BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS
4. Dezember 2014 ( *1 )
„Vorläufiger Rechtsschutz — Öffentliche Dienstleistungsaufträge — Ausschreibungsverfahren — Erbringung von Dienstleistungen in der Personen- und Sachversicherung — Ablehnung des Angebots eines Bieters — Antrag auf Aussetzung des Vollzugs — Zulässigkeit — Fumus boni iuris — Dringlichkeit — Interessenabwägung“
In der Rechtssache T‑199/14 R
Vanbreda Risk & Benefits mit Sitz in Antwerpen (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. Teerlinck und P. de Bandt,
Antragstellerin,
gegen
Europäische Kommission, vertreten durch S. Delaude und L. Cappelletti als Bevollmächtigte,
Antragsgegnerin,
wegen eines Antrags auf einstweilige Anordnung, gerichtet im Wesentlichen auf die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Kommission vom 30. Januar 2014, mit der diese das von der Antragstellerin im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens für einen Auftrag für die Personen- und Sachversicherung eingereichte Angebot zurückgewiesen hat und dieser Auftrag an eine andere Gesellschaft vergeben worden ist,
erlässt
DER PRÄSIDENT DES GERICHTS
folgenden
Beschluss ( 1 )
Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren und Anträge der Parteien
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                1  | 
            
                Am 10. August 2013 veröffentlichte die Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union eine Ausschreibung mit der Referenznummer OIB.DR.2/PO/2013/062/591 betreffend einen in vier Lose unterteilten Auftrag für Personen- und Sachversicherungen. Los Nr. 1 bezog sich auf den Versicherungsschutz – ab dem 1. März 2014 – für Gebäude und deren Inventar, wobei der Vertrag von der Kommission im eigenen Namen und im Namen der folgenden Auftraggeber geschlossen werden sollte: Rat der Europäischen Union, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen der Europäischen Union, Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats, Exekutivagentur für Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, Exekutivagentur für die Forschung, Exekutivagentur „Bildung, Audiovisuelles und Kultur“ und Exekutivagentur für Innovation und Netze (im Folgenden: Ausschreibung).  | 
         
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                2  | 
            
                Die Ausschreibung sollte den zu diesem Zeitpunkt geltenden Vertrag mit einem Konsortium ersetzen, dessen Maklerin die Antragstellerin, Vanbreda Risk & Benefits, war und der am 28. Februar 2014 auslief.  | 
         
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                3  | 
            
                Am 7. September 2013 wurde im Supplement zum Amtsblatt (ABl. S 174) eine Berichtigung veröffentlicht, mit der die Frist für die Einreichung von Angeboten bis zum 25. Oktober 2013 verlängert und der Zeitpunkt für die öffentliche Sitzung zur Öffnung der Angebote auf den 31. Oktober 2013 verschoben wurde. In dieser Sitzung bestätigte der Eröffnungsausschuss den Eingang von zwei Angeboten für das Los Nr. 1, die zum einen von der Versicherungsmaklerin Marsh SA und zum anderen von der Antragstellerin abgegeben worden waren.  | 
         
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                4  | 
            
                Am 30. Januar 2014 unterrichtete die Kommission zum einen Marsh, dass ihr der Zuschlag für das Los Nr. 1 erteilt worden sei, und zum anderen die Antragstellerin, dass ihr Angebot für dieses Los nicht ausgewählt worden sei, da sie nicht den niedrigsten Preis geboten habe (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).  | 
         
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                5  | 
            
                Mit getrennten Schriftsätzen vom 28. März 2014 hat die Antragstellerin bei der Kanzlei des Gerichts zum einen eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie eine Schadensersatzklage nach den Art. 268 AEUV und 340 AEUV auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung von Schadensersatz an sie in Höhe von 1 Mio. Euro erhoben und zum anderen den vorliegenden Antrag gestellt, mit dem sie den für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter im Wesentlichen ersuchte, 
 
 [nicht wiedergegeben] 
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                6  | 
            
