SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 31. Mai 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑169/15

Montis Design BV

gegen

Goossens Meubelen BV

(Vorabentscheidungsersuchen des Benelux-Gerechtshof [Benelux-Gerichtshof])

„Urheberrecht und verwandte Schutzrechte — Schutzdauer — Erlöschen und Wiederaufleben des Urheberrechts“

1. 

In dem Rechtsstreit zwischen den Unternehmen Montis Design B.V. und Goossens Meubelen B.V. (im Folgenden: Montis bzw. Goossens) hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) dem Benelux-Gerechtshof eine Auslegungsfrage ( 2 ) nach der Wirkung von Art. U Abs. 2 des Protokolls zur Änderung des Einheitlichen Benelux-Musterschutzgesetzes (im Folgenden: Protokoll) ( 3 ), durch den Art. 21 dieses Gesetzes (im Folgenden: BTMW) weggefallen ist, gestellt.

2. 

Der Benelux-Gerichtshof hat vor einer Entscheidung über die Frage des Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) dem Gerichtshof drei Vorabentscheidungsfragen vorgelegt, da er der Ansicht ist, dass der Ausgang des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 93/98/EWG ( 4 ) abhängt.

3. 

Die Streitigkeit hat ihren Ursprung in Art. 21 Abs. 3 BTMW, nach dem die Inhaber von Urheberrechten an Mustern, die an den Schutz Letzterer anknüpften, ihre Urheberrechte verloren, wenn sie keine Aufrechterhaltungserklärung abgaben. Die unmittelbare Folge der Nichterfüllung dieses Formerfordernisses bestand darin, dass diese Rechte gemeinfrei wurden.

4. 

Die Kritiken an dem Gesetz und seine insoweit bestehende Unvereinbarkeit mit der Berner Übereinkunft ( 5 ) veranlassten den Benelux-Gesetzgeber im Jahr 2002, Art. 21 Abs. 3 BTMW aufzuheben. Das Protokoll zu seiner Aufhebung enthielt jedoch weder eine Übergangsregelung noch wurde in ihm klargestellt, was mit den in Anwendung der BTMW erloschenen Urheberrechten geschieht.

5. 

In der Zwischenzeit war durch die Richtlinie 93/98 die Dauer der Urheberrechte in allen Mitgliedstaaten harmonisiert und ihre Schutzdauer auf 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers ausgedehnt worden, ohne dass ihre Inhaber verpflichtet waren, „Aufrechterhaltungserklärungen“ abzugeben oder ähnliche Formalitäten zu erfüllen. Daneben sah die Richtlinie 93/98 unter gewissen Voraussetzungen das Wiederaufleben gemeinfrei gewordener Urheberrechte vor.

6. 

Zusammenfassend fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach den Auswirkungen der Richtlinie 93/98 auf den Rechtsstreit. Insbesondere möchte es wissen, ob nach dieser Richtlinie die (aufgrund der Nichterfüllung des in der BTMW geregelten Formerfordernisses) erloschenen Urheberrechte neu entstanden sind und wenn ja, ab welchem Zeitpunkt.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Recht der Europäischen Union

7.

Die Angleichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des geistigen Eigentums wurde im Wesentlichen mit der Richtlinie 93/98 erreicht, die später geändert ( 6 ) und durch die Richtlinie 2006/116/EG ( 7 ) aufgehoben wurde, mit der die vorhergehenden Fassungen kodifiziert wurden.

8.

Da der Sachverhalt des Rechtsstreits auf die Zeit zurückgeht, in der die Richtlinie 93/98 noch galt, und die derzeit geltende Richtlinie die für das vorliegende Verfahren relevanten Artikel zudem inhaltlich unberührt ließ, werden im Folgenden die einschlägigen Bestimmungen jener Richtlinie wiedergegeben.

9.

Der 11. Erwägungsgrund hat folgenden Wortlaut:

„Zur Einführung eines hohen Schutzniveaus, das sowohl den Anforderungen des Binnenmarkts als auch der Notwendigkeit entspricht, ein rechtliches Umfeld zu schaffen, das die harmonische Entwicklung der literarischen und künstlerischen Kreativität in der Gemeinschaft fördert, ist die Schutzdauer folgendermaßen zu harmonisieren: siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers bzw. siebzig Jahre, nachdem das Werk erlaubterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, …“

10.

Der 27. Erwägungsgrund lautet:

„Die Wahrung erworbener Rechte und die Berücksichtigung berechtigter Erwartungen sind Bestandteil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung. Die Mitgliedstaaten sollten insbesondere vorsehen können, dass das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, die in Anwendung dieser Richtlinie wiederaufleben, unter bestimmten Umständen diejenigen Personen nicht zu Zahlungen verpflichten, die die Werke zu einer Zeit gutgläubig verwertet haben, als diese gemeinfrei waren.“

11.

Art. 1 Abs. 1 sieht vor:

„(1)   Die Schutzdauer des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst im Sinne des Artikels 2 der Berner Übereinkunft umfasst das Leben des Urhebers und siebzig Jahre nach seinem Tod, unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem das Werk erlaubterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.“

12.

In Art. 10 („Zeitliche Anwendbarkeit“) Abs. 2 und 3 heißt es:

„(2)   Die in dieser Richtlinie vorgesehene Schutzfrist findet auf alle Werke oder Gegenstände Anwendung, die zu dem in Artikel 13 Absatz 1 genannten Zeitpunkt zumindest in einem der Mitgliedstaaten aufgrund der Anwendung nationaler Bestimmungen im Bereich des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte geschützt werden, oder die zu diesem Zeitpunkt die Schutzkriterien der Richtlinie 92/100/EWG[ ( 8 ) ] erfüllen.

(3)   Nutzungshandlungen, die vor dem in Artikel 13 Absatz 1 genannten Zeitpunkt erfolgt sind, bleiben von dieser Richtlinie unberührt. Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Bestimmungen, um insbesondere die erworbenen Rechte Dritter zu schützen.“

13.

Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 besagt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um den Bestimmungen der Artikel 1 bis 11 dieser Richtlinie bis zum 1. Juli 1995 nachzukommen.“

14.

Die Harmonisierung betreffend Muster und Modelle erfolgte durch die Richtlinie 98/71/EG ( 9 ), deren Art. 17 das Verhältnis zwischen diesen Rechten des gewerblichen Eigentums und dem Urheberrecht („Grundsatz der Kumulation“) ( 10 ) folgendermaßen regelt:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

B – Berner Übereinkunft

15.

Die Europäische Union ist zwar nicht Vertragspartei der Berner Übereinkunft, aber sie ist mittelbar über das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) in Anhang 1C des Übereinkommens von Marrakesch zur Errichtung der Welthandelsorganisation, dessen Vertragspartei sie wiederum ist ( 11 ), an sie gebunden.

16.

In Art. 9 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens heißt es:

„Die Mitglieder befolgen die Artikel 1 bis 21 der Berner Übereinkunft (1971) und den Anhang dazu. Die Mitglieder haben jedoch aufgrund dieses Übereinkommens keine Rechte oder Pflichten in Bezug auf die in Artikel 6bis der Übereinkunft gewährten oder die daraus abgeleiteten Rechte.“

17.

Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft bestimmt:

„(2)   Der Genuss und die Ausübung dieser Rechte sind nicht an die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten gebunden; dieser Genuss und diese Ausübung sind unabhängig vom Bestehen des Schutzes im Ursprungsland des Werkes. Infolgedessen richten sich der Umfang des Schutzes sowie die dem Urheber zur Wahrung seiner Rechte zustehenden Rechtsbehelfe ausschließlich nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem der Schutz beansprucht wird, soweit diese Übereinkunft nichts anderes bestimmt.“

C – Benelux-Recht

18.

Gemäß Art. 12 BTMW ( 12 ) gilt die Eintragung eines Musters ab dem Tag der Anmeldung fünf Jahre.

19.

Art. 21 Abs. 1 BTMW bestimmte (vor seinem Wegfall), dass ein Muster oder ein Modell mit herausragendem künstlerischen Charakter gleichzeitig durch dieses Gesetz und die Urheberrechtsgesetze geschützt sein kann, wenn die Anwendungsvoraussetzungen beider vorliegen.

