SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 14. Juni 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑231/15

Prezes Urzędu Komunikacji Elektronicznej,

Petrotel Sp. z o.o. w Płocku

gegen

Polkomtel Sp. z o.o.

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy [Oberster Gerichtshof, Polen])

„Elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste — Richtlinie 2002/21/EG — Art. 4 Abs. 1 — Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörden — Entscheidung einer Streitigkeit zwischen Betreibern — Wirkungen der Aufhebung einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde — Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Art. 47 — Tragweite der gerichtlichen Entscheidung“

1. 

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof, Polen) ersucht den Gerichtshof um eine Antwort auf seine Zweifel hinsichtlich der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/21/EG, mit der ein „gemeinsamer Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste“ geschaffen wurde ( 2 ).

2. 

Die Vorlagefrage wird im Rahmen eines Rechtsmittels gegen einen Bescheid der polnischen Behörde für elektronische Kommunikation ( 3 ) gestellt. Zusammengefasst geht es darum, ob das Urteil des nationalen Gerichts, mit dem diese Verwaltungsentscheidung aufgehoben wird, nach der Rahmenrichtlinie ex tunc (also ab dem Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung durch die NRB) oder nur ex nunc (also ab dem Datum des aufhebenden Urteils selbst) wirkt.

3. 

In dem Vorabentscheidungsersuchen geht es also um die Vollziehbarkeit der Maßnahmen der NRB für den Sektor der elektronischen Kommunikation und die Wirkungen von Urteilen, mit denen sie aufgehoben werden. Im vorliegenden Fall kommen zudem zwei relevante Umstände hinzu: a) Die Vollziehung der Entscheidung der NRB war nicht ausgesetzt worden, so dass diese sofort vollzogen werden konnte ( 4 ), und b) diese Entscheidung verpflichtete zur Neugestaltung der Verträge, die die Beziehungen zwischen zwei Telekommunikationsunternehmen regelten.

4. 

Das Problem erscheint noch komplexer dadurch, dass sich der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) der Rechtsprechung des polnischen Naczelny Sąd Administracyjny (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Polen) nicht anschließt, nach der ein Urteil, mit dem ein Verwaltungsakt aufgehoben wird, dessen Vollziehung nicht ausgesetzt worden ist, erst mit seinem Erlass Wirkungen entfaltet, so dass die Folgen, die zuvor aufgrund der Durchführung dieser ursprünglich nicht ausgesetzten, später aber aufgehobenen Maßnahme eingetreten sind, unverändert fortbestehen. Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) hat Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Grundsatz der Effektivität gemäß Art. 4 der Rahmenrichtlinie und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

5. 

Der neue Aspekt der Vorlagefrage betrifft die Wirksamkeit der in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie vorgesehenen Rechtsbehelfsmechanismen und insbesondere die Tragweite, die nach dieser Vorschrift den Urteilen zukommt, mit denen Entscheidungen der NRB aufgehoben werden; soweit ich sehe, hat der Gerichtshof zu diesen Aspekten noch nicht Stellung genommen.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Recht der Europäischen Union

1. Rahmenrichtlinie

6.

Ihr zwölfter Erwägungsgrund lautet:

„Jede Partei, die einem Beschluss einer nationalen Regulierungsbehörde unterliegt, sollte das Recht haben, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Stelle Rechtsbehelf einzulegen. Diese Stelle kann ein Gericht sein. Ferner sollte jedes Unternehmen, das der Ansicht ist, dass seine Anträge auf Erteilung von Rechten für die Installation von Einrichtungen nicht im Einklang mit den in dieser Richtlinie festgelegten Grundsätzen behandelt worden sind, das Recht haben, gegen solche Entscheidungen zu klagen. Die Kompetenzverteilung in den einzelstaatlichen Rechtssystemen und die Rechte juristischer oder natürlicher Personen nach nationalem Recht bleiben von diesem Beschwerdeverfahren unberührt.“

7.

Art. 4 Abs. 1 lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer oder Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste, der von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffen ist, bei einer von den beteiligten Parteien unabhängigen Beschwerdestelle einen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung einlegen kann. Diese Stelle, die auch ein Gericht sein kann, muss über angemessenen Sachverstand verfügen, um ihrer Aufgabe wirksam gerecht zu werden. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass den Umständen des Falles angemessen Rechnung getragen wird und wirksame Einspruchsmöglichkeiten gegeben sind.

Bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens bleibt die Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde wirksam, sofern nicht nach Maßgabe des nationalen Rechts einstweilige Maßnahmen erlassen werden.“ ( 5 )

2. Richtlinie 2009/140

8.

Ihre Erwägungsgründe 14 und 15 haben folgenden Wortlaut:

„(14)

Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit für Marktakteure sollten die Beschwerdestellen ihre Aufgaben wirksam wahrnehmen; insbesondere sollten die Beschwerdeverfahren nicht ungebührlich lange dauern. Einstweilige Maßnahmen zur Aussetzung der Wirkung eines Beschlusses einer [NRB] sollten nur in dringenden Fällen erlassen werden, um schweren und nicht wieder gutzumachenden Schaden von der die Maßnahmen beantragenden Partei abzuwenden, und wenn dies zum Ausgleich der Interessen erforderlich ist.

(15)

Es bestand große Uneinheitlichkeit in der Art, in der Beschwerdestellen einstweilige Maßnahmen angewendet haben, um Entscheidungen der [NRB] auszusetzen. Um einen kohärenteren Ansatz zu erreichen, sollten gemeinsame Standards im Einklang mit der gemeinschaftlichen Rechtsprechung angewendet werden. …“

3. Charta

9.

Ihr Art. 47 Abs. 1 bestimmt:

„Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.“

B – Polnisches Recht

1. Telekommunikationsgesetz ( 6 )

10.

Gemäß Art. 40 kann der Leiter des Amts für elektronische Kommunikation (im Folgenden: Leiter des UKE) unter den in Art. 25 Abs. 4 geregelten Voraussetzungen einem Betreiber mit erheblicher Marktmacht durch Bescheid die Festlegung der Tarife für Telekommunikationszugang unter Berücksichtigung der ihm entstandenen Kosten vorschreiben.

11.

Gemäß Art. 206 Abs. 2aa dieses Gesetzes sind die Bescheide des Leiters des UKE sofort vollziehbar.

2. Verwaltungsverfahrensordnung

12.

Art. 145 § 1 („Wiederaufnahme des Verfahrens“) bestimmt:

„Das Verfahren wird nach Erlass eines endgültigen Bescheids wieder aufgenommen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

8.

Der Bescheid ist auf der Grundlage eines anderen Bescheids oder einer gerichtlichen Entscheidung ergangen, der bzw. die aufgehoben oder abgeändert worden ist.“

13.

Art. 156 §1 sieht vor:

„Eine Behörde hebt einen Bescheid auf, wenn er

2.

ohne Rechtsgrundlage oder unter Begehung eines eindeutigen Rechtsverstoßes erlassen worden ist.

…“

3. Zivilprozessordnung

14.

Art. 47963 sieht vor, dass ein Gericht auf Antrag des Rechtsmittelführers die Vollziehung der Entscheidung bis zur Entscheidung des Verfahrens aussetzen kann, wenn es erhebliche Gefahren oder unumkehrbare Folgen feststellt.

