URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

26. März 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung — Richtlinie 90/232/EWG — Art. 2 — Unterscheidung der Höhe der Versicherungsprämie nach dem Gebiet, in dem das Fahrzeug betrieben wird“

In der Rechtssache C‑556/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Litauen) mit Entscheidung vom 17. Oktober 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Oktober 2013, in dem Verfahren

„Litaksa“ UAB

gegen

„BTA Insurance Company“ SE

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin), der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der UAB „Litaksa“, vertreten durch D. Gintautas, advokatas,

der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriaučiūnas und A. Svinkūnaitė als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Steiblytė und K.-P. Wojcik als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 129, S. 33) in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 (ABl. L 149, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Dritte Richtlinie), der Grundsätze der Freizügigkeit und des freien Warenverkehrs sowie des allgemeinen Grundsatzes der Nichtdiskriminierung.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der UAB „Litaksa“ (im Folgenden: Litaksa), einem Güterkraftverkehrsunternehmen, und der „BTA Insurance Company“ SE (im Folgenden: BTA), einer Versicherungsgesellschaft, über die Erstattung von aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung an Verkehrsunfallgeschädigte geleisteten Schadensersatzzahlungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Mit der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 263, S. 11) wurden fünf Richtlinien kodifiziert, die zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erlassen worden waren.

4

Da sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens jedoch vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2009/103 zugetragen hat, bilden diese fünf Richtlinien, insbesondere die Richtlinie des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1, im Folgenden: Erste Richtlinie) und die Dritte Richtlinie, weiterhin den maßgeblichen rechtlichen Rahmen.

Erste Richtlinie

5

Zur Erleichterung des Reiseverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten wurde mit der Ersten Richtlinie ein System geschaffen, das auf der Abschaffung der Kontrolle der grünen Versicherungskarte bei Überschreitung der Binnengrenzen der Europäischen Union und auf der Verpflichtung der einzelnen Mitgliedstaaten beruht, die Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, damit die Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt ist.

6

Zu diesem Zweck sieht Art. 3 dieser Richtlinie vor:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat trifft … alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.

(2)   Jeder Mitgliedstaat trifft alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Versicherungsvertrag überdies folgende Schäden deckt:

die im Gebiet der anderen Mitgliedstaaten gemäß den Rechtsvorschriften dieser Staaten verursachten Schäden,

…“

Dritte Richtlinie

7

In den Erwägungsgründen 6, 7, 12 und 13 der Dritten Richtlinie heißt es:

„Bei der Anwendung von Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich der [Ersten Richtlinie] sollten Zweifel darüber beseitigt werden, dass sich alle Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungspolicen auf das gesamte Gebiet der [Union] erstrecken.

Im Interesse des Versicherten sollte ferner jede Haftpflichtversicherungspolice im Rahmen einer einzigen Prämie die in jedem Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebene Deckung bzw., wenn diese höher ist, die gesetzliche Deckung des Mitgliedstaats, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, gewährleisten.

Die [Erste Richtlinie und die Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17)] sollten unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen einheitlich ergänzt werden.

Eine solche Ergänzung, durch die der Schutz der Versicherten und der Unfallgeschädigten verbessert wird, wird das Überschreiten der Binnengrenzen der [Union] und damit die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes weiter erleichtern. Daher ist ein weitgehender Verbraucherschutz zugrunde zu legen.“

8

Art. 2 der Dritten Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit alle [Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverträge]

auf der Basis einer einzigen Prämie und während der gesamten Laufzeit des Vertrags das gesamte Gebiet der [Union] abdecken, einschließlich aller Aufenthalte des Fahrzeugs in anderen Mitgliedstaaten während der Laufzeit des Vertrags, und

auf der Grundlage dieser einzigen Prämie den in jedem Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutz bzw. den in dem Mitgliedstaat, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutz gewährleisten, wenn [L]etzterer höher ist.“

Litauisches Recht

9

Art. 10 („Geografischer Geltungsbereich des Versicherungsvertrags“) des Gesetzes über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (Transporto priemonių valdytojų civilinės atsakomybės privalomojo draudimo įstatymas) vom 14. Juni 2001 (Žin., 2004, Nr. 100-3718) bestimmt in seinem Abs. 1:

„Nach Zahlung einer einzigen (globalen) Prämie bietet ein [Vertrag über die Versicherung eines Fahrzeugs mit gewöhnlichem Standort im Gebiet der Republik Litauen, im Folgenden: Standardvertrag] oder ein Grenzversicherungsvertrag während der gesamten Laufzeit des Vertrags, einschließlich aller Aufenthalte des Fahrzeugs in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union während der Laufzeit des Vertrags, in jedem Mitgliedstaat die nach dessen Rechtsvorschriften über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung verlangte Deckung oder, wenn diese höher ist, die Deckung gemäß diesem Gesetz. Ein Standardvertrag, auf dessen Grundlage eine Grüne Karte ausgestellt wird, bietet auch Versicherungsschutz in den in dieser Grünen Karte aufgeführten ausländischen Staaten.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10

Am 24. November 2008 schlossen Litaksa und BTA zwei Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverträge zur Deckung der Haftpflicht von Litaksa aus dem Betrieb zweier ihr gehörender Fahrzeuge für den Zeitraum vom 25. November 2008 bis zum 24. November 2009. In diesen Verträgen wurde festgelegt, dass die Fahrzeuge nur für die Beförderung von Personen und von Waren innerhalb Litauens verwendet würden. Außerdem verpflichtete sich Litaksa mit diesen Verträgen, in dem Fall, dass sie beabsichtige, die genannten Fahrzeuge für einen Zeitraum von mehr als 28 Tagen in einem anderen Mitgliedstaat zu nutzen oder dort Personen oder Waren zu befördern, BTA im Voraus zu informieren und hierfür eine zusätzliche Prämie zu entrichten.

11

Im Jahr 2009 waren die beiden Litaksa gehörenden Fahrzeuge in Verkehrsunfälle verwickelt, die sich im Vereinigten Königreich bzw. in Deutschland ereigneten, ohne dass Litaksa BTA im Voraus ihre Absicht mitgeteilt hätte, die Fahrzeuge in diesen Mitgliedstaaten zu nutzen.

12

BTA leistete den bei diesen Unfällen Geschädigten Schadensersatz und erhob anschließend – da sie der Ansicht war, Litaksa habe gegen die Klauseln der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verträge verstoßen, die diese verpflichtet hätten, sie über ihre Absicht zu informieren, ihre Fahrzeuge in einem anderen Mitgliedstaat zu nutzen – Klage beim Kauno miesto apylinkės teismas (Amtsgericht Kaunas) mit dem Antrag, Litaksa zu verurteilen, ihr den an die Geschädigten geleisteten Schadensersatz hälftig zu erstatten.

13

Mit Urteil vom 30. Juli 2012 gab der Kauno miesto apylinkės teismas der Klage von BTA statt. Gegen dieses Urteil legte Litaksa Berufung ein, auf die der Kauno apygardos teismas (Bezirksgericht Kaunas) das Urteil des Kauno miesto apylinkės teismas mit Beschluss vom 27. Dezember 2012 mit der Begründung, ein Teil der Forderungen von BTA gegen Litaksa sei verjährt, teilweise aufhob und es insoweit bestätigte, als damit Litaksa zur Zahlung der übrigen Forderungen an BTA verurteilt worden war, nachdem er, wie bereits der Kauno miesto apylinkės teismas, darauf hingewiesen hatte, dass ein Verstoß gegen Klauseln eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags einen Anspruch auf teilweise Erstattung des vom Versicherer geleisteten Schadensersatzes gegen den Versicherungsnehmer begründen könne. Daraufhin legte Litaksa beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) Kassationsbeschwerde ein.

14

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist für die Prüfung der von Litaksa eingelegten Beschwerde vorab zu entscheiden, ob die Parteien eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags unterschiedliche Prämien vereinbaren können, je nachdem, ob das Fahrzeug, auf das sich der Vertrag bezieht, nur in dem Mitgliedstaat gefahren werden soll, in dem es seinen gewöhnlichen Standort hat, oder im gesamten Gebiet der Union.

15

Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass Art. 2 der Dritten Richtlinie verlange, dass Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungspolicen auf der Basis einer einzigen Prämie das gesamte Gebiet der Union abdeckten. Dieses Gericht fragt sich daher, ob die Unterscheidung der Höhe der Prämie nach dem Gebiet, in dem das Fahrzeug genutzt werde, gegen diese Vorschrift verstoße. Denn eine solche Unterscheidung habe zwar keine Auswirkung auf die Entschädigung von Verkehrsunfallgeschädigten, da diese unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Unfall ereigne, entschädigt würden, könne aber das Interesse des Versicherten verletzen, dessen Schutz offenbar eines der mit Art. 2 der Dritten Richtlinie verfolgten Ziele darstelle. Es bestehe nämlich die Gefahr, dass der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag nicht das gesamte Gebiet der Union im Sinne dieser Vorschrift abdecke, wenn sich der Versicherer bei einem Unfall, der sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem im Vertrag vorgesehenen ereignet habe, wegen der Erstattung eines Teils des an die Geschädigten geleisteten Schadensersatzes an den Versicherten wenden könnte. Schließlich sei zu bestimmen, ob eine Unterscheidung der Höhe der Prämie nach dem Gebiet, in dem das Fahrzeug genutzt werde, das mit der Ersten und der Dritten Richtlinie verfolgte Ziel des freien Waren- und Personenverkehrs beeinträchtige und gegen den allgemeinen Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoße.

