SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 16. September 2015 ( 1 )

Rechtssache C‑419/14

WebMindLicenses Kft.

gegen

Nemzeti Adó- és Vámhivatal Kiemelt Adó- és Vám Főigazgatóság

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungs- und Arbeitsgerichts Budapest [Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi bíróság, Ungarn])

„Gemeinsames Mehrwertsteuersystem — Dienstleistungen — Wirtschaftliche Realität eines Lizenzvertrags über ein Know-how — Vereinbarkeit nicht angekündigter Steuerprüfungen mit den Grundrechten — Pflicht der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit“

I – Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen fügt sich zwar in die Reihe der Rechtssachen ein, die nach der Auslegung des Begriffs des Rechtsmissbrauchs im Bereich der Steuern (hier der Mehrwertsteuer) fragen, es wirft jedoch auch interessante Fragen zu den Berührungspunkten zwischen der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), insbesondere dem in Art. 7 der Charta verankerten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens und dem in ihrem Art. 8 verankerten Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten, auf.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

2.

Art. 24 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das Gemeinsame Mehrwertsteuersystem ( 2 ) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) bestimmt:

„(1)   Als ‚Dienstleistung‘ gilt jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist.

(2)   Als ‚Telekommunikationsdienstleistung‘ gelten Dienstleistungen zum Zweck der Übertragung, Ausstrahlung oder des Empfangs von Signalen, Schrift, Bild und Ton oder Informationen jeglicher Art über Draht, Funk, optische oder andere elektromagnetische Medien, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Abtretung oder Einräumung von Nutzungsrechten an Einrichtungen zur Übertragung, Ausstrahlung oder zum Empfang, einschließlich der Bereitstellung des Zugangs zu globalen Informationsnetzen.“

3.

Diese Richtlinie sah in ihrer vom 24. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung in ihrem Art. 43 vor, dass „[a]ls Ort einer Dienstleistung … der Ort [gilt], an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort“.

4.

Diese Richtlinie bestimmte in ihrer vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung in Art. 45, dass „[a]ls Ort einer Dienstleistung an einen Nichtsteuerpflichtigen … der Ort [gilt], an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Werden diese Dienstleistungen jedoch von der festen Niederlassung des Dienstleistungserbringers, die an einem anderen Ort als dem des Sitzes seiner wirtschaftlichen Tätigkeit gelegen ist, aus erbracht, so gilt als Ort dieser Dienstleistungen der Sitz der festen Niederlassung. In Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung gilt als Ort der Dienstleistung der Wohnsitz oder der gewöhnliche Aufenthaltsort des Dienstleistungserbringers“.

5.

Die Richtlinie sah in Art. 56 ihrer vom 24. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung vor:

„(1)   Als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Dienstleistungsempfänger oder an Steuerpflichtige, die innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Staates des Dienstleistungserbringers ansässig sind, erbracht werden, gilt der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort:

k)

elektronisch erbrachte Dienstleistungen, unter anderem die in Anhang II genannten Dienstleistungen;

…“

6.

Art. 59 dieser Richtlinie in ihrer vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung lautet wie folgt:

„Als Ort der folgenden Dienstleistungen an einen Nichtsteuerpflichtigen, der außerhalb der [Union] ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort außerhalb der [Union] hat, gilt der Ort, an dem dieser Nichtsteuerpflichtige ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat:

k)

elektronisch erbrachte Dienstleistungen, insbesondere die in Anhang II genannten Dienstleistungen.

…“

7.

In beiden Fassungen der Mehrwertsteuerrichtlinie umfasste dieser Anhang II folgende Dienstleistungen:

„1.

Bereitstellung von Websites, Webhosting, Fernwartung von Programmen und Ausrüstungen;

2.

Bereitstellung von Software und deren Aktualisierung;

3.

Bereitstellung von Bildern, Texten und Informationen sowie Bereitstellung von Datenbanken;

4.

Bereitstellung von Musik, Filmen und Spielen, einschließlich Glücksspielen und Lotterien sowie von Sendungen und Veranstaltungen aus den Bereichen Politik, Kultur, Kunst, Sport, Wissenschaft und Unterhaltung;

5.

Erbringung von Fernunterrichtsleistungen“.

8.

Art. 273 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.

Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen.“

9.

Die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (Neufassung) ( 3 ) (im Folgenden: Verordnung Nr. 904/2010) bestimmt in ihrem Art. 7:

„(1)   Auf Antrag der ersuchenden Behörde erteilt die ersuchte Behörde die in Artikel 1 genannten Informationen, einschließlich solcher, die konkrete Einzelfälle betreffen.

(2)   Für die Zwecke der Erteilung von Informationen gemäß Absatz 1 führt die ersuchte Behörde die zur Beschaffung dieser Informationen notwendigen behördlichen Ermittlungen durch.

…“

B – Ungarisches Recht

10.

§ 37 des Gesetzes Nr. CXXVII aus dem Jahr 2007 über die Umsatzsteuer (Az általános forgalmi adóról szóló 2007. évi CXXVII. törvény) sieht vor:

„(1)   Werden Dienstleistungen an eine steuerpflichtige Person erbracht, ist der Ort der Dienstleistung der Ort, an dem der Dienstleistungsempfänger zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit niedergelassen ist, oder, in Ermangelung einer solchen Niederlassung mit wirtschaftlicher Zielsetzung, der Ort seines Wohnsitzes oder seines gewöhnlichen Aufenthalts.

(2)   Werden Dienstleistungen an eine nicht steuerpflichtige Person erbracht, ist der Ort der Dienstleistung der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit niedergelassen ist, oder, in Ermangelung einer solchen Niederlassung mit wirtschaftlicher Zielsetzung, der Ort seines Wohnsitzes oder seines gewöhnlichen Aufenthalts.“

11.

§ 46 dieses Gesetzes bestimmt:

„(1)   Für die von dem vorliegenden Paragrafen erfassten Dienstleistungen ist der Ort der Dienstleistung der Ort, an dem in diesem Kontext der nicht steuerpflichtige Dienstleistungsempfänger niedergelassen ist, oder, in Ermangelung einer solchen Niederlassung, der Ort seines Wohnsitzes oder seines gewöhnlichen Aufenthalts, sofern dieser sich außerhalb des Gemeinschaftsgebiets befindet.

(2)   Folgende Dienstleistungen fallen unter diesen Paragrafen:

i)

Fernmeldewesen;

j)

Radiosendungen und audiovisuelle Medien;

k)

elektronisch erbrachte Dienstleistungen.

(5)   Für die Zwecke der Anwendung dieses Paragrafen sind unter ‚elektronisch erbrachten Dienstleistungen‘ namentlich zu verstehen:

a)

Bereitstellung von elektronischem Speicherplatz, Hosting und Betrieb von Websites sowie Fernwartung von Informatik-Tools und ‑Programmen,

b)

Bereitstellung und Aktualisierung von Software,

c)

Bereitstellung von Bildern, Texten und anderen Informationen sowie Gewährung des Zugangs zu Datenbanken,

d)

Bereitstellung von Musik, Filmen und Spielen einschließlich Glücksspiel sowie Übertragung oder Senden von Mediendienstleistungen zu politischen, kulturellen, künstlerischen, wissenschaftlichen, Sport- oder Unterhaltungszwecken,

e)

Fernunterrichtsdienstleistungen,

sofern die Lieferung und die Nutzung der Dienstleistung mittels eines globalen Informationsnetzes erfolgen. Der Umstand, dass die Beziehung zwischen Dienstleistungserbringer und ‑empfänger über ein Netz hergestellt und aufrechterhalten wird – einschließlich der Darstellung und der Annahme des Angebots – ist als solcher jedoch noch keine elektronisch erbrachte Dienstleistung.“

12.

§ 51 des Gesetzes Nr. CXXII über die Steuer- und Zollverwaltung (A Nemzeti Adó- és Vámhivatalról szóló 2010. évi CXXII. törvény) lautet:

„(1)   Die Hauptdirektion für Strafsachen [der Steuer- und Zollverwaltung] und die Dienststellen ihrer mittleren Ebene (im Folgenden: ermächtigte Dienststellen) können – in dem durch dieses Gesetz vorgegebenen Rahmen – verdeckt Informationen einholen, um die Begehung einer Straftat, die nach dem Gesetz über das Strafverfahren in die Untersuchungskompetenz der [Steuer- und Zollverwaltung] fällt, vorzubeugen, zu verhindern, aufzudecken, zu unterbrechen, die Identität des Täters festzustellen, ihn zu verhaften, seinen Aufenthaltsort festzustellen und Beweise zu erlangen sowie um die am Strafverfahren teilnehmenden Personen und die für das Verfahren zuständigen Verwaltungsangehörigen sowie die mit der Justiz zusammenarbeitenden Personen zu schützen.

(2)   Die Maßnahmen, die auf der Grundlage von Abs. 1 getroffen werden, sowie die Daten der von diesen Maßnahmen betroffenen natürlichen Personen, juristischen Personen und Organisationen ohne Rechtspersönlichkeit können nicht offengelegt werden.

(3)   Die ermächtigten Dienststellen sowie, soweit die erhaltenen Daten und die Maßnahme des Sammelns von Informationen als solche betroffen sind, Staatsanwälte und Richter können während der Sammlung dieser Informationen – ohne spezifische Ermächtigung – vom Inhalt der klassifizierten Daten Kenntnis nehmen.“

13.

§ 97 Abs. 4 und 6 des Gesetzes Nr. XCII aus dem Jahr 2003 über das Steuerverfahren (Az adózás rendjéről szóló 2003. évi XCII. törvény) bestimmt:

„(4)   Die Steuerverwaltung hat während der Kontrolle den Sachverhalt zu ermitteln und zu beweisen, außer in den Fällen, in denen dem Abgabepflichtigen aufgrund eines Gesetzes die Beweislast obliegt.

(6)   Bei der Feststellung des Sachverhalts hat die Steuerverwaltung auch die Umstände zugunsten des Abgabenpflichtigen zu ermitteln. Eine nicht bewiesene Tatsache oder ein nicht bewiesener Umstand kann ‐ außer im Schätzverfahren ‐ nicht zum Nachteil des Abgabenpflichtigen verwendet werden.“

III – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14.

Herr Gattyán ist der Urheber eines Know-how ( 4 ), das er am 28. Januar 2008 an die Liechtensteiner Stiftung Prime Web Tech übertragen hat, eine Stiftung, die aus erbrechtlichen Gründen errichtet wurde. Er ist auch geschäftsführender Aktionär der Klägerin des Ausgangsverfahrens, WebMindLicences Kft. (im Folgenden: WebMindLicenses), einer am 23. Juli 2009 in Ungarn eingetragenen Handelsgesellschaft, die zum Docler-Konzern gehört.

15.

Am 28. Februar 2008 wurde das Nutzungsrecht an dem in Rede stehenden Know-how mit einer Nutzungslizenz auf die portugiesische Gesellschaft Lalib-Gaesto e Investiments Lda (im Folgenden: Lalib) übertragen, die einem französischen Staatsangehörigen gehört, der über eine große Erfahrung im Bereich der Erstellung und Nutzung von Online-Dienstleistungen auf internationaler Ebene verfügt.

16.

Die portugiesische Gesellschaft Hypodest Patent Development Company, die auch Herrn Gattyán gehörte, erwarb dieses Know-how am 1. Oktober 2008.

17.

Am 1. September 2009 übertrug die Hypodest Patent Development Company dieses Know-how gratis an die neu gegründete WebMindLicences.

18.

Am selben Tag unterzeichnete WebMindLicences mit Lalib einen Lizenznutzungsvertrag für dieses Know-how, auf dessen Basis diese es weiter nutzen konnte.

19.

Nach dem Lizenzvertrag hatte WebMindLicences dieses Know-how auf der Grundlage eines mit einer der zum Docler-Konzern gehörenden Gesellschaften geschlossenen Entwicklungsvertrags zu aktualisieren und weiterzuentwickeln.

20.