15.

Nach Art. 47964 kann das Gericht nach Prüfung der Sache das Rechtsmittel zurückweisen oder ihm stattgeben. Im letztgenannten Fall hebt es die angegriffene Entscheidung auf oder ändert sie ganz oder teilweise ab und entscheidet in der Sache.

II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

16.

Nach einer Vergleichsanalyse der von der Polkomtel Sp. z o.o. ( 7 ) (im Folgenden: Polkomtel) erhobenen Abrechnungssätze für Anrufzustellleistungen in ihrem Mobilfunknetz ( 8 ) und der Prüfung ihrer Ordnungsmäßigkeit stellte das UKE fest, dass zwischen den MTR-Sätzen von Polkomtel und denen anderer Mitgliedstaaten Unterschiede bestünden und dass die Festlegung der MTR-Sätze auf falschen Berechnungsmethoden beruhe.

17.

Der Leiter des UKE erließ am 30. September 2008 eine erste Entscheidung (im Folgenden: MTR-Entscheidung von 2008), mit der er Polkomtel bestimmte Höchstsätze für die Erbringung von Anrufzustellleistungen an andere Telekommunikationsunternehmen in bestimmten Zeitabschnitten vorschrieb.

18.

Polkomtel focht die MTR-Entscheidung von 2008 beim Rejonowy Sąd (Bezirksgericht) Warschau an, das diese mit Urteil vom 23. März 2011 aufhob. Dieses Urteil wurde im zweiten Rechtszug am 30. Januar 2012 vom Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) bestätigt und ist rechtskräftig ( 9 ).

19.

Während die Berufung gegen die MTR-Entscheidung von 2008 noch anhängig war, übermittelte Polkomtel der Petrotel Sp. z o.o. ( 10 ) (einem Betreiber, der die Anrufzustellleistungen vom Polkomtel gegen Zahlung einer Gebühr in Anspruch nimmt) am 4. Dezember 2008 einen Vorschlag zur Änderung der MTR-Sätze im Rahmen des Vertrags vom 21. Oktober 1999, der den Inhalt des Rechts von Petrotel auf Zugang zum Netz von Polkomtel regelte.

20.

Da sie sich mit Polkomtel nicht über die Einführung des Satzes gemäß der MTR-Entscheidung von 2008 einigen konnte, beantragte Petrotel am 6. Februar 2009 das Eingreifen des UKE, um die Änderung des Vertrags über den Netzzugang zu erreichen.

21.

Der Leiter des UKE entschied den Streit zwischen Petrotel und Polkomtel, indem er am 17. März 2009 einen Bescheid erließ (im Folgenden: Durchführungsbescheid), mit dem er den Vertrag zwischen den beiden Betreibern abänderte. Der Durchführungsbescheid entsprach der Tarifregelung der MTR-Entscheidung von 2008.

22.

Polkomtel focht den Durchführungsbescheid beim Sąd Okręgowy w Warszawie – Sąd Ochrony Konkurencji i Konsumentów (Bezirksgericht Warschau – Gericht für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz) an, das ihn mit Urteil vom 26. Oktober 2012 aufhob. Zusammengefasst war das Urteil u. a. damit begründet dass die MTR-Entscheidung von 2008 bereits in einem früheren Gerichtsverfahren aufgehoben worden sei. Da mit dem Durchführungsbescheid lediglich die MTR-Entscheidung von 2008 umgesetzt worden sei, habe diese nach ihrer Aufhebung nicht mehr als rechtliche Grundlage für die Polkomtel mit dem Durchführungsbescheid auferlegten Verpflichtungen dienen können.

23.

Petrotel und das UKE legten beim Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau) Berufungen gegen das Urteil vom 26. Oktober 2012 ein, die dieses Gericht mit Urteil vom 19. September 2013 im Wesentlichen unter Bestätigung der Auffassung des Gerichts des ersten Rechtszugs zurückwies.

24.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts wirkt die Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 nicht nur ex nunc, da andernfalls das Recht des Netzanbieters auf Anfechtung der MTR-Entscheidung von 2008 wie auch die Wirkungen des stattgebenden Urteils in dem Verfahren gegen diese Entscheidung illusorisch wären.

25.

Petrotel und das UKE haben das Berufungsurteil mit der Kassationsbeschwerde beim Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) angefochten, der es für erforderlich hält, vor seiner Entscheidung eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

26.

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) ist der Ansicht, dass der in den Urteilen der beiden Vorinstanzen eingenommene Standpunkt das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 4 der Rahmenrichtlinie und Art. 47 der Charta) grundsätzlich achte. Er äußert jedoch Zweifel in Bezug auf die nationale Rechtsprechung, nach der die Aufhebung eines Verwaltungsakts dessen Fähigkeit, Rechtswirkungen hervorzurufen, nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und dem Grundsatz des Schutzes erworbener Rechte erst ab dem Moment entfallen lasse, zu dem das aufhebende Urteil rechtswirksam werde, also ex nunc ( 11 ) .

27.

Zudem habe die Aufhebung einer Entscheidung der NRB, auf deren Grundlage ein anderer Verwaltungsakt erlassen worden sei, keinen Einfluss auf den Bestand dieses letztgenannten Verwaltungsakts: Die Aufhebung ermögliche die Wiederaufnahme des Verfahrens, und die später erlassene Entscheidung wirke nur ex nunc ( 12 ).

28.

Die Befolgung der vorgenannten Grundsätze durch die Gerichte würde dazu führen, dass der Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 (in der die später im Durchführungsbescheid angewandten Höchstsätze festgelegt wurden) im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die Klage von Polkomtel gegen den Durchführungsbescheid keine Bedeutung zukäme.

29.

Gemäß Art. 4 Abs. 1 letzter Satz der Rahmenrichtlinie bleibe die MTR‑Entscheidung von 2008 wirksam, solange sie nicht aufgehoben werde. Ihre spätere Aufhebung dürfe daher keine Auswirkungen auf die MTR-Sätze haben, die in dem Zeitraum zwischen dem Datum der von der NRB angeordneten Änderung des Vertrags und der rechtskräftigen Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 durch das Gericht für die Rechtsbeziehung zwischen Petrotel und Polkomtel gegolten hätten. Dies könnte jedoch als Beschränkung des effektiven gerichtlichen Schutzes angesehen werden.

30.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung der Folgen der die Entscheidungen der NRB aufhebenden Urteile der Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten gelte, mit der Einschränkung durch den Grundsatz der Effektivität, der in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie zum Ausdruck komme. Seine Zweifel rührten daher, dass mangels einer einstweiligen Maßnahme im Sinne des letzten Satzes dieser Bestimmung die sofortige Vollziehbarkeit das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Schutz beeinträchtigen könnte, das nur beachtet würde, wenn dem aufhebenden Urteil Rückwirkung verliehen würde.

31.

