SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 3. September 2015 ( 1 )

Rechtssache C‑121/14

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland

gegen

Europäisches Parlament,

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage — Art. 91 AEUV — Art. 170 ff. AEUV — Verkehr — Transeuropäische Verkehrsnetze — Fazilität ‚Connecting Europe‘ — Verlängerung der Schienengüterverkehrskorridore über London hinaus — Vorhaben von gemeinsamem Interesse, das der Billigung des betroffenen Mitgliedstaats bedarf“

1. 

Mit seiner Klage beantragt das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, Art. 29 und Anhang II der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 680/2007 und (EG) Nr. 67/2010 ( 2 ) für nichtig zu erklären, und begründet diesen Antrag in erster Linie damit, dass mit den Erweiterungen der ersten Güterverkehrskorridore durch diese Bestimmungen die Ziele des Art. 170 AEUV verfolgt würden und sie daher gemäß den Art. 171 AEUV und 172 AEUV hätten erlassen werden müssen.

I – Rechtlicher Rahmen

A – AEU-Vertrag

2.

Art. 91 AEUV lautet:

„(1)   Zur Durchführung des Artikels 90 werden das Europäische Parlament und der Rat unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verkehrs gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen

a)

für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln aufstellen;

b)

für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen festlegen;

c)

Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit erlassen;

d)

alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften erlassen.

(2)   Beim Erlass von Maßnahmen nach Absatz 1 wird den Fällen Rechnung getragen, in denen die Anwendung den Lebensstandard und die Beschäftigungslage in bestimmten Regionen sowie den Betrieb der Verkehrseinrichtungen ernstlich beeinträchtigen könnte.“

3.

In Titel XVI („Transeuropäische Netze“) bestimmt Art. 170 AEUV:

„(1)   Um einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Artikel 26 und 174 zu leisten und den Bürgern der Union, den Wirtschaftsbeteiligten sowie den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in vollem Umfang die Vorteile zugutekommen zu lassen, die sich aus der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen ergeben, trägt die Union zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur bei.

(2)   Die Tätigkeit der Union zielt im Rahmen eines Systems offener und wettbewerbsorientierter Märkte auf die Förderung des Verbunds und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze sowie des Zugangs zu diesen Netzen ab. Sie trägt insbesondere der Notwendigkeit Rechnung, insulare, eingeschlossene und am Rande gelegene Gebiete mit den zentralen Gebieten der Union zu verbinden.“

4.

Art. 171 Abs. 1 AEUV sieht im selben Titel ferner vor:

„Zur Erreichung der Ziele des Artikels 170 geht die Union wie folgt vor:

Sie stellt eine Reihe von Leitlinien auf, in denen die Ziele, die Prioritäten und die Grundzüge der im Bereich der transeuropäischen Netze in Betracht gezogenen Aktionen erfasst werden; in diesen Leitlinien werden Vorhaben von gemeinsamem Interesse ausgewiesen;

sie führt jede Aktion durch, die sich gegebenenfalls als notwendig erweist, um die Interoperabilität der Netze zu gewährleisten, insbesondere im Bereich der Harmonisierung der technischen Normen;

sie kann von den Mitgliedstaaten unterstützte Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die im Rahmen der Leitlinien gemäß dem ersten Gedankenstrich ausgewiesen sind, insbesondere in Form von Durchführbarkeitsstudien, Anleihebürgschaften oder Zinszuschüssen unterstützen; die Union kann auch über den nach Artikel 177 errichteten Kohäsionsfonds zu spezifischen Verkehrsinfrastrukturvorhaben in den Mitgliedstaaten finanziell beitragen.

Die Union berücksichtigt bei ihren Maßnahmen die potenzielle wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Vorhaben.“

5.

Schließlich heißt es in Art. 172 AEUV, der sich auch in Titel XVI über die transeuropäischen Netze befindet:

„Die Leitlinien und die übrigen Maßnahmen nach Artikel 171 Absatz 1 werden vom … Parlament und vom Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen festgelegt.

Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, bedürfen der Billigung des betroffenen Mitgliedstaats.“

B – Güterverkehrsverordnung

6.

Gegenstand der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zur Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr ( 3 ), die auf der Grundlage des Art. 91 AEUV erlassen wurde, ist es, Vorschriften für die Einrichtung und Organisation grenzübergreifender Güterverkehrskorridore mit dem Ziel festzulegen, ein europäisches Schienennetz für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr zu schaffen. Dafür werden Vorschriften für die Auswahl, die Organisation, das Management und die indikative Investitionsplanung von Güterverkehrskorridoren festgelegt ( 4 ).

7.

Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Güterverkehrsverordnung bezeichnet der Ausdruck „,Güterverkehrskorridor‘ alle im Gebiet der oder zwischen den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls in europäischen Drittländern ausgewiesenen Eisenbahnstrecken, einschließlich Eisenbahnfähren, die zwei oder mehr Terminals entlang einer Hauptroute und gegebenenfalls anbindenden Umleitungsstrecken und Abschnitten, einschließlich der Schieneninfrastruktur und dazugehörigen Ausrüstungen und wichtigen Eisenbahndienstleistungen gemäß Art. 5 der Richtlinie 2001/14/EG[ ( 5 )] miteinander verbinden“.

8.

Kapitel II der Güterverkehrsverordnung regelt die Bestimmung und Leitung der grenzübergreifenden Güterverkehrskorridore. Art. 3, der sich in diesem Kapitel befindet, lautet:

„Die im Anhang aufgeführten Mitgliedstaaten nehmen zu den dort festgelegten Zeitpunkten die im Anhang genannten ersten Güterverkehrskorridore in Betrieb. Die betreffenden Mitgliedstaaten unterrichten die Kommission über die Einrichtung der Güterverkehrskorridore.“

9.

Der Anhang dieser Verordnung sieht vor:

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(1) ‚/‘ kennzeichnet Alternativrouten. Im Einklang mit den [Leitlinien für das transeuropäische Verkehrsnetz, im Folgenden: TEN-V] müssen die Korridore Atlantik und Mittelmeer künftig durch die Schienengüterverkehrsverbindung Sines/Algeciras-Madrid-Paris ergänzt werden, die die Zentralpyrenäen mit einem Basistunnel durchquert.

(+) Mit + gekennzeichnete Routen werden spätestens drei Jahre nach dem in dieser Tabelle genannten Datum für die Einrichtung in die jeweiligen Korridore einbezogen. Bestehende Strukturen gemäß Artikel 8 und Artikel 13 Absatz 1 der vorliegenden Verordnung werden angepasst, wenn weitere Mitgliedstaaten und Infrastrukturbetreiber an den jeweiligen Korridoren teilnehmen. Diese Einbeziehung stützt sich auf Marktstudien und berücksichtigt den Aspekt des bestehenden Personen- und Güterverkehrs im Einklang mit Artikel 14 Absatz 3 der vorliegenden Verordnung.

(*) Mit * gekennzeichnete Routen werden spätestens fünf Jahre nach dem in dieser Tabelle genannten Datum für die Einrichtung in die jeweiligen Korridore einbezogen. Bestehende Strukturen gemäß Artikel 8 und Artikel 13 Absatz 1 der vorliegenden Verordnung werden angepasst, wenn weitere Mitgliedstaaten und Infrastrukturbetreiber an den jeweiligen Korridoren teilnehmen. Diese Einbeziehung stützt sich auf Marktstudien und berücksichtigt den Aspekt des bestehenden Personen- und Güterverkehrs im Einklang mit Artikel 14 Absatz 3 der vorliegenden Verordnung.

…“

10.

Vor der Änderung durch die streitige Verordnung war der erste Güterverkehrskorridor Nr. 2 wie folgt festgelegt:

Image

11.

Die Art. 4 bis 6 der Güterverkehrsverordnung stellen Kriterien für die Einrichtung weiterer Güterverkehrskorridore und Regeln für deren Auswahl und Änderung auf. Sie lauten:

„Artikel 4

Kriterien für weitere Güterverkehrskorridore

Die Auswahl weiterer Güterverkehrskorridore gemäß Artikel 5 und die Änderung der Güterverkehrskorridore gemäß Artikel 6 erfolgt unter Berücksichtigung folgender Kriterien:

a)

Verlauf des Güterverkehrskorridors durch mindestens drei Mitgliedstaaten beziehungsweise durch zwei Mitgliedstaaten, wenn der Abstand zwischen den vom Korridor bedienten Eisenbahnterminals mehr als 500 Kilometer beträgt;

b)

Kohärenz des Güterverkehrskorridors mit dem TEN-V, den [Korridoren des Europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems (European Rail Traffic Management System – ERTMS) ( 6 )] und/oder den von [RailNetEurope (RNE)] festgelegten Korridoren[ ( 7 )];

c)

Einbeziehung vorrangiger TEN-V-Vorhaben in den Güterverkehrskorridor;

d)

Ausgewogenheit zwischen den sozioökonomischen Kosten und den Vorteilen, die mit der Einrichtung des Güterverkehrskorridors einhergehen;

e)

die Gesamtkohärenz der von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Güterverkehrskorridore im Hinblick auf die Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr;

f)

Entwicklung des Schienengüterverkehrs und großer Handels- und Güterverkehrsströme entlang des Güterverkehrskorridors;

g)

gegebenenfalls bessere Verbindungen zwischen Mitgliedstaaten und europäischen Drittländern;

h)

Interesse der Antragsteller an dem Güterverkehrskorridor;

i)

gute Schnittstellen zu den anderen Verkehrsträgern, insbesondere aufgrund eines geeigneten Netzes von Terminals, auch in den See- und Binnenhäfen.

Artikel 5

Auswahl weiterer Güterverkehrskorridore

(1)   Jeder Mitgliedstaat mit einer Eisenbahnverbindung zu einem anderen Mitgliedstaat beteiligt sich an der Einrichtung mindestens eines Güterverkehrskorridors, es sei denn, diese Verpflichtung wurde bereits im Rahmen des Artikels 3 erfüllt.

(2)   Ungeachtet des Absatzes 1 beteiligen sich Mitgliedstaaten auf Antrag eines Mitgliedstaates an der Einrichtung des in Absatz 1 genannten Güterverkehrskorridors oder an der Verlängerung eines bestehenden Güterverkehrskorridors, um einem Nachbarmitgliedstaat zu ermöglichen, seine Verpflichtung nach Absatz 1 zu erfüllen.

(3)   Unbeschadet der Pflichten der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 7 der Richtlinie 91/440/EWG[ ( 8 )] ist ein Mitgliedstaat, der nach Vorlage einer sozioökonomischen Analyse der Auffassung ist, dass die Einrichtung eines Güterverkehrskorridors nicht im Interesse der Antragsteller liegt, die den Güterverkehrskorridor voraussichtlich nutzen werden, oder keine erheblichen sozioökonomischen Vorteile bietet oder eine unverhältnismäßige Belastung schaffen würde, vorbehaltlich eines Beschlusses der Kommission nach dem in Artikel 21 Absatz 2 genannten Beratungsverfahren nicht zu einer Beteiligung gemäß den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels verpflichtet.

(4)   Ein Mitgliedstaat, dessen Schienennetz eine andere Spurweite hat als das Hauptschienennetz in der Union, ist nicht zu einer Beteiligung gemäß den Absätzen 1 und 2 verpflichtet.

(5)   Die Einrichtung eines Güterverkehrskorridors wird von den betreffenden Mitgliedstaaten vorgeschlagen. Sie übermitteln der Kommission zu diesem Zweck gemeinsam eine Absichtserklärung einschließlich eines Vorschlags, der nach Konsultation der betreffenden Betreiber der Infrastruktur und Antragsteller ausgearbeitet wurde, unter Berücksichtigung der Kriterien des Artikels 4.

Um die Verpflichtung nach den Absätzen 1 und 2 zu erfüllen, übermitteln die betreffenden Mitgliedstaaten der Kommission bis zum 10. November 2012 gemeinsam eine Absichtserklärung.

(6)   Die Kommission prüft die in Absatz 5 genannten Vorschläge zur Einrichtung eines Güterverkehrskorridors und fasst nach dem in Artikel 21 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren spätestens neun Monate nach Einreichung der betreffenden Vorschläge einen Beschluss über die Vereinbarkeit dieser Vorschläge mit dem vorliegenden Artikel.

(7)   Die betreffenden Mitgliedstaaten richten den Güterverkehrskorridor spätestens zwei Jahre nach dem in Absatz 6 genannten Beschluss der Kommission ein.

Artikel 6

Änderung der weiteren Güterverkehrskorridore

(1)   Die in Artikel 5 genannten Güterverkehrskorridore können auf gemeinsamen Vorschlag der betreffenden Mitgliedstaaten gegenüber der Kommission nach Konsultation der betreffenden Betreiber der Infrastruktur und Antragsteller geändert werden.

(2)   Die Kommission fasst nach dem in Artikel 21 Absatz 3 genannten Regelungsverfahren unter Berücksichtigung der Kriterien des Artikels 4 einen Beschluss über den Vorschlag.“

C – TEN-V-Verordnung

12.

Die Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über Leitlinien der Union für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 661/2010/EU ( 9 ) wurde auf der Grundlage des Art. 172 AEUV erlassen. Nach Art. 1 Abs. 1 und 2 der TEN‑V‑Verordnung hat diese zum Gegenstand, die Leitlinien für den Aufbau eines TEN-V festzulegen, das eine Struktur auf zwei Ebenen umfasst, die aus dem Gesamtnetz und aus dem Kernnetz besteht, wobei Letzteres auf der Grundlage des Gesamtnetzes errichtet wird, und Vorhaben von gemeinsamem Interesse zu benennen und die Anforderungen vorzugeben, die im Hinblick auf den Betrieb der Infrastruktur des TEN‑V eingehalten werden müssen.

