URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. September 2015 ( *1 )

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Verordnung (EG) Nr. 883/2004 — Art. 7 — Art. 21 — Leistung bei Krankheit — Pflegegeld, Betreuungsgeld und Beihilfe zur Deckung höherer Kosten — Wohnortklausel“

In der Rechtssache C‑433/13

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 31. Juli 2013,

Europäische Kommission, vertreten durch A. Tokár, D. Martin und F. Schatz als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Slowakische Republik, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin, A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Slowakische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 48 AEUV sowie aus den Art. 7 und 21 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, Berichtigung im ABl. L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 284, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) verstoßen hat, dass sie sich geweigert hat, Anspruchsberechtigten, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Slowakischen Republik wohnen, das Pflegegeld, das Betreuungsgeld und die Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten gemäß dem Gesetz Nr. 447/2008 über die Beihilfen zum Ausgleich einer schweren Behinderung und zur Änderung und Ergänzung bestimmter Gesetze in der geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 447/2008) zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

2

Der 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004 lautet:

„Innerhalb der Gemeinschaft ist es grundsätzlich nicht gerechtfertigt, Ansprüche der sozialen Sicherheit vom Wohnort der betreffenden Person abhängig zu machen; in besonderen Fällen jedoch – vor allem bei besonderen Leistungen, die an das wirtschaftliche und soziale Umfeld der betreffenden Person gebunden sind – könnte der Wohnort berücksichtigt werden.“

3

Der 37. Erwägungsgrund dieser Verordnung hat folgenden Wortlaut:

„Der Gerichtshof hat wiederholt festgestellt, dass Vorschriften, mit denen vom Grundsatz der ‚Exportierbarkeit‘ der Leistungen der sozialen Sicherheit abgewichen wird, eng ausgelegt werden müssen. Dies bedeutet, dass sie nur auf Leistungen angewendet werden können, die den genau festgelegten Bedingungen entsprechen. Daraus folgt, dass Titel III Kapitel 9 dieser Verordnung nur auf Leistungen angewendet werden kann, die sowohl besonders als auch beitragsunabhängig sind und in Anhang X dieser Verordnung aufgeführt sind.“

4

In Art. 3 („Sachlicher Geltungsbereich“) der Verordnung heißt es:

„(1)   Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

a)

Leistungen bei Krankheit;

(2)   Sofern in Anhang XI nichts anderes bestimmt ist, gilt diese Verordnung für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit sowie für die Systeme betreffend die Verpflichtungen von Arbeitgebern und Reedern.

(3)   Diese Verordnung gilt auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70.

(5)   Diese Verordnung gilt nicht für:

a)

soziale und medizinische Fürsorge …

…“

5

Art. 7 („Aufhebung der Wohnortklauseln“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.“

6

In Art. 21 („Geldleistungen“) dieser Verordnung heißt es:

„(1)   Ein Versicherter und seine Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen oder sich dort aufhalten, haben Anspruch auf Geldleistungen, die vom zuständigen Träger nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht werden. Im Einvernehmen zwischen dem zuständigen Träger und dem Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts können diese Leistungen jedoch vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsorts nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden.

…“

7

Art. 70 der Verordnung sieht vor:

„…

(2)   Für die Zwecke dieses Kapitels bezeichnet der Ausdruck ‚besondere beitragsunabhängige Geldleistungen‘ die Leistungen:

a)

die dazu bestimmt sind:

i)

einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Artikel 3 Absatz 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, das in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht,

oder

ii)

allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der eng mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,

und

b)

deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;

und

c)

die in Anhang X aufgeführt sind.

(3)   Artikel 7 und die anderen Kapitel dieses Titels gelten nicht für die in Absatz 2 des vorliegenden Artikels genannten Leistungen.“

Slowakisches Recht

8

§ 1 („Gegenstand“) des Gesetzes Nr. 447/2008 sieht vor:

„(1)   Dieses Gesetz regelt die Rechtsbeziehungen in Bezug auf die Gewährung von Beihilfen zum Ausgleich der sozialen Folgen einer schweren Behinderung; … und zielt ab auf die Beurteilung der Erforderlichkeit einer spezifischen Unterstützung nach den besonderen Vorschriften.

(2)   Der Zweck der Regelung der in Abs. 1 genannten Rechtsbeziehungen besteht darin, zur sozialen Integration von Schwerbehinderten durch ihre aktive Beteiligung und unter Achtung ihrer Menschenwürde zu den in diesem Gesetz festgelegten Bedingungen und in den dort genannten Bereichen beizutragen.“

9

In § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es:

„Parteien der Rechtsbeziehungen im Sinne dieses Gesetzes sind

a)

natürliche Personen, die

1.

Bürger der Slowakischen Republik sind, die nach den besonderen Vorschriften ihren ständigen oder vorübergehenden Wohnsitz im slowakischen Hoheitsgebiet haben, oder

2.

Ausländer sind, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft (im Folgenden: Europäischer Wirtschaftsraum) sind, die gemäß den besonderen Vorschriften mit ständigem Wohnsitz im slowakischen Hoheitsgebiet gemeldet sind und in einer staatlich anerkannten Bildungseinrichtung im slowakischen Hoheitsgebiet einer Arbeit nachgehen oder ausgebildet werden, oder

3.

Ausländer sind, die Staatsangehörige eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraums sind und gemäß den besonderen Vorschriften für eine unbegrenzte Zeitdauer mit ständigem Wohnsitz im slowakischen Hoheitsgebiet gemeldet sind, oder

4.

Familienangehörige eines Ausländers im Sinne von Nr. 2 sind, die ihren ständigen Wohnsitz im slowakischen Hoheitsgebiet haben können, oder

5.

Ausländer, die Familienangehörige eines slowakischen Bürgers mit ständigem Wohnsitz im slowakischen Hoheitsgebiet sind, und die gemäß den besonderen Vorschriften berechtigt sind, ihren ständigen Wohnsitz im slowakischen Hoheitsgebiet zu haben, oder

6.

Ausländer, die nicht Staatsangehörige eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraums sind, deren Ausgleichsanspruch durch ein internationales Übereinkommen, zu dessen Parteien die Slowakische Republik zählt, garantiert ist und das im Gesetzblatt der Slowakischen Republik veröffentlicht ist, oder

7.

Ausländer, die gemäß den besonderen Vorschriften asylberechtigt sind,

…“

10

§ 10 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt, dass „die Begutachtung zum Zweck des Ausgleichs [der sozialen Folgen einer schweren Behinderung, im Folgenden: Ausgleich] und des Erhalts einer Bescheinigung über die Behinderung … aus einer medizinischen und einer sozialen Begutachtung besteht“.

