URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

21. Januar 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Verordnung (EG) Nr. 883/2004 — Art. 5 — Begriff ‚Gleichartige Leistungen‘ — Gleichstellung von Leistungen bei Alter von zwei Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums — Nationale Regelung, die in anderen Mitgliedstaaten bezogene Leistungen bei Alter bei der Berechnung der Sozialbeiträge berücksichtigt“

In der Rechtssache C‑453/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 10. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2014, in dem Verfahren

Vorarlberger Gebietskrankenkasse,

Alfred Knauer

gegen

Landeshauptmann von Vorarlberg,

Beteiligter:

Rudolf Mathis,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterinnen A. Prechal (Berichterstatterin) und K. Jürimäe,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: V. Giacobbo‑Peyronnel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, vertreten durch Rechtsanwalt J. Lercher,

von Herrn Knauer, vertreten durch Rechtsanwälte J. Nagel und M. Bitriol,

der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von T. de la Mare, QC,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und D. Martin als Bevollmächtigte,

der EFTA‑Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Moustakali, X. Lewis und M. Schneider als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. November 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, und Berichtigung im ABl. 2004, L 200, S. 1) und von Art. 45 AEUV.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (im Folgenden: Krankenkasse) und Herrn Knauer auf der einen sowie dem Landeshauptmann von Vorarlberg auf der anderen Seite über die Verpflichtung von Herrn Knauer, zur österreichischen Krankenversicherung Beiträge von den Rentenleistungen zu entrichten, die er aus einem System der beruflichen Vorsorge des Fürstentums Liechtenstein monatlich bezieht.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Der neunte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004 lautet:

4

In Art. 3 („Sachlicher Geltungsbereich“) der Verordnung heißt es:

„(1)   Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

d)

Leistungen bei Alter;

…“

5

Art. 5 („Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:

a)

Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.

b)

Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.“

6

Art. 9 („Erklärungen der Mitgliedstaaten zum Geltungsbereich dieser Verordnung“) der Verordnung Nr. 883/2004 sieht in Abs. 1 vor, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission u. a. die Rechtsvorschriften, Systeme und Regelungen im Sinne des Art. 3 der Verordnung schriftlich notifizieren.

7

Art. 30 („Beiträge der Rentner“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Der Träger eines Mitgliedstaats, der nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften Beiträge zur Deckung der Leistungen bei Krankheit … einzubehalten hat, kann diese Beiträge, die nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften berechnet werden, nur verlangen und erheben, soweit die Kosten für die Leistungen … von einem Träger in diesem Mitgliedstaat zu übernehmen sind.

(2)   Sind … nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem der betreffende Rentner wohnt, Beiträge zu entrichten oder ähnliche Zahlungen zu leisten, um Anspruch auf Leistungen bei Krankheit sowie auf Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft zu haben, können solche Beiträge nicht eingefordert werden, weil der Rentner dort wohnt.“

8

Art. 53 („Doppelleistungsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 883/2004 sieht in Abs. 1 vor:

„Jedes Zusammentreffen von Leistungen bei Invalidität, bei Alter oder an Hinterbliebene, die auf der Grundlage der von derselben Person zurückgelegten Versicherungs‑ und/oder Wohnzeiten berechnet oder gewährt wurden, gilt als Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art.“

9

Art. 30 („Beiträge der Rentner“) der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. L 284, S. 1) lautet:

„Erhält eine Person Renten aus mehr als einem Mitgliedstaat, so darf der auf alle gezahlten Renten erhobene Betrag an Beiträgen keinesfalls den Betrag übersteigen, der bei einer Person erhoben wird, die denselben Betrag an Renten in dem zuständigen Mitgliedstaat erhält.“

10

Die Verordnungen Nrn. 883/2004 und 987/2009 sind nach dem Beschluss des Gemeinsamen [Ausschusses des Europäischen Wirtschaftsraums] Nr. 76/2011 vom 1. Juli 2011 zur Änderung von Anhang VI (Soziale Sicherheit) und von Protokoll 37 zum EWR‑Abkommen (ABl. L 262, S. 33) auf Liechtenstein anwendbar.