16

Unter diesen Umständen hat der Lietuvos Aukščiausiasis Teismas beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 2 der Dritten Richtlinie dahin auszulegen, dass die Parteien eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags nicht berechtigt sind, in einer Vereinbarung den Versicherungsschutz der versicherten Person geografisch einzuschränken (eine unterschiedliche Versicherungsprämie festzulegen, je nachdem, in welchem Gebiet das Fahrzeug genutzt wird – entweder in dem der gesamten Europäischen Union oder nur in dem von Litauen), ohne aber den Versicherungsschutz der Geschädigten einzuschränken, d. h. die Nutzung des Fahrzeugs außerhalb der Republik Litauen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Faktor, der das Versicherungsrisiko erhöht, zu definieren, so dass in diesem Fall eine zusätzliche Versicherungsprämie zu zahlen ist?

2.

Sind der Grundsatz des freien Verkehrs von Personen und Fahrzeugen im gesamten Gebiet der Europäischen Union und der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Gleichheit (Nichtdiskriminierung) dahin auszulegen, dass sie durch die oben genannte Vereinbarung zwischen den Parteien eines Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrags, wonach das Versicherungsrisiko an die geografische Nutzung des Fahrzeugs anknüpft, verletzt werden?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

17

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 der Dritten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Prämie, die sich abhängig davon ändert, ob das versicherte Fahrzeug ausschließlich im Gebiet des Mitgliedstaats betrieben werden soll, in dem es seinen gewöhnlichen Standort hat, oder im gesamten Gebiet der Union, dem Begriff „einzige Prämie“ im Sinne dieser Vorschrift entspricht.

18

Nach Art. 2 der Dritten Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit alle Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverträge auf der Basis einer einzigen Prämie und während der gesamten Laufzeit des Vertrags das gesamte Gebiet der Union abdecken, einschließlich aller Aufenthalte des Fahrzeugs in anderen Mitgliedstaaten während der Laufzeit des Vertrags. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten nach dieser Vorschrift die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit diese Verträge auf der Grundlage dieser einzigen Prämie den in jedem Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutz bzw. den in dem Mitgliedstaat, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungsschutz gewährleisten, wenn Letzterer höher ist.

19

Aus dem Wortlaut von Art. 2 der Dritten Richtlinie ergibt sich, dass alle Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsverträge als Gegenleistung für die Zahlung einer einzigen Prämie einen für das gesamte Gebiet der Union gültigen Versicherungsschutz bieten müssen.

20

Die somit den Mitgliedstaaten auferlegte Pflicht wird im Übrigen durch das ebenfalls in der genannten Vorschrift angeführte Erfordernis verschärft, dass diese Deckung während der gesamten Laufzeit des Vertrags gültig bleiben muss, einschließlich der Aufenthalte des Fahrzeugs in anderen Mitgliedstaaten als dem, in dem es seinen gewöhnlichen Standort hat.

21

Das vorlegende Gericht stellt gleichwohl die Frage, ob ein Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsvertrag unter Voraussetzungen wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen – wo sich der Versicherer als Gegenleistung für die Zahlung der ursprünglichen Prämie durch den Versicherten verpflichtet, durch Unfälle unter Beteiligung des versicherten Fahrzeugs Geschädigte unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich diese Unfälle ereignen, zu entschädigen, sich aber wegen der hälftigen Erstattung des geleisteten Schadensersatzes an den Versicherten wenden kann, wenn sich die Unfälle im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem ereignen, in dem das betreffende Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat – den Anforderungen des Unionsrechts, insbesondere des Art. 2 der Dritten Richtlinie, entspricht.

22

Somit ist zu klären, ob die Bestimmungen von Art. 2 der Dritten Richtlinie bezüglich der einzigen Prämie und des räumlichen Umfangs des Versicherungsschutzes nur die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem Geschädigten betreffen oder auch die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer.