Auf dieser Grundlage legt der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) diese Vorabentscheidungsfrage vor:

Ist Art. 4 Abs. 1 Sätze 1 und 3 der Richtlinie 2002/21/EG dahin auszulegen, dass, wenn ein Netzanbieter die Entscheidung der NRB betreffend die Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Netz dieses Anbieters (MTR-Entscheidung) und anschließend den Folgebescheid der NRB anficht, mit dem ein Vertrag zwischen dem Adressaten der MTR-Entscheidung und einem anderen Unternehmen in der Weise geändert wird, dass die von diesem anderen Unternehmen entrichteten Vergütungssätze für die Anrufzustellung im Netz des Adressaten der MTR-Entscheidung an die in der MTR-Entscheidung festgelegten Sätze angeglichen werden (Durchführungsbescheid), das innerstaatliche Gericht, das festgestellt hat, dass die MTR-Entscheidung aufgehoben wurde, den Durchführungsbescheid angesichts von Art. 4 Abs. 1 Satz 4 der Richtlinie 2002/21 und der Interessen des durch den Durchführungsbescheid begünstigten Unternehmens, die sich aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes oder der Rechtssicherheit ergeben, nicht aufheben darf, oder ist Art. 4 Abs. 1 Sätze 1 und 3 der Richtlinie 2002/21 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass das innerstaatliche Gericht den Durchführungsbescheid der NRB aufheben und infolgedessen die darin vorgesehenen Pflichten für die Zeit vor der Gerichtsentscheidung entfallen lassen kann, wenn es annimmt, dass dies zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für das Unternehmen erforderlich ist, das den Bescheid der NRB angefochten hat, der der Umsetzung der in der später aufgehobenen MTR-Entscheidung vorgesehenen Pflichten diente?

III – Zusammenfassung der Erklärungen der Parteien

32.

Polkomtel macht geltend, die Vorlagefrage sei unzulässig, weil sie hypothetisch sei. Zudem würde sich die mögliche Antwort auf die Frage offensichtlich nicht auf die Entscheidung des Rechtsstreits auswirken, und die Zweifel des vorlegenden Gerichts beträfen eher die Wirkungen der MTR-Entscheidung von 2008 als den Durchführungsbescheid, der allein aber Gegenstand des Ausgangsverfahrens sei. Zudem habe das vorlegende Gericht die streitige nationale Regelung nicht dargestellt und dadurch gegen Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs verstoßen.

33.

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) beschäftige sich mit Fragen, die über die Grenzen des Rechtsstreits hinausgingen, da sie das Verfahren, das das UKE nach Aufhebung des Durchführungsbescheids nach Maßgabe des Grundes für die Aufhebung durchführen müsse, sowie die möglichen Ansprüche zwischen den betroffenen Personen beträfen. Zu beanstanden sei auch, dass das vorlegende Gericht nicht die möglichen Auswirkungen geprüft habe, die sich aus der Auslegung von Verfahrensvorschriften ergäben. Es gebe keine akzeptablen Gründe, Art. 4 Abs. 1 Sätze 1 und 3 der Rahmenrichtlinie dahin auszulegen, dass das nationale Gericht nach der Feststellung, dass die MTR-Entscheidung von 2008 aufgehoben worden sei, den Durchführungsbescheid nach dem Wortlaut des letzten Satzes jener Bestimmung nicht aufheben könne; die Wirkungen des Urteils müssten anhand der materiellen Bestimmungen des nationalen Rechts geprüft werden.

34.

Das UKE führt aus, dass Polkomtel trotz der Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 weiterhin verpflichtet sei, ihre Sätze nach Maßgabe der ihr entstandenen Kosten festzulegen, wie es ihr ein anderer Bescheid vom 19. Juli 2009 (im Folgenden: SMP-Bescheid), der bestandskräftig sei, vorschreibe.

35.

Beim Erlass des Durchführungsbescheids sei die MTR-Entscheidung von 2008 gültig gewesen. Ihre Aufhebung habe nicht unmittelbar die Aufhebung des Durchführungsbescheids zur Folge, da Art. 4 Abs. 1 letzter Satz der Rahmenrichtlinie vorsehe, dass die angefochtene Entscheidung wirksam bleibe, sofern nicht einstweilige Maßnahmen erlassen würden. Sowohl die MTR-Entscheidung von 2008 als auch der Durchführungsbescheid seien mit dieser Bestimmung vereinbar.

36.

Das UKE hält es für vernünftig, dass die Aufhebung einer Entscheidung der NRB nach ständiger Rechtsauffassung und Rechtsprechung Ex-nunc-Wirkungen entfalte. Dass einer Verwaltungsentscheidung, die als Grundlage für eine später ergangene gedient habe, die Wirksamkeit genommen werde, impliziere nicht notwendig und unmittelbar die Nichtigkeit Letzterer, sondern ermögliche es den Parteien, gemäß Art. 145 § 1 Nr. 8 der polnischen Verwaltungsverfahrensordnung die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen.

37.

Im Hinblick auf die gesetzliche Regelung (Art. 4 Abs. 1 Satz 3 der Rahmenrichtlinie), nach der die Beschwerdestelle nach den „Umständen des Falles“ entscheidet, spricht sich das UKE für die Ex-nunc-Wirksamkeit der Entscheidung aus. Die Beschwerdestelle könne unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien und der Beweiserhebung ein Sachurteil treffen, das sich auf den Inhalt der angegriffenen Verwaltungsentscheidung auswirke, indem es sie ersetze.

38.

Das Gericht dürfe sich nicht darauf beschränken, den Durchführungsbescheid wegen der vorangegangenen Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 aufzuheben, sondern müsse die Sachfragen prüfen und über die Berechnung des Tarifs auf der Grundlage der Polkomtel tatsächlich entstandenen Kosten entscheiden, denn diese Verpflichtung ergebe sich für sie ungeachtet der Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 aus dem SMP-Bescheid.

39.

Das UKE schlägt daher als Antwort auf die Vorlagefrage vor, dass die Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 keine hinreichende Grundlage für die Aufhebung des Durchführungsbescheids bilde, denn die nationale Beschwerdestelle müsse sämtliche materiellen Aspekte der Sache prüfen.

40.

Petrotel führt aus, nach polnischem Recht seien die Entscheidungen des UKE sofort vollziehbar, obschon die Zivilprozessordnung den Erlass einstweiliger Maßnahmen vorsehe, wenn die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens bestehe. Es sei nicht erforderlich, die angefochtene Verwaltungsentscheidung rückwirkend aufzuheben, um den effektiven gerichtlichen Schutz des Anfechtenden sicherzustellen, da dies gegen die Rechtssicherheit verstoßen und nachteilige Folgen für betroffene Dritte haben könne.

41.

Petrotel schlägt als Antwort auf die Vorlagefrage vor, dass Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie dahin auszulegen sei, dass dem nationalen Gericht bei einer Anfechtung einer MTR-Entscheidung und anschließend ihres Durchführungsbescheids durch einen Netzbetreiber die Feststellung, dass die MTR-Entscheidung nach Erlass des Durchführungsbescheids aufgehoben worden sei, nicht zur Begründung für dessen Aufhebung dienen könne.

42.

Die polnische Regierung führt aus, die Regel der sofortigen Vollziehbarkeit der Entscheidung der NRB (Art. 4 Abs. 1 letzter Satz der Rahmenrichtlinie) stehe einer Rückwirkung der Entscheidung der Beschwerdestelle, mit der jene Entscheidung aufgehoben werde, nicht entgegen, wie die in diesem Satz vorgesehene Möglichkeit des Erlasses einstweiliger Maßnahmen durch diese Stelle zeige.

