem eindeutigen Wortlaut der letztgenannten Vorschrift können die Mitgliedstaaten Risikomanagementmaßnahmen nur nach einer Auswertung der verfügbaren Informationen auf Art. 7 stützen. Art. 7 kann also erst eingreifen und herangezogen werden, nachdem Art. 6 verfahrens- und materiell-rechtlich beachtet worden ist.

51.

Daraus ergibt sich, dass eine Ausnahmeregelung der Art, wie sie im Ersuchen des nationalen Gerichts beschrieben ist, nicht auf Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 gestützt werden kann, soweit dem Verbot der Verwendung nicht zugelassener Lebensmittelzusatzstoffe nach deutschem Recht nicht eine Auswertung der verfügbaren Informationen vorangeht, die zu wissenschaftlicher Unsicherheit hinsichtlich des Risikos führt. Genau genommen kann unter solchen Umständen Art. 7 nicht zur Rechtfertigung einer Regelung dieser Art herangezogen werden.

52.

Angesichts dessen konzentriert sich die nachstehende Würdigung in erster Linie auf Art. 6 der Verordnung Nr. 178/2002.

3. Wissenschaftliche Grundlage für die Entscheidungsfindung

53.

In Art. 6 der Verordnung Nr. 178/2002 kommt ein Grundgedanke des Risikomanagements zum Ausdruck, nämlich dass Maßnahmen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen müssen ( 9 ). Letztlich können restriktive Maßnahmen, die erlassen werden, um festgestellten Risiken zu begegnen, zwar auch allgemeinen politischen Erwägungen Rechnung tragen. Doch müssen wissenschaftliche Erkenntnisse den Ausgangspunkt bilden ( 10 ).

54.

Art. 6 stünde daher eindeutig einer nationalen Regelung entgegen, die das Herstellen und das Inverkehrbringen einer Lebensmittelzutat unter völliger Außerachtlassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und ohne die Möglichkeit einer Ausnahme verbietet. Mit dieser Art von Sachverhalt hat sich der Gerichtshof hier indessen nicht auseinanderzusetzen. Nach der im Vorlagebeschluss beschriebenen Regelung besteht zwar ein Verbot, jedoch kann eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden, die im vorliegenden Fall auch erteilt wurde. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden nicht außer Acht gelassen; potenziell problematisch ist vielmehr, dass offenbar nach nationalem Recht zunächst die Vermutung gilt, dass eine Zutat nicht sicher ist.

55.

Bei der zweiten Frage des nationalen Gerichts geht es um folgende Problematik: Welche Beschränkungen ergeben sich aus der Verordnung Nr. 178/2002 für solch ein Ausnahmeverfahren? Ist insbesondere das Erfordernis einer Ausnahmegenehmigung überhaupt zulässig (d. h. ist die Vermutung, dass eine Zutat nicht sicher ist, jemals zulässig)? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wer muss die für die Risikobewertung erforderlichen Informationen vorlegen und wer hat die Risikobewertung durchzuführen (der Mitgliedstaat oder der Marktteilnehmer)? Wer trägt die Beweislast?

56.

Bevor ich mich diesen Fragen zuwende, werde ich zunächst das Verarbeitungshilfsstoffe betreffende Grundsatzurteil Kommission/Frankreich des Gerichtshofs ( 11 ) erörtern.

4. Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe)

57.

Nur wenige Urteile des Gerichtshofs befassen sich ausdrücklich mit der Auslegung der Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 ( 12 ). Es gibt jedoch mehrere Urteile im Bereich des freien Warenverkehrs, in denen allgemeine Grundsätze zu Zulassungsverfahren und zur Risikobewertung im Lebensmittelrecht entwickelt worden sind ( 13 ). Diese Grundsätze lassen sich weitgehend auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen.

58.

Von besonderem Interesse ist das Verarbeitungshilfsstoffe betreffende Urteil Kommission/Frankreich des Gerichtshofs ( 14 ), vor allem, weil es sich mit der Rechtmäßigkeit einer Zulassungsregelung (im Gegensatz zu individuellen Zulassungsentscheidungen im Rahmen einer solchen Regelung) befasst. In jener Rechtssache ging es um ein französisches Gesetz zur Einführung einer Zulassungsregelung für Verarbeitungshilfsstoffe und für mit Hilfe von Verarbeitungshilfsstoffen hergestellte Lebensmittel. Eine Zulassung wurde selbst dann benötigt, wenn die Hilfsstoffe bzw. die Lebensmittel in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt worden waren. Die Kommission erhob eine Vertragsverletzungsklage gegen Frankreich mit der Begründung, die Zulassungsregelung verletze die Bestimmungen des Vertrags über die Verkehrsfreiheit ( 15 ).

59.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass das Zulassungssystem eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstelle. Er hat aber auch auf gefestigte Rechtsprechung verwiesen, der zufolge eine Zulassungsregelung „grundsätzlich nicht gegen das Gemeinschaftsrecht [verstößt], sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind“ ( 16 ), die gewährleisten sollen, dass die Regelung gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.

60.

Der Gerichtshof hat zwei solche Voraussetzungen genannt ( 17 ). Erstens müsse es ein transparentes und leicht zugängliches Verfahren zur Erlangung einer Zulassung innerhalb eines angemessenen Zeitraums geben, das einer Überprüfung durch die nationalen Gerichte unterliege (im Folgenden: verfahrensrechtliche Voraussetzung). Zweitens dürfe ein Zulassungsantrag nur abgelehnt werden, wenn der betreffende Stoff tatsächlich ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung berge (im Folgenden: materiell-rechtliche Voraussetzung).