13.

Art. 2 dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Diese Verordnung gilt für das [TEN‑V], wie es sich aus den im Anhang I enthaltenen Karten ergibt. Das [TEN‑V] enthält die Verkehrsinfrastrukturen und die Telematikanwendungen sowie Maßnahmen zur Förderung eines effizienten Betriebs und der effizienten Nutzung dieser Infrastrukturen sowie die Schaffung und den Betrieb nachhaltiger und effizienter Verkehrsdienste zu ermöglichen.

(2)   Die Verkehrsinfrastrukturen des [TEN‑V] umfassen die Infrastruktur für den Schienenverkehr, die Binnenschifffahrt, den Straßenverkehr, den Seeverkehr, den Luftverkehr und den multimodalen Verkehr entsprechend der einschlägigen Abschnitte des Kapitels II.“

14.

Nach Art. 3 Buchst. a der TEN-V-Verordnung bezeichnet der Ausdruck „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ ein Vorhaben, das gemäß den Anforderungen und unter Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durchgeführt wird.

15.

Art. 5 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung sieht vor, dass Planung, Aufbau und Betrieb des TEN-V auf ressourcenschonende Weise durch den Aufbau, die Verbesserung und die Instandhaltung bestehender Verkehrsinfrastrukturen erfolgen.

16.

Nach Art. 6 der TEN-V-Verordnung erfolgt der schrittweise Aufbau des TEN-V insbesondere durch die Umsetzung einer auf einem kohärenten und transparenten methodischen Ansatz beruhenden Struktur auf zwei Ebenen für dieses Netz, die aus einem Gesamtnetz und einem Kernnetz besteht. Das Gesamtnetz besteht aus allen vorhandenen und geplanten Verkehrsinfrastrukturen des TEN-V sowie aus Maßnahmen zur Förderung einer effizienten sowie sozial und ökologisch nachhaltigen Nutzung dieser Infrastrukturen. Das Kernnetz besteht aus jenen Teilen des Gesamtnetzes, die von größter strategischer Bedeutung für die Verwirklichung der mit dem Aufbau des TEN-V verfolgten Ziele sind. Die Festlegung und der Aufbau der beiden Netze erfolgen gemäß der Kapitel II und III dieser Verordnung.

17.

In Art. 7 dieser Verordnung heißt es:

„(1)   Vorhaben von gemeinsamem Interesse tragen durch die Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen, durch die Sanierung und den Ausbau der vorhandenen Verkehrsinfrastrukturen und durch Maßnahmen zur Förderung der ressourcenschonenden Nutzung des Netzes zum Aufbau des [TEN‑V] bei.

(2)   Ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse muss

a)

den Zielen, die unter mindestens zwei der vier in Artikel 4 genannten Kategorien fallen, dienen,

b)

den Vorgaben des Kapitels II und, soweit es um das Kernnetz geht, zusätzlich den Vorgaben des Kapitels III entsprechen,

c)

auf Basis einer sozioökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse wirtschaftlich tragfähig sein,

d)

einen europäischen Mehrwert aufweisen.

(3)   Ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse kann den gesamten Projektzyklus einschließlich Machbarkeitsstudien und Genehmigungsverfahren, Durchführung und Bewertung umfassen.

…“

18.

Art. 32 Buchst. a in Kapitel II („Das Gesamtnetz“) der TEN-V-Verordnung bestimmt, dass die Mitgliedstaaten insbesondere Vorhaben von gemeinsamem Interesse berücksichtigen, die sowohl mittels Nutzung der Infrastrukturen des Gesamtnetzes effiziente Güterverkehrsdienste erbringen als auch zur Reduzierung der CO2-Emissionen und anderer negativer Auswirkungen auf die Umwelt beitragen und die auf die Verbesserung der nachhaltigen Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen sowie ihres effizienten Betriebs abzielen.

19.

Art. 42 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Kernnetzkorridore sind ein Instrument, das die koordinierte Verwirklichung des Kernnetzes erleichtern soll. Mit dem Ziel eines ressourcenschonenden multimodalen Verkehrs, womit durch eine verbesserte territoriale Zusammenarbeit ein Beitrag zum Zusammenhalt geleistet wird, stellen die Kernnetzkorridore vorrangig auf Folgendes ab:

a)

Integration der verschiedenen Verkehrsträger,

b)

Interoperabilität sowie

c)

eine koordinierte Entwicklung der Infrastrukturen, insbesondere in grenzüberschreitenden Abschnitten und bei Engpässen.

(2)   Kernnetzkorridore ermöglichen es den Mitgliedstaaten, ein koordiniertes und zeitlich abgestimmtes Herangehen an Infrastrukturinvestitionen zu erreichen, damit die Kapazitäten so effizient wie möglich eingesetzt werden können. Die Kernnetzkorridore unterstützen die umfassende Einführung interoperabler Verkehrsmanagementsysteme und gegebenenfalls die Nutzung von Innovationen und neuen Technologien.“

20.

Art. 43 dieser Verordnung definiert die Kernnetzkorridore wie folgt:

„(1)   Kernnetzkorridore umfassen die wichtigsten Fernverkehrsflüsse im Kernnetz und dienen insbesondere dem Zweck, grenzüberschreitende Verbindungen innerhalb der Union zu verbessern.

(2)   Kernnetzkorridore sind multimodal angelegt und offen für die Einbeziehung aller durch diese Verordnung erfassten Verkehrsträger. Sie verlaufen über mindestens zwei Grenzen und erstrecken sich, wenn möglich, auf mindestens drei Verkehrsträger, gegebenenfalls auch auf Meeresautobahnen.“

21.

Nach Art. 44 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung ist die Liste der Kernnetzkorridore in Anhang I Teil I der streitigen Verordnung enthalten. Die Mitgliedstaaten beteiligen sich nach Maßgabe des Kapitels IV der TEN-V-Verordnung an diesen Kernnetzkorridoren.

22.

In den Art. 45 bis 47 dieser Verordnung wird die Struktur für die Leitung der Kernnetzkorridore festgelegt, um ihre koordinierte Verwirklichung im Einvernehmen mit den beteiligten Mitgliedstaaten zu erleichtern. Für jeden Kernnetzkorridor wird ein oder werden mehrere Europäische Koordinatoren benannt, die von einem Beratungsgremium (dem im Einvernehmen mit den betreffenden Mitgliedstaaten eingesetzten Korridorforum) unterstützt werden. Der Europäische Koordinator erstellt gemeinsam mit den betreffenden Mitgliedstaaten den Arbeitsplan in Bezug auf den Korridor und überwacht dessen Umsetzung.

23.

Schließlich heißt es in Art. 48 dieser Verordnung:

„(1)   Zwischen den Kernnetzkorridoren und den Schienengüterverkehrskorridoren gemäß der [Güterverkehrsverordnung] wird eine angemessene Koordinierung gewährleistet, um etwaige Doppelarbeiten zu vermeiden; dies gilt insbesondere für die Festlegung des Arbeitsplans oder die Einsetzung von Arbeitsgruppen.

(2)   Die in der [Güterverkehrsverordnung] vorgesehenen Leitungsstrukturen werden von den Bestimmungen dieses Kapitels nicht berührt.“

D – Streitige Verordnung

24.

Gegenstand der streitigen Verordnung ist nach ihrem Art. 1 die Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“. Diese Fazilität legt die Bedingungen, Methoden und Verfahren zur Bereitstellung einer finanziellen Unterstützung der Union für transeuropäische Netze fest, um Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Bereich der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen zu unterstützen und potenzielle Synergien zwischen diesen Sektoren zu nutzen.

25.

Nach Art. 2 Nr. 1 dieser Verordnung bezeichnet „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ ein Vorhaben, das in der TEN-V-Verordnung, der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 ( 10 ) oder in einer Verordnung über Leitlinien für transeuropäische Netze im Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur angegeben ist.

26.

Anhang I Teil I der streitigen Verordnung sieht u. a. den Kernnetzkorridor „Nordsee – Mittelmeer“ vor. Für das Vereinigte Königreich sind darin u. a. folgende Anpassungen vorgesehen:

Glasgow/Edinburgh – Liverpool/Manchester – Birmingham,

Birmingham – Felixstowe/London/Southampton,

London – Lille – Brussel/Bruxelles.

27.

Art. 29 der streitigen Verordnung bestimmt, dass die Güterverkehrsverordnung wie folgt geändert wird:

„Der Anhang der [Güterverkehrsverordnung] wird durch den Anhang II der [streitigen] Verordnung ersetzt. Folglich werden die überarbeiteten Schienengüterverkehrskorridore weiterhin den Bestimmungen der [Güterverkehrsverordnung] unterworfen.“

28.

In Anhang II der streitigen Verordnung wird der erste Güterverkehrskorridor Nr. 2, wie er im Anhang der Güterverkehrsverordnung vor ihrer Änderung durch Art. 29 der streitigen Verordnung ( 11 ) festgelegt ist, durch den Güterverkehrskorridor „Nordsee – Mittelmeer“ ersetzt.

29.

Damit wurde der erste Güterverkehrskorridor Nr. 2 bis nach Glasgow ausgedehnt und im Vereinigten Königreich um Glasgow, Edinburgh, Southampton, Felixstowe und London ergänzt.

II – Rechtsetzungsverfahren, das zum Erlass der streitigen Verordnung geführt hat

30.

Das Vereinigte Königreich hatte sich zunächst an keinem der ersten Güterverkehrskorridore, wie sie in der Güterverkehrsverordnung vorgesehen waren, beteiligt. Später leitete es auf der Grundlage sozioökonomischer Studien das Verfahren zur Einrichtung eines weiteren Güterverkehrskorridors gemäß Art. 5 dieser Verordnung ein, um den ersten Güterverkehrskorridor Nr. 2 durch den Tunnel unter dem Ärmelkanal bis nach London auszuweiten.

31.

In seiner Klageschrift erläutert das Vereinigte Königreich, es habe den in Art. 1 der streitigen Verordnung niedergelegten Grundsätzen zugestimmt. Jedoch sei im Laufe der Verhandlungen über den Erlass der Verordnung ein Vorschlag für eine Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 vorgelegt worden, um ihn bis nach Glasgow auszuweiten. Dieser Ausweitung habe das Vereinigte Königreich nicht zugestimmt. Sie werde auch nicht durch eine sozioökonomische Analyse gestützt.

32.

Daher enthielt sich das Vereinigte Königreich bei der Abstimmung über den Erlass der streitigen Verordnung und gab am 25. November 2013 eine Erklärung ab, in der es die Gründe für seine Enthaltung erläuterte ( 12 ). Auch die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Lettland gaben Erklärungen ab, in denen sie Bedenken gegen die Erweiterung der ersten Güterverkehrskorridore unter diesen Umständen äußerten ( 13 ).

III – Anträge der Parteien

33.

Das Vereinigte Königreich beantragt,

Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung für nichtig zu erklären, soweit darin der erste Güterverkehrskorridor Nr. 2 über London hinaus erweitert wird, und

dem Parlament und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

34.

Das Parlament und der Rat sowie die Kommission, die ihre Anträge als Streithelferin unterstützt, beantragen,

die Klage abzuweisen;

dem Vereinigten Königreich die Kosten aufzuerlegen.

IV – Zur Zulässigkeit der Klage: Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der streitigen Verordnung

35.

Das Vereinigte Königreich ist der Auffassung, dass es sich bei Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung um eigenständige Teile handele, die sich vom Rest der Verordnung trennen ließen. Daher sei seine Klage auf eine teilweise Nichtigerklärung dieser Verordnung, nämlich auf die Nichtigerklärung von Art. 29 und Anhang II, gerichtet.

36.

Nach ständiger Rechtsprechung ist die teilweise Nichtigerklärung eines Unionsrechtsakts nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen. Der Gerichtshof hat auch wiederholt entschieden, dass dieses Erfordernis der Abtrennbarkeit nicht erfüllt ist, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses Aktes verändert würde ( 14 ).

37.

Das Parlament, der Rat und die Kommission sind sich darin einig, dass der Antrag des Vereinigten Königreichs auf teilweise Nichtigerklärung zulässig ist.

38.

Diese Auffassung teile ich.

39.

Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung lassen sich nämlich von der gesamten übrigen Verordnung trennen. Würden sie für rechtswidrig erklärt, würde die Verordnung dennoch weiterhin Rechtswirkungen entfalten, da ihre übrigen Bestimmungen ein anderes Ziel haben als dieser Artikel und dieser Anhang.

40.

So besteht der Wesensgehalt der streitigen Verordnung in der Einrichtung einer Fazilität „Connecting Europe“, um die Investitionen im Bereich der transeuropäischen Netze zu beschleunigen ( 15 ). Dafür legt sie die Bedingungen, Methoden und Verfahren zur Bereitstellung einer finanziellen Unterstützung der Union für transeuropäische Netze fest, um Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Bereich der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastrukturen zu unterstützen ( 16 ).

41.

Mit Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung sollen hingegen nur die im Rahmen der Güterverkehrsverordnung vorgesehenen Güterverkehrs- und Kernnetzkorridore angepasst werden. Daher würde ihre Nichtigerklärung den Wesensgehalt der streitigen Verordnung nicht ändern.

42.

Da sich Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung von der übrigen Verordnung trennen lassen, sollte der Antrag des Vereinigten Königreichs auf teilweise Nichtigerklärung meines Erachtens für zulässig erklärt werden.

V – Zur Klage

43.

Das Vereinigte Königreich macht zur Stützung seiner Klage zwei Klagegründe geltend.

44.

