SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 13. Januar 2016 ( 1 )

Rechtssache C‑597/14 P

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO)

gegen

Xavier Grau Ferrer

„Rechtsmittel — Gemeinschaftsmarke — Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke — Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang einer älteren Marke — Berücksichtigung eines verspätet vorgelegten Beweismittels durch die Beschwerdekammer — Verordnung (EG) Nr. 207/2009 — Art. 74 Abs. 2 — Verordnung (EG) Nr. 2868/95 — Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3“

I – Einleitung

1.

Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 24. Oktober 2014, Grau Ferrer/HABM – Rubio Ferrer (Bugui va) ( 2 ), mit dem dieses der Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM zu einem Widerspruchsverfahren zwischen Xavier Grau Ferrer einerseits sowie J. C. Rubio und A. Rubio Ferrer andererseits stattgegeben hat ( 3 ).

2.

Bei diesem Rechtsmittel geht es insbesondere um einen für die Praxis des HABM wichtigen verfahrensrechtlichen Aspekt, nämlich den Umfang des Ermessens der Beschwerdekammern im Zusammenhang mit der Berücksichtigung eines verspätet vorgelegten Beweismittels in Anwendung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 ( 4 ).

3.

Diese Problematik, die bereits vom Gerichtshof vertieft worden ist ( 5 ), wirft sowohl hinsichtlich der Rechtsprechung als auch hinsichtlich der Gesetzgebung noch weitere Fragen auf.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Verordnung Nr. 207/2009

4.

Art. 41 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009, der den Widerspruch gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke regelt, bestimmt:

„Der Widerspruch ist schriftlich einzureichen und zu begründen. … Der [Widersprechende] kann innerhalb einer vom [HABM] bestimmten Frist zur Stützung des Widerspruchs Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen vorbringen.“

5.

Art. 76 Abs. 2 dieser Verordnung bestimmt:

„Das [HABM] braucht Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten verspätet vorgebracht werden, nicht zu berücksichtigen.“

B – Verordnung Nr. 2868/95

6.

In Regel 15 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 ( 6 ) heißt es:

„Die Widerspruchsschrift muss enthalten:

b)

eine eindeutige Angabe der älteren Marke oder des älteren Rechts wie folgt:

i)

… das Aktenzeichen der Anmeldung oder die Eintragungsnummer der älteren Marke … oder [die Angabe,] ob diese ältere Marke eingetragen oder angemeldet ist, außerdem sind die Mitgliedstaaten einschließlich der Benelux-Staaten zu nennen, in denen oder für die die ältere Marke geschützt ist, oder es ist gegebenenfalls anzugeben, dass es sich um eine Gemeinschaftsmarke handelt;

e)

eine Wiedergabe der älteren Marke, so wie sie eingetragen oder angemeldet wurde; ist die ältere Marke farbig, muss die Wiedergabe farbig sein;

…“

7.

Regel 19 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)

Das Amt gibt dem Widersprechenden Gelegenheit, die Tatsachen, Beweismittel und Bemerkungen zur Stützung seines Widerspruchs vorzubringen …; dazu setzt das Amt eine Frist von mindestens zwei Monaten ab dem Tag der Eröffnung des Widerspruchsverfahrens …

(2)

Innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist muss der Widersprechende außerdem einen Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang seiner älteren Marke oder seines älteren Rechts einreichen und den Nachweis erbringen, dass er zur Einlegung des Widerspruchs befugt ist. Im Besonderen muss er folgende Beweismittel vorlegen:

a)

Wird der Widerspruch auf eine Marke gestützt, die keine Gemeinschaftsmarke ist, so ist ihre Anmeldung oder Eintragung wie folgt zu belegen:

ii)

wenn die Marke eingetragen ist, durch eine Abschrift der Eintragungsurkunde oder der jüngsten Verlängerungsurkunde, aus der hervorgeht, dass die Schutzdauer der Marke über die in Absatz 1 genannte Frist und ihre etwaige Verlängerung hinausgeht, oder durch gleichwertige Schriftstücke der Stelle, die die Markeneintragung vorgenommen hat;

…“

8.

Regel 20 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Belegt der Widersprechende nicht innerhalb der in Regel 19 Absatz 1 genannten Frist die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang seiner älteren Marke …, wird der Widerspruch als unbegründet abgewiesen.“

9.

Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 bestimmt:

„Richtet sich die Beschwerde gegen die Entscheidung einer Widerspruchsabteilung, so beschränkt die Beschwerdekammer die Prüfung der Beschwerde auf die Sachverhalte und Beweismittel, die innerhalb der von der Widerspruchsabteilung nach Maßgabe der Verordnung und dieser Regeln festgesetzten Frist vorgelegt werden, sofern die Beschwerdekammer nicht der Meinung ist, dass zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel gemäß Artikel [76] Absatz 2 der Verordnung [Nr. 207/2009] berücksichtigt werden sollten.“

III – Vorgeschichte des Rechtsstreits

10.

Am 23. Oktober 2008 meldeten J. C. Rubio Ferrer und A. Rubio Ferrer beim HABM ein die Wortbestandteile „Bugui va“ enthaltendes Bildzeichen für bestimmte Waren und Dienstleistungen der Klassen 31, 35 und 39 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung (im Folgenden: Nizzaer Abkommen) als Gemeinschaftsmarke an.

11.

Am 10. August 2009 legte Herr Grau Ferrer Widerspruch gegen diese Eintragung ein und berief sich dabei auf zwei ältere Marken, die beide aus Bildzeichen mit dem Wortbestandteil „Bugui“ bestanden:

die für alle Waren der Klasse 31 des Nizzaer Abkommens eingetragene spanische Marke Nr. 2600724;

die für Waren und Dienstleistungen der Klassen 31, 32 und 39 des Nizzaer Abkommens eingetragene Gemeinschaftsmarke Nr. 2087534.

12.

Am 21. Dezember 2010 gab die Widerspruchsabteilung des HABM dem Widerspruch teilweise statt.