Lalib nutzte das in Rede stehende Know-how auf verschiedenen über das Internet zugänglichen Seiten (wobei die wichtigste livejasmin.com war), die Unterhaltung für Erwachsene mit weltweit ansässigen „Darstellern“ anbot. Für die Zwecke der Erhebung der Mehrwertsteuer bestand die Leistung der „Darsteller“ darin, sich mit den Kunden oder den „Mitgliedern“ zu unterhalten und ihnen Livevorführungen darzubieten. Für den Zugang zu den Diensten kaufen die „Mitglieder“ von Lalib über die Internetseite von livejasmin.com mittels Kreditkarte oder anderen elektronischen Zahlungsmitteln Guthabenpakete, die sie für die Unterhaltung mit den „Darstellern“ und die von ihnen angebotenen Darbietungen ausgeben können.

21.

Die „Darsteller“ sind vertraglich mit der seychellischen Gesellschaft Leandra Entreprises Ltd verbunden, die zum Lalib-Konzern gehört und die wegen der mit dem Tätigkeitsbereich verbundenen Zertifizierungserfordernisse gegründet wurde. Sie erhalten eine Vergütung entsprechend der Höhe der für ihre Leistungen verbrauchten Guthaben.

22.

Im Jahr 2012 verkaufte Lalib seine Verträge im Zusammenhang mit der Nutzung des Know-hows, seiner Datenbanken, seiner Kundenlisten sowie seines Know-hows im Bereich des Managements zum Marktpreis an eine luxemburgische Gesellschaft, die zum Docler-Konzern gehörte.

23.

WebMindLicences trägt vor, dass Lalib im Jahr 2008 in die Nutzung des Know-hows eingebunden worden sei, weil dieser Nutzung innerhalb des Docler-Konzerns und der geschäftlichen Ausdehnung des Online-Diensts der Umstand entgegengestanden habe, dass die wichtigsten ungarischen Banken, die eine Online-Kartenzahlung akzeptiert hätten, damals die Erbringer von Dienstleistungen für Erwachsene nicht in das System der Kartenzahlung einbezogen hätten. Was die anderen Banken betreffe, die bereit gewesen seien, Verträge mit Erbringern von Dienstleistungen dieser Kategorie zu schließen, so hätten sie nicht über die für die Verwaltung der Online-Kartenzahlung notwendige technische Kapazität verfügt. Weiter habe der Docler-Konzern weder über ein Beziehungsnetz noch über die erforderlichen Qualifikationen verfügt, um die Websites auf internationaler Ebene zu nutzen.

24.

Nach einer Steuerprüfung betreffend einen Teil des Jahres 2009 sowie auf die Jahre 2010 und 2011 verfügte die erstinstanzliche Steuerbehörde (Nemzeti Adó- és Vámhivatal Kiemelt Adózók Igazgatósága) mit Bescheid vom 8. Oktober 2013 verschiedene Steuernacherhebungen und belegte WebMindLicences mit einer Steuernachforderung in Höhe von 10587371000 ungarischen Forint (HUF) ( 5 ), davon 10293457000 HUF ( 6 ) als Mehrwertsteuer, mit der Begründung, dass nach den von ihr gesammelten Beweisen der Lizenzvertrag zwischen WebMindLicences das Recht zur Nutzung des Know-hows nicht tatsächlich auf Lalib übertragen habe, da dieses Know-how in Wirklichkeit von WebMindLicences genutzt worden sei, wobei Herr Gattyán alle Entscheidungen getroffen habe, die zur Steigerung des von der Website livejasmin.com erzielten Umsatzes erforderlich gewesen seien, so dass die Nutzung tatsächlich als in Ungarn erfolgt anzusehen sei. Sie setzte gegen sie auch eine Geldbuße in Höhe von 7940528000 HUF ( 7 ) sowie einen Säumniszuschlag in Höhe von 2985262000 HUF ( 8 ) fest.

25.

Dieser Bescheid wurde von der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Kiemelt Adó- és Vám Főigazgatóság (nationale Steuer- und Zollverwaltung – Hauptdirektion für Steuern und Zölle für Großsteuerzahler) teilweise abgeändert, die jedoch ebenfalls davon ausging, dass das Know-how von und für Lalib nicht tatsächlich genutzt worden sei und dass WebMindLicences folglich durch den Abschluss des Lizenzvertrags rechtsmissbräuchlich gehandelt habe mit dem Ziel, die ungarischen Steuergesetze zu umgehen, um in Portugal in den Genuss einer niedrigeren Steuer zu kommen ( 9 ). Diese Schlussfolgerung wurde u. a. darauf gestützt, dass WebMindLicences niemals die Absicht gehabt habe, Lalib mit der Verwertung der Gewinne, die aus der Nutzung des Know-hows stammten, zu beauftragen, dass enge persönliche Beziehungen zwischen dem Inhaber des Know-hows und den Subunternehmern, die die Website tatsächlich nutzten, bestanden, dass das Management von Lalib irrational gewesen sei und dass ihre Tätigkeit bewusst defizitär gewesen sei und sie über keine autonome Betriebsfähigkeit verfüge.

26.

Die ungarischen Steuerbehörden stützten sich für diese Entscheidung auf Beweise, die von anderen ungarischen Behörden verdeckt erlangt worden waren.

27.

Insbesondere wurde parallel zum Steuerverfahren vom strafrechtlichen Ermittlungsorgan der nationalen Steuer- und Zollverwaltung ein Strafverfahren durchgeführt. Im Rahmen dieses Verfahrens hatte die Untersuchungsbehörde mit der Erlaubnis eines Untersuchungsrichters Telefongespräche mehrerer Personen abgehört, u. a. diejenigen von Herrn Gattyán, des Rechtsberaters von WebMindLicences, ihres Buchhalters sowie des Eigentümers von Lalib, und die E-Mails von WebMindLicences beschlagnahmt und gespeichert, und zwar ohne gerichtliche Erlaubnis, wie die erstinstanzliche Steuerbehörde und die ungarische Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt haben.

28.

In der mündlichen Verhandlung hat WebMindLicences darauf hingewiesen, dass die erstinstanzliche Steuerbehörde im August 2013, d. h. vor dem Erlass des Bescheids vom 8. Oktober 2013, ein Protokoll für sie angefertigt habe, dem sie im Anhang Beweise, die im Rahmen des Strafverfahrens erlangt worden waren, als Schriftstücke aus den Akten des Verwaltungsverfahrens beigefügt habe, und dass diese Verwaltungsbehörde ihr die Möglichkeit gegeben habe, sich dazu zu äußern.

29.

Diese Anhänge umfassten alle beschlagnahmten E-Mails (insgesamt 71) und die Mitschriften von 27 Telefongesprächen von den 89 ursprünglich ausgewählten.

30.

Da das Strafverfahren noch nicht zur Anklageerhebung geführt hat, konnte WebMindLicences noch nicht von der gesamten Strafakte Kenntnis nehmen.

31.

WebMindLicences erhob Klage gegen die Entscheidung der nationalen Steuer- und Zollverwaltung – Hauptdirektion für Steuern und Zölle für Großsteuerzahler, um sowohl das Vorliegen eines Missbrauchs als auch die Verwendung von im Strafverfahren, zu dem sie keinen Zugang hatte, verdeckt erlangten Beweisen zu beanstanden.

32.

Das Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest möchte wissen, welche Umstände bei einem Sachverhalt wie demjenigen, der im Ausgangsverfahren in Rede steht, bei dem eine besondere Art von Live-Dienstleistung im Internet angeboten wird und weltweit von jedem beliebigen Ort aus zugänglich ist und deren Zurverfügungstellung im untersuchten Zeitraum bestimmten rechtlichen oder technischen Zwängen unterliegt, im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie zu beurteilen sind, um den Dienstleistungserbringer festzustellen und den Ort der Dienstleistung zu ermitteln.

33.

Im Hinblick auf die Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544) sowie Newey (C‑653/11, EU:C:2013:409) möchte das vorlegende Gericht auch wissen, wie eine Vertragskonstruktion wie diejenige, die im Ausgangsverfahren in Rede steht, sowohl unter dem Aspekt der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch dem der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit im Hinblick auf den Rechtsmissbrauch zu würdigen ist.

34.

Es möchte ferner wissen, ob die Steuerbehörde aufgrund der Ziele der Mehrwertsteuerrichtlinie und des Grundsatzes der Effektivität über Verfahrensmittel verfügen können muss, die für die wirksame Steuererhebung notwendig sind, einschließlich Verfahren zur Sammlung von Daten, die nur den Behörden bekannt sind, die sie verwenden, und von Beweisen Kenntnis nehmen kann, die im Rahmen eines Strafverfahrens erlangt wurden, und diese zur Begründung einer Verwaltungsentscheidung heranziehen kann. In diesem Rahmen möchte es unter Hinweis auf das Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105) insbesondere wissen, welche Grenzen die Charta der institutionellen und verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten setzt.

35.

Schließlich stellt sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts im Ausgangsrechtsstreit auch die Frage, wie die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats im Rahmen der grenzüberschreitenden Verwaltungszusammenarbeit vorzugehen hat, wenn die Mehrwertsteuer bereits in einem anderen Mitgliedstaat entrichtet worden ist.

36.

Unter diesen Umständen hat das Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist es im Rahmen der Bestimmung der Person, die die Dienstleistung im Sinne der Mehrwertsteuer erbringt, bei der Prüfung, ob ein Geschäft fiktiv ist, keine tatsächliche wirtschaftliche oder kaufmännische Substanz hat und ausschließlich auf die Erlangung eines Steuervorteils ausgerichtet ist, für die Anwendung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie von Bedeutung, dass es sich in der Situation des Ausgangsverfahrens beim Geschäftsführer und alleinigen Eigentümer der die Lizenz erteilenden Handelsgesellschaft um die natürliche Person handelt, die Urheber des mit der Lizenz übertragenen Know-hows ist?

2.

Falls Frage 1 bejaht wird: Ist für die Anwendung von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1 und Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie und die Feststellung, ob eine missbräuchliche Praxis vorliegt, von Bedeutung, dass diese natürliche Person auf die Art der Nutzung durch die die Lizenz erwerbende Handelsgesellschaft und auf deren geschäftliche Entscheidungen informell Einfluss ausübt oder ausüben kann? Kann für diese Auslegung der Umstand von Bedeutung sein, dass der Urheber des Know-hows an geschäftlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erbringung von auf diesem Know-how beruhenden Dienstleistungen unmittelbar oder mittelbar durch fachliche Beratung sowie Ratschläge zur Entwicklung und zur Nutzung des Know-hows beteiligt ist oder beteiligt sein kann?

3.

Spielt es unter den Umständen des Ausgangsverfahrens und unter Berücksichtigung der Ausführungen in Frage 2 für die Bestimmung der Person, die die Dienstleistung im Sinne der Mehrwertsteuer erbringt, neben der Analyse des dieser Dienstleistung zugrunde liegenden Vertrags eine Rolle, dass der Urheber des Know-hows als natürliche Person Einfluss bzw. entscheidenden Einfluss ausübt oder Leitlinien vorgibt, was die Art und Weise der Erbringung der auf dem Know-how beruhenden Dienstleistung betrifft?

4.

Falls Frage 3 bejaht wird: Welche Umstände können bei der Bestimmung, wie weit dieser Einfluss und diese Leitlinien gehen, berücksichtigt werden, bzw. aufgrund welcher Kriterien kann festgestellt werden, dass ein bestimmender Einfluss auf die Erbringung der Dienstleistung ausgeübt wird und dass die tatsächliche wirtschaftliche Substanz der dieser Dienstleistung zugrunde liegenden Transaktion dem lizenzgebenden Unternehmen zugutekommt?

5.

