URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

9. Juni 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Straßenverkehr — Verordnung (EG) Nr. 561/2006 — Haftung des Fahrers für Verstöße gegen die Pflicht zur Nutzung eines Fahrtenschreibers“

In der Rechtssache C‑287/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gyulai törvényszék (Gericht von Gyula, Ungarn) mit Entscheidung vom 4. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2014, in dem Verfahren

Eurospeed Ltd

gegen

Szegedi Törvényszék

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Richters E. Levits in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und des Richters S. Rodin,

Generalanwalt: Y. Bot

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Eurospeed Ltd, vertreten durch D. Irinkov, ügyvéd,

der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Szima und M. Bóra als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Galluzzo, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Havas und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Grundsatzes der Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die dem Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Unionsrecht entstanden sind, sowie von Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. 2006, L 102, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Eurospeed Ltd und dem Szegedi törvényszék (Gericht von Szeged, Ungarn) über den Ersatz des Schadens, der aufgrund einer von diesem Gericht gegen drei Mitarbeiter von Eurospeed, die in deren Rechte eingetreten ist, zur Ahndung von Verstößen gegen die Verpflichtung aus der Verordnung Nr. 561/2006 verhängten Geldbuße entstanden ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Die Erwägungsgründe 17, 27 und 31 der Verordnung Nr. 561/2006 lauten:

„(17)

Mit dieser Verordnung sollen die sozialen Bedingungen für die von ihr erfassten Arbeitnehmer sowie die allgemeine Straßenverkehrssicherheit verbessert werden. Dazu dienen insbesondere die Bestimmungen über die maximale Lenkzeit pro Tag, pro Woche und pro Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen, die Bestimmung über die Verpflichtung der Fahrer, mindestens einmal in jedem Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen eine regelmäßige wöchentliche Ruhezeit zu nehmen, und die Bestimmungen, wonach eine tägliche Ruhezeit unter keinen Umständen einen ununterbrochenen Zeitraum von neun Stunden unterschreiten sollte. Da diese Bestimmungen angemessene Ruhepausen garantieren, ist unter Berücksichtigung der Erfahrungen mit der praktischen Durchführung in den vergangenen Jahren ein Ausgleichssystem für reduzierte tägliche Ruhezeiten nicht mehr notwendig.

(27)

Im Interesse einer klaren und wirksamen Durchsetzung dieser Verordnung sind einheitliche Bestimmungen über die Haftung von Verkehrsunternehmen und Fahrern bei Verstößen gegen diese Verordnung wünschenswert. Diese Haftung kann in den Mitgliedstaaten gegebenenfalls strafrechtliche, zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen zur Folge haben.

(31)

Die Verordnung (EWG) Nr. 3821/85 [des Rates vom 20. Dezember 1985 über das Kontrollgerät im Straßenverkehr (ABl. 1985, L 370, S. 8)] sollte geändert werden, um die besonderen Verpflichtungen der Verkehrsunternehmen und der Fahrer klar herauszustellen sowie um die Rechtssicherheit zu fördern und die Durchsetzung der maximalen Lenk- und Ruhezeiten durch Straßenkontrollen zu erleichtern.“

4

Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 561/2006 bestimmt:

„Die von einem Fahrer verbrachte Zeit, um zu einem in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Fahrzeug, das sich nicht am Wohnsitz des Fahrers oder der Betriebsstätte des Arbeitgebers, dem der Fahrer normalerweise zugeordnet ist, befindet, anzureisen oder von diesem zurückzureisen, ist nur dann als Ruhepause oder Fahrtunterbrechung anzusehen, wenn sich der Fahrer in einem Zug oder auf einem Fährschiff befindet und Zugang zu einer Koje oder einem Liegewagen hat.“

5

Art. 10 Abs. 1, 2 und 3 der Verordnung Nr. 561/2006 sieht vor:

„(1)   Verkehrsunternehmen dürfen angestellten oder ihnen zur Verfügung gestellten Fahrern keine Zahlungen in Abhängigkeit von der zurückgelegten Strecke und/oder der Menge der beförderten Güter leisten, auch nicht in Form von Prämien oder Lohnzuschlägen, falls diese Zahlungen geeignet sind, die Sicherheit im Straßenverkehr zu gefährden und/oder zu Verstößen gegen diese Verordnung [zu] ermutigen.