20.

Gemäß Art. 21 Abs. 3 BTMW (wiederum vor seinem Wegfall) führen die Nichtigerklärung der Eintragung eines Musters mit herausragendem künstlerischen Charakter oder das Erlöschen des sich aus der Eintragung ergebenden ausschließlichen Rechts gleichzeitig zum Erlöschen des Urheberrechts an diesem Muster, sofern beide Rechte demselben Inhaber gehören; sie erlöschen jedoch nicht, wenn der Inhaber des Musters gemäß Art. 24 ( 13 ) eine besondere Erklärung zur Aufrechterhaltung seines Urheberrechts abgibt ( 14 ).

21.

Nachdem der Hoge Raad entschieden hatte, dass diese Bestimmung gegen Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft verstößt, wurden die Art. 21 und 24 BTMW durch Art. U des Protokolls aufgehoben ( 15 ).

22.

Das Protokoll trat am 1. Dezember 2003 in Kraft und enthielt weder eine Übergangsregelung noch irgendeinen Hinweis auf eine etwaige Rückwirkung der in ihm geregelten Aufhebung.

II – Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt und Vorlagefragen

23.

Der Benelux-Gerichtshof hat in seiner Entscheidung die Sachverhaltsschilderung des Rechtsstreits durch den Hoge Raad übernommen, an die ich mich halten werde.

24.

Montis stellt seit 1974 in den Niederlanden Möbel her. 1983 hat sie einen als Charly bezeichneten Sessel auf den Markt gebracht, den Gerard van den Berg entworfen hatte. 1987 entwarf er auch den von diesem Sessel inspirierten Esszimmerstuhl Chaplin, der ebenfalls zum Verkauf angeboten wurde.

25.

Am 19. April 1988 meldete Herr van den Berg für den Sessel Charly und den Stuhl Chaplin unter Angabe von Montis als Geschmacksmusterinhaberin und Gerard van den Berg als Entwerfer ein internationales Geschmacksmuster (Nr. DM/010786) an.

26.

1990 übertrug Gerard van den Berg seine Rechte an beiden Sitzmöbeln auf Montis.

27.

Am Ende des fünfjährigen Zeitraums der Eintragung der Muster (also 1993) hatte Montis die in Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) vorgesehene Aufrechterhaltungserklärung nicht abgegeben. In Anwendung dieser Vorschrift erloschen am 18. April 1993 die Urheberrechte und die Rechte an dem Muster, deren Inhaber Montis gewesen war.

28.

Montis verklagte im Jahr 2008 Goossens, da sie der Ansicht war, mit dem von Letzterer in ihren Möbelgeschäften angebotenen Stuhl Beat würden ihre Urheberrechte an den Sitzmöbeln Charly und Chaplin verletzt. Goossens hielt dem entgegen, das Fehlen einer Aufrechterhaltungserklärung im Sinne von Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) habe zum Erlöschen dieser Urheberrechte geführt.

29.

Montis trug vor, ihre Urheberrechte seien infolge des Wegfalls von Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) wieder aufgelebt. Der Wegfall sei rückwirkend erfolgt. Jedenfalls seien die Rechte rückwirkend zum 1. Juli 1995, also dem in Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 93/98 festgelegten Zeitpunkt, neu entstanden.

30.

Nachdem sie im ersten Rechtszug und in der Berufungsinstanz teilweise unterlegen war, legte Montis beim Hoge Raad eine Kassationsbeschwerde ein, der das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Benelux-Gerichtshofs über seine beiden Vorlagefragen zur Auslegung von Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) aussetzte.

31.

Da dem Benelux-Gerichtshof zufolge die Antwort von der Auslegung des Rechts der Europäischen Union (insbesondere Art. 10 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 93/98) abhängt, hat er dem Gerichtshof der Europäischen Union wiederum folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Gilt die in Art. 10 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 93/98 genannte Schutzdauer für Urheberrechte, die ursprünglich nach den nationalen Rechtsvorschriften im Bereich des Urheberrechts geschützt waren, aber vor dem 1. Juli 1995 wegen Nichterfüllung bzw. nicht rechtzeitiger Erfüllung eines Formerfordernisses, konkret der Nichtabgabe bzw. nicht rechtzeitigen Abgabe einer Aufrechterhaltungserklärung im Sinne von Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung), erloschen sind?

2.

Falls Frage 1 bejaht wird:

Ist die Richtlinie 93/98 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegensteht, die dazu führt, dass ein vor dem 1. Juli 1995 wegen Nichterfüllung eines Formerfordernisses erloschenes Urheberrecht an einem Werk der angewandten Kunst als endgültig erloschen gilt?

3.

Falls Frage 2 bejaht wird:

Sofern das betreffende Urheberrecht nach den nationalen Rechtsvorschriften so anzusehen ist, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt wieder auflebt oder neu entstanden ist: Ab welchem Zeitpunkt ist dies der Fall?

III – Verfahren vor dem Gerichtshof und Vorbringen der Beteiligten

A – Verfahren

32.

Der Vorlagebeschluss ist am 13. April 2015 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

33.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Regierung Portugals und die Europäische Kommission haben innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs bestimmten Frist schriftliche Erklärungen eingereicht.

34.

In der mündlichen Verhandlung am 10. März 2016 sind die Vertreter von Montis, Goossens und der Europäischen Kommission erschienen.

B – Zusammenfassung der eingereichten Erklärungen

35.

Montis führt aus, die Fragen des Benelux-Gerichtshofs müssten auf Art. 17 der Richtlinie 98/71 erstreckt und dahin beantwortet werden, dass dieser Artikel dem alten Art. 21 Abs. 3 BTMW entgegenstehe, so dass die Urheberrechte am 17. November 1998 (also dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 98/17) wieder aufgelebt seien.

36.

Hilfsweise macht Montis geltend, der streitige Artikel der BTMW sei wirkungslos, da er gegen Art. 7 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft verstoße und ihre Urheberrechte daher nicht am 19. April 1993 erloschen seien. Weiter hilfsweise führt sie aus, die Pflichten aus der Berner Übereinkunft fielen unter die „nationalen Bestimmungen“ im Sinne von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98. Aus dieser Prämisse folgert sie, dass die Urheberrechte am 1. Juli 1995, der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie in die nationalen Rechtsordnungen, wieder aufgelebt seien.

37.

Goossens ist – zusammengefasst – der Ansicht, am 1. Juli 1995 hätten bereits keine in der Union geschützten Urheberrechte an den Sitzmöbeln Charly und Chaplin mehr bestanden und daher nicht aufgrund der Richtlinie 93/98 wieder aufleben können. Zudem sei die Rechtsprechung des Gerichtshofs (insbesondere die Urteile in den Rechtssachen Sony Music Entertainment ( 16 ) und Butterfly Music ( 17 )) für die Entscheidung dieser Rechtssache nicht einschlägig, da sie Fälle beträfen, in denen die streitigen Rechte in einem anderen Mitgliedstaat der Union geschützt und ihr Erlöschen auf den Ablauf der Schutzfrist zurückzuführen gewesen sei, und nicht wie in diesem Fall auf die Nichterfüllung eines Formerfordernisses.

38.

Im Zusammenhang mit dem Urteil Flos ( 18 ) meint Goossens zudem, dass die Harmonisierung der Dauer des Schutzes nicht die Modalitäten seiner Wahrnehmung umfasse; die Richtlinie 93/98 stehe daher Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) nicht entgegen.

39.

Die Urheberrechte an den Sitzmöbeln Charly und Chaplin seien allenfalls am 1. Dezember 2003 wieder aufgelebt, also an dem Tag, an dem Art. 21 BTMW aufgehoben worden sei. Der Annahme, der 1. Juli 1995 sei der Zeitpunkt für das Wiederaufleben dieser Rechte, stehe der Imperativ der Rechtssicherheit entgegen. Sie schlägt daher vor, die erste Vorlagefrage zu verneinen, so dass es nicht erforderlich sei, die beiden anderen zu beantworten.

