SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 24. September 2015 ( 1 )

Rechtssache C‑399/14

Grüne Liga Sachsen e. V. u. a.

gegen

Freistaat Sachsen

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Deutschland])

„Habitatrichtlinie — Besondere Schutzgebiete — Gebiet, das nach Erteilung der Genehmigung für ein Bauprojekt, aber vor Beginn der Bauarbeiten in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurde — Zur Frage, ob eine Nachprüfung der ursprünglichen Untersuchung des Projekts erforderlich ist — Regeln für eine solche Nachprüfung — Folgen der Fertigstellung des Projekts gemäß einem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss, ehe eine endgültige Entscheidung über die Gültigkeit der Untersuchung und der Nachprüfung ergehen konnte“

1. 

Die Habitatrichtlinie ( 2 ) soll zur Gewährleistung der biologischen Vielfalt durch Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und der Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten beitragen. Zu diesem Zweck sind in ihr verschiedene Erfordernisse bezüglich der Identifizierung und Erhaltung natürlicher Lebensräume festgelegt.

2. 

Insbesondere hat die Europäische Kommission auf der Grundlage von Vorschlägen der Mitgliedstaaten eine Liste der „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ zu führen. Nach Aufnahme eines Gebiets in diese Liste wird es als „besonderes Schutzgebiet“ behandelt. Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um eine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume in diesen Gebieten zu vermeiden. Außerdem müssen sie alle Pläne oder Projekte, die nicht mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen, die ein solches Gebiet jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, einer entsprechenden Prüfung unterziehen. Die nationalen Behörden dürfen dem Plan bzw. dem Projekt in der Regel nur zustimmen, wenn das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Ist jedoch trotz negativer Ergebnisse der Prüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen.

3. 

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (Deutschland) betrifft den Bau einer Brücke über die Elbe, der zu einem Zeitpunkt geplant und genehmigt worden war, als das Gebiet beiderseits des Flusses noch nicht als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung eingestuft war, jedoch nach Aufnahme des Gebiets in die Liste der Kommission begonnen und fertiggestellt wurde.

4. 

Die nationalen Behörden hatten eine Vorprüfung des Projekts im ersten Stadium des Planfeststellungsverfahrens und eine nachträgliche Überprüfung nach Aufnahme in die Liste der Kommission durchgeführt. Eine Naturschutzvereinigung klagt jedoch weiterhin gegen die Gültigkeit des Beschlusses u. a. mit der Begründung, die Prüfung habe nicht vollständig den Erfordernissen der Habitatrichtlinie entsprochen, die nach Aufnahme in die Liste der Kommission in vollem Umfang hätten erfüllt werden müssen.

5. 

Das Bundesverwaltungsgericht ersucht um Hinweise zur Anwendung dieser Erfordernisse unter den gegebenen Umständen.

Habitatrichtlinie

6.

Art. 3 Abs. 1 der Habitatrichtlinie bestimmt insbesondere:

„Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.“

7.

Nach Art. 4 Abs. 1 legt jeder Mitgliedstaat eine Liste von Gebieten vor, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen und einheimischen Arten aufgeführt sind. In den Abs. 2 und 3 ist das Verfahren festgelegt, dem zufolge die Kommission binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten vorgelegten Listen eine Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung erstellt, in der die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären natürlichen Lebensraumtyp(en) oder einer oder mehreren prioritären Art(en) ausgewiesen sind. Abs. 4 und 5 sehen vor:

„(4)   Ist ein Gebiet aufgrund des in Absatz 2 genannten Verfahrens als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung bezeichnet worden, so weist der betreffende Mitgliedstaat dieses Gebiet so schnell wie möglich – spätestens aber binnen sechs Jahren – als besonderes Schutzgebiet aus und legt dabei die Prioritäten nach Maßgabe der Wichtigkeit dieser Gebiete für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines natürlichen Lebensraumtyps des Anhangs I oder einer Art des Anhangs II und für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 sowie danach fest, inwieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.

(5)   Sobald ein Gebiet in die Liste [der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung] aufgenommen ist, unterliegt es den Bestimmungen des Artikels 6 Absätze 2, 3 und 4.“

8.

Art. 6 lautet:

„(1)   Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)   Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)   Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

9.

Die Anhänge I und II der Habitatrichtlinie tragen die Überschrift „Natürliche Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“ bzw. „Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen“.

Umsetzung der Habitatrichtlinie im Freistaat Sachsen

10.

§ 22b des Sächsischen Naturschutzgesetzes (SächsNatschG) von 1994 dient im Wesentlichen der Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie.

11.

Nach Abs. 1 ist vor der Durchführung von Projekten in Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung eine Verträglichkeitsprüfung vorzunehmen, und Abs. 2 verbietet die Durchführung, wenn die Prüfung der Verträglichkeit ergibt, dass die Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen besteht. Gemäß Abs. 3 kann das Verbot nur entfallen, soweit das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und der verfolgte Zweck mit geringeren Beeinträchtigungen nicht zu erreichen ist. Befinden sich in dem Gebiet prioritäre Biotope oder prioritäre Arten, können als Gründe grundsätzlich nur solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit (einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung) oder den maßgeblichen günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt geltend gemacht werden (Abs. 4). Entfällt das Verbot, sind die zur Sicherung des Zusammenhangs des Netzes Natura 2000 notwendigen Maßnahmen vorzusehen (Abs. 5).

12.

Darüber hinaus sind die Behörden des Freistaats Sachsen (durch Ministerialverordnung von 2003) zur Beachtung der Arbeitshilfe zur Anwendung der Vorschriften zum Aufbau und Schutz des Europäischen ökologischen Netzes Natura 2000 verpflichtet. Nach Kapitel 3.3 dieser Arbeitshilfe sind die Vorgaben, die für die aufgelisteten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gelten (einschließlich § 22b Abs. 3 bis 5 SächsNatschG), auch auf „potenziell“ von der Habitatrichtlinie betroffene Gebiete anzuwenden (einschließlich Gebieten, die der Kommission gemeldet, von dieser aber noch nicht in die Liste aufgenommen wurden).

Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

13.