11

Nach § 11 Abs. 11 des Gesetzes Nr. 447/2008 „führt die medizinische Begutachtung zu einem medizinischen Gutachten, das den Grad der funktionalen Beeinträchtigung, die Feststellung, dass der Betroffene eine schwere Behinderung hat, die Ergebnisse in Bezug auf die verschiedenen Arten der Pflegebedürftigkeit des Schwerbehinderten gemäß § 14 und die Frist für die erneute Untersuchung des Gesundheitszustands enthält, soweit in diesem Gesetz nichts anderes vorgesehen ist …“

12

§ 13 dieses Gesetzes regelt die soziale Beurteilung, die die Beurteilung der individuellen Fähigkeiten des Schwerbehinderten, seines familiären Umfelds und seiner Umgebung umfasst, einschließlich der Beurteilung der Verkehrssysteme und Wohnbedingungen, insbesondere die Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude.

13

In § 14 des Gesetzes sind die Arten der Pflegebedürftigkeit des Schwerbehinderten zum Zweck des Ausgleichs aufgeführt. Diese Vorschrift bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Schwerbehinderter als auf die Hilfeleistung einer anderen natürlichen Person angewiesen gilt. Unter anderem werden darin die Voraussetzungen genannt, unter denen ein Schwerbehinderter auf persönliche Betreuung, einen Pfleger, eine Gerätschaft, Anpassungen der Gerätschaft, eine Hebevorrichtung, eine besondere Ausstattung des persönlichen Kraftfahrzeugs, Anpassungen der Wohnung, der Familienwohnung oder der Garage, eine individuelle Beförderung im persönlichen Kraftfahrzeug, einen Ausgleich für Mehrkosten infolge besonderer Ernährungs- oder Hygienebedürfnisse oder in Verbindung mit dem Verschleiß von Kleidung, Wäsche, Schuhen und Möbeln sowie auf eine Begleitperson angewiesen ist.

14

§ 15 („Umfassendes Gutachten“) des Gesetzes Nr. 447/2008 bestimmt:

„(1)   Die zuständige Behörde erstellt auf der Grundlage der medizinischen Begutachtung gemäß § 11 Abs. 11 und der Ergebnisse der sozialen Begutachtung nach § 13 Abs. 9 zum Zweck des Ausgleichs ein umfassendes Gutachten, das folgende Angaben enthält:

a)

den Grad der funktionalen Beeinträchtigung,

b)

die Feststellung, dass der Betroffene eine schwere Behinderung aufweist,

c)

die sozialen Folgen der schweren Behinderung in allen von dem Ausgleich umfassten Bereichen,

d)

einen Vorschlag hinsichtlich der Art der als Ausgleich zu gewährenden Beihilfe,

e)

gegebenenfalls die Feststellung, dass der Schwerbehinderte auf eine Begleitperson angewiesen ist,

f)

gegebenenfalls die Feststellung, dass der Schwerbehinderte auf eine individuelle Beförderung im persönlichen Kraftfahrzeug angewiesen ist oder praktisch oder vollständig auf beiden Augen blind ist,

g)

die Frist für die erneute Untersuchung des Gesundheitszustands, wenn sie vom medizinischen Gutachter festgelegt wird,

h)

die Gründe für das umfassende Gutachten.

(2)   Ist der Schwerbehinderte auf die Hilfeleistung einer anderen Person in Form von persönlicher Betreuung angewiesen, beinhaltet das umfassende Gutachten auch eine in der Anzahl an Stunden pro Jahr ausgedrückte Angabe des Umfangs der persönlichen Betreuung, auf die der Schwerbehinderte für jede der in Anhang 4 aufgezählten Tätigkeiten angewiesen ist.

…“

15

§ 18 dieses Gesetzes enthält zum Zweck der Gewährung von Ausgleichsbeihilfen Bestimmungen zur Prüfung und Feststellung des Einkommens und des Vermögens der Schwerbehinderten.

16

§ 20 des Gesetzes, der die persönliche Betreuung regelt, lautet:

„(1)   Persönliche Betreuung ist die einem Schwerbehinderten zur Durchführung der in Anhang 4 genannten Tätigkeiten erbrachte Hilfeleistung. Diese wird durch eine persönliche Betreuungskraft erbracht.

(2)   Das Ziel persönlicher Betreuung besteht darin, Schwerbehinderten zu Mobilität zu verhelfen, zu ihrer sozialen Integration und Selbständigkeit beizutragen, ihnen die Möglichkeit zu geben, Entscheidungen zu treffen und die Dynamik innerhalb der Familie zu beeinflussen sowie ihnen dabei zu helfen, Berufs-, Bildungs- und Freizeittätigkeiten auszuüben.“

17

§ 21 des Gesetzes Nr. 447/2008 sieht hinsichtlich der Prüfung des Umfangs der persönlichen Betreuung vor:

„(1)   Der Umfang der persönlichen Betreuung bestimmt sich nach den in Anhang 4 genannten Tätigkeiten, die der Schwerbehinderte nicht allein durchführen kann, und anhand der hierfür erforderlichen Stundenanzahl.

(3)   Die Anzahl der Stunden für persönliche Betreuung umfasst nicht die Stunden für persönliche Betreuung, in denen der Schwerbehinderte Heimpflege auf Tages- oder Wochenbasis in Anspruch nimmt. Dem Schwerbehinderten, der Heimpflege auf Jahresbasis in Anspruch nimmt, kann persönliche Betreuung in Form von Begleitung zu einer Bildungseinrichtung angeboten werden, wenn sich diese Einrichtung außerhalb der Gebäude des Sozialdienstes oder der Gebäude der sozial-juristischen Kinderschutz- und sozialen Betreuungsdienste befindet.

…“

18

In § 22 dieses Gesetzes ist das Betreuungsgeld wie folgt geregelt:

„(1)   Ein Schwerbehinderter, der nach einem gemäß § 15 Abs. 1 erstellten umfassenden Gutachten für betreuungsbedürftig erklärt wird, kann hierfür eine Beihilfe erhalten, wenn die persönliche Betreuung für die in Anhang 4 aufgeführten Tätigkeiten erbracht wird.

(7)   Das Betreuungsgeld wird in Höhe eines Betrags ausgezahlt, der dem in Euro ausgedrückten Umfang der persönlichen Betreuung für ein Jahr entspricht. Der Betrag dieser Beihilfe verringert sich um die Erhöhung der für das ganze Kalenderjahr gezahlten Behindertenrente.

(9)   Ist das Einkommen des Schwerbehinderten höher als das Vierfache des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …, wird der Betrag, der dem Vierfachen des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen entspricht …, vom Einkommen des Schwerbehinderten abgezogen. Ist das hieraus folgende Ergebnis niedriger als der Betrag, der dem in Euro ausgedrückten Umfang der persönlichen Betreuung entspricht, ist der Betrag des Betreuungsgelds gleich dieser Differenz. Ist die Differenz zwischen dem Einkommen des Schwerbehinderten und dem Betrag, der dem Vierfachen des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen entspricht, … höher als der Betrag, der dem in Euro ausgedrückten Umfang der persönlichen Betreuung entspricht, wird kein Betreuungsgeld gewährt; Abs. 7 und 8 gelten mutatis mutandis.

(10)   Der Stundenlohn für die persönliche Betreuung entspricht zum Zweck der Berechnung des Beihilfebetrags 1,39 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …

(11)   Das Betreuungsgeld wird jeden Monat auf Vorlage einer Übersicht über die im vorangegangenen Monat für persönliche Betreuung gearbeiteten Stunden hin ausgezahlt.