13.

Zum einen wies sie den auf die spanische Marke gestützten Widerspruch mit der Begründung zurück, dass der Widersprechende innerhalb der gesetzten Frist kein Schriftstück mit einer Wiedergabe dieser Marke und somit keinen Nachweis ihrer Existenz eingereicht habe. Zum anderen gab sie dem auf die Gemeinschaftsmarke gestützten Widerspruch teilweise unter Berücksichtigung der Verwechslungsgefahr für bestimmte angemeldete Waren mit der angemeldeten Marke statt.

14.

Am 10. bzw. am 14. Februar 2011 legten Herr Grau Ferrer sowie J. C. Rubio Ferrer und A. Rubio Ferrer jeweils Beschwerde gegen diese Entscheidung ein.

15.

Mit der streitigen Entscheidung gab die Vierte Beschwerdekammer des HABM der Beschwerde von J. C. Rubio Ferrer und A. Rubio Ferrer statt und wies die Beschwerde von Herrn Grau Ferrer zurück.

16.

Hinsichtlich des auf die spanische Marke gestützten Widerspruchs bestätigte die Beschwerdekammer die Entscheidung der Widerspruchsabteilung, wonach der Nachweis über die Existenz dieser Marke nicht erbracht worden sei.

17.

Hinsichtlich des auf die Gemeinschaftsmarke gestützten Widerspruchs vertrat sie, anders als die Widerspruchsabteilung, die Auffassung, die vorgelegten Beweismittel reichten nicht aus, um nachzuweisen, dass diese Marke ernsthaft benutzt worden sei, ohne dass ihre Unterscheidungskraft verändert worden wäre. Daher hob sie die Entscheidung der Widerspruchsabteilung auf und wies den Widerspruch von Herrn Grau Ferrer insgesamt zurück.

IV – Das angefochtene Urteil

18.

Mit Klageschrift, die am 18. Dezember 2012 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Herr Grau Ferrer Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung.

19.

Er stützte seine Klage auf drei Klagegründe, erstens einen Verstoß gegen die Art. 75 und 76 der Verordnung Nr. 207/2009 und gegen Regel 50 der Verordnung Nr. 2868/95, zweitens die fehlerhafte Beurteilung der ernsthaften Benutzung der älteren Gemeinschaftsmarke und drittens die fehlerhafte Beurteilung der Verwechslungsgefahr.

20.

Das Gericht folgte dem ersten Klagegrund in den Rn. 17 bis 52 des angefochtenen Urteils mit der Begründung, die Beschwerdekammer habe hinsichtlich des auf die spanische Marke gestützten Widerspruchs ihr durch Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 eingeräumtes Ermessen nicht genutzt.

21.

Das Gericht stellte fest, es sei Sache der Beschwerdekammer gewesen, unter Angabe von Gründen zu entscheiden, ob der Nachweis der Gültigkeit der älteren spanischen Marke zu berücksichtigen sei, obwohl dieser Beweis erstmals vor ihr geltend gemacht und daher verspätet vorgelegt worden sei.

22.

Was die Auswirkungen dieses Verstoßes gegen die Verfahrensvorschriften angeht, stellte das Gericht klar, dass es nicht seine Aufgabe sei, erstmals zu prüfen, ob das verspätet vorgelegte Beweismittel für die Gültigkeit der älteren Marke zu berücksichtigen sei, da diese Entscheidung von der Beschwerdekammer im Rahmen ihrer Entscheidung nach Aufhebung der streitigen Entscheidung zu fällen sei.

23.

Zudem folgte das Gericht in den Rn. 72 bis 88 des angefochtenen Urteils auch der zweiten Rüge des dritten Klagegrundes, nachdem es festgestellt hatte, dass hinsichtlich des auf die ältere Gemeinschaftsmarke gestützten Widerspruchs der Nachweis der ernsthaften Benutzung durch Herrn Grau Ferrer vor dem HABM anhand von Zeichen, die dieser älteren eingetragenen Marke insgesamt gleichwertig gewesen seien, ausreichend gewesen sei.

24.

Deshalb hob das Gericht die streitige Entscheidung auf, ohne dass es nötig war, den dritten Klagegrund zu prüfen.

V – Die Anträge der Parteien

25.

Mit seinem Rechtsmittel beantragt das HABM, das angefochtene Urteil aufzuheben und, wenn dem Rechtsmittel stattgegeben wird, die Klage gegen die streitige Entscheidung abzuweisen bzw., hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und Herrn Grau Ferrer die Kosten aufzuerlegen. Die anderen Beteiligten des Verfahrens vor dem Gericht haben keine Anträge gestellt.

VI – Würdigung

26.

Das HABM macht drei Rechtsmittelgründe geltend.

27.

Mit dem ersten und dem zweiten Rechtsmittelgrund wird aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln ein Verstoß gegen die Bestimmungen gerügt, die der Beschwerdekammer ein Ermessen bei der Berücksichtigung eines verspätet vorgelegten Beweismittels einräumen, und zwar gegen Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und gegen Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95.

28.

Ich werde mich bei meiner Würdigung auf diese beiden Rechtsmittelgründe konzentrieren. Der dritte Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 geltend gemacht wird, ist aus Gründen, die ich später kurz erläutern werde, von vornherein als unzulässig zu verwerfen.

A – Zur Begründung des angefochtenen Urteils

29.

Zunächst ist meiner Meinung nach von Amts wegen zu prüfen, ob die in den Rn. 43 bis 46 des angefochtenen Urteils enthaltene Begründung, die mit dem ersten und dem zweiten Rechtsmittelgrund gerügt wird, fehlerhaft ist.

30.

In dieser Begründung geht das Gericht auf das Vorbringen des HABM ein, wonach die Beschwerdekammer berechtigt sei, ihr Ermessen nicht auszuüben, wenn das verspätet vorgelegte Beweismittel völlig neu und nicht bloß ergänzend sei.

31.