43.

Es liege in der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, unter Beachtung der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz die Befugnisse der Beschwerdestellen der Mitgliedstaaten einzugrenzen. Im polnischen Recht gebe es Bestimmungen, die der Beschwerdestelle unabhängig davon, ob sie während der Durchführung des Rechtsstreits einstweilige Maßnahmen angeordnet habe oder nicht, die Befugnis einräumten, in der Sache zu entscheiden, um die angefochtene Entscheidung ganz oder teilweise abzuändern ( 13 ). Nach der Rechtsprechung des polnischen Naczelny Sąd Administracyjny (Verwaltungsgerichtshof) wirkten die aufhebenden Urteile ex nunc, so dass den Betroffenen die Einreichung einer Schadensersatzklage nach den hierfür geltenden allgemeinen Grundsätzen offenstehe.

44.

Zudem müssten die Grundsätze der Effektivität, der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gegeneinander abgewogen werden. Im vorliegenden Fall wirke sich die Aufhebung des Durchführungsbescheids nicht nur auf die Beziehung zwischen dem UKE und Polkomtel aus, sondern auch auf den zwischen Polkomtel und einem Dritten (Petrotel) geschlossenen Vertrag, und die zu erlassende Entscheidung könne eine der Vertragsparteien begünstigen und die andere benachteiligen.

45.

Die polnische Regierung schlägt demgemäß vor, den streitigen Artikel dahin auszulegen, dass das nationale Gericht in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren die Entscheidung der NRB rückwirkend aufheben könne. Die Art und Weise der Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts auf einen Rechtsbehelf falle in den Bereich der nationalen Rechtsordnung und Rechtsprechung.

46.

Die Kommission ist der Auffassung, Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie sehe das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf bei einer unabhängigen Stelle vor und begründe den Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit der Entscheidungen der NRB, sofern nicht eine einstweilige Maßnahme zu ihrer Aussetzung erlassen werde. Diese Bestimmung sei notwendig, da es nationale Systeme gebe, in denen die gerichtliche Anfechtung von Verwaltungsentscheidungen die automatische Aussetzung ihrer Vollziehung bis zur Entscheidung des Rechtsstreits zur Folge habe.

47.

Die sofortige Vollziehung der angefochtenen Maßnahme habe nur vorläufige Wirkungen, während der Rechtsstreit durchgeführt und entschieden werde, und die Fähigkeit des Gerichts, in der Sache zu entscheiden, werde nicht beeinträchtigt. Werde die Entscheidung aufgehoben, erstreckten sich die Aufhebungswirkungen auf den Zeitpunkt ihres Erlasses (Ex-tunc-Wirkungen). Sollten die Beschwerdestellen nicht die Erstattung der in Anwendung der aufgehobenen Entscheidung zu Unrecht gezahlten Beträge verlangen können, sollte das Recht der Union angewandt werden, das die Aussetzung der Vollziehung gestatte.

48.

Die Tragweite der Wirkungen des Urteils, mit dem eine Entscheidung der NRB aufgehoben werde, falle in den Bereich der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, die aber stets die Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz beachten müssten. Um die Funktionsfähigkeit der Einspruchsmöglichkeit zu gewährleisten, sei es unabdingbar, der aufhebenden Entscheidung Ex-tunc-Wirkung zuzuerkennen. Könnten in einem Beschwerdeverfahren die Entscheidungen der NRB nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft aufgehoben werden, wäre das in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie geregelte Recht illusorisch.

IV – Prüfung

A – Zulässigkeit der Vorlagefrage

49.

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) ersucht den Gerichtshof um Auslegung des Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 47 der Charta. Der Streit ist die Folge der sofortigen Vollziehbarkeit von zwei nacheinander ergangenen Entscheidungen der NRB, die angefochten wurden und die nicht Gegenstand einstweiliger Maßnahmen zu ihrer Aussetzung waren, später aber aufgehoben wurden ( 14 ).

50.

Mit der ersten (der MTR-Entscheidung von 2008) verpflichtete die NRB Polkomtel, für den Zugang zu ihrem Netz bestimmte Höchstsätze nicht zu überschreiten, die für alle Kommunikationsunternehmen galten, die dieses Netz nutzen wollten. Da es Polkomtel nicht gelang, mit einem dieser Unternehmen (Petrotel) die Änderung des zwischen ihnen bestehenden Vertrags zu vereinbaren, um ihn an die MTR-Entscheidung von 2008 anzupassen, legte der Leiter des UKE mit der zweiten Entscheidung (dem Durchführungsbescheid) – auf Antrag von Petrotel – den Höchstsatz für den Vertrag über den Zugang von Petrotel zum Netz von Polkomtel verbindlich fest.

51.

Da die MTR-Entscheidung 2008 gerichtlich aufgehoben wurde, während die Klage gegen den Durchführungsbescheid anhängig war, fragt sich der polnische Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof), ob sich das Unionsrecht (konkret Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie) auf die Entscheidung des Rechtsstreits auswirkt. Das Gericht möchte insbesondere wissen, ob nach dieser Vorschrift die spätere Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchführungsbescheids vollziehbar war, es dem – für dessen Beurteilung zuständigen – Gericht gestattet (oder es verpflichtet), diesen Bescheid aufzuheben und die Verpflichtungen, die sich während seiner Gültigkeit aus ihm ergaben, außer Kraft zu setzen.

52.

Polkomtel hält die Vorlagefrage aus den zuvor dargestellten Gründen für unzulässig ( 15 ). Ich teile ihre Einwände nicht, denn die aufgeworfene Frage ist nicht hypothetisch und das vorlegende Gericht hat die maßgeblichen Vorschriften und den Sachverhalt des Rechtsstreits zwar knapp, aber hinreichend verständlich dargestellt. Das Gericht verweist auf das polnische Recht und die Rechtsprechung des polnischen Verwaltungsgerichtshofs und führt konkret zwei Urteile dieses Gerichts sowie u. a. Art. 145 § 1 Nr. 8 der Verwaltungsverfahrensordnung ( 16 ) an, um das Problem, das sich ihm stellt, zu beschreiben. Es hätte natürlich expliziter sein können, aber ich wiederhole, dass seine Vorlageentscheidung die für die Beantwortung der Frage erforderlichen Angaben enthält, und in diesem Vorabentscheidungsverfahren haben die Beteiligten ohne Schwierigkeiten ihre Argumente für oder gegen die jeweiligen Thesen vortragen können.

53.

Das Problem, auf das sich der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) bezieht, hat zwei Seiten. Erstens eine rein innerstaatliche, die aus der Sicht des nationalen Rechts und der nationalen Rechtsprechung. Nach der Darstellung des vorlegenden Gerichts entfalten die Entscheidungen der NRB mit ihrem Erlass Wirkungen. Geht die Aufhebung einer Maßnahme auf die Aufhebung einer vorangegangenen Maßnahme zurück, deren Durchführung Erstere dient, muss das Verwaltungsverfahren wieder eröffnet werden, nach dessen Durchführung die zu erlassende Endentscheidung Wirkungen nur für die Zukunft hat. Dies hat zur Folge, dass die Wirkungen der Maßnahmen, die in Erfüllung der aufgehobenen Entscheidung getroffenen wurden, unverändert fortbestehen.