(12)   Das Betreuungsgeld wird an den Schwerbehinderten oder, mit seinem schriftlichen Einverständnis, an eine Agentur für persönliche Betreuung gezahlt, wenn der Schwerbehinderte mit dieser Agentur eine Vereinbarung über Unterstützung bei der Vornahme administrativer Handlungen geschlossen hat, die u. a. die Bezahlung einer persönlichen Betreuungskraft vorsieht.

…“

19

§ 23 Abs. 9 und 10 dieses Gesetzes bestimmt, dass der Schwerbehinderte verpflichtet ist, der zuständigen Behörde zum Zweck der Rechnungsstellung jeden Monat eine Übersicht über die Anzahl der gearbeiteten Stunden für die persönliche Betreuung sowie eine Bestätigung über das jeden Monat an die persönliche Betreuungskraft gezahlte Entgelt vorzulegen.

20

§ 38 des Gesetzes Nr. 447/2008, der die Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten regelt, sieht vor:

„(1)   Der Schwerbehinderte, der nach einem gemäß § 15 Abs. 1 erstellten umfassenden Gutachten für mehrkostenausgleichsbedürftig erklärt wird, kann, sofern in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, eine Beihilfe für Mehrkosten erhalten, die

a)

durch besondere Ernährungsbedürfnisse entstehen;

b)

im Zusammenhang stehen mit

1.

besonderen Hygienebedürfnissen oder dem Verschleiß von Kleidung, Wäsche, Schuhen und Möbeln,

2.

dem Halten eines persönlichen Kraftfahrzeugs,

3.

der Haltung eines besonders ausgebildeten Hundes.

(2)   Die Bedürftigkeit wird hinsichtlich jeder der in Abs. 1 genannten Mehrkostenkategorien gesondert geprüft.

(4)   Der Betrag der monatlichen Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten für besondere Ernährungsbedürfnisse entspricht

a)

18,56 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die in Anhang 5 Gruppe 1 genannten Krankheiten und Störungen;

b)

9,28 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die in Anhang 5 Gruppe 2 genannten Krankheiten und Störungen;

c)

5,57 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die in Anhang 5 Gruppe 3 genannten Krankheiten und Störungen.

(10)   Der Betrag der monatlichen Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten in Verbindung mit dem Halten eines persönlichen Kraftfahrzeugs entspricht 16,70 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …

(14)   Der Betrag der monatlichen Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten in Verbindung mit der Haltung eines besonders ausgebildeten Hundes entspricht 22,27 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …

(17)   Die Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten kann nicht gewährt werden, wenn das Einkommen des Schwerbehinderten höher ist als das Dreifache des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …

…“

21

§ 39 dieses Gesetzes betrifft die Pflege und bestimmt:

„(1)   Zum Zweck dieses Gesetzes bedeutet ‚Pflege‘ die einem gemäß § 14 Abs. 4 pflegebedürftigen Schwerbehinderten erbrachte Hilfe, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2)   Die Pflege hat zum Ziel, einem Schwerbehinderten täglich bei der Körperpflege, im Haushalt und bei sozialen Aktivitäten zu helfen, damit der Betroffene in seiner gewohnten häuslichen Umgebung bleiben kann.“

22

In § 40 („Pflegegeld“) dieses Gesetzes heißt es:

„(1)   Stellt eine natürliche Person im Sinne der Abs. 3 und 4 die Pflege eines Schwerbehinderten sicher, der älter als sechs Jahre ist und dessen Pflegebedürftigkeit nach einem umfassenden Gutachten gemäß § 15 Abs. 1 festgestellt worden ist, kann sie hierfür eine Beihilfe erhalten.

(7)   Der Betrag des monatlichen Pflegegelds entspricht 111,32 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die Pflege eines Schwerbehinderten und 148,42 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die Pflege von mindestens zwei Schwerbehinderten, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(8)   Der Betrag des monatlichen Pflegegelds entspricht 98,33 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …, wenn der pflegebedürftige Schwerbehinderte Heimpflege auf Tagesbasis erhält oder mehr als 20 Stunden in der Woche eine Bildungseinrichtung besucht. Der Betrag des monatlichen Pflegegelds entspricht 139,15 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …, wenn die natürliche Person die Pflege von mindestens zwei pflegebedürftigen Schwerbehinderten sicherstellt, die Heimpflege auf Tagesbasis erhalten oder mehr als 20 Stunden in der Woche eine Bildungseinrichtung besuchen.

(9)   Der Betrag des monatlichen Pflegegelds entspricht 144,7 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …, wenn die natürliche Person die Pflege eines pflegebedürftigen Schwerbehinderten sicherstellt, der Heimpflege auf Tagesbasis erhält oder mehr als 20 Stunden in der Woche eine Bildungseinrichtung besucht, und die natürliche Person parallel dazu die Pflege eines anderen pflegebedürftigen Schwerbehinderten sicherstellt, der keine Heimpflege auf Tagesbasis oder maximal 20 Stunden Heimpflege in der Woche erhält oder der keine Bildungseinrichtung besucht oder eine Bildungseinrichtung höchstens 20 Stunden in der Woche besucht.

(10)   Erhält die die Pflege sicherstellende natürliche Person im Sinne von Abs. 3 und 4 eine Altersrente, eine Frührente, eine Invalidenrente wegen einer Erwerbsunfähigkeit von mehr als 70 %, eine Rente des Militärs und der Polizei oder eine Invalidenrente des Militärs und der Polizei, entspricht der Betrag des monatlichen Pflegegelds 46,38 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die Pflege eines Schwerbehinderten und 61,22 % des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen … für die Pflege von mindestens zwei Schwerbehinderten, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Die Herabsetzung der Beihilfe nach Abs. 12 findet keine Anwendung.

(12)   Ist das Einkommen des Schwerbehinderten höher als das 1,4-fache des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …, verringert sich der Betrag des Pflegegelds nach den Abs. 7 bis 9 um den Betrag, der dieses Einkommen übersteigt; ist der Schwerbehinderte ein unterhaltsberechtigtes Kind und ist sein Einkommen höher als das Dreifache des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …, verringert sich das Pflegegeld um die Differenz zwischen diesen beiden Beträgen.

(15)   Pflegegeld kann auch ausgezahlt werden, wenn die natürliche Person, die die Pflege eines Schwerbehinderten sicherstellt, einer Berufstätigkeit nachgeht und wenn ihr monatliches Einkommen hieraus nicht höher ist als das Doppelte des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts eines Erwachsenen …; jedoch darf die Ausübung der Berufstätigkeit mit dem Zweck und dem Umfang der Pflege des Schwerbehinderten nicht unvereinbar sein.