40.

Die portugiesische Regierung führt aus, der Grundsatz des Wiederauflebens des Urheberrechts stehe im Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie 93/98, meint aber für den Fall, dass der Gerichtshof sich dieser These nicht anschließe, dass erloschene Urheberrechte nach dem Wortlaut dieser Richtlinie unabhängig vom Grund für ihr Erlöschen wieder auflebten, insbesondere, wenn das Erlöschen mit der Berner Übereinkunft unvereinbar gewesen sei. Sie schlägt daher als Antwort auf die dritte Frage den 1. Juli 1995 als Zeitpunkt des Wiederauflebens der Urheberrechte von Montis vor.

41.

Die Kommission ist anderer Meinung als das vorlegende Gericht, welches das Wiederaufleben der Urheberrechte auf Fälle beschränke, in denen die Schutzdauer nach nationalem Recht vor Erlass der Richtlinie abgelaufen sei (sofern sie kürzer gewesen sei als die dort vorgesehene Schutzdauer, also 70 Jahre). Nach der Rechtsprechung sei der Grund für das Erlöschen der Urheberrechte vollkommen irrelevant, so dass die Richtlinie 93/98 auch dann anzuwenden sei, wenn sie aufgrund der Nichtbeachtung eines Formerfordernisses erloschen seien.

42.

Der Benelux-Gerichtshof liege falsch, wenn er das Bestehen der Urheberrechte ausschließlich anhand des nationalen Rechts prüfe, da dieses ihre Dauer vor dem Inkrafttreten der Richtlinie geregelt habe. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie sehe zwei Optionen für das Wiederaufleben der Urheberrechte an den Sitzmöbeln Charly und Chaplin vor: Entweder müsse Montis nachweisen, dass sie am 1. Juli 1995 in irgendeinem Mitgliedstaat gültig gewesen seien, oder sie könne den durch die Richtlinie 92/100 gewährten Schutz in Anspruch nehmen.

43.

Jedenfalls widerspreche Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) der Berner Übereinkunft, und das Aufrechterhalten der Wirkungen des Erlöschens (der Urheberrechte) aufgrund des Fehlens der nach diesem Artikel der BTMW erforderlichen Erklärung stehe nicht nur im Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie 93/98, sondern auch zum Grundrecht auf Eigentum, das durch Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) geschützt sei, der das geistige Eigentum einschließe. Zusammengefasst schlägt sie vor, dem Gericht zu antworten, dass die Richtlinie 93/98 seit dem 1. Juli 1995 auf Urheberrechte wie in dieser Rechtssache, die erloschen seien, da ihr Inhaber ein Formerfordernis nicht erfüllt habe, anwendbar sei.

IV – Prüfung der Vorlagefragen

A – Einleitende Klarstellungen

44.

Die erste Klarstellung betrifft das Ersuchen von Montis ( 19 ), die Prüfung der Vorlagefragen auf die Analyse von Art. 17 der Richtlinie 98/71 zu erstrecken, dem meiner Ansicht nach nicht stattgegeben werden sollte.

45.

Auch wenn es allgemein bekannt ist, möchte ich erwähnen, dass das in Art. 267 AEUV geregelte Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen ( 20 ). Der Gerichtshof hat klargestellt, dass sein Dialog mit den nationalen Gerichten im Rahmen eines nicht streitigen Verfahrens stattfindet, in dem die Parteien keine Initiativrechte, sondern nur Gelegenheit zur Äußerung haben. Da nur die nationalen Gerichte bestimmen können, welche Fragen vorzulegen sind, können die Parteien die Fragen nicht inhaltlich ändern ( 21 ).

46.

Dem Benelux-Gerichtshof liegt weder eine Frage des Hoge Raad im Zusammenhang mit Art. 17 der Richtlinie 98/71 vor ( 22 ), noch nimmt er – ebenso wenig wie die anderen Verfahrensbeteiligten – selbst in seinen Vorlagefragen auf diese Richtlinie Bezug. Auch wenn der Gerichtshof hypothetisch die ihm gestellten Fragen neu formulieren könnte, um dem vorlegenden Gericht andere Beurteilungselemente zur Verfügung zu stellen, glaube ich nicht, dass dem Ersuchen von Montis stattgegeben werden kann, denn aus den Akten ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte, um eine Antwort in Bezug auf Art. 17 der Richtlinie 98/71 geben zu können. Ich schlage daher vor, den Gegenstand der Erörterung nicht über den Wortlaut der Vorlagefragen hinaus zu erweitern.

47.

Die zweite Klarstellung betrifft die Urheberrechte von Montis an den Sitzmöbeln, deren Bestehen als solche im Ausgangsverfahren unstreitig ist. Obwohl ihr Wiederaufleben aufgrund der Richtlinie 93/98 streitig ist, hat keiner der Beteiligten – und auch nicht das Ausgangsgericht – angezweifelt, dass der Sessel Charly und der Stuhl Chaplin die Voraussetzungen erfüllen, um nach dem in der Benelux-Gesetzgebung und Art. 17 der Richtlinie 98/71 niedergelegten Grundsatz der Kumulation sowohl unter den Schutz der Vorschriften über Muster als auch derjenigen über den Urheberrechtsschutz fallen zu können.

48.

Dieser zweiten Feststellung kommt eine gewisse Bedeutung zu, denn auf allgemeinerer Ebene ist es nicht einfach, zu erkennen, wann ein Gegenstand (in diesem Fall ein Stuhl oder ein Sessel) als „Werk der Kunst“ eingestuft werden kann, das aufgrund seiner einmaligen Merkmale urheberrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen kann. In diese Erörterung (die zudem stark von tatsächlichen Beurteilungen hinsichtlich der Originalität und der Gestaltungshöhe des jeweiligen Stückes gegenüber den Funktionsanforderungen des Gegenstands abhängt) muss nicht eingetreten werden, denn – ich wiederhole – im Ausgangsverfahren wird nicht angezweifelt, dass der Sessel Charly und der Stuhl Chaplin urheberrechtlich geschützt sind. Ich weise darauf hin, dass Art. 17 der Richtlinie 98/71 den Mitgliedstaaten die Befugnis einräumt, den „Umfang und [die] Bedingungen … einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe“ festzulegen, wenn nach ihrem Recht Muster und Modelle urheberrechtlich geschützt sind.

49.

Meine dritte Klarstellung betrifft die Art und Weise, in der das vorlegende Gericht seine Fragen formuliert hat. Aus den sogleich dargestellten Erwägungen glaube ich nicht, dass die Beantwortung der zweiten Frage notwendig von einer Bejahung der ersten abhängt.

50.

Ich werde also, ohne von dieser vermeintlichen gegenseitigen Abhängigkeit, so wie sie dargestellt worden ist, auszugehen, zunächst prüfen, ob die Richtlinie 93/98 auf den vorliegenden Fall anwendbar ist; dazu ist ihr Art. 10 Abs. 2 auszulegen. Diese Prüfung dient als Grundlage, um an zweiter Stelle zur Vereinbarkeit des streitigen Formerfordernisses (die Aufrechterhaltungserklärung nach dem alten Art. 21 BTMW) mit der Richtlinie 93/98 Stellung nehmen zu können. Schließlich wird erforderlichenfalls der Zeitpunkt, zu dem die Urheberrechte, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, wieder aufleben, zu bestimmen sein.

B – Zur Auslegung von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 und seiner Anwendung auf den Rechtsstreit

1. Allgemeine Überlegungen

51.

Aus dem 11. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/98 ( 23 ) ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber zur Einführung eines hohen Schutzniveaus, das sowohl den Anforderungen des Binnenmarkts als auch der Notwendigkeit entspricht, ein rechtliches Umfeld zu schaffen, das die harmonische Entwicklung der literarischen und künstlerischen Kreativität in der Gemeinschaft fördert, die Schutzdauer des Urheberrechts und einiger verwandter Schutzrechte harmonisiert hat.

52.