Mit seinem ersten Klagegrund trägt es vor, dass die durch Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung erfolgten Änderungen des Anhangs der Güterverkehrsverordnung in der ursprünglichen Fassung, die eine Erweiterung des ersten Schienengüterverkehrskorridors Nr. 2 zur Folge hätten, gemäß den Art. 171 AEUV und 172 AEUV hätten erlassen werden müssen, da diese Änderungen auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 170 AEUV gerichtet seien.

45.

Mit seinem zweiten Klagegrund macht das Vereinigte Königreich geltend, da diese Änderungen auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 170 AEUV gerichtet seien, seien die Erweiterungen der ersten Güterverkehrskorridore, die „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ im Sinne des Art. 171 Abs. 1 AEUV seien und das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs beträfen, unter Verstoß gegen das Erfordernis der Billigung des betroffenen Mitgliedstaats nach Art. 172 Abs. 2 AEUV erlassen worden.

A – Zum ersten Klagegrund: falsche Wahl der Rechtsgrundlage für die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2

1. Vorbringen der Parteien

46.

Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs hätte die Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 durch Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung, die eine Erweiterung des Korridors bis nach Glasgow zur Folge habe, auf der Grundlage von Art. 172 AEUV erlassen werden müssen, der zu Titel XVI (Transeuropäische Netze) des AEU-Vertrags gehöre.

47.

Die Erweiterungen der ersten Güterverkehrskorridore seien nämlich für die Errichtung eines TEN-V unerlässlich und damit auf die Verwirklichung der Ziele der Art. 170 AEUV und 171 AEUV gerichtet. Dies werde dadurch bestätigt, dass gemäß dem 46. Erwägungsgrund der TEN-V-Verordnung, in dem es heiße, dass „[d]ie Kernnetzkorridore … den Schienengüterverkehrskorridoren [entsprechen sollten], die gemäß der [Güterverkehrsverordnung] eingerichtet werden“, mit der Erweiterung des Güterverkehrskorridors Nr. 2 der Kernnetzkorridor an diesen Korridor angepasst werden solle, was eines der Ziele der TEN-V-Verordnung – und damit des Art. 170 AEUV – darstelle. Insoweit führt das Vereinigte Königreich auch den 16. Erwägungsgrund der streitigen Verordnung an, nach dem „[d]ie geografische Anpassung der Schienengüterverkehrskorridore, wie in der [Güterverkehrsverordnung] vorgesehen, und der Kernnetzkorridore nach Teil I von Anhang I der vorliegenden Verordnung …, soweit dies angemessen ist, unter Berücksichtigung der Ziele der jeweiligen Instrumente sichergestellt werden [sollte], um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Entwicklung und Nutzung der Eisenbahninfrastruktur zu optimieren“.

48.

Zudem würden mit der Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 genau die Ziele des Art. 170 Abs. 2 AEUV verfolgt, der vorsehe, dass „[d]ie Tätigkeit der Union … im Rahmen eines Systems offener und wettbewerbsorientierter Märkte auf die Förderung des Verbunds und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze sowie des Zugangs zu diesen Netzen [abzielt]“.

49.

Die Güterverkehrskorridore und die Kernnetzkorridore seien beides Koordinierungsinstrumente, die gerade die Verbesserung der Interoperabilität und des Zugangs zu den einzelstaatlichen Netzen zum Ziel hätten. Dieses Argument werde durch Art. 48 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung bestätigt, nach dem „[z]wischen den Kernnetzkorridoren und den Schienengüterverkehrskorridoren gemäß der [Güterverkehrsverordnung] … eine angemessene Koordinierung gewährleistet [wird], um etwaige Doppelarbeiten zu vermeiden; dies gilt insbesondere für die Festlegung des Arbeitsplans oder die Einsetzung von Arbeitsgruppen“.

50.

Auch wenn sich das Vereinigte Königreich ferner bewusst sei, dass es die Rechtsgrundlage für den Erlass der Güterverkehrsverordnung nicht mehr rechtmäßig in Frage stellen könne, sei darauf hinzuweisen, dass der Hauptzweck dieser Verordnung in der Verwirklichung der Ziele des Art. 170 Abs. 2 AEUV liege, wie im Übrigen im fünften Erwägungsgrund dieser Verordnung vorgesehen sei, in dem es heiße, dass „die Bedingungen der Infrastrukturnutzung durch die Einrichtung grenzübergreifender Güterverkehrskorridore für ein europäisches Schienennetz für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr, das einen effizienten Güterzugbetrieb mit reibungslosen Übergängen zwischen den nationalen Netzen ermöglicht, verbessert werden [könnten]“.

51.

Entgegen der Meinung des Parlaments und des Rates sei für die Aufnahme der Güterverkehrskorridore in die Ziele des Art. 170 AEUV überdies nicht die Errichtung einer neuen Eisenbahninfrastruktur erforderlich. Auch in der TEN-V-Verordnung sei dies im Übrigen keine Verpflichtung im Rahmen des Aufbaus von Kernnetzkorridoren.

52.

Die Frage sei letztlich, ob die getroffene Maßnahme in ihrer Gesamtheit in erster Linie eine Maßnahme der gemeinsamen Verkehrspolitik oder eine Netzmaßnahme sei, so dass sich hier die Art. 91 AEUV und 170 Abs. 2 AEUV entgegenstünden. Das Vereinigte Königreich bestreite nicht, dass die Güterverkehrsverordnung zum Ausbau eines wettbewerbsfähigen und effizienten Güterverkehrs beitragen solle und so die Ziele des Art. 91 AEUV verfolge, doch sei das Hauptziel dieser Verordnung in Wirklichkeit die Schaffung eines Netzes aus zuverlässigen Güterverkehrskorridoren, begleitet von Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen den Infrastrukturbetreibern, was die Ziele der TEN-V-Verordnung und damit die Ziele des Art. 170 Abs. 2 AEUV fördere.

53.

Somit sei Art. 172 AEUV eine speziellere Rechtsgrundlage als Art. 91 AEUV, und die Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 hätte auf seiner Grundlage erlassen werden müssen.

54.

Das Parlament, der Rat und die Kommission tragen vor, der Umstand, dass nur Art. 172 AEUV als Rechtsgrundlage in den Bezugsvermerken der streitigen Verordnung genannt werde, ergebe sich aus der Anwendung der Regeln für Rechtsgrundlagen. So weist das Parlament auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hin, nach der die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen müsse, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehörten ( 17 ). Es führt ferner das Urteil Kommission/Rat ( 18 ) an, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass, wenn „die Prüfung des betreffenden Rechtsakts [ergibt], dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und … sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen [lässt], während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, … der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen [ist], und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert“ ( 19 ).

55.

Nach Ansicht des Parlaments, des Rates und der Kommission bestehen die hauptsächliche und überwiegende Zielsetzung und Komponente der streitigen Verordnung nach ihrem Art. 1 darin, eine finanzielle Unterstützung der Union für transeuropäische Netze zu gewähren und Vorhaben von gemeinsamem Interesse zu unterstützen, während Art. 29 und Anhang II dieser Verordnung, die den ersten Güterverkehrskorridor Nr. 2 änderten, nur ein Nebenziel verfolgten, nämlich die Änderung der Güterverkehrsverordnung, um die Kernnetzkorridore an die ersten Güterverkehrskorridore anzupassen. Das Parlament und der Rat fügen hinzu, dass, wäre für diese Änderung ein separater Rechtsakt erlassen worden, für diesen tatsächlich Art. 91 AEUV die Rechtsgrundlage gewesen wäre.

56.

Zudem verstehe ich das Parlament und den Rat dahin, dass der Korridor aus ihrer Sicht, um Teil des TEN-V zu sein, ein Vorhaben in dem Sinne sein müsse, dass eine Verpflichtung zur Änderung einer bestehenden Infrastruktur oder zur Schaffung einer neuen Infrastruktur bestehen müsse, was vorliegend nicht der Fall sei. Die Pflicht, einen ersten Güterverkehrskorridor einzurichten, umfasse nämlich keine Pflicht der Mitgliedstaaten, neue Bahnstrecken zu bauen. Es werde von ihnen nur verlangt, für eine bessere Koordinierung des Schienengüterverkehrs auf bestimmten bestehenden Bahnstrecken und – insbesondere mit Hilfe einer einzigen Anlaufstelle – für einen besseren Betrieb dieser Strecken zu sorgen. Der Rat zieht daraus den Schluss, dass die bloße Nutzung einer Infrastruktur nicht als eine „Infrastruktur“ im Sinne des Art. 170 Abs. 1 AEUV angesehen werden könne.

57.

Das Parlament ist ferner der Auffassung, dass der im 16. Erwägungsgrund der streitigen Verordnung genannte Grund für die Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2, nämlich die Anpassung des entsprechenden Kernnetzkorridors an diesen Korridor, keinesfalls beweise, dass diese Korridore eine Verbindung aufwiesen und beide auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 170 Abs. 2 AEUV gerichtet seien. Mit dieser Anpassung solle nur die Nutzung der Infrastruktur durch die Güterverkehrskorridore mit ihrem Ausbau durch die Schaffung des Kernnetzes harmonisiert werden, u. a. um Verwaltungskosten zu sparen.

58.

Zudem habe der Begriff des Netzes in der Güterverkehrsverordnung funktionellen Charakter. Könnte jede Maßnahme, die eine Verbesserung der Nutzung der Infrastruktur, wie sie in dieser Verordnung vorgesehen sei, zur Folge habe, als „TEN-V-Maßnahme“ eingestuft werden, schlösse dies alle auf den Verkehr bezogenen Maßnahmen auf diesem Gebiet wie Sicherheitsmaßnahmen oder Entgeltregelungen ein. Eine Netzwerkmaßnahme, die nach den Art. 11 bis 13 der TEN-V-Verordnung den Güterverkehr betreffe, sei nur darauf gerichtet, die Kriterien für die Verkehrsinfrastruktur zu erfüllen, und stelle die Grundlage für die Bestimmung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse dar.

59.

Der Rat macht geltend, dass die Güterverkehrsverordnung auf der Grundlage des Art. 91 AEUV erlassen worden sei und keine Leitlinien für die transeuropäischen Netze im Sinne des Art. 171 Abs. 1 AEUV enthalte. Sie falle somit vollständig unter die gemeinsame Verkehrspolitik. Was speziell Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung anbelange, folge aus der Notwendigkeit, eine geografische Anpassung der Güterverkehrskorridore und der Kernnetzkorridore zu gewährleisten, nicht, dass die Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 unter das TEN-V falle.

60.

Zum Argument des Vereinigten Königreichs, um festzustellen, ob eine Maßnahme unter Art. 170 AEUV falle, sei zu prüfen, ob diese Maßnahme eine Netzwerkmaßnahme oder eine Maßnahme der gemeinsamen Verkehrspolitik sei, trägt der Rat vor, dass hierfür Art. 9 der TEN-V-Verordnung und die dort aufgeführten Bedingungen heranzuziehen seien. Zudem beträfen die Art. 11 bis 13 dieser Verordnung die Infrastrukturkomponenten, die Anforderungen an die Infrastruktur und die Prioritäten für den Aufbau der Infrastruktur. Somit müsse eine TEN-V-Maßnahme eine Maßnahme mit Bezug zur Infrastruktur sein.

61.

Schließlich fügt der Rat hinzu, dass Art. 11 in Kapitel III („Investitionen in den Güterverkehrskorridor“) der Güterverkehrsverordnung nur ein Verwaltungs- oder Koordinierungsinstrument sei und keine Investition in die Schieneninfrastruktur verlange, womit er das Argument des Vereinigten Königreichs zurückweist, auch diese Verordnung führe letztlich zu Vorhaben, die als Vorhaben von gemeinsamem Interesse anerkannt würden und TEN-V-Mittel erhalten könnten.

62.

Für die Kommission fallen Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung nicht in deren sachlichen Anwendungsbereich. Sie stellten eine formelle Änderung der Güterverkehrsverordnung dar, die auf der Grundlage des Art. 91 AEUV erlassen worden sei, und unterlägen daher diesem Artikel.

63.

Auch die Kommission ist der Auffassung, dass die Bestimmungen über die Güterverkehrskorridore im Wesentlichen Koordinierungs- und Verwaltungsinstrumente seien, mit denen die Güterverkehrsdienste wettbewerbsfähiger seien. Sie fielen daher nur unter die gemeinsame Verkehrspolitik.

2. Würdigung

64.

Der erste Klagegrund des Vereinigten Königreichs ist auf die Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne des Art. 263 Abs. 2 AEUV gestützt. Im Einzelnen ist dieser Mitgliedstaat der Auffassung, dass die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 170 AEUV gerichtet sei und die durch Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung erfolgte Änderung daher auf der Grundlage der Art. 171 AEUV und 172 AEUV hätte vorgenommen werden müssen.

65.

Nach Ansicht des Parlaments und des Rates, unterstützt durch die Kommission, ist diese Verordnung zwar tatsächlich gemäß Art. 172 AEUV erlassen worden, jedoch verfolge die durch Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung erfolgte Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 im Verhältnis zum Ziel dieser Verordnung nur ein Nebenziel, und die Erweiterung des Korridors falle unter die gemeinsame Verkehrspolitik. Somit wäre für diese Änderung allein, wenn sie Gegenstand eines separaten Rechtsakts wäre, Art. 91 AEUV die geeignete Rechtsgrundlage.

66.

Es stellt sich daher die Frage, ob die geografische Anpassung der ersten Güterverkehrskorridore und der Kernnetzkorridore unter die gemeinsame Verkehrspolitik oder unter die TEN-V-Politik fällt. Diese Frage ist von nicht unerheblicher Bedeutung. Ist der Gerichtshof nämlich der Auffassung, dass tatsächlich Art. 172 AEUV die geeignete Rechtsgrundlage ist, könnte der Fehler bei der Wahl des Beschlussverfahrens dem Vereinigten Königreich sein Recht genommen haben, Einfluss auf den Inhalt des Rechtsakts auszuüben, da nach Art. 172 Abs. 2 AEUV die Billigung des von den Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse in Bezug auf transeuropäische Netze betroffenen Mitgliedstaats erforderlich ist und das Vereinigte Königreich mit der Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 bis nach Glasgow nicht einverstanden ist.