(18)   Der Betrag des Pflegegelds verringert sich im Verhältnis zu den Tagen, die der Schwerbehinderte in einer Einrichtung mit stationärer medizinischer Versorgung verbracht hat, wenn die Dauer seines Aufenthalts dort 30 Tage überstieg. Der Betrag des Pflegegelds verringert sich um die Tage, die der Schwerbehinderte in einer Bildungseinrichtung vom Typ ‚Schule draußen‘, in einer Einrichtung zur sozialen Reintegration oder in einer Freizeiteinrichtung verbracht hat. Der Betrag des Pflegegelds verringert sich nicht nach dem zweiten Satz dieses Absatzes, wenn die natürliche Person die Pflege des Schwerbehinderten während seines Aufenthalts in der Bildungseinrichtung vom Typ ‚Schule draußen‘, in der Einrichtung zur sozialen Reintegration oder in der Freizeiteinrichtung sichergestellt hat. Zuviel erhaltene Pflegegeldbeträge können bei den in den nachfolgenden Kalendermonaten auszuzahlenden Beträgen berücksichtigt werden.

…“

23

§ 42 des Gesetzes Nr. 447/2008 enthält gemeinsame Bestimmungen für die Gewährung der als Ausgleich ausgezahlten Beihilfen. Darin heißt es:

„(1)   Die Beihilfen werden nicht außerhalb des Hoheitsgebiets der Slowakischen Republik ausgezahlt. Hält sich ein Schwerbehinderter länger als 60 aufeinanderfolgende Tage außerhalb des slowakischen Hoheitsgebiets auf, werden die Ausgleichsbeihilfen gestrichen und ihre Auszahlung wird ab dem ersten Tag des auf den Monat, in dem diese 60 Tage geendet haben, folgenden Kalendermonat ausgesetzt.

(2)   Betreuungsgeld und Pflegegeld können nicht gewährt werden, wenn ein anderer Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums für die persönliche Betreuung oder Pflege des Schwerbehinderten eine Beihilfe oder einen Beitrag mit dem gleichen Zweck auszahlt.

…“

24

§ 43 („Entstehung des Anspruchs auf Ausgleichsbeihilfen und auf ihre Auszahlung …“) dieses Gesetzes sieht vor:

(1)

Der Anspruch auf eine Ausgleichsbeihilfe und auf ihre Auszahlung entsteht mit einer wirksamen Entscheidung der zuständigen Behörde über die Anerkennung dieses Anspruchs.

…“

Vorverfahren

25

Die Kommission trägt vor, dass sie zahlreiche Beschwerden über die Nichtauszahlung verschiedener Beihilfen an als unterstützungsbedürftig anerkannte slowakische Rentenbezieher erhalten habe, die sich in der Tschechischen Republik niedergelassen hätten, um dort bei ihren erwachsenen Kindern zu leben. Mit Schreiben vom 17. März 2010 machte die Kommission die slowakischen Behörden darauf aufmerksam, dass das Pflegegeld, das Betreuungsgeld und die Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten (im Folgenden: fragliche Leistungen) ihres Erachtens die Merkmale von „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 aufwiesen und daher gemäß Art. 21 dieser Verordnung auch an Leistungsberechtigte und ihre Familienangehörigen zu zahlen seien, die nicht in der Slowakei wohnten.

26

Nachdem die Slowakische Republik zunächst mitgeteilt hatte, dass sie die erforderlichen Maßnahmen treffen werde, um der Verordnung Nr. 883/2004 nachzukommen, änderte sie jedoch ihre Praxis nicht und brachte in Beantwortung eines weiteren Schreibens der Kommission vor, dass die fraglichen Leistungen nicht in den Geltungsbereich dieser Verordnung fielen, da sie keinen Bezug zu den in ihrem Art. 3 Abs. 1 genannten Kategorien von Risiken aufwiesen.

27

Da die Kommission diese Auffassung nicht teilte, richtete sie ein Mahnschreiben an die Slowakische Republik, das dieser am 26. März 2012 zuging und in dem sie geltend machte, dass die fraglichen Leistungen als Leistungen bei Krankheit im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 anzusehen seien und dass ihre Auszahlung gemäß Art. 21 dieser Verordnung nicht vom Wohnort des Berechtigten abhängig gemacht werden könne.

28

Die Slowakische Republik antwortete auf das Mahnschreiben mit einem Schreiben vom 25. Mai 2012, in dem sie ausführte, dass die fraglichen Leistungen nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fielen, da sie nach einer individuellen Prüfung der sozialen und wirtschaftlichen Situation des Berechtigten ausgezahlt würden.

29

Da das Vorbringen der Slowakischen Republik sie nicht überzeugte, richtete die Kommission am 25. Oktober 2012 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die slowakischen Behörden, die ihnen am selben Tag zuging. Darin führte die Kommission insbesondere aus, dass die für den Bezug der fraglichen Leistungen zu erfüllenden Voraussetzungen in den nationalen Vorschriften allgemein und objektiv definiert seien, ohne dass den zuständigen Behörden in diesem Zusammenhang Ermessensbefugnisse zustünden. Daher sei es falsch, zu behaupten, dass die fraglichen Leistungen keiner der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 angeführten Kategorien von Risiken entsprächen. Außerdem könnten diese Leistungen nicht als „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 angesehen werden.

30

Daher war die Kommission der Ansicht, dass die Slowakische Republik durch ihre Weigerung, die fraglichen Leistungen außerhalb des slowakischen Hoheitsgebiets wohnenden Berechtigten zu gewähren, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 48 AEUV sowie den Art. 7 und 21 der Verordnung Nr. 883/2004 verstoßen habe, und forderte diesen Mitgliedstaat auf, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach deren Erhalt nachzukommen.

31

In Beantwortung dieser schriftlichen Stellungnahme teilte die Slowakische Republik in einem Schreiben vom 20. Dezember 2012 mit, dass sie ihren Standpunkt aufrechterhalte, wonach die fraglichen Leistungen nicht in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fielen, da sie keinen Bezug zu den in Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Kategorien von Risiken aufwiesen, weil sie auf die Integration von Behinderten in die Gesellschaft und nicht auf die Verbesserung ihres Gesundheitszustands abzielten.

32

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Parteien

33

Die Slowakische Republik hält die Klage in erster Linie deshalb für unzulässig, weil die Kommission in der vorprozessualen Phase des Vertragsverletzungsverfahrens zu wesentlichen Punkten, auf die sich die Slowakische Republik zur Stützung ihres Verteidigungsvorbringens berufen habe, nicht Stellung genommen habe; hingegen habe sie andere Fragen geprüft, die zwischen den Parteien nicht streitig gewesen seien.

34

Die Kommission sei zum einen nicht auf ihr Vorbringen eingegangen, mit dem dargetan werden sollte, dass die fraglichen Leistungen vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 ausgeschlossene Maßnahmen der sozialen Fürsorge im Sinne von Art. 3 Abs. 5 dieser Verordnung seien. Daher habe die Kommission die Voraussetzung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Vorverfahrens nicht erfüllt (Beschluss Kommission/Spanien, C‑266/94, EU:C:1995:235, Rn. 25) und habe den Streitgegenstand nicht hinreichend klar bestimmt. Zum anderen habe die Kommission behauptet, die Slowakische Republik habe im Vorverfahren vorgebracht, dass die fraglichen Leistungen „besondere beitragsunabhängige Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004 darstellten, was jedoch nicht der Fall sei. Diese falschen Behauptungen der Kommission führten zur Verworrenheit der Klage.