(2)   Das Verkehrsunternehmen organisiert die Arbeit der in Absatz 1 genannten Fahrer so, dass diese die Bestimmungen der Verordnung … Nr. 3821/85 sowie des Kapitels II der vorliegenden Verordnung einhalten können. Das Verkehrsunternehmen hat den Fahrer ordnungsgemäß anzuweisen und regelmäßig zu überprüfen, dass die Verordnung … Nr. 3821/85 und Kapitel II der vorliegenden Verordnung eingehalten werden.

(3)   Das Verkehrsunternehmen haftet für Verstöße von Fahrern des Unternehmens, selbst wenn der Verstoß im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates oder eines Drittstaates begangen wurde.

Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, Verkehrsunternehmen uneingeschränkt haftbar zu machen, können die Mitgliedstaaten diese Haftung von einem Verstoß des Unternehmens gegen die Absätze 1 und 2 abhängig machen. Die Mitgliedstaaten können alle Beweise prüfen, die belegen, dass das Verkehrsunternehmen billigerweise nicht für den begangenen Verstoß haftbar gemacht werden kann.“

6

Art. 19 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 561/2006 lautet:

„(1)   Die Mitgliedstaaten legen für Verstöße gegen die vorliegende Verordnung und die Verordnung … Nr. 3821/85 Sanktionen fest und treffen alle erforderlichen Maßnahmen, um deren Durchführung zu gewährleisten. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig, abschreckend und nicht diskriminierend sein. Ein Verstoß gegen die vorliegende Verordnung und gegen die Verordnung … Nr. 3821/85 kann nicht mehrmals Gegenstand von Sanktionen oder Verfahren sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Maßnahmen und die Regeln bezüglich Sanktionen bis zu dem in Artikel 29 Absatz 2 genannten Datum mit. Die Kommission informiert die Mitgliedstaaten entsprechend.

(2)   Ein Mitgliedstaat ermächtigt die zuständigen Behörden, gegen ein Unternehmen und/oder einen Fahrer bei einem in seinem Hoheitsgebiet festgestellten Verstoß gegen diese Verordnung eine Sanktion zu verhängen, sofern hierfür noch keine Sanktion verhängt wurde, und zwar selbst dann, wenn der Verstoß im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats begangen wurde.

Dabei gilt folgende Ausnahmeregelung: Wird ein Verstoß festgestellt,

der nicht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats begangen wurde und

der von einem Unternehmen, das seinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat hat, oder von einem Fahrer, der seinen Arbeitsplatz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat hat, begangen wurde,

so kann ein Mitgliedstaat bis zum 1. Januar 2009, anstatt eine Sanktion zu verhängen, der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats oder des Drittstaats, in dem das Unternehmen seinen Sitz oder der Fahrer seinen Arbeitsplatz hat, den Verstoß melden.“

7

Art. 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 561/2006 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission regelmäßig relevante Informationen über die nationale Auslegung und Anwendung dieser Verordnung; die Kommission stellt diese Informationen den anderen Mitgliedstaaten in elektronischer Form zur Verfügung.“

8

Art. 15 Abs. 7 der Verordnung Nr. 3821/85 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl. 2006, L 102, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: geänderte Verordnung Nr. 3821/85) bestimmt:

„a)

Lenkt der Fahrer ein Fahrzeug, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I ausgerüstet ist, so muss er den Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit Folgendes vorlegen können:

i)

die Schaublätter für die laufende Woche und die vom Fahrer in den vorausgehenden 15 Tagen verwendeten Schaublätter,

ii)

die Fahrerkarte, falls er Inhaber einer solchen Karte ist, und

iii)

alle während der laufenden Woche und der vorausgehenden 15 Tage erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen und Ausdrucke, die gemäß der vorliegenden Verordnung und der Verordnung … Nr. 561/2006 vorgeschrieben sind.

