URTEIL DES GERICHTS (Rechtsmittelkammer)
19. Juni 2015 ( *1 )
„Rechtsmittel — Öffentlicher Dienst — Beamte — Unparteilichkeit des Gerichts für den öffentlichen Dienst — Antrag auf Ablehnung eines Richters — Umsetzung — Dienstliches Interesse — Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten — Art. 7 Abs. 1 des Beamtenstatuts — Disziplinarverfahren — Verteidigungsrechte“
In der Rechtssache T‑88/13 P
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (Dritte Kammer) vom 5. Dezember 2012, Z/Gerichtshof (F‑88/09 und F‑48/10, SlgÖD, EU:F:2012:171), wegen Aufhebung dieses Urteils,
Z, wohnhaft in Luxemburg (Luxemburg), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt F. Rollinger,
Rechtsmittelführerin,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Gerichtshof der Europäischen Union, vertreten durch A. Placco als Bevollmächtigten,
Beklagter im ersten Rechtszug,
erlässt
DAS GERICHT (Rechtsmittelkammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. Jaeger sowie der Richter H. Kanninen (Berichterstatter) und D. Gratsias,
Kanzler: E. Coulon,
folgendes
Urteil ( 1 )
1 |
Mit ihrem gemäß Art. 9 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingelegten Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung des Urteils des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union (Dritte Kammer) vom 5. Dezember 2012, Z/Gerichtshof (F‑88/09 und F‑48/10, SlgÖD, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:F:2012:171), mit dem dieses ihre Klage auf Aufhebung der Beschlüsse des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. Dezember 2008 über ihre Umsetzung bzw. vom 10. Juli 2009 über die Verhängung der Disziplinarstrafe der schriftlichen Verwarnung abgewiesen hat. |
Sachverhalt
2 |
Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt wird in den Rn. 23 bis 66 des angefochtenen Urteils wie folgt wiedergegeben:
1. Die Umsetzungsentscheidung vom 18. Dezember 2008
…
2. Die Entscheidung über die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009
…
…
…
…
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Verfahren im ersten Rechtszug
[nicht wiedergegeben]
5 |
Mit Klageschrift, die am 22. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichts für den öffentlichen Dienst einging, erhob die Rechtsmittelführerin eine Klage, die unter dem Aktenzeichen F‑48/10 in das Register der Kanzlei eingetragen wurde (im Folgenden: Klage F‑48/10). Sie war zum einen auf Aufhebung der Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 10. Juli 2009 über die Verhängung der Disziplinarstrafe der schriftlichen Verwarnung (im Folgenden: Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009) sowie soweit erforderlich der Entscheidung über die Zurückweisung der gegen diese Disziplinarstrafe gerichteten Beschwerde gerichtet und zum anderen auf Verurteilung des Gerichtshofs zur Zahlung eines Betrags von 50000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens. |
6 |
In der Klagebeantwortung hat der Gerichtshof insbesondere die Abweisung der Klage F‑48/10 beantragt. [nicht wiedergegeben] |
11 |
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2012 stellte die Rechtsmittelführerin einen ausdrücklichen Antrag auf Ablehnung des Berichterstatters, der seit dem oben in Rn. 7 angeführten Schreiben Präsident des Gerichts für den öffentlichen Dienst und Präsident der Dritten Kammer geworden war, dem Spruchkörper, dem die fraglichen Rechtssachen zugewiesen wurden, wegen des Anscheins fehlender Integrität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. In diesem Antrag wurde unter den Behauptungen in Bezug auf die Befangenheit des Berichterstatters, wonach dieser als Präsident des Gerichts für den öffentlichen Dienst den Beschwerdeausschuss des Gerichts für den öffentlichen Dienst beibehalten habe, angeführt, dies gelte „ebenso für die Mitglieder [dieses Gerichts], die akzeptiert [hatten], Mitglieder dieses Ausschusses zu werden, da deren Unparteilichkeit in diesem Zusammenhang objektiv gefährdet ist“. |
12 |
Infolge des Antrags auf Ablehnung, den die Rechtsmittelführerin zu Beginn der mündlichen Verhandlung stellte, setzte das Gericht das Verfahren aus. |
13 |