61.

Die französische Regelung in jener Rechtssache wies eine Reihe schwerwiegender verfahrensrechtlicher Unzulänglichkeiten auf. Zur materiell-rechtlichen Voraussetzung hat der Gerichtshof die folgenden wichtigen Ausführungen gemacht.

62.

Erstens sei das den Gesundheitsschutz betreffende Ermessen der Mitgliedstaaten von besonderer Bedeutung, wenn wissenschaftliche Unsicherheiten bestünden. Zweitens hätten die Mitgliedstaaten, die sich auf eine Ausnahme von der Verkehrsfreiheit beriefen, „in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Ergebnisse der internationalen wissenschaftlichen Forschung darzutun, dass ihre Regelung zum wirksamen Schutz der in [Art. 36 AEUV] erfassten Interessen erforderlich ist“. Außerdem musste in jener Rechtssache das Verbot von Verarbeitungshilfsstoffen „auf eine eingehende Prüfung des Risikos gestützt werden, das der … Mitgliedstaat geltend macht“. Drittens müssten die vom Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sein. Viertens und letztens erfordere eine Anwendung des Vorsorgeprinzips vorab „eine umfassende Bewertung des Gesundheitsrisikos auf der Grundlage der zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Daten und der neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung“.

63.

Nach den Feststellungen des Gerichtshofs erfüllte die französische Zulassungsregelung diese verfahrens- und materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht. Insbesondere sei die Allgemeingültigkeit der Regelung problematisch. Die Regelung hätte nach den Ausführungen des Gerichtshofs ausschließlich auf Verarbeitungshilfsstoffe ausgerichtet werden müssen, die in „gefährliche oder verdächtige“ Kategorien fielen ( 18 ). Die französische Regelung aber „[unterscheidet nicht] hinsichtlich der verschiedenen Verarbeitungshilfsstoffe oder nach der Höhe des Risikos für die Gesundheit, das ihre Verwendung möglicherweise darstellt“ ( 19 ). Im Weiteren hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „[e]in Mitgliedstaat … ein systematisches und nicht zielgerichtetes Zulassungssystem … nicht damit rechtfertigen [kann], dass erschöpfende vorherige Prüfungen aufgrund der großen Zahl verwendbarer Verarbeitungshilfsstoffe … nicht möglich seien“ ( 20 ).

64.

Aus dem Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe) geht eindeutig hervor, dass Zulassungsregelungen nicht per se gegen die Vorschriften über die Verkehrsfreiheit verstoßen. Ebenso eindeutig sind jedoch unterschiedslos geltende Zulassungsregelungen abzulehnen, die nicht wissenschaftlich begründet sind ( 21 ).

65.

Allerdings lässt sich dem Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe) meines Erachtens keine Antwort auf die in Nr. 55 der vorliegenden Schlussanträge formulierten detaillierteren Fragen entnehmen, namentlich auf die Frage, wer die Informationen für die Risikobewertung vorzulegen hat, und die damit zusammenhängende Frage nach der Beweislast. Ich wende mich nunmehr diesen Fragen zu.

5. Vorlage der Informationen und Beweislast

66.

Um einen Rahmen für die Problematik abzustecken, ist festzuhalten, dass in diesen Fragen zwei entgegengesetzte Extrempositionen denkbar sind.

67.

Am einen Ende des Spektrums findet sich die These, dass der Mitgliedstaat zur Gänze die Beweislast trage. Er müsse sämtliche einschlägigen wissenschaftlichen Informationen vorlegen, die in eine umfassende Risikobewertung jedes einzelnen Stoffes einflössen. Unterlasse der Mitgliedstaat dies, dürfe er keine lebensmittelrechtlichen Maßnahmen, die die Verwendung oder das Inverkehrbringen dieses Stoffes beschränkten, d. h. auch keine Zulassungsregelung treffen (im Folgenden: Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit).

68.

Nach der Auffassung am anderen Ende des Spektrums sieht der Mitgliedstaat ein allgemeines Verbot für eine Zutat oder eine Kategorie von Zutaten ohne eine Risikobewertung vor. Dadurch verlagere der Mitgliedstaat die Beweislast de facto auf den Marktteilnehmer, der dann die erforderlichen wissenschaftlichen Informationen für die Durchführung der umfassenden Risikobewertung vorlegen müsse (im Folgenden: Ansatz des grundsätzlichen Verbots).

69.

Ich habe starke Vorbehalte gegen beide Ansätze. Meiner Ansicht nach kann auch keiner von beiden auf die Rechtsprechung gestützt werden.

a) Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit

70.

Was zunächst den Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit angeht, so trifft zwar zu, dass nach der Ratio der Verkehrsfreiheit die Last der Rechtfertigung von Beschränkungen des freien Warenverkehrs dem Mitgliedstaat obliegt. Es gibt jedoch zwei Vorbedingungen für die Gültigkeit dieser pauschalen Aussage. Erstens handelt es sich tatsächlich um eine Pauschalaussage, die als grundsätzlicher Ausgangspunkt dient. Zweitens ist daran zu erinnern, dass es an dieser Stelle nicht um eine Auslegung der Art. 34 und 36 AEUV geht. Ausgelegt wird vielmehr Art. 6 (und am Rande auch Art. 7) der Verordnung Nr. 178/2002, also Bestimmungen des abgeleiteten Rechts in einem recht sensiblen Bereich.