Nach dem 1. Januar 2008 umfassen die in den Ziffern i und iii genannten Zeiträume jedoch den laufenden Tag und die vorausgehenden 28 Tage.

b)

Lenkt der Fahrer ein Fahrzeug, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I B ausgerüstet ist, so muss er den Kontrollbeamten auf Verlangen jederzeit Folgendes vorlegen können:

i)

[d]ie Fahrerkarte, falls er Inhaber einer solchen Karte ist,

ii)

alle während der laufenden Woche und der vorausgehenden 15 Tage erstellten handschriftlichen Aufzeichnungen und Ausdrucke, die gemäß der vorliegenden Verordnung und der Verordnung … Nr. 561/2006 vorgeschrieben sind, und

iii)

die Schaublätter für den Zeitraum gemäß dem vorigen Unterabsatz, falls er in dieser Zeit ein Fahrzeug gelenkt hat, das mit einem Kontrollgerät gemäß Anhang I ausgerüstet ist.

Nach dem 1. Januar 2008 umfasst der in Ziffer ii genannte Zeitraum jedoch den laufenden Tag und die vorausgehenden 28 Tage.

c)

Ein ermächtigter Kontrollbeamter kann die Einhaltung der Verordnung … Nr. 561/2006 überprüfen, indem er die Schaublätter, die im Kontrollgerät oder auf der Fahrerkarte gespeicherten Daten (mittels Anzeige oder Ausdruck) oder anderenfalls jedes andere beweiskräftige Dokument, das die Nichteinhaltung einer Bestimmung wie etwa des Artikels 16 Absätze 2 und 3 belegt, analysiert.“

Ungarisches Recht

9

§ 20 des Közúti közlekedésről szóló 1988. évi I. törvény (Gesetz Nr. I aus dem Jahr 1988 über den Straßenverkehr, im Folgenden: Straßenverkehrsgesetz) bestimmt:

„(1)   Mit einer Geldbuße belegt wird jede Person, die gegen die in diesem Gesetz sowie in spezifischen Rechtsnormen und in Gemeinschaftsrechtsakten festgelegten Bestimmungen verstößt betreffend

d)

die Verwendung des Kontrollgeräts und der Tachoscheiben im Straßenverkehr sowie der für die digitalen Fahrtenschreiber notwendigen Schreiberkarten,

(2)   Zur Durchführung des Bußgeldverfahrens sind befugt (entsprechend ihrer in Abs. 11 definierten Kontrollzuständigkeit): die Verkehrsbehörde, die Polizei, die Zollbehörde, die Katastrophenschutzbehörde, die Beschäftigungsbehörde und die für die Überwachung von öffentlichen Räumen zuständige Behörde.

(3)   Die Bestimmungen der spezifischen Rechtsnorm, die die Kontrolltätigkeit der für das Verfahren zuständigen Behörde regeln, sind auf das Bußgeldverfahren gemäß Abs. 2 anwendbar, sofern dieser Paragraf nichts anderes bestimmt.