Mit Schreiben vom 6. Februar 2012 übermittelte die Kanzlei des Gerichts für den öffentlichen Dienst den Antrag auf Ablehnung an den Gerichtshof zur etwaigen Stellungnahme, der mit Schreiben, das bei der Kanzlei des Gerichts für den öffentlichen Dienst am 17. Februar 2012 einging, erklärte, dass er keine Stellungnahme vorzubringen habe und die Entscheidung in das Ermessen dieses Gerichts stelle. Durch mit Gründen versehenen Beschluss vom 29. März 2012 wies der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts für den öffentlichen Dienst den Antrag auf Ablehnung sowohl hinsichtlich des Berichterstatters als auch der beiden Richter, die im Beschwerdeausschuss des Gerichts für den öffentlichen Dienst saßen, zurück. |
14 |
Mit Schreiben der Kanzlei vom 4. April 2012 wurden die Parteien zu einer weiteren mündlichen Verhandlung geladen, die am 10. Mai 2012 stattfand. |
15 |
Am 5. Dezember 2012 erließ das Gericht für den öffentlichen Dienst (Dritte Kammer) das angefochtene Urteil. [nicht wiedergegeben] |
Angefochtenes Urteil
[nicht wiedergegeben]
Zur Klage F‑48/10
28 |
Zur Stützung ihres Antrags auf Aufhebung brachte die Rechtsmittelführerin sechs Klagegründe vor, und zwar erstens die Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses und die Rechtswidrigkeit von Art. 4 des Beschlusses des Gerichtshofs vom 4. Mai 2004 über die Ausübung der Befugnisse, die der Anstellungsbehörde im Statut der Beamten der Europäischen Union und der zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigten Behörde in den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union übertragen sind (im Folgenden: Beschluss vom 4. Mai 2004), zweitens die Rechtswidrigkeit des Disziplinarverfahrens wegen Verletzung der Verteidigungsrechte und des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens sowie der Art. 1 bis 3 von Anhang IX des Statuts, drittens einen Verstoß gegen Art. 12 des Statuts und Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) sowie einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, viertens einen Interessenkonflikt auf Seiten des Leiters der Anstellungsbehörde, einen Verstoß gegen die Art. 2 und 10 der Satzung des Gerichtshofs, gegen Art. 11a der Satzung, gegen Art. 8 des Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis, gegen Art. 41 der Charta der Grundrechte sowie eine Verletzung der allgemeinen Grundsätze der Objektivität, der Unparteilichkeit und der Unabhängigkeit, fünftens eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Grundsatzes der Waffengleichheit und sechstens eine Ermessensüberschreitung und einen Ermessensmissbrauch sowie einen Verstoß gegen die Fürsorgepflicht und den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung. |
29 |
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht für den öffentlichen Dienst sämtliche Klagegründe zurück. [nicht wiedergegeben] |
Verfahren vor dem Gericht und Anträge der Verfahrensbeteiligten
32 |
Mit Schriftsatz, der am 14. Februar 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin das vorliegende Rechtsmittel erhoben. |
33 |
Mit Schreiben, das am 26. Februar 2013 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Rechtsmittelführerin einen Antrag auf Anonymisierung gestellt, dem der Präsident der Rechtsmittelkammer mit Beschluss vom 6. März 2013 stattgegeben hat. |
34 |
Am 19. September 2013 hat der Gerichtshof seine Rechtsmittelbeantwortung eingereicht. Das schriftliche Verfahren wurde am 2. Dezember 2013 abgeschlossen. |
35 |
Das Gericht (Rechtsmittelkammer) hat auf Bericht des Berichterstatters festgestellt, dass keine der Parteien binnen einem Monat nach der Mitteilung über den Abschluss des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und gemäß Art. 146 der Verfahrensordnung beschlossen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. |
36 |
Die Klägerin beantragt,
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37 |
Der Gerichtshof beantragt,
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Zum Rechtsmittel
38 |
Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf elf Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund wird die fehlende Unparteilichkeit der Dritten Kammer des Gerichts für den öffentlichen Dienst gerügt. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird die Verletzung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gerügt, soweit die Kontrolle des Gerichts für den öffentlichen Dienst, ob die Voraussetzung in Bezug auf das in Art. 7 Abs. 1 der Satzung vorgesehene dienstliche Interesse eingehalten worden sei, beschränkt sei. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird die Unzuständigkeit des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts für den öffentlichen Dienst für die Entscheidung über den Ablehnungsantrag vom 25. Januar 2012 geltend gemacht. Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren geltend gemacht, soweit die Verfahrensordnung des Gerichts für den öffentlichen Dienst keine Möglichkeit vorsehe, ein Rechtsmittel gegen den Beschluss über die Zurückweisung des Antrags auf Ablehnung eines Richters einzulegen. Mit dem fünften Rechtsmittelgrund wird zum einen ein Verstoß gegen die Pflicht, die materielle Wahrheit der Begründungen festzustellen, die der Umsetzungsverfügung und der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 zugrunde lägen, und zum anderen eine Verfälschung der Tatsachen geltend gemacht. Mit dem sechsten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler gerügt, soweit das Gericht für den öffentlichen Dienst zu Unrecht entschieden habe, dass die Umsetzungsverfügung allein im dienstlichen Interesse im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Satzung erlassen worden sei. Mit dem siebten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler des Gerichts für den öffentlichen Dienst gerügt, soweit es zu Unrecht entschieden habe, dass die Anstellungsbehörde den Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten eingehalten habe. Mit dem achten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung der Verteidigungsrechte und des Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt. Mit dem neunten Rechtsmittelgrund wird ein Rechtsfehler geltend gemacht, soweit das Gericht für den öffentlichen Dienst zu Unrecht entschieden habe, dass die Schadensersatzanträge auf Ersatz des aufgrund der Verbreitung der Umsetzungsverfügung an alle Mitarbeiter erlittenen Schadens unzulässig seien. Mit dem zehnten Rechtsmittelgrund wird zum einen ein Rechtsfehler des Gerichts für den öffentlichen Dienst geltend gemacht, soweit es entschieden habe, dass der Beschwerdeausschuss, der die gegen die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 gerichtete Beschwerde zurückgewiesen habe, zuständig gewesen sei, und zum anderen, dass es nicht über den Klagegrund der Rechtswidrigkeit von Art. 4 des Beschlusses vom 4. Mai 2004 entschieden habe. Mit dem elften Rechtsmittelgrund wird zum einen ein Rechtsfehler des Gerichts für den öffentlichen Dienst gerügt, soweit es zu Unrecht entschieden habe, dass die Anstellungsbehörde die Art. 1 bis 3 des Anhangs IX der Satzung eingehalten habe, und zum anderen eine Verletzung der Verteidigungsrechte und ein Verstoß gegen den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens. [nicht wiedergegeben] |
Zu den Rechtsmittelgründen in Bezug auf die Klage F‑48/10
Zum zehnten Rechtsmittelgrund, mit dem zum einen ein Rechtsfehler des Gerichts für den öffentlichen Dienst geltend gemacht wird, soweit es entschieden habe, dass der Beschwerdeausschuss, der die gegen die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 gerichtete Beschwerde zurückgewiesen habe, zuständig gewesen sei, und zum anderen, dass es nicht über den Klagegrund der Rechtswidrigkeit von Art. 4 des Beschlusses vom 4. Mai 2004 entschieden habe
138 |
Die Rechtsmittelführerin beanstandet die Rn. 226 bis 228 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht für den öffentlichen Dienst den Klagegrund der Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses mit der Begründung als ins Leere gehend zurückgewiesen habe, dass die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 eine bestätigende Maßnahme ohne eigenständigen Gehalt gewesen sei und deren Aufhebung daher keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 habe ausüben können. Ihrer Ansicht nach darf diese Begründung des Gerichts für den öffentlichen Dienst nicht auf einer Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde beruhen, die von einem unzuständigen Organ getroffen worden sei. |