Ist es in der Situation des Ausgangsverfahrens für die Prüfung der Erlangung des Steuervorteils bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen den an dem Geschäft beteiligten Wirtschaftsteilnehmern und Personen von Bedeutung, dass es sich bei den an der beanstandeten, angeblich auf Steuerumgehung gerichteten vertraglichen Transaktion beteiligten Steuerpflichtigen um juristische Personen handelt, wenn die Steuerbehörde des Mitgliedstaats die strategischen und operativen Entscheidungen hinsichtlich der Nutzung einer natürlichen Person zuordnet, und, falls dies bejaht wird, muss berücksichtigt werden, in welchem Mitgliedstaat die natürliche Person diese Entscheidungen getroffen hat? Ist es unter Umständen wie denen des vorliegenden Verfahrens – falls festgestellt werden kann, dass die vertragliche Rechtsstellung der Parteien nicht ausschlaggebend ist – für die Auslegung von Bedeutung, dass die Verwaltung der technischen Mittel, des Personals und der Finanztransaktionen, die für die in Rede stehende internetgestützte Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind, durch Subunternehmer erfolgt?

6.

Haben, falls festgestellt werden kann, dass die Klauseln des Lizenzvertrags nicht den tatsächlichen wirtschaftlichen Inhalt widerspiegeln, die Neubewertung der Vertragsklauseln und die Wiederherstellung der Situation, die ohne die die missbräuchliche Praxis verkörpernde Transaktion bestanden hätte, auch zur Folge, dass die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats den Mitgliedstaat des Orts der Dienstleistung und damit den Ort der Steuerzahlungspflicht auch dann abweichend bestimmen kann, wenn der Lizenzerwerber im Übrigen seine Steuerzahlungspflicht in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Sitz hat, entsprechend den dort geltenden Rechtsvorschriften erfüllt hat?

7.

Sind die Art. 49 AEUV und 56 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer Vertragsgestaltung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, bei der ein in einem Mitgliedstaat beheimatetes steuerpflichtiges Unternehmen mittels eines Lizenzvertrags einem in einem anderen Mitgliedstaat beheimateten steuerpflichtigen Unternehmen das Know-how und das Nutzungsrecht in Bezug auf die Erbringung einer Dienstleistung mit Inhalten für Erwachsene, die auf der Grundlage einer interaktiven internetgestützten Kommunikationstechnologie erfolgt, verpachtet, und eine solche Vertragsgestaltung einen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit sowie des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen kann, wenn die Mehrwertsteuerbelastung in dem Mitgliedstaat, in dem das die Lizenz erwerbende Unternehmen ansässig ist, in Bezug auf die übertragene Dienstleistung günstiger ist?

8.

Welches Gewicht ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens neben dem mutmaßlich erzielbaren Steuervorteil den geschäftlichen Erwägungen des lizenzgebenden Unternehmens beizumessen, und ist es insoweit für die Auslegung insbesondere von Bedeutung, dass es sich bei dem alleinigen Eigentümer und Geschäftsführer der lizenzgebenden Handelsgesellschaft um die natürliche Person handelt, die Urheber des Know-hows ist?

9.

Können bei der Prüfung des missbräuchlichen Verhaltens entsprechende Umstände, die den im Ausgangsverfahren geprüften entsprechen, z. B. die technischen Gegebenheiten und die Infrastruktur für die Ein- und Durchführung der Dienstleistung, die Gegenstand des beanstandeten Geschäfts ist, oder die vom Lizenzgeber getroffenen Vorkehrungen und dessen Personal zur Erbringung der betreffenden Dienstleistung, berücksichtigt werden, und, falls dies bejaht wird, welches Gewicht ist ihnen beizumessen?

10.

Sind im vorliegenden Fall Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 43 und Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 325 AEUV dahin auszulegen, dass die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats im Interesse der tatsächlichen Erfüllung der die Mitgliedstaaten der Union treffenden Verpflichtung zum wirksamen und genauen Einzug des Gesamtbetrags der Mehrwertsteuer und der Vermeidung von Mindereinnahmen im Haushalt infolge von Steuerhinterziehung und Steuerflucht über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg im Fall einer Dienstleistung zum Zweck der Bestimmung der Person, die diese Dienstleistung erbringt, bei der Beweisaufnahme im steuerrechtlichen Verfahren (Verwaltungsverfahren) berechtigt ist, im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung Daten, Informationen und Beweismittel, wie Abhörprotokolle, die im Verlauf einer geheimen Datensammlung erlangt wurden, die – im Rahmen eines Strafverfahrens vom Ermittlungsorgan der Steuerbehörde – in Bezug auf den Steuerpflichtigen durchgeführt worden war, entgegenzunehmen, diese zu verwenden und (auch) darauf ihre Beurteilung der steuerrechtlichen Folgen zu stützen, und dass das Verwaltungsgericht, das die Entscheidung der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats prüft, diese Aspekte als Beweise – zusammen mit ihrer Rechtmäßigkeit – beurteilen darf?

11.

Sind im vorliegenden Fall Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, Art. 24 Abs. 1, Art. 43 und Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 325 AEUV dahin auszulegen, dass im Interesse der tatsächlichen Erfüllung der die Mitgliedstaaten der Union treffenden Verpflichtung zum effektiven und genauen Einzug des Gesamtbetrags der Mehrwertsteuer und der Durchführung der die Mitgliedstaaten treffenden Verpflichtung, zu gewährleisten, dass der Steuerpflichtige die ihm auferlegten Pflichten gebührend beachtet, der den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten eingeräumte Spielraum hinsichtlich der Art und Weise der Verwendung der zur Verfügung stehenden Mittel für die nationale Behörde eines Mitgliedstaats auch das Recht einschließt, die ursprünglich zu Strafverfolgungszwecken erlangten Beweismittel für die Unterbindung steuerumgehenden Verhaltens auch dann zu verwenden, wenn das nationale Recht selbst nicht zulässt, dass im Verwaltungsverfahren eine geheime Datensammlung zur Unterbindung steuerumgehenden Verhaltens erfolgt, oder die geheime Datensammlung, wenn sie in einem Strafverfahren erfolgt, an Garantien knüpft, die für das Steuerverwaltungsverfahren nicht vorgeschrieben sind, aber im Übrigen für die Verwaltungsbehörde nach nationalem Recht der Grundsatz der freien Beweisführung gilt?

12.

Schließt es Art. 8 Abs. 2 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) in Verbindung mit Art. 52 Abs. 2 der Charta aus, dass der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats die in den Fragen 10 und 11 dargestellte Befugnis zuerkannt wird, oder kann unter den Umständen des vorliegenden Falles davon ausgegangen werden, dass es im Interesse der Bekämpfung von Steuerumgehung gerechtfertigt ist, im Steuerverwaltungsverfahren die Ergebnisse einer geheimen Datensammlung zum „wirtschaftlichen Wohl des Landes“ für die wirksame Erhebung der Steuer zu verwenden?

13.

Hat die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, sofern sich aus den Antworten auf die Fragen 10 bis 12 ergibt, dass sie solche Beweismittel im Verwaltungsverfahren verwenden darf, zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Rechts auf eine ordnungsgemäße Verwaltung und des Verteidigungsrechts – aufgrund der Art. 7, 8, 41 und 48 in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 der Charta – die uneingeschränkte Verpflichtung, den Steuerpflichtigen im Laufe des Verwaltungsverfahrens anzuhören, ihm Einsicht in die Ergebnisse der herangezogenen geheimen Datensammlung zu gewähren und den Zweck zu beachten, zu dem die in diesen Beweismitteln enthaltenen Daten gewonnen wurden, oder schließt in diesem Kontext der Umstand, dass die geheime Datensammlung ausschließlich zum Zweck der Strafverfolgung vorgenommen wurde, von vornherein die Verwendung dieser Beweismittel aus?

14.

Wird, wenn Beweismittel unter Verstoß gegen die Art. 7, 8, 41 und 48 der Charta erlangt und verwendet wurden, im Hinblick auf Art. 47 der Charta dem Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf durch eine nationale Regelung Genüge getan, nach der bei in Steuersachen ergangenen Entscheidungen ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht nur dann vor Gericht mit Erfolg gerügt werden und zur Aufhebung der Entscheidung führen kann, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine von der angefochtenen Entscheidung abweichende Entscheidung erlassen worden wäre, und der Verfahrensfehler darüber hinaus gleichzeitig die materielle Rechtsposition des Klägers beeinträchtigt, oder müssen die auf diese Weise begangenen Verfahrensfehler in einem weiteren Kontext berücksichtigt werden, unabhängig davon, wie sich der unter Verstoß gegen die Charta begangene Verfahrensfehler auf das Ergebnis des Verfahrens ausgewirkt hat?

15.

Verlangt die praktische Wirksamkeit von Art. 47 der Charta, dass in einer Verfahrenssituation wie der hier vorliegenden das Verwaltungsgericht, das die Entscheidung der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats überprüft, nachprüfen kann, ob die Beweismittel, die zur Strafverfolgung durch eine geheime Datensammlung in einem Strafverfahren erhoben worden waren, rechtmäßig erlangt wurden, insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige, gegen den parallel ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, von diesen Schriftstücken noch keine Kenntnis nehmen und deren Rechtmäßigkeit vor Gericht nicht bestreiten konnte?

16.

Ist – auch unter Berücksichtigung der sechsten Frage – die Verordnung Nr. 904/2010 – insbesondere im Hinblick auf ihren siebten Erwägungsgrund, wonach die Mitgliedstaaten für die Erhebung der geschuldeten Steuer kooperieren sollten, um die richtige Festsetzung der Mehrwertsteuer sicherzustellen, und daher nicht nur die richtige Erhebung der geschuldeten Steuer in ihrem eigenen Hoheitsgebiet kontrollieren müssen, sondern auch anderen Mitgliedstaaten Amtshilfe gewähren sollten, um die richtige Erhebung der Steuer sicherzustellen, die im Zusammenhang mit einer in ihrem Hoheitsgebiet erfolgten Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat geschuldet wird – dahin auszulegen, dass bei einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens die nationale Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die eine Steuerschuld feststellt, verpflichtet ist, ein Ersuchen an die Steuerbehörde des Mitgliedstaats zu richten, in dem der Steuerpflichtige, der einer Steuerprüfung unterzogen wird, seine Steuerzahlungspflicht bereits erfüllt hat?

17.

Falls Frage 16 bejaht wird: Welche Konsequenzen muss das Gericht, das die Verwaltungsentscheidungen der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats überprüft – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in Frage 14 – ziehen, wenn vor Gericht gerügt und festgestellt wird, dass die Entscheidungen der nationalen Steuerbehörde eines Mitgliedstaats aus dem genannten Grund – d. h., weil ein Ersuchen an die nationale Steuerbehörde eines anderen Mitgliedstaats unterblieben ist und keine Informationen eingeholt wurden – gegen Verfahrensvorschriften verstoßen?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

37.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen ist am 8. September 2014 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen. WebMindLicenses, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben.

38.

Am 13. Juli 2015 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der WebMindLicences, die nationale Steuer- und Zollverwaltung – Hauptdirektion für Steuern und Zölle für Großsteuerzahler, die ungarische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission mündliche Erklärungen abgegeben haben.

39.

Mit Schreiben vom 17. August 2015, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, hat WebMindLicenses die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

40.

WebMindLicenses stützt diesen Antrag auf zwei von der nationalen Steuer- und Zollverwaltung – Hauptdirektion für Steuern und Zölle für Großsteuerzahler in der mündlichen Verhandlung geltend gemachte Umstände, die belegen sollten, dass sie sich rechtsmissbräuchlich verhalten habe. Demnach habe erstens die portugiesische Gesellschaft Hypodest Patent Development Company das im Ausgangsverfahren streitige Know-how an WebMindLicenses zum Buchwert von 104000000 Euro übertragen, während sie selbst es zum Marktpreis von 12000000 Euro erworben habe. Zweitens habe Lalib im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit WebMindLicenses Verluste erlitten.

41.