67.

Nach ständiger Rechtsprechung „muss die Wahl der Rechtsgrundlage für einen Rechtsakt der Union auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts gehören“ ( 20 ). „Dabei spielt es keine Rolle, welche Rechtsgrundlage für den Erlass anderer Handlungen der Union, die gegebenenfalls ähnliche Merkmale aufweisen, herangezogen wurde, da die Bestimmung der Rechtsgrundlage einer Handlung in Ansehung des Ziels und des Inhalts dieser Handlung zu erfolgen hat“ ( 21 ).

68.

Der Gerichtshof hat ferner wiederholt entschieden, dass in dem Fall, dass „die Prüfung des betreffenden Rechtsakts [ergibt], dass er zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, und … sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen [lässt], während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, … der Rechtsakt nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen [ist], und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert“ ( 22 ).

69.

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist daher zu klären, ob Art. 172 AEUV, wie dies das Vereinigte Königreich vorträgt, die einzige geeignete Rechtsgrundlage für die sich aus Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung ergebenden Erweiterungen der Güterverkehrskorridore ist.

70.

Um dies klären zu können, sind in einem ersten Schritt die Artikel des AEU-Vertrags über die gemeinsame Verkehrspolitik und diejenigen über die transeuropäischen Netze zu prüfen. In einem zweiten Schritt ist anhand des Ziels und des Inhalts von Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung zu prüfen, ob das in diesen Bestimmungen vorgesehene Handeln der Union in den Anwendungsbereich der Art. 170 ff. AEUV fällt oder nicht.

a) Gemeinsame Verkehrspolitik und transeuropäische Netze

71.

Nach Art. 90 AEUV werden auf dem Sachgebiet des Verkehrs die Ziele der Verträge im Rahmen einer gemeinsamen Verkehrspolitik verfolgt. Als eines dieser Ziele nennt Art. 3 Abs. 3 EUV, dass „[d]ie Union einen Binnenmarkt errichtet. Sie wirkt auf die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität hin. Sie fördert den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt.“

72.

Art. 91 Abs. 1 Buchst. a und b AEUV will dieses Ziel der Errichtung eines Binnenmarkts durch die Festlegung entsprechender Leitlinien für den Gesetzgeber erreichen. Er sieht daher vor, dass der Gesetzgeber „für den internationalen Verkehr aus oder nach dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats oder für den Durchgangsverkehr durch das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln“ aufstellt und „für die Zulassung von Verkehrsunternehmern zum Verkehr innerhalb eines Mitgliedstaats, in dem sie nicht ansässig sind, die Bedingungen“ festlegt.

73.

Diese Bestimmung stellt dem Unionsgesetzgeber die notwendige Grundlage für die Liberalisierung der Verkehrsdienste und die Öffnung des Verkehrswesens für den Wettbewerb zur Verfügung ( 23 ) und legt deshalb die Bedingungen für den Wettbewerb und den Handel innerhalb der Union fest. Im Bereich des Schienenverkehrs sind es z. B. drei schrittweise verabschiedete Gesetzespakete, die eine fortschreitende Liberalisierung und Öffnung der Dienste für den Wettbewerb ermöglicht haben ( 24 ).

74.

In Art. 91 Abs. 1 Buchst. c und d AEUV geht es um nicht handelsbezogene Maßnahmen. Danach erlässt der Unionsgesetzgeber Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und alle sonstigen zweckdienlichen Vorschriften. Hinsichtlich der Verkehrssicherheit ist die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein ( 25 ) oder im Schifffahrtsbereich die Richtlinie 2009/45/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über Sicherheitsvorschriften und ‑normen für Fahrgastschiffe ( 26 ) zu nennen.

75.

Zur Tragweite des Begriffs „sonstige zweckdienliche Vorschriften“ hat sich der Gerichtshof in seinem Urteil Schumalla ( 27 ) geäußert. Er hat entschieden, dass die Organe der Union auf dem Gebiet der gemeinsamen Verkehrspolitik über eine weitreichende Regelungsbefugnis zum Erlass angemessener gemeinsamer Regeln verfügen ( 28 ). Aus diesem Urteil geht insbesondere hervor, dass sich gemeinsame Bestimmungen, die zur Beseitigung der Unterschiede beitragen, die die Wettbewerbsbedingungen auf dem Gebiet des Verkehrs erheblich verfälschen können, als im Sinne des Art. 91 Abs. 1 Buchst. d AEUV „zweckdienlich“ für die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik erweisen ( 29 ). Auf der Grundlage dieser Bestimmung hat der Unionsgesetzgeber u. a. Maßnahmen auf dem Gebiet des Steuer- und Arbeitsrechts erlassen ( 30 ).

76.

Ziel des Art. 170 AEUV seinerseits ist es, die transeuropäischen Netze auf- und auszubauen, um gemäß den Art. 26 AEUV und 174 AEUV einen Beitrag zur Verwirklichung des Binnenmarkts zu leisten und den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt zu stärken. In Art. 170 AEUV ist zudem bestimmt, dass die transeuropäischen Netze den Bürgern der Union, den Wirtschaftsbeteiligten sowie den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in vollem Umfang die Vorteile zugutekommen lassen sollen, die sich aus der Schaffung eines Raumes ohne Binnengrenzen ergeben.

77.

Daher müssen der Auf- und Ausbau der transeuropäischen Netze und insbesondere des TEN-V eine Verbindung der nationalen Netze untereinander ermöglichen, um jegliches Hindernis für den freien Waren- und Personenverkehr auszuschließen. Sehr oft sind diese Hindernisse geografischer Natur, wie dies bei den Alpen zwischen Frankreich und Italien der Fall ist, oder technischer Natur wie das Nebeneinander unterschiedlicher nationaler fahrzeugseitiger Systeme für die Signalgebung und Geschwindigkeitskontrolle im Schienenverkehr, die es den Zügen ermöglichen, auf vom Boden übertragene Signale zu reagieren. Solche Hindernisse bremsen die Errichtung eines Binnenmarkts zwangsläufig aus.

78.

Zur Verwirklichung der Ziele des Art. 174 AEUV ist darauf hinzuweisen, dass nach seinen Abs. 1 und 2 „[d]ie Union … weiterhin ihre Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts [entwickelt und verfolgt], um eine harmonische Entwicklung der Union als Ganzes zu fördern“, und „sich insbesondere zum Ziel [setzt], die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern“. Die Kommission erläutert in ihrer Mitteilung zum territorialen Zusammenhalt ( 31 ), dass es „Ziel des territorialen Zusammenhalts ist …, die harmonische Entwicklung aller Gebiete [der Union] sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass die Bürger die jeweiligen Gegebenheiten dieser Gebiete optimal nutzen können. Es geht also darum, die Vielfalt als Vorteil zu begreifen, der zu einer nachhaltigen Entwicklung der gesamten EU beitragen kann.“ ( 32 )

79.

Übertragen auf das TEN-V bedeutet dies, dass das europäische Netz harmonisch ausgebaut wird, um den Wirtschaftsbeteiligten und Nutzern in allen Regionen der Union einen Zugang zu einer innovativen, effizienten und wettbewerbsfähigen Infrastruktur anzubieten ( 33 ). Die TEN-V spielen somit eine herausragende Rolle bei der harmonischen Entwicklung der gesamten Union, da sie eine Mobilität der Wirtschaftsbeteiligten unter möglichst optimalen Bedingungen ermöglichen werden, um die Wirtschaftsaktivität über das gesamte Gebiet der Union zu verteilen ( 34 ). Sie sind es, die eine Verbindung der abgeschiedensten Regionen der Union mit den am zentralsten gelegenen und urbanisiertesten Regionen ermöglichen werden. Sie sind demnach ein Instrument, das den Wirtschaftsbeteiligten und Bürgern der Union dient. Meines Erachtens ist daher die Platzierung des Titels über die transeuropäischen Netze im AEU-Vertrag unmittelbar nach Titel XV über den Verbraucherschutz und vor Titel XVII über die Industrie nicht zufällig.

80.

Die Kommission erläutert in ihrem Grünbuch zu den TEN-V ( 35 ), dass „die Verkehrspolitik darauf abzielt, wirtschaftlich und ökologisch effiziente, sichere und verlässliche Verkehrsdienste innerhalb des Binnenmarktes und darüber hinaus zu fördern“ ( 36 ). Die TEN-V-Politik muss danach „sicherstellen, dass diese Dienste möglichst wirksam sind und auf einer integrierten und innovativen Infrastruktur beruhen, die mit der technischen Entwicklung in den Bereichen Energie, Infrastruktur und [Verkehrsmittel] Schritt hält“ ( 37 ).

81.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung bloße Instrumente sind, die in erster Linie oder ausschließlich der Verwirklichung des Binnenmarkts dienen, oder ob sie über dieses Ziel hinausgehen und insbesondere auf die harmonische Entwicklung der Union als Ganzes gerichtet sind.

b) Fällt die Erweiterung der ersten Güterverkehrskorridore in den Anwendungsbereich der Art. 170 ff. AEUV?

82.

Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung sind Teil dieser Verordnung, deren Ziel es ist, ein Instrument zur Finanzierung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Rahmen der Politik für die transeuropäischen Netze zu schaffen ( 38 ). Insbesondere soll diese Verordnung gemäß ihrem zweiten Erwägungsgrund die Investitionen im Bereich der transeuropäischen Netze beschleunigen und eine Hebelwirkung für Finanzmittel sowohl aus dem öffentlichen als auch aus dem privaten Sektor erzeugen.

83.

Hierfür werden in der streitigen Verordnung die Ziele für jeden erfassten Bereich festgelegt. In Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung wird z. B. für den Bereich des Verkehrs angegeben, dass die geschaffene Fazilität Vorhaben von gemeinsamem Interesse unterstützt, die u. a. das Ziel verfolgen, Engpässe zu beseitigen, die Interoperabilität des Eisenbahnverkehrs auszubauen, fehlende Bindeglieder zu überbrücken und insbesondere grenzübergreifende Abschnitte zu verbessern. Überdies legt die Verordnung das Budget für einen bestimmten Zeitraum fest ( 39 ) und definiert die unterschiedlichen Formen der finanziellen Unterstützung und die Finanzbestimmungen, die für ihre Umsetzung erforderlich sind ( 40 ).

84.

Art. 29 der streitigen Verordnung befindet sich im letzten Titel dieser Verordnung, der allgemeine Bestimmungen und Schlussbestimmungen enthält. Für das Verständnis, warum der Unionsgesetzgeber Art. 29 in die streitige Verordnung aufgenommen hat, hilft nur der 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung, nach dem „[d]ie geografische Anpassung der Schienengüterverkehrskorridore, wie in der [Güterverkehrsverordnung] vorgesehen, und der Kernnetzkorridore nach Teil I von Anhang I der [streitigen] Verordnung …, soweit dies angemessen ist, unter Berücksichtigung der Ziele der jeweiligen Instrumente sichergestellt werden [sollte], um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Entwicklung und Nutzung der Eisenbahninfrastruktur zu optimieren“.

85.

Gegenstand von Art. 29 und von Anhang II der streitigen Verordnung ist somit die Änderung der ersten Güterverkehrskorridore, um sie an die im Verkehrssektor vorermittelten Kernnetzkorridore anzupassen, wie sie in Anhang I Teil I dieser Verordnung vorgesehen sind.

86.

Diese Feststellung allein erlaubt jedoch keine Aussage darüber, ob diese Bestimmungen in den Anwendungsbereich des Art. 170 AEUV fallen. Da sie darauf abzielen, die ursprüngliche Fassung der Güterverkehrsverordnung zu ändern, sind Ziel und Inhalt dieser Verordnung zu betrachten, um zu klären, ob die Erweiterung der ersten Güterverkehrskorridore, wie sie durch Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung vorgenommen worden ist, in Übereinstimmung mit Art. 172 AEUV hätte erlassen werden müssen.

87.

Zwar könnte die Überschrift der Güterverkehrsverordnung darauf schließen lassen, dass diese ausschließlich oder hauptsächlich die Verbesserung des Binnenmarkts für den Schienenverkehr zum Ziel hat, doch zeigt eine Prüfung ihrer Bestimmungen, dass sie über eine bloße Harmonisierung der Binnenmarktbedingungen für den Schienenverkehrssektor hinausgeht.

88.

Zunächst ist festzustellen, dass nach dem dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung „[i]m Interesse der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Verkehrsträgern … für den grenzüberschreitenden und innerstaatlichen Schienengüterverkehr … eine hochwertige und ausreichend finanzierte Eisenbahninfrastruktur vorhanden sein [muss], und zwar eine solche, die es ermöglicht, dass Güterverkehrsdienste unter angemessenen Bedingungen hinsichtlich der Beförderungsgeschwindigkeiten und ‑zeiten erbracht werden sowie zuverlässig sind“. Um die Nutzung des Netzes zu optimieren und seine Zuverlässigkeit zu gewährleisten, führt die Güterverkehrsverordnung „zusätzliche Verfahren [ein], mit denen die Zusammenarbeit zwischen den Betreibern der Infrastruktur bei der Zuweisung von grenzüberschreitenden Zugtrassen für Güterzüge intensiviert wird“ ( 41 ).

89.