139 |
Der Gerichtshof tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin entgegen. |
140 |
Im ersten Rechtszug beantragte die Rechtsmittelführerin die Aufhebung der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 und, soweit erforderlich, die Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 (angefochtenes Urteil, Rn. 69). |
141 |
Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet jede bloße eine Beschwerde ablehnende Entscheidung, ob sie nun stillschweigend oder ausdrücklich ergeht, nur eine Bestätigung der vom Beschwerdeführer beanstandeten Maßnahme oder Unterlassung und ist als solche keine anfechtbare Maßnahme, so dass die gegen diese Entscheidung ohne eigenständigen Gehalt gegenüber der ursprünglichen Entscheidung gerichteten Anträge als gegen den ursprünglichen Rechtsakt gerichtet anzusehen sind (Beschluss vom 16. Juni 1988, Progoulis/Kommission, 371/87, Slg, EU:C:1988:317, Rn. 17, und Urteil vom 2. März 2004, Di Marzio/Kommission, T‑14/03, SlgÖD, EU:T:2004:59, Rn. 54). Eine Entscheidung, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wird, ist eine bestätigende Maßnahme ohne eigenständigen Gehalt, wenn sie keine Überprüfung der Lage des Beschwerdeführers aufgrund neuer rechtlicher oder tatsächlicher Umstände enthält (Urteile vom 21. September 2011, Adjemian u. a./Kommission, T‑325/09 P, Slg, EU:T:2011:506, Rn. 32, und vom 21. Mai 2014, Mocová/Kommission, T‑347/12 P, Slg [Auszüge], EU:T:2014:268, Rn. 34). |
142 |
Aufgrund der oben in Rn. 141 angeführten Rechtsprechung hat das Gericht für den öffentlichen Dienst in Rn. 227 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Verwaltung keine Überprüfung der Lage der Rechtsmittelführerin aufgrund neuer rechtlicher oder tatsächlicher Umstände durchgeführt habe, so dass die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde als bloße Bestätigung der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 anzusehen sei. Es hat daraus den Schluss gezogen, dass die Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 haben könne, so dass der Klagegrund der Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses, der auf die Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde abziele, als ins Leere gehend zurückzuweisen sei. |
143 |
Hierzu ist jedoch festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin mit dem Klagegrund der Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses, den sie im ersten Rechtszug geltend machte, die Zusammensetzung dieses Ausschusses beanstandete, der ihre gegen die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 gerichtete Beschwerde zurückgewiesen hatte. Dieser Klagegrund betraf daher die Frage, ob die Prüfung der Beschwerde der Rechtsmittelführerin Gegenstand eines ordnungsgemäßen Verfahrens gewesen war, das zu einer anderen Entscheidung als der der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 hätte führen können. Demgemäß hatte die Rechtsmittelführerin ein tatsächliches und eigenständiges Interesse daran, die Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu beantragen und nicht nur die Aufhebung der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009. |
144 |
Wenn nämlich die oben in Rn. 141 angeführte Rechtsprechung ohne Rücksicht darauf zugrunde gelegt würde, dass der in Rede stehende Klagegrund das Beschwerdeverfahren selbst betrifft, und nicht den ursprünglichen Rechtsakt, der Gegenstand der Beschwerde ist, wäre jede Möglichkeit von Beanstandungen ausgeschlossen, die das Vorverfahren betreffen, und verlöre der Beschwerdeführer dadurch den Anspruch auf ein Verfahren, das eine gütliche Beilegung des zwischen den Beamten oder sonstigen Bediensteten und der Verwaltung entstandenen Streits ermöglichen und fördern soll und die Behörde, zu der der Beamte gehört, dazu zwingen soll, ihre Entscheidung im Licht der möglichen Einwände des Beamten vorschriftsgemäß zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Mocová/Kommission, oben in Rn. 141 angeführt, EU:T:2014:268, Rn. 38). |
145 |