Österreichisches Recht

11

§ 73a Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) in der Fassung des 2. Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2010 (BGBl. I Nr. 102/2010) (im Folgenden: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) sieht vor:

„Wird eine ausländische Rente bezogen, die vom Geltungsbereich

der [Verordnung] Nr. 883/2004 …

erfasst ist, so ist, wenn ein Anspruch des Beziehers/der Bezieherin der ausländischen Rente auf Leistungen der Krankenversicherung besteht, auch von dieser ausländischen Rente ein Krankenversicherungsbeitrag nach § 73 Abs. 1 und 1a zu entrichten. Dieser Beitrag ist in dem Zeitpunkt fällig, in dem die ausländische Rente ausgezahlt wird.“

12

Zu dem durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz eingeführten österreichischen Pensionssystem erläutert das vorlegende Gericht, dass die Pensionsversicherung, die die Versicherten insbesondere gegen die mit dem Alter verbundenen Risiken schütze, dem Versicherten die Fortsetzung der vor seiner Pensionierung gewohnten Lebenshaltung ermöglichen solle. Voraussetzung für die Gewährung einer Alterspension sei neben der Erreichung des Regelpensionsalters auch das Vorliegen einer bestimmten Zahl von Pflichtversicherungszeiten. Pflichtversichert sei grundsätzlich jeder bei einem Dienstgeber über einer Geringfügigkeitsgrenze beschäftigte Dienstnehmer. In der Pensionsversicherung Pflichtversicherte hätten die Möglichkeit, sich zur Erlangung eines Steigerungsbetrags über die für sie in Betracht kommende Beitragsgrundlage hinaus nach freier Wahl höher zu versichern, wobei für den jährlichen Beitrag eine Obergrenze gelte. Da es sich um ein Pensionsversicherungssystem mit Umlage handle, würden die eingezahlten Beiträge unmittelbar zur Finanzierung der Leistungen herangezogen. Die Durchführung der Pensionsversicherung obliege den Versicherungsträgern.

Liechtensteinisches Recht

13

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass das liechtensteinische Rentensystem auf drei Säulen beruht, nämlich der Alters‑ und Hinterlassenenversicherung (erste Säule), der beruflichen Vorsorge (zweite Säule) und der Selbstvorsorge (dritte Säule).

14

Während die Alters‑ und Hinterlassenenversicherung umlagefinanziert wird, ist die im Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge vom 20. Oktober 1987 geregelte berufliche Vorsorge kapitalgedeckt. Sie knüpft an die Versicherung in der Alters‑ und Hinterlassenenversicherung sowie an das Arbeitsverhältnis an. Sie ist grundsätzlich obligatorisch und soll zusammen mit der Alters‑ und Hinterlassenenversicherung dem Versicherten erlauben, den Lebensstandard, den er vor dem Eintritt in den Ruhestand hatte, zu erhalten. Die Durchführung der beruflichen Vorsorge obliegt grundsätzlich einem vom Arbeitgeber zu errichtenden oder verwendeten Rechtsträger, d. h. einer Vorsorgeeinrichtung. Diese Einrichtungen können sich darauf beschränken, die gesetzlichen Mindestleistungen zu gewähren, oder gewährleisten, dass bestimmte weiter gehende Leistungen als diese Mindestleistungen ausgezahlt werden, wobei die gleichen rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen weitergelten. Definition und Organisation der beruflichen Vorsorge unterliegen weitgehend nicht der Eigeninitiative oder dem Gestaltungswillen der von den Risiken des Alters betroffenen Personen.

15

Das Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge wurde vom Fürstentum Liechtenstein gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 883/2004 als in den sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fallend, notifiziert.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

16

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Herr Knauer und Herr Mathis in Österreich wohnen und als Bezieher einer österreichischen Pension nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz krankenversichert sind. Aufgrund ihrer früheren Tätigkeit in der Schweiz bzw. in Liechtenstein beziehen sie Altersrenten aus einer Pensionskasse im Rahmen der liechtensteinischen beruflichen Vorsorge (im Folgenden: liechtensteinische Pensionskasse).

