URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

5. November 2014 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Landwirtschaft — Gesundheitspolizei — Verordnung (EG) Nr. 854/2004 — Zum menschlichen Verzehr bestimmte Erzeugnisse tierischen Ursprungs — Amtliche Überwachung — Bestimmung eines amtlichen Tierarztes — Tierschlachtung“

In der Rechtssache C‑402/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Anotato Dikastirio Kyprou (Zypern) mit Entscheidung vom 5. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juli 2013, in dem Verfahren

Cypra Ltd

gegen

Kypriaki Dimokratia

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, des Richters A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger sowie der Richter S. Rodin und F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Cypra Ltd, vertreten durch T. Andreou, dikigoros,

der zyprischen Regierung, vertreten durch M. Chatzigeorgiou als Bevollmächtigte,

der griechischen Regierung, vertreten durch I. Chalkias und A. Vasilopoulou als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Bianchi und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs (ABl. L 139, S. 206) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 854/2004).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cypra Limited (im Folgenden: Cypra), Eigentümerin und Betreiberin eines privaten Schlachthofs für Schweine, Schafe und Ziegen in der Provinz Nikosia (Zypern), und der Kypriaki Dimokratia (Republik Zypern), vertreten durch das Ministerium für Landwirtschaft, natürliche Ressourcen und Umwelt sowie den Direktor der Abteilung Veterinärmedizinischer Dienst, über dessen Ablehnung des Antrags von Cypra, zu bestimmten Terminen einen amtlichen Tierarzt in ihren Schlachthof zu entsenden, um dort die Schlachtung zu überwachen.

Rechtlicher Rahmen

3

Die Erwägungsgründe 4 bis 6, 8 und 9 der Verordnung Nr. 854/2004 lauten:

„(4)

Die amtliche Überwachung von Erzeugnissen tierischen Ursprungs sollte alle Aspekte abdecken, die für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und gegebenenfalls für den Schutz der Tiergesundheit sowie für das Wohlbefinden der Tiere von Bedeutung sind. Sie sollte auf den aktuellsten sachbezogenen Informationen beruhen, die zur Verfügung stehen, und daher angepasst werden können, wenn relevante neue Informationen verfügbar werden.

(5)

Gemeinschaftsvorschriften für die Sicherheit von Lebensmitteln sollten eine solide wissenschaftliche Grundlage haben. Zu diesem Zweck sollte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stets konsultiert werden, wenn dies notwendig ist.

(6)

Art und Umfang der amtlichen Überwachung sollten von einer Bewertung der Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung, der Tiergesundheit, gegebenenfalls des Wohlbefindens der Tiere sowie der Art und des Umfangs der durchgeführten Prozesse und des Lebensmittelunternehmers abhängen.

(8)

Eine amtliche Überwachung der Fleischproduktion ist erforderlich, um nachzuprüfen, ob die Lebensmittelunternehmer die Hygienevorschriften einhalten und die Kriterien und Ziele des Gemeinschaftsrechts erfüllen. Die amtliche Überwachung sollte Überprüfungen der Tätigkeit der Lebensmittelunternehmer und Inspektionen einschließlich Prüfungen der Eigenkontrollen der Unternehmen umfassen.

(9)

Es ist angebracht, dass amtliche Tierärzte in Anbetracht ihres besonderen Fachwissens Schlachthöfe, Wildbearbeitungsbetriebe und bestimmte Zerlegungsbetriebe überprüfen und inspizieren. Die Entscheidung über das geeignetste Personal für Überprüfungen und Inspektionen anderer Arten von Betrieben sollte den Mitgliedstaaten überlassen werden.“

4

In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung heißt es:

„(1)   Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)

‚amtliche Überwachung‘ ist jede Form der Kontrolle, die von der zuständigen Behörde zur Verifizierung der Einhaltung des Lebensmittelrechts einschließlich der Bestimmungen über Tiergesundheit und das Wohlbefinden der Tiere durchgeführt wird;

b)

‚Verifizierung‘ ist die Überwachung durch Überprüfung und Erbringung eines objektiven Nachweises dafür, ob festgelegte Anforderungen erfüllt wurden;

c)

‚zuständige Behörde‘ ist die für die Durchführung von Veterinärkontrollen zuständige zentrale Behörde eines Mitgliedstaats oder jede andere amtliche Stelle, der sie diese Zuständigkeit übertragen hat;

d)

‚Überprüfung (Audit)‘ ist eine systematische und unabhängige Prüfung zur Feststellung, ob Tätigkeiten und damit zusammenhängende Ergebnisse mit geplanten Vereinbarungen übereinstimmen und ob diese Vereinbarungen wirksam umgesetzt werden und zur Erreichung der Ziele geeignet sind;

f)

‚amtlicher Tierarzt‘ ist ein Tierarzt, der im Sinne dieser Verordnung qualifiziert ist, als solcher zu handeln, und der von der zuständigen Behörde benannt wird;

…“

5

Art. 4 Abs. 7 und 9 dieser Verordnung bestimmt:

„(7)   Im Falle von Schlachthöfen, Wildbearbeitungsbetrieben und Zerlegungsbetrieben, die frisches Fleisch in Verkehr bringen, führt der amtliche Tierarzt die in den Absätzen 3 und 4 genannten Überprüfungsaufgaben aus.