Das Gericht stellt diesbezüglich fest, die Beschwerdekammer habe das betreffende Beweismittel zurückgewiesen, „ohne zu prüfen, ob es sich um ein zusätzliches [bzw. neues] oder ergänzendes Beweismittel handelt“ (Rn. 43 des angefochtenen Urteils), und zudem sei dieses Beweismittel nicht „völlig neu“ (Rn. 44 dieses Urteils). Sodann stellt das Gericht fest, die Beschwerdekammer verfüge „zudem unabhängig von der Frage, ob dieses Dokument ergänzenden Charakter hat oder nicht,“ über ein Ermessen, das sie berechtige, dieses zuzulassen (Rn. 45), und verwirft das Argument des HABM, wonach zusätzliche bzw. neue Beweismittel von diesem Ermessen nicht erfasst seien (Rn. 46 des Urteils).

32.

Ich weise darauf hin, dass sich die logische Reihenfolge dieser Begründung nicht eindeutig aus der Argumentationslinie des angefochtenen Urteils ergibt.

33.

Einerseits kritisiert das Gericht nämlich die Beschwerdekammer dafür, dass sie das betreffende Beweismittel abgelehnt hat, ohne zu prüfen, ob es „zusätzlich [bzw. neu] oder ergänzend“ gewesen ist, und stellt fest, dass dieses Beweismittel nicht „völlig neu“ gewesen sei (Rn. 43 und 44 des angefochtenen Urteils). Andererseits führt das Gericht „zudem“ an, diese Frage sei irrelevant, da die angeführten Bestimmungen „unabhängig von der Frage, ob dieses Dokument ergänzenden Charakter hat oder nicht“, anwendbar seien und auch „zusätzliche [bzw. neue] Beweismittel“ umfassten (Rn. 45 und 46 des Urteils).

34.

Da diese beiden Begründungen einander widersprechen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine der beiden maßgeblich ist und die andere rein vorsorglichen Charakter hat.

35.

Das Gericht ist auf das Vorbringen des HABM, wonach die Beschwerdekammern bei zusätzlichen bzw. neuen Beweismitteln kein Ermessen hätten, nicht eindeutig eingegangen und hat daher den Inhalt der von ihm angewendeten Verfahrensregel nicht erläutert.

36.

Indessen möchte ich darauf hinweisen, dass ein Begründungsmangel nicht die Aufhebung des angefochtenen Urteils nach sich zieht, wenn sich die Urteilsformel aus anderen Rechtsgründen als richtig darstellt ( 7 ). Dies ist meines Erachtens hier der Fall ( 8 ).

B – Zum Verstoß gegen Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und gegen Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 (erster und zweiter Rechtsmittelgrund)

37.

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund macht das HABM geltend, das Gericht habe sich bei der Feststellung, dass das verspätet vorgelegte Beweismittel nicht „völlig neu“ gewesen sei (Rn. 43 und 44 des angefochtenen Urteils), auf falsche Kriterien gestützt. Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund kritisiert das HABM die Begründung des angefochtenen Urteils, wonach die Beschwerdekammer einen Ermessensspielraum gehabt habe, der es ihr erlaubt habe, das verspätet vorgelegte Beweismittel unabhängig davon, ob es neu gewesen sei oder nicht, zuzulassen (Rn. 45 und 46 dieses Urteils).

38.

Ich schlage vor, diese Rechtsmittelgründe in umgekehrter Reihenfolge zu prüfen, und zwar zuerst die Frage, ob die Beschwerdekammern im Widerspruchsverfahren über ein Ermessen im Hinblick auf die Berücksichtigung völlig neuer Beweismittel verfügen.

1. Rückblick auf die Rechtsprechung

39.

Die durch den ersten und den zweiten Rechtsmittelgrund ausgelöste Debatte betrifft hauptsächlich die Auslegung des Urteils HABM/Kaul ( 9 ) und der auf diesem Urteil beruhenden Rechtsprechung.

40.

In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass aus der Bestimmung in Art. 74 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 ( 10 ), die nunmehr in Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 enthalten ist, folgt, dass als allgemeine Regel und vorbehaltlich einer gegenteiligen Vorschrift die Beteiligten Tatsachen und Beweismittel auch dann noch vorbringen können, wenn die nach den Bestimmungen dieser Verordnung gesetzten Fristen abgelaufen sind ( 11 ).

41.

Diese Bestimmung kann dem Beteiligten keinen bedingungslosen Anspruch verleihen, sondern räumt dem HABM ein weites Ermessen ein, das es unter Berücksichtigung einerseits der Relevanz des Beweismittels und andererseits des Verfahrensstadiums und sonstiger Begleitumstände seiner Vorlage auszuüben hat ( 12 ).

42.

Wird das Ermessen nicht effektiv, objektiv und unter Angabe von Gründen ausgeübt, so ist dies ein Verfahrensfehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führen kann ( 13 ).

43.

Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 gilt für alle Instanzen des HABM.

44.

Daraus folgt, dass die Beschwerdekammern des HABM grundsätzlich nicht an die in erster Instanz gesetzten Fristen gebunden sind und aufgrund ihres Ermessens gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 verspätet vorgelegte Beweismittel zulassen können, sofern sie dieses Ermessen effektiv, objektiv und unter Angabe von Gründen ausüben.

45.

Für Widerspruchsverfahren ergibt sich dies ausdrücklich aus Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95, wonach die Beschwerdekammer die Prüfung der Beschwerde auf die Sachverhalte und Beweismittel beschränkt, die innerhalb der in erster Instanz festgesetzten Frist vorgelegt werden, sofern sie nicht der Meinung ist, dass „zusätzliche oder ergänzende“ ( 14 ) Sachverhalte und Beweismittel gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 berücksichtigt werden.

46.