Was den ersten Umstand angeht, trägt WebMindLicenses vor, dieser sei weder im Ausgangsverfahren noch im vorliegenden Verfahren vor dem Gerichtshof behandelt worden. Was den zweiten Umstand angeht, macht WebMindLicenses geltend, dieser sei niemals als Umstand angeführt worden, der den fiktiven Charakter des Rechtsgeschäfts zwischen WebMindLicenses und Lalib hätte materiell bestätigen können; vielmehr habe die Tätigkeit der Letztgenannten positive Ergebnisse ermöglicht.

42.

Art. 82 Abs. 2 der Verfahrensordnung bestimmt: „Der Präsident erklärt nach der Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts das mündliche Verfahren für abgeschlossen.“

43.

Wie sich aus dieser Bestimmung ergibt, kann ein auf Art. 83 der Verfahrensordnung gestützter Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nur nach dessen Schließung gestellt werden; diese war jedoch zu dem Zeitpunkt, als dieser Antrag gestellt wurde, noch nicht erfolgt.

44.

Der Antrag ist daher unzulässig.

45.

Jedenfalls kann keiner der beiden Umstände meiner Auffassung nach Auswirkungen auf die Entscheidung des Gerichtshofs haben noch als Argument angesehen werden, zu dem die Parteien nicht Stellung genommen hätten und auf dessen Grundlage über die Rechtssache zu entscheiden wäre.

V – Würdigung

46.

Das vorlegende Gericht stellt dem Gerichtshof 17 Fragen, die allerdings in vier Problemkreise unterteilt werden können: Rechtsmissbrauch im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 49 AEUV und 56 AEUV (Fragen 1 bis 5 und 7 bis 9), die Gefahr der Doppelbesteuerung (sechste Frage), die Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten (Fragen 16 und 17) sowie die Verwendung von im Rahmen eines parallelen Strafverfahrens verdeckt erlangten Beweisen im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und der Charta (Fragen 10 bis 15).

A – Zu den Fragen 1 bis 5 und 7 bis 9: Rechtsmissbrauch im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie sowie die Art. 49 AEUV und 56 AEUV

47.

Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof mit seinen ersten fünf Fragen sowie den Fragen 7 bis 9 nach den für die Feststellung, ob ein Missbrauch der Mehrwertsteuer vorliegt, maßgeblichen Elementen ( 10 ).

1. Anwendbare Grundsätze

48.

Zunächst ist die insoweit maßgebliche Rechtsprechung des Gerichtshofs darzustellen.

49.

In den Rn. 74 bis 77 des Urteils Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121) stellte der Gerichtshof Folgendes fest:

„74.

[A]uf dem Gebiet der Mehrwertsteuer [erfordert] die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis zum einen, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der [Mehrwertsteuer-]Richtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe.

75.

Zum anderen muss auch aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird … [D]as Missbrauchsverbot [ist nämlich] nicht relevant, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung von Steuervorteilen.

76.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts – soweit dadurch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird – festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praktik im Ausgangsverfahren erfüllt sind …

77.

Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er auf Vorlage entscheidet, gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben …“ ( 11 ).

50.

Hinsichtlich des ersten dieser Kriterien, d h., dass die in Rede stehenden Umsätze auf die Erlangung eines Steuervorteils gerichtet sind, dessen Gewährung dem Zweck der Mehrwertsteuerrichtlinie zuwiderlaufen würde, hat der Gerichtshof befunden: „Würde … Steuerpflichtigen der Abzug der gesamten Vorsteuer gestattet, während ihnen im Rahmen ihrer normalen Geschäftstätigkeit kein der Vorsteuerabzugsregelung der [Mehrwertsteuerrichtlinie] oder dem zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Recht entsprechender Umsatz den Vorsteuerabzug erlaubt hätte oder ihnen nur ein teilweiser Abzug möglich gewesen wäre, so liefe dies dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität und damit dem Ziel der genannten Regelung zuwider.“ ( 12 )

51.

Was das zweite Kriterium betrifft, d. h., dass der wesentliche Zweck des Umsatzes auf die Erlangung eines Steuervorteils gerichtet ist, so hat der Gerichtshof festgestellt, dass „… das nationale Gericht bei der von ihm vorzunehmenden Würdigung den rein künstlichen Charakter dieser Umsätze sowie die rechtlichen, wirtschaftlichen und/oder personellen Verbindungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern berücksichtigen [kann], da solche Umstände zeigen, dass im Wesentlichen die Erlangung eines Steuervorteils angestrebt wurde, auch wenn es im Übrigen um die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele gegangen sein mag, die auf Erwägungen des Marketings, der Organisation und der Sicherheitsleistung beruhten“ ( 13 ).

52.

Ferner hat der Gerichtshof im Rahmen grenzüberschreitender Strukturen, die in den Rechtssachen, in denen die Urteile Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121) und Part Service (C‑425/06, EU:C:2008:108) ergangen sind, nicht vorlagen, befunden, dass „nach dem Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erlangen, verboten sind“ ( 14 ).

53.

Wie der Gerichtshof nämlich in Rn. 65 seines Urteils Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544) ausgeführt hat, „[ist die von den] Rechtsvorschriften über beherrschte ausländische Gesellschaften … vorgesehene Besteuerung ausgeschlossen …, wenn die Gründung einer beherrschten ausländischen Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art mit einer wirtschaftlichen Realität zusammenhängt“.

54.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hängt die Gründung einer Gesellschaft mit einer wirtschaftlichen Realität zusammen, was das Vorliegen eines Missbrauchs ausschließt, wenn sie „mit einer tatsächlichen Ansiedlung [verbunden ist], deren Zweck darin besteht, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmemitgliedstaat nachzugehen“ ( 15 ).

2. Anwendung auf die vorliegende Rechtssache

a) Einordnung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistung im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie

55.

Zunächst ist klarzustellen, dass, wie ich in Nr. 20 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, die in Rede stehende, der Mehrwertsteuer unterliegende Leistung aus elektronisch dargebotenen Unterhaltungsdiensten besteht, nämlich die den „Mitgliedern“ eingeräumte Möglichkeit, sich auf der Website livejasmin.com mit „Darstellern“ zu unterhalten und sie um unmittelbare Livevorführungen gegen Entgelt zu bitten.

56.

Es handelt sich somit um eine Dienstleistung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie.

57.

Um den Ort der Dienstleistung zu bestimmen, ist zunächst festzuhalten, dass es sich um eine elektronisch ( 16 ) dargebotene Dienstleistung im Sinne von Nr. 3 des Anhangs II der Mehrwertsteuerrichtlinie („die Bereitstellung von Bildern, Texten und Informationen sowie die Bereitstellung von Datenbanken“) handelt.

58.

Da es sich im vorliegenden Fall um eine Dienstleistung handelt, die entweder an in der Europäischen Union ansässige Dienstleistungsempfänger, die aber nicht steuerpflichtig sind, oder an außerhalb der Union ansässige Dienstleistungsempfänger erbracht wird, und da im von der Steuernacherhebung betroffenen Zeitraum des Dienstleistungserbringers, nämlich Lalib, eine in Portugal ansässige Gesellschaft war, folgt aus den Art. 43 und 56 Abs. 1 Buchst. k der Mehrwertsteuerrichtlinie in der vom 24. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung sowie den Art. 45 und 59 Abs. 1 Buchst. k der Mehrwertsteuerrichtlinie in ihrer vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung, dass, wie die Kommission bemerkt, die Mehrwertsteuer auf diese an in der Union ansässige Nichtsteuerpflichtige erbrachten Leistungen in Portugal gezahlt werden musste, während die Leistungen an außerhalb der Union ansässige Nichtsteuerpflichtige von der Steuer befreit waren.

59.

Wie die portugiesische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen bestätigt, hat Lalib in Portugal ihre Pflichten betreffend die Mehrwertsteuer erfüllt.

b) Rechtsmissbrauch

60.

Wie der Gerichtshof in den Rn. 76 und 77 des Urteils Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121) befunden hat, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, das Vorliegen eines Missbrauchs festzustellen, wobei der Gerichtshof Klarstellungen vornehmen kann, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben. Es muss dafür die beiden in diesem Urteil festgelegten Kriterien prüfen.

i) Zum Kriterium der Erlangung eines Steuervorteils, dessen Gewährung dem unionsrechtlichen Ziel zuwiderliefe

61.

Das vorlegende Gericht muss zunächst feststellen, „dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der [Mehrwertsteuerrichtlinie] und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe“ ( 17 ), und folgende Erwägungen berücksichtigen.

62.

Die für die vorliegende Rechtssache maßgeblichen Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie (nämlich die Art. 43 und 56 Abs. 1 Buchst. k der Mehrwertsteuerrichtlinie in ihrer vom 24. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung und die Art. 45 und 59 Abs. 1 Buchst. k der Mehrwertsteuerrichtlinie in ihrer vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung bezwecken, bei in der Union niedergelassenen nichtsteuerpflichtigen Leistungsempfängern elektronische Dienstleistungen an dem Ort, an dem der Leistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit errichtet hat, der Mehrwertsteuer zu unterwerfen ( 18 ), und dieselben Dienstleistungen, die an außerhalb der Union ansässige Nichtsteuerpflichtige erbracht werden, von der Steuer zu befreien.

63.

Es ist offenkundig, dass der Unionsgesetzgeber dadurch, dass er den Ort der Niederlassung des Leistungserbringers als Ort, an dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, gewählt hat, das Risiko akzeptiert hat, dass sich die Erbringer von elektronischen Dienstleistungen in Mitgliedstaaten niederlassen, in denen die Mehrwertsteuersätze am niedrigsten sind.

64.

Dies gilt umso mehr, als der Unionsgesetzgeber vor Kurzem die Mehrwertsteuerrichtlinie geändert hat, um die Möglichkeit einer solchen Wahl durch die Erbringer von elektronischen Dienstleistungen auszuschließen. Seit dem 1. Januar 2015 sieht Art. 58 vor, dass „[a]ls Ort [elektronisch erbrachter] Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige … der Ort [gilt], an dem dieser Nichtsteuerpflichtige ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat“.

65.

Meines Erachtens müsste das vorlegende Gericht, um zu dem Schluss zu kommen, dass der Lizenzvertrag mit Lalib, der dazu führte, dass die Mehrwertsteuer in Portugal entrichtet wird, den von der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgten Zielen zuwiderläuft, feststellen, dass der Lizenzvertrag ein fiktiver Vertrag ist, der allein mit dem Ziel geschlossen wurde, den Eindruck zu erwecken, dass die in Rede stehenden Leistungen von Lalib erbracht wurden, während dies in Wirklichkeit durch WebMindLicences erfolgte, oder dass die Niederlassung in Portugal gegenstandslos im Sinne der Rn. 52 bis 54 und 68 des Urteils Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544) war.

66.

Wie nämlich der Gerichtshof in Rn. 52 seines Urteils RBS Deutschland Holdings (C‑277/09, EU:C:2010:810) festgestellt hat, „kann es nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft Dienstleistungen erbringt und die Geschäfte unter Bedingungen durchgeführt werden, die auf Erwägungen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer beruhen. … [D]ie fraglichen Dienstleistungen [wurden] nämlich tatsächlich im Rahmen einer echten wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht“.

67.

Meines Erachtens kann die Tatsache als solche, dass eine Gesellschaft wie WebMindLicences sich dafür entschieden hat, die Dienste einer unabhängigen Gesellschaft wie Lalib zu nutzen, die in einem Mitgliedstaat mit niedrigeren Mehrwertsteuersätzen niedergelassen ist, keine missbräuchliche Nutzung des in Art. 56 AEUV verankerten freien Dienstleistungsverkehrs darstellen ( 19 ).

68.

In diesem Zusammenhang können die Wirtschaftsbeteiligten ihre Grundfreiheiten dergestalt ausüben, dass sie ihre Steuerlast minimieren können, sofern es sich um eine tatsächliche Ausübung der in Rede stehenden Grundfreiheit handelt, d. h. eine Lieferung von Waren, eine Dienstleistung, eine Kapitalbewegung oder eine Niederlassung, um tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben.

69.