71.

Zudem – wie im Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe) erneut ausgeführt wurde – verwehrt es die Rechtsprechung zur Verkehrsfreiheit als solche den Mitgliedstaaten nicht, eine Zulassung zu verlangen. Sie hindert die Mitgliedstaaten auch nicht daran, von Unternehmen die Vorlage sachdienlicher Informationen für die Beurteilung der Frage zu verlangen, ob der Mitgliedstaat das Inverkehrbringen von bestimmte Zutaten enthaltenden Lebensmitteln in seinem Hoheitsgebiet zulässt ( 22 ). Aus dem Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe) ergibt sich außerdem, dass die Möglichkeit des Mitgliedstaats, von einer Zulassungsregelung Gebrauch zu machen, tatsächlich bestehen muss. Sie darf ihrer Wirksamkeit nicht durch Voraussetzungen beraubt werden, die den Mitgliedstaat de facto daran hindern, vor der Marktzulassung von Erzeugnissen zu prüfen, ob tatsächliche Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung vorliegen ( 23 ). Meines Erachtens käme eine dem Mitgliedstaat obliegende Verpflichtung zur Durchführung einer vollständigen, hieb- und stichfesten, umfassenden Prüfung sämtlicher verfügbarer wissenschaftlicher Informationen, bevor ihm die Aussetzung des Inverkehrbringens im Wege einer Zulassungsregelung erlaubt ist, einem solchen Hemmnis gefährlich nahe. Schließlich weise ich darauf hin, dass die im vorliegenden Fall beschriebene Regelung kein Verbot ohne Ausnahmemöglichkeit beinhaltet. Es handelt sich um eine Regelung, bei der eine vorherige Genehmigung verlangt wird. Bildlich gesprochen drückt der Mitgliedstaat nicht die Stopptaste, sondern die Pausetaste. Die Anforderungen an die Risikobewertung und die Rechtfertigung sollten im letztgenannten Fall logischerweise niedriger sein als im erstgenannten. All dies spricht eher für einen nuancierteren Ansatz bei der Beweislast.

72.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kann man bei Heranziehung des Urteils des Gerichts in der Rechtssache Rubinum/Kommission ( 24 ) gelangen, das meiner Meinung nach implizit einen nuancierteren Ansatz bei der Beweislast im Rahmen von Art. 6 der Verordnung Nr. 178/2002 befürwortet. In jener Rechtssache ging es um eine Klage auf Nichtigerklärung einer Verordnung der Kommission ( 25 ), durch die die Zulassungen bestimmter, in Form von Mikroorganismen zubereiteter Zusatzstoffe in Futtermitteln ausgesetzt wurden. Die Aussetzung war damit begründet worden, dass bei der Genomsequenzierung des Futtermittelzusatzstoffs Gene festgestellt worden seien, die eine Resistenz gegen bestimmte Antibiotika bewirkten, die potenziell auf Tiere oder Menschen übertragen werden könne. Der Zusatzstoff sei daher als unsicher anzusehen.

73.

Das Gericht hat die angefochtene Verordnung der Kommission für gültig erklärt und die Rüge der Klägerin zurückgewiesen, dass die Kommission keine umfassende Risikobewertung vorgenommen habe. Das Gericht hat entschieden, dass das Bestehen eines nicht nur hypothetischen Risikos festgestellt worden sei und dass die Klägerin weder einen Beweis noch ein konkretes Argument dafür vorgebracht habe, dass eine (erschöpfende) Risikobewertung zu der Annahme geführt hätte, dass die Vorteile des Erzeugnisses schwerer wögen als die Bedenken der Kommission ( 26 ).

74.

Mit anderen Worten wurde in der Rechtssache Rubinum/Kommission aufgrund der Bewertung der Behörde (in diesem Fall der Kommission) auf der Grundlage der ihr vorliegenden Informationen ein Risiko festgestellt. Der private Wirtschaftsteilnehmer hätte sich durch Vorlage weiterer Beweise gegen diese Feststellung wenden können, hat dies aber unterlassen. Meiner Meinung nach ist in diesem Kontext eine derartige Beweislastverteilung vollkommen natürlich: Jede Partei ist gehalten, ihre eigenen Behauptungen zu begründen und zu beweisen.

75.

Außerdem sprechen eine Reihe von pragmatischen Erwägungen gegen den Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit. Erstens ist es keineswegs selbstverständlich, dass die Behörde stets am besten in der Lage ist, sämtliche wissenschaftlichen Beweise zusammenzustellen, die zur Durchführung einer umfassenden Risikobewertung notwendig sind ( 27 ). Zudem dürfte – zumindest in einigen Fällen – die Logik gebieten, dass das Unternehmen, das ein wirtschaftliches Interesse am Inverkehrbringen des betreffenden Erzeugnisses hat, einen Beitrag zur Informationsbeschaffung leistet ( 28 ).

76.