Als für die gesamte Union geltende, gleiche Dauer wurden daher die Lebenszeit des Urhebers und 70 Jahre post mortem auctoris sowohl für Werke der Literatur und der Kunst als auch für Filmwerke oder audiovisuelle Werke ( 24 ) sowie 50 Jahre nach der Darbietung für ausübende Künstler bzw. nach der Aufzeichnung für die Hersteller von Tonträgern ( 25 ) festgelegt.

53.

Berechnet wurden diese Fristen gemäß Art. 8 der Richtlinie 93/98 ab dem 1. Januar des Jahres, das auf das für den Beginn der Frist maßgebende Ereignis folgt.

54.

Vor diesem Hintergrund und ebenfalls mit dem Ziel der Harmonisierung der Schutzfristen wurde durch Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 eine Regel eingeführt, nach der die Urheberrechte in Mitgliedstaaten, in denen sie gemeinfrei geworden sind, in zwei alternativen Situationen wieder auflebten: wenn sie a) zum 1. Juli 1995 ( 26 ) zumindest in einem Mitgliedstaat weiterhin geschützt waren oder b) zu diesem Zeitpunkt die Schutzkriterien der Richtlinie 92/100 erfüllten.

55.

Dem lag – zusammengefasst – der Gedanke zugrunde, durch das Wiederaufleben ( 27 ) des Urheberrechts in den Mitgliedstaaten, in denen es nicht mehr geschützt war, die Schutzdauer über den Zeitraum, der für die Erreichung der von der Richtlinie 93/98 vorgegebenen Höchstdauer unverzichtbar ist, zu vereinheitlichen. So würden Verzerrungen vermieden, die aufgrund der unterschiedlichen Fristen den freien Warenverkehr sowie den freien Dienstleistungsverkehr behindern und den Wettbewerb verfälschen könnten ( 28 ).

56.

Die erste alternativ aufgestellte Voraussetzung (also das Fortbestehen des Schutzes zumindest in einem Mitgliedstaat vor dem 1. Juli 1995) hat der Gerichtshof, wie ich weiter unten darstellen werde, bereits geprüft, nicht aber die zweite. Und es fällt sicherlich nicht leicht, festzustellen, wann ein Werk „die Schutzkriterien der Richtlinie 92/100/EWG“ erfüllt.

2. Zur ersten alternativ aufgestellten Voraussetzung

57.

Im Urteil Butterfly Music ( 29 ) wurde erstmals Art. 10 der Richtlinie 93/98 und insbesondere sein Abs. 2 ausgelegt ( 30 ). Der Gerichtshof stellte fest, dass diesem Absatz zufolge die Anwendung der festgelegten Schutzfristen in den Mitgliedstaaten, deren Recht eine kürzere Schutzdauer vorsieht, dazu führen kann, dass Werke oder Gegenstände, die gemeinfrei geworden sind, wieder geschützt sind.

58.

Gleichzeitig stellte der Gerichtshof fest, dass dies dem ausdrücklichen Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers entsprach ( 31 ), da es darum ging, das Ziel der Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften über die Schutzdauer des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte so schnell wie möglich zu erreichen ( 32 ) und zu verhindern, dass bestimmte Rechte in einigen Mitgliedstaaten erloschen, in anderen dagegen geschützt sind ( 33 ).

59.

Diese Auslegung wurde im Urteil Sony Music Entertainment präzisiert, in dem festgestellt wurde, dass die erste der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 vorgesehenen alternativ aufgestellten Voraussetzungen das vorherige Bestehen eines Schutzes des betreffenden Gegenstands in zumindest einem Mitgliedstaat betrifft, wenn auch nicht notwendig in dem Mitgliedstaat, in dem er beansprucht wird ( 34 ). Der Gerichtshof ergänzte, dass die harmonisierte Frist auch dann Anwendung findet, wenn der Gegenstand des Urheberrechts in dem Mitgliedstaat, in dem Schutz beansprucht wird, zu keiner Zeit geschützt war ( 35 ).

60.

Im Urteil Flos ( 36 ) schließlich hat der Gerichtshof zunächst den Grundsatz der Kumulation des Schutzes der Urheberrechte sowie der Muster und Modelle anerkannt ( 37 ) und sodann die Befugnis der Mitgliedstaaten verneint, die Dauer des Urheberrechtsschutzes zu regeln, da diese bereits durch die Richtlinie 93/98 festgelegt worden ist ( 38 ). Er kam zu dem Schluss, dass „nach Art. 17 der Richtlinie 98/71 den durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützten Mustern, die die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Bedingungen für die Erlangung des Urheberrechtsschutzes, insbesondere die Bedingung der Gestaltungshöhe, erfüllten und für die die in Art. 1 der Richtlinie 93/98 in Verbindung mit deren Art. 10 Abs. 2 festgelegte Schutzdauer noch nicht abgelaufen war, der Schutz nach dem Urheberrecht dieses Mitgliedstaats zugutekommen musste“ ( 39 ).

61.

Überträgt man diese Rechtsprechung auf den Fall der Sitzmöbel Charly und Chaplin und geht man davon aus, dass für diese beiden Gegenstände Urheberrechtsschutz in Betracht kommt (ich wiederhole, dass dies niemand in Frage gestellt hat), müsste die zum „Wiederaufleben“ führende Wirkung der Richtlinie 93/98 auf die Urheberrechte von Montis anwendbar sein, wenn nachgewiesen wird, dass sie am 1. Juli 1995 weiterhin in einem Mitgliedstaat geschützt waren, sei es in den Niederlanden, sei es in irgendeinem anderen.

62.

Die in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage, ob die Sitzmöbel in irgendeinem Mitgliedstaat urheberrechtlich geschützt waren (da in den eingereichten Schriftsätzen anscheinend das Bestehen dieser Rechte in Deutschland streitig war) haben sowohl Montis als auch Goossens jedoch mit einem klaren „Nein“ beantwortet.

63.

Daher ist als erwiesen davon auszugehen, dass die Sitzmöbel Charly und Chaplin am 1. Juli 1995 in keinem Staat der Union urheberrechtlich geschützt waren. Folglich kann sich Montis nicht auf die Rückwirkung des Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 berufen und sich dabei auf das erste alternativ aufgestellte Kriterium, das sie auslöst, stützen ( 40 ).

3. Zur zweiten alternativ aufgestellten Voraussetzung

64.

Im Hinblick auf die zweite alternativ aufgestellte Voraussetzung für die Anwendbarkeit der in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 – dessen letzter Halbsatz auf die Richtlinie 92/100 verweist – geregelten Schutzfristen sind die Auslegungsprobleme größer. Ich habe bereits vorweggeschickt, dass es hierzu keine Rechtsprechung gibt.

65.

Der Wortlaut dieses Halbsatzes und die nachfolgende Lektüre der Richtlinie 92/100 schaffen eine gewisse Verwirrung, denn es ist nicht einfach, die in ihr vermeintlich geregelten „Schutzkriterien“ zu identifizieren ( 41 ). Tatsächlich nennt Art. 2 dieser Richtlinie nur die Inhaber und den Gegenstand der Vermiet‑ und Verleihrechte sowie bestimmte dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte an den durch Letztere geschützten Werken ( 42 ).

66.

Auch wenn die Richtlinie 92/100 in einigen Fällen, wie dem des Herstellers eines Filmwerks (Art. 2 Abs. 1 vierter Gedankenstrich) ( 43 ), bestimmte Kriterien nennt, die erfüllt sein müssen, spezifiziert sie diese in anderen Fällen, wie dem des Tonträgerherstellers (Art. 2 Abs. 1 dritter Gedankenstrich), nicht. In allen Fällen müssen aber die in dieser Richtlinie enthaltenen allgemeinen Voraussetzungen für den Schutz erfüllt sein ( 44 ), u. a. die Schutzdauer nach Art. 12 ( 45 ).

67.

Soweit hier von Interesse, ist hervorzuheben, dass Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 92/100 das Wiederaufleben der in ihr anerkannten Rechte ebenfalls auf diejenigen beschränkte, „deren Schutz durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten … am 1. Juli 1994 noch besteht oder die zu diesem Zeitpunkt die Schutzkriterien im Sinne dieser Richtlinie erfüllen“ ( 46 ).