23

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile Csonka u. a., C‑409/11, EU:C:2013:512, Rn. 23, und Vnuk, C‑162/13, EU:C:2014:2146, Rn. 42).

24

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Dritte Richtlinie sich in den Rahmen des mit der Ersten Richtlinie geschaffenen Systems zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung einfügt.

25

Mit diesem System hat der Unionsgesetzgeber jedem Mitgliedstaat die Pflicht auferlegt, dafür zu sorgen, dass vorbehaltlich klar definierter Ausnahmen jeder Eigentümer oder Halter eines Fahrzeugs mit gewöhnlichem Standort im Inland mit einer Versicherungsgesellschaft einen Vertrag abschließt, damit zumindest innerhalb der durch das Unionsrecht definierten Grenzen seine Haftpflicht für dieses Fahrzeug garantiert wird (Urteil Csonka u. a., C-409/11, EU:C:2013:512, Rn. 28).

26

In diesem Rahmen hat die Dritte Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen 12 und 13 hervorgeht, u. a. die Erste Richtlinie einheitlich ergänzt, indem sie bezweckt, nicht nur den Schutz der durch auf dem Betrieb eines Fahrzeugs beruhende Unfälle Geschädigten zu verbessern, sondern auch den Schutz der Versicherten, sowie das Überschreiten der Binnengrenzen der Union und damit die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts weiter zu erleichtern, indem ein weitgehender Verbraucherschutz zugrunde gelegt wird.

27

Nach dem siebten Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie sind die Mitgliedstaaten insbesondere im Interesse des Versicherten verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jede Haftpflichtversicherungspolice im Rahmen einer einzigen Prämie die in jedem Mitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebene Deckung bzw., wenn diese höher ist, die gesetzliche Deckung des Mitgliedstaats, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, gewährleistet.

28

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass es nach allgemeinem Verständnis das Wesen eines Versicherungsumsatzes ist, dass der Versicherer sich verpflichtet, dem Versicherten gegen vorherige Zahlung einer Prämie beim Eintritt des Versicherungsfalls die bei Vertragsschluss vereinbarte Leistung zu erbringen (Urteile CPP, C‑349/96, EU:C:1999:93, Rn. 17, und Skandia, C‑240/99, EU:C:2001:140, Rn. 37).

29

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht dieser Ziele ist festzustellen, dass die Bestimmungen des Art. 2 der Dritten Richtlinie bezüglich der einzigen Prämie und des räumlichen Umfangs des Versicherungsschutzes nicht nur die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem Geschädigten betreffen, sondern auch die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer. Insbesondere setzen diese Bestimmungen voraus, dass der Versicherer als Gegenleistung für die Zahlung der einzigen Prämie durch den Versicherten grundsätzlich das Risiko des Schadensausgleichs gegenüber den Geschädigten eines möglichen Unfalls übernimmt, an dem das versicherte Fahrzeug beteiligt ist, und zwar unabhängig von dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Unfall ereignet.

30

Demnach entspricht eine Prämie, die sich abhängig davon ändert, ob das versicherte Fahrzeug ausschließlich im Gebiet des Mitgliedstaats betrieben werden soll, in dem es seinen gewöhnlichen Standort hat, oder im gesamten Gebiet der Union, nicht dem Begriff „einzige Prämie“ im Sinne von Art. 2 der Dritten Richtlinie. Eine solche Änderung läuft nämlich entgegen dieser Vorschrift darauf hinaus, dass die Verpflichtung des Versicherers, das Risiko zu übernehmen, das sich aus dem Betrieb dieses Fahrzeugs außerhalb des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Standorts ergibt, von der Zahlung einer zusätzlichen Prämie abhängig gemacht wird.

31

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 der Dritten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass eine Prämie, die sich abhängig davon ändert, ob das versicherte Fahrzeug ausschließlich im Gebiet des Mitgliedstaats betrieben werden soll, in dem es seinen gewöhnlichen Standort hat, oder im gesamten Gebiet der Union, nicht dem Begriff „einzige Prämie“ im Sinne dieser Vorschrift entspricht.

Zur zweiten Frage

32

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Kosten

33

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 2 der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Prämie, die sich abhängig davon ändert, ob das versicherte Fahrzeug ausschließlich im Gebiet des Mitgliedstaats betrieben werden soll, in dem es seinen gewöhnlichen Standort hat, oder im gesamten Gebiet der Union, nicht dem Begriff „einzige Prämie“ im Sinne dieser Vorschrift entspricht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Litauisch.