Schließlich bleibt festzuhalten, dass die Anwendung des Ansatzes der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit in diesem Bereich bestenfalls nur schwer mit dem auf anderen ähnlichen Gebieten verfolgten Ansatz vereinbar ist und schlimmstenfalls diesem geradezu widerspricht. Das offensichtlichste Beispiel ist die Verordnung über neuartige Lebensmittel ( 29 ). Diese Verordnung folgt im Wesentlichen dem Ansatz des grundsätzlichen Verbots für alle Lebensmittel, deren Verzehr in der Union vor 1997 nicht weit verbreitet war. Es erscheint recht willkürlich, dass ein bestimmtes Datum einen vollständigen Wechsel vom Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit zum Ansatz des grundsätzlichen Verbots auslösen soll. Nicht nur die Rechtsprechung, sondern auch der gesunde Menschenverstand spricht für einen nuancierteren Ansatz für den Zeitraum vor 1997 ( 30 ).

b) Ansatz des grundsätzlichen Verbots

77.

Ich habe aber auch scherwiegende Vorbehalte hinsichtlich des Ansatzes des grundsätzlichen Verbots. Ich werde insoweit nur zwei Bemerkungen machen.

78.

Erstens gilt etwas Ähnliches wie der Ansatz des grundsätzlichen Verbots bereits in mehreren spezifischen Bereichen. Die Richtlinie 2002/46 verfolgt für Nahrungsergänzungsmittel einen auf der ausdrücklichen Aufzählung in Listen beruhenden Ansatz. Die Verwendung von Vitaminen und Mineralien in Nahrungsergänzungsmitteln ist verboten, sofern sie nicht in diesen Listen aufgeführt sind. Da der Gesetzgeber mit dem Erlass abgeleiteter Rechtsvorschriften für diese Stoffe ausdrücklich einen Ansatz gewählt hat, der auf Positivlisten beruht, erscheint es nicht gerechtfertigt, bei Fehlen solcher Vorschriften den Ansatz des grundsätzlichen Verbots auch auf andere Stoffe auszudehnen ( 31 ).

79.

Zweitens lässt sich im Kontext der Bestimmungen über den freien Warenverkehr dem oben erörterten Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe) entnehmen, dass ein mit der Möglichkeit einer Zulassung verbundenes allgemeines Verbot der Verwendung von Stoffen in Lebensmitteln problematisch ist. Erforderlich sind Beweise für das bei dem einzelnen Stoff bestehende Risiko oder zumindest für die Kategorie von Stoffen, zu der der betreffende Stoff gehört.

80.

In jener Rechtssache wurde jedoch nicht eingehend geprüft, wie die Beweislast zwischen der Behörde und dem privaten Wirtschaftsteilnehmer verteilt oder verlagert werden könnte. Es fand auch keine Erörterung der Frage statt, inwieweit die Behörde schlüssige Argumente dartun muss, ehe sie die Verwendung oder das Inverkehrbringen des betreffenden Stoffes bis zum Vorliegen weiterer Daten aussetzt. Das oben in den Nrn. 72 ff. angeführte Urteil Rubinum/Kommission deutet wohl einen nuancierteren Ansatz an.

c) Mittelweg: verteilte Beweislast

81.

Angesichts dessen spricht meines Erachtens viel gegen beide Extrempositionen – den Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit und den Ansatz des grundsätzlichen Verbots. Wie also sähe ein vernünftiger Mittelweg aus?

82.

Bei einem Mittelweg ist zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat den Erlass einer Zulassungsregelung für jeden einzelnen Stoff rechtfertigen muss. Dieser Weg sollte auch dem Umstand Rechnung tragen, dass die Möglichkeit des Mitgliedstaats, vorab umfassende und erschöpfende Risikobewertungen für sämtliche in Betracht kommenden Stoffe durchzuführen, praktisch beschränkt ist. Generell ist ein nuancierterer Ansatz meines Erachtens auch deshalb geboten, weil die Verordnung Nr. 178/2002 davon ausgeht, dass das Lebensmittelrecht im Allgemeinen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen soll. Die Verordnung gebietet also nicht nur, dass Beschränkungen im Bereich des Lebensmittelrechts einer wissenschaftlichen Grundlage bedürfen.

83.

Konkret bedeutet dies, dass ein Mitgliedstaat vor Erlass einer Zulassungsregelung für einen bestimmten Stoff grundsätzlich spezifisch im Hinblick auf diesen Stoff dartun muss, dass ein tatsächliches Risiko für die öffentliche Gesundheit besteht. Meiner Meinung nach dürfen Zulassungsregelungen für Kategorien von Stoffen nicht unbedingt ausgeschlossen werden. Es liegt allerdings auf der Hand, dass der Mitgliedstaat eine solche Lösung rechtfertigen müsste, indem er sich z. B. auf strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den zu der Kategorie gehörenden Stoffen stützt.

84.

Zu verlangen sind insoweit fundierte, schlüssige Argumente, nicht jedoch eine erschöpfende Prüfung sämtlicher verfügbarer wissenschaftlicher Informationen (wie dies bei dem Ansatz der grundsätzlichen Beschränkungsfreiheit der Fall wäre). Die schlüssige Argumentation rechtfertigt die Zulassungsregelung. Das Erfordernis einer Zulassung kann dann als verfahrensrechtlicher Rahmen für die Beschaffung der Informationen dienen, die zur Durchführung einer umfassenderen Bewertung erforderlich sind. Letztlich obliegt die Durchführung dieser Risikobewertung dem Mitgliedstaat, er muss jedoch auf die Unterstützung des privaten Wirtschaftsteilnehmers zurückgreifen und diesen zur Mitwirkung bei der Zusammenstellung der für diese Bewertung notwendigen Daten auffordern können ( 32 ).

