Rechtssache C‑605/13 P

Issam Anbouba

gegen

Rat der Europäischen Union

„Rechtsmittel — Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik — Restriktive Maßnahmen gegen die Arabische Republik Syrien — Maßnahmen gegen Personen und Organisationen, die von dem Regime profitieren — Nachweis der Begründetheit der Aufnahme in die Listen — Bündel von Indizien“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 21. April 2015

  1. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2011/273/GASP und Verordnung Nr. 442/2011 – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes gegenüber den Führungskräften der wichtigsten Unternehmen in Syrien – Fehlen

    (Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

  2. Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Umfang der Kontrolle

    (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

  3. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Nichtigkeitsklage einer Person, die vom syrischen Regime profitiert und von einem Beschluss über das Einfrieren von Geldern betroffen ist – Beweislastverteilung – Auf ein Bündel von Indizien gestützter Beschluss – Zulässigkeit – Voraussetzungen

    (Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

  4. Rechtsmittel – Gründe – Fehlerhafte Beurteilung der Anwendung einer Vermutung der Unterstützung, die der Rat im Rahmen eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern gegenüber einer Person, die vom syrischen Regime profitiert, herangezogen hat, durch das Gericht – Folgen – Aufhebung des angefochtenen Urteils – Fehlen – Voraussetzung – Rechtlich hinreichende Prüfung durch das Gericht, ob es eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gibt, die den Beschluss über das Einfrieren von Geldern stützt

    (Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

  1.  Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2011/273 über restriktive Maßnahmen gegen Syrien in der Fassung des Beschlusses 2011/522 erfassen insbesondere die Personen und Organisationen, die von dem syrischen Regime profitieren oder dieses unterstützen, sowie die mit ihnen verbundenen Personen und Organisationen, während Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien in der Fassung der Verordnung Nr. 878/2011 insbesondere die Personen und Organisationen, die Nutznießer oder Unterstützer dieses Regimes sind, sowie die mit ihnen in Verbindung stehenden Personen und Organisationen erfasst.

    Weder im Beschluss 2011/273 noch in der Verordnung Nr. 442/2011 ist definiert, was es heißt, von dem syrischen Regime zu „profitieren“ oder ihm „Unterstützung“ zu gewähren bzw. mit den Personen und Organisationen „in Verbindung“ zu stehen, die Nutznießer oder Unterstützer des syrischen Regimes sind. Diese Rechtsakte enthalten auch keine Erläuterungen zur Form des Beweises für das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale.

    Daher wird weder im Beschluss 2011/273 noch in der Verordnung Nr. 442/2011 eine Vermutung dahin gehend aufgestellt, dass Führungskräfte der wichtigsten Unternehmen Syriens das syrische Regime unterstützen.

    (vgl. Rn. 41-43)

  2.  Die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierte Effektivität der gerichtlichen Kontrolle erfordert, dass, wenn der Unionsrichter die Rechtmäßigkeit der Begründung prüft, die der Entscheidung zugrunde liegt, den Namen einer Person in die Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen, er sich vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, um zu kontrollieren, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich ausreicht, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind. Im Rahmen der Beurteilung des Gewichts der betroffenen Belange, die zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gehört, kann dem Zusammenhang, in dem diese Maßnahmen stehen, sowie der Dringlichkeit des Erlasses solcher Maßnahmen, mit denen Druck auf das syrische Regime ausgeübt werden soll, damit es die gewaltsame Repression gegen die Bevölkerung beendet, und der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, in einem Staat, in dem Bürgerkrieg herrscht und den ein autoritäres Regime regiert, präzisere Beweise zu erlangen.

    (vgl. Rn. 45, 46)

  3.  In Anbetracht der Situation in Syrien erfüllt der Rat die ihm obliegende Beweislast, wenn er vor dem Unionsrichter auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Person, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen ist, und dem bekämpften Regime besteht.

    (vgl. Rn. 52)

  4.  Da das Gericht die Begründetheit der Aufnahme einer Person in die Listen der Personen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, auf der Grundlage eines Bündels von Indizien geprüft hat, die deren Stellung, ihre Funktionen und ihre Beziehungen im Kontext des syrischen Regimes betrafen, die von ihr nicht bestritten worden sind, kann die Bezugnahme im angefochtenen Urteil auf eine für die Unterstützung dieses Regimes sprechende Vermutung – obwohl in den vor dem Gericht angefochtenen Rechtsakten über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien keine solche Vermutung aufgestellt wird ‑ nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils berühren, da aus den Feststellungen des Gerichts hervorgeht, dass es rechtlich hinreichend geprüft hat, ob es eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gibt, die die Aufnahme dieser Person in die betreffenden Listen stützt.