17

Die Krankenkasse verpflichtete Herrn Knauer und Herrn Mathis, ab Oktober 2011 für die von der liechtensteinischen Pensionskasse monatlich bezogenen Rentenleistungen Krankenversicherungsbeiträge zu entrichten.

18

Mit zwei Bescheiden vom 10. Dezember 2013 setzte der Landeshauptmann von Vorarlberg die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge von Herrn Knauer und von Herrn Mathis mit der Begründung herab, dass nur ein Teil der beruflichen Vorsorge, nämlich der den gesetzlichen Mindestleistungen entsprechende, in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 und damit unter die in § 73a ASVG vorgesehene Beitragspflicht falle. Hingegen falle der vom Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge vorgesehene überobligatorische Bereich, also Leistungen, die über die Mindestleistungen hinausgingen, nicht in diesen Geltungsbereich. Das Gleiche gelte für den Teil der liechtensteinischen beruflichen Vorsorge, der den Leistungen aufgrund der vor Inkrafttreten des Gesetzes über die betriebliche Personalvorsorge, d. h. vor dem 1. Januar 1989, entrichteten Beiträge entspreche. Dieser Teil müsse genauso wie der überobligatorische Bereich behandelt werden.

19

Die Krankenkasse erhob gegen diese beiden Bescheide Revision an das vorlegende Gericht. Herr Knauer tat das in Bezug auf den ihn betreffenden Bescheid. Nach Ansicht der Krankenkasse sind die zu entrichtenden Beiträge auf der Grundlage der Gesamtheit der von der liechtensteinischen Pensionskasse an Herrn Knauer und Herrn Mathis monatlich gezahlten Renten zu entrichten, während Herr Knauer der Meinung ist, dass von diesen Renten keinerlei Beitrag zu entrichten sei.

20

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts scheint ein Vergleich der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen für Alterspensionen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz einerseits und Altersrenten nach dem Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge andererseits dafür zu sprechen, dass es sich um gleichartige Leistungen im Sinne von Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 handle. Seiner Ansicht nach fallen die letztgenannten Renten in den Geltungsbereich dieser Verordnung, denn sie beruhten auf Rechtsvorschriften des fraglichen Staates, die den Zweig bzw. das System der sozialen Sicherheit für Leistungen bei Alter beträfen. Darüber hinaus sei das Gesetz über die betriebliche Personalvorsorge vom Fürstentum Liechtenstein in seiner Gesamtheit als in den sachlichen Geltungsbereich der besagten Verordnung fallend notifiziert worden.

21

Allerdings könne zum einen nicht ausgeschlossen werden, dass die liechtensteinische berufliche Vorsorge – ungeachtet ihrer durch die genannte Notifikation klargestellten Zugehörigkeit zur Kategorie der koordinierten Rentensysteme – in Anbetracht ihrer privatautonomen Gestaltungsmöglichkeiten etwa nicht als gleichartig im Sinne des Art. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden könne, und zum anderen, dass die Einbeziehung der gesamten Leistungen aus dieser beruflichen Vorsorge in die Beitragsgrundlage der österreichischen Krankenversicherung unionsrechtlich als unzulässige, die Ausübung der Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV behindernde Maßnahme anzusehen wäre.

22

Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 unter Bedachtnahme auf Art. 45 AEUV dahin auszulegen, dass Altersrenten aus einem Rentensystem der beruflichen Personalvorsorge (das staatlich initiiert und gewährleistet wird, die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise ermöglichen soll, nach dem Kapitalisierungsprinzip funktioniert, grundsätzlich obligatorisch ist, das jedoch auch über den gesetzlichen Mindestumfang hinausgehende „überobligatorische“ Beiträge und entsprechend höhere Leistungen vorsehen kann, und dessen Durchführung einer vom Arbeitgeber zu errichtenden oder verwendeten Vorsorgeeinrichtung obliegt, wie vorliegend das Rentensystem der „zweiten Säule“ in Liechtenstein) und Alterspensionen aus einem gesetzlichen Pensionssystem (das ebenfalls staatlich initiiert und gewährleistet wird, die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise ermöglichen soll, jedoch nach dem Umlageprinzip funktioniert, obligatorisch ist und dessen Durchführung gesetzlich eingerichteten Pensionsversicherungsträgern obliegt, wie vorliegend das Pensionssystem Österreichs) „gleichartig“ im Sinne der genannten Bestimmung sind?