                Am 3. April 2014 verfügte der Präsident des Gerichts mit seinem Beschluss Vanbreda Risk & Benefits/Kommission (T‑199/14 R, im Folgenden: Beschluss vom 3. April 2014) nach Art. 105 § 2 der Verfahrensordnung die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung sowie des Dienstleistungsvertrags zwischen der Kommission, Marsh und der bzw. den jeweiligen Versicherungsgesellschaft(en) bis zum Erlass des Beschlusses, der das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließt.  | 
         
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                7  | 
            
                Am 8. April 2014 übermittelte die Kommission zum einen den Dienstleistungsvertrag OIB.DR.2/PO/2013/062/591/C0/L1 und stellte zum anderen einen Antrag, der darauf gerichtet war, dass der Präsident des Gerichts umgehend, rückwirkend und ohne Vorbehalt, Nr. 1 des Tenors seines Beschlusses vom 3. April 2014 aufhebe. Im Hinblick auf das neue dem für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richter von der Kommission zur Kenntnis gebrachte Vorbringen in Bezug auf den Ablauf des vorangehenden Versicherungsvertrags und die damit verbundenen Folgen erließ der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter am 10. April 2014 einen Beschluss, mit dem er dem Antrag der Kommission stattgab. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                9  | 
            
                Am 25. April 2014 hat die Kommission Erklärungen zu dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgegeben, in denen sie im Wesentlichen beantragte, 
 
 [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                12  | 
            
                Mit Schreiben vom 7. Oktober 2014 sind die Parteien zu einer Anhörung geladen worden, die am 21. Oktober 2014 stattgefunden hat.  | 
         
Rechtliche Würdigung
[Nicht wiedergegeben]
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                Vorliegend ist der besonderen Rolle des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes in Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge Rechnung zu tragen (Beschluss vom 4. Februar 2014, Serco Belgium u. a./Kommission, T‑644/13 R, Slg, EU:T:2014:57, Rn. 18 ff.). Hierbei ist auch der vom Unionsgesetzgeber geschaffene Rechtsrahmen zu berücksichtigen, der von den öffentlichen Auftraggebern der Mitgliedstaaten auf Vertragsvergabeverfahren anzuwenden ist. Insbesondere sollten sich, wie im 40. Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94, S. 65) ausgeführt, die materiellen Vorschriften für die Auftragsvergabe auf die Richtlinie 2014/24 stützen.  | 
         
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                17  | 
            
                Darüber hinaus hielt es der Gesetzgeber, wie zum einen in den ersten drei Erwägungsgründen der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) und zum anderen im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge (ABl. L 335, S. 31) festgestellt wurde, zur Sicherstellung der tatsächlichen Anwendung solcher Vorschriften für erforderlich, eine Reihe von Verfahrensregeln einzuführen, durch die eine rasche Nachprüfung in einem Stadium zur Verfügung steht, in dem Verstöße noch sinnvoll beseitigt werden können.  | 
         
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                Wie sich im Übrigen aus den Erwägungsgründen 2, 3 und 5 und aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 ergibt, werden einstweilige Maßnahmen im besonderen Kontext öffentlicher Aufträge nicht nur als Mittel zur Aussetzung des Vergabeverfahrens, sondern zumindest in gleicher Weise als Mittel zur Beseitigung einer Rechtswidrigkeit angesehen, die sonst dem Hauptsacheverfahren vorbehalten wäre.  | 
         