54.

Der Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) hegt Zweifel, ob die Anwendung der nationalen Vorschriften, wenn sie in dem zuvor dargestellten Sinne ausgelegt werden, mit dem Recht der Union vereinbar ist, und an dieser Stelle kommt die zweite Seite der vorgelegten Frage ins Spiel. Wenn das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung von Art. 4 der Rahmenrichtlinie (und Art. 47 der Charta) ersucht, dann tut es dies, weil es seiner Ansicht nach Einfluss auf das von ihm zu erlassende Urteil haben wird.

55.

So verstanden ist die Vorlagefrage zulässig. Zwar müssen bei ihrer Beantwortung die Argumente des vorlegenden Gerichts bereinigt ( 17 ) und daher einige, die es hervorgehoben hat, übergangen werden, da sie weniger relevant sind. Dies ist beispielsweise bei der Auswirkung der vorangegangenen Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 auf die Wirksamkeit des Durchführungsbescheids der Fall: Entscheidend ist, anhand von Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie festzustellen, welche Folgen die Aufhebung des Durchführungsbescheids, unabhängig von den Gründen, die zu gegebener Zeit zu diesem Urteil führten, hätte. Logischerweise kann sich der Gerichtshof auch nicht in die Auslegung des polnischen Rechts einmischen, die ausschließlich Sache der nationalen Gerichte ist.

B – Die in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie vorgesehenen Rechtsbehelfsmechanismen

56.

Ich werde zunächst die Kontroverse eingrenzen und mich dabei auf Art. 4 Abs. 1 letzter Satz der Rahmenrichtlinie konzentrieren.

57.

Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit zur Auslegung dieses Artikels ( 18 ) und hat festgestellt, dass er „Ausfluss des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist, der die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet, den gerichtlichen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen“ ( 19 ). Er hat auch festgestellt, dass „[i]m Fall des Art. 4 der Rahmenrichtlinie … die Mitgliedstaaten verpflichtet [sind], zum Schutz der Rechte, die den Nutzern oder Anbietern aus der Gemeinschaftsrechtsordnung erwachsen, einen Rechtsbehelf bei einer gerichtlichen Instanz vorzusehen“. Auch hat er in anderen Rechtssachen, die die elektronische Kommunikation betrafen, zur Beachtung des Grundsatzes des effektiven gerichtlichen Schutzes Stellung genommen, ohne auf die Reichweite und die Auswirkungen der Entscheidungen der Beschwerdestelle einzugehen ( 20 ).

58.

Art. 4 Abs. 1 letzter Satz der Rahmenrichtlinie regelt nur eine weitere Facette des effektiven gerichtlichen Schutzes, nämlich den, der vorläufig gewährt wird. Der Gemeinschaftsgesetzgeber geht von der Prämisse aus, dass die Entscheidungen der NRB in Erwartung des endgültigen Urteils von den Gerichten (oder „einer von den Betroffenen unabhängigen Stelle“), bei denen sie angefochten worden sind, ausgesetzt werden können ( 21 ). Er ergänzt, dass die Entscheidung der NRB, wenn sie nicht ausgesetzt wird, wirksam bleibt ( 22 ). Diesem Satz lässt sich nicht, wie einige der Beteiligten des Vorabscheidungsverfahrens meinen, entnehmen, dass die (vorläufige, auf die Dauer des Rechtsstreits begrenzte) Aufrechterhaltung der Wirksamkeit der Entscheidung der NRB ein Hindernis dafür darstellt, dass das endgültige Urteil, wenn es sie aufhebt, auch die Ungültigkeit der (bis dahin vorläufigen) Wirkungen jener Entscheidung zur Folge hat, über die noch nicht entschieden ist, und sie ebenfalls für rechtswidrig erklärt.

59.

Das Fehlen einstweiliger Maßnahmen, die während der Durchführung des Rechtsstreits die Wirksamkeit der Entscheidung der NRB hemmen, kann aus der Sicht des Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie nicht bedeuten, dass es ausgeschlossen ist, dass das Urteil, mit dem der Rechtsstreit beendet wird, nicht nur die angefochtene Entscheidung aufhebt, sondern die Aufhebung auch auf ihre sämtlichen vergangenen und zukünftigen Wirkungen erstreckt. Dies ist zudem die Logik des Systems von Rechtsbehelfen, die Anträge auf Aufhebung von Verwaltungsakten beinhalten und für die die allgemeine Regel quod nullum est, nullum effectum producit gilt. Wenn das Gericht befugt ist, den Verwaltungsakt vorläufig auszusetzen, so ist es erst recht befugt, die Vollstreckung des aufhebenden Urteils zu gewährleisten und so die Wirkungen der angefochtenen Maßnahme rückgängig zu machen.

60.

Aus einer anderen Perspektive verlangt Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, dass die Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen „wirksame [Rechtsbehelfs-]Verfahren“ bzw. „wirksame Einspruchsmöglichkeiten“ gegen die Entscheidungen der NRB vorsehen, wie es in Satz 1 und Satz 3 der Vorschrift heißt. Letzterer ergänzt, dass „[d]ie Mitgliedstaaten [sicherstellen], dass den Umständen des Falles angemessen Rechnung getragen wird“.

61.

Die Mitgliedstaaten müssen also im Rahmen ihrer jeweiligen Rechtsordnungen die gesetzgeberischen Maßnahmen treffen, die unerlässlich sind, damit die Entscheidungen über die Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der NRB im Bereich der elektronischen Kommunikation „wirksam“ sein können. Die Rahmenrichtlinie geht jedoch nicht über die zuvor wiedergegebene Formulierung hinaus und räumt der Verfahrens- und Rechtsprechungsautonomie der Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum ein, um dieses Ziel mit den (in diesem Fall prozessualen) Mitteln zu erreichen, die sie jeweils für geeignet halten.

62.

Erfordert das in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie aufgestellte Wirksamkeitsgebot zwingend, dass das Urteil, mit dem das Beschwerdeverfahren durch Aufhebung einer Entscheidung der NRB beendet wird, ex tunc wirkt? Dies ist aus der Sicht des Unionsrechts die eigentliche Schlüsselfrage des Vorabentscheidungsersuchens.

63.

Nachdem ich bereits vorausgeschickt habe, dass die Ex-tunc-Wirkung des Aufhebungsurteils durch die Bezugnahme auf die „Aufrechterhaltung“ der Entscheidung der NRB mangels einer einstweiligen Maßnahme, durch die sie ausgesetzt wird (Art. 4 Abs. 1 letzter Satz), nicht aufgehoben wird, geht es jetzt nicht mehr um die Möglichkeit, sondern um die etwaige Verpflichtung, die vorläufig aufrechterhaltenen Wirkungen von Anfang an rückgängig zu machen.

64.

Wie ich bereits ausgeführt habe, bringt es die Logik des Systems der Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen der NRB grundsätzlich mit sich, dass sich ihre Nichtigkeit im Fall ihrer Aufhebung durch ein Gericht auch auf ihre Wirkungen erstrecken muss, denn es wird ihnen ihre Rechtsgrundlage entzogen. Es handelt sich jedoch um ein allgemeines Kriterium, das gewisse Ausnahmen zulässt.