Im Urteil HABM/Kaul ( 15 ) wird nicht auf die Frage eingegangen, ob die Beschwerdekammer nicht fristgerecht vorgelegte Beweismittel auch dann zulassen kann, wenn es sich dabei insofern um den ersten angebotenen Beweis handelt, als innerhalb der gesetzten Frist kein relevantes Beweismittel vorgelegt wurde.

47.

Der Gerichtshof hat sich mit dieser Frage im Zusammenhang mit Fällen befasst, bei denen es einerseits um den Nachweis der Nutzung der Marke und andererseits um den Nachweis von deren Existenz, Gültigkeit und Schutzumfang ging.

48.

Hinsichtlich des Nachweises der Benutzung hat der Gerichtshof im Urteil New Yorker SHK Jeans/HABM ( 16 ) entschieden, dass der Widerspruch von Amts wegen zurückzuweisen ist, wenn innerhalb der festgesetzten Frist keinerlei Nachweis der Benutzung der betroffenen Marke vorgelegt wird. Doch ist die verspätete Vorlage von ergänzenden Beweismitteln möglich, wenn bestimmte relevante Beweismittel innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt worden sind; dies fällt unter das in Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 vorgesehene Ermessen.

49.

In den Urteilen Centrotherm Systemtechnik/centrotherm Clean Solutions und Centrotherm Systemtechnik/HABM ( 17 ) hat der Gerichtshof hinsichtlich der Erbringung des Nachweises der Benutzung der Marke im Rahmen eines Verfallsverfahrens dieselbe Auslegung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde gelegt. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Ausübung des Ermessens an die Bedingung geknüpft ist, dass es sich um weitere Nachweise handelt, die in Ergänzung zu den fristgerecht vorgelegten, relevanten Beweismitteln erbracht werden.

50.

Hinsichtlich des Nachweises über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang der Marke hat der Gerichtshof in den Urteilen Rintisch/HABM entschieden, dass die Beschwerdekammer des HABM über ein sich sowohl aus Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 als auch aus Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ergebendes Ermessen im Hinblick auf die Entscheidung verfügt, ob die „zusätzlichen oder ergänzenden“ Sachverhalte und Beweismittel, die nicht fristgerecht vorgelegt worden sind, zu berücksichtigen sind oder nicht ( 18 ).

51.

Es ist festzustellen, dass der Gerichtshof in dieser Hinsicht nicht dem Vorschlag der Generalanwältin Sharpston in diesen Rechtssachen ( 19 ) gefolgt ist, die die Unterschiede zwischen dem Nachweis der Benutzung einerseits und dem Nachweis der Existenz, der Gültigkeit und des Schutzumfangs andererseits betont hatte. Für letztere Kategorie sei in Regel 19 der Verordnung Nr. 2868/95 die Beweisschwelle festgelegt, wonach nur die Vorlage der Eintragungsurkunde der älteren Marke gefordert sei. Nach Ansicht der Generalanwältin Sharpston bleibt hinsichtlich eines im Rahmen eines Widerspruchs ausdrücklich als unverzichtbar definierten Dokuments kein Raum für Diskussionen, ob das verspätet vorgelegte Beweismittel zusätzlich oder ergänzend ist. Das Dokument, aus dem die Eintragung der Marke hervorgehe, könne in keinem Fall im Stadium der Klage berücksichtigt werden.

52.

Der Gerichtshof ist diesem Ansatz nicht gefolgt und hat nichtsdestotrotz den besonderen Charakter der betreffenden Beweiskategorie berücksichtigt, nämlich die Tatsache, dass es sich um Dokumente gehandelt hat, die in Regel 19 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung Nr. 2868/95 aufgelistet sind.

53.

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass für die betreffende Beweiskategorie das aus Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 hervorgehende Ermessen restriktiv auszuüben ist, so dass die verspätete Vorlage von Beweisen nur zulässig ist, wenn die Verspätung aufgrund der Umstände gerechtfertigt ist, wofür der Betreffende beweispflichtig ist ( 20 ). Diesbezüglich hat sich der Gerichtshof von dem Ansatz entfernt, wonach die Zulässigkeit des Beweismittels in Anwendung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 die Rechtfertigung der Verspätung nicht voraussetzt ( 21 ).

2. Der Umfang des Ermessens der Beschwerdekammern angesichts eines völlig neuen Beweismittels

54.

Nach ständiger Rechtsprechung zum Nachweis der Benutzung der Marke erlaubt Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 der Beschwerdekammer nicht, ein völlig neues Beweismittel, das verspätet eingebracht wurde, zu berücksichtigen, wenn innerhalb der gesetzten Frist kein relevantes Beweismittel vorgelegt wurde.

55.

Ich teile die vom HABM im Rahmen dieses Rechtsmittels vertretene Ansicht, dass diese Auslegung der betreffenden Bestimmung zu übernehmen ist, wenn es um den Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang der Marke geht.

56.

Dieser Ansatz scheint mir zunächst aufgrund des Aufbaus der einschlägigen Vorschriften gerechtfertigt zu sein.

57.

Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 enthält nämlich eine Bestimmung, die im System dieser Verordnung eine übergreifende Rolle spielt, da sie unabhängig von der Art des betreffenden Verfahrens anwendbar ist.

58.

Ich sehe keinen Grund dafür, warum man bei der Anwendung eines Beweismittels nach seiner Natur unterscheiden sollte.

59.

Diesbezüglich gibt es meiner Meinung nach keinen relevanten Unterschied zwischen dem Benutzungsnachweis nach Regel 22 der Verordnung Nr. 2868/95 und dem Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang der Marke gemäß Regel 19 Abs. 2 dieser Verordnung.

60.

Es gibt sogar gewissermaßen eine Überschneidung zwischen diesen beiden Beweiskategorien, was den Nachweis einer notorisch bekannten Marke oder einer Marke, die Wertschätzung genießt bzw. bekannt ist, gemäß Regel 19 Abs. 2 Buchst. b und c betrifft. Die Beweise für die Wertschätzung der Marke können identisch mit jenen sein, die zum Nachweis der Benutzung der Marke dienen, was die Gleichbehandlung dieser beiden Fälle voll rechtfertigt.