Insoweit ist das Argument des Gerichtshofs als unbegründet anzusehen, wonach die Rechtsmittelführerin kein Interesse daran habe, die Aufhebung der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde zu beantragen, nachdem sie eine Klage auf Aufhebung des ursprünglichen Rechtsakts eingereicht habe, da es, selbst wenn das Beschwerdeverfahren rechtswidrig wäre, sinnlos wäre, dass die Verwaltung eine neue Entscheidung über die Beschwerde treffe, wo doch die Rechtsmittelführerin beim Gericht beantragt habe, den ursprünglichen Rechtsakt selbst aufzuheben. Entgegen dem Vorbringen des Gerichtshofs ist das Interesse der Beschwerdeführerin daran, dass das Beschwerdeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wird und daher die Entscheidung über die Zurückweisung ihrer Beschwerde im Falle von Unregelmäßigkeiten aufgehoben wird, eigenständig und nicht im Zusammenhang mit der etwaigen gegen den ursprünglichen Rechtsakt, der Gegenstand der Beschwerde ist, eingereichten Klage zu beurteilen. Andernfalls könnte der Betreffende nie die Unregelmäßigkeiten des Beschwerdeverfahrens geltend machen, aufgrund deren ihm doch der Vorteil einer ordnungsgemäßen vorverfahrensrechtlichen Überprüfung der Entscheidung der Verwaltung genommen wurde, wenn eine Klage gegen den ursprünglichen Rechtsakt gerichtet wird, gegen den sich die Beschwerde richtet. |
146 |
Daraus folgt, dass es der Rechtsmittelführerin angesichts des Gegenstands des in Rede stehenden Klagegrundes, der das Beschwerdeverfahren betrifft, möglich sein muss, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde und nicht nur die Rechtmäßigkeit der Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 durch den Unionsrichter kontrollieren zu lassen. |
147 |
Demnach hat das Gericht für den öffentlichen Dienst einen Rechtsfehler begangen, als es den Klagegrund der Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses als ins Leere gehend zurückgewiesen hat. |
148 |
Daher ist der zehnte Rechtsmittelgrund begründet. [nicht wiedergegeben] |
162 |
Nach alledem ist dem Rechtsmittel zum Teil stattzugeben und das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es mit dem oben in den Rn. 140 bis 147 festgestellten Rechtsfehler behaftet ist. |
Zur Klage im ersten Rechtszug
163 |
Nach Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I der Satzung des Gerichtshofs hebt das Gericht, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts für den öffentlichen Dienst auf und entscheidet den Rechtsstreit selbst. Das Gericht verweist jedoch die Sache zur Entscheidung an das Gericht für den öffentlichen Dienst zurück, wenn der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif ist. |
164 |
Im vorliegenden Fall verfügt das Gericht über alle erforderlichen Angaben, um über die Klage im ersten Rechtszug zu entscheiden. |
165 |
Angesichts der Tatsache, dass dem Rechtsmittel nur teilweise stattgegeben wird und dass das angefochtene Urteil nur so weit aufgehoben wird, als es mit dem oben in den Rn. 140 bis 147 beschriebenen Rechtsfehler behaftet ist, ist festzustellen, dass die anderen Ausführungen des Gerichts für den öffentlichen Dienst, die nicht mit diesem Fehler behaftet sind, bestandskräftig geworden sind. Das Gericht hat daher nur den von der Rechtsmittelführerin in der Rechtssache F‑48/10 geltend gemachten Klagegrund der Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses und der Rechtswidrigkeit von Art. 4 des Beschlusses vom 4. Mai 2004 zu prüfen. |
166 |
Die Rechtsmittelführerin machte vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst geltend, dass der Beschwerdeausschuss, der zur Entscheidung ihrer Beschwerde gegen die Disziplinarstrafe vom 10. Juli 2009 zuständig und aus einem Richter des Gerichtshofs und zwei Generalanwälten zusammengesetzt gewesen sei, nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen sei. Hierzu machte sie erstens geltend, dass nach Art. 4 der Satzung des Gerichtshofs „[d]ie Richter … weder ein politisches Amt noch ein Amt in der Verwaltung ausüben [dürfen]“. Zweitens berief sie sich auf Art. 12 der Satzung des Gerichtshofs, aus dem hervorgehe, dass dem Gerichtshof Beamte und sonstige Bedienstete beigegeben seien, die „dem Kanzler unter Aufsicht des Präsidenten [unterstehen]“, so dass allein der Kanzler und der Präsident des Gerichtshofs als Anstellungsbehörde handeln dürften. Drittens trug sie vor, dass Art. 4 des Beschlusses vom 4. Mai 2004, der bestimme, dass „der Beschwerdeausschuss die der Anstellungsbehörde durch das Statut übertragenen Befugnisse ausübt“, was die Entscheidungen über die Beschwerden betreffe, Art. 2 Abs. 1 des Statuts – wonach jedes Organ bestimme, wer in seinem Dienstbereich die der Anstellungsbehörde im Statut übertragenen Befugnisse ausübe – in Verbindung mit den Art. 4 und 12 der Satzung des Gerichtshofs vereinbar sei. Im Übrigen erlaube die Satzung des Gerichtshofs weder dem Kanzler noch dem Präsidenten des Gerichtshofs, die ihnen anvertrauten Befugnisse der Anstellungsbehörde zu übertragen. |
