Rechtssache C‑530/13

Leopold Schmitzer

gegen

Bundesministerin für Inneres

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs)

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Sozialpolitik — Richtlinie 2000/78/EG — Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf — Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a — Art. 6 Abs. 1 — Diskriminierung wegen des Alters — Nationale Regelung, die die Anrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung bei der Festsetzung des Gehalts von der Verlängerung der Vorrückungszeiträume abhängig macht — Rechtfertigung — Eignung, das angestrebte Ziel zu erreichen — Möglichkeit, die Verlängerung der Vorrückungszeiträume anzufechten“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 11. November 2014

  1. Sozialpolitik — Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf — Richtlinie 2000/78 — Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters — Nationale Regelung, die die Anrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung bei der Festsetzung des Gehalts von der Verlängerung der Vorrückungszeiträume abhängig macht — Regelung, die eine Diskriminierung enthält — Rechtfertigung mit der Verfolgung rechtmäßiger Ziele — Schutz wohlerworbener Rechte und Vertrauensschutz — Verhältnismäßigkeit — Fehlen

    (Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 2 Abs. 1 und 2 und Art. 6 Abs. 1)

  2. Sozialpolitik — Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf — Richtlinie 2000/78 — Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters — Nationale Regelung, die die Anrechnung der vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung bei der Festsetzung des Gehalts von der Verlängerung der Vorrückungszeiträume abhängig macht — Recht zur Anfechtung der diskriminierenden Wirkungen

    (Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 2, 9 und 16)

  1.  Art. 2 Abs. 1 und 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach zur Beendigung einer Diskriminierung wegen des Alters Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung, die vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden, berücksichtigt werden, aber für die von dieser Diskriminierung betroffenen Beamten zugleich eine Verlängerung des für die Vorrückung von der jeweils ersten in die jeweils zweite Gehaltsstufe jeder Verwendungs- bzw. Entlohnungsgruppe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre eingeführt wird.

    Da die Verlängerung des für die Vorrückung von der ersten in die zweite Gehaltsstufe erforderlichen Zeitraums um drei Jahre nur für Beamte gilt, die Schulzeiten und Zeiten der Berufserfahrung vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt haben, enthält eine solche Regelung nämlich eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.

    Diese Ungleichbehandlung kann durch die Ziele der budgetären Ausgeglichenheit und der Verwaltungsökonomie nicht gerechtfertigt werden. Denn Haushaltserwägungen können zwar den sozialpolitischen Entscheidungen eines Mitgliedstaats zugrunde liegen und die Art oder das Ausmaß der von ihm zu treffenden sozialen Schutzmaßnahmen beeinflussen, für sich allein aber kein legitimes Ziel im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 darstellen.

    Die Besitzstandwahrung und der Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Beamten in Bezug auf ihr Entgelt stellen hingegen legitime Ziele der Beschäftigungspolitik und des Arbeitsmarkts dar, die die Beibehaltung der bisherigen Vergütungen und somit einer Regelung, die zu einer Diskriminierung wegen des Alters führt, während eines Übergangszeitraums rechtfertigen können. Eine solche Regelung ermöglicht die Erreichung dieser Ziele, da die vom früheren System begünstigten Beamten von der rückwirkenden Verlängerung des Vorrückungszeitraums nicht betroffen sind.

    Diese Ziele können jedoch eine Maßnahme nicht rechtfertigen, mit der – sei es auch nur für bestimmte Personen – eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festgeschrieben wird, die durch die Reform eines diskriminierenden Systems, zu der diese Maßnahme gehört, beseitigt werden soll. Eine solche Maßnahme ist, auch wenn sie die Wahrung des Besitzstands und den Schutz des berechtigten Vertrauens der vom früheren System begünstigten Beamten sicherzustellen vermag, nicht geeignet, für die vom früheren System benachteiligten Beamten ein diskriminierungsfreies System zu schaffen.

    (vgl. Rn. 35, 41-45, Tenor 1)

  2.  Die Art. 9 und 16 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass ein Beamter, der durch die Art der Festsetzung seines Vorrückungsstichtags eine Diskriminierung wegen des Alters erlitten hat, die Möglichkeit haben muss, unter Berufung auf Art. 2 dieser Richtlinie die diskriminierenden Wirkungen der Verlängerung der Vorrückungszeiträume anzufechten, auch wenn dieser Stichtag auf seinen Antrag hin neu festgesetzt wurde.

    Könnte nämlich ein vom früheren System benachteiligter Beamter die diskriminierenden Wirkungen der Verlängerung der Vorrückungszeiträume nicht anfechten, weil diese neue Diskriminierung ausschließlich darauf zurückzuführen ist, dass er die Neufestsetzung seines Vorrückungsstichtags beantragt und erhalten hat, während die vom früheren System begünstigten Beamten keinen solchen Antrag gestellt haben, wäre er aber nicht zur Durchsetzung aller Ansprüche, die ihm aufgrund des durch die Richtlinie 2000/78 garantierten Grundsatzes der Gleichbehandlung zustehen, in der Lage, was gegen die Art. 9 und 16 dieser Richtlinie verstieße.

    (vgl. Rn. 47, 50, 51, Tenor 2)