Rechtssache C‑266/14
Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras (CC.OO.)
gegen
Tyco Integrated Security SL
und
Tyco Integrated Fire & Security Corporation Servicios SA
(Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht von der Audiencia Nacional)
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Sozialpolitik — Richtlinie 2003/88/EG — Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer — Arbeitszeitgestaltung — Art. 2 Nr. 1 — Begriff ‚Arbeitszeit‘ — Arbeitnehmer, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort haben — Fahrzeit zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 10. September 2015
Sozialpolitik — Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer — Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung — Arbeitszeit — Begriff — Arbeitnehmer, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort (mehr) haben — Fahrzeit zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden — Einbeziehung
(Richtlinie 2003/88 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Nr. 1)
Sozialpolitik — Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer — Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung — Geltungsbereich — Vergütung — Ausschluss
(Richtlinie 2003/88 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1)
Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass unter Umständen, unter denen die Arbeitnehmer keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort (mehr) haben, die Fahrzeit, die diese Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden aufwenden, „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Es ist nämlich bereits wiederholt entschieden worden, dass Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 den Begriff „Arbeitszeit“ als jede Zeitspanne definiert, während deren ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt, und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen ist, da beide Begriffe einander ausschließen. In diesem Zusammenhang sieht die genannte Richtlinie keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vor.
Was zunächst den ersten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ anbelangt, wonach der Arbeitnehmer seine Tätigkeit auszuüben oder seine Aufgaben wahrzunehmen hat, sind die Fahrten von Arbeitnehmern, die seit der Entscheidung ihres Arbeitgebers, Regionalbüros zu schließen, keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort mehr haben, zu den von diesem Arbeitgeber bestimmten Kunden das notwendige Mittel, damit diese Arbeitnehmer bei den Kunden technische Leistungen erbringen können. Im Übrigen betrachtete der Arbeitgeber vor der Schließung der Regionalbüros die Fahrzeit seiner Arbeitnehmer zwischen den Regionalbüros und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages als Arbeitszeit. Diese Fahrten nicht zu berücksichtigen, liefe darauf hinaus, dass ein Arbeitgeber geltend machen könnte, dass nur die für die betreffenden Tätigkeiten bei den Kunden aufgewandte Zeit unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 falle, was zur Folge hätte, dass dieser Begriff verfälscht und das Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigt würde.
Was sodann den zweiten Bestandteil dieses Begriffs anbelangt, wonach der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, ist der Umstand entscheidend, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Ein Arbeitnehmer steht also nur dann seinem Arbeitgeber zur Verfügung, wenn er sich in einer Lage befindet, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Dagegen spricht es dafür, dass der betrachtete Zeitraum keine Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88 ist, wenn die Arbeitnehmer ohne größere Zwänge über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen können. Im vorliegenden Fall sind die betreffenden Arbeitnehmer während der Fahrzeit zwischen ihrem ersten und ihrem letzten Kunden des Tages verpflichtet, den Anweisungen ihres Arbeitgebers Folge zu leisten, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen kann.
Was schließlich den dritten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ anbelangt, wonach der Arbeitnehmer während der betrachteten Zeitspanne arbeiten muss, ist bei einem Arbeitnehmer, der keinen festen Arbeitsort mehr hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnimmt, auch davon auszugehen, dass er während dieser Fahrt arbeitet. Denn die Fahrten gehören untrennbar zum Wesen eines Arbeitnehmers, der keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort hat, so dass der Arbeitsort solcher Arbeitnehmer nicht auf die Orte beschränkt werden kann, an denen sie bei den Kunden ihres Arbeitgebers physisch tätig werden.