Im fünften Erwägungsgrund der Güterverkehrsverordnung wird die notwendige Interoperabilität der nationalen Infrastruktur hervorgehoben. Darin heißt es, dass „die Bedingungen der Infrastrukturnutzung durch die Einrichtung grenzübergreifender Güterverkehrskorridore für ein europäisches Schienennetz für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr, das einen effizienten Güterzugbetrieb mit reibungslosen Übergängen zwischen den nationalen Netzen ermöglicht, verbessert werden [könnten]“. Auch im neunten Erwägungsgrund dieser Verordnung werden die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Verbindungen zwischen den bestehenden Schieneninfrastrukturen beim Ausbau der Güterverkehrskorridore betont.

90.

Gegenstand der Güterverkehrsverordnung ist nach ihrem Art. 1, „Vorschriften für die Einrichtung und Organisation grenzübergreifender Güterverkehrskorridore für einen wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr [festzulegen]“. Hierfür werden „Vorschriften für die Auswahl, die Organisation, das Management und die indikative Investitionsplanung von Güterverkehrskorridoren“ festgelegt.

91.

Aus diesem Grund wurden von den Mitgliedstaaten mehrere erste Güterverkehrskorridore bestimmt, die im Anhang dieser Verordnung aufgeführt sind ( 42 ), darunter der erste Güterverkehrskorridor Nr. 2, bei dem es sich jetzt nach Änderung durch die streitige Verordnung um den Korridor „Nordsee – Mittelmeer“ handelt. Im Anschluss können nach dem Verfahren der Art. 4 bis 6 der Güterverkehrsverordnung weitere Güterverkehrskorridore ausgewählt und geändert werden.

92.

Art. 8 dieser Verordnung sieht für jeden Güterverkehrskorridor einen von den betreffenden Mitgliedstaaten eingerichteten Exekutivrat und einen von den betreffenden Betreibern der Infrastruktur eingerichteten Verwaltungsrat vor. Ihre Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass der Korridor im Einklang mit dem vom Verwaltungsrat gemäß Art. 9 erstellten Durchführungsplan ausgebaut wird.

93.

Nach Art. 11 der Güterverkehrsverordnung muss der Verwaltungsrat für die Infrastruktur des Korridors auch einen Investitionsplan erstellen, regelmäßig überprüfen und dem Exekutivrat zur Billigung unterbreiten. Dieser Plan umfasst u. a. die Liste der geplanten Vorhaben zur Erweiterung, Erneuerung oder Umrüstung der entlang des Güterverkehrskorridors befindlichen Schieneninfrastruktur und der dazugehörigen Ausrüstungen oder einen Plan zur Einführung der interoperablen Systeme in dem jeweiligen Güterverkehrskorridor ( 43 ).

94.

Ferner muss der für den Güterverkehrskorridor zuständige Verwaltungsrat nach Art. 13 dieser Verordnung eine einzige Anlaufstelle einrichten, die den betreffenden Wirtschaftsbeteiligten ermöglicht, Anträge auf Zugtrassen für Fahrstrecken, die sich auf dem Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten befinden, an einem einzigen Ort zu stellen ( 44 ).

95.

Die Schaffung im Voraus vereinbarter grenzüberschreitender Zugtrassen obliegt den verschiedenen Betreibern der Infrastruktur unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Marktes und nach einer Bewertung des Kapazitätsbedarfs ( 45 ).

96.

Demnach ist Ziel der Güterverkehrsverordnung, in kohärenter und koordinierter Weise Güterverkehrskorridore zu schaffen und auszubauen, an denen alle Akteure des betreffenden Sektors beteiligt sind oder zu denen sie konsultiert wurden.

97.

In Art. 2 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung wird der Güterverkehrskorridor definiert als „alle im Gebiet der oder zwischen den Mitgliedstaaten und gegebenenfalls in europäischen Drittländern ausgewiesenen Eisenbahnstrecken, einschließlich Eisenbahnfähren, die zwei oder mehr Terminals entlang einer Hauptroute und gegebenenfalls anbindenden Umleitungsstrecken und Abschnitten, einschließlich der Schieneninfrastruktur und dazugehörigen Ausrüstungen und wichtigen Eisenbahndienstleistungen gemäß Artikel 5 der Richtlinie [2001/14] miteinander verbinden“.

98.

Die Entscheidung, das europäische Schienennetz durch die Einrichtung von Güterverkehrskorridoren auszubauen, ist nicht zufällig. Das Korridorkonzept setzt nämlich die Berücksichtigung einer Vielzahl von Indikatoren und Merkmalen voraus, die die harmonische Entwicklung eines Gebiets erlauben. Der Korridor wurde z. B. definiert als ein „Bereich, dessen Ausdehnung von den verwendeten Indikatoren abhängt: geografische Gegebenheiten, Bevölkerungsdichte, kulturelle Kriterien, Einflussbereiche, institutionelle Strukturen, politische Gliederungen etc.“ ( 46 ). Der Begriff „Korridor“ ermöglicht es, „Verkehrsachsen auszumachen …, den Vorgang der Anbindung des Hinterlands zu beschreiben …, den Zugang zu Ressourcen zu rechtfertigen …, ein Netz von unabhängigen städtischen Knotenpunkten wiederzugeben, das die wesentlichen Bewegungen, Verbindungen und den Austausch zwischen ihnen darstellt, oder auch Verkehrswege auf verschiedenen geografischen Ebenen zu beschreiben“ ( 47 ).

99.

Ich bestreite nicht, dass mit der Güterverkehrsverordnung mittels der Schaffung von Güterverkehrskorridoren das Funktionieren des Binnenmarkts im Schienenverkehrssektor verbessert werden soll. Im Übrigen wurden alle Verordnungen der Union in diesem Sektor, der sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs im Rückgang befindet und hinter dem Straßen-, Schifffahrt- und Luftverkehr zurückbleibt, unter dem Blickwinkel der Redynamisierung dieses Sektors erlassen.

100.

Eine Analyse des Inhalts dieser Verordnung zeigt meines Erachtens jedoch, dass diese sehr wohl dem Zweck dient, das Gebiet der Union unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der betreffenden Akteure sowohl hinsichtlich der wirtschaftlichen als auch der sozialen Anforderungen in ausgewogener und harmonischer Weise verkehrsmäßig zu erschließen ( 48 ). Art. 4 der Verordnung macht dies besonders deutlich. Er verpflichtet nämlich zur Berücksichtigung mehrerer Kriterien für die Einrichtung weiterer Güterverkehrskorridore. Die Auswahl dieser Korridore muss unter Berücksichtigung u. a. des Verlaufs des Güterverkehrskorridors durch mindestens drei Mitgliedstaaten beziehungsweise durch zwei Mitgliedstaaten, wenn der Abstand zwischen den bedienten Eisenbahnterminals mehr als 500 Kilometer beträgt, der Kohärenz des betreffenden Güterverkehrskorridors mit dem TEN-V, den ERTMS-Korridoren und/oder den von RNE festgelegten Korridoren, der Einbeziehung vorrangiger TEN-V-Vorhaben ( 49 ) in den Güterverkehrskorridor oder der Ausgewogenheit zwischen den sozioökonomischen Kosten und den Vorteilen, die mit der Einrichtung des Güterverkehrskorridors einhergehen, erfolgen ( 50 ).

101.

Die Güterverkehrsverordnung dient somit meines Erachtens dem von der Politik für die transeuropäischen Netze nach Art. 170 AEUV verfolgten doppelten Ziel, den Binnenmarkt zu verwirklichen bzw. dessen Funktionieren zu gewährleisten (Art. 26 AEUV) und durch die Stärkung ihres wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts eine harmonische Entwicklung der Union als Ganzes zu fördern (Art. 174 AEUV).

102.

Im Übrigen scheint der Unionsgesetzgeber selbst die Schaffung von Güterverkehrskorridoren zum Ausbau des TEN-V im Sinn gehabt zu haben. So ist in den Materialien für den Erlass dieser Verordnung zu lesen, dass der Güterverkehrskorridor der Durchführung grenzüberschreitender und innerstaatlicher Schienengüterverkehrsdienste in mindestens zwei Mitgliedstaaten dient und das Merkmal aufweist, Bestandteil des TEN-V zu sein ( 51 ).

103.

Eines der Argumente des Parlaments, des Rates und der Kommission ist, dass die Güterverkehrsverordnung nicht in den Anwendungsbereich der Art. 170 ff. AEUV fallen könne, da die fragliche Handlung dafür die Schaffung neuer Eisenbahninfrastrukturen zum Ziel haben müsse.

104.

Diese Ansicht teile ich nicht.

105.

Zunächst lässt nichts in dieser Verordnung darauf schließen, dass es für die Einrichtung von Güterverkehrskorridoren und die Ergreifung von Maßnahmen, die ihre Verwaltung und Nutzung effizient fördern, nicht erforderlich ist, physische Infrastrukturen zu schaffen. Meines Erachtens kann die Schaffung solcher Infrastrukturen sogar notwendig sein, um die Interoperabilität zwischen den Infrastrukturen der Mitgliedstaaten zu verwirklichen, die, wie bereits erwähnt, mit der Einrichtung dieser Korridore erreicht werden soll ( 52 ), da die Interoperabilität definiert wird als „die Fähigkeit – einschließlich der gesamten regulatorischen, technischen und betrieblichen Voraussetzungen – der Infrastruktur bei einem Verkehrsträger den sicheren und durchgehenden Verkehr zu gewährleisten, wodurch die für die betreffende Infrastruktur oder den betreffenden Verkehrsträger vorgeschriebenen Leistungskennwerte erreicht werden“ ( 53 ).

106.

Diese Voraussetzung der Schaffung neuer physischer Infrastrukturen ergibt sich nicht aus dem Wortlaut der Art. 170 AEUV und 171 AEUV.

107.

Nach Art. 170 Abs. 1 AEUV trägt die Union zum Auf- und Ausbau transeuropäischer Netze in den Bereichen der Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur bei. Der Aufbau transeuropäischer Netze zieht nicht notwendigerweise die Schaffung neuer Infrastrukturen nach sich und kann sich teilweise auf die bereits vorhandenen einzelstaatlichen Infrastrukturen stützen. Dies wird von den Erwägungsgründen 7 und 8 der TEN-V-Verordnung bestätigt, wonach „[d]as [TEN-V] … zu einem großen Teil aus vorhandenen Infrastrukturen [besteht]“ und „durch die Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen, durch die Sanierung und Modernisierung vorhandener Verkehrsinfrastrukturen und durch Maßnahmen zur Förderung ihrer ressourcenschonenden Nutzung verwirklicht werden [sollte]“ ( 54 ).

108.

Zudem zielt die Tätigkeit der Union nach Art. 170 Abs. 2 AEUV auf die Förderung des Verbunds und der Interoperabilität der einzelstaatlichen Netze sowie des Zugangs zu diesen Netzen ab. Meines Erachtens sind damit bestehende einzelstaatliche Netze gemeint, die miteinander verbunden und interoperabel gemacht werden müssen.

109.

Schließlich geht es in Art. 171 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich AEUV um Maßnahmen, die klar auf die Interoperabilität der Netze gerichtet sind, wobei der Schwerpunkt auf den technischen Normen liegt. Diese Maßnahmen erfordern nicht zwangsläufig die Schaffung neuer Infrastrukturen. Im Übrigen ist die Interoperabilität im Eisenbahnverkehr eines der Ziele, die mit den in der TEN-V-Verordnung definierten Leitlinien der Union verfolgt werden. Schon in deren zweitem Erwägungsgrund ist nämlich zu lesen, dass „die Interoperabilität der Eisenbahnen durch innovative Lösungen verbessert werden [könnte], die auf eine bessere Kompatibilität der Systeme abzielen, wie z. B. fahrzeugseitige Ausrüstung und Gleise mit mehreren Spurweiten“. Das letztgenannte System erfordert zwar zweifellos Arbeiten an den Schienen und damit an der Eisenbahninfrastruktur selbst, doch gilt dies nicht für die fahrzeugseitige Ausrüstung. Zudem sieht nach dem fünften Erwägungsgrund dieser Verordnung „[d]as Weißbuch[ ( 55 ) ] … die Einführung verkehrsbezogener Informations- und Kommunikationstechnik [vor], um durch verbesserte Güterverkehrslogistik, Ortung und Verfolgung von Gütern sowie optimierte Fahrpläne und Verkehrsflüsse ein verbessertes und integriertes Verkehrsmanagement zu erreichen und die Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. Da solche Maßnahmen die effiziente Verwaltung und Nutzung von Verkehrsinfrastrukturen fördern, sollten sie in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.“ ( 56 )

110.

Deshalb ist in Art. 2 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung u. a. bestimmt, dass das TEN-V die Verkehrsinfrastrukturen und die Telematikanwendungen sowie Maßnahmen zur Förderung eines effizienten Betriebs und der effizienten Nutzung dieser Infrastrukturen enthält, die die Schaffung und den Betrieb nachhaltiger und effizienter Verkehrsdienste ermöglichen. Daraus geht hervor, dass Maßnahmen, die nicht zur Schaffung neuer physischer Infrastrukturen im Sinne neuer Eisenbahnlinien führen, trotz allem in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.

111.

Müsste eine Handlung der Union die Schaffung neuer Infrastruktur vorsehen, um in den Anwendungsbereich des Art. 170 AEUV fallen zu können, schränkte dies meines Erachtens die Möglichkeiten für den Erlass solcher Handlungen nicht nur im Verkehrssektor erheblich ein, sondern auch im Telekommunikations- und Energiesektor, den übrigen zum transeuropäischen Netz gehörenden Sektoren. Die transeuropäischen Netze sind unabhängig davon, ob sie zum Verkehrs-, Telekommunikations- oder Energiesektor gehören, nicht auf physische Infrastrukturen begrenzt. Sie erfassen alle Maßnahmen, die geeignet sind, den Zielen des Art. 170 AEUV zu dienen.