(4)   Gegen jede Person – mit Ausnahme des Mieters oder Fahrers eines Personenkraftwagens, der von einem Kraftfahrzeugflottenbetreiber im Sinne des Gesetzes über die Zulassungssteuer gemietet wird, wenn die für das Fahrzeug anfallende Zulassungssteuer entrichtet wurde und der Fahrer des Personenkraftwagens dies durch die Vorlage einer Bescheinigung der Zollbehörde nachweist –, die gegen eine Bestimmung des Abs. 1 Buchst. a bis j und l verstößt, kann eine Geldbuße von 10000 bis 800000 [ungarischen] Forint [HUF] und im Fall von Buchst. k von 10000 bis 300000 [HUF] verhängt werden. Eine spezifische Rechtsnorm legt den Höchstbetrag der zu verhängenden Geldbußen bei Verstößen gegen die verschiedenen Bestimmungen sowie die Geldbuße fest, die für mehrere widerrechtliche Handlungen oder widerrechtliche Unterlassungen im selben Verfahren verhängt werden kann. Nach Ablauf von zwei Jahren seit Begehung der Zuwiderhandlung wird keine Geldbuße mehr verhängt (Verjährung).

(5)   Die Geldbuße ist von der Person zu zahlen, die für die Zuwiderhandlung gegen eine der vorgenannten Bestimmungen verantwortlich ist. Kann die Verantwortlichkeit mehrerer Personen festgestellt werden, sind diese zur Zahlung der in der spezifischen Rechtsnorm bestimmten Geldbuße entsprechend dem jeweiligen Anteil ihrer Verantwortlichkeit für die Zuwiderhandlung verpflichtet. Kann ihr Haftungsanteil nicht bestimmt werden, lastet die Verpflichtung zur Zahlung der Geldbuße zu gleichen Teilen auf ihnen. Die Verpflichtung zur Zahlung der Geldbuße besteht nicht bei einem zwingenden Grund, der außerhalb der Verantwortlichkeit der Person im Straßenverkehr liegt und den sie weder vorhergesehen hat noch vernünftigerweise vorhersehen konnte.

…“

10

Mit § 48 Abs. 3 Buchst. a Nr. 15 des Straßenverkehrsgesetzes hat der Gesetzgeber die Regierung ermächtigt, per Regierungsverordnung u. a. „die Höhe der Geldbußen, die bei Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen über den Straßengüterverkehr und den Massengütertransport sowie gegen bestimmte Straßenverkehrsvorschriften verhängt werden können, sowie allgemeine Vorschriften über die Aufgaben der Verwaltung im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldbußen festzulegen“.

11

§ 5 der közúti árufuvarozáshoz, személyszállításhoz és a közúti közlekedéshez kapcsolódó egyes rendelkezések megsértése esetén kiszabható bírságok összegéről, valamint a bírságolással összefüggő hatósági feladatokról szóló 156/2009. kormányrendelet (Regierungsverordnung Nr. 156/2009 über die Höhe von Geldbußen für Verstöße gegen bestimmte Vorschriften über die Beförderung von Waren und Personen auf der Straße und den Straßenverkehr sowie über die Festlegung der verwaltungsrechtlichen Zuständigkeiten für die Verhängung von Geldbußen) vom 29. Juli 2009 bestimmt Folgendes:

„In Bezug auf Art. 20 Abs. 1 Buchst. d des [Straßenverkehrsgesetzes] ist der Betrag der Geldbuße, der gemäß Anhang 4 dieser Verordnung festgelegt wurde – vorbehaltlich entgegenstehender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften – von der Person zu entrichten, die gegen eine Bestimmung über das Kontrollgerät und den Fahrtenschreiber sowie über ihre Verwendung verstößt, wie bestimmt:

e)

in der Verordnung … Nr. 3821/85.

…“

12

Nach Angaben des vorlegenden Gerichts haben die Positionen I2 und I3 in Anhang 4 der Regierungsverordnung Nr. 156/2009 folgenden Wortlaut:

„I2: Bußgeldbewehrte Handlung: Der Fahrer ist außerstande, die auf der Scheibe oder der Fahrerkarte für den betreffenden Tag aufgezeichneten Informationen vorzuweisen. Höhe der Geldbuße: 400000 [HUF]. Schuldner der Geldbuße: der Fahrer.