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                19  | 
            
                Die Berücksichtigung der Auswirkung dieser Erwägungen auf die Ausübung der Befugnis des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters ist dadurch gerechtfertigt, dass zum einen, ebenso wie auf nationaler Ebene, bei öffentlichen Aufträgen die Maßnahmen nach dem ersten Kapitel des Dritten Teils der Verfahrensordnung die Gewährleistung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes im Hinblick auf die Anwendung der für die EU‑Organe und ‑Einrichtungen anwendbaren Vorschriften für die Auftragsvergabe, die im Wesentlichen auf die Richtlinie 2014/24 (siehe oben, Rn. 16 sowie den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/66) gestützt sind, bezwecken, und dass zum anderen diese Richtlinien gemäß dem allgemeinen Auslegungsgrundsatz, wie er im Urteil vom 19. September 2013, Überprüfung Kommission/Strack (C‑579/12 RX‑II, Slg, EU:C:2013:570, Rn. 40) Anwendung findet, das Bestehen eines wesentlichen Grundsatzes des Rechts der öffentlichen Aufträge der Union, nämlich des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes der Bieter, hervorheben, dessen besondere Bedeutung aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, Fastweb, C‑19/13, Slg, EU:C:2014:2194, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung), und der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist (im Folgenden: Grundrechtecharta).  | 
         
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                20  | 
            
                Auch wenn feststeht, dass das Gericht den Nichtigkeitsgrund, der auf den Verstoß eines Unionsorgans gegen eine Bestimmung einer Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe, die definitionsgemäß an die Mitgliedstaaten gerichtet ist, gestützt ist, als in Leere gehend zurückweist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. März 2010, Evropaïki Dynamiki/Kommission, T‑50/05, Slg, EU:T:2010:101, Rn. 104, vom 11. Mai 2010, PC‑Ware Information Technologies/Kommission, T‑121/08, Slg, EU:T:2010:183, Rn. 50, und vom 6. Mai 2013, Kieffer Omnitec/Kommission, T‑288/11, EU:T:2013:228, Rn. 22 bis 24), ist der Unionsrichter daher gleichwohl nicht daran gehindert, den in diesem Unionsrechtsakt enthaltenen Ausdruck allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts zu berücksichtigen. Daher geben im vorliegenden Fall die im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe erlassenen Richtlinien nur die besonders zentrale Bedeutung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in diesem Bereich wieder. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
1. Zum fumus boni iuris
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                22  | 
            
                Die Voraussetzung des Vorliegens eines fumus boni iuris ist erfüllt, wenn im Stadium des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes eine bedeutsame rechtliche Kontroverse besteht, deren Lösung sich nicht sogleich aufdrängt, so dass die Klage dem ersten Anschein nach nicht einer ernsthaften Grundlage entbehrt (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 13. Juni 1989, Publishers Association/Kommission, 56/89 R, Slg, EU:C:1989:238, Rn. 31, und vom 8. Mai 2003, Kommission/Artegodan u. a., C‑39/03 P-R, Slg, EU:C:2003:269, Rn. 40). Da nämlich der Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes darin besteht, die volle Wirksamkeit der künftigen Hauptsacheentscheidung sicherzustellen, um Lücken im durch den Gerichtshof gewährleisteten Rechtsschutz zu vermeiden, muss sich der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter darauf beschränken, die Begründetheit der im Rahmen des Hauptsacheverfahrens geltend gemachten Klagegründe prima facie zu beurteilen, um festzustellen, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Klage Erfolg haben wird (Beschlüsse vom 19. Dezember 2013, Kommission/Deutschland, C‑426/13 P[R], Slg, EU:C:2013:848, Rn. 41, und vom 8. April 2014, Kommission/ANKO, C‑78/14 P‑R, Slg, EU:C:2014:239, Rn. 15).  | 
         
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                23  | 
            
                Zwar ist der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter grundsätzlich nicht verpflichtet, eine genauso eingehende Prüfung wie im Rahmen des Hauptsacheverfahrens vorzunehmen, doch kann diese Feststellung nicht so ausgelegt werden, dass eine eingehende Prüfung absolut verboten ist (Beschluss Vischim/Kommission, oben Rn. 15, EU:C:2007:209, Rn. 50).  | 
         
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                24  | 
            
                Im vorliegenden Fall macht die Antragstellerin als einzigen, aus drei Teilen bestehenden Klagegrund die Nichtübereinstimmung des Angebots von Marsh mit dem Lastenheft geltend, die dem ersten Anschein nach die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung begründe.  | 
         