35

Die Kommission trägt vor, dass sie den Streitgegenstand weder erweitert noch verändert und die Verteidigungsrechte der Slowakischen Republik nicht beeinträchtigt habe. Zum einen habe sie sowohl in ihrem Mahnschreiben als auch in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme ausgeführt, dass sie die Bestimmung des Einkommens der Bezieher der fraglichen Leistungen nicht mit einer individuellen und im Ermessen liegenden Beurteilung ihrer Situation im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf diesem Gebiet gleichsetze. Zwar werde der Gegenstand der nach Art. 258 AEUV erhobenen Klage durch das in dieser Bestimmung vorgesehene Vorverfahren umschrieben, weshalb die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission und die Klage auf dieselben Rügen gestützt werden müssten, doch könne dieses Erfordernis nicht so weit gehen, dass sie in jedem Fall völlig übereinstimmend formuliert sein müssten, sofern nur der Streitgegenstand nicht erweitert oder geändert worden sei (Urteil Kommission/Deutschland, C‑433/03, EU:C:2005:462, Rn. 28). Zudem gehe aus den Urteilen Kommission/Irland (C‑362/01, EU:C:2002:739, Rn. 18 bis 20) und Kommission/Luxemburg (C‑519/03, EU:C:2005:234, Rn. 21) hervor, dass die Nichtberücksichtigung der Antwort des betreffenden Mitgliedstaats auf das Mahnschreiben und auf die mit Gründen versehene Stellungnahme nicht zur Unzulässigkeit der Klage führe.

36

Zum anderen komme es für die Entscheidung des in Rede stehenden Rechtsstreits darauf an, ob Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004 im vorliegenden Fall anwendbar sei. Diesen Gesichtspunkt könne die Kommission auch ansprechen, ohne von der Slowakischen Republik hierzu aufgefordert zu werden.

37

Hilfsweise bringt die Slowakische Republik des Weiteren vor, dass die Klage der Kommission unzulässig sei, soweit sie die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 48 AEUV betreffe, da diese Rüge nicht im Mahnschreiben enthalten gewesen und erst im Stadium der mit Gründen versehenen Stellungnahme zum ersten Mal vorgetragen worden sei.

38

Obwohl die Kommission der Ansicht ist, dass diese Rüge der teilweisen Unzulässigkeit in Wirklichkeit die Begründetheit der Rechtssache betreffe, trägt sie vor, dass die Slowakische Republik durch die Nichtauszahlung der fraglichen Leistungen an außerhalb ihres Hoheitsgebiets wohnende Berechtigte gleichzeitig gegen die Verordnung Nr. 883/2004 und den in Art. 48 AEUV genannten Grundsatz der Exportierbarkeit der Leistungen verstoße.

Würdigung durch den Gerichtshof

39

Hinsichtlich der von der Slowakischen Republik in erster Linie geltend gemachten Einrede der Unzulässigkeit der Klage der Kommission ist darauf hinzuweisen, dass das Vorverfahren dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben soll, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen oder sich gegen die Rügen der Kommission in sachdienlicher Weise zu verteidigen. Der ordnungsgemäße Ablauf des Vorverfahrens ist nicht nur eine wesentliche Garantie für den Schutz der Rechte des betroffenen Mitgliedstaats, sondern auch dafür, dass ein etwaiges streitiges Verfahren einen eindeutig festgelegten Streitgegenstand hat (vgl. insbesondere Urteile Kommission/Frankreich, C‑1/00, EU:C:2001:687, Rn. 53, Kommission/Deutschland, C‑135/01, EU:C:2003:171, Rn. 19 und 20, und Kommission/Niederlande, C‑79/09, EU:C:2010:171, Rn. 21).

40

Somit werden mit dem Vorverfahren drei Zwecke verfolgt: es dem Mitgliedstaat zu ermöglichen, einen eventuellen Verstoß abzustellen, ihn in die Lage zu versetzen, sich zu verteidigen, und den Streitgegenstand im Hinblick auf eine Befassung des Gerichtshofs einzugrenzen (Urteile Kommission/Irland, C‑362/01, EU:C:2002:739, Rn. 18, Kommission/Deutschland, C‑135/01, EU:C:2003:171, Rn. 21, und Kommission/Niederlande, C‑79/09, EU:C:2010:171, Rn. 22).

41

Die Kommission hat daher grundsätzlich in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme anzugeben, wie sie die Äußerungen des Mitgliedstaats in seiner Antwort auf das Mahnschreiben beurteilt (vgl. Urteile Kommission/Irland, C‑362/01, EU:C:2002:739, Rn. 19, und Kommission/Deutschland, C‑135/01, EU:C:2003:171, Rn. 22).

42

Im vorliegenden Fall wirkt sich jedoch der Umstand, dass die Kommission nur kurz oder gar überhaupt nicht auf das Vorbringen der Slowakischen Republik, die fraglichen Leistungen stellten Maßnahmen der sozialen Fürsorge im Sinne von Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 dar, eingegangen sein soll, selbst wenn er als bewiesen unterstellt wird, nicht auf die Eingrenzung des Streitgegenstands aus und hat es dem Mitgliedstaat weder unmöglich gemacht, den behaupteten Verstoß abzustellen, noch hat er seine Verteidigungsrechte beschnitten.

43

Die Kommission hat nämlich sowohl in ihrem Mahnschreiben als auch in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme ihre Ansicht dargelegt, dass die fraglichen Leistungen solche der sozialen Sicherheit seien und dass sie die Bestimmung des Einkommens der Bezieher der fraglichen Leistungen nicht mit einer individuellen und im Ermessen liegenden Beurteilung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf diesem Gebiet gleichsetze. Damit hat die Kommission die Anwendbarkeit des die soziale Fürsorge betreffenden Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 883/2004 ausgeschlossen.

44

Entgegen dem Vorbringen der Slowakischen Republik stellt auch der Umstand, dass die Kommission in ihrer Klage die Anwendbarkeit von Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004 auf die fraglichen Leistungen geprüft hat, um darzutun, dass sie nicht in den Geltungsbereich dieser Vorschrift fallen – ohne dass sich die Slowakische Republik im Vorverfahren zu diesem Punkt geäußert hätte und obwohl die Parteien in jedem Fall vor dem Gerichtshof diese Vorschrift im vorliegenden Fall übereinstimmend für nicht anwendbar halten – keine Verletzung der Verteidigungsrechte der Slowakischen Republik oder eine unzureichende Eingrenzung des Streitgegenstands dar.

45

Zum einen hat die Kommission, indem sie während des Vorverfahrens durchweg vorgetragen hat, dass die fraglichen Leistungen „Leistungen der sozialen Sicherheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 seien, die daher exportierbar sein müssten, die ihres Erachtens angemessene rechtliche Einordnung dieser Leistungen vorgenommen und damit den Gegenstand des Rechtsstreits bestimmt. Da sich der Begriff der Leistung der sozialen Sicherheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung und der Begriff der besonderen beitragsunabhängigen Leistung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und Art. 70 dieser Verordnung gegenseitig ausschließen (Urteil Hosse, C‑286/03, EU:C:2006:125, Rn. 36), fügt sich das Vorbringen der Kommission zur Unanwendbarkeit von Art. 70 auf die streitgegenständlichen Leistungen, die im Vorverfahren geltend gemacht worden ist, in den Rahmen des so eingegrenzten Rechtsstreits ein, ohne ihn zu erweitern.