Nach Darstellung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Grüne Liga Sachsen eine Naturschutzvereinigung, die gegen einen Planfeststellungsbeschluss vom 25. Februar 2004 für den Neubau der die Elbauen und die Elbe in Dresden (Sachsen) überquerenden „Waldschlößchenbrücke“ klagt.

14.

Dem Planfeststellungsbeschluss lag eine im Januar 2003 abgeschlossene Verträglichkeitsuntersuchung zugrunde, in deren Rahmen mögliche Auswirkungen des Bauvorhabens auf die Schutz- und Erhaltungsziele des zu diesem Zeitpunkt landesintern ausgewiesenen, von der Kommission aber noch nicht aufgelisteten Schutzgebiets „Elbtal zwischen Schöna und Mühlberg“ einschließlich der erwähnten Auen geprüft wurden. Für den Fall der Feststellung der Gefahr erheblicher Beeinträchtigungen sollte sich eine Prüfung nach Art. 6 der Habitatrichtlinie anschließen. Das Gutachten verneint erhebliche oder nachhaltige Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Gebiets durch das Bauvorhaben.

15.

Die Grüne Liga Sachsen erhob im April 2004 Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss. Nach nationalem Verfahrensrecht hatte diese Klage keine aufschiebende Wirkung. Die Grüne Liga Sachsen stellte deshalb außerdem einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, um den Beginn der Bauarbeiten aufzuschieben.

16.

Im Dezember 2004 nahm die Kommission das von Deutschland (laut Vorlagebeschluss) im März 2003 an sie gemeldete Gebiet in die Liste von Gebieten von gemeinschaftlicher Bedeutung auf.

17.

Am 12. November 2007 lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht den Antrag der Grünen Liga Sachsen auf Anordnung des Aufschubs des Baubeginns in zweiter und letzter Instanz ab. Mit den Bauarbeiten wurde Ende 2007 begonnen.

18.

Nach Einholung weiterer Gutachten erließ die zuständige Behörde am 14. Oktober 2008 einen Beschluss zur Durchführung einer beschränkten Neubewertung der mit dem Bauvorhaben verbundenen Beeinträchtigungen, bezogen auf den Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses. Das Projekt wurde wiederum –vorbehaltlich bestimmter Maßnahmen – zugelassen.

19.

Nach einer Änderung der Pläne im September 2010 stellte die Grüne Liga Sachsen erneut einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, den das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Oktober 2010 in zweiter und letzter Instanz wiederum ablehnte.

20.

Die Klage der Grünen Liga Sachsen im Hauptverfahren und die Berufung blieben ebenfalls erfolglos. Die Revision ist nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, nach dessen Ansicht weder die Untersuchung im Jahr 2003 noch die Nachprüfung im Jahr 2008 den Vorgaben der Habitatrichtlinie entsprachen. Die Untersuchung im Jahr 2003 sei zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass es zu keinen langfristigen negativen Auswirkungen kommen werde, habe dann aber keine eingehendere Analyse mehr vorgenommen. Die Nachprüfung im Jahr 2008 habe sich, obwohl dabei im Ergebnis erhebliche Beeinträchtigungen festgestellt worden seien (deren Kompensierung durch Ausgleichsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie möglich gewesen sei), auf lediglich zwei Lebensraumtypen und eine Tierart beschränkt.

21.

Um die Anforderungen der Habitatrichtlinie genauer bestimmen zu können, ersucht das Bundesverwaltungsgericht um eine Vorabentscheidung zu den nachstehenden Fragen.

1.

Ist Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass ein vor der Aufnahme eines Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung genehmigtes, nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienendes Brückenbauprojekt vor seiner Ausführung einer Überprüfung auf seine Verträglichkeit zu unterziehen ist, wenn das Gebiet nach Erteilung der Genehmigung, aber vor Beginn der Ausführung in die Liste aufgenommen worden ist und vor Erteilung der Genehmigung nur eine Gefährdungsabschätzung/Vorprüfung erfolgt war?

2.

Wenn die Frage zu 1 zu bejahen ist:

Muss die nationale Behörde bei der nachträglichen Überprüfung die Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie schon dann einhalten, wenn sie diese bei der der Erteilung der Genehmigung vorangegangenen Gefährdungsabschätzung/Vorprüfung vorsorglich zugrunde legen wollte?

3.

Wenn die Frage zu 1 zu bejahen und die Frage zu 2 zu verneinen ist:

Welche Anforderungen sind nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie an eine nachträgliche Überprüfung einer für ein Projekt erteilten Genehmigung zu stellen, und auf welchen Zeitpunkt ist die Prüfung zu beziehen?

4.

Ist im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens, das der Heilung eines festgestellten Fehlers einer nachträglichen Überprüfung nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie oder einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie dient, durch entsprechende Modifikationen der Prüfungsanforderungen zu berücksichtigen, dass das Bauwerk errichtet und in Betrieb genommen werden durfte, weil der Planfeststellungsbeschluss sofort vollziehbar und ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unanfechtbar erfolglos geblieben war? Gilt dies jedenfalls für eine nachträglich notwendige Alternativenprüfung im Rahmen einer Entscheidung nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie?

22.

Die Grüne Liga Sachsen, der Freistaat Sachsen (Beklagter des Ausgangsverfahrens), die Tschechische Republik und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und in der Sitzung vom 17. Juni 2015 mündliche Ausführungen gemacht.

Weitere Hintergrundinformationen in den Ausführungen der Parteien

23.

In ihren schriftlichen Erklärungen haben sowohl die Grüne Liga Sachsen als auch der Freistaat Sachsen zu dem dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Sachverhalt vertiefende Angaben gemacht. Der Gerichtshof ist zwar nicht befugt, eine Meinung zu den Tatsachen zu äußern, es mag jedoch sachdienlich sein, sich einen umfassenderen Überblick über den Kontext zu verschaffen.

24.

Zunächst trägt die Grüne Liga Sachsen vor, dass das Gebiet der Kommission – entgegen den Angaben des Bundesverwaltungsgerichts – im Juni 2002 und nicht im März 2003 gemeldet worden sei.

25.