Aus diesem Grund hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass „die Steuerpflichtigen die Organisationsstrukturen und die Geschäftsmodelle, die sie als für ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten und zur Begrenzung ihrer Steuerlast am besten geeignet erachten, im Allgemeinen frei wählen können“ ( 20 ).

70.

Dieser Grundsatz kommt im Urteil Weald Leasing (C‑103/09, EU:C:2010:804), das auch die Geltung des Missbrauchsverbots im Bereich der Mehrwertsteuer betraf, klar zum Ausdruck. In dieser Rechtssache waren die britischen Steuerbehörden der Ansicht, dass ein Leasingumsatz für die Zwecke der Mehrwertsteuer als Kauf angesehen werden müsse. In Rn. 34 seines Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „es … nicht zu beanstanden [ist], dass sich ein Steuerpflichtiger für einen Leasingumsatz entscheidet, der ihm einen Steuervorteil verschafft, der … in einer gestaffelten Entrichtung seiner Steuerschuld besteht, anstatt für einen Erwerbsumsatz, der ihm nicht zu einem solchen Steuervorteil verhilft, sofern die auf diesen Leasingumsatz entfallende Mehrwertsteuer ordnungsgemäß und in vollem Umfang entrichtet wird“.

ii) Zum Kriterium des Vorliegens eines Steuervorteils, dessen Erlangung das Hauptziel des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsatzes ist

71.

Das vorlegende Gericht hat auch auf der Grundlage des in Rn. 75 des Urteils Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121) genannten Kriteriums zu prüfen, ob „mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird“. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs zufolge sind nämlich nach dem Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs nur „rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen verboten, die allein zu dem Zweck erfolgen, einen Steuervorteil zu erhalten“ ( 21 ).

72.

Insoweit könnten die folgenden Erwägungen ihm nützlich sein.

73.

Unter Bezugnahme auf das Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544) ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass „die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der Frage, wie in einer Situation, in der eine natürliche Person die Idee für eine Dienstleistung hatte, deren Durchführung aber von weiteren Angaben abhängig ist und in einem anderen Mitgliedstaat stattfinden kann, das Verhältnis zwischen der Idee gebenden, als Urheber des Know-hows geltenden natürlichen Person und dem die umgesetzte Dienstleistung tatsächlich erbringenden Unternehmen als juristische Person im Hinblick auf das Vorliegen einer missbräuchlichen Praxis zu würdigen ist“.

74.

Wie die portugiesische Regierung ausführt, besteht der Steuervorteil in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtssache im Unterschied zwischen den jeweiligen in Ungarn und auf Madeira, dem Ort der Niederlassung von Lalib, geltenden Mehrwertsteuersätzen.

75.

In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien des Ausgangsverfahrens bestätigt, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem der erste Lizenzvertrag mit Lalib unterzeichnet wurde, nämlich im Februar 2008 ( 22 ), dieser Unterschied wischen den Steuersätzen 4 % betrug, da der in Ungarn geltende Steuersatz 20 % und derjenige auf Madeira 16 % war. Dieser Unterschied ist meines Erachtens sehr gering, um das Hauptziel des in Rede stehenden Umsatzes darzustellen, vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass in der Rechtssache, in der das Urteil Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121) erging, die von den Mehrwertsteuerpflichtigen verwendete Konstruktion zu einem vollständigen Mehrwertsteuerabzug führt, während ohne diese Konstruktion ein Abzug nicht möglich gewesen wäre.

76.

Außerdem war Lalib eine unabhängige Gesellschaft des Docler-Konzerns, die nicht errichtet worden war, um das Know-how von WebMindLicences zu nutzen. Ich füge hinzu, dass die Hälfte ihres Umsatzes Dienstleistungen für Dienstleistungsempfänger waren, die außerhalb der Union ansässig und aus diesem Grund von der gesamten Mehrwertsteuer befreit waren, unabhängig davon, ob der Dienstleistungserbringer in Ungarn oder Portugal niedergelassen war.

77.

Jedenfalls bestätigt WebMindLicences, den Lizenzvertrag aus ganz anderen Gründen als zur Erlangung eines Steuervorteils geschlossen zu haben.

78.

Wie ich in Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe und wie das vorlegende Gericht ausführt, betont WebMindLicences, dass Lalib in die Nutzung des Know-hows integriert worden sei, weil dieser Nutzung innerhalb der Docler-Gruppe und der geschäftlichen Erweiterung des Online-Diensts die Tatsache entgegengestanden habe, dass bei den wichtigsten Banken in Ungarn, die eine Online-Kartenzahlung akzeptiert hätten, eine Kartenzahlung für Dienstleistungen für Erwachsene damals nicht vorgesehen gewesen sei. Was die anderen Banken betreffe, die bereit gewesen seien, Verträge mit Dienstleistungserbringern dieser Kategorie zu schließen, so hätten sie nicht über die erforderlichen technischen Kapazitäten verfügt, um die Online-Kartenzahlung mit Bankkarte für diese Websites abzuwickeln. Außerdem habe es im Docler-Konzern weder ein Beziehungsnetz noch die Qualifikationen gegeben, die notwendig gewesen seien, um die Websites auf internationaler Ebene zu nutzen.

79.

Vorbehaltlich einer Überprüfung dieser Punkte durch das vorlegende Gericht, müssten sie ausreichen, um auszuschließen, dass die Erlangung eines Steuervorteils der Hauptzweck des Abschlusses des in Rede stehenden Lizenzvertrags gewesen ist.

80.

Die Tatsache, dass ein Umsatz, der aus geschäftlichen Gründen getätigt wird, auch Steuervorteile umfasst, genügt nämlich, selbst wenn diese erheblich sind, nicht für die Feststellung, dass ein Unternehmen, „missbräuchlich in den Genuss von im [Unions]recht vorgesehenen Vorteilen [kommt]“ ( 23 ).

81.

Ich beziehe mich insoweit auf die Rechtssache, in der das Urteil RBS Deutschland Holdings (C‑277/09, EU:C:2010:810) betreffend Gebühren im Zusammenhang mit Leasing-Umsätzen ergangen ist, die so strukturiert waren, dass die Mehrwertsteuer sowohl im Vereinigten Königreich als auch in Deutschland umgangen wurde. Da die im Rahmen der Leasingvereinbarungen getätigten Umsätze nach englischem Recht als Dienstleistungen behandelt wurden, sahen die britischen Steuerbehörden sie als in Deutschland, d. h. an dem Ort, an dem der Leistungserbringer seinen Sitz hatte, bewirkt an. In Deutschland galten die Umsätze, da sie nach deutschem Recht als Lieferung von Gegenständen angesehen wurden, als im Vereinigten Königreich, d. h. am Ort der Lieferung, bewirkt. Dementsprechend wurde auf die im Ausgangsverfahren fraglichen Leasingentgelte weder im Vereinigten Königreich noch in Deutschland Mehrwertsteuer erhoben. Allerdings wurde später im Vereinigten Königreich Mehrwertsteuer auf die Erlöse aus dem Verkauf der Fahrzeuge erhoben.

82.

Der Gerichtshof hat jedoch das Vorliegen eines Missbrauchs ausgeschlossen und hat in Rn. 55 dieses Urteils entschieden, dass „der Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen beschließt, von seiner in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft Gegenstände an ein im ersten Mitgliedstaat ansässiges Drittunternehmen verleasen zu lassen, um zu vermeiden, dass auf die Entgeltzahlungen für diese Umsätze, die im ersten Mitgliedstaat als im zweiten Mitgliedstaat erbrachte Vermietungsdienstleistungen und im zweiten Mitgliedstaat als im ersten Mitgliedstaat erfolgte Lieferungen von Gegenständen gelten, Mehrwertsteuer erhoben wird, dem in Art. 17 Abs. 3 Buchst. a der [Mehrwertsteuer-]Richtlinie verankerten Recht auf Vorsteuerabzug nicht entgegensteht“ ( 24 ).

83.

Was schließlich das Bestehen einer rein künstlichen Gestaltung im Sinne des Urteils Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544) ( 25 ) betrifft, ein Fall, in dem die vertraglichen Anforderungen in der Weise neu zu definieren wären, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Transaktionen bestanden hätte ( 26 ), ist zu bemerken, dass die Überprüfung, dass tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird „… auf objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten beruhen [muss], die sich u. a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der [in Rede stehenden Gesellschaft] in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen“ ( 27 ).

84.

Das Bestehen von Kontrollverhältnissen zwischen Lalib und WebMindLicences, einschließlich der Möglichkeit, dass die von Herrn Gattyán an Lalib gegebenen Ratschläge ohne Ausnahme befolgt werden, sollten Lalib nicht daran hindern, in Portugal tatsächlich präsent zu sein und dort eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben.

85.

Jedenfalls konnten die ungarischen Steuerbehörden zur Überprüfung, dass Lalib keine „Stroh“- oder Briefkastenfirma ( 28 ) ist, Art. 7 der Verordnung Nr. 904/2010 anwenden, um von den portugiesischen Steuerbehörden die für die Entscheidung zu diesem Punkt erforderlichen Informationen zu erhalten, was sie nicht getan haben.

86.

Insoweit führt die portugiesische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass Lalib sowohl in Bezug auf Humanressourcen als auch auf technische Mittel eine dauerhafte, angemessene und autonome Struktur besitze und ihren Steuerpflichten in Portugal regelmäßig nachkomme, während nach Ansicht der nationalen Steuer- und Zollverwaltung – Hauptdirektion für Steuern und Zölle für Großsteuerzahler WebMindLicences nur einen Geschäftsführer beschäftigte, nämlich Herrn Gattyán, und einen teilzeitbeschäftigten Rechtsberater.

87.

Ich schlage deshalb vor, auf die Fragen 1 bis 5 und 7 bis 9 zu antworten, dass der Abschluss eines Lizenzvertrags wie derjenige, der im Ausgangsverfahren in Rede steht, nur dann als missbräuchlich im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden kann, wenn sein Hauptziel die Erlangung eines Steuervorteils ist, dessen Gewährung dem von dieser verfolgten Ziel zuwiderliefe, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

B – Zur sechsten Frage: Gefahr der Doppelbesteuerung

88.

Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in dem Fall, in dem es entscheiden würde, dass ein Rechtsmissbrauch vorliege, die Tatsache, dass Lalib ihren Mehrwertsteuerpflichten in Portugal nachgekommen sei, es daran hindere, von WebMindLicences die Zahlung der Mehrwertsteuer in Ungarn zu verlangen.

89.

Sollte das vorlegende Gericht einen Missbrauch feststellen, darf meines Erachtens die Gefahr einer Doppelbesteuerung für die ungarischen Steuerbehörden kein Hindernis sein, den Ort der Dienstleistungen neu zu bestimmen und davon auszugehen, dass er sich tatsächlich in Ungarn befindet.

90.

Der Gerichtshof hat zwar in Rn. 42 des Urteils Welmory (C‑605/12, EU:C:2014:2298) befunden, dass „mit den Regeln über die Bestimmung des Ortes, an den bei Dienstleistungen steuerlich anzuknüpfen ist, einerseits Kompetenzkonflikte, die zu einer Doppelbesteuerung führen könnten, und andererseits die Nichtbesteuerung von Einnahmen verhindert werden sollen“ ( 29 ).

91.

Jedoch ist es, wie die Kommission bemerkt, nur möglich, die Doppelbesteuerung zu vermeiden, wenn das Unionsrecht den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten eine Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung ihrer jeweiligen Entscheidungen auferlegt. Eine solche Pflicht wird jedoch weder durch die Mehrwertsteuerrichtlinie noch durch die Verordnung Nr. 904/2010 begründet.

92.

Vielmehr ergibt sich aus dem Urteil Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121) klar, „dass, wenn eine missbräuchliche Praxis festgestellt worden ist, die diese Praxis bildenden Umsätze in der Weise neu zu definieren sind, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Umsätze bestanden hätte“ ( 30 ).

93.