68.

Vielleicht ist es aus einer historischen Perspektive besser verständlich: Durch die Richtlinie 92/100 wurden die Mitgliedstaaten erstmalig verpflichtet, bestimmte Rechte zu schützen, die entweder nicht in allen oder in keinem von ihnen geschützt waren ( 47 ). Am offenkundigsten ist das Recht des ausübenden Künstlers in Bezug auf Aufzeichnungen seiner Darbietung ( 48 ), das durch die Richtlinie 92/100 erst eingeführt wurde.

69.

Im Licht dieser Hinweise und um auf die Richtlinie 93/98 zurückzukommen, ist die Verweisung auf die Richtlinie 92/100 in ihrem Art. 10 Abs. 2 am Ende offensichtlich dahin zu verstehen, dass sie den Schutz der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte an Werken und Gegenständen, die ihn am 1. Juli 1994 bereits genossen oder ihn hätten genießen müssen, wenn die jeweiligen Mitgliedstaaten die Richtlinie 92/100 in ihre nationale Rechtsordnung umgesetzt hätten, bestätigte und gegebenenfalls erweiterte ( 49 ).

70.

Mit der Richtlinie 93/98 wurde nicht das rückwirkende Wiederaufleben sämtlicher Urheberrechte und Gegenstände, die in den Mitgliedstaaten gemeinfrei geworden sind, bezweckt, denn eine solche Maßnahme war für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts nicht unerlässlich ( 50 ). Es war nur beabsichtigt, ihren Schutz auf die Rechte und Gegenstände zu erstrecken, die entweder am 1. Juli 1995 in irgendeinem Mitgliedstaat fortbestanden oder für die es hätte möglich sein müssen, diesen Schutz nach der Richtlinie 92/100 in Anspruch zu nehmen. Ihr Ziel bestand, worauf ich bereits hingewiesen habe, darin, die Schutzdauer in der gesamten Union zu vereinheitlichen und dadurch Verzerrungen aufgrund der unterschiedlichen nationalen Schutzfristen zu vermeiden ( 51 ).

71.

Jedenfalls begehrt Montis das Wiederaufleben ihrer Urheberrechte und den Schutz, den sie ihren Sitzmöbeln vermitteln, aber kein Vermiet- oder Verleihrecht oder andere als die in der Richtlinie 92/100 geregelten (verwandten) Urheberrechte. Sie kann sich daher auch nicht auf die Verweisung in Art. 10 Abs. 2 am Ende der Richtlinie 93/98 berufen.

4. Zur möglichen Verweisung auf die Richtlinie 98/71

72.

In der mündlichen Verhandlung wurde eine gewisse Übereinstimmung zwischen den Parteien deutlich, die Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie flexibel und dynamisch auslegten und ihn auf sämtliche Bestimmungen zur Harmonisierung von Rechten des geistigen Eigentums erstreckten, einschließlich der Muster, deren rechtlicher Schutz auf Unionsebene durch die Richtlinie 98/71 geregelt ist. Auf diese Weise wären die Urheberrechte parallel zum Musterrecht an den Sitzmöbeln, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, geschützt.

73.

Diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs der streitigen Verweisung überzeugt mich jedoch nicht.

74.

Erstens übernimmt aus rein formaler Sicht Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/116 zur Kodifizierung der Schutzfrist für Urheberrechte und bestimmte verwandte Schutzrechte Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 im Wortlaut und lässt die Verweisung auf die Richtlinie 92/100 unverändert. Dieser Umstand würde bereits ausreichen, um deutlich zu machen, dass der Gesetzgeber die Verweisung nicht auf andere Arten von Rechten des geistigen Eigentums erstrecken wollte. Er hätte beim Erlass der genannten Kodifizierungsrichtlinie im Jahr 2006 diese Verweisung durchaus ohne Schwierigkeit auf die damals bereits geltende Richtlinie 98/71 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen ausdehnen können, hat dies jedoch nicht getan.

75.

Es war aber auch aus materieller Sicht logisch, dass in die Richtlinie 2006/116 genau dieselbe Verweisung auf die Richtlinie 92/100 aufgenommen wurde, denn die Dauer der durch Letztere geschützten Rechte, die anfänglich auf Mindestzeiträumen basierte, war durch die in den Art. 2 und 3 der Richtlinie 93/98 geregelte Dauer ersetzt worden ( 52 ). Mit anderen Worten: Die Regelung der Gültigkeitsdauer der Rechte nach der Richtlinie 92/100 war in Wirklichkeit in der Richtlinie 93/98 enthalten. Folglich war die Übernahme von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 in die Richtlinie 2006/116 unverzichtbar, um die Schutzfrist für die in der Richtlinie 92/100 geregelten Rechte zu gewährleisten, insbesondere in den Fällen, in denen diese Rechte nicht in allen Mitgliedstaaten anerkannt waren.

76.

Was die Richtlinie 98/71 betrifft, ist einerseits die Schutzfrist für die Rechte an Mustern in ihrem Art. 10 geregelt und in Fünfjahreszeiträumen ausgestaltet, also in einer Art und Weise, die sich von der Schutzfrist für die Urheberrechte und die verwandten Schutzrechte stark unterscheidet. Andererseits wurde der Zusammenhang zwischen den Rechten an Mustern und den Urheberrechten durch ihren Art. 17 hergestellt, der im Wesentlichen auf das nationale Recht verweist. Vor diesem Hintergrund bedurfte es darüber hinaus keiner auf eine sehr weite Auslegung der Verweisung auf die Richtlinie 92/100 gestützten Verweisung, und es ist auch nicht erkennbar, welchem gesetzgeberischen Zweck eine solche neue Verweisung gehorcht hätte.

5. Ergebnis

77.

Ich fasse zusammen: a) Montis kann Art. 10 Abs. 2 erster Halbsatz der Richtlinie nicht in Anspruch nehmen, nachdem sie eingeräumt hat, dass ihre Urheberrechte an den Sitzmöbeln Charly und Chaplin zum erforderlichen Zeitpunkt in keinem Staat der Union mehr galten; b) sie kann auch den Schutz der Richtlinie 92/100 nicht in Anspruch nehmen, da die Verweisung auf diese Richtlinie in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 auf diese Modalität der Urheberrechte nicht anwendbar ist, sondern nur auf die in der Richtlinie 92/100 selbst genannten. Darüber hinaus kommt, wie ich bereits ausgeführt habe, eine Erstreckung der Verweisung auf den Schutz der Richtlinie 98/71 betreffend Muster und Modelle nicht in Betracht.

78.

Ungeachtet dessen könnte die Richtlinie 93/98 auf den Fall der Urheberrechte von Montis angewandt werden, sofern Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung), der dem Wiederaufleben der Urheberrechte entgegensteht, mit ihr unvereinbar ist, da er gegen das mit ihrem Art. 10 Abs. 2 verfolgte Ziel verstößt. Genau das ist der Sinn der zweiten Frage des Benelux-Gerichtshofs.

C – Zur Vereinbarkeit von Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) mit der Richtlinie 93/98

79.

Durch das am 20. Juni 2002 in Brüssel unterzeichnete Protokoll ( 53 ) wurden Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) und der mit ihm zusammenhängende Art. 24 desselben Gesetzes aufgehoben. Die Gründe für ihre Aufhebung lagen, wie ich bereits vorausgeschickt habe, darin, dass sie nach den Feststellungen des Hoge Raad gegen Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft ( 54 ) verstießen und Art. 9 des TRIPS-Übereinkommens die Signatarstaaten verpflichtete, diese Übereinkunft zu beachten.

80.

Diese Entscheidung erschien logisch, denn das BTMW verlangte vom Inhaber der Urheberrechte an Mustern eine Aufrechterhaltungserklärung, die er während des vor dem Ablauf der jeweiligen fünfjährigen Schutzfrist liegenden Jahres abgeben musste, wenn er ihren Fortbestand erreichen wollte. Die Erklärung war in Wirklichkeit eines der durch Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft untersagten Formerfordernisse und wurde folglich aus der BTMW entfernt.