Den Ausführungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung lässt sich entnehmen, dass die Grüne Liga Sachsen insoweit Recht hat. Die Kommission hat dem Gerichtshof mitgeteilt, sie habe von Deutschland im März 2002 (was die Verwechslung des Datums mit März 2003 erklären mag) eine „erste Aufstellung“ und im Juni 2002 einen offiziellen Vorschlag erhalten. Jedenfalls ist unstreitig, dass das Gebiet im Dezember 2004 in die von der Kommission geführte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurde. Außerdem dürfte dieser Punkt für die aufgeworfenen Fragen bedeutungslos sein, da bei Zugrundelegung sowohl der einen als auch der anderen Sachverhaltsvariante das Brückenprojekt nach der Meldung, aber vor der Auflistung durch die Kommission genehmigt wurde (nämlich im Februar 2004).

26.

Hinsichtlich des Charakters des Gebiets und der Auswirkungen des Brückenbaus erläutert die Grüne Liga Sachsen, dass es sich bei den in Rede stehenden Auen um den Lebensraumtyp „Magere Flachland-Mähwiesen“ mit mehreren Vogel- und Insektenarten handele und dass die Erhaltungsziele des Gebiets durch Flächenverluste, durch die Zerschneidung des Gebiets durch die Brücke sowie durch den Eingriff in die Lebensräume bestimmter Fischarten aufgrund der Brückenbauarbeiten gefährdet seien.

27.

Der Freistaat Sachsen führt Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen an, die zur Minderung der Auswirkungen der Brücke getroffen worden seien: Geltung eines Tempolimits zu bestimmten Zeiten, Fledermausleitsystem durch Sträucher, Wiederherstellung und Entwicklung weiterer Bereiche als Flachland-Mähwiese sowie Entwicklung des Lebensraumtyps „Flüsse mit Schlammbänken“. Die Brücke sei zur Verkehrsentlastung sowie zur Verbesserung der Verbindungen zwischen den Gebieten beiderseits des Flusses erforderlich; die Erhaltungsziele des in Rede stehenden Gebiets (das sich insgesamt auf 180 km Flussufer erstrecke, darunter auch innerstädtische Bereiche wie den urbanen Bereich in Dresden, wo der Fluss von weiteren acht Brücken gequert werde) beträfen 14 Lebensraumtypen und 19 Tier-/Pflanzenarten nach Anhang I bzw. Anhang II der Habitatrichtlinie ( 3 ).

28.

Die Grüne Liga Sachsen und der Freistaat Sachsen sind sich darin einig, dass die zuständige Behörde ihrer Untersuchung vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses die innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie zugrunde gelegt hat, obwohl das Gebiet noch nicht als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgelistet war. Das Ergebnis lautete zu diesem Zeitpunkt, dass das Projekt nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen im Sinne von Art. 6 Abs. 3 führen würde. Die Entscheidung im Jahr 2008 zur Durchführung einer Nachprüfung schloss sich an weitere Berichte an, die zu einem anderen Ergebnis kamen; diese Nachprüfung sollte den Anforderungen von Art. 6 Abs. 4 genügen. Wie jedoch in der mündlichen Verhandlung deutlich wurde, ist die Grüne Liga Sachsen der Auffassung (und geht das vorlegende Gericht von der Prämisse aus), dass die ursprüngliche Untersuchung und die Nachprüfung im Jahr 2008 diesen Bestimmungen nicht in vollem Umfang entsprachen, während sie nach Meinung des Freistaats Sachsen diese Anforderungen in jeder Hinsicht erfüllten.

Würdigung

Systematik, Anwendbarkeit und Geltungsbereich von Art. 4 und 6 der Habitatrichtlinie

29.

Nach Art. 4 Abs. 1 der Habitatrichtlinie legen die Mitgliedstaaten der Kommission eine Liste von Gebieten binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe der Richtlinie vor. Deutschland hat diese Frist zwar überschritten ( 4 ), jedoch ist dies meines Erachtens für die Problematik hier nur insoweit von Bedeutung, als sich die Säumnis der deutschen Behörden, ihren Verpflichtungen umgehend nachzukommen, nicht zum Vorteil der Behörden auswirken darf. Nach Art. 4 Abs. 2 und 3 erstellt die Kommission binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie eine Liste der in den einzelnen Mitgliedstaaten vorhandenen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung. Sodann weisen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 4 diese Gebiete spätestens binnen weiterer sechs Jahre als besondere Schutzgebiete aus. Art. 6 Abs. 1, der die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen für diese Gebiete verpflichtet, greift daher ab dieser Ausweisung ein. Gemäß Art. 4 Abs. 5 findet Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 jedoch Anwendung, sobald – jedoch nicht bevor ( 5 ) – das Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wird.

30.

Im vorliegenden Fall ist Art. 6 Abs. 2, 3 und 4 der Habitatrichtlinie auf das in Rede stehende Gebiet also ab Dezember 2004 anwendbar, als es in die Liste der Kommission aufgenommen wurde, und Art. 6 Abs. 1 ab dem späteren Zeitpunkt, zu dem es als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen wurde.

31.

Insoweit hat der Gerichtshof entschieden, dass im Fall der Zulassung eines Projekts vor Aufnahme eines Gebiets in die Liste der Kommission später nach der Auflistung keine Verpflichtungen unmittelbar aus Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie erwüchsen ( 6 ). Daher ergab sich hier keine Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 3 zur Durchführung einer Prüfung, als die Kommission das Gebiet im Jahr 2004 in die Liste aufnahm, da das Projekt bereits im Februar 2004 genehmigt worden war.

32.

Diese Aufnahme in die Liste begründet auch keine Pflicht, zu überprüfen, ob bereits bestehende Baugenehmigungen das betreffende Gebiet beeinträchtigen ( 7 ).

33.

Wurde ein Gebiet hingegen nach Maßgabe der Habitatrichtlinie gemeldet und hat die Kommission noch nicht über die Aufnahme in die Liste entschieden, darf der betreffende Mitgliedstaat keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale des Gebiets ernsthaft beeinträchtigen könnten ( 8 ). Die Zulassung des Brückenprojekts erfolgte hier nach der Meldung und unterlag daher dieser Beschränkung.