I3: Bußgeldbewehrte Handlung: Der Fahrer ist außerstande, die auf der Scheibe innerhalb der letzten 28 Tage aufgezeichneten Informationen vorzuweisen. Höhe der Geldbuße: 400000 [HUF]. Schuldner der Geldbuße: der Fahrer; das Transportunternehmen.“

13

Art. 340 Abs. 1 des Polgári perrendtartásról szóló 1952. évi III. törvény (Gesetz Nr. III von 1952 über die Zivilprozessordnung, im Folgenden: Zivilprozessordnung) sieht vor:

„Gegen das Urteil des Gerichts kann – außer in den Fällen des Abs. 2 – keine Berufung eingelegt werden.“

14

In Art. 340/A Abs. 2 der Zivilprozessordnung heißt es:

„Revision kann nicht eingelegt werden …

b)

in Bußgeldangelegenheiten …, wenn die Zahlungsverpflichtung oder die Entschädigungssumme, die im Verwaltungsverfahren oder in der Bußgeldentscheidung festgelegt wurde, 1 Million [HUF] nicht übersteigt.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15

Eurospeed ist ein in Bulgarien eingetragenes Verkehrsunternehmen. Bei ihr sind die bulgarischen Staatsangehörigen Ivaylo Todorov Dishev, Deyan Todorov Dishev und Stoyan Dimov als Fahrer angestellt.

16

Auf dem Weg zwischen der Tschechischen Republik und Bulgarien wurden in der Tschechischen Republik zugelassene Lkws, die von den oben in Rn. 15 des vorliegenden Urteils genannten Personen geführt wurden, an der Grenze zwischen Ungarn und Rumänien durch Bedienstete der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Csongrád Megyei Vám- és Pénzügyőri Igazgatósága (Zoll‑ und Finanzdirektion für das Komitat Tschongrad, Ungarn) einer Kontrolle unterzogen.

17

Herr Ivaylo Todorov Dishev und Herr Diyan Todorov Dishev konnten bei dieser Kontrolle weder Tachoscheiben noch handschriftliche Aufzeichnungen vorweisen, auf denen ihre Tätigkeiten in den vorangegangenen 28 Tagen verzeichnet waren.

18

Aufgrund dieses Sachverhalts stellte die Zoll- und Finanzdirektion für das Komitat Tschongrad fest, dass diese beiden Fahrer gegen Art. 15 Abs. 7 der geänderten Verordnung Nr. 3821/85 sowie gegen Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 561/2006 verstoßen hätten und erlegte ihnen jeweils eine Geldbuße in Höhe von 400000 HUF (ungefähr 1280 Euro) auf.

19

Sie war der Auffassung, dass Herr Dimov, der kein gültiges Dokument vorweisen konnte, das belegt hätte, welcher Tätigkeit er vor dem 12. April 2013, dem Zeitpunkt seiner Einstellung als Fahrer bei Eurospeed, nachgegangen war, gegen die Bestimmungen von Art. 15 Abs. 7 der geänderten Verordnung Nr. 3821/85 verstoßen habe, und erlegte ihm eine Geldbuße von 400000 HUF (ungefähr 1280 Euro) auf.

20

Die Nemzeti Adó- és Vámhivatal Regionális Vám- és Pénzügyőri Főigazgatósága (regionale Zoll‑ und Finanzgeneraldirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) bestätigte mit Entscheidungen vom 30. Mai, 31. Mai und 3. Juni 2013 die Entscheidungen der Zoll‑ und Finanzdirektion für das Komitat Tschongrad.

21

Die von den Fahrern, um die es im Ausgangsverfahren geht, erhobenen Klagen gegen diese Entscheidungen wurden vom Szegedi közigazgatási és munkaügyi bíróság (Verwaltungs‑ und Arbeitsgericht Szeged, Ungarn) abgewiesen. Es wies insbesondere das Argument zurück, die Geldbußen hätten Eurospeed und nicht den Fahrern auferlegt werden müssen.