112.

Nach alledem bin ich der Auffassung, dass die Erweiterung der ersten Güterverkehrskorridore, wie sie in Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung vorgesehen ist, in den Anwendungsbereich des Art. 170 AEUV über die transeuropäischen Netze fällt.

113.

Der erste Klagegrund, der auf eine falsche Wahl der Rechtsgrundlage für die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 gestützt wird, ist daher begründet.

114.

Es ist nun noch zu klären, ob der Unionsgesetzgeber für diese Erweiterung gemäß Art. 172 Abs. 2 AEUV die Billigung des Vereinigten Königreichs hätte einholen müssen.

B – Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 172 Abs. 2 AEUV wegen Nichtbeachtung des Erfordernisses einer Zustimmung des betroffenen Mitgliedstaats

115.

Mit seinem zweiten Klagegrund macht das Vereinigte Königreich geltend, die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 sei unter Verstoß gegen Art. 172 Abs. 2 AEUV erlassen worden, da diese Bestimmung vorsehe, dass „[d]ie Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, … der Billigung des betroffenen Mitgliedstaats [bedürfen]“.

1. Vorbringen der Parteien

116.

Das Vereinigte Königreich bringt für seinen zweiten Klagegrund zwei Argumente vor. Die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 sei ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse, und es betreffe das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs.

a) Die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 sei ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse

117.

Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs sind die Änderungen, die sich aus Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung ergeben, „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV. So seien diese Änderungen, die eine Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 zur Folge hätten, im Rahmen der Leitlinien für die TEN-V-Politik festgelegt worden. Insbesondere der 46. Erwägungsgrund der TEN-V-Verordnung und der 16. Erwägungsgrund der streitigen Verordnung, nach denen die Kernnetzkorridore den gemäß der Güterverkehrsverordnung eingerichteten Güterverkehrskorridoren entsprechen sollten, brächten die Notwendigkeit einer solchen Erweiterung zum Ausdruck. Außerdem sei diese Erweiterung im Rahmen der streitigen Verordnung und gestützt auf Art. 172 AEUV beschlossen worden.

118.

Ferner erfülle diese Erweiterung klar die Definition des Art. 7 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung für Vorhaben von gemeinsamem Interesse.

119.

Das Vereinigte Königreich fügt hinzu, dass das Gesamtnetz, das Kernnetz, die Korridore, aus denen es bestehe, und die ersten Güterverkehrskorridore eng miteinander verknüpft seien. Meines Verständnisses nach sieht das Vereinigte Königreich das Gesamtnetz nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung als Grundlage für die Ermittlung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse an. Das Kernnetz bestehe gemäß Art. 38 Abs. 1 dieser Verordnung aus jenen Teilen des Gesamtnetzes, die für die Erreichung der Ziele, die mit der TEN-V-Politik verfolgt würden, von größter strategischer Bedeutung seien. Zudem bestehe dieses Kernnetz aus Korridoren, die die wichtigsten Fernverkehrsflüsse im Kernnetz umfassten und insbesondere dem Zweck dienten, grenzüberschreitende Verbindungen innerhalb der Union zu verbessern ( 57 ). Soweit die Erweiterungen der ersten Güterverkehrskorridore zur Anpassung dieser Kernnetzkorridore an die Güterverkehrskorridore führten, nähmen sie auch an den Zielen des Aufbaus des TEN-V teil und könnten daher als Vorhaben von gemeinsamem Interesse angesehen werden, da sie in Wirklichkeit Teil des Gesamtnetzes seien.

120.

Überdies beschreibe Art. 7 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung, der selbst Leitlinien aufstelle, in denen die Ziele der Politik für die transeuropäischen Netze im Sinne des Art. 171 Abs. 1 AEUV erfasst würden, ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse dahin, dass es u. a. durch Maßnahmen zur Förderung der ressourcenschonenden Nutzung des TEN-V zu dessen Aufbau beitrage. Genau dies sei mit den Änderungen der Liste der ersten Güterverkehrskorridore beabsichtigt, da nach dem 16. Erwägungsgrund der streitigen Verordnung die Anpassung der Kernnetzkorridore an die Güterverkehrskorridore geplant sei, „um den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Entwicklung und Nutzung der Eisenbahninfrastruktur zu optimieren“.

121.

Jedenfalls seien die ersten Güterverkehrskorridore, wie sie ursprünglich durch die Güterverkehrsverordnung eingerichtet worden seien, selbst Vorhaben von gemeinsamem Interesse, da sie die Grundpfeiler des TEN-V darstellten. In dieser Verordnung gehe es nicht um die Schaffung eines Eisenbahnbinnenmarkts. Nach ihren Erwägungsgründen 5 und 10 solle mit ihr ein grenzüberschreitendes Schienennetz aufgebaut werden, das einen effizienten Zugbetrieb mit reibungslosen Übergängen zwischen den nationalen Netzen ermögliche. Art. 4 Buchst. b und c der Verordnung mache deutlich, dass sie zum Ziel habe, die Kohärenz der Güterverkehrskorridore mit dem TEN-V und die Berücksichtigung der Einbeziehung von Vorhaben des Kernnetzes in diese Korridore sicherzustellen.

122.

Zudem sei der Begriff der Vorhaben von gemeinsamem Interesse nicht eng auszulegen. So erfasse dieser Begriff nicht nur Vorhaben zur Schaffung von Infrastrukturen. Art. 3 Buchst. a der TEN-V-Verordnung definiere ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse insoweit als ein Vorhaben, das gemäß den Anforderungen und unter Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durchgeführt werde, und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung beziehe sich nur auf die Schaffung einer neuen Verkehrsinfrastruktur als eines der Mittel, das den Vorhaben von gemeinsamem Interesse ermögliche, zum Aufbau des TEN-V beizutragen.

123.

Somit stelle die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2, wie sie in Art. 29 und im Anhang II der streitigen Verordnung vorgesehen sei, ein „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ im Sinne des Art. 171 AEUV dar. Dafür genüge es, dass diese Erweiterung im Rahmen der in der TEN-V-Verordnung und in der streitigen Verordnung aufgestellten Leitlinien bestimmt worden sei, dass sie durch die streitige Verordnung beschlossen worden sei, die zum Ziel habe, die Ausarbeitung und Finanzierung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Rahmen der Politik für transeuropäische Netze zu ermöglichen, und dass sie klar der Beschreibung der Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Sinne des Art. 7 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung entspreche.

124.

Das Parlament trägt vor, die ersten Güterverkehrskorridore könnten keine „Vorhaben“ im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV darstellen. Der bloße Umstand, dass eine einzige Antwort der einzigen Anlaufstelle über die Nutzung dieser Korridore zugelassen werde, sei nur die logische Folge der Existenz der Infrastruktur. So sei alleiniges Ziel der ersten Güterverkehrskorridore, die Nutzung der Eisenbahnschienen zu erleichtern, um die Effizienz des Güterverkehrs zu steigern.

125.

Aus dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 4 der TEN-V-Verordnung ergebe sich die Verknüpfung zwischen Vorhaben von gemeinsamem Interesse und Infrastruktur von allein. Diese Bestimmung verlange von den Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Einklang mit einschlägigem Unionsrecht und nationalem Recht durchgeführt würden, insbesondere unter Einhaltung von Rechtsakten der Union in den Bereichen Umweltschutz, Klimaschutz, Sicherheit, Gefahrenabwehr, Wettbewerb, staatliche Beihilfen, öffentliches Auftragswesen, öffentliche Gesundheit und Zugänglichkeit. Es sei daher nicht ersichtlich, warum und wie die Einrichtung eines Koordinierungsrats und einer einzigen Anlaufstelle mit etwas vergleichbar sein könne, das solche Anforderungen erfülle.

126.

Für eine Abgrenzung der ersten Güterverkehrskorridore von den Kernnetzkorridoren sei zu berücksichtigen, dass die Kernnetzkorridore nach den Erwägungsgründen 42 bis 44 der TEN-V-Verordnung ein völlig anderes Konzept hätten als die Güterverkehrskorridore. So gehe aus dem Wortlaut dieser Erwägungsgründe hervor, dass für das Kernnetz ein Korridorkonzept als Instrument zur transnationalen Koordinierung unterschiedlicher Projekte und zur zeitlichen Abstimmung des Aufbaus eines Korridors zur Anwendung kommen könnte und dass die Kernnetzkorridore zum Aufbau der Infrastruktur des Kernnetzes beitragen sollten. Ihr spezifischer Gegenstand und ihre besondere Natur erforderten die Feststellung der – privaten und öffentlichen – Finanzierungsquellen für komplexe grenzüberschreitende Vorhaben für die einzelnen Kernnetzkorridore.

127.

Der Rat trägt vor, die Güterverkehrsverordnung sei auf der Grundlage des Art. 91 AEUV erlassen worden und enthalte weder Leitlinien für die transeuropäischen Netze noch eine Definition der Vorhaben von gemeinsamem Interesse. Sie gehöre damit vollständig zur gemeinsamen Verkehrspolitik.

128.

Auch der Rat ist der Auffassung, dass sich aus der TEN-V-Verordnung klar ergebe, dass Vorhaben von gemeinsamem Interesse Vorhaben seien, die zur Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen und zur Sanierung und Modernisierung vorhandener Infrastrukturen führten.

129.

Außerdem genüge es nicht, wenn eine Maßnahme, um unter die Definition eines Vorhabens von gemeinsamem Interesse zu fallen, nur eine der Anforderungen des Art. 7 dieser Verordnung erfülle, wie dies das Vereinigte Königreich nahelege. Insoweit belege das Vereinigte Königreich nicht, dass die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 den Vorgaben des Kapitels II – mit den Bestimmungen zum Gesamtnetz – und den Vorgaben des Kapitels III – mit den Bestimmungen zum Kernnetz – der Verordnung entspreche, wie dies Art. 7 Abs. 2 Buchst. b der TEN-V-Verordnung vorsehe.

130.

Die Kommission ist der Auffassung, dass die Schaffung, Anpassung und Ersetzung der Liste der ersten Güterverkehrskorridore nicht unter die in Art. 171 Abs. 1 AEUV definierten Leitlinien fielen und daher nicht als Vorhaben von gemeinsamem Interesse angesehen werden könnten.

131.

Zudem könne der Grund für das in Art. 172 Abs. 2 AEUV aufgestellte Erfordernis der Billigung durch den Mitgliedstaat, der vom Vorhaben von gemeinsamem Interesse betroffen sei, nicht darin liegen, dass jede Maßnahme mit Auswirkungen auf einen Mitgliedstaat die Billigung dieses Staats erfordere.

b) Die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 betreffe das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs

132.

Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs betreffen die Erweiterungen der ersten Güterverkehrskorridore ganz offensichtlich das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV. Die Billigung der Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Sinne des Art. 171 AEUV durch den betroffenen Mitgliedstaat sei erforderlich, da sie die Interessen der Mitgliedstaaten berührten, was vorliegend mit der Schaffung und Erweiterung eines ersten Güterverkehrskorridors der Fall sei.

133.

Sei nämlich dieser Korridor erst einmal eingerichtet, ergäben sich daraus für den betroffenen Mitgliedstaat nach der Güterverkehrsverordnung eine Reihe von Pflichten. Insbesondere schreibe Art. 14 dieser Verordnung vor, Güterzügen im Voraus vereinbarte Zugtrassen zu reservieren, die mit Hilfe der nach Art. 13 der Verordnung eingerichteten einzigen Anlaufstelle zugewiesen werden müssten. Dies habe offensichtliche Folgen für die Infrastrukturkapazitäten des betroffenen Mitgliedstaats. Dass die Einrichtung eines Güterverkehrskorridors für den betroffenen Mitgliedstaat erhebliche konkrete Auswirkungen habe, zeige auch der Umstand, dass das in der Güterverkehrsverordnung vorgesehene Verfahren für die Auswahl der weiteren Güterverkehrskorridore gemäß Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung zum einen berücksichtige, ob die Einrichtung eines Korridors eine unverhältnismäßige Belastung schaffen würde, und zum anderen, dass ein Mitgliedstaat nach Art. 5 Abs. 4 der Verordnung nicht zu einer Beteiligung an einer solchen Einrichtung verpflichtet sei, wenn sein Schienennetz eine andere Spurweite habe als das Hauptschienennetz der Union.

134.

Damit ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffe, müsse dieses Vorhaben nicht zwangsläufig zur Schaffung einer neuen Infrastruktur führen. Dies ergebe sich daraus, dass die Kernnetzkorridore, die nach Art. 42 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung ein Instrument seien, das die koordinierte Verwirklichung des Kernnetzes erleichtern solle, an sich nicht die Schaffung neuer Infrastrukturen verlangten. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Einrichtung dieser Korridore als ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse eingestuft werde, das das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV betreffe.

135.

Das Parlament ist der Auffassung, dass Situationen, in denen Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Sinne dieser Bestimmung beträfen, nur dann vorliegen könnten, wenn ein Infrastrukturvorhaben eine unmittelbare Verbindung zum Hoheitsgebiet aufweise. Eine weite Auslegung dieses Begriffs liefe darauf hinaus, dass für jede Maßnahme, die zur Verbesserung des Funktionierens der transeuropäischen Netze beitrage, die Billigung aller Mitgliedstaaten erforderlich wäre, da jede Maßnahme dieser Art definitionsgemäß für das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gelten solle. Das Parlament und der Rat führen das Urteil Spanien/Rat ( 58 ) an, in dem der Gerichtshof zu Art. 192 Abs. 2 Buchst. b AEUV, der für Maßnahmen im Umweltbereich, die die Raumordnung und die Bodennutzung berührten, ein besonderes Abstimmungsverfahren vorsehe, entschieden habe, dass die Maßnahmen, die nicht die Durchführung einzelner Infrastrukturvorhaben regelten, allgemeiner Art seien und daher nicht dem besonderen Verfahren unterlägen. Dies gelte auch für die „Maßnahmen, die … zwar die Art der Nutzung des Bodens der Mitgliedstaaten bestimmten Grenzen unterwerfen, aber die Nutzung, die die Mitgliedstaaten für den Boden vorsehen, nicht regeln“ ( 59 ).