34.

Nachdem ein Gebiet in die von der Kommission geführte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurde, gilt außerdem für die Durchführung eines vor dieser Aufnahme zugelassenen Projekts Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie, der eine allgemeine Schutzpflicht festlegt, die darin besteht, Verschlechterungen und Störungen zu vermeiden, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten ( 9 ). Außerdem hat der Gerichtshof ausgeführt, dass „eine Verpflichtung zur nachträglichen Prüfung auf Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie gestützt werden [kann]“ ( 10 ) – wenngleich er, wie die Kommission hervorhebt, noch nicht dargelegt hat, unter welchen Voraussetzungen eine solche Verpflichtung entstehen würde.

35.

Schließlich bleibt festzuhalten, dass die Bestimmungen des Art. 6 der Habitatrichtlinie am Maßstab der mit der Richtlinie verfolgten Erhaltungsziele als ein zusammenhängender Normenkomplex auszulegen sind. Denn mit Art. 6 Abs. 2 und 3 soll das gleiche Schutzniveau für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleistet werden, während Art. 6 Abs. 4 lediglich eine Ausnahmevorschrift zu Art. 6 Abs. 3 Satz 2 darstellt ( 11 ).

36.

Demnach liegt im Ausgangsverfahren folgende Situation vor.

37.

Erstens durften die betreffenden Behörden das Brückenprojekt im Februar 2004 nicht genehmigen, falls die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung der ökologischen Merkmale des Gebiets bestand.

38.

Zweitens galt ab Dezember 2004 Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie, so dass die Behörden verpflichtet waren, „die geeigneten Maßnahmen [zu treffen], um … die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten“. Diese Verpflichtung könnte unter bestimmten Umständen (die der Gerichtshof in seiner Entscheidung des vorliegenden Falles näher darzulegen haben wird) die Pflicht zur Nachprüfung einer bereits erteilten Genehmigung umfassen.

39.

Drittens ergibt sich eine Verpflichtung hinsichtlich der Durchführung oder der Nachprüfung des Verfahrens, das im Februar 2004 zur Zulassung des Brückenprojekts führte, nicht unmittelbar aus Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie, und Art. 6 Abs. 4, der lediglich eine Ausnahme von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 vorsieht, kann ebenfalls nicht unmittelbar einschlägig sein. Allerdings könnte Art. 6 Abs. 3 – und damit möglicherweise auch Art. 6 Abs. 4 – für die Bestimmung der Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 maßgeblich sein, da mit Art. 6 Abs. 2 und 3 das gleiche Schutzniveau gewährleistet werden soll.

Erste Frage: Erfordernis der Nachprüfung der Verträglichkeit eines Projekts in einem Gebiet nach Genehmigung, aber vor Ausführung des Projekts?

40.

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob bei dem dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie die Verpflichtung bestand, die ursprüngliche Untersuchung des Projekts nachzuprüfen, nachdem das Gebiet vor Beginn der Bauarbeiten in die von der Kommission geführte Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wurde.

41.

Zu diesem Sachverhalt führt das vorlegende Gericht insbesondere aus, dass zunächst lediglich eine „Gefährdungsabschätzung/Vorprüfung“ vorgenommen worden sei und offenbar keine Prüfung, die allen Erfordernissen von Art. 6 Abs. 3 entsprochen hätte, wenn diese Vorschrift damals gegolten hätte. Nach Ansicht des Freistaats Sachsen entsprach die ursprüngliche Untersuchung allen diesen Erfordernissen. Eine Entscheidung hierüber ist ausschließlich Sache des nationalen Gerichts, aber ich werde mich mit beiden Varianten befassen, um eine umfassendere Antwort zu geben.

42.

Erstens fänden sich bei der Variante, der zufolge die ursprüngliche Untersuchung allen Erfordernissen von Art. 6 Abs. 3 (und in dem erforderlichen Umfang von Art. 6 Abs. 4) der Habitatrichtlinie entsprach, angesichts der Tatsache, dass Art. 6 Abs. 2 und 3 das gleiche Schutzniveau gewährleisten sollen, in Art. 6 Abs. 2 (der lediglich geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen verlangt) grundsätzlich wohl keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Untersuchung allein aus dem formalen Grund, dass das Gebiet inzwischen als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgelistet ist, generell einer Nachprüfung zu unterziehen ist.

43.

Allerdings ist durchaus denkbar, dass der Erhaltungszustand eines Gebiets ( 12 ) sich zwischen dem Zeitpunkt der ursprünglichen Untersuchung und dem Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten weiterentwickelt. Im vorliegenden Fall verstrichen zwischen diesen beiden Zeitpunkten mehr als vier Jahre. Art. 6 Abs. 2 beinhaltet eine laufende Verpflichtung, das gleiche Schutzniveau wie Art. 6 Abs. 3 zu gewährleisten, und es widerspräche der Zielsetzung der Richtlinie, wenn eine Baugenehmigung unverändert Bestand hätte und von ihr auch nach einer wesentlichen Änderung des Erhaltungszustands des Gebiets Gebrauch gemacht werden dürfte. Infolgedessen kann bei einer Änderung der Verhältnisse des Gebiets oder der Projektdetails eine Nachprüfung der Untersuchung im Licht der veränderten Situation als eine durch Art. 6 Abs. 2 vorgeschriebene „geeignete Maßnahme“ zur Vermeidung der Verschlechterung der Lebensräume oder der Störung von Arten geboten sein. Es ist Sache des zuständigen nationalen Gerichts als allein zur Tatsachenwürdigung berufene Instanz zu beurteilen, ob im Einzelfall solche Veränderungen eingetreten sind.

44.

Insoweit kommt es meines Erachtens nicht darauf an, ob die Veränderung vor oder nach der Auflistung als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung eingetreten ist – entscheidend ist, ob die Veränderung nach dem Zeitpunkt der ursprünglichen Untersuchung und vor dem Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten eingetreten ist.

45.