61.

Darüber hinaus scheint mir eine einheitliche Auslegung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009, unabhängig von der Beweiskategorie, vollständig von der Zielsetzung dieser Bestimmung gedeckt zu sein.

62.

Mit der betreffenden Bestimmung werden nämlich zwei Ziele verfolgt. Zum einen bewirkt sie, dass die Beteiligten veranlasst werden, die Fristen einzuhalten, weil sie die Zurückweisung des Beweismittels riskieren, wenn sie es verspätet einreichen. Zum anderen belässt sie dem HABM im Interesse der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung die Befugnis, ein relevantes Beweismittel zu berücksichtigen, auch wenn es verspätet vorgebracht worden ist ( 22 ).

63.

Bei der Ausübung des fraglichen Ermessens muss das HABM auch die doppelte Funktion der Verfahrensfristen berücksichtigen, die einerseits dazu dienen, den reibungslosen Ablauf der Verfahren sicherzustellen, und andererseits die Wahrung der Verteidigungsrechte in Inter-partes-Verfahren gewährleisten.

64.

Meiner Meinung nach gelten diese Überlegungen gleichermaßen für den Nachweis der Benutzung der Marke wie für den Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang.

65.

Die Möglichkeit, einen neuen Nachweis über die Existenz, die Gültigkeit und den Umfang des älteren Rechts in der Beschwerdeinstanz in einer Situation zuzulassen, in der innerhalb der dafür ursprünglich gesetzten Frist kein relevanter Beweis vorgelegt wurde, würde nämlich den Anreiz für die Partei, diese Frist einzuhalten, erheblich mindern.

66.

Zudem würde die Zulassung eines verspätet eingereichten Beweises unter solchen Umständen ein beträchtliches Ungleichgewicht zwischen den Parteien schaffen, weil dadurch die widersprechende Partei die Möglichkeit hätte, die Erörterung der Existenz, der Gültigkeit und des Schutzumfangs ihres älteren Rechts gänzlich in die Beschwerdeinstanz zu verschieben.

67.

Ohne das System der Verfahrensfristen in Frage zu stellen, das u. a. ein Gleichgewicht zwischen den Parteien herstellen soll, kann daher meiner Meinung nach ein völlig neues Beweismittel in der Beschwerdeinstanz nicht akzeptiert werden.

68.

Schließlich ist zu prüfen, ob diese Lösung den Grundsätzen entspricht, auf denen die Urteile Rintisch/HABM ( 23 ) beruhen.

69.

In diesen Urteilen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Beschwerdekammer gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 über ein Ermessen im Hinblick auf die Entscheidung verfügt, ob die „zusätzlichen oder ergänzenden“ Sachverhalte und Beweismittel, die verspätet vorgelegt wurden, zu berücksichtigen sind oder nicht ( 24 ).

70.

Ich weise zunächst darauf hin, dass in der Fassung der Urteile Rintisch/HABM ( 25 ) in der Verfahrenssprache Englisch wie in den meisten anderen Sprachfassungen – außer, wenn ich nicht irre, in der spanischen, der französischen, der rumänischen und der finnischen Fassung – nicht von „neuen oder ergänzenden“, sondern von „zusätzlichen oder ergänzenden“ Sachverhalten und Beweismitteln die Rede ist ( 26 ).

71.

Diese Diskrepanz zwischen den verschiedenen Sprachfassungen der betreffenden Textstellen in den Urteilen Rintisch/HABM ( 27 ), die sich daraus ergibt, dass auch die Sprachfassungen von Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95 voneinander abweichen, lässt offensichtlich die Frage aufkommen, ob diese Bestimmung den Beschwerdekammern nicht womöglich erlaubt, ein verspätet vorgelegtes Beweismittel zuzulassen, auch wenn es völlig neu ist.

72.

Dies trifft jedoch nicht zu.

73.

Nach ständiger Rechtsprechung kann die in einer der Sprachfassungen einer unionsrechtlichen Vorschrift verwendete Formulierung nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung herangezogen werden. Wenn die sprachlichen Fassungen voneinander abweichen, muss die betreffende Vorschrift nach dem allgemeinen Aufbau und dem Zweck der Regelung einheitlich ausgelegt werden ( 28 ).

74.

Im vorliegenden Fall verweist Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95, die auf das Widerspruchsverfahren anwendbar ist, bloß auf Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009. Da es sich um eine Bestimmung der Durchführungsverordnung handelt, stellt die genannte Regel 50 nicht die Grundlage des betreffenden Ermessens dar und kann auch den Umfang des Ermessens, das die Beschwerdekammern gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ausüben, nicht erweitern.

75.

Wie schon erwähnt, muss letztere Bestimmung unter Berücksichtigung ihres Zwecks und Zusammenhangs unabhängig von der Art des betreffenden Beweismittels einheitlich ausgelegt werden.

76.

Daher ist die Diskrepanz zwischen den Sprachfassungen von Regel 50 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2868/95, die sich auch auf die betreffenden Passagen der Urteile Rintisch/HABM ( 29 ) auswirkt, so aufzulösen, dass sich das Ermessen der Beschwerdekammern aufgrund von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 nur auf die Berücksichtigung ergänzender Beweise bezieht und nicht auch auf die Fälle erstreckt, bei denen innerhalb der gesetzten Frist kein relevanter Beweis vorgelegt wurde.

3. Anwendung dieser Auslegung bei der Würdigung des zweiten Rechtsmittelgrundes

77.

Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund macht das HABM geltend, das Gericht habe dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es in den Rn. 45 und 46 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass die Beschwerdekammer gemäß Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 ein Ermessen besitze, das auch zusätzliche Beweismittel mit einschließe.

78.

Aus meinen oben dargelegten Erwägungen ist diese Position des HABM begründet.

79.