Zum ersten Teil des einzigen Nichtigkeitsgrundes
[Nicht wiedergegeben]
Zur Begründetheit des ersten Teils des einzigen Nichtigkeitsgrundes
[Nicht wiedergegeben]
– Zum Vorwurf der Rechtswidrigkeit der Teilnahme von Marsh an der Ausschreibung als einzige Bieterin
[Nicht wiedergegeben]
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                75  | 
            
                Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Zulassung eines Maklers zur Teilnahme an der Ausschreibung als einziger Bieter die Bewertung seines Angebots unter Außerachtlassung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Versicherungsgesellschaften, die das abgedeckte Risiko letztlich versichern, im Gegensatz zu allen anderen ausdrücklich im Lastenheft vorgesehenen Fallgestaltungen und ohne dass diese Differenzierung im Hinblick auf die Systematik der Regelung objektiv gerechtfertigt erschiene, ermöglichte, so dass ihre Rechtmäßigkeit auf den ersten Blick zweifelhaft erscheint. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                81  | 
            
                Aus dieser Prima-facie-Prüfung folgt, dass die Zulassung eines Maklers zur Teilnahme an einer Ausschreibung als einzigem, von Versicherungsgesellschaften bevollmächtigtem Bieter zum einen die Prüfung der Vorzüge eines Angebots in Bezug auf die im Lastenheft aufgestellten Kriterien auf den ersten Blick illusorisch macht und dass zum anderen dieser Makler dadurch gegebenenfalls gegenüber den anderen Bietern in den Genuss eines Wettbewerbsvorteils kommt. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                83  | 
            
                Nach alledem scheint es auf den ersten Blick, dass die Anwendung der Auswahlkriterien und der Modalitäten für die Übermittlung der Angebote sowie ihre Auslegung durch die Kommission im vorliegenden Fall keinen effektiven Wettbewerb gewährleisten konnten. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                86  | 
            
                Daher ist festzustellen, dass nach einer Prima-facie-Prüfung vom Vorliegen hinreichend ernsthafter Elemente auszugehen ist, um auf die Begründetheit des Vorwurfs, die Zulassung von Marsh zur Teilnahme an der Ausschreibung als einziger Bieter sei rechtswidrig gewesen, schließen zu können.  | 
         
– Zum Vorwurf der Behandlung des Angebots von Marsh durch die Kommission wie ein gemeinsames Angebot
[Nicht wiedergegeben]
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                96  | 
            
                Daher zeigt sich nach einer ersten Prüfung des Austauschs zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und Marsh im vorliegenden Fall, dass das ursprüngliche Angebot als das eines einzigen Bieters dargestellt wurde, das nicht einer gesamtschuldnerischen Verpflichtung genügen musste, das dann zu einem einem gemeinsamen Angebot gleichzusetzenden Angebot wurde. Um dem Lastenheft zu entsprechen, muss diese Art des Angebots die Zustimmung/Vollmacht enthalten. Da dem Angebot von Marsh ein solches Dokument nicht beigefügt war, hat die Kommission, indem sie es als gültig akzeptierte, offensichtlich ihre eigenen Vorschriften verkannt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der öffentliche Auftraggeber, wenn er im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens die Bedingungen festlegt, die er den Bietern auferlegen möchte, seine Ermessensausübung beschränkt und überdies von den so festgelegten Bedingungen nicht gegenüber einem der Bieter abweichen kann, ohne gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen den Bewerbern zu verstoßen (Urteil vom 20. März 2013, Nexans France/Entreprise commune Fusion for Energy, T‑415/10, Slg, EU:T:2013:141, Rn. 80). [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                102  | 
            
                Nach alledem führt das System des Mandats, wie es im vorliegenden Fall von der Kommission akzeptiert wurde, offenbar zu einer Umgehung der auf gemeinschaftliche Angebote anwendbaren Regeln.  | 
         