Dies muss offenkundig erst recht gelten, wenn eine solche Veränderung eingetreten ist und die ursprüngliche Untersuchung nicht in vollem Umfang den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 (und Abs. 4) der Habitatrichtlinie entsprach.

46.

Allerdings ist auch der Fall zu prüfen, dass die ursprüngliche Untersuchung den Anforderungen nicht vollumfänglich entsprach, die Verhältnisse des Gebiets oder die Details des Projekts sich nach der Durchführung der Untersuchung jedoch nicht geändert haben und das einzige (möglicherweise) relevante Ereignis die Auflistung als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung ist.

47.

In einem solchen Fall hält es der Gerichtshof, obwohl er entschieden hat, dass Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie keine Verpflichtung zur Nachprüfung der ursprünglichen Beurteilung umfasse, auch für möglich, dass sich eine solche Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 ergibt, der das gleiche Schutzniveau gewährleisten solle ( 13 ).

48.

Eine solche Verpflichtung kann meiner Ansicht nach jedoch nicht absolut bestehen. Wollte man eine Nachprüfung in allen Fällen verlangen, käme dies einer Anwendung von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie auf Fälle gleich, die außerhalb des ausdrücklichen zeitlichen Anwendungsbereichs liegen, und liefe der oben in den Nrn. 31 und 32 angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zuwider.

49.

Ein zuständiges nationales Gericht muss jedoch stets die Möglichkeit haben, eine solche Nachprüfung anzuordnen, wenn die ursprüngliche Untersuchung die Vorgaben von Art. 6 Abs. 3 und 4 so weit verfehlt, dass erhebliche Verschlechterungen der Lebensräume oder Störungen von Arten drohen, da die Mitgliedstaaten im Fall einer solchen Bedrohung nach Art. 6 Abs. 2 zu geeigneten Maßnahmen verpflichtet sind, um Verschlechterungen und Störungen zu vermeiden. Das Gleiche gilt, wenn die ursprüngliche Untersuchung die voraussichtlichen Auswirkungen des Projekts auf die Lebensräume und Arten in dem Gebiet nicht eindeutig bezeichnet, so dass das Bestehen einer möglichen Gefährdung unklar bleibt. Unter solchen Umständen dürfte eine Nachprüfung der ursprünglichen Untersuchung eine geeignete Maßnahme darstellen, wenngleich auch Alternativen hierzu in Betracht gezogen werden müssen. So könnte z. B. eine ganz konkrete Gefährdung durch eine geeignete, aber klar umrissene Präventivmaßnahme ausgeräumt werden, oder der Fall mag so gelagert sein, dass die einzige geeignete Maßnahme im Widerruf der ursprünglichen Genehmigung und in der Anordnung eines vollständig neuen Prüfungsverfahrens besteht.

Zweite Frage: Erfordernis der Beachtung von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie bei einer nachträglichen Überprüfung, wenn diese Bestimmungen bereits bei der ursprünglichen Untersuchung zugrunde gelegt wurden

50.

Das vorlegende Gericht geht bei seiner zweiten Frage von dem Fall aus, dass eine Nachprüfung der Verträglichkeit des Projekts nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie erforderlich ist. Es unterstellt ferner, dass die betreffende Behörde bei der Durchführung der ursprünglichen Untersuchung die Bestimmungen von Art. 6 Abs. 3 und 4 beachten wollte. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Behörde in einem solchen Fall bei ihrer Nachprüfung an die letztgenannten Bestimmungen gebunden ist.

51.

Insoweit stimme ich dem Freistaat Sachsen und der Kommission zu, dass es keinen Grund gibt, den von der Behörde bei der ursprünglichen Untersuchung verfolgten Zielsetzungen und Absichten irgendwelche Bedeutung zuzumessen.

52.

Aus meinem Vorschlag für die Antwort auf die erste Frage folgt, dass bei der Entscheidung, ob eine Nachprüfung erforderlich ist, nur auf ein objektives Kriterium abgestellt werden darf, nämlich darauf, ob die ursprüngliche Untersuchung in vollem Umfang Art. 6 Abs. 3 (und gegebenenfalls Abs. 4) der Habitatrichtlinie entsprach und ob verneinendenfalls die Mängel dergestalt waren, dass erhebliche Verschlechterungen der Lebensräume oder Störungen von Arten drohen oder die Möglichkeit einer solchen Bedrohung unbeurteilt geblieben ist.

53.

Nach der Rechtsprechung sind die sich aus der Habitatrichtlinie ergebenden Anforderungen an eine solche Nachprüfung allein Art. 6 Abs. 2 zu entnehmen, nicht jedoch (zumindest nicht unmittelbar) Art. 6 Abs. 3 und 4. Wollte man nämlich die strenge Einhaltung der letztgenannten Bestimmungen verlangen, nur weil dies bei der ursprünglichen Untersuchung so beabsichtigt war, stünde dem – wie der Gerichtshof in diesem Zusammenhang hervorgehoben hat – der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegen ( 14 ).

54.

Wenn solche Anforderungen hingegen nicht auf der Habitatrichtlinie, sondern auf nationalen Rechtsvorschriften oder einer nationalen Verwaltungspraxis beruhen ( 15 ), wäre eine Kollision mit Art. 6 der Habitatrichtlinie ausgeschlossen, da Art. 6 Abs. 2 und 3 das gleiche Schutzniveau gewährleisten sollen. Das Vorbringen der Grünen Liga Sachsen, wonach die Behörden, wenn sie bereits einmal die Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 und 4 in ihrer ursprünglichen Untersuchung erfüllen wollten, an diese Vorgehensweise auch bei einer nachträglichen Prüfung gebunden seien, ist daher nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen, wenn sich diese Argumentation auf nationales Recht stützt. Fest steht nur, dass sich diese Anforderung nicht aus der Habitatrichtlinie selbst herleiten lässt.

55.

Was diese Richtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof betrifft, sind die Anforderungen aus Art. 6 Abs. 2 einschlägig, und diese sind Gegenstand der dritten Frage. Für den Fall, dass sich der Widerruf der ursprünglichen Genehmigung und die Anordnung eines vollkommen neuen Prüfungsverfahrens – das dann ja naturgemäß nach Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung eingeleitet würde – als geeignete Maßnahme nach Art. 6 Abs. 2 erweisen sollten, möchte ich an dieser Stelle allerdings darauf hinweisen, dass dieses Verfahren unmittelbar den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 und 4 entsprechen müsste.