    (vgl. Rn. 54)


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Leitsätze

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1. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Spezifische restriktive Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen angesichts der Lage in Syrien – Beschluss 2011/273/GASP und Verordnung Nr. 442/2011 – Vermutung der Unterstützung des syrischen Regimes gegenüber den Führungskräften der wichtigsten Unternehmen in Syrien – Fehlen

(Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

2. Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Umfang der Kontrolle

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

3. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen Syrien – Einfrieren von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen – Nichtigkeitsklage einer Person, die vom syrischen Regime profitiert und von einem Beschluss über das Einfrieren von Geldern betroffen ist – Beweislastverteilung – Auf ein Bündel von Indizien gestützter Beschluss – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

4. Rechtsmittel – Gründe – Fehlerhafte Beurteilung der Anwendung einer Vermutung der Unterstützung, die der Rat im Rahmen eines Beschlusses über das Einfrieren von Geldern gegenüber einer Person, die vom syrischen Regime profitiert, herangezogen hat, durch das Gericht – Folgen – Aufhebung des angefochtenen Urteils – Fehlen – Voraussetzung – Rechtlich hinreichende Prüfung durch das Gericht, ob es eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gibt, die den Beschluss über das Einfrieren von Geldern stützt

(Verordnung Nr. 442/2011 des Rates in der durch die Verordnung Nr. 878/2011 geänderten Fassung; Beschluss 2011/273/GASP des Rates in der durch den Beschluss 2011/522/GASP geänderten Fassung)

Leitsätze

1. Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 des Beschlusses 2011/273 über restriktive Maßnahmen gegen Syrien in der Fassung des Beschlusses 2011/522 erfassen insbesondere die Personen und Organisationen, die von dem syrischen Regime profitieren oder dieses unterstützen, sowie die mit ihnen verbundenen Personen und Organisationen, während Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien in der Fassung der Verordnung Nr. 878/2011 insbesondere die Personen und Organisationen, die Nutznießer oder Unterstützer dieses Regimes sind, sowie die mit ihnen in Verbindung stehenden Personen und Organisationen erfasst.

Weder im Beschluss 2011/273 noch in der Verordnung Nr. 442/2011 ist definiert, was es heißt, von dem syrischen Regime zu „profitieren“ oder ihm „Unterstützung“ zu gewähren bzw. mit den Personen und Organisationen „in Verbindung“ zu stehen, die Nutznießer oder Unterstützer des syrischen Regimes sind. Diese Rechtsakte enthalten auch keine Erläuterungen zur Form des Beweises für das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale.

Daher wird weder im Beschluss 2011/273 noch in der Verordnung Nr. 442/2011 eine Vermutung dahin gehend aufgestellt, dass Führungskräfte der wichtigsten Unternehmen Syriens das syrische Regime unterstützen.

(vgl. Rn. 41-43)

2. Die durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierte Effektivität der gerichtlichen Kontrolle erfordert, dass, wenn der Unionsrichter die Rechtmäßigkeit der Begründung prüft, die der Entscheidung zugrunde liegt, den Namen einer Person in die Liste der restriktiven Maßnahmen unterliegenden Personen aufzunehmen, er sich vergewissert, dass diese Entscheidung, die eine individuelle Betroffenheit dieser Person begründet, auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Dies setzt eine Überprüfung der Tatsachen voraus, die in der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Begründung angeführt werden, um zu kontrollieren, ob diese Gründe – oder zumindest einer von ihnen, der für sich ausreicht, um diese Entscheidung zu stützen – erwiesen sind. Im Rahmen der Beurteilung des Gewichts der betroffenen Belange, die zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gehört, kann dem Zusammenhang, in dem diese Maßnahmen stehen, sowie der Dringlichkeit des Erlasses solcher Maßnahmen, mit denen Druck auf das syrische Regime ausgeübt werden soll, damit es die gewaltsame Repression gegen die Bevölkerung beendet, und der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, in einem Staat, in dem Bürgerkrieg herrscht und den ein autoritäres Regime regiert, präzisere Beweise zu erlangen.

(vgl. Rn. 45, 46)

3. In Anbetracht der Situation in Syrien erfüllt der Rat die ihm obliegende Beweislast, wenn er vor dem Unionsrichter auf ein Bündel von Indizien hinweist, die hinreichend konkret, genau und übereinstimmend sind und die Feststellung ermöglichen, dass eine hinreichende Verbindung zwischen der Person, die einer Maßnahme des Einfrierens ihrer Gelder unterworfen ist, und dem bekämpften Regime besteht.

(vgl. Rn. 52)

4. Da das Gericht die Begründetheit der Aufnahme einer Person in die Listen der Personen, die restriktiven Maßnahmen unterliegen, auf der Grundlage eines Bündels von Indizien geprüft hat, die deren Stellung, ihre Funktionen und ihre Beziehungen im Kontext des syrischen Regimes betrafen, die von ihr nicht bestritten worden sind, kann die Bezugnahme im angefochtenen Urteil auf eine für die Unterstützung dieses Regimes sprechende Vermutung – obwohl in den vor dem Gericht angefochtenen Rechtsakten über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien keine solche Vermutung aufgestellt wird ‑ nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Urteils berühren, da aus den Feststellungen des Gerichts hervorgeht, dass es rechtlich hinreichend geprüft hat, ob es eine hinreichend gesicherte tatsächliche Grundlage gibt, die die Aufnahme dieser Person in die betreffenden Listen stützt.

(vgl. Rn. 54)