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                103  | 
            
                Daher ist dem ersten Anschein nach davon auszugehen, dass Elemente vorliegen, die in diesem Stadium die Begründetheit des Vorwurfs stützen können, die Kommission habe das Angebot von Marsh de facto als gemeinsames Angebot behandelt, während dieses Angebot in dieser Eigenschaft, mangels Zustimmung/Vollmacht, für rechtswidrig hätte erklärt werden müssen.  | 
         
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                104  | 
            
                Somit ergibt sich aus der vorstehenden Analyse, dass die Antragstellerin, was den ersten Teil des einzigen Nichtigkeitsgrundes angeht, das Vorliegen eines besonders ernsthaften fumus boni iuris nachgewiesen hat.  | 
         
Zum zweiten Teil des einzigen Nichtigkeitsgrundes
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                105  | 
            
                Im Rahmen des zweiten Teils ihres einzigen Nichtigkeitsgrundes weist die Antragstellerin zunächst darauf hin, dass es einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter darstellen würde, wenn einem Bieter die Möglichkeit eingeräumt würde, sein Angebot nach Öffnung der Angebote zu ändern. Die Identität der Versicherungsgesellschaften, die Marsh Vollmacht erteilt hätten, sei nach der Eröffnung der Angebote verändert worden. Zwar könnten die öffentlichen Auftraggeber aus eigener Initiative mit einem Bieter in Kontakt treten, wenn ein Angebot Klarstellungen erfordere oder sachliche Irrtümer im Wortlaut des Angebots zu berichtigen seien; dieser Rahmen würde mit der im vorliegenden Fall vorgenommenen Änderung jedoch überschritten und stelle eine wesentliche Änderung des Angebots dar. Da die Bestimmung des Auftragnehmers nämlich nach den im Lastenheft festgelegten Auswahlkriterien erfolge, hätte eine solche Änderung eine neue Prüfung auf Grundlage dieser Kriterien erfordert. Daher habe die Kommission, indem sie diese Änderung genehmigt habe, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter in Verbindung mit Art. 112 Abs. 1 der Haushaltsordnung und Art. 160 der delegierten Verordnung verstoßen. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                109  | 
            
                Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass erstens aus der Analyse des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters hervorging, dass die Änderung der Anteile der Versicherungsgesellschaften, die Marsh Vollmacht erteilt hatten, an der Risikodeckung als Änderung eines wesentlichen Bestandteils des Angebots qualifiziert werden kann, da diese Änderung zur Erlangung eines Wettbewerbsvorteils für einen der Bieter führte (siehe oben, Rn. 78 bis 80).  | 
         
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                110  | 
            
                Zweitens deutete die Prüfung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz ebenfalls auf eine Änderung des Wesens des Angebots von Marsh hinsichtlich der gemeinschaftlichen Verpflichtung der Versicherungsgesellschaften hin. Entgegen der von der Kommission in ihren Erklärungen vom 25. April 2014 vertretenen Auffassung bedeutet der Umstand, dass der unterzeichnete Vertrag die Klausel über die Solidarität der Unterzeichneten enthält und dass diese Klausel seit der Veröffentlichung des Lastenhefts der Ausschreibung vorgesehen war, nicht, dass das Angebot von Marsh zwangsläufig die mit dieser Klausel verbundenen Kosten und Risiken hätte berücksichtigen müssen (siehe oben, Rn. 95 und 96).  | 
         