Dritte Frage: Anforderungen nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie für eine nachträgliche Überprüfung und maßgeblicher Bezugszeitpunkt für diese Prüfung

56.

Zunächst sei für Pläne und Projekte, die bei ihrer Zulassung nicht unter Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie fallen, auf die unmissverständlichen Ausführungen des Gerichtshofs hingewiesen, wonach „nicht auszuschließen ist, dass ein Mitgliedstaat entsprechend der in Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung in einem nationalrechtlichen Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung eines dem Interesse an der Erhaltung eines Gebiets möglicherweise erheblich zuwiderlaufenden Plans oder Projekts einen Grund des öffentlichen Interesses geltend macht und – sofern die nach dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen im Wesentlichen erfüllt sind – eine Tätigkeit genehmigen kann, die anschließend nicht mehr nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie verboten wäre. Um jedoch prüfen zu können, ob die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 4 der [Habitatrichtlinie] erfüllt sind, sind zuvor die Auswirkungen des Plans oder des Projekts nach Art. 6 Abs. 3 dieser Richtlinie zu prüfen“ ( 16 ).

57.

Meines Erachtens spricht der Gerichtshof mit dieser Rechtsprechung Fallgestaltungen an, die insofern deutliche Parallelen zu der vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren geschilderten Neubewertung vom Oktober 2008 aufweisen, als im Rahmen dieser Neubewertung die Vorschriften von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie beachtet wurden und der Planfeststellungsbeschluss im Wege einer Ausnahmeregelung mit der Auflage von Ausgleichsmaßnahmen bestätigt wurde.

58.

Angesichts dessen dürfte aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zwangsläufig zu folgern sein, dass sich die Notwendigkeit einer Nachprüfung oder Neubewertung im Oktober 2008 zwar unmittelbar aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie ergeben haben mag, dass dieses Verfahren aber sämtliche Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 und 4 erfüllen musste.

59.

Aus ähnlichen Gründen, wie ich sie oben insbesondere in Nr. 48 dargelegt habe, kann dies jedoch nicht für alle Fälle gelten. So sind z. B. Situationen denkbar, in denen eine Nachprüfung nach Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie einfach deshalb erforderlich ist, um zu kontrollieren, ob die gemäß diesem Absatz zu treffenden Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung eine Verschlechterung der Lebensräume oder Störungen von Arten tatsächlich vermeiden, eine neue Verträglichkeitsprüfung des Projekts nach Art. 6 Abs. 3 jedoch überflüssig ist und eine Ausnahmeregelung gemäß Art. 6 Abs. 4 nicht in Frage kommt.

60.

Zweitens ist im Rahmen dieser Frage zu prüfen, auf welchen Zeitpunkt sich die Neubewertung beziehen muss. Hätte im vorliegenden Fall bei der Neubewertung auf den Erhaltungszustand des Gebiets und auf die Auswirkungen des Brückenprojekts abgestellt werden sollen, der bzw. die im Jahr 2003 bzw. 2004 gegeben und feststellbar waren, als die ursprüngliche Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde und der Planfeststellungsbeschluss erging, oder auf den Erhaltungszustand des Gebiets und auf die Auswirkungen des Brückenprojekts im Jahr 2008, als die Neubewertung stattfand und die Bauarbeiten an der Brücke bereits begonnen hatten? Es liegt auf der Hand, dass das Ergebnis der Neubewertung von der Wahl dieses Zeitpunkts abhängen kann.

61.

Meiner Meinung nach lässt sich die Antwort aus der Art der Verpflichtungen ableiten, die in Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie festgelegt sind, d. h. in der Bestimmung, aufgrund deren eine Nachprüfung oder Neubewertung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens geboten sein kann. Diese Verpflichtungen umfassen die laufende Überwachung des betreffenden Gebiets, und unter Maßnahmen, die zur Vermeidung der Verschlechterung der Lebensräume und der Störung von Arten zu treffen sind, können nur Maßnahmen zu verstehen sein, die zum Zeitpunkt ihres Erlasses im Licht dieser laufenden Überwachung geeignet sind.

62.

Um es etwas anders formuliert zusammenzufassen: Soweit nach den Umständen des Ausgangsverfahrens eine Nachprüfung der ursprünglichen Untersuchung erforderlich war, ergab sich diese Pflicht aus Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie, so dass bei dieser Nachprüfung die bis zu diesem Zeitpunkt (2008) eingetretene Entwicklung zugrunde zu legen war; soweit die Nachprüfung jedoch zu einer Ausnahmeregelung gemäß Art. 6 Abs. 4 führte, mussten sämtliche Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 erfüllt werden.

Vierte Frage: Bedeutung des Umstands im Ausgangsverfahren, dass das Projekt aufgrund der Bestandskraft und Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses fertiggestellt wurde

63.

Das vorlegende Gericht geht bei seiner vierten Frage nicht nur davon aus, dass nach der Bezeichnung des Gebiets als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung eine Nachprüfung der ursprünglichen Untersuchung erforderlich wurde, sondern auch davon, dass diese im Jahr 2008 tatsächlich durchgeführte Nachprüfung ihrerseits nicht in vollem Umfang den Anforderungen der Habitatrichtlinie entsprach. Das Bundesverwaltungsgericht möchte wissen, ob zum gegenwärtigen Zeitpunkt – also nach Fertigstellung der Brücke und ihrer Freigabe für den Verkehr – der Umstand eine Rolle spielt, dass alle nach innerstaatlichem Recht möglichen Rechtsbehelfe vor Beginn der Bauarbeiten erschöpft worden waren und der Planfeststellungsbeschluss damals bestandskräftig war. Das vorlegende Gericht möchte insbesondere wissen, ob dieser Umstand bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Ausnahmeregelung nach Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie zu berücksichtigen sein kann.

64.