Daher ist das angefochtene Urteil insofern mit einem Rechtsfehler behaftet, als das Gericht in den Rn. 45 und 46 dieses Urteils feststellte, dass das betreffende Ermessen unabhängig davon bestehe, ob ein Beweismittel ergänzend sei oder nicht, und auch zusätzliche Beweismittel umfasse.

80.

Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Rechtsverletzung nicht zur Aufhebung eines Urteils führt, wenn zwar die Gründe des Urteils des Gerichts eine Verletzung des Unionsrechts erkennen lassen, die Urteilsformel sich aber aus anderen Rechtsgründen als richtig erweist ( 30 ).

81.

Diesbezüglich stelle ich fest, dass sich das Gericht, um dem ersten Klagegrund der Klageschrift in erster Instanz stattzugeben, nicht bloß auf den fraglichen Grund, sondern auch darauf gestützt hat, dass die Beschwerdekammer das betreffende Beweismittel zurückgewiesen habe, ohne zu prüfen, ob es als „ergänzend“ angesehen werden konnte (Rn. 43 des angefochtenen Urteils).

82.

Nach dem eben von mir dargelegten Ansatz hätte die Beschwerdekammer im vorliegenden Fall bei der Anwendung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 prüfen müssen, ob das verspätet vorgelegte Beweismittel als ergänzend angesehen werden konnte.

83.

Da es die Beschwerdekammer verabsäumt hat, zu prüfen, ob das betreffende verspätet eingebrachte Beweismittel ergänzenden Charakter hatte, hat sie gegen Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 verstoßen.

84.

Daher kann die entsprechende Feststellung des Gerichts aus diesem rein rechtlichen Grund bestätigt werden, der an die Stelle der Begründung in Rn. 43 des angefochtenen Urteils treten kann.

4. Anwendung dieser Auslegung bei der Würdigung des ersten Rechtsmittelgrundes

85.

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund macht das HABM geltend, das betreffende verspätet vorgelegte Beweismittel könne nicht als ergänzend angesehen werden, und das Gericht habe sich in den Rn. 43 und 44 des angefochtenen Urteils bei der Feststellung des Gegenteils auf falsche Kriterien gestützt.

86.

Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, dass Herr Grau Ferrer, die widersprechende Partei vor dem HABM, die Eintragungsurkunde seiner spanischen Marke, die unvollständig war, weil sie keine grafische Darstellung der Marke enthielt und nur deren Farben erwähnte, innerhalb der dafür gesetzten Frist eingereicht hat. Die betreffende Wiedergabe in Schwarz und Weiß war in der Darlegung der Widerspruchsgründe enthalten, die der Widerspruchsabteilung vorgelegt wurde. Die vollständige offizielle Urkunde mit dieser Wiedergabe wurde verspätet der Beschwerdekammer vorgelegt.

87.

In Rn. 44 des angefochtenen Urteils stellte das Gericht fest, die erstmals der Beschwerdekammer vorgelegte, offizielle grafische Darstellung sei nicht „völlig neu“ gewesen, da die Darstellung in Schwarz und Weiß in den der Widerspruchsabteilung übermittelten Unterlagen enthalten gewesen sei und in der unvollständigen Urkunde die Farben erwähnt worden seien.

88.

Das HABM macht geltend, die grafische Darstellung der älteren Marke sei ein wesentliches Element im Widerspruchsverfahren, da nur sie es erlaube, den genauen Gegenstand und den Umfang des durch die ältere Bildmarke gewährten Schutzes festzustellen – ohne diese Darstellung könne der Schutzumfang dieser Marke nicht angemessen bestimmt werden.

89.

Diesbezüglich trägt das HABM meiner Meinung nach zu Recht vor, die Identifizierung des Zeichens müsse offiziell mittels eines ausdrücklich in Regel 19 Abs. 2 Buchst. a Ziff. ii der Verordnung Nr. 2868/95 vorgesehenen Dokuments, im vorliegenden Fall der Eintragungsurkunde, erfolgen.

90.

Daher könne eine bloße Hinzufügung der grafischen Darstellung zu den dem HABM vorgelegten Unterlagen nicht als relevanter Nachweis gelten, da die hierfür erforderlichen Beweismittel ausdrücklich in Regel 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 beschrieben seien.

91.

Jedoch bin ich nicht von der These des HABM überzeugt, wonach die verspätet als Ersatz für die unvollständige Urkunde eingereichte, offizielle grafische Darstellung keinesfalls als ergänzendes Beweismittel angesehen werden könne.

92.

Sicher kann es schwierig sein, zwischen einem ursprünglichen und einem ergänzenden Beweismittel zu unterscheiden, wenn es um die Beweismittel nach Regel 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 geht.

93.

Dennoch meine ich, dass es als Auslöser der Ermessensausübung durch die Beschwerdekammer nach Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 genügt, wenn die betreffende Partei innerhalb der gesetzten Frist bestimmte relevante Beweismittel als Nachweis für die Existenz, die Gültigkeit und den Schutzumfang des älteren Rechts gemäß Regel 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95 vorgelegt hat, auch wenn diese Beweismittel nicht ausreichen, um alle diese Elemente nachzuweisen.

94.

Dieser Ansatz steht offensichtlich im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Urteilen Rintisch/HABM ( 31 ), in denen der Widersprechende die Eintragungsurkunde der älteren Marke vorgelegt, jedoch den Nachweis für die Verlängerung erst im Beschwerdeverfahren erbracht hatte, so dass der Nachweis der Gültigkeit der Marke verspätet eingereicht worden war.

95.

Diese Annahme beinhaltet auch den von der Rechtsprechung des Gerichts behandelten Fall, in dem der Widersprechende zwar die Eintragungsurkunde vorlegt, es jedoch verabsäumt, sie innerhalb der gesetzten Frist mit dem Nachweis des Übergangs des Eigentums zu vervollständigen, so dass der Nachweis hinsichtlich des Inhabers des älteren Rechts verspätet erfolgt ( 32 ).

96.