Das führt dazu, dass, wie die ungarische Regierung und die Kommission ausführen, in dem Fall, dass ein Missbrauch festgestellt wird, die Mehrwertsteuer erhoben werden muss, wie wenn der Missbrauch nicht stattgefunden hätte. Der Umstand, dass eine Mehrwertbesteuerung anderswo stattgefunden hat, ändert daran nichts ( 31 ).

94.

Ich schlage deshalb vor, auf die sechste Frage zu antworten, dass die Gefahr einer Doppelbesteuerung die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats nicht daran hindert, den Ort der Erbringung einer Dienstleistung neu festzulegen und sie als in seinem Hoheitsgebiet erbracht anzusehen.

C – Zu den Fragen 16 und 17: Zusammenarbeit zwischen den Steuerbehörden der Mitgliedstaaten

95.

Die Fragen 16 und 17 des vorlegenden Gerichts sind im Wesentlichen darauf gerichtet, festzustellen, ob die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die eine Mehrwertsteuerschuld feststellt, nach der Verordnung Nr. 904/2010 verpflichtet ist, ein Ersuchen an die Steuerbehörde des Mitgliedstaats zu richten, in dem der Steuerpflichtige, der seine Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuer bereits erfüllt hat, der steuerlichen Kontrolle unterliegt, und welche Konsequenzen zu ziehen sind, wenn ein solches Ersuchen nicht gestellt wird.

96.

Meines Erachtens sind diese Fragen sehr leicht zu beantworten: Eine solche Verpflichtung besteht nicht.

97.

Zwar ist ‐ wie das vorlegende Gericht ausführt ‐ Gegenstand der Verordnung Nr. 904/2010 die Regelung der Modalitäten der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung der Steuerbehörden der Mitgliedstaaten sowie die Erleichterung des Informationsaustauschs zwischen ihnen auf der Grundlage möglicher gegenseitiger Anfragen gemäß den Art. 7 bis 12 dieser Verordnung.

98.

Jedoch ist, wie die Kommission bemerkt, im Rahmen eines Informationsaustauschs auf der Grundlage eines Ersuchens die ersuchende Behörde keinesfalls verpflichtet, ein solches Ersuchen an einen anderen Mitgliedstaat zu richten. Die genannte Verordnung verleiht ihm nämlich ein Recht, erlegt ihm jedoch keine Verpflichtung auf.

99.

Außerdem hat die Verordnung keinen Einfluss auf den Grundsatz, dass es Sache der Steuerbehörden ist, Steuervermeidung und Steuerbetrug zu bekämpfen. Wie die Kommission ausführt, sind die ungarischen Steuerbehörden in diesem Rahmen verpflichtet, sich die für die Begründung und den Erlass einer Entscheidung, mit der ein Missbrauch festgestellt wird, notwendigen Beweise zu verschaffen, eine Verpflichtung, die außerdem in Art. 97 Abs. 4 und 6 des Gesetzes Nr. XCII aus dem Jahr 2003 über das Besteuerungsverfahren enthalten ist, sowie zu beurteilen, ob sie gehalten sind, ein Ersuchen an die Steuerbehörden eines anderen Mitgliedstaats zu richten.

100.

Infolgedessen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Beweise, die der Entscheidung der ungarischen Steuerbehörden, mit der ein Missbrauch festgestellt wird, zugrunde liegen, ausreichend sind, um diese Feststellung zu stützen.

101.

Auf die Fragen 16 und 17 ist deshalb zu antworten, dass die Verordnung Nr. 904/2010 dahin auszulegen ist, dass sie die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die eine Mehrwertsteuerschuld feststellt, nicht verpflichtet, ein Ersuchen an die Steuerbehörde des Mitgliedstaats zu richten, in dem der Steuerpflichtige, der von der Steuerprüfung betroffen ist, die Mehrwertsteuer bereits entrichtet hat. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Beweise, auf die die Entscheidung der ungarischen Steuerbehörden, mit der ein Missbrauch festgestellt wird, gestützt ist, ausreichend sind, um das Bestehen einer Steuerschuld zu stützen.

D – Zu den Fragen 10 bis 15: Verwendung der im Rahmen eines parallelen Strafverfahrens verdeckt erlangten Beweise im Hinblick auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts und der Charta

102.

Mit seinen Fragen 10 bis 15 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verwendung von Beweisen, die während eines parallelen und nicht abgeschlossenen Strafverfahrens, zu dem die Gesellschaft, gegen die die Steuernacherhebung gerichtet ist, keinen Zugang hatte und in dessen Rahmen ihr kein rechtliches Gehör gewährt wurde, verdeckt erlangt worden waren, durch die Steuerbehörde und die Verwendung dieser Beweise durch ein Gericht, bei dem Klage gegen die Steuernacherhebung erhoben wurde, mit den Grundrechten, insbesondere Art. 8 Abs. 2 EMRK, den Art. 7, 8, 41, 47, 48, 51 Abs.1 und Art. 52 Abs. 2 der Charta sowie den Verteidigungsrechten und dem Recht auf eine ordnungsgemäße Verwaltung vereinbar sind.

103.

Ganz offensichtlich stellen sich diese Fragen nur, wenn das vorlegende Gericht feststellt, dass ein Rechtsmissbrauch vorliegt, weil der Lizenzvertrag zwischen WebMindLicences und Lalib hauptsächlich deswegen geschlossen wurde, um einen Steuervorteil, dessen Gewährung dem von der Mehrwertsteuerrichtlinie verfolgten Ziel zuwiderlaufen würde, zu erlangen.

104.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs „[finden] die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung … Insoweit hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass er eine nationale Rechtsvorschrift nicht im Hinblick auf die Charta beurteilen kann, wenn sie nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Sobald dagegen eine solche Vorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, hat der im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens angerufene Gerichtshof dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung er sichert“ ( 32 ).

105.

Was die Mehrwertsteuerrichtlinie betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass „die Mitgliedstaaten nach Art. 325 AEUV verpflichtet [sind], zur Bekämpfung von rechtswidrigen Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, abschreckende und wirksame Maßnahmen zu ergreifen[;] insbesondere müssen sie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, dieselben Maßnahmen ergreifen wie zur Bekämpfung von Betrug, der sich gegen ihre eigenen finanziellen Interessen richtet“ ( 33 ).

106.

Da aber nach dieser Rechtsprechung „die Eigenmittel der Union … u. a. die Einnahmen umfassen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die nach den Unionsvorschriften bestimmte einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage ergeben, besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen unter Beachtung des einschlägigen Unionsrechts und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Haushalt der Union, da jedes Versäumnis bei der Erhebung Ersterer potenziell zu einer Verringerung Letzterer führt“ ( 34 ).

107.

Da, wie der Gerichtshof in den Rn. 27 und 28 seines Urteils Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105) festgestellt hat, steuerliche Sanktionen und ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung als Durchführung der Mehrwertsteuerrichtlinie, insbesondere ihres Art. 273, und somit als Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta anzusehen sind, ist, wie die Kommission vorschlägt, zu folgern, dass die Charta im vorliegenden Fall anwendbar ist.

108.

Da der vorliegende Rechtsstreit das Abhören von Telefongesprächen von WebMindLicences, die Beschlagnahme und Speicherung ihrer E-Mails sowie deren Verwendung als Beweise gegen sie betrifft, ist die vorliegende Rechtssache zunächst unter dem Blickwinkel der Art. 7 ( 35 ) und 8 ( 36 ) der Charta zu prüfen, die die Achtung des Privat- und Familienlebens und den Schutz personenbezogener Daten gewährleisten. Wie der Gerichtshof nämlich in Rn. 47 seines Urteils Volker und Markus Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662) entschieden hat, „steht [Art. 8 der Charta] in engem Zusammenhang mit dem in Art. 7 dieser Charta verankerten Recht auf Achtung des Privatlebens“.

109.

Insoweit weise ich darauf hin, dass „sich die in den Art. 7 und 8 der Charta anerkannte Achtung des Privatlebens hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf jede Information erstreckt, die eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person betrifft (vgl. insbesondere EGMR, Urteile Amann/Schweiz vom 16. Februar 2000, Recueil des arrêts et décisions 2000-II, § 65, und Rotaru/Rumänien vom 4. Mai 2000, Recueil des arrêts et décisions 2000-V, § 43), und … dass Einschränkungen des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten gerechtfertigt sein können, wenn sie denen entsprechen, die im Rahmen von Art. 8 EMRK geduldet werden“ ( 37 ).

110.

Da die Art. 7 und 8 der Charta Art. 8 der genannten Konvention entsprechen, könnte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die vorliegende Rechtssache nützlich sein im Hinblick darauf, dass, „soweit die… Charta Rechte enthält, die den durch die [EMRK] garantierten Rechten entsprechen, … sie die gleiche Bedeutung und Tragweite [haben], wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird“, und dass dies „dem nicht entgegen[steht], dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt“ ( 38 ).

111.

Was zunächst den persönlichen Anwendungsbereich der Art. 7 und 8 der Charta betrifft, ist vorab zu bemerken, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 39 ) wie auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ( 40 ) der Begriff des Privatlebens dahin auszulegen ist, dass er die beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeiten juristischer Personen umfasst.

112.

Somit betreffen die Art. 7 und 8 der Charta sowie Art. 8 EMRK sowohl natürliche als auch juristische Personen.

113.

Was das Schutzniveau betrifft, das die Art. 7 und 8 der Charta sowie Art. 8 EMRK gewähren, ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte heranzuziehen.

114.

Nach dieser Rechtsprechung stellen „das Durchsuchen und die Beschlagnahme elektronischer Daten einen Eingriff in das Recht auf Achtung des ‚Privatlebens‘ und der ‚Korrespondenz‘ im Sinne von [Art. 8 EMRK]“ ( 41 ) dar. Außerdem hat „[d]er Gerichtshof mehrfach festgestellt, dass das heimliche Abhören von Telefongesprächen unter Art. 8 fällt, soweit das Recht auf Achtung sowohl des Privatlebens als auch der Korrespondenz betroffen ist“ ( 42 ).

115.

Ein solcher Eingriff verletzt Art. 8, „es sei denn, er ist ‚gesetzlich vorgesehen‘ und verfolgt ein legitimes Ziel oder mehrere legitime Ziele im Sinne von Abs. 2 [dieses Artikels] und ist ferner in einer demokratischen Gesellschaft zu deren Erreichung notwendig“ ( 43 ). Diese Bedingungen sieht auch Art. 52 Abs. 1 der Charta vor ( 44 ).

116.

Was die erste Bedingung betrifft, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der fragliche Eingriff gesetzlich vorgesehen ist; dies scheint nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts selbst der Fall zu sein.

117.

Was die zweite Bedingung betrifft, so verfolgt meines Erachtens der in Rede stehende Eingriff, der im Rahmen der Bekämpfung von Steuermissbrauch, ‑betrug und ‑vermeidung erfolgt, ein legitimes Ziel.

118.

Hinsichtlich des dritten Kriteriums, das tatsächlich eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt, für die das vorlegende Gericht zuständig ist, enthält die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte einige nützliche Hinweise für die vorliegende Rechtssache.

119.

Die Rechtssachen SociétéColas Est u. a./Frankreich sowie Vinci Construction und GTM Génie Civil et Services/Frankreich betrafen wie die vorliegende Rechtssache die Durchführung des Unionsrechts, nämlich des Wettbewerbsrechts, durch einen Mitgliedstaat.

120.

In der Rechtssache SociétéColas Est u. a./Frankreich hatte das Syndicat national des entreprises de second œuvre (SNSO) das Bestehen einiger unzulässiger Praktiken bemängelt, die von den großen Bauunternehmen begangen wurden, woraufhin die betroffene zentrale Verwaltung von der nationalen Untersuchungskommission verlangte, eine weitreichende Verwaltungsprüfung über das Verhalten der öffentlichen Bauunternehmen durchzuführen. In diesem Rahmen wurden gleichzeitig bei 56 Gesellschaften Untersuchungen durchgeführt, in deren Verlauf die Kontrolleure gemäß dem Beschluss Nr. 45-1484 vom 30. Juni 1945, der keinerlei richterliche Erlaubnis vorsah, mehrere Tausend Dokumente beschlagnahmten.