Zunächst halte ich es für undenkbar, dass die nach nationalem Verfahrensrecht eingetretene Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses in irgendeiner Weise als Begründung dafür herangezogen werden kann, dass Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie nicht eingehalten werden muss. Andernfalls wäre die Wirkung der Richtlinie beeinträchtigt und es bestünde die Möglichkeit, dass in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Normen gelten – ein Ergebnis, das dem Ziel, „ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete“ zu errichten und aufrechtzuerhalten, diametral entgegenstünde. Die Anforderungen der Richtlinie müssen jederzeit in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten.

65.

Zudem sieht Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie fortlaufende Verpflichtungen vor. Selbst wenn eine Baugenehmigung in einem mit Art. 6 Abs. 3 und 4 völlig in Einklang stehenden Verfahren erteilt wird, müssen die Mitgliedstaaten weiterhin geeignete Maßnahmen treffen, um Verschlechterungen der Lebensräume und Störungen von Arten zu vermeiden. Dies muss erst recht gelten, wenn das Verfahren nicht völlig richtlinienkonform abgelaufen ist und Fehler korrigiert werden müssen. Auch wenn die mit der Bestandskraft einer Baugenehmigung verbundene Rechtssicherheit ein zu berücksichtigender Faktor ist, so kann dieser nicht schwerer wiegen als das Gebot ständiger Überwachung und fortlaufender Vermeidungsmaßnahmen. Je nach den Umständen kann vielmehr eine Entschädigung an Personen zu leisten sein, die berechtigterweise auf die Genehmigung vertraut und das Projekt deshalb durchgeführt haben.

66.

Die mit dieser Frage angesprochene Problematik reicht jedoch weiter. Nicht nur war der Planfeststellungsbeschluss im Ausgangsverfahren bestandskräftig geworden, sondern die Brücke wurde auch noch errichtet (mit einhergehenden Verschlechterungen der Lebensräume und Störungen von Arten, die allerdings aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses als gerechtfertigt galten) und ist für den Verkehr freigegeben (mit möglicherweise anhaltenden Auswirkungen auf Lebensräume und Arten). In diesem Kontext befasst sich das vorlegende Gericht mit der Hypothese, dass die Feststellung von Mängeln bei der ursprünglichen Untersuchung und bei der Nachprüfung zu einer Nichtigerklärung des Planfeststellungsbeschlusses mit weitreichenden sowohl ökologischen als auch wirtschaftlichen Folgen führen könnte, wenn entschieden wird, dass die Brücke rückgebaut werden muss.

67.

Sollte sich diese Hypothese als zutreffend erweisen, wäre zu prüfen, welche Maßnahmen dann nach der Habitatrichtlinie zu treffen sind.

68.

Diese Maßnahmen müssten „geeignet“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie sein. Beurteilungsmaßstab wären die zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehenden Verhältnisse. Es müsste also der Umstand der Errichtung der Brücke berücksichtigt werden, und sodann wären die ökologischen Folgen des Fortbestands (und Weiterbetriebs) der Brücke gegen die Folgen einer Stilllegung (oder Nutzungsbeschränkung) oder gar eines Rückbaus abzuwägen. Dabei müssten diejenigen Maßnahmen gewählt werden, die die Verschlechterung der Lebensräume und Störung der Arten so weit wie möglich vermeiden. Ist jedoch eine Verschlechterung oder Störung bereits eingetreten, wäre auch dem Erfordernis aus Art. 4 Abs. 4 der Habitatrichtlinie, wonach Prioritäten für die Wahrung oder die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Lebensräume oder Arten festzulegen sind, sowie den Bewirtschaftungserfordernissen aus Art. 6 Abs. 1 Rechnung zu tragen.

69.

Es ist durchaus denkbar, dass eine solche Interessen- und Prioritätenabwägung zu der Auffassung führt, dass die Brücke vorbehaltlich geeigneter Vermeidungsmaßnahmen und Bewirtschaftungsmaßnahmen bestehen bleiben sollte. Bei einem gegenteiligen Ergebnis wären jedoch etwaige Rückbauvorhaben meines Erachtens – ebenso wie das ursprüngliche Vorhaben zur Errichtung der Brücke – als „Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch … erheblich beeinträchtigen könnten“, im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie anzusehen, die ihrerseits vor der Durchführung der nach der genannten Bestimmung verlangten Prüfung unterzogen werden müssten.

70.

Allerdings schließe ich mich der von der Kommission vertretenen Auffassung an, wonach bei der Abwägung der verschiedenen Optionen die wirtschaftlichen Kosten, z. B. des Rückbaus der Brücke und der Entschädigung des Bauträgers, grundsätzlich unbeachtlich sind. Zwar mögen, soweit Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie eingreift, dieselben „zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“ angeführt werden können, auf die sich die ursprüngliche Untersuchung stützte, diese Gründe könnten aber durch das offenkundige öffentliche Interesse an der Einsparung von Kosten nicht an Stichhaltigkeit gewinnen (zudem dürfte ein solches Interesse wohl kaum als überwiegend einzustufen sein, wenn im Fall eines prioritären Lebensraumtyps und/oder einer prioritären Art Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 2 Anwendung findet). Bei einem solchen Lösungsansatz würde man ökologisch abträgliche Projekte allein deshalb bestehen lassen, weil es zu teuer ist, der mangelnden Beachtung der Anforderungen der Richtlinie abzuhelfen.

Ergebnis

71.

Nach alledem bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof die Fragen des Bundesverwaltungsgerichts in folgendem Sinne beantworten sollte:

Wenn ein Plan oder Projekt, der bzw. das nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Natura-2000-Gebiets in Verbindung steht, ein solches Gebiet jedoch erheblich beeinträchtigen könnte, nach Meldung des Gebiets an die Kommission, aber vor Aufnahme des Gebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung auf der Grundlage einer ebenfalls zwischen diesen beiden Zeitpunkten durchgeführten Verträglichkeitsprüfung genehmigt wurde, und die Ausführung des Projekts erst nach Aufnahme des Gebiets in die Liste begann, sind die Bestimmungen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen folgendermaßen auszulegen:

1.