46

Da zum anderen keine Verfahrensvorschrift den betreffenden Mitgliedstaat verpflichtet, im Rahmen einer Klage nach Art. 258 AEUV schon im Vorverfahren sämtliche Argumente zu seiner Verteidigung vorzubringen (vgl. Urteile Kommission/Spanien, C‑414/97, EU:C:1999:417, Rn. 19, und Kommission/Niederlande, C‑34/04, EU:C:2007:95, Rn. 49), kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, in ihrer Klage Argumente in Bezug auf die Unanwendbarkeit von Art. 70 der Verordnung Nr. 883/2004 auf die streitigen Leistungen vorgebracht zu haben, obwohl sich die Slowakische Republik im Vorverfahren nicht auf die Anwendbarkeit dieser Vorschrift berufen hatte, wozu sie allerdings im gerichtlichen Verfahren noch berechtigt war.

47

Daher ist die in erster Linie erhobene Einrede der Unzulässigkeit der Klage zurückzuweisen.

48

Hinsichtlich der Einrede der teilweisen Unzulässigkeit der Klage mit der Begründung, dass der Verstoß gegen Art. 48 AEUV erst im Stadium der mit Gründen versehenen Stellungnahme zum ersten Mal geltend gemacht worden sei, ist festzustellen, dass das Mahnschreiben vom 22. März 2013 keinen Verstoß gegen diese Bestimmung rügt, sondern sich auf den Hinweis beschränkt, dass Art. 21 der Verordnung Nr. 883/2004 Art. 48 AEUV umsetzt.

49

Zudem enthält die Klage, auch wenn die Kommission darin ausführt, dass die Verordnung Nr. 883/2004 im Licht von Art. 48 AEUV auszulegen sei, keine eigene Argumentation zur Stützung der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 48 AEUV, sondern leitet diesen Verstoß aus dem Verstoß gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 her.

50

Daraus folgt, dass diese Klage nicht zulässig ist, soweit sie auf die Feststellung gerichtet ist, dass die Slowakische Republik ihren Verpflichtungen aus Art. 48 AEUV nicht nachgekommen ist.

Zur Begründetheit

Vorbringen der Parteien

51

Die Kommission macht geltend, dass die fraglichen Leistungen als „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 einzustufen seien. Daher müssten sie auch an die Leistungsberechtigten gezahlt werden, die ihren gewöhnlichen Wohnort nicht oder nicht mehr in der Slowakei hätten. Die Beschränkung des Anspruchs dieser Leistungsberechtigten auf den Erhalt der fraglichen Leistungen verstoße gegen die Art. 7 und 21 der Verordnung Nr. 883/2004.

52

Zunächst würden die fraglichen Leistungen aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands ohne eine individuelle Ermessensprüfung der persönlichen Bedürfnisse der Antragsteller gewährt. Die Kriterien für die Beurteilung des Gesundheitszustands sowie der sozialen und finanziellen Situation der Antragsteller ergäben sich aus dem Gesetz Nr. 447/2008 und seien objektiv und für die zuständigen Behörden bindend. Deren Entscheidungen könnten gerichtlich überprüft werden, um sich zu vergewissern, dass die durch dieses Gesetz festgelegten Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen und der Zweck dieses Gesetzes eingehalten würden. Der Umstand, dass die slowakischen Behörden bei der Entscheidung über die Gewährung der fraglichen Leistungen ein zusätzliches Kriterium anwänden, das darin bestehe, zu prüfen, ob der Ausgleich einer Behinderung durch ein anderes taugliches Mittel gewährleistet werden könnte, deute nicht darauf hin, dass diese Behörden insoweit über ein Ermessen verfügten. Aus den §§ 43 bis 48 des Gesetzes Nr. 447/2008 ergebe sich nämlich, dass die Geltung dieses zusätzlichen Kriteriums ebenfalls der gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden könne und sich seine Anwendung in den Rahmen der anwendbaren Vorschriften einfüge.

53

Das Gesetz Nr. 447/2008 definiere die Kriterien, nach denen eine Person die fraglichen Leistungen in Anspruch nehmen könne, und beschränke dadurch das Ermessen der mit seiner Anwendung beauftragten Behörden. Diese verfügten zwar über ein Ermessen bei der Gewährung der Leistungen, doch werde dieses in den vom Gesetz festgelegten Grenzen ausgeübt. Auch wenn der Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) auf den Ermessenscharakter der fraglichen Leistungen hingewiesen habe, habe es in seinem zu den streitigen Leistungen ergangenen Urteil, das von der Slowakischen Republik angeführt worden sei, bestätigt, dass die Leistungen nur einer Person gewährt werden könnten, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle.

54

Sodann legt die Kommission dar, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Leistungen, die objektiv aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt würden und die darauf abzielten, den Gesundheitszustand und die Lebensbedingungen der Pflegebedürftigen zu verbessern, im Wesentlichen eine Ergänzung der Leistungen der Krankenversicherung bezweckten und damit als „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 anzusehen seien (vgl. insbesondere Urteile Gaumain-Cerri und Barth, C‑502/01 und C‑31/02, EU:C:2004:413, Rn. 20, Hosse, C‑286/03, EU:C:2006:125, Rn. 38, sowie Kommission/Parlament und Rat, C‑299/05, EU:C:2007:608, Rn. 61).

55

So ergebe sich erstens aus § 39 Abs. 2 und § 40 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 447/2008, dass das Pflegegeld eine Beihilfe sei, die es Pflegebedürftigen ermögliche, die durch ihren Gesundheitszustand entstandenen Mehrkosten auszugleichen. Auch wenn diese Beihilfe eigene Merkmale aufweise, sei sie als eine „Leistung bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 anzusehen.

56

Zweitens bestehe nach § 20 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 447/2008 das Ziel persönlicher Betreuung darin, Schwerbehinderten zu Mobilität zu verhelfen, zu ihrer sozialen Integration und Selbständigkeit beizutragen, ihnen die Möglichkeit zu geben, Entscheidungen zu treffen und die Dynamik innerhalb der Familie zu beeinflussen sowie ihnen dabei zu helfen, Berufs-, Bildungs- und Freizeittätigkeiten auszuüben. Der Zweck des Betreuungsgelds liege also darin, die Leistungen bei Krankheit zu ergänzen und den Zustand und die Lebensqualität der betreuungsbedürftigen Personen zu verbessern. Das Betreuungsgeld bestehe in einer finanziellen Unterstützung und könne auch nicht aufgrund des Umstands, dass es auf Vorlage einer Übersicht über die im vorangegangenen Monat für persönliche Betreuung gearbeiteten Stunden hin gezahlt werde, als Sachleistung eingestuft werden.