136.

Das Parlament zieht eine Parallele zu den ersten Güterverkehrskorridoren und weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall selbst eine solche mittelbare Verbindung nicht gegeben sein könne, da nichts ersichtlich sei, was als eine Einschränkung der Bodennutzung angesehen werden könne, denn einziger Zweck dieser Korridore sei die Koordinierung der Infrastrukturbetreiber und die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle, um einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr zu schaffen.

137.

Zudem könnten die ersten Güterverkehrskorridore das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs nicht berühren, da es sich bei dem Verlust der Kontrolle über die Kapazitätszuweisung, wie sie von diesem Mitgliedstaat angeführt werde, um eine rein operative Erwägung handele. Der Umstand, dass sich ein Infrastrukturbetreiber mit anderen über die Zuweisung der Trassen abstimmen müsse, berühre nicht das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats.

138.

Der Rat macht geltend, dass die Verbindung mit dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats nur vorliege, wenn das betreffende Infrastrukturvorhaben einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufweise, d. h., dass es konkrete Auswirkungen auf die Autonomie dieses Mitgliedstaats bei seiner Raumplanung habe. Dies sei bei den ersten Güterverkehrskorridoren nicht der Fall, die nicht zu Bauprojekten führten, wie dies aber bei den Kernnetzkorridoren vorkommen könne.

139.

Diese Anforderung an die Infrastrukturen ergebe sich unmittelbar aus Art. 170 AEUV und sei für den Aufbau transeuropäischer Netze unerlässlich. Art. 172 Abs. 2 AEUV, der das Beschlussverfahren festlege, sei eng auszulegen.

2. Würdigung

140.

Art. 172 Abs. 1 AEUV sieht ein Mitentscheidungsverfahren nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen vor. Betrifft jedoch die Handlung, die Gegenstand dieses Verfahrens ist, Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, ist die Billigung dieses Mitgliedstaats erforderlich.

141.

Der zweite Klagegrund gibt somit Anlass, in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 unter den Begriff „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV fällt, und in einem zweiten Schritt, ob sie das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs im Sinne dieser Bestimmung betrifft.

a) Zur Frage, ob die Erweiterung eines ersten Güterverkehrskorridors unter den Begriff „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ fällt

142.

In der TEN-V-Verordnung, die, wie bereits ausgeführt, die Leitlinien der Union für den Aufbau des TEN-V festlegt, werden die Vorhaben von gemeinsamem Interesse bestimmt ( 60 ). Sie tragen zur Fertigstellung des TEN-V bei und entsprechen den in den Leitlinien vorgegebenen Prioritäten ( 61 ), insbesondere den allgemeinen Prioritäten nach Art. 10 der TEN-V-Verordnung und den vorliegend relevanten Prioritäten für den Aufbau der Schienenverkehrsinfrastruktur nach Art. 13 dieser Verordnung.

143.

Ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse muss daher, um als ein solches angesehen werden zu können, dem von der TEN-V-Verordnung gesteckten Rahmen entsprechen. Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung definiert das Vorhaben von gemeinsamem Interesse insoweit als „Vorhaben, das gemäß den Anforderungen und unter Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung durchgeführt wird“.

144.

Art. 7 der TEN-V-Verordnung liefert weitere Anhaltspunkte für ein besseres Verständnis dieses Begriffs. In Abs. 1 ist nämlich ausgeführt, dass „Vorhaben von gemeinsamem Interesse … durch die Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen, durch die Sanierung und den Ausbau der vorhandenen Verkehrsinfrastrukturen und durch Maßnahmen zur Förderung der ressourcenschonenden Nutzung des Netzes zum Aufbau des [TEN-V beitragen]“.

145.

Ferner muss ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse nach Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung den Zielen, die unter mindestens zwei der vier in Art. 4 der Verordnung genannten Kategorien fallen, dienen, den Vorgaben des Kapitels II zum Gesamtnetz und, soweit es um das Kernnetz geht, zusätzlich den Vorgaben des Kapitels III der Verordnung entsprechen, auf Basis einer sozioökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse wirtschaftlich tragfähig sein und einen europäischen Mehrwert aufweisen. Bei den vier in Art. 4 der TEN-V-Verordnung genannten Kategorien handelt es sich um die Kohäsion, die Effizienz, die Nachhaltigkeit und die Mehrung der Vorteile für die Nutzer.

146.

Somit ist anhand aller dieser Gesichtspunkte zu prüfen, ob der erste Güterverkehrskorridor Nr. 2 als „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV anzusehen ist.

147.

Das Parlament, der Rat und die Kommission legen Art. 7 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung meines Erachtens zu eng aus. Sie sind im Wesentlichen der Ansicht, dass ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse zwingend den Auf- und Ausbau von Schienenverkehrsinfrastruktur umfassen müsse, was bei den ersten Güterverkehrskorridoren nicht der Fall sei.

148.

Wie bereits in den Nrn. 105 bis 111 der vorliegenden Schlussanträge gezeigt, beschränkt sich der Auf- und Ausbau der transeuropäischen Netze nicht auf die Schaffung neuer Infrastrukturen. Gleiches gilt daher für die Vorhaben von gemeinsamem Interesse, da sie es sind, die zur Verwirklichung dieser Netze beitragen.

149.

Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung geht in diese Richtung, denn es wird nicht nur die Schaffung neuer Verkehrsinfrastrukturen genannt, sondern auch erwähnt, dass die Vorhaben von gemeinsamem Interesse durch Maßnahmen zur Förderung der ressourcenschonenden Nutzung des Netzes zum Aufbau des TEN-V beitragen. Dieser Wortlaut steht mit Art. 2 Abs. 1 der Verordnung im Einklang, wonach das TEN-V die Verkehrsinfrastrukturen und die Telematikanwendungen sowie „Maßnahmen zur Förderung eines effizienten Betriebs und der effizienten Nutzung dieser Infrastrukturen, [die] die Schaffung und den Betrieb nachhaltiger und effizienter Verkehrsdienste … ermöglichen“, enthält. Unter diese Maßnahmen fallen auch die in Art. 32 dieser Verordnung angeführten, wonach die Mitgliedstaaten insbesondere Vorhaben von gemeinsamem Interesse berücksichtigen, die sowohl mittels Nutzung der Infrastrukturen des Gesamtnetzes effiziente Güterverkehrsdienste erbringen als auch zur Reduzierung der CO2-Emissionen und anderer negativer Auswirkungen auf die Umwelt beitragen und die u. a. darauf abzielen, die nachhaltige Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen sowie ihre effiziente Verwaltung zu verbessern, den Betrieb multimodaler Verkehrsdienste, einschließlich des erforderlichen begleitenden Informationsflusses, zu erleichtern und die Zusammenarbeit zwischen Verkehrsdienstleistern zu verbessern oder Informationen über Flottenmerkmale und ‑leistung, Verwaltungsanforderungen und Humanressourcen zu analysieren und bereitzustellen.

150.

Es ist festzustellen, dass sich die Einstufung als „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ nicht auf Vorhaben beschränkt, die einen Auf- oder Umbau von Infrastrukturen erfordern. Sie geht darüber weit hinaus und umfasst u. a. Maßnahmen, die eine koordinierte und kohärente Verwaltung und Nutzung dieser Infrastrukturen ermöglichen, was bei den ersten Güterverkehrskorridoren der Fall ist. Ein solcher Ansatz ist auch sinnvoll, da für das optimale Funktionieren des TEN-V der Bau oder die physische Verbesserung von Infrastrukturen sicherlich nicht ausreicht und durch eine effiziente Verwaltung und Nutzung ergänzt werden muss.

151.

Überdies steht meines Erachtens außer Frage, dass die Einrichtung weiterer Güterverkehrskorridore wie die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 den Zielen des Art. 4 der TEN-V-Verordnung, insbesondere den Zielen der Kohäsion und Effizienz, entspricht.

152.

Wie bereits dargelegt, dient nämlich die Schaffung dieser Korridore dem Zweck, den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt im Gebiet der Union u. a. dadurch zu stärken, dass ein Schwerpunkt auf die Interoperabilität und den Verbund gelegt wird ( 62 ). Der Ausbau der Güterverkehrskorridore zielt zudem darauf ab, zuverlässige Güterverkehrsdienste unter angemessenen Bedingungen zu erbringen ( 63 ). Dieses Ziel überschneidet sich mit dem in Art. 4 Buchst. d der TEN-V-Verordnung genannten Ziel, den Nutzern des TEN-V mehr Vorteile zu verschaffen.

153.

Nach Art. 4 der Güterverkehrsverordnung erfolgt ferner die Auswahl und Änderung weiterer Güterverkehrskorridore unter Berücksichtigung mehrerer Kriterien, u. a. der Kohärenz des Güterverkehrskorridors mit dem TEN-V, den ERTMS-Korridoren und/oder den von RNE festgelegten Korridoren (Buchst. b) und der Einbeziehung von Vorhaben des Kernnetzes in den Güterverkehrskorridor (Buchst. c). Mir scheinen daher die weiteren Güterverkehrskorridore notwendigerweise die Anforderungen des Kapitels II der TEN-V-Verordnung zum Gesamtnetz und des Kapitels III zum Kernnetz erfüllen zu müssen ( 64 ).

154.

Überdies ist im Rahmen der Auswahl weiterer Güterverkehrskorridore eine sozioökonomische Analyse vorzulegen, die eine Ausgewogenheit zwischen den Kosten und den Vorteilen, die von der Einrichtung des Güterverkehrskorridors erwartet werden, aufzeigt ( 65 ).

155.

Schließlich wird der europäische Mehrwert, den ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse aufweisen muss ( 66 ), definiert als der „Nutzen eines Vorhabens, der zusätzlich zu dem potenziellen Nutzen für den jeweiligen Mitgliedstaat allein zu einer erheblichen Verbesserung der Verkehrsverbindungen oder Verkehrsflüsse zwischen den Mitgliedstaaten führt, wobei diese Verbesserung unter Hinweis auf Verbesserungen der Effizienz, Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit oder Kohäsion in Übereinstimmung mit den in Artikel 4 [der TEN-V-Verordnung] dargelegten Zielen nachgewiesen werden kann“ ( 67 ). Aufgrund der in Art. 4 der Güterverkehrsverordnung definierten Kriterien und des Grundes für die Einrichtung von Güterverkehrskorridoren, wie ich ihn in den Nrn. 97 und 98 der vorliegenden Schlussanträge dargelegt habe, bin ich der Meinung, dass mit den weiteren Güterverkehrskorridoren wie der Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 eine solche Verbesserung eindeutig angestrebt wird.

156.

Daher bin ich der Meinung, dass die Erweiterung der ersten Güterverkehrskorridore als „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV anzusehen ist.

b) Zur Frage, ob die Erweiterung der ersten Güterverkehrskorridore das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betrifft

157.

Nach Art. 172 Abs. 2 AEUV bedürfen Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, der Billigung dieses Mitgliedstaats.

158.

Meines Erachtens erklärt sich die Einführung einer Art Vetorecht für den betroffenen Mitgliedstaat damit, dass die Politik für die transeuropäischen Netze territoriale Aspekte umfasst und damit in gewisser Weise die Raumordnung betrifft, die traditionell in die Souveränität der Mitgliedstaaten fällt.

159.

Wie in den Nrn. 132 bis 139 der vorliegenden Schlussanträge gezeigt, besteht zwischen den Parteien hinsichtlich der Auslegung des Ausdrucks „die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen“ in Art. 172 Abs. 2 AEUV keine Einigkeit.

160.

Meines Erachtens sind die in dieser Bestimmung verwendeten Begriffe klar und nicht auslegungsbedürftig. Sobald sich ein Vorhaben, das als „von gemeinsamem Interesse“ angesehen wird, auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bezieht, ist die Billigung seiner Durchführung durch den Mitgliedstaat erforderlich. Wie in den vorstehenden Nummern dieser Schlussanträge ausgeführt, sieht ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse für den betroffenen Mitgliedstaat nämlich eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, die sich zwangsläufig auf sein Hoheitsgebiet auswirken.

161.

Die Verwendung des völlig klaren Ausdrucks „die das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen“ durch die Verfasser des AEU-Vertrags gibt zu keiner anderen Auslegung als dem tatsächlichen Wortsinn Anlass.

162.

Im vorliegenden Fall bezieht sich die mit der vorliegenden Klage angegriffene Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 auf eine Trasse von London nach Glasgow. Dieses Vorhaben von gemeinsamem Interesse betrifft daher unbestreitbar im Sinne des Art. 172 Abs. 2 AEUV das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs. Folglich hätte dieses Vorhaben der Billigung dieses Mitgliedstaats bedurft, die aber im vorliegenden Fall nicht erfolgt ist.

163.

Nach alledem bin ich der Auffassung, dass der zweite Klagegrund des Vereinigten Königreichs, es sei gegen das Erfordernis der Billigung nach Art. 172 Abs. 2 AEUV verstoßen worden, begründet ist.

C – Schlussbemerkungen

164.

Es ist darauf hinzuweisen, dass auch eine andere Analyse der Rechtssache zur selben Lösung führen würde.

165.

Wäre nämlich anzunehmen, dass die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 auf die richtige Rechtsgrundlage, d. h. Art. 91 AEUV, gestützt worden wäre, so dass keine Billigung des von dieser Erweiterung betroffenen Staates erforderlich gewesen wäre, wären Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung dennoch für nichtig zu erklären.