121.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte war der Ansicht, dass zwar „der Umfang der Maßnahmen, die durchgeführt wurden, um … das Verschwinden oder Verbergen von Beweisen für wettbewerbswidrige Praktiken zu verhindern, den streitigen Eingriff in den Wohnsitz der Klägerinnen rechtfertige, doch wäre noch erforderlich gewesen, dass die Gesetzgebung und die Praxis geeignete und ausreichende Garantien gegen den Missbrauch anbieten ( 45 ).

122.

Bei dieser Gelegenheit hat der Gerichtshof festgestellt, „dass dies im konkreten Fall nicht der Fall war. Zum Zeitpunkt des Sachverhalts … verfügten die zuständigen Behörden nämlich über sehr weitreichende Befugnisse, die ihnen in Anwendung des Beschlusses von 1945 erlaubten,, nur die Zweckmäßigkeit, die Zahl, die Dauer und das Ausmaß der streitigen Maßnahmen zu beurteilen. Überdies erfolgten die streitigen Maßnahmen ohne vorausgehendes Mandat des Untersuchungsrichters und ohne Beisein eines Beamten der Gerichtspolizei. Unter diesen Umständen, unterstellt, dass das Eingriffsrecht für die Geschäftslokale einer juristischen Person weiter gehen kann, … ist [dieser] Gerichtshof der Ansicht, dass im Hinblick auf die weiter oben beschriebenen Modalitäten die streitigen Maßnahmen im Wettbewerbsbereich nicht als den verfolgten Zielen genau angemessen angesehen werden können“ ( 46 ).

123.

Er kam daher zu dem Ergebnis, dass „ein Verstoß gegen Art. 8 [EMRK vorlag]“ ( 47 ).

124.

Ebenso wie die Rechtssache SociétéColas Est u. a./Frankreich betraf die Rechtssache Vinci Construction und GTM Génie Civil et Services/Frankreich eine von der Generaldirektion Wettbewerb, Verbrauch und Betrugsbekämpfung (DGCCRF) wegen des Verdachts, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für die Renovierung öffentlicher Krankenhäuser ein unzulässiges, durch Art. 101 AEUV verbotenes Kartell vorlag, durchgeführte Untersuchung.

125.

Bei der Untersuchung, die dieses Mal vom Haftrichter angeordnet worden war, beschlagnahmten die Vertreter der DGCCRF zahlreiche Dokumente und Dateien sowie sämtliche E-Mails einiger Angestellter der kontrollierten Gesellschaften. Die durchgeführten Beschlagnahmen waren massiv und undifferenziert und betrafen mehrere Tausend elektronische Dateien. Ferner hatten zahlreiche beschlagnahmte Dokumente keinen Zusammenhang mit der Untersuchung oder fielen unter den Schutz der Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant.

126.

Was den Umfang der Beschlagnahme betrifft, stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, die Tatsache, dass ein hinreichend genaues Verzeichnis, das den Namen der Datei, ihre Erweiterung, ihre Herkunft, und ihren digitalen Abdruck nennt, erstellt worden und mit einer Kopie der beschlagnahmten Dokumente den von der Untersuchung betroffenen Gesellschaften übermittelt worden war, schließe die Charakterisierung der Beschlagnahme als massiv und undifferenziert aus. Der Umfang der Beschlagnahme habe somit nicht gegen Art. 8 EMRK verstoßen ( 48 ).

127.

Was dagegen die Beschlagnahme von Dokumenten betraf, die dem Schutz der Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant unterlagen, führte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zunächst aus, die Klägerinnen hätten während der Durchführung der fraglichen Maßnahmen weder vom Inhalt der beschlagnahmten Dokumente Kenntnis nehmen noch die Zweckmäßigkeit ihrer Beschlagnahme erörtern können. Da die Klägerinnen die Beschlagnahme von Dokumenten, die vom Gegenstand der Untersuchung nicht betroffen gewesen seien, und a fortiori von Dokumenten, die unter den Schutz der Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Mandant fielen, nicht verhindern könnten, müssten sie die Möglichkeit haben, deren Rechtmäßigkeit nachträglich konkret und effektiv nachprüfen zu lassen. Eine Klage wie diejenige nach § L.450-4 des Handelsgesetzbuchs müsse ihnen ermöglichen, gegebenenfalls die Rückgabe der betroffenen Dokumente oder die Zusicherung der vollständigen Löschung von Kopien elektronischer Dateien zu erreichen ( 49 ).

128.

Insoweit war der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Ansicht, es sei Sache des Richters, bei dem mit Gründen versehene Rügen erhoben worden seien, nach denen genau bezeichnete Dokumente beschlagnahmt worden seien, obwohl sie keinen Zusammenhang mit der Untersuchung aufgewiesen hätten oder unter den Schutz der Vertraulichkeit des Verhältnisses zwischen Anwalt und Mandant fielen, nach einer konkreten Prüfung der Verhältnismäßigkeit, darüber zu entscheiden, wie mit diesen zu verfahren sei, und gegebenenfalls ihre Rückgabe anzuordnen. Im konkreten Fall hätten die Klägerinnen zwar den ihnen vom Gesetz eingeräumten Rechtsbehelf vor dem Haftrichter eingelegt, doch habe dieser, obwohl er in Betracht gezogen habe, dass sich unter den von den Prüfern ausgewählten Dokumenten eine von einem Rechtsanwalt stammende Korrespondenz befunden habe, nur die Rechtmäßigkeit des formalen Rahmens der streitigen Beschlagnahmen beurteilt, ohne die zwingend gebotene konkrete Prüfung vorzunehmen ( 50 ).

129.

Auf dieser Grundlage kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK vorgelegen habe ( 51 ).

130.

Was die Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache betrifft, ist daran zu erinnern, dass die nationale Steuer- und Zollverwaltung – Hauptdirektion für Steuern und Zölle für Großsteuerzahler und die ungarische Regierung in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen haben, dass das Abhören von Telefongesprächen von einem Ermittlungsrichter erlaubt worden sei (ohne dass, wie es scheint, WebMindLicences das Vorliegen dieser Erlaubnis nachprüfen oder dagegen vorgehen konnte), während die E-Mails durch die – ohne richterliche Genehmigung erfolgte – Beschlagnahme der Computer in den Geschäftsräumen von WebMindLicences erlangt und gespeichert worden seien.

131.

Den Diskussionen in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof ist zu entnehmen, dass die ungarischen Behörden WebMindLicences Zugang zu den abgehörten Telefongesprächen und den E-Mails gewährt haben, die als Beweise verwendet wurden, um ihre Entscheidung über die Steuernacherhebung zu untermauern, dass WebMindLicences von den ungarischen Steuerbehörden vor dem Erlass des Bescheids vom 8. Oktober 2013 rechtliches Gehör zu diesen in Rede stehenden Beweisen gewährt wurde und dass WebMindLicences die Möglichkeit hatte, gegen diese Entscheidung einen Rechtsbehelf einzulegen.

132.

Vorbehaltlich einer Nachprüfung durch das vorlegende Gericht verstoßen meines Erachtens die Beschlagnahme der E-Mails ohne richterliche Genehmigung und die fehlende Möglichkeit von WebMindLicences, nachzuprüfen, ob eine solche Genehmigung für das Mithören der Telefongespräche vorlag, und diese anzufechten, gegen den in Art. 52 Abs. 1 der Charta verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

133.

Außerdem lässt sich die Frage stellen, ob im Hinblick auf die Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs und der Mehrwertsteuervermeidung durch eine einfache Kontrolle der Geschäftsräume von WebMindLicences oder ein Ersuchen um Unterstützung an die portugiesischen Steuerbehörden hinsichtlich Lalib alle erforderlichen Informationen hätten erlangt werden können, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

134.

Wenn das vorlegende Gericht zu dem Schluss kommt, dass ein Verstoß gegen die Art. 7 und 8 der Charta vorliegt, muss es die unrechtmäßig erlangten oder unrechtmäßig verwendeten Beweise zurückweisen.

135.

Es wird also zu prüfen haben, ob die zulässigen Beweise ausreichend sind, um die Entscheidung über die Steuernacherhebung zu stützen, diese Entscheidung gegebenenfalls für nichtig zu erklären und die Erstattung der erhaltenen Mehrwertsteuer einschließlich Zinsen anzuordnen.

136.

Was schließlich das auf Art. 41 („Recht auf eine gute Verwaltung“) der Charta gestützte Vorbringen von WebMindLicences betrifft, ist ein offensichtlicher Unterschied zwischen dem Urteil N. (C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 49 und 50) einerseits sowie den Urteilen Cicala (C‑482/10, EU:C:2011:868, Rn. 28), YS u. a. (C‑141/12 und C‑372/12, EU:C:2014:2081, Rn. 67) und Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 43 und 44) andererseits festzustellen.

137.

In den Rn. 49 und 50 ihres Urteils N. (C‑604/12, EU:C:2014:302) akzeptiert die Vierte Kammer des Gerichtshofs offensichtlich, dass Art. 41 auch für die Mitgliedstaaten gilt, wenn sie das Unionsrecht durchführen, während die Dritte und die Fünfte Kammer diese Auffassung in den drei anderen in Nr. 136 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Urteilen zurückgewiesen haben.

138.

Wie jedoch der Gerichtshof in Rn. 68 seines Urteils YS u. a. (C‑141/12 und C‑372/12, EU:C:2014:2081) entschieden hat, „[spiegelt d]as in [Art. 41 der Charta] verankerte Recht auf eine gute Verwaltung zwar einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts wider (Urteil N., C‑604/12, EU:C:2014:302, Rn. 49). Die vorlegenden Gerichte begehren [allerdings] mit ihren Fragen in den vorliegenden Rechtssachen keine Auslegung dieses allgemeinen Grundsatzes, sondern vielmehr Aufschluss über die Frage, ob Art. 41 der Charta als solcher für die Mitgliedstaaten der Union gilt.“ Dies hindert den Gerichtshof jedoch nicht, dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Auslegung und Beurteilung des in Rede stehenden Grundsatzes zu geben.

139.

Jedenfalls ist im vorliegenden Fall offenkundig kein Verstoß gegen diesen Art. 41 oder diesen allgemeinen Grundsatz festzustellen.

140.

Wie ich nämlich in Nr. 28 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, hat WebMindLicences in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die erstinstanzliche Steuerbehörde im August 2013, d. h. vor dem Erlass der Entscheidung vom 8. Oktober 2013, ein Protokoll an sie gesandt habe, dem die im Rahmen des Strafverfahrens erlangten Beweise als Anhang beigefügt waren, und dass sie die Möglichkeit gehabt habe, sich vor dieser Behörde zu diesen Beweisen zu äußern.

141.

Auf die Fragen 10 bis 15 ist deshalb zu antworten, dass das Sammeln von Beweisen in einem parallel zum Mehrwertsteuerberichtigungsverfahren durchgeführten Strafverfahren durch das Mithören von Telefongesprächen sowie die Beschlagnahme und Speicherung von E-Mails mit den Art. 7 und 8 der Charta nur dann vereinbar ist, wenn es gesetzlich vorgesehen ist, wenn es ein legitimes Ziel verfolgt und wenn es verhältnismäßig ist, was vom vorlegenden Gericht zu beurteilen ist.

VI – Ergebnis

142.

Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die Vorlagefragen des Verwaltungs- und Arbeitsgerichts Budapest (Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság) wie folgt zu antworten:

1.

Der Abschluss eines Lizenzvertrags wie derjenige, der im Ausgangsverfahren in Rede steht, kann nur dann als missbräuchlich im Hinblick auf die Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden, wenn sein Hauptzweck die Erlangung eines Steuervorteils ist, dessen Gewährung dem von dieser verfolgten Ziel zuwiderliefe, was vom vorlegenden Gericht geprüft werden muss.

2.