22

Gemäß den Art. 340 und 340/A der Zivilprozessordnung war gegen das Urteil des Szegedi közigazgatási és munkaügyi bíróság (Verwaltungs‑ und Arbeitsgericht Szeged) weder Berufung noch Revision möglich.

23

Eurospeed, die die ihren Angestellten auferlegten Geldbußen zahlte, erhob vor dem Gyulai törvényszék (Gericht von Gyula, Ungarn) Klage und beantragte als Ersatz des Schadens aus der Verletzung des Unionsrechts durch das Szegedi közigazgatási és munkaügyi bíróság (Verwaltungs‑ und Arbeitsgericht Szeged) die Zahlung eines Betrags von 1248000 HUF (ungefähr 3992 Euro), der dem Betrag der Geldbußen und der Rechtsbehelfsgebühren entspricht, sowie die auf diesen Betrag anfallenden Verzugszinsen.

24

Hierzu macht Eurospeed u. a. geltend, dass das Szegedi közigazgatási és munkaügyi bíróság (Verwaltungs‑ und Arbeitsgericht Szeged) gegen Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 561/2006 verstoßen habe, indem es die Klage ihrer Angestellten abgewiesen habe, obwohl nicht ihnen, sondern ihr selbst die Geldbußen hätten auferlegt werden müssen. Zur Stützung dieser Rüge beruft sich Eurospeed auf mehrere nationale Entscheidungen, aus denen hervorgehe, dass die Geldbuße bei einem solchen Sachverhalt dem Verkehrsunternehmen und nicht dem bei ihm angestellten Fahrer aufzuerlegen sei. Die Geldbuße sei dem Fahrer nur dann aufzuerlegen, wenn das Verkehrsunternehmen von seiner Haftung befreit sei.

25

Das Szegedi törvényszék (Gericht von Szeged), dem das Szegedi közigazgatási és munkaügyi bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Szeged) als organisatorische Einheit angehört, beantragt, die Klage abzuweisen, da es im Hinblick auf die Rechtsprechung der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) der Ansicht ist, dass es rechtmäßig sei, dem Fahrer eines Fahrzeugs eine Geldbuße aufzuerlegen. Jedenfalls liege kein hinreichend eklatanter und offensichtlicher Rechtsverstoß vor.

26

Das vorlegende Gericht führt u. a. aus, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Rechtsvorschriften als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen werden könnten, wenn Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 561/2006 dahin auszulegen sein sollte, dass er dem entgegensteht, dass die von den Mitgliedstaaten vorgesehenen Sanktionen zur Ahndung von Verstößen gegen die Verpflichtungen aus der Verordnung – ausschließlich oder nicht – den Fahrer eines Fahrzeugs treffen können. Demnach könnte dieser Verstoß gegen Unionsrecht die Staatshaftung auslösen.

27

Unter diesen Umständen hat das Gyulai törvényszék (Gericht von Gyula) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Zu den Vorlagefragen

Zur zweiten Frage

28

Mit seiner zweiten Frage, die als Erstes zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 561/2006, insbesondere ihr Art. 10 Abs. 3, dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die anstelle oder zusätzlich zum Verkehrsunternehmen, bei dem der Fahrer angestellt ist, Letzterem die Haftung für von ihm selbst gegen diese Verordnung begangene Verstöße auferlegt.

29

Nach der Vorlageentscheidung legen Eurospeed und das vorlegende Gericht Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 561/2006 dahin aus, dass er der Verhängung von Sanktionen gegen einen Fahrer zur Ahndung von durch ihn begangenen Verstößen gegen die Verordnung entgegensteht.

30

Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.

31

Erstens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 561/2006 bestimmt, dass ein Mitgliedstaat die zuständigen Behörden ermächtigt, gegen ein Unternehmen und/oder einen Fahrer bei einem in seinem Hoheitsgebiet festgestellten Verstoß gegen diese Verordnung eine Sanktion zu verhängen, sofern hierfür noch keine Sanktion verhängt wurde.