Das HABM räumt nämlich selbst ein, dass ein Beweismittel, das nur hinsichtlich eines der Elemente von Regel 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2868/95, wie Gültigkeit, Schutzumfang der Marke oder Befugnis des Widersprechenden zur Einlegung des Widerspruchs, unvollständig ist, als relevant erachtet werden könne. Das HABM stellt in seinem Rechtsmittel fest, dass in den Sachverhalten der Urteile Rintisch/HABM ( 33 ) die fristgerecht vorgelegten Eintragungsurkunden relevant gewesen seien, zumindest um die ältere Marke zu identifizieren und deren Schutzumfang nachzuweisen, obwohl die Gültigkeit dieser Marke nicht nachgewiesen worden sei.

97.

Meiner Meinung nach gilt diese Analyse betreffend ein unvollständiges, jedoch relevantes Beweismittel auch für einen Fall wie den vorliegenden, bei dem der Widersprechende eine unvollständige Eintragungsurkunde ohne grafische Darstellung der Marke vorgelegt hat, so dass sich der relevante Nachweis auf die Existenz der älteren Marke, deren Wortbestandteil und deren Inhaber beschränkt, jedoch der Gegenstand und der Schutzumfang nicht hinreichend und genau nachgewiesen sind.

98.

Aus dieser Argumentation, die an die Stelle der vom HABM kritisierten falschen Begründung des angefochtenen Urteils treten kann, lässt sich ableiten, dass das Gericht in Rn. 40 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, dass die Beschwerdekammer das fragliche Beweismittel nicht habe zurückweisen können, ohne zu prüfen, ob es als ergänzend anzusehen sei und, gegebenenfalls, ob es in Anwendung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 verspätet zugelassen werden könne.

5. Zwischenergebnis

99.

Die obigen Erwägungen führen in ihrer Gesamtheit zu dem Schluss, dass trotz der unzutreffenden Argumentation in den Rn. 43 bis 46 des angefochtenen Urteils die Schlussfolgerung des Gerichts in Rn. 40 dieses Urteils, wonach die Beschwerdekammer bei der Anwendung von Art. 76 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 einen Fehler begangen habe, bestätigt werden muss.

100.

Daher schlage ich vor, den ersten und den zweiten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

C – Zum Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 (dritter Rechtsmittelgrund)

101.

Gemäß Art. 15 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 gilt als Benutzung der Gemeinschaftsmarke ihre Verwendung in einer Form, die von der Eintragung nur in Bestandteilen abweicht, ohne dass dadurch die Unterscheidungskraft der Marke beeinflusst wird.

102.

Indem diese Bestimmung es vermeidet, eine strikte Übereinstimmung zwischen der verwendeten und der eingetragenen Form zu verlangen, ermöglicht sie es dem Inhaber der Marke, im Rahmen seines Geschäftsbetriebs Veränderungen an dem Zeichen vorzunehmen, die, ohne dessen Unterscheidungskraft zu beeinflussen, seine bessere Anpassung an sich ändernde Marktverhältnisse gestatten ( 34 ).

103.

Bei der Anwendung dieser Bestimmung stellte das Gericht in seiner Analyse des zweiten Klagegrundes in erster Instanz in den Rn. 82 bis 86 des angefochtenen Urteils fest, dass die von Herrn Grau Ferrer zum Nachweis der ernsthaften Benutzung der älteren Marke verwendeten Zeichen deren Unterscheidungskraft nicht beeinflussten, da die betreffenden Unterschiede „unwesentliche Änderungen“ darstellten oder „sehr wenig ausgeprägt“ seien und die verwendeten Zeichen der eingetragenen Marke „insgesamt gleichwertig“ seien.

104.

Das HABM trägt vor, das Gericht habe bei der Anwendung dieser Bestimmung in den Rn. 83 bis 85 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, da es bestimmte Elemente der verglichenen Zeichen als unwesentlich eingestuft habe, nicht geprüft habe, ob die Änderung einzelner Elemente zu einer Gesamtänderung der eingetragenen Marke geführt habe und somit keine Gesamtbeurteilung der verwendeten Zeichen vorgenommen habe.

105.

Ich stelle fest, dass die Ausführungen in den Rn. 83 bis 85 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht den von jedem dieser Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck mit dem der eingetragenen Marke verglichen und dabei die unterscheidungskräftigen Elemente berücksichtigt hat, Tatsachenwürdigungen darstellen.

106.

Das Vorbringen des HABM ist daher unzulässig, da damit vom Gerichtshof verlangt wird, seine eigene Tatsachenwürdigung an die Stelle der Beurteilung des Gerichts zu setzen, ohne dass jedoch eine Verfälschung von Tatsachen und Beweismitteln behauptet wird ( 35 ).

107.

Anders würde dies aussehen, wenn angenommen werden könnte, dass das Gericht unter Hinweis darauf, dass bei der Beurteilung der Zeichen auf den Gesamteindruck abzustellen sei, in Wahrheit keine Gesamtbeurteilung vorgenommen hat ( 36 ).

108.

Diese Annahme ist streng auszulegen, um die Wirksamkeit von Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu wahren, wonach es nicht gestattet ist, in die freie Tatsachenwürdigung des Gerichts einzugreifen.

109.

Ich räume ein, dass man beim Anblick der in Rn. 66 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Zeichen, die nachfolgend eingefügt sind, die Schlussfolgerung des Gerichts in Rn. 86 des angefochtenen Urteils, wonach die verwendeten Zeichen der eingetragenen Marke „insgesamt gleichwertig“ sind, in Frage stellen kann:

Verwendete Zeichen

Eingetragene Marke

Image

Image

110.

Das ändert allerdings nichts daran, dass das Vorbringen des HABM meiner Meinung nach nicht die Feststellung erlaubt, dass das Gericht trotz des ausdrücklichen Hinweises im angefochtenen Urteil in Wirklichkeit keine auf ihrem Gesamteindruck beruhende umfassende Prüfung der Zeichen vorgenommen hat, was einen Rechtsfehler darstellen könnte.