166.

So sieht die Güterverkehrsverordnung für die Auswahl und die Änderung der weiteren Güterverkehrskorridore ein fest umrissenes Verfahren vor. Insbesondere in Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung heißt es, dass „ein Mitgliedstaat, der nach Vorlage einer sozioökonomischen Analyse der Auffassung ist, dass die Einrichtung eines Güterverkehrskorridors nicht im Interesse der Antragsteller liegt, die den Güterverkehrskorridor voraussichtlich nutzen werden, oder keine erheblichen sozioökonomischen Vorteile bietet oder eine unverhältnismäßige Belastung schaffen würde, vorbehaltlich eines Beschlusses der Kommission nach dem in Artikel 21 Absatz 2 genannten Beratungsverfahren nicht zu einer Beteiligung gemäß den Absätzen 1 und 2 des vorliegenden Artikels verpflichtet [ist]“. Zudem bestimmt Art. 5 Abs. 5 dieser Verordnung, dass „[d]ie Einrichtung eines Güterverkehrskorridors … von den betreffenden Mitgliedstaaten vorgeschlagen [wird]“. Ein Güterverkehrskorridor kann demnach auf ihre Initiative hin eingerichtet werden.

167.

Im vorliegenden Fall hatte das Vereinigte Königreich auf der Grundlage dieser Bestimmungen ein Verfahren eingeleitet, das die Erweiterung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 bis nach London betraf ( 68 ).

168.

Einen Vorschlag für eine Erweiterung bis nach Glasgow hat dieser Mitgliedstaat jedoch nicht gemacht und auch keine sozioökonomische Analyse erstellt, die gegebenenfalls die Vorteile einer solchen Erweiterung aufzeigen könnte. Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs wäre diese Erweiterung den in der Güterverkehrsverordnung vorgesehenen Verfahren zu unterwerfen gewesen ( 69 ). Den Rat verstehe ich dahin, dass seiner Meinung nach das speziell in Art. 5 dieser Verordnung vorgesehene Verfahren nicht hat eingehalten werden müssen ( 70 ). Die Kommission ist der Auffassung, dass es unter den Umständen des vorliegenden Falles unerheblich sei, dass es für die Änderung der ersten Güterverkehrskorridore ein besonderes Verfahren gebe ( 71 ).

169.

Wie bereits ausgeführt, hatten die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Lettland im Rahmen des Verfahrens zum Erlass der streitigen Verordnung ihre Befürchtung geäußert, dass das in der Güterverkehrsverordnung für die Änderung der ersten Güterverkehrskorridore vorgesehene Verfahren nicht eingehalten werden könnte ( 72 ).

170.

Es ist festzustellen, dass Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung, die eine Änderung des ersten Güterverkehrskorridors Nr. 2 vorsehen, unter Verstoß gegen das in Art. 5 der Güterverkehrsverordnung vorgesehene Verfahren erlassen worden sind.

171.

Die Nichteinhaltung dieses Verfahrens kann nur zur Nichtigerklärung von Art. 29 und Anhang II der streitigen Verordnung führen, da es sich dabei unbestreitbar um eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften im Sinne des Art. 263 Abs. 2 AEUV handelt. Der Fehler bei der Wahl des Beschlussverfahrens hat dem Vereinigten Königreich nämlich sein Recht genommen, Einfluss auf den Inhalt dieser Bestimmungen auszuüben.

VI – Ergebnis

172.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

1.

Art. 29 und Anhang II der Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 913/2010 und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 680/2007 und (EG) Nr. 67/2010 für nichtig zu erklären und

2.

dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union die Kosten aufzuerlegen, wobei die Europäische Kommission ihre eigenen Kosten trägt.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. L 348, S. 129, im Folgenden: streitige Verordnung.

( 3 ) ABl. L 276, S. 22, Berichtigung im ABl. 2012, L 325, S. 19. Verordnung in der durch die streitige Verordnung geänderten Fassung, im Folgenden: Güterverkehrsverordnung.

( 4 ) Vgl. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung.

( 5 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. L 75, S. 29).

( 6 ) Das ERTMS ist ein System zur Harmonisierung der Signalgebung im Zugverkehr, das auch die Ortung von Zügen auf den Schienen umfasst.

( 7 ) Die RNE ist eine 2004 gegründete Vereinigung von Infrastrukturbetreibern.

( 8 ) Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. L 237, S. 25).

( 9 ) ABl. L 348, S. 1. Verordnung in der durch die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 473/2014 der Kommission vom 17. Januar 2014 (ABl. L 136, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: TEN-V-Verordnung).

( 10 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009 (ABl. L 115, S. 39).

( 11 ) Vgl. Nrn. 9 und 10 der vorliegenden Schlussanträge.

( 12 ) Vgl. Ratsdokument 16096/13 ADD 2 zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“, zur Änderung der Verordnung Nr. 913/2010 und zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 680/2007 und (EG) Nr. 67/2010.

( 13 ) Ebd.

( 14 ) Urteil Kommission/Parlament und Rat (C‑427/12, EU:C:2014:170, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 15 ) Vgl. zweiter Erwägungsgrund dieser Verordnung.

( 16 ) Vgl. Art. 1 dieser Verordnung.

( 17 ) Urteile Kommission/Parlament und Rat (C‑411/06, EU:C:2009:518, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung) und Parlament/Rat (C‑130/10, EU:C:2012:472, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) C‑137/12, EU:C:2013:675.

( 19 ) Rn. 53.

( 20 ) Urteile Vereinigtes Königreich/Rat (C‑81/13, EU:C:2014:2449, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung) und Spanien/Rat (C‑147/13, EU:C:2015:299, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Vgl. Urteil Vereinigtes Königreich/Rat (C‑81/13, EU:C:2014:2449, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 22 ) Urteil Kommission/Parlament und Rat (C‑43/12, EU:C:2014:298, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 23 ) Vgl. Urteil Parlament/Rat (13/83, EU:C:1985:220, Rn. 62).

( 24 ) Das erste Paket für den Schienenverkehr umfasst die Richtlinie 2001/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 zur Änderung der Richtlinie 91/440 (ABl. L 75, S. 1), die Richtlinie 2001/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG des Rates über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen (ABl. L 75, S. 26) und die Richtlinie 2001/14. Das zweite Paket für den Schienenverkehr umfasst die Verordnung (EG) Nr. 881/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Errichtung einer Europäischen Eisenbahnagentur (Agenturverordnung) (ABl. L 164, S. 1) und die Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über Eisenbahnsicherheit in der Gemeinschaft und zur Änderung der Richtlinie 95/18/EG des Rates über die Erteilung von Genehmigungen an Eisenbahnunternehmen und der Richtlinie 2001/14 (ABl. L 164, S. 44). Das dritte Paket für den Schienenverkehr umfasst die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 zur Änderung der Richtlinie 91/440 sowie der Richtlinie 2001/14 (ABl. L 315, S. 44) und die Richtlinie 2007/59/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Zertifizierung von Triebfahrzeugführern, die Lokomotiven und Züge im Eisenbahnsystem in der Gemeinschaft führen (ABl. L 315, S. 51). Zusätzlich ist die Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. L 343, S. 32) zu nennen.

( 25 ) ABl. L 403, S. 18.

( 26 ) ABl. L 163, S. 1.

( 27 ) 97/78, EU:C:1978:211.

( 28 ) Rn. 4. Vgl. auch Urteil Spanien und Finnland/Parlament und Rat (C‑184/02 und C‑223/02, EU:C:2004:497, Rn. 29).

( 29 ) Vgl. Urteile Schumalla (97/78, EU:C:1978:211, Rn. 6) und Spanien und Finnland/Parlament und Rat (C‑184/02 und C‑223/02, EU:C:2004:497, Rn. 40).

( 30 ) Vgl. u. a. Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (ABl. L 187, S. 42) und Richtlinie 2002/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2002 zur Regelung der Arbeitszeit von Personen, die Fahrtätigkeiten im Bereich des Straßentransports ausüben (ABl. L 80, S. 35).

( 31 ) Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Ausschuss der Regionen und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Grünbuch zum territorialen Zusammenhalt: Territoriale Vielfalt als Stärke (KOM[2008] 616 endgültig).

( 32 ) Nr. 1, S. 3.

( 33 ) Vgl. u. a. Erwägungsgründe 2 bis 5 der TEN-V-Verordnung.

( 34 ) In ihrer Mitteilung zum territorialen Zusammenhalt führt die Kommission aus, dass „[d]ie Auswirkungen der Verkehrspolitik auf den territorialen Zusammenhalt … ganz offensichtlich [sind], da sich die Verkehrspolitik auf den Standort der Wirtschaftsaktivität und das Siedlungsmuster auswirkt. Die Verkehrspolitik spielt bei der Verbesserung der Anbindung und der Verbindungen innerhalb der weniger entwickelten Regionen eine besonders wichtige Rolle“ (Nr. 3.1 S. 10).

( 35 ) TEN-V: Überprüfung der Politik – Ein besser integriertes transeuropäisches Verkehrsnetz im Dienst der Gemeinsamen Verkehrspolitik (KOM[2009] 44 endgültig).

( 36 ) Nr. 1, S. 3.

( 37 ) Ebd.

( 38 ) Vgl. Art. 1 und 3 dieser Verordnung.

( 39 ) Vgl. Art. 5 der streitigen Verordnung.

( 40 ) Vgl. die Kapitel II bis V dieser Verordnung.

( 41 ) Vgl. vierter Erwägungsgrund dieser Verordnung.

( 42 ) Vgl. Art. 3 der Güterverkehrsverordnung.

( 43 ) Vgl. Art. 11 Abs. 1 Buchst. a und b dieser Verordnung.

( 44 ) Eine Zugtrasse ist ein Bereich, in dem es möglich ist, eine gewisse Zahl von Zügen mit ähnlicher Geschwindigkeit und sehr schneller Abfolge zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem Ort zu einem anderen fahren zu lassen. Mit anderen Worten handelt es sich um die Möglichkeit, eine Infrastruktur für den Verkehr eines Zuges zwischen zwei Punkten des Schienennetzes freizugeben.

( 45 ) Vgl. Art. 14 der Güterverkehrsverordnung.

( 46 ) Vgl. Debrie, J., und Comtois, C., „Une relecture du concept de corridors de transport: illustration comparée Europe/Amérique du Nord“, Les Cahiers Scientifiques du Transport, Nr. 58/2010, S. 127, insbesondere Nr. 2.1.1, S. 128.

( 47 ) Ebd.

( 48 ) Die Idee der Kommission in ihrem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr (KOM[2008] 852 endgültig) war insbesondere, „ein möglichst umweltverträgliches und effizientes Verkehrssystem im Dienste der Bürger und Unternehmen [der Union zu] errichten“ (Nr. 1.1).

( 49 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass der in Art. 4 Buchst. c der Güterverkehrsverordnung verwendete Begriff „vorrangige Vorhaben“ gemäß Art. 58 Abs. 2 der TEN-V-Verordnung ausgetauscht worden ist. Dieser sieht nämlich vor, dass „Bezugnahmen auf in Anhang III des Beschlusses Nr. 661/2010/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2010 über Leitlinien der Union für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes] aufgeführte vorrangige Vorhaben … als Bezugnahmen auf das Kernnetz im Sinne der vorliegenden Verordnung [gelten]“.

( 50 ) Vgl. Art. 4 Buchst. a bis d dieser Verordnung.

( 51 ) Vgl. den in Fn. 48 angeführten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (S. 13), Parlamentsdokumente A7-0162/2010 (S. 47) und P6_TA(2009)0285 (S. 7) sowie Ratsdokument 11069/5/09 REV 5 ADD 1.

( 52 ) Vgl. fünfter Erwägungsgrund dieser Verordnung.

( 53 ) Vgl. Art. 3 Buchst. o der TEN-V-Verordnung.

( 54 ) Hervorhebung nur hier.

( 55 ) Weißbuch der Kommission mit dem Titel „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu enem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“ (KOM [2011] 144 endg.).

( 56 ) Hervorhebung nur hier.

( 57 ) Art. 43 Abs. 1 der TEN-V-Verordnung.

( 58 ) C‑36/98, EU:C:2001:64.

( 59 ) Rn. 53.

( 60 ) Vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung.

( 61 ) Vgl. 20. Erwägungsgrund dieser Verordnung.

( 62 ) Vgl. Erwägungsgründe 5, 9 und 11 der Güterverkehrsverordnung.

( 63 ) Vgl. Erwägungsgründe 3 und 4 dieser Verordnung.

( 64 ) Da nach Art. 38 der TEN-V-Verordnung das Kernnetz aus jenen Teilen des Gesamtnetzes besteht, die von größter strategischer Bedeutung sind, erfolgt sein Ausbau zwangsläufig gemäß den Anforderungen, die für das Gesamtnetz gelten.

( 65 ) Vgl. Art. 4 Buchst. d der Güterverkehrsverordnung.

( 66 ) Art. 7 Abs. 2 Buchst. d der TEN-V-Verordnung.

( 67 ) Vgl. Art. 3 Buchst. d dieser Verordnung.

( 68 ) Vgl. Rn. 23 ff. der Klageschrift des Vereinigten Königreichs und Rn. 33 der Klagebeantwortung des Rates.

( 69 ) Vgl. Rn. 12 des Antwortschriftsatzes des Vereinigten Königreichs auf den Streithilfeschriftsatz der Kommission.

( 70 ) Vgl. Rn. 42 der Klagebeantwortung des Rates.

( 71 ) Vgl. Rn. 39 des Streithilfeschriftsatzes der Kommission.

( 72 ) Vgl. Ratsdokument 16096/13 ADD 2.