65.

Eine der Ausnahmen (deren Ausnahmecharakter erforderlichenfalls die Normalität der Regel bestätigt) besteht darin, dass das Gericht, wenn sein Rechtssystem es zulässt, entscheidet, dass bestimmte Wirkungen der aufgehobenen Maßnahme endgültig aufrechterhalten werden ( 23 ). Aus Gründen, die u. a. mit der Rechtssicherheit, den Rechten Dritter oder dem allgemeinen Interesse im Zusammenhang stehen, kann es ratsam sein, die Wirkungen der aufgehobenen Maßnahme fortbestehen zu lassen, wenn es das entscheidende Gericht für erforderlich hält. Dies gilt umso mehr, wenn die unmittelbare Wirksamkeit der in dem Urteil ausgesprochenen Aufhebung besonders schwerwiegende Folgen für jene Interessen mit sich bringt.

66.

Eine andere verständliche Ausnahme kann gegeben sein, wenn in dem Beschwerdeverfahren die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme nicht anhand ihres Zwecks oder ihres Inhalts erörtert wurde, sondern anhand von Gesichtspunkten, die nichts mit der Begründetheit der Maßnahme zu tun haben, wie Unzuständigkeit des Gerichts, das über sie entschieden hat, oder Vorliegen anderer mehr oder weniger wesentlicher formeller Mängel. Wird der Beschwerde aus solchen Gründen stattgegeben und die angefochtene Maßnahme infolgedessen aufgehoben, könnte gleichzeitig (erneut, wenn es das jeweilige Rechtssystem zulässt) die Aufrechterhaltung ihrer Wirkungen angeordnet werden, solange die aufgehobene Maßnahme nicht durch eine andere ersetzt wird, die frei von diesen Mängeln ist, um keine Regelungslücke mit störenden Auswirkungen auf das öffentliche Interesse entstehen zu lassen ( 24 ). Das aufhebende Urteil hat daher in diesen Fällen eine mehr prospektive als retroaktive Wirksamkeit.

67.

Die nationalen Rechtsordnungen können auch vorsehen, dass ihre Gerichte wiederum ausnahmsweise und aus schwerwiegenden Gründen der Rechtssicherheit die zeitliche Reichweite eines Urteils begrenzen ( 25 ). Auch wenn logischerweise der Ausnahmecharakter dieser Art gerichtlicher Entscheidungen gewahrt werden muss, damit die Rechtskraft der Urteile nicht bedeutungslos wird ( 26 ), kann ihre Existenz nicht ausgeschlossen werden und sie kann gerechtfertigt sein, ohne dass das Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz beeinträchtigt wird.

68.

Schließlich ist ebenfalls akzeptabel, dass das nationale Recht in bestimmten Fällen als Antwort auf einen Antrag auf Aufhebung eines Verwaltungsakts (oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrags) vorsieht, dass dem aufhebenden Urteil seine „natürliche“ Wirkung genommen und diese durch eine Schadensersatzpflicht oder sonstige alternative Maßnahmen ersetzt wird. Diese Möglichkeit ist dem Unionsrecht ( 27 ) nicht unbekannt, und ich kann nicht erkennen, weshalb sie in entsprechenden Situationen nicht auf die nationalen Rechtsordnungen erstreckt werden sollte.

69.

Die vorstehenden Überlegungen bestätigen, dass die Funktionsfähigkeit der „Einspruchsmöglichkeiten“ gegen die Entscheidungen der NRB gemäß Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie als allgemeine Regel verlangt, dass das Urteil, mit dem sie aufgehoben werden, auch ihre vorläufigen Wirkungen aufhebt. Von dieser Regel kann es jedoch Ausnahmen geben wie die soeben genannten, deren Einführung in ihr eigenes Recht Sache der Mitgliedstaaten ist, die dabei immer die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität, die ihre Verfahrensautonomie eingrenzen, beachten müssen.

70.

Insoweit trägt die Berufung auf Art. 47 der Charta nichts Signifikantes bei (abgesehen davon, dass er zeitlich kaum auf eine Situation anwendbar sein dürfte, die auf Entscheidungen und Klagen aus den Jahren 2008 und 2009 zurückgeht). Das in der Charta für die in ihrem Art. 51 genannten Fälle niedergelegte Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz bietet keine eindeutige Lösung für die Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Urteilen stellen, durch die Verwaltungsakte aufgehoben werden. Aus diesem Recht lässt sich sicherlich die von mir angeführte allgemeine Regel ableiten, aber eben diese Regel steht der Möglichkeit der genannten Ausnahmen nicht entgegen.

71.

Meines Erachtens ist die übrige Kontroverse zwischen dem UKE und den beiden von der Festlegung der Höchstsätze (und deren Auswirkungen auf ihre Verträge über den Netzzugang) betroffenen Kommunikationsunternehmen, wie sie sich ihrem Vorbringen beim Gerichtshof im Rahmen dieses Vorabentscheidungsverfahrens entnehmen lässt, eher hermeneutischen Überlegungen zum nationalen Recht als zum Recht der Union geschuldet. Die Genannten (und die polnische Regierung) sind unterschiedlicher Meinung über die Auslegung der nationalen Vorschriften ( 28 ) und der Rechtsprechung ihrer obersten Zivil- und Verwaltungsgerichte. Es steht dem Gerichtshof nicht zu, in diese Diskussion einzugreifen, die mit seiner Aufgabe, allein das Recht der Union auszulegen, nichts zu tun hat.

72.

Die Antwort, die ich aufgrund meiner vorstehenden Überlegungen auf die Vorlagefrage vorschlage, beschränkt sich darauf, den Sinn von Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie in einer Weise klarzustellen, die dem vorlegenden Gericht nützlich ist, sich aber gleichzeitig nicht in dessen eigene Zuständigkeiten für die Auslegung des nationalen Rechts einmischt.

73.

Aus dieser Perspektive sollte die Antwort getrennt zu Satz 1 der Bestimmung (der verlangt, dass die Mitgliedstaaten über „wirksame Verfahren“ zur Anfechtung der Entscheidungen der NRB im Bereich der elektronischen Kommunikation verfügen) und zu ihrem letzten Satz (der die Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung in den Fällen einer Beschwerde aufrechterhält, sofern sie nicht von der Beschwerdestelle ausgesetzt wird) gegeben werden.

74.

Was Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Rahmenrichtlinie anbelangt, so bedeuten sein Inhalt sowie das Recht auf effektiven Rechtsschutz, das ihm zugrunde liegt, dass die Beschwerdestellen die Entscheidungen der NRB, über die sie zu befinden haben, aufheben und die Aufhebungswirkung ihrer Entscheidung auf die Wirkungen erstrecken können, die diese bereits entfaltet haben.

75.

Was Art. 4 Abs. 1 letzter Satz betrifft, so ist die vorläufige Aufrechterhaltung der Wirksamkeit der Entscheidungen der NRB, solange sie nicht von den Beschwerdestellen ausgesetzt werden, damit vereinbar, dass die spätere Aufhebung dieser Entscheidungen ihre bereits eingetretenen Wirkungen ex tunc erfasst.