81.

Wegen der durch Art. 9 Abs. 1 des TRIPS-Übereinkommens hergestellten Verbindung zwischen der Berner Übereinkunft und dem Unionsrecht ist davon auszugehen, dass Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) seit dem Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens auch mit dem Unionsrecht unvereinbar war.

82.

Durch die Unvereinbarkeit des Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) mit dem internationalen Recht und später über das Binom TRIPS-Übereinkommen – Berner Übereinkunft mit dem Recht der Union wird der Streit über sein Verhältnis zur Richtlinie 93/98 jedoch nicht gelöst.

83.

Goossens führt aus, die Richtlinie 93/98 habe die Modalitäten der Ausübung der Urheberrechte nicht harmonisiert. Diese Feststellung ist nicht ganz zutreffend, denn Art. 8 der Richtlinie 93/98 regelt die Berechnung der Fristen, also einen Umstand, der die Ausübung der Rechte betrifft. Doch auch wenn sie zuträfe, könnte die Wirksamkeit von Art. 21 BTMW (alte Fassung) nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 93/98 trotz dieses Vorbringens nicht aufrechterhalten werden.

84.

Selbst wenn die durch die Richtlinie 93/98 in die Wege geleitete Harmonisierung nicht die verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte der Ausübung der Urheberrechte an Mustern erfasste, wäre es unlogisch – und vollkommen formalistisch –, im Kontext eines zeitlich (70 Jahre) ausgedehnten Urheberrechtsschutzes, wie er durch die Richtlinie eingeführt wurde, der sogar zum Wiederaufleben bereits erloschener Urheberrechte zwang, vom Fortbestehen des Art. 21 BTMW (alte Fassung) auszugehen.

85.

Wenn die Richtlinie 93/98 von den Grundprinzipien der Berner Übereinkunft (die sie mehrfach anführt) ( 55 ) geleitet war und eines von ihnen in dem Verbot besteht, die Urheberrechte bestimmten administrativen Formerfordernissen zu unterwerfen, kann man schwerlich akzeptieren, dass nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 93/98 die Voraussetzung des Art. 21 BTMW (alte Fassung) in einer nationalen Vorschrift (in diesem Fall des Benelux) als Voraussetzung für das Bestehen dieser Rechte fortbesteht. Hätte dieses Formerfordernis nicht bestanden oder wäre es rechtzeitig beseitigt worden, könnte der Inhaber der durch die Richtlinie 93/98 gewährleisteten Urheberrechte die von ihr gewährten Vorteile in Anspruch nehmen, um ihre Schutzdauer zu erweitern. Das Fortbestehen der in Art. 21 BTMW (alte Fassung) geregelten Voraussetzung würde diese Möglichkeit im Keim ersticken und der Richtlinie so die praktische Wirksamkeit nehmen.

86.

Darüber hinaus stand Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) durch eine derartige Einschränkung der Urheberrechte der Wirksamkeit der Richtlinie 93/98 entgegen, da er das Erreichen der in ihrem 11. Erwägungsgrund ( 56 ) aufgeführten Ziele, also die Einführung eines hohen Schutzniveaus und die Schaffung eines rechtlichen Umfelds, das die harmonische Entwicklung der literarischen und künstlerischen Kreativität fördert, verhinderte.

87.

Ich meine daher, dass die praktische Wirksamkeit von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 nach Ablauf der Frist zu ihrer Umsetzung der Anwendbarkeit einer nationalen Bestimmung wie Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) entgegenstand, nach der die vor dem 1. Juli 1995 wegen der Nichterfüllung eines Formerfordernisses erloschenen Urheberrechte an einem Werk weiterhin als erloschen galten.

88.

Diese Schlussfolgerung bedarf jedoch einer zweifachen Nuancierung. Erstens trat, wie ich bereits ausgeführt habe, die Unvereinbarkeit von Art. 21 BTMW mit der Richtlinie 93/98 mit deren Inkrafttreten ein. Man kann daher nicht unter Berufung auf die Richtlinie 93/98 geltend machen, Art. 21 BTMW sei mit ihr unvereinbar gewesen, bevor sie rechtlich überhaupt existierte, auch wenn er gegen die Berner Übereinkunft verstieß, die damals nichts mit dem Unionsrecht zu tun hatte.

89.

Die zweite Nuancierung besteht darin, dass in Anbetracht dessen, dass es sich bei der Auseinandersetzung zwischen Montis und Goossens um einen Rechtsstreit zwischen Einzelnen handelt, das Gericht, das ihn entscheiden muss, auf das Fehlen einer unmittelbaren horizontalen Wirkung der Richtlinie auch bei klaren, genauen und unbedingten Bestimmungen, mit denen für den Einzelnen Rechte geschaffen oder ihm Verpflichtungen auferlegt werden ( 57 ), hingewiesen werden muss. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssen die nationalen Gerichte unter diesen Umständen bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der fraglichen Richtlinie, unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden auslegen, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt ( 58 ).

90.

Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, findet hingegen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot, ihre Schranken, und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen ( 59 ).

91.

Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob es das nationale Recht – in dem vorgenannten Zeitraum – in Übereinstimmung mit der Richtlinie 93/98 auslegen kann. Wenn ihm dies, wie ich vermute, nicht möglich ist, kann sich die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht benachteiligte Partei auf die Rechtsprechung zum Ersatz des durch diesen Umstand entstandenen Schadens berufen, sofern die nach dieser Rechtsprechung erforderlichen Voraussetzungen vorliegen ( 60 ).

92.

Was schließlich die etwaige unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 2 der Charta angeht, der das Urheberrecht schützt und den die Kommission angeführt hat ( 61 ), ist lediglich anzumerken, dass der Sachverhalt des Rechtsstreits auf einen Zeitpunkt zurückgeht, zu dem die Charta keine verbindlichen Rechtswirkungen entfaltete. Ich halte daher den Streit, ob dieser Artikel der Charta im Sinne des Urteils Kücükdeveci ( 62 ) ein subjektives Recht des Einzelnen begründen kann, so dass er in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen, der sich nach der Richtlinie 93/98 richtet, angewendet werden kann, für überflüssig.

93.

Die streitige nationale Regelung konnte daher – solange sie gültig war – nicht gegen Art. 17 Abs. 2 der Charta verstoßen, der damals keine Rechtswirkungen hatte. Jedenfalls könnte eine mögliche Verletzung des Urheberrechts wegen der Verfallswirkung der formellen Voraussetzung des Art. 21 Abs. 3 BTMW (alte Fassung) auch nicht der Gegenpartei des Ausgangsverfahrens zur Last gelegt werden.

D – Zum Zeitpunkt des Wiederauflebens der Urheberrechte

94.

Die Zweifel hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Urheberrechte am Sessel Charly und am Stuhl Chaplin wieder aufgelebt sind, sind verständlich. Montis vertritt die Ansicht, dass er auf das Datum, an dem sie erloschen sind, also den 18. April 1993, zurückzudatieren ist. Ich glaube allerdings nicht, dass diese Schlussfolgerung in der Richtlinie 93/98 eine Stütze findet, auch wenn andere Argumente für sie sprechen könnten.

95.

Das nationale Gericht könnte nämlich eventuell zu einer Auslegung gelangen, nach der die Aufhebung von Art. 21 BTMW (alte Fassung) aufgrund des Protokolls Rückwirkungen hatte, so dass das Erlöschen der Urheberrechte aufgrund dieser Bestimmung ex tunc (unbeschadet der Rechte Dritter) unwirksam wäre. Die Gerichte der Benelux-Länder könnten, wenn es ihnen ihr Recht erlaubt, auch entscheiden, dass die Unvereinbarkeit von Art. 21 BTMW (alte Fassung) mit der Berner Übereinkunft das Erlöschen der Urheberrechte wegen Nichterfüllung administrativer Formerfordernisse wiederum ex tunc undurchführbar macht. Eher als zu einem Wiederaufleben der verlorenen Urheberrechte käme es in beiden Fällen zu der Feststellung, dass sie rechtlich nie erloschen sind. Um jedoch zu der einen oder anderen Lösung zu gelangen, können sie meiner Ansicht nach nicht mit der Unterstützung des Gerichtshofs rechnen, der weder für die Auslegung des nationalen Rechts (in dieser Rechtssache die BTMW und das Protokoll, durch das sie zum Teil aufgehoben wird) noch für seine Prüfung anhand des Völkerrechts (die Berner Übereinkunft) zuständig ist, wenn sie nicht Bestandteil des Unionsrechts sind.