Zur Vorlagefrage

23

Einleitend ist erstens festzustellen, dass Leistungen bei Alter, wenn sie in einer Erklärung im Sinne des Art. 9 der Verordnung Nr. 883/2004 aufgeführt sind, in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile Mora Romero, C‑131/96, EU:C:1997:317, Rn. 25, und Pérez García u. a., C‑225/10, EU:C:2011:678, Rn. 36).

24

Es steht fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende berufliche Vorsorge in ihrer Gesamtheit Gegenstand einer gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 883/2004 abgegebenen Erklärung des Fürstentums Liechtenstein war, das für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung einem Mitgliedstaat gleichzustellen ist. Die nach diesem System gezahlten Leistungen bei Alter sind daher als in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fallend zu betrachten.

25

Zweitens betrifft die Frage, auch wenn sie sich allgemein auf Art. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 bezieht, in Wirklichkeit die Auslegung des Begriffs „gleichartige Leistungen“ im Sinne des Art. 5 Buchst. a der Verordnung.

26

Demzufolge ist die Frage des vorlegenden Gericht so zu verstehen, dass es mit ihr wissen möchte, ob Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Leistungen bei Alter, die aus einem System der beruflichen Vorsorge eines Mitgliedstaats bezogen werden, und solche, die aus einem gesetzlichen Pensionssystem eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden, wobei beide Systeme in den Geltungsbereich der besagten Verordnung fallen, gleichartige Leistungen im Sinne dieser Bestimmung sind.

27

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Bestimmung der Bedeutung einer Vorschrift des Unionsrechts, wie hier von Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004, sowohl ihr Wortlaut als auch ihr Zusammenhang und ihre Ziele zu berücksichtigen (vgl. u. a. Urteil Angerer, C‑477/13, EU:C:2015:239, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Der Wortlaut von Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 enthält keine Hinweise, wie die Worte „gleichartige Leistungen“ auszulegen sind. Wie vom Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt, hat jedoch der Begriff „gleichartige Leistungen“ im Sinne dieser Bestimmung entgegen dem Vorschlag der Kommission nicht notwendigerweise dieselbe Bedeutung wie der Begriff „Leistungen gleicher Art“ in Art. 53 derselben Verordnung. Wenn nämlich der Unionsgesetzgeber die Kriterien, die von der Rechtsprechung zur Auslegung dieses Begriffs der Leistungen gleicher Art im Kontext der Anwendung der Doppelleistungsbestimmungen entwickelt wurden, hätte anwenden wollen, hätte er die gleiche Terminologie im Rahmen der Anwendung des Gleichstellungsgrundsatzes verwendet.

29

Was den Kontext von Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 betrifft, ist es, wie von der österreichischen Regierung vorgetragen, zwar richtig, dass andere Bestimmungen wie Art. 30 dieser Verordnung und Art. 30 der Verordnung Nr. 987/2009 dazu bestimmt sein können, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen der Träger eines Mitgliedstaats unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Beiträge zur Deckung der Leistungen bei Krankheit verlangen und erheben kann. Dieser Umstand allein schließt jedoch nicht aus, dass besagter Art. 5 Buchst. a ebenfalls dazu bestimmt sein kann, diese Voraussetzungen zu regeln.

30

Im Übrigen ergibt sich aus Art. 30 der Verordnung Nr. 883/2004 und Art. 30 der Verordnung Nr. 987/2009, dass sie einige punktuelle Beschränkungen der Möglichkeit für die Mitgliedstaaten einführen, Beiträge zur Deckung u. a. der Leistungen bei Krankheit zu verlangen und zu erheben. So sollen diese Artikel nicht das Verlangen und Erheben der Beiträge in einer Weise regeln, dass das Verlangen und Erheben nach dem Einleitungssatz von Art. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 vom Geltungsbereich des genannten Art. 5 Buchst. a ausgeschlossen wäre.