57

Drittens sei auch die Beihilfe für den Ausgleich von Mehrkosten als „Leistung bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 anzusehen, weil ihr Ziel darin bestehe, es Schwerbehinderten zu ermöglichen, ein erfüllteres Leben zu führen. Nach § 38 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 447/2008 könne diese Beihilfe als Ausgleich für Mehrkosten gewährt werden, die durch besondere Ernährungsbedürfnisse entstehen, oder mit besonderen Hygienebedürfnissen oder dem Verschleiß von Kleidung, Wäsche, Schuhen und Möbeln, dem Halten eines persönlichen Kraftfahrzeugs oder der Haltung eines besonders ausgebildeten Hundes im Zusammenhang stehen. Der Gerichtshof habe bereits entschieden, dass eine ähnliche, in Schweden gewährte Beihilfe als Leistung bei Krankheit einzuordnen sei (Kommission/Parlament und Rat, C‑299/05, EU:C:2007:608, Rn. 62).

58

Mit den fraglichen Leistungen solle das Risiko der Pflegebedürftigkeit abgedeckt und nicht die materielle Bedürftigkeit der Begünstigten ausgeglichen werden, denn sie höben nicht das Einkommen der Begünstigten auf das Niveau des Mindesteinkommens zur Bestreitung des Lebensunterhalts an, sondern könnten ihnen selbst dann gewährt werden, wenn ihr Einkommen dieses Mindesteinkommen 1,4- bis viermal übersteige.

59

Schließlich seien die fraglichen Leistungen keine Leistungen der sozialen Fürsorge, da sie die in der Verordnung Nr. 883/2004 angeführten Risiken abdeckten. Sie stellten auch keine „besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen“ im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 dar.

60

Die Slowakische Republik macht erstens geltend, dass das Betreuungsgeld eine Sachleistung sei, da es nach § 22 Abs. 11 des Gesetzes Nr. 447/2008 jeden Monat auf Vorlage einer Übersicht über die im vorangegangenen Monat für persönliche Betreuung gearbeiteten Stunden hin gezahlt werde. Eine Sachleistung könne auch in Form von Geld gewährt werden, wenn die Mittel von der zuständigen Behörde auf Vorlage eines Nachweises über die entstandenen Kosten hin ausgezahlt würden.

61

Zweitens zielten das Pflegegeld, die Beihilfe zum Ausgleich von Mehrkosten und – subsidiär – das Betreuungsgeld darauf ab, Fälle materieller Not einer Gruppe von Begünstigten auszugleichen, und wiesen die Merkmale von Leistungen der sozialen Fürsorge auf, die nach Art. 3 Abs. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 vom Geltungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen seien.

62

Zum einen stünden diese Leistungen in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Situation ihrer Bezieher und zielten nicht darauf ab, ihren Gesundheitszustand oder – allgemein – ihre Pflegesituation zu verbessern oder die durch ihren Gesundheitszustand verursachten Mehrkosten auszugleichen. Diese Leistungen sollten zur gesellschaftlichen Integration Schwerbehinderter mit geringem Einkommen und Vermögen beitragen. Die Verbesserung der Lebensqualität der Bezieher dieser Leistungen sei eine logische und beabsichtigte Folge ihrer verbesserten gesellschaftlichen Integration, erlaube es aber nicht, diese Leistungen als Leistungen bei Krankheit anzusehen, die in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fielen.

63

Zum anderen sei die individuelle Situation derjenigen, die diese Leistungen beantragten, Gegenstand verschiedener Begutachtungen, nach deren Abschluss ein Bericht für das umfassende Gutachten erstellt werde. Auf dieser Grundlage erlasse die zuständige Behörde eine Entscheidung über die Gewährung einer Leistung. Selbst wenn der Antragsteller sämtliche Kriterien für den Bezug einer Leistung erfülle, bestehe hinsichtlich der Gewährung dieser Leistung ein Ermessen und gebe es keinen Anspruch auf Erhalt der Leistung, da die Behörde angesichts besonderer Umstände entscheiden könne, diese Leistung nicht zu gewähren. Das Gesetz Nr. 447/2008 verpflichte die Verwaltungsbehörde nicht zum Erlass einer bestimmten Entscheidung, sondern ermögliche es ihr, eine möglichst angemessene Entscheidung zu erlassen, die den Besonderheiten jedes Falles auf eine mit dem Allgemeininteresse in Einklang stehende Art und Weise durch eine individuelle Beurteilung der Bedürfnisse des Schwerbehinderten Rechnung trage, und zwar unter Beachtung des Zwecks und des Ziels dieses Gesetzes.

64

Hierbei stützt sich die Slowakische Republik auf die Wendungen „kann erhalten“ oder „kann angeboten werden“ in § 22 Abs. 1, § 38 Abs. 1 und § 40 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 447/2008, auf § 52 Buchst. o des Gesetzes Nr. 447/2008, wonach die Agentur für Arbeit, Soziales und Familie „die Zweckmäßigkeit des Ausgleichs überprüft“, auf die Rechtsprechung der slowakischen Gerichte, wonach die Beihilfen nach dem Gesetz Nr. 447/2008 Ermessensleistungen sind, sowie auf § 43 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 447/2008, wonach der Anspruch auf eine Ausgleichsbeihilfe und auf ihre Auszahlung mit einer wirksamen Entscheidung der zuständigen Behörde über die Anerkennung dieses Anspruchs entsteht.

65

Außerdem bestätigten die Beitragsunabhängigkeit und die Art der Finanzierung der drei fraglichen Leistungen verbunden mit ihrem Zweck und den Voraussetzungen für ihre Auszahlung ihren Charakter als Leistungen der sozialen Fürsorge.

66

Hilfsweise macht die Slowakische Republik geltend, dass die drei fraglichen Leistungen keine Merkmale von Leistungen der sozialen Sicherheit aufwiesen, da zum einen kein Anspruch auf ihre Gewährung bestehe, diese zum anderen von einer im Ermessen liegenden individuellen Beurteilung der persönlichen Bedürfnisse des Antragstellers im Hinblick auf den gesetzlich umschriebenen Tatbestand abhänge und sich diese Leistungen schließlich auf keine der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 angeführten Kategorien von Risiken bezögen.

67

Zum letzten Punkt bringt die Slowakische Republik vor, dass diese Leistungen, die weder die Verbesserung des Gesundheitszustands der Pflegebedürftigen noch den kurzfristigen Ausgleich eines Einkommensausfalls bei Krankheit zum Ziel hätten, weder als Leistungen bei Krankheit im eigentlichen Sinne (Urteil da Silva Martins, C‑388/09, EU:C:2011:439, Rn. 47) noch als ergänzende Leistungen bei Krankheit im Sinne der Urteile Molenaar (C‑160/96, EU:C:1998:84) und Jauch (C‑215/99, EU:C:2001:139) eingestuft werden könnten.