85.

Aus dieser Sicht könnte man von einer verteilten Beweislast sprechen. Aus den in den vorhergehenden Abschnitten bereits dargelegten Gründen ist dies im Kontext ähnlicher Fälle durchaus üblich: Im Wesentlichen obliegt es jeder Partei, ihre jeweilige Behauptung zu begründen und zu beweisen. Zunächst muss der Mitgliedstaat dartun, dass auf der Grundlage fundierter wissenschaftlicher Informationen Anlass zu begründeten Zweifeln besteht. Sodann ist es, wenn dieser Einschätzung widersprochen und diese angefochten wird, Sache der Partei, die sich gegen die vom Mitgliedstaat angeführten wissenschaftlichen Erkenntnisse wendet, den entsprechenden Nachweis für ihre Behauptung zu erbringen. Zuletzt werden die auf diese Weise zusammengestellten Beweise von der zuständigen Behörde frei gewürdigt.

86.

Nach der bestehenden Rechtsprechung zu Art. 34 AEUV kann eine Beschränkung des Inverkehrbringens „nur erlassen werden, wenn die geltend gemachte tatsächliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit auf der Grundlage der letzten wissenschaftlichen Informationen … als hinreichend nachgewiesen anzusehen ist“ ( 33 ). In Fällen, in denen keine schlüssigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, „die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die öffentliche Gesundheit jedoch fortbesteht“, kann das in Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002 normierte Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen rechtfertigen ( 34 ).

87.

Meines Erachtens steht dieser Ansatz in Einklang mit dem im Bereich des freien Warenverkehrs am ehesten einschlägigen Urteil, nämlich mit dem Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe). Auch in jener Rechtssache geht der Gerichtshof davon aus, dass der Mitgliedstaat grundsätzlich Zulassungsregelungen erlassen darf, untersagt aber nachdrücklich unterschiedslose und willkürliche Zulassungsregelungen. Dementsprechend verlangt er, dass der Mitgliedstaat die Argumente für den Erlass einer Zulassungsregelung für jeden einzelnen Stoff dartut. Dabei ist allerdings nicht erforderlich, vorab eine erschöpfende Risikobewertung durchzuführen. Zulässig ist vielmehr die Festlegung eines verfahrensrechtlichen Rahmens für die Beschaffung von Informationen, bei dem letztlich die Durchführung der Bewertung und die Feststellung des Risikos eindeutig dem Mitgliedstaat obliegen.

6. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen

88.

Wie im Hinblick auf das Urteil Kommission/Frankreich (Verarbeitungshilfsstoffe) bereits dargelegt, müssen bei Zulassungsregelungen neben den vorstehend skizzierten materiell-rechtlichen Voraussetzungen auch bestimmte verfahrensrechtliche Voraussetzungen gegeben sein. So müssen etwa Zulassungsregelungen zugänglich und transparent sein, innerhalb angemessener Frist durchgeführt werden und gerichtlich nachprüfbar sein.

89.

Meiner Meinung nach sind diese Erfordernisse auch auf die von den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 erfassten Fälle übertragbar.

7. Anwendung auf den vorliegenden Fall

90.

Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, die vorstehend beschriebenen, sich aus den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 ergebenden materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ausnahmeregelung anzuwenden. In Anbetracht der vom vorlegenden Gericht ausdrücklich gestellten Fragen und der Sachverhaltsdarstellung ist die Vereinbarkeit einer Ausnahmeregelung der Art, wie sie im Ersuchen des vorlegenden Gerichts beschrieben ist, mit den genannten Bestimmungen meiner Meinung nach mit einer Reihe von Fragezeichen zu versehen.

91.

Was die materiell-rechtlichen Voraussetzungen anlangt, scheint die Ausnahmeregelung recht unterschiedslos anwendbar zu sein. Gemäß der Regelung bedürfen Lebensmittelzusatzstoffe und die ihnen gleichgestellten Stoffe, einschließlich Aminosäuren, einer vorherigen Zulassung. Vorbehaltlich weiterer Sachverhaltsfeststellungen durch das nationale Gericht sind jedoch keine schlüssigen Argumente dafür angeführt worden, dass diese Aminosäuren ein Risiko für die öffentliche Gesundheit bergen, das einen solchen unterschiedslosen Ansatz rechtfertigen könnte.

92.

Zudem wird die Bewertung von bestimmten Aminosäuren enthaltenden Lebensmitteln in Deutschland offenbar einzelfallbezogen vorgenommen und führt zu individuellen Entscheidungen. Soweit schlüssige Argumente für das Bestehen eines Risikos vorgebracht wurden, eine eingehendere Untersuchung einer oder mehrerer Akten jedoch zu einer Revision der ursprünglichen Einschätzung der Aminosäure führt, leuchtet nicht ein, weshalb hinsichtlich dieser Aminosäure die Annahme eines Risikos und das Zulassungserfordernis bestehen bleiben sollten. Auch dies sind Fragen, die das nationale Gericht zu prüfen hat. Bei der Durchführung der Untersuchung mag das nationale Gericht auch den Umstand berücksichtigen, dass nach § 54 LFGB im Fall von Einfuhrerzeugnissen allgemein anwendbare Ausnahmen potenziell als angemessen erachtet werden. Damit stellt sich die Frage, warum gemäß § 68 LFGB allgemein anwendbare Ausnahmen als unangemessen, Ausnahmen für potenziell dieselben Stoffe nach § 54 LFGB hingegen als angemessen angesehen werden.