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                111  | 
            
                Daher ist in dieser Hinsicht, wie die Antragstellerin in ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ausführt, die Bedeutung der Voraussetzung der Solidarität im Rahmen dieser Ausschreibung anhand der Größe des betroffenen Marktes und ihres Einflusses auf den Preis des Angebots hervorzuheben. Im Hinblick auf die Höhe des auf dem Spiel stehenden Kapitals und die Möglichkeit des Eintritts eines Schadensfalls von großem Ausmaß ist es unabdingbar, dass die Versicherungsgesellschaften durch die Solidaritätsklausel gebunden sind, um zu vermeiden, dass jede von ihnen nur die finanziellen Risiken für den Teil des Vertrags abdeckt, den sie erfüllt, und dass im Fall des Ausfalls einer Versicherungsgesellschaft der Teil des Schadens, für dessen Deckung diese zuständig ist, nicht ersetzt wird. Jedoch läuft diese Anforderung für eine Versicherungsgesellschaft darauf hinaus, ihre Leistungsfähigkeit, also ihr Kapital, bis zur maximalen Höhe der Verpflichtung für alle durch den Dienstleistungsvertrag abgedeckten Risiken offenzulegen. Da diese Verpflichtung zur Überschreitung der finanziellen Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Versicherung führen kann, muss sie diese zusätzliche Leistungsfähigkeit durch Rückgriff auf Mechanismen wie eine Bankgarantie oder eine Rückversicherung erlangen, die ein zusätzliches finanzielles Risiko darstellt und zusätzliche Kosten verursacht. Daher ist die vorgeschlagene Prämie für einen Vertrag, der die gemeinschaftliche Haftung zwischen allen Beteiligten vorsieht, auf den ersten Blick höher als jene für einen Vertrag, der keine solche Solidarität bietet. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                113  | 
            
                Da das ursprüngliche Angebot das aufgestellte Erfordernis der Solidarität nicht zwangsläufig berücksichtigte und der vage Charakter der Begriffe der Ausschreibung im Hinblick auf die Einreichung eines Angebots durch einen einzigen Bieter die Anpassung des ursprünglichen Angebots ermöglichte, um durch ein gemeinsames Angebot das gewünschte Ergebnis zu erzielen, ist dem ersten Anschein nach auf die Änderung eines wesentlichen Bestandteils des Angebots zu schließen. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                120  | 
            
                Somit ist in diesem Stadium festzustellen, dass das ursprüngliche Angebot von Marsh dem ersten Anschein nach im Hinblick auf Art. 112 Abs. 1 der Haushaltsordnung und Art. 160 der delegierten Verordnung unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter, der im Bereich des Unionsrechts bei der Vergabe öffentlicher Aufträge anzuwenden ist, rechtswidrige Änderungen erfahren hat.  | 
         
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                121  | 
            
                Daher folgt aus der vorstehenden Analyse, dass die Antragstellerin, was den zweiten Teil des einzigen Klagegrundes angeht, das Vorliegen eines besonders ernsthaften fumus boni iuris nachgewiesen hat. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
2. Zur Dringlichkeit
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                138  | 
            
                Nach ständiger Rechtsprechung beurteilt sich die Dringlichkeit danach, ob eine einstweilige Entscheidung notwendig ist, um zu verhindern, dass der Partei, die eine einstweilige Anordnung beantragt, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht (Beschluss vom 14. Dezember 2001, Kommission/Euroalliages u. a., C‑404/01 P[R], Slg, EU:C:2001:710, Rn. 61 und 62). In dieser Hinsicht hat die Partei, die den Erlass einstweiliger Anordnungen beantragt, nachzuweisen, dass sie den Ausgang des Verfahrens zur Hauptsache nicht abwarten kann, ohne dass ihr ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde. Für den Nachweis des Bestehens eines solchen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens braucht sein Bevorstehen nicht mit absoluter Sicherheit nachgewiesen zu werden, seine Entstehung muss jedoch mit einem hinreichenden Grad von Wahrscheinlichkeit vorhersehbar sein (vgl. Beschluss vom 12. Juni 2014, Kommission/Rat, C‑21/14 P‑R, Slg, EU:C:2014:1749, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). [Nicht wiedergegeben]  | 
         
Zum nicht wiedergutzumachenden Charakter des Schadens
[Nicht wiedergegeben]
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                157  | 
            