76.

Beide Bestimmungen stehen jedoch dem nicht entgegen, dass die Aufhebung der Entscheidungen der NRB – wenn es das nationale Recht erlaubt – ausnahmsweise nur Ex-nunc-Wirkungen hat, wenn die Beschwerdestelle dies aus zwingenden Gründen, die mit der Wahrung der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes oder der Gewährleistung der Rechte Dritter zusammenhängen, oder aus Gründen des öffentlichen Interesses für erforderlich hält.

77.

Ich muss eine Bemerkung zu Art. 4 Abs. 1 Satz 3 der Rahmenrichtlinie hinzufügen, die sich nicht unbedingt im Tenor des Urteils niederschlagen muss. Die Vorschrift verlangt, dass die Beschwerdestelle den „Umständen des Falles“ angemessen Rechnung trägt. Tatsächlich muss diese Stelle, wenn sie über ausreichende Beurteilungselemente verfügt, in der Sache entscheiden und dem jeweiligen Begehren entweder stattgeben oder es zurückweisen. Es ist aber Sache der Beschwerdestelle, festzustellen, ob sie nach Durchführung des Verfahrens über die Beurteilungs- und Beweiselemente verfügt, um in diesem Sinne entscheiden zu können. Und ihre Entscheidung kann in Rechtssachen wie dieser neben anderen Faktoren auf das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die streitige Entscheidung gestützt werden ( 29 ).

78.

Konkreter gesagt stünde Art. 4 Abs. 1 Satz 3 der Rahmenrichtlinie, wenn das vorlegende Gericht mit den Gerichten des ersten und des zweiten Rechtszugs dahin übereinstimmt, dass die MTR-Entscheidung von 2008 aus materieller Sicht eine notwendige Voraussetzung für den Inhalt des Durchführungsbescheids war, so dass nach Aufhebung Ersterer der Letztere deren Schicksal teilen muss, einem solchen Vorgehen nicht entgegen.

79.

Es ergibt sich aus dieser Vorschrift auch kein Hindernis dafür, dass, wenn nach dem nationalen Recht eine Entscheidung zu erlassen ist, durch die die aufgehobene Entscheidung ersetzt wird, nachdem die NRB das entsprechende Verfahren wieder aufgenommen hat, der neue, bereits rechtmäßige Höchstsatz zur Anpassung der Abrechnungen für die fällig gewordenen Zeiträume herangezogen wird, gegebenenfalls durch angemessene Zahlungen oder Erstattungen. Dies wäre eine legitime Option, die gleichzeitig dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 Satz 3 der Rahmenrichtlinie entspricht und mit der vermieden würde, dass die möglichen wirtschaftlichen Folgen der Aufhebung auf eine Haftungsklage (Schadensersatz) verlagert werden.

V – Ergebnis

80.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof, Polen) wie folgt zu beantworten:

1.

Aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) in Verbindung mit dem Recht auf effektiven gerichtlichen Schutz ergibt sich, dass

die Beschwerdestellen die Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden, über die sie zu befinden haben, aufheben und die Aufhebungswirkung der aufhebenden Entscheidung auf die Wirkungen erstrecken können, die die aufgehobenen Entscheidungen bereits entfaltet haben,

die vorläufige Aufrechterhaltung der Wirksamkeit der Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden, solange sie nicht von den Beschwerdestellen ausgesetzt werden, damit vereinbar ist, dass die spätere Aufhebung dieser Entscheidungen ihre bereits eingetretenen Wirkungen ex tunc erfasst.

2.

Wenn es das nationale Recht erlaubt, kann die Aufhebung der Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden ausnahmsweise nur Ex-nunc-Wirkung haben, wenn die Beschwerdestelle dies aus zwingenden Gründen, die mit der Wahrung der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes oder der Gewährleistung der Rechte Dritter zusammenhängen, oder aus Gründen des öffentlichen Interesses für erforderlich hält.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 (ABl. 2002, L 108, S. 33, im Folgenden: Rahmenrichtlinie).

( 3 ) Bezeichnet als „Amt für elektronische Kommunikation“ (als Akronym und im Folgenden: UKE). Zur Bezeichnung dieser Behörden werden unterschiedslos die Wendungen „nationale Regulierungsbehörde“ und „nationale Regelungsbehörde“ verwendet. Obwohl sich zwischen beiden einige Unterschiede feststellen lassen, können sie in diesem Schriftsatz gleichbedeutend verwendet werden. Im Weiteren werde ich das Akronym NRB benutzen.

( 4 ) Dies ist die allgemeine Regel in den Rechtssystemen, in denen Maßnahmen der Verwaltung der Rechtmäßigkeitsvermutung unterliegen. Die Vermutung bringt normalerweise die sofortige Vollziehbarkeit dieser Maßnahmen mit sich (auch, wie gezeigt werden wird, in Art. 4 der Rahmenrichtlinie), deren Wirksamkeit aber von dem Gericht, bei dem sie angefochten werden, ausgesetzt werden kann.

( 5 ) Fassung durch die Richtlinie 2009/140/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste, der Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung und der Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und ‑dienste (ABl. 2009, L 337, S. 37).

( 6 ) In der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung.

( 7 ) Polkomtel verfügte in Polen über eine erhebliche Marktmacht auf dem Markt für Anrufzustellleistungen im Mobilfunknetz.

( 8 ) „Mobile termination rates“ (im Folgenden: MTR-Sätze).

( 9 ) Die Gründe für die Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008 stehen damit im Zusammenhang, dass die gesetzlich vorgesehene Anhörung unterblieben war.

( 10 ) Im Folgenden: Petrotel.

( 11 ) Urteil des Naczelny Sąd Administracyjny (Verwaltungsgerichtshof) vom 13. November 2012.

( 12 ) Art. 145 § 1 Nr. 8 der Verwaltungsverfahrensordnung und Urteil des Naczelny Sąd Administracyjny (Verwaltungsgerichtshof) vom 27. Mai 2011.

( 13 ) Die polnische Regierung verweist auf Art. 47964 der Zivilprozessordnung. Siehe Nr. 15 der vorliegenden Schlussanträge.

( 14 ) Der Durchführungsbescheid wurde mit den beiden erstinstanzlichen Urteilen aufgehoben. Das Rechtsmittel gegen das zweite Urteil ist noch beim Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) anhängig.

( 15 ) Siehe Nrn. 40 und 41 der vorliegenen Schlussanträge.

( 16 ) Siehe oben, Nr. 12 und Fn. 11 und 12.

( 17 ) Die Lektüre der Vorlageentscheidung offenbart, dass die Zweifel des Sąd Najwyższy (Oberster Gerichtshof) weitreichender sind, als man dem Anschein nach denken könnte. Tatsächlich geht es darum, wie weit die gerichtliche Kontrolle der Handlungen der NRB gehen kann. Dass es sich hierbei um ein Problem handelt, das Gegenstand der Diskussion ist, wird daran deutlich, dass eine der Parteien in ihren schriftlichen Erklärungen vorgeschlagen hat, dass das nationale Gericht die materielle Frage (also die Richtigkeit der vorgeschriebenen Höchstsätze in Bezug auf die Polkomtel entstehenden Kosten) durch Urteil entscheidet und entweder die Klage endgültig abweist oder dem Durchführungsbescheid einen spezifischen, für alle verbindlichen Inhalt verleiht.