93.

Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen habe ich insbesondere zwei Bedenken.

94.

Erstens ist nicht erkennbar, ob das Verfahren für die Erteilung von Ausnahmen innerhalb angemessener Frist stattfindet. Laut dem Vorlagebeschluss sind zwischen der Antragsstellung durch Queisser und dem ersten Bescheid der zuständigen nationalen Behörde mehr als sechs Jahre verstrichen. Auf den ersten Blick erscheint dieser Zeitraum an sich bereits übermäßig lang. Für diese Einschätzung spricht auch § 54 LFGB, der vorsieht, dass in Fällen, in denen innerhalb von 90 Tagen keine Entscheidung erlassen wird, die Gründe hierfür anzugeben sind. Auch insoweit ist es Sache des nationalen Gerichts, über die Angemessenheit des Fehlens einer Fristfestlegung nach § 68 LFGB im Allgemeinen und die Angemessenheit des verstrichenen Zeitraums im konkreten Fall von Queisser zu entscheiden.

95.

Zweitens werden gemäß § 68 Abs. 5 LFGB Ausnahmen befristet erteilt (drei Jahre) und können nur dreimal verlängert werden. Der Akte lässt sich nicht entnehmen, was nach Ablauf dieses Zeitraums geschieht. Sollte die Antwort lauten, dass ein endgültiger Zulassungs- oder Verbotsbescheid ergeht ( 35 ), so ist die Befristung der Ausnahme im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 und den im Kontext einer Zulassungsregelung sich aus diesen Bestimmungen ergebenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen an sich meines Erachtens unproblematisch. Unter dem Gesichtspunkt der von diesen Bestimmungen vorgeschriebenen materiell-rechtlichen Voraussetzungen muss die Befristung der Ausnahmen jedoch gerechtfertigt sein. Insoweit ist der Rückgriff auf eine befristete Ausnahme ab dem Zeitpunkt, ab dem einwandfrei feststeht, dass kein Risiko besteht, grundsätzlich unzulässig ( 36 ).

96.

Was schließlich die Voraussetzung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit angeht, so müssen die zuständigen nationalen Behörden über ein weites Ermessen in einem Bereich wie dem hier betroffenen verfügen, in dem sie komplexe Prüfungen durchführen müssen. Folglich ist eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des Ziels, das die zuständigen Organe verfolgen, offensichtlich ungeeignet ist ( 37 ). Dass die zuständige nationale Behörde einen Ermessensspielraum hat, stellt die Vereinbarkeit mit der Verordnung Nr. 178/2002 also an sich noch nicht in Frage.

97.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Frage des nationalen Gerichts wie folgt zu beantworten: Die Art. 14, 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002 stehen einer Ausnahmeregelung der im Vorabentscheidungsersuchen beschriebenen Art nicht entgegen. Die Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, soweit hierfür nicht unter bestimmten weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird, wenn diese Beschränkungen für Zutaten oder Zutatenkategorien gelten, ohne dass der Mitgliedstaat in Bezug auf diese Zutaten oder Zutatenkategorien schlüssige Argumente für das Bestehen eines Risikos vorgetragen hat. Soweit eine solche nationale Regelung aufgrund schlüssiger Argumente für das Bestehen eines Risikos gerechtfertigt ist, verlangen die Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002, dass das Verfahren für die Erlangung einer Ausnahmegenehmigung von dem allgemeinen Verbot zugänglich und transparent ist, innerhalb angemessener Frist abgeschlossen wird und die daraufhin ergangenen Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind.

D – Art. 34 bis 36 AEUV

98.

Queisser ist in Deutschland ansässig und stellt das Doppelherz-Erzeugnis in Deutschland für den deutschen Markt her. Daher betrifft das Vorabentscheidungsersuchen einen rein innerstaatlichen Sachverhalt, der keinen Bezug zur Einfuhr von Waren im unionsinternen Handel aufweist ( 38 ). Ich weise ferner darauf hin, dass das LFGB eine spezielle Vorschrift – nämlich § 54 – über die Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten der Union enthält.

99.

Folglich ist Art. 34 AEUV auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass Art. 14 der Verordnung Nr. 178/2002 ausdrücklich auf Art. 34 AEUV verweist. Mangels eines grenzüberschreitenden Elements hilft Art. 34 AEUV bei der Würdigung nicht weiter.

100.

Wie die deutsche Regierung hervorgehoben hat, zielt das LFGB nicht spezifisch auf die Benachteiligung von Ausfuhren gegenüber dem Binnenhandel ab ( 39 ). Dementsprechend findet auch Art. 35 AEUV keine Anwendung auf den vorliegenden Fall.

101.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage des nationalen Gerichts dahin zu beantworten, dass die Art. 34, 35 und 36 AEUV in Verbindung mit Art. 14 der Verordnung Nr. 178/2002 einer Ausnahmeregelung der im Vorabentscheidungsersuchen beschriebenen Art nicht entgegenstehen.

V – Ergebnis

102.

Ich schlage dem Gerichtshof vor, die vom Verwaltungsgericht Braunschweig vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Erste Frage

Die Art. 34, 35 und 36 AEUV in Verbindung mit Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit stehen einer nationalen Regelung nicht entgegen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, soweit hierfür nicht unter bestimmten weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird.