                Daraus folgt, dass ‐ in Anwendung der bisherigen Rechtsprechung ‐ die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall nicht erfüllt wäre. Generell ist festzustellen, dass, angewandt auf die Situation eines abgelehnten Bieters, die Voraussetzung des Eintritts eines nicht wiedergutzumachenden Schadens aus den oben genannten systembedingten Gründen nur übermäßig schwer nachzuweisen ist.  | 
         
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                158  | 
            
                Ein solches Ergebnis ist jedoch mit den Erfordernissen, die sich aus einem effektiven vorläufigen Schutz ergeben, der im Bereich der öffentlichen Aufträge zu gewährleisten ist, unvereinbar (siehe oben, Rn. 16 bis 20). Im Übrigen ist hervorzuheben, dass die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nur negative Auswirkungen im Hinblick auf die abgelehnten Bieter haben, sondern auch den Schutz der finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen kann. Dieser Rechtsstreit erfordert daher eine neue Vorgehensweise, die seinen Besonderheiten angepasst ist und es dem abgelehnten Bieter ermöglichen soll, die Dringlichkeit in anderer Weise als dadurch zu begründen, dass unter allen Umständen ein bevorstehendes Risiko des Eintritts eines nicht wiedergutzumachenden Schadens nachgewiesen wird.  | 
         
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                159  | 
            
                In dieser Hinsicht ist erstens darauf hinzuweisen, dass der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter die Voraussetzung betreffend den nicht wiedergutzumachenden Charakter des Schadens – ebenso wenig im Übrigen auch diejenige betreffend den schwerwiegenden Charakter des geltend gemachten Schadens ‐ nicht mechanisch und streng anwenden darf, sondern die Umstände berücksichtigen muss, die für jede Rechtssache charakteristisch sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 28. April 2009, United Phosphorus/Kommission, T‑95/09 R, EU:T:2009:124, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).  | 
         
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                160  | 
            
                Zweitens ist der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nicht daran gehindert, die Art. 278 AEUV und 279 AEUV unmittelbar anzuwenden ‐ Bestimmungen des Primärrechts, die ihm die Befugnis verleihen, eine Aussetzung des Vollzugs anzuordnen, „wenn er dies den Umständen nach für nötig hält“, und die „erforderlichen“ einstweiligen Maßnahmen zu treffen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 24. Februar 2014, HTTS und Bateni/Rat, T‑45/14 R, EU:T:2014:85, Rn. 51, und vom 25. Juli 2014, Deza/ECHA, T‑189/14 R, EU:T:2014:686, Rn. 105).  | 
         
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                161  | 
            
                Drittens schloss der Präsident des Gerichtshofs nicht die Möglichkeit aus, eine Aussetzung des Vollzugs anzuordnen oder vorläufige Maßnahmen auf der bloßen Grundlage der offensichtlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Rechtsakts anzuordnen, etwa, wenn diese die Rechtswidrigkeit gewissermaßen auf der Stirn tragen (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 7. Juli 1981, IBM/Kommission, 60/81 R und 190/81 R, Slg, EU:C:1981:165, Rn. 7 und 8, und vom 26. März 1987, Hoechst/Kommission, 46/87 R, Slg, EU:C:1987:167, Rn. 31 und 32). In diesem Zusammenhang wurde bereits im Beschluss Communicaid Group/Kommission, oben in Rn. 148 angeführt (vgl. in diesem Sinne EU:T:2013:121, Rn. 45), die Möglichkeit erwogen, dass, insbesondere bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, die Dringlichkeit in der unabdingbaren Notwendigkeit bestehen kann, so schnell wie möglich einen Zustand zu beseitigen, der dem ersten Anschein nach als eine hinreichend offenkundige und schwere Rechtswidrigkeit und daher als ein besonders ernsthafter fumus boni iuris erscheint.  | 
         