96.

Meiner Ansicht nach erfolgte die Wiederherstellung der Urheberrechte durch die Richtlinie 93/98 aus der Sicht des Unionsrechts am 1. Juli 1995, also dem in ihrem Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 vorgesehenen Tag. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat bestimmt (Art. 13 Abs. 1), dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um der neuen einheitlichen Regelung der Urheberrechte einschließlich ihres eventuellen Wiederauflebens (aufgrund von Art. 10 Abs. 2) nachzukommen. Er war sich zudem über die möglichen „Nutzungshandlungen“ Dritter, die vor diesem Zeitpunkt liegen, bewusst und hat unbeschadet dieser Handlungen und der erworbenen Rechte die Schutzfrist auf bis zu 70 Jahre erweitert.

97.

Dieser Zeitpunkt sollte meiner Ansicht nach aber getrennt von zwei anderen betrachtet werden: erstens von dem Augenblick (dem 19. April 1993), in dem die ohne rechtlich zulässigen Grund gemeinfrei gewordenen Urheberrechte ohne Unterbrechung wiederauflebten. Dies wäre der Zeitpunkt des Wiederauflebens, sollten die niederländischen Gerichte die Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltungserklärung feststellen und entscheiden, dass eine solche Voraussetzung nicht existiert hat, da sie als nicht aufgestellt gilt. Dann wäre die Frist von 70 Jahren post mortem auctoris für den Urheberrechtsschutz gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98 anwendbar, denn die Urheberrechte von Montis hätten trotz allem am 1. Juli 1995 in einem Mitgliedstaat gegolten.

98.

Der zweite Zeitpunkt ( 63 ) ist der des Inkrafttretens des Protokolls, mit dem Art. 21 BTMW (alte Fassung) aufgehoben wurde, am 1. Dezember 2003. Da es sich um das Benelux-Recht handelt, das in dieser Art von Verfahren wie nationales Recht zu behandeln ist, ist seine Auslegung nicht Sache des Gerichtshofs. Wenn, wie ich es vorschlage, als Zeitpunkt des Wiederauflebens der Urheberrechte von Montis aus der Sicht des Unionsrechts nur der 1. Juli 1995 in Betracht kommt, obliegt den nationalen Gerichten die Feststellung der Bedeutung des Zeitpunkts des Inkrafttretens des Protokolls und seiner möglichen zeitlichen Rückwirkungen. Zwar obliegt es mir nicht, diese innerstaatliche Vorschrift auszulegen, aber es könnte sich aus ihr vielleicht ergeben, dass die wieder aufgelebten Rechte von Montis Dritten bis zum 1. Dezember 2003 nicht entgegengehalten werden können, was mich zu einer letzten Überlegung zum Schutz der Rechte gutgläubiger Dritter veranlasst.

99.

Logischerweise kommt es gemäß Art. 10 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 93/98 zweifelsfrei nicht in Betracht, von diesen Dritten wegen unrechtmäßigen Gebrauchs dieser Rechte vor dem Zeitpunkt ihres Wiederauflebens, dem 1. Juli 1995, einen finanziellen Ausgleich zu verlangen. Der zweite Satz desselben Absatzes verpflichtet aber die Mitgliedstaaten, Maßnahmen zum Schutz der erworbenen Rechte Dritter zu treffen, und räumt ihnen für die gesetzliche Regelung einen sehr weiten Gestaltungsspielraum ein.

100.

Unter diesen Umständen und unter dem in den vorstehenden Nummern geäußerten Vorbehalt fällt es in den Bereich des nationalen Rechts, die Wirkungen der Aufhebung von Art. 21 BTMW (alte Fassung) ab dem 1. Dezember 2003 nach dem Protokoll zu regeln und klarzustellen, ob diese Aufhebung als eine derartige gesetzgeberische Maßnahme angesehen werden kann, die im Hinblick auf das mit der Richtlinie verfolgte Ziel verhältnismäßig ist. Da der Benelux-Gerichtshof nicht ausdrücklich nach der Auslegung von Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie 93/98 gefragt hat, ist auf diesen Aspekt des Rechtsstreits nicht weiter einzugehen.

V – Ergebnis

101.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Benelux-Gerichtshofs wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 93/98/EWG zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der die Urheberrechte an einem Werk der Kunst, die aufgrund der bloßen Nichterfüllung eines administrativen Formerfordernisses vor dem 1. Juli 1995 erloschen sind, weiterhin als erloschen gelten. Es ist Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob es unter den Umständen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zwischen Privaten sein Recht in Übereinstimmung mit der genannten Richtlinie auslegen und gegebenenfalls die nationale Bestimmung unangewendet lassen kann.

2.

Art. 10 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 93/98 ist dahin auszulegen, dass die von ihm erfassten Urheberrechte am 1. Juli 1995 neu entstanden sind.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Die Vorlageentscheidung vom 13. Dezember 2013 erging gemäß Art. 6 des Übereinkommens vom 31. März 1965 über die Errichtung und die Satzung eines Benelux-Gerichtshofs.

( 3 ) Protocol houdende wijziging van de Eenvormige Beneluxwet inzake tekeningen of modellen, unterzeichnet in Brüssel am 20. Juni 2002.

( 4 ) Richtlinie des Rates vom 29. Oktober 1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl. 1993, L 290, S. 1).

( 5 ) Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Akte vom 24. Juli 1971) in der am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft). Eine deutsche Übersetzung kann unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19710188/index.html abgerufen werden.

( 6 ) Insbesondere durch die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).

( 7 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über die Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte (ABl. 2006, L 372, S. 12).

( 8 ) Richtlinie des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. 1992, L 346, S. 61), geändert durch die Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Dezember 2006 (ABl. 2006, L 376, S. 28).

( 9 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABl. 1998, L 289, S. 28).

( 10 ) Vgl. achter Erwägungsgrund der Richtlinie 98/71.

( 11 ) Die Europäische Gemeinschaft hat es mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) angenommen.

( 12 ) Tractatenblad 1966, S. 13.

( 13 ) Gemäß Art. 24 musste die in Art. 21 vorgesehene Erklärung bei gleichzeitiger Entrichtung der entsprechenden Gebühr in dem Jahr vor dem Erlöschen des ausschließlichen Rechts an dem Muster abgegeben werden.

( 14 ) Im Gemeinsamen Kommentar der Regierungen der Benelux-Staaten zum Protokoll heißt es zum Erfordernis der Aufrechterhaltungserklärung (zitiert von Generalanwalt Timmermans in Punkt 3.6 seiner beim Benelux-Gerichtshof verlesenen Schlussanträge): „… eine ziemlich strenge Ahndung des Fehlens einer solchen Erklärung erschien unverzichtbar; das nicht erklärte Urheberrecht endet gleichzeitig mit dem Recht an dem Muster, mit dem es zusammengefasst war“.

( 15 ) Siehe Fn. 3.

( 16 ) Urteil vom 20. Januar 2009 (C‑240/07, EU:C:2009:19).

( 17 ) Urteil vom 29. Juni 1999 (C‑60/98, EU:C:1999:333).

( 18 ) Urteil vom 27. Januar 2011 (C‑168/09, EU:C:2011:29).

( 19 ) Siehe oben, Nr. 35.

( 20 ) Vgl. Urteil vom 15. September 2011, Unió de Pagesos de Catalunya (C‑197/10, EU:C:2011:590, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Vgl. Urteil vom 6. Juli 2000, ATB u. a. (C‑402/98, EU:C:2000:366, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 22 ) Montis behauptet allerdings in ihren schriftlichen Erklärungen (S. 2, Nr. 5), sie habe in ihrem an den Benelux-Gerichtshof gerichteten Schriftsatz vom 21. Februar 2014 geltend gemacht, dass ihre Urheberrechte wieder aufgelebt seien, und sich dabei auf Art. 17 der Richtlinie 98/71 berufen.