Wenn das ursprüngliche Untersuchungs- und Genehmigungsverfahren in vollem Umfang Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie entsprach, verlangt Art. 6 Abs. 2 in der Regel nicht die Durchführung einer Nachprüfung dieses Verfahrens; bei einer Änderung der Verhältnisse des Gebiets oder der Details des Projekts kann jedoch eine Nachprüfung der Untersuchung im Licht der veränderten Lage als geeignete Maßnahme zur Vermeidung der Verschlechterung der Lebensräume oder der Störung von Arten geboten sein. Entsprach das ursprüngliche Verfahren nicht Art. 6 Abs. 3 und 4, stellt eine Nachprüfung eine durch Art. 6 Abs. 2 gebotene geeignete Maßnahme dar, soweit aufgrund der Mängel des Verfahrens eine erhebliche Verschlechterung der Lebensräume oder eine Störung von Arten droht oder die Auswirkungen des Projekts auf Lebensräume und Arten nicht bezeichnet werden.

2.

Der Umstand, dass die das ursprüngliche Verfahren durchführenden Behörden den Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 92/43 genügen wollten, begründet keine Verpflichtung aus der Richtlinie, diese Bestimmungen auch bei einer nachträglichen Überprüfung des Verfahrens zu beachten; es steht jedoch der Richtlinie nicht entgegen, wenn eine solche Verpflichtung aus dem nationalen Recht hergeleitet wird.

3.

Ist die Nachprüfung des ursprünglichen Verfahrens eine nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 gebotene geeignete Maßnahme, muss diese Nachprüfung auf die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung bestehende Situation abstellen. Führt die Nachprüfung zu einer Ausnahmeregelung entsprechend Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie, muss sie auch sämtliche Anforderungen von Art. 6 Abs. 3 erfüllen.

4.

Weist die Nachprüfung ihrerseits nach Fertigstellung des Projekts Mängel auf, ist der Umstand, dass die Genehmigung nach nationalem Recht bestandskräftig und unanfechtbar geworden ist, für die Bestimmung der gemäß der Richtlinie 92/43 zu treffenden Maßnahmen ohne Belang. Diese Maßnahmen müssen so gestaltet sein, dass die weitere Verschlechterung der Lebensräume oder Störungen von Arten im Gebiet gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie vermieden werden, sollten gegebenenfalls auf die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands abzielen und müssen, wenn sie den Rückbau des fertiggestellten Projekts umfassen, einer Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 unterliegen. Im letztgenannten Fall können die wirtschaftlichen Kosten des Rückbaus nicht als zwingender Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne von Art. 6 Abs. 4 geltend gemacht werden.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7).

( 3 ) Nach Informationen auf der Website der Europäischen Umweltagentur (http://eunis.eea.europa.eu/sites/DE4545301) gehören zwei der Lebensraumtypen und zwei der Tierarten zu denjenigen, die in den Anhängen der Habitatrichtlinie mit prioritärem Status ausgewiesen sind. Allerdings erscheint es eher unwahrscheinlich, dass in der Nähe der streitigen Elbbrücke in der Stadt Dresden die beiden prioritären Lebensraumtypen („Schlucht- und Hangmischwälder Tilio-Acerion“ und „Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior“) anzutreffen sind. Hingegen ist es durchaus möglich, dass die beiden prioritären Tierarten (die Spanische Flagge [Euplagia quadripunctaria] und der Eremit [Osmoderma eremita]) im gesamten Gebiet vorkommen, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung zumindest für die Spanische Flagge bestätigt hat.

( 4 ) Vgl. Urteil Kommission/Deutschland (C‑71/99, EU:C:2001:433).

( 5 ) Urteil Dragaggi u. a. (C‑117/03, EU:C:2005:16, Rn. 23 bis 25). Allerdings ist auf einen offenbaren Widerspruch zwischen Art. 4 und Art. 6 der Habitatrichtlinie hinzuweisen, denn Art. 6 Abs. 2 betrifft ausdrücklich besondere Schutzgebiete, während Art. 4 Abs. 5 die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ab dem Zeitpunkt vorsieht, zu dem ein Gebiet in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen wird, was bis zu sechs Jahre vor der Ausweisung als besonderes Schutzgebiet der Fall sein kann.

( 6 ) Urteile Kommission/Österreich (C‑209/04, EU:C:2006:195, Rn. 56 und 57 und die dort angeführte Rechtsprechung) und Stadt Papenburg (C‑226/08, EU:C:2010:10, Rn. 48 und 49).

( 7 ) Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑6/04, EU:C:2005:626, Rn. 57 bis 59).

( 8 ) Urteile Dragaggi u. a. (C‑117/03, EU:C:2005:16, Rn. 26 und 27), Bund Naturschutz in Bayern u. a. (C‑244/05, EU:C:2006:579, Rn. 44, 47 und 51) und Stadt Papenburg (C‑226/08, EU:C:2010:10, Rn. 49).

( 9 ) Urteil Stadt Papenburg (C‑226/08, EU:C:2010:10, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑6/04, EU:C:2005:626, Rn. 58); vgl. auch Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑6/04, EU:C:2005:372, Nr. 55).

( 11 ) Urteile Sweetman u. a. (C‑258/11, EU:C:2013:220, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung) und Briels u. a. (C‑521/12, EU:C:2014:330, Rn. 19).

( 12 ) Nach Art. 1 Buchst. e der Habitatrichtlinie ist unter Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums die Gesamtheit der Einwirkungen zu verstehen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten auswirken können.

( 13 ) Siehe oben (Nr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 14 ) Vgl. z. B. Urteil Kommission/Österreich (C‑209/04, EU:C:2006:195, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) Siehe oben (Nrn. 10 bis 12). Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine öffentliche Verwaltung bei der Anwendung des Unionsrechts an eine allgemeine Entscheidungspraxis gebunden sein kann – vgl. Urteil The Rank Group (C‑259/10 und C‑260/10, EU:C:2011:719, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Urteil Cascina Tre Pini (C‑301/12, EU:C:2014:214, Rn. 34 mit Verweis auf das Urteil Kommission/Spanien [C‑404/09, EU:C:2011:768, Rn. 156 und 157]).