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                162  | 
            
                Im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ist also davon auszugehen, dass, sofern der abgelehnte Bieter das Vorliegen eines besonders ernsthaften fumus boni iuris nachweisen kann, von ihm nicht gefordert werden kann, den Nachweis zu erbringen, dass ihm die Zurückweisung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz einen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen könnte, da andernfalls der effektive gerichtliche Rechtsschutz, den er nach Art. 47 der Grundrechtecharta genießt, übermäßig und ungerechtfertigt beeinträchtigt würde. Ein solcher fumus boni iuris liegt vor, wenn er das Bestehen einer hinreichend offenkundigen und schweren Rechtswidrigkeit erkennen lässt, deren Wirkungen in ihrem Entstehen oder Fortbestand so rasch wie möglich zu beseitigen sind, es sei denn, dass die Abwägung der bestehenden Interessen dem letztlich nicht entgegensteht. Unter diesen außergewöhnlichen Umständen genügt der Nachweis der Schwere des Schadens, der mangels einer Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung entstünde, um die Voraussetzung der Dringlichkeit zu erfüllen, wobei zu berücksichtigen ist, dass Wirkungen, die sich aus einem solchen Rechtsverstoß ergeben können, verhindert werden sollen.  | 
         
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                163  | 
            
                Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Prüfung der Voraussetzung des fumus boni iuris (siehe oben, Rn. 22 bis 136), dass dem ersten Anschein nach schwerwiegende Verstöße in Bezug auf Teile des Verfahrens der Auftragsvergabe begangen wurden, die zur Rechtswidrigkeit des ausgewählten Angebots führen. Daraus folgt, dass die Handlungen der Kommission und die von ihr erlassenen Entscheidungen im vorliegenden Fall in diesem Verfahrensstadium als Verstöße gegen das Unionsrecht anzusehen sind, die hinreichend offenkundig und schwerwiegend sind, um es erforderlich zu machen, zu verhindern, dass sie Wirkungen für die Zukunft entfalten, ohne dass die Antragstellerin jedoch den nicht wiedergutzumachenden Charakter des Schadens, der ihr mangels einer Aussetzung der angefochtenen Entscheidung entstünde, nachweisen muss.  | 
         
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                164  | 
            
                Daher ist im Hinblick auf den Charakter der festgestellten Rechtsverstöße die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall als erfüllt anzusehen. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
3. Zur Interessenabwägung
[Nicht wiedergegeben]
Allgemeines Interesse an der Notwendigkeit, einen Verstoß gegen das Unionsrecht aufgrund seines hinreichend offensichtlichen und schweren Charakters unverzüglich zu beenden
[Nicht wiedergegeben]
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                197  | 
            
                Daher ist der Schluss zu ziehen, dass die Interessenabwägung im Hinblick zum einen auf die Intensität, in der die Voraussetzungen des fumus boni iuris und der Dringlichkeit erfüllt sind, und insbesondere im Hinblick auf den hinreichend offensichtlichen und schweren Charakter der behaupteten Verstöße gegen das Unionsrecht dem ersten Anschein nach, und zum anderen im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles und insbesondere auf den gerichtlichen Rechtsschutz, der den Bietern im spezifischen Kontext der öffentlichen Aufträge zuteil werden muss, zugunsten der Antragstellerin ausfällt.  | 
         
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                198  | 
            
                Aus den dargelegten Gründen folgt, dass die Voraussetzung betreffend die Interessenabwägung, deren Bedeutung in Streitigkeiten im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen besonders hervorgehoben wurde (siehe oben, Rn. 147, 158 und 165), erfüllt ist. [Nicht wiedergegeben]  | 
         
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                200  | 
            
                Im Hinblick auf die Besonderheiten des betreffenden öffentlichen Auftrags und aus den, insbesondere oben in Rn. 184, dargelegten Gründen ist dem vorliegenden Beschluss jedoch erst nach Ablauf der Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels gegen denselben Wirkung zu verleihen.  | 
         
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                Aus diesen Gründen hat DER PRÄSIDENT DES GERICHTS beschlossen:  | 
         
               
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                   Der Kanzler E. Coulon Der Präsident M. Jaeger  | 
            
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.
( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Beschlusses wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.