167 |
Zunächst ist festzustellen, dass sich die Rechtsmittelführerin damit begnügt, den Inhalt von Art. 4 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs zu wiederholen, wonach „[d]ie Richter … weder ein politisches Amt noch ein Amt in der Verwaltung ausüben [dürfen]“, und zu behaupten, dass, abgesehen vom Präsidenten des Gerichtshofs, die anderen Richter und Generalanwälte kein Amt in der Verwaltung ausüben und insbesondere als Anstellungsbehörde im Rahmen eines Beschwerdeausschusses handeln dürften. Eine rechtliche Argumentation zur Stützung dieser Behauptung wird nicht vorgebracht. Wie der Gerichtshof vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst ausgeführt hat, soll diese Bestimmung die Unabhängigkeit der Richter sowohl während als auch nach der Ausübung ihres Amtes gewährleisten, insbesondere gegenüber den Mitgliedstaaten oder den anderen Organen der Union. Die weiteren Absätze von Art. 4 der Satzung des Gerichtshofs lassen auch diese Sorge erkennen, die Unabhängigkeit der Richter zu wahren. Die Rechtsmittelführerin kann jedoch aus Art. 4 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs nicht ableiten, dass es unmöglich wäre, Aufgaben der internen Verwaltung eines Organs wahrzunehmen. Wie der Gerichtshof in seinen Schriftsätzen vor dem Gericht für den öffentlichen Dienst zu Recht ausgeführt hat, schadet die Wahrnehmung von Aufgaben der internen Verwaltung eines Organs durch Richter nicht ihrer Unabhängigkeit und ermöglicht es, die Selbstverwaltung des Organs zu gewährleisten. |
168 |
Zudem beschränkt sich die Rechtsmittelführerin auf die Behauptung, dass im Hinblick auf Art. 12 der Satzung des Gerichtshofs, der bestimme, dass die Beamten und sonstigen Bediensteten, die dem Gerichtshof beigegeben seien, „dem Kanzler unter Aufsicht des Präsidenten [unterstehen]“, allein der Kanzler und der Präsident des Gerichtshofs die durch das Statut der Anstellungsbehörde übertragenen Befugnisse ausüben dürften. Sie belegt auch nicht die Vereinbarkeit ihrer Auslegung von Art. 12 der Satzung des Gerichtshofs dahin, dass dem Kanzler und dem Präsidenten des Gerichtshofs die Ausübung der der Anstellungsbehörde übertragenen Befugnisse vorbehalten sei, mit Art. 2 Abs. 1 des Statuts, der vorsieht, dass jedes Organ bestimmt, wer in seinem Dienstbereich die der Anstellungsbehörde im Statut übertragenen Befugnisse ausübt. Sie beschränkt sich vielmehr auf die Behauptung, dass Art. 2 Abs. 1 des Statuts, was den Gerichtshof betreffe, nur in Verbindung mit den Art. 4 und 12 der Satzung des Gerichtshofs gelesen werden dürfe. |
169 |
Unter diesen Umständen kann die Rechtsmittelführerin nicht mit Erfolg ohne jeden weiteren Beleg geltend machen, dass Art. 4 des Beschlusses vom 4. Mai 2004, wonach der Beschwerdeausschuss die durch das Statut der Anstellungsbehörde übertragenen Befugnisse ausübt, was die Entscheidungen über Beschwerden betrifft, nicht mit Art. 2 Abs. 1 des Statuts in Verbindung mit den Art. 4 und 12 der Satzung des Gerichtshofs vereinbar ist. |
170 |
Daraus ergibt sich, dass der im ersten Rechtszug vorgebrachte Klagegrund der Unzuständigkeit des Beschwerdeausschusses und der Rechtswidrigkeit von Art. 4 des Beschlusses vom 4. Mai 2004, den die Rechtsmittelführerin in der Rechtssache F‑48/10 angeführt hat, zurückzuweisen ist. Demnach ist die Klage F‑48/10 insoweit abzuweisen. [nicht wiedergegeben] |
Aus diesen Gründen hat DAS GERICHT (Rechtsmittelkammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Jaeger Kanninen Gratsias Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Juni 2015. Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.
( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.