Würdigung durch den Gerichtshof

68

Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen einer Vertragsverletzungsklage Sache der Kommission, das Vorliegen der behaupteten Vertragsverletzung nachzuweisen. Sie muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren er das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann, und kann sich dabei nicht auf irgendeine Vermutung stützen (vgl. insbesondere Urteile Kommission/Italien, C‑135/05, EU:C:2007:250, Rn. 26, und Kommission/Griechenland, C‑305/06, EU:C:2008:486, Rn. 41).

69

Für die Beurteilung der Begründetheit der Klage der Kommission ist zu bestimmen, ob die fraglichen Leistungen – wie die Kommission vorträgt – „Leistungen bei Krankheit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 sind.

70

Die Unterscheidung zwischen Leistungen, die vom Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 erfasst sind, und solchen, die von ihm ausgeschlossen sind, hängt im Wesentlichen von den grundlegenden Merkmalen der jeweiligen Leistung ab, insbesondere von ihrem Zweck und den Voraussetzungen ihrer Gewährung, nicht dagegen davon, ob eine Leistung von den nationalen Rechtsvorschriften als eine Leistung der sozialen Sicherheit eingestuft wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Molenaar, C‑160/96, EU:C:1998:84, Rn. 19).

71

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Leistung dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit betrachtet werden, wenn sie den Begünstigten ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürfnisse aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt wird und wenn sie sich auf eines der in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (vgl. insbesondere Urteil da Silva Martins, C‑388/09, EU:C:2011:439, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Daher ist erstens zu prüfen, ob die fraglichen Leistungen – wie die Kommission vorträgt – den Begünstigten ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürfnisse aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt werden oder ob sie – wie die Slowakische Republik geltend macht – den Begünstigten nur nach einer Beurteilung ihrer individuellen Situation, die jedoch selbst bei Erfüllung aller Kriterien für die Gewährung der Leistungen nicht zu einem Anspruch auf Auszahlung einer dieser Leistungen führt, gewährt werden.

73

Aus der ständigen Rechtsprechung geht hervor, dass die erste der beiden in Rn. 71 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt ist, wenn eine Leistung nach objektiven Kriterien gewährt wird, deren Vorliegen den Anspruch auf diese Leistung eröffnet, ohne dass die zuständige Behörde sonstige persönliche Verhältnisse berücksichtigen kann (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteile Hughes, C‑78/91, EU:C:1992:331, Rn. 17, Molenaar, C‑160/96, EU:C:1998:84, Rn. 21, Maaheimo, C‑333/00, EU:C:2002:641, Rn. 23, und De Cuyper, C‑406/04, EU:C:2006:491, Rn. 23).

74

Aus den Akten ergibt sich, dass die fraglichen Leistungen gewährt werden können, wenn ein Schwerbehinderter nach einem umfassenden Gutachten, das auf der Grundlage einer medizinischen und einer sozialen Begutachtung erstellt wird, für betreuungs-, mehrkostenausgleichs- oder pflegebedürftig erklärt wird.

75

Zu diesem Zweck führt die medizinische Begutachtung gemäß § 11 Abs. 11 des Gesetzes Nr. 447/2008 zu einem medizinischen Gutachten, das den Grad der funktionalen Beeinträchtigung, die Feststellung, dass der Betroffene eine schwere Behinderung hat, die Ergebnisse in Bezug auf die verschiedenen Arten der Pflegebedürftigkeit des Schwerbehinderten gemäß § 14 dieses Gesetzes und die Frist für die erneute Untersuchung seines Gesundheitszustands enthält.

76

Die soziale Begutachtung gemäß § 13 dieses Gesetzes umfasst ihrerseits die Beurteilung der individuellen Fähigkeiten des Schwerbehinderten, seines familiären Umfelds und seiner Umgebung, einschließlich der Beurteilung der Verkehrssysteme und Wohnbedingungen, unter Einschluss der Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude.

77

Schließlich beinhaltet das umfassende Gutachten gemäß § 15 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 447/2008 insbesondere folgende Punkte: den Grad der funktionalen Beeinträchtigung, die Feststellung, dass der Betroffene eine schwere Behinderung aufweist, die sozialen Folgen der schweren Behinderung in allen von dem Ausgleich umfassten Bereichen, einen Vorschlag hinsichtlich der Art der als Ausgleich zu gewährenden Beihilfe, gegebenenfalls die Feststellung, dass der Schwerbehinderte auf eine Begleitperson angewiesen ist, gegebenenfalls die Feststellung, dass der Schwerbehinderte auf eine individuelle Beförderung im persönlichen Kraftfahrzeug angewiesen ist oder praktisch oder vollständig auf beiden Augen blind ist sowie die Frist für die erneute Untersuchung des Gesundheitszustands, wenn sie vom medizinischen Gutachter festgelegt wird.

78

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass das mit der slowakischen Regelung verfolgte Ziel darin besteht, Schwerbehinderten die Leistung zu gewähren, die ihren persönlichen Bedürfnissen bestmöglich entspricht. Nichtsdestoweniger werden die medizinische und die soziale Begutachtung sowie das umfassende Gutachten, in dessen Rahmen der Vorschlag hinsichtlich der Art der zu gewährenden Ausgleichsbeihilfe ausgesprochen wird, auf der Grundlage objektiver und gesetzlich umschriebener Kriterien durchgeführt. Zudem ist unstreitig, dass die fraglichen Leistungen nur in den vom Gesetz Nr. 447/2008 vorgesehenen Fällen gewährt werden und dass sie eingestellt werden, wenn die Begünstigten die Voraussetzungen für ihre Gewährung nicht mehr erfüllen.

79

Allerdings weist die Kommission nicht nach, dass diese Kriterien einen Anspruch auf die fraglichen Leistungen eröffnen, ohne dass die zuständige Behörde über einen Ermessensspielraum hinsichtlich ihrer Gewährung verfügt.

80

Die Wendung „kann erhalten“ in § 22 Abs. 1, § 38 Abs. 1 und § 40 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 447/2008 sowie § 43 Abs. 1 dieses Gesetzes, der bestimmt, dass der Anspruch auf eine Ausgleichsbeihilfe und ihre Auszahlung mit einer wirksamen Entscheidung der zuständigen Behörde über die Anerkennung dieses Anspruchs entsteht, stützen nämlich eher den Standpunkt der Slowakischen Republik, wonach die Verwaltung bei der Gewährung der fraglichen Leistungen über einen Ermessensspielraum verfügt.

81

Wie aus den Erklärungen der Slowakischen Republik hervorgeht, wird diese Auslegung offensichtlich auch von der Rechtsprechung des Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) bestätigt. Nach ständiger Rechtsprechung ist aber die Bedeutung der nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteil Kommission/Deutschland, C‑490/04, EU:C:2007:430, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Aufgrund des Bestehens dieses Ermessens, das angemessen und nicht willkürlich auszuüben ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die fraglichen Leistungen den Begünstigten ohne jede im Ermessen liegende individuelle Beurteilung ihrer persönlichen Bedürfnisse aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt werden.

83

Folglich stellen diese Leistungen keine Leistungen der sozialen Sicherheit im Sinne der Verordnung Nr. 883/2004 dar.

84

Unter diesen Umständen ist die Klage der Kommission abzuweisen.

Kosten

85

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Slowakischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Slowakisch.