Die Gefahr der Doppelbesteuerung hindert die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats nicht daran, den Ort der Erbringung einer Dienstleistung neu einzustufen und sie als in seinem Hoheitsgebiet erbracht anzusehen.

3.

Die Verordnung (EU) Nr. 904/2010 des Rates vom 7. Oktober 2010 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (Neufassung) ist dahin auszulegen, dass sie die Steuerbehörde eines Mitgliedstaats, die das Bestehen einer Mehrwertsteuerschuld feststellt, nicht verpflichtet, ein Ersuchen an die Steuerbehörde des Mitgliedstaats zu stellen, in dem der Steuerpflichtige, der von der Steuerprüfung betroffen ist, seiner Pflicht zur Entrichtung der Mehrwertsteuer bereits nachgekommen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Beweise, auf die die Entscheidung der ungarischen Steuerbehörden, mit der ein Missbrauch festgestellt wird, gestützt ist, ausreichend sind, das Bestehen einer Steuerschuld zu stützen.

4.

Das Sammeln von Beweisen in einem parallel zum Mehrwertsteuerberichtigungsverfahren durchgeführten Strafverfahren durch das Mithören von Telefongesprächen sowie die Beschlagnahme und Speicherung von E-Mails ist mit den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nur dann vereinbar, wenn es gesetzlich vorgesehen ist, wenn es ein legitimes Ziel verfolgt und wenn es verhältnismäßig ist.


( 1 )   Originalsprache: Französisch.

( 2 )   ABl. L 347, S. 1.

( 3 )   ABl. L 268, S. 1.

( 4 )   Das Know-how besteht aus einem interaktiven Internet-Kommunikationssystem, das ein komplexes Zahlungs- und Rechnungsstellungssystem umfasst und die Verbreitung von Unterhaltungssendungen für Erwachsene in Echtzeit ermöglicht.

( 5 )   Etwa 33,8 Mio. Euro.

( 6 )   Etwa 32,9 Mio. Euro.

( 7 )   Etwa 25,4 Mio. Euro.

( 8 )   Etwa 9,5 Mio. Euro.

( 9 )   Im Laufe des streitigen Zeitraums betrug der Mehrwertsteuersatz 15 % in Portugal und 25 % in Ungarn, aber ab dem 1. Juli 2009 wurde er auf 20 % herabgesetzt.

( 10 )   Insoweit nehme ich nicht zur etwaigen Missbräuchlichkeit des in den Nrn. 16, 17 und 22 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Sachverhalts im Verhältnis zu anderen Steuern Stellung.

( 11 )   Vgl. auch in diesem Sinne Urteile Part Service (C‑425/06, EU:C:2008:108, Rn. 42), Weald Leasing (C‑103/09, EU:C:2010:804, Rn. 29 und 30), RBS Deutschland Holdings (C‑277/09, EU:C:2010:810, Rn. 49), Tanoarch (C‑504/10, EU:C:2011:707, Rn. 52) sowie Newey (C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 46).

( 12 )   Urteil Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 80).

( 13 )   Urteil Part Service (C‑425/06, EU:C:2008:108, Rn. 62).

( 14 )   Urteil Newey (C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 46). Vgl. auch in diesem Sinne Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 55) (für direkte Steuern), Ampliscientifica und Amplifin (C‑162/07, EU:C:2008:301, Rn. 28) sowie Tanoarch (C‑504/10, EU:C:2011:707, Rn. 51) (für die Mehrwertsteuer).

( 15 )   Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 66).

( 16 )   Vgl. Art. 56 Abs. 1 Buchst. k der Mehrwertsteuerrichtlinie in ihrer vom 24. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung und Art. 59 Abs. 1 Buchst. k derselben Richtlinie in der vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung.

( 17 )   Urteil Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 74).

( 18 )   Sofern es einen solchen gibt und die in Rede stehende Dienstleistung von diesem Sitz aus erbracht wird. Vgl. Art. 43 der Mehrwertsteuerrichtlinie in ihrer vom 24. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2009 geltenden Fassung und Art. 45 derselben Richtlinie in ihrer vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung.

( 19 )   Vgl. auch in diesem Sinne Urteil Centros (C‑212/97, EU:C:1999:126, Rn. 27), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass „es für sich allein keine missbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen [kann], wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit.“ Vgl. auch für die direkten Steuern die Rn. 49 („ein Vorteil, der aus der relativ geringen steuerlichen Belastung einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Muttergesellschaft gegründet worden ist, resultiert, [gibt] als solcher dem letztgenannten Mitgliedstaat nicht das Recht …, diesen Vorteil durch eine weniger günstige steuerliche Behandlung der Muttergesellschaft auszugleichen“) und 50 („der Umstand allein, dass eine ansässige Gesellschaft eine Zweitniederlassung, wie etwa eine Tochtergesellschaft, in einem anderen Mitgliedstaat gründet, [kann] nicht die allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung begründen und keine die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigende Maßnahme rechtfertigen“) des Urteils Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544).

( 20 )   Urteil RBS Deutschland Holdings (C‑277/09, EU:C:2010:810, Rn. 53). Vgl. auch in diesem Sinne Urteile Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 73), Part Service (C‑425/06, EU:C:2008:108, Rn. 47) sowie Weald Leasing (C‑103/09, EU:C:2010:804, Rn 27). Für die direkten Steuern vgl. entsprechend Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 69).

( 21 )   Urteil Ampliscientifica und Amplifin (C‑162/07, EU:C:2008:301, Rn. 28). Hervorhebung nur hier. Vgl. auch in diesem Sinne Urteile RBS Deutschland Holdings (C‑277/09, EU:C:2010:810, Rn. 51), Tanoarch (C‑504/10, EU:C:2011:707, Rn. 51) sowie Newey (C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 46).

( 22 )   Vgl. oben, Nr. 15.

( 23 )   Urteil Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 69). Hervorhebung nur hier.

( 24 )   Ich füge hinzu, dass in der vorliegenden Rechtssache die Mehrwertsteuer in einem der beiden von den in Rede stehenden Leistungen betroffenen Staaten entrichtet wurde.

( 25 )   Vgl. Rn. 63 bis 71.

( 26 )   Urteil Newey (C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 50). Vgl. auch in diesem Sinne Urteil Halifax u. a. (C‑255/02, EU:C:2006:121, Rn. 98).

( 27 )   Urteil Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, EU:C:2006:544, Rn. 67).

( 28 )   Ebd. (Rn. 68).

( 29 )   Vgl. auch in diesem Sinne Urteil ADV Allround (C‑218/10, EU:C:2012:35, Rn. 27).

( 30 )   Rn. 98.

( 31 )   Ich weise darauf hin, dass eine doppelte Besteuerung zwar möglich ist, eine Besteuerung jedoch auch ausbleiben kann, wie in der Rechtssache, in der das Urteil RBS Deutschland Holdings (C‑277/09, EU:C:2010:810) ergangen ist. In diesem Fall kann ein Mitgliedstaat nicht davon absehen, seine Vorschriften anzuwenden, um die Mehrwertsteuer auf Umsätze zu erheben, bei denen dies in seinem System normalerweise nicht der Fall wäre, wenn „sie als Ausgangsumsätze in [dem] zweiten Mitgliedstaat nicht der Mehrwertsteuer unterlagen“ (ebd., Rn. 46).

( 32 )   Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 19). Vgl. auch in diesem Sinne Urteile ERT (C‑260/89, EU:C:1991:254, Rn. 42), Kremzow (C‑299/95, EU:C:1997:254, Rn. 15), Annibaldi (C‑309/96, EU:C:1997:631, Rn. 13), Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 25), Sopropé (C‑349/07, EU:C:2008:746, Rn. 34), Dereci u. a. (C‑256/11, EU:C:2011:734, Rn. 72) sowie Vinkov (C‑27/11, EU:C:2012:326, Rn. 58).

( 33 )   Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 26). Vgl. auch in diesem Sinne Urteil SGS Belgien u. a. (C‑367/09, EU:C:2010:648, Rn. 40 bis 42).

( 34 )   Urteil Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 26). Vgl auch in diesem Sinne Urteil Kommission/Deutschland (C‑539/09, EU:C:2011:733, Rn. 72).

( 35 )   

( 36 )   Sein Abs. 1 bestimmt: „Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.“

( 37 )   Urteil Volker und Markus Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662, Rn. 52). Vgl. auch in diesem Sinne Urteil Varec (C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 48). Art. 8 EMRK bestimmt, dass „jede Person … das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz [hat]“.

( 38 )   Art. 52 Abs. 3 der Charta. Vgl. auch in diesem Sinne Rn. 51 und 52 des Urteils Volker und Markus Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662).

( 39 )   Vgl. Urteile Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 29) und Varec (C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn 48). Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 53 des Urteils Volker und Markus Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662) entschieden, dass „… sich juristische Personen gegenüber einer … Bestimmung [durch die durch Art. 44a der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik (ABl. L 209, S. 1) und die Verordnung (EG) Nr. 259/2008 der Kommission vom 18. März 2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1290/2005 hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) (ABl. L 76, S. 28) vorgeschriebene Veröffentlichung] auf den durch die Art. 7 und 8 der Charta verliehenen Schutz nur berufen [können], soweit der Name der juristischen Person eine oder mehrere natürliche Personen bestimmt“. Die Rechtsprechung in dem Bereich hat sich jedoch erheblich entwickelt, wobei der Gerichtshof anerkannt hat, dass sich juristische Personen auf den Schutz der Art. 7 und 8 der Charta berufen können. In den Rn. 32 bis 37 des Urteils Digital Rights Ireland u. a. (C‑293/12 und C‑594/12, EU:C:2014:238) hat der Gerichtshof den Anwendungsbereich dieser Artikel gegenüber der ersten Klägerin nicht beschränkt, obwohl Digital Rights Ireland Ltd eine Gesellschaft irischen Rechts war und die ihr durch diese Artikel verliehenen Rechte in Anspruch nahm (siehe Rn. 17 und 18 dieses Urteils).

( 40 )   Vgl. EGMR, Urteile Société Colas Est u. a./Frankreich, Recueil des arrêts et décisions 2002-III, § 41, und Buck/Deutschland, Recueil des arrêts et décisions 2005-I, § 31. Vgl. auch in diesem Sinne Urteile Sallinen u. a./Finnland, 27. September 2005, § 70, Bernh Larsen Holdings AS u. a./Norwegen, 14. März 2013, § 104, Saint-Paul Luxembourg SA/Luxemburg, 18. April 2013, § 37, Ernst u. a./Belgien, 15. Juli 2013, § 109. Die nicht im Recueil des arrêts et décisions veröffentlichten Urteile sind auf der Website des EMGR, http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx, abrufbar.

( 41 )   EGMR, Urteil Vinci Construction und GTM Génie Civil et Services/Frankreich, 2. April 2015, § 63. Vgl auch in diesem Sinne EGMR, Urteile Sallinen u. a./Finnland, 27. September 2005, § 71, Weber und Saravia/Deutschland, 29. Juni 2006, § 77, Wieser und Bicos Beteiligungen GmbH/Österreich, Recueil des arrêts et décisions 2007‑IV, § 43, und Robathin/Österreich, 3. Juli 2012, § 39.

( 42 )   EGMR, Urteil P. G. und J. H./Vereinigtes Königreich, Recueil des arrêts et décisions 2001-IX, § 59.

( 43 )   EGMR, Vinci Construction und GTM Génie Civil et Services/Frankreich, 2. April 2015, § 64.

( 44 )   Vgl. Rn. 65 des Urteils Volker und Markus Schecke und Eifert (C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662).

( 45 )   EGMR, Urteil Société Colas Est u. a./Frankreich, Recueil des arrêts et décisions 2002-III, § 48.

( 46 )   Ebd. (§ 49).

( 47 )   Ebd. (§ 50).

( 48 )   EGMR, Urteil Vinci Construction und GTM Génie Civil et Services/Frankreich, 2. April 2015, § 76.

( 49 )   Ebd. (§ 78).

( 50 )   Ebd. (§ 79).

( 51 )   Ebd. (§ 80).