111.

Die Prüfung durch das Gericht, ob die Änderungen der eingetragenen Marke deren Unterscheidungskraft verändern, kann nicht als eine Auslegung des Rechts angesehen werden und daher nicht im Rahmen eines Rechtsmittels überprüft werden, ohne dass damit in die Zuständigkeit des Gerichts zur Feststellung des Sachverhalts eingegriffen würde.

112.

Daher schlage ich vor, den dritten Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen und folglich das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

113.

Da das HABM mit seinem Vorbringen unterlegen ist und die anderen Beteiligten des Verfahrens vor dem Gericht keine Anträge gestellt haben, schlage ich vor, dem HABM gemäß Art. 184 Abs. 1 und Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs seine eigenen Kosten aufzuerlegen.

VII – Ergebnis

114.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) seine Kosten aufzuerlegen.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) T‑543/12, EU:T:2014:911 (im Folgenden: angefochtenes Urteil).

( 3 ) Entscheidung vom 11. Oktober 2012 (verbundene Rechtssachen R‑274/2011-4 und R‑520/2011‑4, im Folgenden: streitige Entscheidung).

( 4 ) Verordnung des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1).

( 5 ) Urteile HABM/Kaul (C‑29/05 P, EU:C:2007:162), New Yorker SHK Jeans/HABM (C‑621/11 P, EU:C:2013:484), Centrotherm Systemtechnik/centrotherm Clean Solutions (C‑609/11 P, EU:C:2013:592), Centrotherm Systemtechnik/HABM (C‑610/11 P, EU:C:2013:593), Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 6 ) Verordnung der Kommission vom 13. Dezember 1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die Gemeinschaftsmarke in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1041/2005 der Kommission vom 29. Juni 2005 (ABl. L 172, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2868/95).

( 7 ) Urteile Kommission/Sytraval und Brink's France (C‑367/95 P, EU:C:1998:154, Rn. 47) und Biret International/Rat (C‑93/02 P, EU:C:2003:517, Rn. 60).

( 8 ) Siehe Nr. 99 der vorliegenden Schlussanträge.

( 9 ) C‑29/05 P, EU:C:2007:162.

( 10 ) Verordnung des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 11, S. 1).

( 11 ) Urteil HABM/Kaul (C‑29/05 P, EU:C:2007:162, Rn. 42).

( 12 ) Ebd. (Rn. 43 und 44).

( 13 ) Vgl. insbesondere Urteil Centrotherm Systemtechnik/HABM (C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 110 und 111).

( 14 ) Dieser Ausdruck ist in den einzelnen Sprachfassungen der Verordnung sehr unterschiedlich wiedergegeben, siehe Fn. 26 der vorliegenden Schlussanträge.

( 15 ) C‑29/05 P, EU:C:2007:162.

( 16 ) C‑621/11 P, EU:C:2013:484, Rn. 27 bis 30 und 34.

( 17 ) Zu der in Regel 40 Abs. 5 Satz 2 der Verordnung Nr. 2868/95 vorgesehenen Frist vgl. Urteile Centrotherm Systemtechnik/controtherm Clean Solutions (C‑609/11 P, EU:C:2013:592) und Centrotherm Systemtechnik/HABM (C‑610/11 P, EU:C:2013:593).

( 18 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628, Rn. 33 und 34), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638, Rn. 32 und 33) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639, Rn. 33 und 34).

( 19 ) Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in den Rechtssachen Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:311, C.121/12 P, EU:C:2013:312 und C‑122/12 P, EU:C:2013:313, Nrn. 71 bis 74).

( 20 ) Vgl. insbesondere Urteil Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638, Rn. 40 und 41).

( 21 ) Vgl. insbesondere Urteil Centrotherm Systemtechnik/HABM (C‑610/11 P, EU:C:2013:593, Rn. 117).

( 22 ) Vgl. Urteil HABM/Kaul (C‑29/05 P, EU:C:2007:162, Rn. 47 und 48).

( 23 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 24 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628, Rn. 33), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638, Rn. 32) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639, Rn. 33).

( 25 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 26 ) So beispielsweise in der deutschen („zusätzliche oder ergänzende Sachverhalte und Beweismittel“), der englischen („additional or supplementary facts and evidence“), der italienischen („fatti e prove ulteriori o complementari“), der litauischen („papildomi arba pridėtiniai faktai bei įrodymai“) oder der polnischen Fassung („dodatkowe lub uzupełniające fakty i dowody“).

( 27 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 28 ) Urteile Cricket St Thomas (C‑372/88, EU:C:1990:140, Rn. 18 und 19) sowie Brey (C‑140/12, EU:C:2013:565, Rn. 74).

( 29 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 30 ) Urteile Lestelle/Kommission (C‑30/91 P, EU:C:1992:252, Rn. 28) sowie FIAMM u. a./Rat und Kommission (C‑120/06 P und C‑121/06 P, EU:C:2008:476, Rn. 187).

( 31 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 32 ) Vgl. Urteil You-View.tv/HABM – YouView TV (YouView+) (T‑480/13, EU:T:2014:591).

( 33 ) Urteile Rintisch/HABM (C‑122/12 P, EU:C:2013:628), Rintisch/HABM (C‑120/12 P, EU:C:2013:638) und Rintisch/HABM (C‑121/12 P, EU:C:2013:639).

( 34 ) Vgl. Urteil Specsavers International Healthcare u. a. (C‑252/12, EU:C:2013:497, Rn. 29). Vgl. entsprechend Urteil Rintisch (C‑553/11, EU:C:2012:671, Rn. 21 und 22).

( 35 ) Vgl. insbesondere Urteile Rossi/HABM (C‑214/05 P, EU:C:2006:494, Rn. 26) und Alcon/HABM (C‑412/05 P, EU:C:2007:252, Rn. 71).

( 36 ) Urteil HABM/Shaker (C‑334/05 P, EU:C:2007:333, Rn. 37 bis 43).