Zweite Frage

Die Art. 14, 53 und 55 der Verordnung Nr. 178/2002 stehen einer Ausnahmeregelung der im Vorabentscheidungsersuchen beschriebenen Art nicht entgegen. Die Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, soweit hierfür nicht unter bestimmten weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird, wenn diese Beschränkungen für Zutaten oder Zutatenkategorien gelten, ohne dass der Mitgliedstaat in Bezug auf diese Zutaten oder Zutatenkategorien schlüssige Argumente für das Bestehen eines Risikos vorgetragen hat. Soweit eine solche nationale Regelung aufgrund schlüssiger Argumente für das Bestehen eines Risikos gerechtfertigt ist, verlangen die Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 178/2002, dass das Verfahren für die Erlangung einer Ausnahmegenehmigung von dem allgemeinen Verbot zugänglich und transparent ist, innerhalb angemessener Frist abgeschlossen wird und die daraufhin ergangenen Entscheidungen gerichtlich nachprüfbar sind.

Dritte Frage

Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln steht einer nationalen gesetzlichen Regelung nicht entgegen, die das Herstellen oder Behandeln bzw. das Inverkehrbringen eines Nahrungsergänzungsmittels mit Aminosäuren verbietet, soweit hierfür nicht eine im Ermessen der nationalen Behörde liegende, befristete Ausnahmegenehmigung erteilt wird.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. 2002, L 31, S. 1).

( 3 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln (ABl. 2006, L 404, S. 26).

( 4 ) Durchführungsverordnung vom 11. April 2012 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen für die Anwendung des Artikels 8 der Verordnung (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zusatz von Vitaminen und Mineralstoffen sowie bestimmten anderen Stoffen zu Lebensmitteln (ABl. 2012, L 102, S. 2).

( 5 ) Vom 3. Juni 2013 (BGBl. I S. 1426), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 5. Dezember 2014 (BGBl. I S. 1975).

( 6 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (ABl. 2008, L 354, S. 16).

( 7 ) Hinzugefügt sei, dass meines Erachtens im vorliegenden Fall die nationale Ausnahmeregelung weder in den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (ABl. 2008, L 354, S. 16) noch in den der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (ABl. 2002, L 183, S. 51) fällt. Nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ix ist die Verordnung Nr. 1333/2008 nicht auf Aminosäuren anwendbar, die nicht die Funktion eines Zusatzstoffs haben. Nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2002/46 können in Ermangelung von Durchführungsrechtsakten für „andere Stoffe“ (wozu auch Aminosäuren gehören) unbeschadet des Vertrags einzelstaatliche Bestimmungen ergehen. Es sind keine entsprechenden Rechtsakte erlassen worden. Somit finden weder die Verordnung noch die Richtlinie im vorliegenden Fall Anwendung.

( 8 ) Im Wesentlichen, wenn ein potenzielles Risiko insbesondere aufgrund der Aufnahme des „anderen Stoffes“ in ungewöhnlich hohen Mengen entstehen würde.

( 9 ) Unabhängig vom Erlass der Verordnung Nr. 178/2002 galt nach ständiger Rechtsprechung, dass Beschränkungen des freien Warenverkehrs von Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten wegen gegen die Bestandteile gerichteter Bedenken hinsichtlich der öffentlichen Gesundheit nur dann als verhältnismäßig angesehen werden konnten, wenn sie auf einer Auswertung der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse beruhten – vgl. z. B. Urteile vom 5. Februar 2004, Greenham und Abel (C‑95/01, EU:C:2004:71, Rn. 39 ff.), und vom 23. September 2003, Kommission/Dänemark (C‑192/01, EU:C:2003:492, Rn. 40 ff.).

( 10 ) Derselbe Gedanke steht auch im Mittelpunkt von Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002. Besteht wissenschaftliche Unsicherheit, können zwar Risikomanagementmaßnahmen getroffen werden, jedoch handelt es sich dabei um provisorische Lösungen bis zum Vorliegen weiterer wissenschaftlicher Informationen.

( 11 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44).

( 12 ) Urteile des Gerichts vom 9. September 2011, Frankreich/Kommission (T‑257/07, EU:T:2011:444) (dieses Urteil betrifft die Vereinbarkeit einer Lockerung der einschränkenden Maßnahmen zur Bekämpfung spongiformer Enzephalopathien mit dem Vorsorgeprinzip, im Rechtsmittelverfahren bestätigt durch Urteil vom 11. Juli 2013, Frankreich/Kommission [C‑601/11 P, EU:C:2013:465]), und vom 21. Mai 2015, Rubinum/Kommission (T‑201/13, EU:T:2015:311) (das unten in Nr. 72 der vorliegenden Schlussanträge näher behandelt wird; das Urteil betrifft die Vereinbarkeit einer Durchführungsverordnung der Kommission mit Art. 6). Im unten diskutierten Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44) wird Art. 6 erwähnt, es ging jedoch um eine Vertragsverletzungsklage, die ausschließlich auf den heutigen Art. 34 AEUV gestützt war.

