Verbundene Rechtssachen C‑544/13 und C‑545/13

Abcur AB

gegen

Apoteket Farmaci AB

und

Apoteket AB

(Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht vom Stockholms tingsrätt)

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Humanarzneimittel — Richtlinie 2001/83/EG — Anwendungsbereich — Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Nrn. 1 und 2 — Arzneimittel, die gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt — Ausnahmen — Arzneimittel, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden — In der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind — Richtlinie 2005/29/EG“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 16. Juli 2015

  1. Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Bestimmung der relevanten Elemente des Unionsrechts – Umformulierung der Fragen

    (Art. 267 AEUV)

  2. Recht der Europäischen Union – Auslegung – Grundsätze – Autonome und einheitliche Auslegung

  3. Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Anwendungsbereich – Ausnahmen – Arzneimittel, die gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt – Begriff

    (Verordnung Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates; Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Nrn. 1 und 2)

  4. Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Anwendungsbereich – Ausnahmen – Voraussetzungen – Kumulativer Charakter

    (Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Art. 3 Nrn. 1 und 2)

  5. Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Anwendungsbereich – Ausnahmen – Arzneimittel, die in einer Apotheke nach für einen bestimmten Patienten ausgestellter ärztlicher Verschreibung zubereitet werden – Anforderung in Bezug auf die Zubereitung des Arzneimittels nach ärztlicher Verschreibung – Tragweite

    (Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Art. 3 Nr. 1)

  6. Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Anwendungsbereich – Ausnahmen – Arzneimittel, die in einer Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet werden und für die Abgabe an Patienten bestimmt sind, die Kunden der Apotheke sind – Anforderung in Bezug auf die unmittelbare Abgabe des Arzneimittels – Tragweite

    (Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Art. 3 Nr. 2)

  7. Verbraucherschutz – Unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt – Richtlinie 2005/29 – Anwendungsbereich – Werbemaßnahmen für Humanarzneimittel – Einbeziehung – Voraussetzung – Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 als lex specialis für die speziellen Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken

    (Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Titel VIII; Richtlinie 2005/29 des Europäischen Parlaments und des Rates)

  1.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 33, 34)

  2.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 45)

  3.  Humanarzneimittel, die auf Verschreibung abgegeben werden und für deren Inverkehrbringen keine Genehmigung von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats oder gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur erteilt wurde, fallen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung unter diese Richtlinie, wenn sie entweder gewerblich zubereitet werden oder bei ihrer Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Diese Arzneimittel können nur dann unter die in Art. 3 Nr. 1 dieser Richtlinie in geänderter Fassung vorgesehene Ausnahme fallen, wenn ihre Zubereitung speziell für einen vorher bekannten Patienten gemäß einer ärztlichen Verschreibung erfolgt, die vor der Zubereitung ausgestellt wurde. Diese Arzneimittel können nur dann unter die in Art. 3 Nr. 2 dieser Richtlinie in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung vorgesehene Ausnahme fallen, wenn sie von der Apotheke, von der sie zubereitet worden sind, unmittelbar an die Patienten abgegeben werden, die Kunden dieser Apotheke sind. Es ist Sache des nationalen Richters, zu prüfen, ob die Anwendungsvoraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen.

    Im Hinblick auf das mit den Vorschriften der Union für Humanarzneimittel verfolgte Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit dürfen die Wendungen „gewerblich zubereitet“ und „[Zubereitung unter Anwendung] ein[es] industrielle[n] Verfahren[s]“ nicht eng ausgelegt werden. Sie müssen somit zumindest jede Zubereitung oder Herstellung umfassen, bei der ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Ein solches Verfahren ist im Allgemeinen durch eine Abfolge von Operationen gekennzeichnet, die insbesondere mechanisch oder chemisch sein können, um ein standardisiertes Erzeugnis in einer bedeutenden Menge zu erhalten. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die standardisierte Herstellung bedeutender Mengen eines Arzneimittels auf Vorrat und für den Verkauf im Großhandel ebenso wie die extemporane Zubereitung von Chargen in großem Maßstab oder in Serienproduktion kennzeichnend sind für eine gewerbliche Zubereitung oder eine Zubereitung, bei der ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.

    (vgl. Rn. 50, 51, 71, Tenor 1)

  4.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 58, 59, 66)

  5.  Was den in Art. 1 Nr. 19 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung definierten Begriff der ärztlichen Verschreibung betrifft, ist, da sich aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 ergibt, dass das betreffende Arzneimittel nach ärztlicher Verschreibung zubereitet werden muss, um unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 zu fallen, davon auszugehen, dass diese Zubereitung notwendigerweise auf der Grundlage einer vorher ausgestellten Verschreibung eines hierzu befugten Angehörigen eines Gesundheitsberufs erfolgen muss. Außerdem muss die ärztliche Verschreibung nach dieser Bestimmung für einen bestimmten Patienten ausgestellt worden sein. Hieraus folgt, dass die Verschreibung einen genau bezeichneten Patienten betreffen muss und dass dieser Patient vor jeder Zubereitung des fraglichen Arzneimittels, die speziell für diesen Patienten erfolgen muss, bekannt sein muss.

    Außerdem muss die Zubereitung eines Arzneimittels, um unter die Ausnahme gemäß Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 fallen zu können, notwendigerweise nach der Verschreibung für einen bestimmten Patienten erfolgen. Auf ein System der Versorgung mittels eines Abonnements, das eine Apotheke für die ambulante Krankenversorgung auf der Grundlage einer Schätzung ihres kurzfristigen Bedarfs an einem Arzneimittel besitzt, dessen Zubereitung nicht speziell für einen vorher bekannten Patienten erfolgt, kann diese Ausnahme daher nicht anwendbar sein.

    (vgl. Rn. 60, 61, 64)

  6.  Um unter die in Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung vorgesehene Ausnahme fallen zu können, muss das Arzneimittel von der Apotheke, von der es zubereitet worden ist, unmittelbar an die Patienten abgegeben werden, die Kunden dieser Apotheke sind. Daher kann diese Ausnahme nicht auf Arzneimittel angewandt werden, die nicht für die unmittelbare Abgabe an Patienten bestimmt sind, die Kunden der Apotheke sind, die die Arzneimittel zubereitet hat.

    (vgl. Rn. 67, 70)

  7.  Was Humanarzneimittel, die unter die Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung fallen, betrifft, so können Werbemaßnahmen für diese Arzneimittel wie die in den Ausgangsverfahren behaupteten ebenfalls unter die Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern fallen, sofern die Anwendungsvoraussetzungen dieser Richtlinie vorliegen.

    In dieser Hinsicht stellt die Richtlinie 2001/83, die spezielle Vorschriften für die Arzneimittelwerbung enthält, eine Sonderregelung gegenüber der in der Richtlinie 2005/29 vorgesehenen allgemeinen Regelung dar, die die Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken der Unternehmen schützt. Hieraus folgt, dass im Fall einer Kollision der Bestimmungen der Richtlinie 2005/29 mit denen der Richtlinie 2001/83, insbesondere den in deren Titel VIII enthaltenen Vorschriften für die Werbung, diese Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 vorgehen und auf diese speziellen Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken anwendbar sind.

    (vgl. Rn. 80-82, Tenor 2)