( 23 ) Vgl. Nr. 9 der vorliegenden Schlussanträge.

( 24 ) Art. 1 Abs. 1 bzw. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 93/98.

( 25 ) Art. 3 Abs. 1 bzw. 2 der Richtlinie 93/98.

( 26 ) Dieses Datum ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 93/98.

( 27 ) [Betrifft die spanische Fassung.]

( 28 ) Vgl. dritter Erwägungsgrund der in Fn. 7 angeführten Richtlinie 2006/116. Die Verzerrungen waren nicht nur rein hypothetisch, wie das Urteil vom 24. September 1989, EMI Electrola/Patricia Im- und Export u. a. (341/87, EU:C:1989:30) gezeigt hat.

( 29 ) C‑60/98, EU:C:1999:333.

( 30 ) Die Frage des vorlegenden Gerichts bezog sich auf den Schutz erworbener Rechte Dritter, also auf Abs. 3.

( 31 ) Auf diesen Willen schloss er, als er den ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission (nach dem ihre Bestimmungen „auf die Rechte, die am 31. Dezember 1994 nicht erloschen sind“, anwendbar sind) mit den in die Neufassung eingebrachten Änderungen des Europäischen Parlaments verglich, die im Wesentlichen in die endgültige Fassung der Richtlinie 93/98 übernommen wurden. Vgl. Rn. 18 und 19 des Urteils vom 29. Juni 1999, Butterfly Music (C‑60/98, EU:C:1999:333).

( 32 ) Dieses Ziel wird im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/98 genannt.

( 33 ) Urteil vom 29. Juni 1999, Butterfly Music (C‑60/98, EU:C:1999:333, Rn. 20).

( 34 ) Urteil vom 20. Januar 2009, Sony Music Entertainment (C‑240/07, EU:C:2009:19, Rn. 22).

( 35 ) Ebd. (Rn. 25).

( 36 ) Urteil vom 27. Januar 2011 (C‑168/09, EU:C:2011:29).

( 37 ) Ebd. (Rn. 37 und 38).

( 38 ) Ebd. (Rn. 39).

( 39 ) Ebd. (Rn. 41).

( 40 ) Montis zufolge ändert sich nichts dadurch, dass der Nachweis einer solchen Geltung in Deutschland im Rahmen eines anderen Prozesses mit einem Dritten erbracht werden könne, denn dieses Vorabentscheidungsersuchen sei ein Zwischenverfahren im Rahmen des beim niederländischen Hoge Raad (Oberster Gerichtshof) anhängigen Rechtsstreits, in dem es nicht mehr in Betracht komme, Tatsachen zu bestreiten oder neue Beweismittel vorzulegen.

( 41 ) Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Richtlinie 92/100 nicht die „Schutzkriterien“ enthält, auf die Art. 10 Abs. 2 letzter Halbsatz der Richtlinie 93/98 verweist.

( 42 ) Konkret bezieht er sich auf die ausschließlichen Rechte, die Vermietung oder das Verleihen zu erlauben oder zu verbieten, die zustehen können: dem Urheber (in Bezug auf das Original und auf Vervielfältigungsstücke seines Werkes), dem ausübenden Künstler (in Bezug auf Aufzeichnungen seiner Darbietung), dem Tonträgerhersteller (in Bezug auf seine Tonträger) und dem Hersteller der erstmaligen Aufzeichnung eines Films (in Bezug auf das Original und auf Vervielfältigungsstücke seines Films).

( 43 ) Es muss sich um die erstmalige Aufzeichnung eines Films handeln – die in dieser Bestimmung ebenfalls definiert wird –, und die Rechte erstrecken sich nur auf das Original und die Vervielfältigungsstücke.

( 44 ) Für die Hersteller von Tonträgern wären es mindestens 20 Jahre, wie sich aus dem Verweis in Art. 14 auf das Rom-Abkommen über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (1961) (deutsche Übersetzung unter https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19610224/201204230000/0.231.171.pdf) ergibt.

( 45 ) Reinbothe, J., von Lewinski, S., The EC Directive on Rental and Lending Rights and on Piracy, London, 1993, S. 120.

( 46 ) Hervorhebung nur hier.

( 47 ) Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch über Urheberrecht und die technologische Herausforderung – Urheberrechtsfragen, die sofortiges Handeln erfordern, KOM(88) 172 endg, S. 159.

( 48 ) Art. 2 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 92/100.

( 49 ) Walter, M. M., „Term Directive – Article 10 Application in time“, in Walter, M. M., von Lewinski, S., European Copyright Law – A Commentary, Oxford, 2010, S. 622.

( 50 ) Jorna, K., Martin-Prat, M., „New rules for the game in the European copyright field and their impact on existing situations“, European Intellectual Property Review (EIPR), 1994, S. 148.

( 51 ) Siehe in Bezug auf den freien Warenverkehr Urteil vom 17. Mai 1988, Warner Brothers u. a./Christiansen (158/86, EU:C:1988:242, Rn. 10 bis 16).

( 52 ) Nach dem Wortlaut ihres Art. 11, durch den die Art. 11 und 12 der Richtlinie 92/100 ausdrücklich aufgehoben wurden, in denen in Erwartung einer „weiteren Harmonisierung“, die durch die Richtlinie 93/98 erfolgte (vgl. ihren 16. Erwägungsgrund), diese Mindestdauer festgelegt war.

( 53 ) Siehe wiederum Fn. 3.

( 54 ) Wiedergegeben in Nr. 17 der vorliegenden Schlussanträge. Danach sind der Genuss und die Ausübung der Urheberrechte nicht an die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten gebunden.

( 55 ) Erwägungsgründe 1, 5, 12, 14, 17 und 22 sowie Art. 1 und 7.

( 56 ) Wiedergegeben in Nr. 9.

( 57 ) Vgl. Urteil vom 7. Juni 2007, Carp (C‑80/06, EU:C:2007:327, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 58 ) Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 113 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 15. September 2011, Mücksch (C‑53/10, EU:C:2011:585, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 59 ) Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a. (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 199 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 60 ) Zusammengefasst müssen für das Entstehen der Haftung folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen: a) Das Ziel der Richtlinie muss darin bestehen, Rechte für den Einzelnen zu begründen, b) der Inhalt dieser Rechte muss auf der Grundlage der Vorschriften der Richtlinie bestimmt werden können, und c) es muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung der dem Mitgliedstaat obliegenden Verpflichtung und dem entstandenen Schaden bestehen. Vgl. Urteile vom 24. Januar 2012, Domínguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 43), und vom 23. April 2009, Angelidaki u. a. (C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 202 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 61 ) Die Kommission führt in Nr. 45 ihrer Erklärungen aus, die Einschränkung des Rechts am geistigen Eigentum müsse jedenfalls seinen wesentlichen Gehalt respektieren, und nimmt dabei auf die Urteile vom 24. November 2011, Scarlet Extended (C‑70/10, EU:C:2011:771, Rn. 43), und vom 16. Juli 2015, Coty Germany (C‑580/13, EU:2015:485, Rn. 35), Bezug. Eine Bestimmung, die ausnahmsweise das rückwirkende Wiederaufleben der Urheberrechte vorsieht, nachdem sie gemeinfrei geworden sind, dürfte aber wohl nicht den Wesenskern des Eigentums bilden.

( 62 ) Urteil vom 19. Januar 2010 (C‑555/07, EU:C:2010:21, Rn. 56).

( 63 ) Montis hat ein drittes Datum vorgeschlagen, den 17. November 1998, an dem die Richtlinie 98/71 in Kraft trat. Aus den in den Nrn. 44 ff. dargelegten Gründen für eine Nichtausdehnung der Diskussion auf die mögliche Einschlägigkeit dieser Richtlinie bin ich der Ansicht, dass es nicht statthaft ist, auf dieses mögliche Datum einzugehen.