31

Was das Ziel des Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 betrifft, ergibt sich aus deren neuntem Erwägungsgrund, dass der Unionsgesetzgeber im Text dieser Verordnung den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen, Einkünften und Sachverhalten einführen wollte, damit dieser unter Beachtung des Inhalts und des Geistes der Gerichtsentscheidungen des Gerichtshofs ausgeformt wird.

32

So ist zunächst festzustellen, dass zwei Leistungen bei Alter nicht allein deshalb als gleichartig im Sinne des Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden können, weil sie beide in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen. Abgesehen davon, dass eine solche Auslegung nicht durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestärkt wird, würde sie nämlich dem in dieser Bestimmung vorgesehenen und vom Unionsgesetzgeber gewollten Erfordernis der Gleichartigkeit jede Bedeutung nehmen, da die besagte Bestimmung in jedem Fall nur auf Leistungen anwendbar sein soll, die in den genannten Geltungsbereich fallen.

33

Sodann ist, wenn es sich genauer um Leistungen bei Alter wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden handelt und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs, auf die der Unionsgesetzgeber im neunten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004 Bezug nimmt, der Begriff „gleichartige Leistungen“ im Sinne des Art. 5 Buchst. a dieser Verordnung dahin auszulegen, dass er sich im Wesentlichen auf zwei Leistungen bei Alter bezieht, die vergleichbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Klöppel, C‑507/06, EU:C:2008:110, Rn. 19).

34

Hinsichtlich der Vergleichbarkeit solcher Leistungen bei Alter ist das durch diese Leistungen und die sie einführenden Regelungen verfolgte Ziel zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteil O, C‑432/14, EU:C:2015:643, Rn. 33).

35

Für das Ausgangsverfahren ergibt sich aus dem Wortlaut der Frage selbst, dass die von der liechtensteinischen beruflichen Vorsorge und die vom österreichischen gesetzlichen Pensionssystem bezogenen Leistungen bei Alter dasselbe Ziel verfolgen, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht.

36

Daraus folgt, dass Leistungen bei Alter wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als vergleichbar anzusehen sind. Insoweit kann, wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge dargelegt hat, die Tatsache, dass es insbesondere in Bezug auf die Art und Weise des Erwerbs der Ansprüche auf diese Leistungen oder die Möglichkeit für die Versicherten, in den Genuss überobligatorischer Leistungen zu kommen, Unterschiede gibt, keine andere Schlussfolgerung rechtfertigen.

37

Schließlich ist nicht ersichtlich, dass eine objektive Rechtfertigung dafür vorläge, die betreffenden Leistungen bei Alter unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht gleich zu behandeln. Eine solche Rechtfertigung könnte gegebenenfalls bestehen, wenn, wie die EFTA-Überwachungsbehörde zu Recht vorgetragen hat, in Österreich Beiträge zur Deckung der Leistungen bei Krankheit auf die von der liechtensteinischen beruflichen Vorsorge bezogenen Leistungen bei Alter erhoben würden, obwohl solche Beiträge schon in Liechtenstein erhoben wurden. Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt sich jedoch nicht, dass dies im Ausgangsverfahren der Fall wäre.

38

Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen ist, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Leistungen bei Alter, die aus einem System der beruflichen Vorsorge eines Mitgliedstaats bezogen werden, und solche, die aus einem gesetzlichen Pensionssystem eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden, wobei beide Systeme in den Geltungsbereich der besagten Verordnung fallen, gleichartige Leistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, wenn die beiden Kategorien von Leistungen dasselbe Ziel verfolgen, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht.

Kosten

39

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 5 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Leistungen bei Alter, die aus einem System der beruflichen Vorsorge eines Mitgliedstaats bezogen werden, und solche, die aus einem gesetzlichen Pensionssystem eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden, wobei beide Systeme in den Geltungsbereich der besagten Verordnung fallen, gleichartige Leistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, wenn die beiden Kategorien von Leistungen dasselbe Ziel verfolgen, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Deutsch.