( 13 ) Vgl. z. B. Urteile vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44), vom 5. Februar 2004, Greenham und Abel (C‑95/01, EU:C:2004:71), vom 2. Dezember 2004, Kommission/Niederlande (C‑41/02, EU:C:2004:762), vom 23. September 2003, Kommission/Dänemark (C‑192/01, EU:C:2003:492), und vom 14. Juli 1983, Sandoz (174/82, EU:C:1983:213).

( 14 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44). Verarbeitungshilfsstoffe dienen der Lebensmittelherstellung auf verschiedene Weise (z. B. als Katalysatoren oder Hilfsmittel zur Entfernung von Verunreinigungen).

( 15 ) Das Urteil verweist auf die Verordnung Nr. 178/2002, jedoch hatte die Kommission als Klagegrund nicht die Verletzung dieser Verordnung angeführt.

( 16 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 80). Vgl. auch Urteile vom 23. September 2003, Kommission/Dänemark (C‑192/01, EU:C:2003:492, Rn. 44), und vom 5. März 2009, Kommission/Spanien (C‑88/07, EU:C:2009:123, Rn. 87).

( 17 ) Aufbauend auf die ständige Rechtsprechung, die auf das Urteil vom 14. Juli 1983, Sandoz (174/82, EU:C:1983:213), zurückgeht.

( 18 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 95).

( 19 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 100).

( 20 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 103).

( 21 ) Vgl. auch zum Erfordernis eines eher einzelfallbezogenen Ansatzes Urteil vom 5. März 2009, Kommission/Spanien (C‑88/07, EU:C:2009:123, Rn. 92 und 93).

( 22 ) Vgl. z. B. Urteil vom 14. Juli 1983, Sandoz (174/82, EU:C:1983:213, Rn. 23).

( 23 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 108 und 109).

( 24 ) Urteil des Gerichts vom 21. Mai 2015, Rubinum/Kommission (T‑201/13, EU:T:2015:311).

( 25 ) Die Rechtssache betraf zwar eine Unionsmaßnahme im Gegensatz zu einer nationalen Maßnahme, jedoch wurde dort ebenfalls ein Verstoß gegen Art. 6 der Verordnung Nr. 178/2002 gerügt. Es besteht kein Grund, diese Bestimmung bei diesen beiden Fallkonstellationen unterschiedlich auszulegen – es darf keine Rolle spielen, ob die angefochtene Maßnahme von einem Unionsorgan oder einer Einrichtung eines Mitgliedstaats erlassen wurde. Beide sind zur Anwendung von Art. 6 verpflichtet und müssen dabei in gleicher Weise vorgehen.

( 26 ) Urteil des Gerichts vom 21. Mai 2015, Rubinum/Kommission (T‑201/13, EU:T:2015:311, Rn. 90 und 91).

( 27 ) Was die Verfügbarkeit der (finanziellen und personellen) Ressourcen, der Kenntnisse über die betreffenden Erzeugnisse und des Zugangs zu den einschlägigen Daten/wissenschaftlichen Informationen betrifft.

( 28 ) Vgl. z. B. Szajkowska, A., „The Impact of the Definition of the Precautionary Principle in EU Food Law“, CMLRev 47, 2010, S. 173, 192.

( 29 ) Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Januar 1997 über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten (ABl. 1997, L 43, S. 1), die aufgehoben und ersetzt werden soll durch die Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 1852/2001 der Kommission (ABl. 2015, L 327, S. 1).

( 30 ) Selbstverständlich gibt es gute Gründe, die Sicherheit von Lebensmittelzutaten, die seit Jahrtausenden Bestandteil der menschlichen Ernährung sind, nur nach reiflicher Überlegung in Frage zu stellen. Allerdings ist auch festzustellen, dass zahlreiche betroffene Lebensmittelzutaten erst verhältnismäßig neu sind und schlichtweg in der Natur nicht in der Form oder in der Konzentration vorkommen, in der sie in Verkehr gebracht werden. Ein extremer Ansatz bei der Auslegung von Rechtsvorschriften, die auf so völlig verschiedene Sachverhalte Anwendung finden sollen, dürfte wohl kaum zu einem glücklichen Ergebnis führen.

( 31 ) Der Unionsgesetzgeber wollte solche Positivlisten auch für andere Stoffe, u. a. Aminosäuren, schaffen, was aber bisher noch nicht geschehen ist.

( 32 ) Siehe oben, Urteil vom 14. Juli 1983, Sandoz (174/82, EU:C:1983:213).

( 33 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 89).

( 34 ) Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Frankreich (C‑333/08, EU:C:2010:44, Rn. 93).

( 35 ) Sollte im Ergebnis nur ein Verbot möglich sein, wäre dies grundsätzlich mit den materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Zulassungsregelung unvereinbar, da das Ergebnis dann unabhängig von der Risikobewertung feststünde.

( 36 ) Dass befristete Beschränkungen nur zulässig sind, wenn noch Unsicherheit hinsichtlich des Risikos besteht, findet eine eindeutige Grundlage im Wortlaut von Art. 7 der Verordnung Nr. 178/2002.

( 37 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2005, Alliance for Natural Health u. a. (C‑154/04 und C‑155/04, EU:C:2005:449, Rn. 52).

( 38 ) Vgl. z. B. Urteil vom 5. Dezember 2000, Guimont (C‑448/98, EU:C:2000:663, Rn. 21).

( 39 ) Urteile vom 8. November 1979, Groenveld (15/79, EU:C:1979:253, Rn. 7), und vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter (C‑205/07, EU:C:2008:730, Rn. 40).