( 18 ) Gelegentlich hat er dazu am Rande Stellung genommen. So nehmen die Urteile vom 6. Oktober 2010, Base u. a. (C‑389/08, EU:C:2010:584, Rn. 29), und vom 17. September 2015, KPN (C‑85/14, EU:C:2015:610, Rn. 54), darauf Bezug, welche Voraussetzungen die NRB erfüllen müssen und wie ihre Entscheidungen anfechtbar sind. Das Urteil vom 13. Juli 2006, Mobistar (C‑438/04, EU:C:2006:463), konzentrierte sich auf den Zugang der Beschwerdestelle zu bestimmten vertraulichen Dokumenten, um über ausreichende Kriterien zu verfügen und durch Urteil in der Sache entscheiden zu können.

( 19 ) Urteil vom 22. Januar 2015, T‑Mobile Austria (C‑282/13, EU:C:2015:24, Rn. 33).

( 20 ) Urteile vom 21. Februar 2008, Tele2 Telecommunication (C‑426/05, EU:C:2008:103, Rn. 30 und 31), und vom 22. Januar 2015, T‑Mobile Austria (C‑282/13, EU:C:2015:24, Rn. 33 und 34). Beide beziehen sich auf den Begriff „betroffen“ im Sinne von Art. 4 der Rahmenrichtlinie.

( 21 ) Zu diesem Punkt siehe die oben in Nr. 8 angeführten Erwägungsgründe 14 und 15 der Richtlinie 2009/140.

( 22 ) Die Sprachfassungen, die ich konsultiert habe, stimmen dahin überein, dass eher die Wirksamkeit der Entscheidung der NRB als ihre Gültigkeit aufrechterhalten wird. So ausdrücklich der portugiesische Text („Na pendência do recurso, a decisão da autoridade reguladora nacional mantém-se eficaz“) und mit ähnlichen Worten der deutsche („Bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens bleibt die Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde wirksam“), der englische („Pending the outcome of the appeal, the decision of the national regulatory authority shall stand“), der französische („Dans l’attente de l’issue de la procédure, la décision de l’autorité réglementaire nationale est maintenue“) oder der italienische („In attesa dell’esito del ricorso, resta in vigore la decisione dell’autorità nazionale di regolamentazione“) (Hervorhebung nur hier). Im spanischen Text hingegen heißt es, die Entscheidung der NRB „seguirá siendo válida“, was nicht mit den übrigen Fassungen im Einklang steht und unterschiedliche Rechtskategorien wie die Gültigkeit einer Maßnahme und ihre Wirksamkeit in unzulässiger Weise gleichstellt.

( 23 ) Diese Befugnis erkennt das Primärrecht der Union dem Gerichtshof im Klageverfahren zu. Art. 264 AEUV bestimmt: „Ist die Klage begründet, so erklärt der Gerichtshof der Europäischen Union die angefochtene Handlung für nichtig. Erklärt der Gerichtshof eine Handlung für nichtig, so bezeichnet er, falls er dies für notwendig hält, diejenigen ihrer Wirkungen, die als fortgeltend zu betrachten sind“ (Hervorhebung nur hier).

( 24 ) Insbesondere, wenn es sich um Maßnahmen normativer Art handelt.

( 25 ) Dies ist auch im Unionsrecht möglich. Der Gerichtshof hat sich seit dem Urteil vom 8. April 1976, Defrenne (43/75, EU:C:1976:56), bei verschiedenen Gelegenheiten zur Beschränkung der zeitlichen Wirkungen seiner Urteile geäußert und versucht, die sich aus der Rechtssicherheit ergebenden Erfordernisse mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die sich grundsätzlich aus der Unvereinbarkeit nationaler Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Edis (C‑231/96, EU:C:1998:134, Nrn. 15 ff.).

( 26 ) So bringt es der Gerichtshof im Urteil vom 16. Juli 1992, Legro u. a. (C‑163/90, EU:C:1992:326, Rn. 30), zum Ausdruck: „Der Gerichtshof kann sich nur ausnahmsweise aufgrund des der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit veranlasst sehen, mit Wirkung für alle Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die von ihm einer Bestimmung gegebene Auslegung zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen. … Bei der Entscheidung darüber, ob die Tragweite eines Urteils zeitlich zu begrenzen ist, muss berücksichtigt werden, dass zwar bei allen gerichtlichen Entscheidungen deren praktische Auswirkungen sorgfältig zu erwägen sind, dass dies aber nicht so weit gehen darf, dass die Objektivität des Rechts gebeugt und seine zukünftige Anwendung unterbunden wird, nur weil eine Gerichtsentscheidung für die Vergangenheit gewisse Auswirkungen haben kann (Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 24/86, Blaizot, [EU:C:1988:43], Randnrn. 28 und 30).“

( 27 ) Beispielsweise in der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. 2007, L 335, S. 31). In ihr heißt es (22. Erwägungsgrund und Art. 2d und 2e), dass bei Verträgen, die wegen ihrer Rechtswidrigkeit grundsätzlich für unwirksam erklärt werden müssen, die unabhängige Nachprüfungsstelle bei Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses entscheiden kann, „einige oder alle zeitlichen Wirkungen des Vertrags anzuerkennen“, unbeschadet entsprechender Sanktionen und von Schadensersatz.

( 28 ) Die Abweichungen konzentrieren sich insbesondere auf das Zusammenspiel der zivilprozessualen Bestimmungen (47963, 479,64 und Art. 365 Abs. 1) und der Verwaltungsverfahrensordnung (Art. 145 § 1), wenn ein Verwaltungsakt durch ein Urteil aufgehoben worden ist und ein anderer Verwaltungsakt, der ihn ersetzt, erlassen und hierzu ein neues Verfahren eröffnet werden muss. Auch stimmen die Beteiligten weder im Hinblick auf die Auswirkungen, die die Ungültigkeit der MTR-Entscheidung von 2008 auf den Durchführungsbescheid haben könnte, noch hinsichtlich der Gründe für die Nichtigkeit Ersterer (die sowohl auf den formellen Mangel der fehlenden Anhörung als auch die unrechtmäßige Anwendung des im polnischen Telekommunikationsgesetz vorgesehenen Ausnahmemechanismus, abgesehen von der fehlenden Rechtsgrundlage nach Aufhebung der MTR-Entscheidung von 2008, zurückzuführen sind) überein. Das UKE hat schließlich einen zusätzlichen Faktor eingeführt, der in der Vorlageentscheidung nicht als relevant genannt ist, die neue, nach dem Durchführungsbescheid ergangene SMP-Entscheidung.

( 29 ) Die Bezugnahme auf die „Umstände des Falles“ hindert die Beschwerdestelle in keiner Weise daran, auf die für die Aufhebung der Maßnahme entscheidenden Formmängel einzugehen, ohne dass es notwendig ist, darüber hinaus zu gehen. Wenn beispielsweise beim Ausarbeiten dieser Maßnahme wesentliche Verfahrensabschnitte übergangen wurden, kann dieser Mangel ausreichen, um sie für ungültig zu erklären.