32

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht demnach klar hervor, dass durch die Verordnung Nr. 561/2006 sowohl den Verkehrsunternehmen als auch den Fahrern bestimmte Verpflichtungen auferlegt werden und dass beide für Verstöße gegen ihre jeweiligen Verpflichtungen haftbar gemacht werden.

33

Der Auffassung des vorlegenden Gerichts, nach der Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 561/2006 nur den Fall betreffe, dass der Verstoß im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begangen wurde, kann insoweit nicht gefolgt werden. Dass Art. 19 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei einem Verstoß gegen die Verordnung Sanktionen gegen ein Unternehmen und/oder einen Fahrer verhängen, „und zwar selbst dann, wenn [dieser] Verstoß im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats begangen wurde“, bedeutet im Umkehrschluss, dass ein Mitgliedstaat jedenfalls befugt ist, entweder gegen ein Unternehmen oder einen Fahrer oder gegen beide für einen in seinem Hoheitsgebiet begangenen Verstoß eine Sanktion zu verhängen. Entgegen der Auslegung des vorlegenden Gerichts ist der Umstand, dass durch die genannte Bestimmung die Möglichkeit, Sanktionen zu verhängen, auf außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats gegen die Verordnung Nr. 561/2006 begangene Verstöße ausgeweitet wird, nicht so auszulegen, dass das Spektrum der Verstöße, die geahndet werden können, auf die im Hoheitsgebiet eines anderen Staats begangenen Verstöße beschränkt werden.

34

Diese Auslegung wird u. a durch den 27. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 561/2006 bestätigt, nach dem im Interesse ihrer klaren und wirksamen Durchsetzung einheitliche Bestimmungen über die Haftung von Verkehrsunternehmen und Fahrern bei Verstößen gegen diese Verordnung wünschenswert sind, wobei diese Haftung in den Mitgliedstaaten gegebenenfalls strafrechtliche, zivilrechtliche oder verwaltungsrechtliche Sanktionen zur Folge haben kann. Aus dem Wortlaut dieses Erwägungsgrundes geht eindeutig hervor, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, Haftungsregelungen für Fahrer betreffend Verstöße gegen die Verordnung zu bestimmen, und dass sie im Hinblick auf die Art der anwendbaren Sanktionen über einen Ermessensspielraum verfügen.

35

Zudem sollte nach dem 31. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 561/2006 die Verordnung Nr. 3821/85 geändert werden, um die besonderen Verpflichtungen der Verkehrsunternehmen und der Fahrer klar herauszustellen sowie die Rechtssicherheit zu fördern und die Durchsetzung der maximalen Lenk- und Ruhezeiten durch Straßenkontrollen zu erleichtern. Aus dem Wortlaut dieses Erwägungsgrundes geht hervor, dass die Verordnung Nr. 561/2006, die außerdem die Verordnung Nr. 3821/85 ändert, insbesondere die Pflichten der Fahrer betrifft, zu deren Einhaltung sie nach der letztgenannten Verordnung verpflichtet sind. Da zum einen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 19 Abs. 1 der Verordnung Nr. 561/2006 verpflichtet sind, Sanktionen für Verstöße gegen diese Verordnung festzulegen, wobei diese Sanktionen wirksam, verhältnismäßig, abschreckend und nicht diskriminierend sein müssen, und da zum anderen die Verordnung die Haftung der Fahrer nicht ausschließt, können die Mitgliedstaaten Bestimmungen erlassen, die die Verhängung von Sanktionen – ausschließlich oder nicht – gegen Fahrer ermöglichen.

36

Im Übrigen ist festzustellen, dass durch Art. 15 der geänderten Verordnung Nr. 3821/85 Verpflichtungen festgelegt werden, die nur für Fahrer gelten und die diese zur Vermeidung ihrer Haftung einhalten müssen.