(vgl. Rn. 25, 26, 30, 32, 33, 35-39, 43, 50 und Tenor)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 48)
Rechtssache C‑266/14
Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras (CC.OO.)
gegen
Tyco Integrated Security SL
und
Tyco Integrated Fire & Security Corporation Servicios SA
(Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht von der Audiencia Nacional)
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Sozialpolitik — Richtlinie 2003/88/EG — Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer — Arbeitszeitgestaltung — Art. 2 Nr. 1 — Begriff ‚Arbeitszeit‘ — Arbeitnehmer, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort haben — Fahrzeit zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 10. September 2015
Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung – Arbeitszeit – Begriff – Arbeitnehmer, die keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort (mehr) haben – Fahrzeit zwischen dem Wohnort der Arbeitnehmer und dem Standort des ersten und des letzten Kunden – Einbeziehung
(Richtlinie 2003/88 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Nr. 1)
Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung – Geltungsbereich – Vergütung – Ausschluss
(Richtlinie 2003/88 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1)
Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass unter Umständen, unter denen die Arbeitnehmer keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort (mehr) haben, die Fahrzeit, die diese Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten zwischen ihrem Wohnort und dem Standort des ersten und des letzten von ihrem Arbeitgeber bestimmten Kunden aufwenden, „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt.
Es ist nämlich bereits wiederholt entschieden worden, dass Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 den Begriff „Arbeitszeit“ als jede Zeitspanne definiert, während deren ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder seine Aufgaben wahrnimmt, und dass dieser Begriff im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen ist, da beide Begriffe einander ausschließen. In diesem Zusammenhang sieht die genannte Richtlinie keine Zwischenkategorie zwischen den Arbeitszeiten und den Ruhezeiten vor.
Was zunächst den ersten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ anbelangt, wonach der Arbeitnehmer seine Tätigkeit auszuüben oder seine Aufgaben wahrzunehmen hat, sind die Fahrten von Arbeitnehmern, die seit der Entscheidung ihres Arbeitgebers, Regionalbüros zu schließen, keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort mehr haben, zu den von diesem Arbeitgeber bestimmten Kunden das notwendige Mittel, damit diese Arbeitnehmer bei den Kunden technische Leistungen erbringen können. Im Übrigen betrachtete der Arbeitgeber vor der Schließung der Regionalbüros die Fahrzeit seiner Arbeitnehmer zwischen den Regionalbüros und dem Standort des ersten und des letzten Kunden des Tages als Arbeitszeit. Diese Fahrten nicht zu berücksichtigen, liefe darauf hinaus, dass ein Arbeitgeber geltend machen könnte, dass nur die für die betreffenden Tätigkeiten bei den Kunden aufgewandte Zeit unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88 falle, was zur Folge hätte, dass dieser Begriff verfälscht und das Ziel des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer beeinträchtigt würde.
Was sodann den zweiten Bestandteil dieses Begriffs anbelangt, wonach der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen muss, ist der Umstand entscheidend, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufzuhalten und sich zu dessen Verfügung zu halten, um gegebenenfalls sofort seine Leistungen erbringen zu können. Ein Arbeitnehmer steht also nur dann seinem Arbeitgeber zur Verfügung, wenn er sich in einer Lage befindet, in der er rechtlich verpflichtet ist, den Anweisungen seines Arbeitgebers Folge zu leisten und seine Tätigkeit für ihn auszuüben. Dagegen spricht es dafür, dass der betrachtete Zeitraum keine Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie 2003/88 ist, wenn die Arbeitnehmer ohne größere Zwänge über ihre Zeit verfügen und ihren eigenen Interessen nachgehen können. Im vorliegenden Fall sind die betreffenden Arbeitnehmer während der Fahrzeit zwischen ihrem ersten und ihrem letzten Kunden des Tages verpflichtet, den Anweisungen ihres Arbeitgebers Folge zu leisten, der die Kundenreihenfolge ändern oder einen Termin streichen oder hinzufügen kann.
Was schließlich den dritten Bestandteil des Begriffs „Arbeitszeit“ anbelangt, wonach der Arbeitnehmer während der betrachteten Zeitspanne arbeiten muss, ist bei einem Arbeitnehmer, der keinen festen Arbeitsort mehr hat und der seine Aufgaben während der Fahrt zu oder von einem Kunden wahrnimmt, auch davon auszugehen, dass er während dieser Fahrt arbeitet. Denn die Fahrten gehören untrennbar zum Wesen eines Arbeitnehmers, der keinen festen oder gewöhnlichen Arbeitsort hat, so dass der Arbeitsort solcher Arbeitnehmer nicht auf die Orte beschränkt werden kann, an denen sie bei den Kunden ihres Arbeitgebers physisch tätig werden.
(vgl. Rn. 25, 26, 30, 32, 33, 35-39, 43, 50 und Tenor)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 48)