37

Zweitens ist im Hinblick auf den vom vorlegenden Gericht angeführten Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 561/2006 festzustellen, dass diese Bestimmung, mit der besondere Regelungen für die Haftung von Verkehrsunternehmen geschaffen werden, nicht isoliert auszulegen, sondern in Verbindung mit den Bestimmungen von Art. 10 Abs. 1 und 2 der Verordnung zu lesen ist, die diesen Unternehmen Pflichten hinsichtlich der Bezahlung der Fahrer und deren Arbeitsorganisation auferlegen. Des Weiteren haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 561/2006 zwar das Recht, Verkehrsunternehmen für Verstöße ihrer Fahrer uneingeschränkt haftbar zu machen, jedoch lässt sich weder aus dieser Bestimmung noch aus irgendeiner anderen Bestimmung der Verordnung entnehmen, dass die Mitgliedstaaten gezwungen wären, den Unternehmen eine uneingeschränkte Haftung für solche Verstöße aufzuerlegen. Deswegen kann aus Art. 10 Abs. 3 der Verordnung nicht abgeleitet werden, dass dieser dem entgegenstehe, dass ein Mitgliedstaat die zuständigen Behörden ermächtigt, Sanktionen gegen Fahrer zu verhängen, die Verstöße gegen die Verordnung begehen.

38

Drittens genügt im Hinblick auf den 17. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 561/2006 zum einen die Feststellung, dass es zwar zutrifft, dass mit der Verordnung u. a. die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für das Personal im Straßenverkehrsgewerbe bezweckt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 2013, Lundberg, C‑317/12, EU:C:2013:631, Rn. 31, und vom 13. März 2014, A. Karuse, C‑222/12, EU:C:2014:142, Rn. 29), jedoch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigte, die Fahrer von jeglicher Haftung für von ihnen begangene Verstöße zu befreien, insbesondere wenn Letztere ausschließlich mit der Ausübung ihrer Tätigkeit in Verbindung stehen.

39

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 561/2006 zudem das Ziel verfolgt, die allgemeine Straßenverkehrssicherheit zu verbessern. Die beiden Zielsetzungen der Verordnung, nämlich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Straßenverkehrssicherheit, finden daher beide Ausdruck in der Verpflichtung, Fahrzeuge, die der Beförderung im Straßenverkehr dienen, grundsätzlich mit einem genehmigten Kontrollgerät auszustatten, das die Kontrolle der Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten von Fahrern ermöglicht. Eine Auslegung der Verordnung, nach der diese der Möglichkeit entgegenstünde, gegen die Fahrer Sanktionen zu verhängen, um von ihnen begangene Verstöße gegen ihre Pflichten aus der Verordnung zu ahnden, würde jedoch namentlich die Erreichung des Ziels der Verbesserung der allgemeinen Straßenverkehrssicherheit behindern.

40

Im Übrigen hat der Gerichtshof in den Urteilen vom 9. Februar 2012, Urbán (C‑210/10, EU:C:2012:64), vom 3. Oktober 2013, Lundberg (C‑317/12, EU:C:2013:631), und vom 13. März 2014, A. Karuse (C‑222/12, EU:C:2014:142), bereits implizit festgestellt, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, den Fahrern eine solche Sanktion aufzuerlegen.

41

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 561/2006 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die anstelle oder zusätzlich zu dem Verkehrsunternehmen, bei dem der Fahrer angestellt ist, Letzterem die Haftung für von ihm selbst gegen diese Verordnung begangene Verstöße auferlegt.

Zur ersten und zur dritten Frage

42

In Anbetracht der Antwort auf die zweite Frage sind die erste und die dritte Frage nicht zu beantworten.

Kosten

43

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die anstelle oder zusätzlich zu dem Verkehrsunternehmen, bei dem der Fahrer angestellt ist, Letzterem die Haftung für von ihm selbst gegen diese Verordnung begangene Verstöße auferlegt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.