(9)   Art und Umfang der Überprüfung der einzelnen Betriebe hängen von den Ergebnissen der Risikobewertung ab. Hierzu hat die zuständige Behörde regelmäßig Folgendes zu bewerten:

a)

die Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung und gegebenenfalls für die Tiergesundheit,

b)

im Falle von Schlachthöfen die Aspekte des Wohlbefindens der Tiere,

c)

Art und Umfang der durchgeführten Prozesse

und

d)

das bisherige Verhalten des Lebensmittelunternehmers hinsichtlich der Einhaltung des Lebensmittelrechts.“

6

In Art. 5 („Frischfleisch“) dieser Verordnung heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass Frischfleisch einer amtlichen Überwachung gemäß Anhang I unterzogen wird.

1.

Gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Anhangs I Abschnitt I Kapitel II und den besonderen Bestimmungen des Anhangs I Abschnitt IV führt der amtliche Tierarzt in Schlachthöfen, Wildbearbeitungsbetrieben und Zerlegungsbetrieben, die frisches Fleisch in Verkehr bringen, Inspektionen vor allem in Bezug auf Folgendes durch:

a)

Informationen zur Lebensmittelkette;

b)

Schlachttieruntersuchung;

c)

Wohlbefinden der Tiere;

d)

Fleischuntersuchung;

e)

spezifiziertes Risikomaterial und andere tierische Nebenprodukte;

f)

Labortests.

5.

a)

Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass sie über genügend amtliches Personal verfügen, damit die amtliche Überwachung gemäß Anhang I in der in Anhang I Abschnitt III Kapitel II festgelegten Häufigkeit erfolgen kann.

b)

Bei der Veranschlagung des Bedarfs an amtlichem Personal für die Schlachtlinie der einzelnen Schlachthöfe ist ein risikobezogener Ansatz zu verfolgen. Die Zahl der amtlichen Mitarbeiter muss von der zuständigen Behörde festgelegt und ausreichend sein, so dass alle Anforderungen dieser Verordnung erfüllt werden können.

…“

7

In Anhang I („Frischfleisch“) der Verordnung Nr. 854/2004 heißt es in Abschnitt I Kapitel II Teil B:

„1.

Mit Ausnahme der in den Absätzen 4 und 5 vorgesehenen Fällen

a)

hat der amtliche Tierarzt vor der Schlachtung alle Tiere einer Schlachttieruntersuchung zu unterziehen;

b)

muss diese Untersuchung innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft der Tiere im Schlachthof und innerhalb von 24 Stunden vor der Schlachtung erfolgen.

Darüber hinaus kann der amtliche Tierarzt auch zu jeder anderen Zeit eine Untersuchung verlangen.

…“

8

Anhang I Abschnitt III („Zuständigkeiten und Häufigkeit der Kontrollen“) sieht in Kapitel II vor:

„1.

Die zuständige Behörde hat dafür zu sorgen, dass in folgenden Fällen mindestens ein amtlicher Tierarzt anwesend ist:

a)

in Schlachthöfen während der gesamten Dauer der Schlachttier- und der Fleischuntersuchung

und

b)

in Wildbearbeitungsbetrieben während der gesamten Dauer der Fleischuntersuchung.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9

Mit Schreiben vom 5. März 2007 teilte Cypra dem zuständigen veterinärmedizinischen Dienst ihr Schlachtprogramm für die Monate März und April 2007 mit und beantragte, die vorzunehmende Überwachung der Schlachtungen zu den in dem Schreiben angegebenen Terminen zu organisieren, und zwar insbesondere deshalb, weil aufgrund vertraglicher Verpflichtungen hinsichtlich der Ausfuhr von Schweinefleisch nach Griechenland sonntags Schlachtungen erforderlich seien.

10

Am 9. März 2007 stellte Cypra ihren Antrag erneut und wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sie das Programm und die Öffnungszeiten ihres Schlachthofs selbst festlege.

11

Dieser Antrag wurde abgelehnt, und Cypra erhob Klage gegen diese Entscheidung.

12

Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage ab und gab der prozesshindernden Einrede der Beklagten statt, wonach die Weigerung, dem Antrag der Klägerin stattzugeben, „keine Verletzung einer gesetzlich begründeten Verpflichtung, sondern eine im Ermessen liegende Unterlassung“ darstelle und damit kein vollstreckbarer und anfechtbarer Rechtsakt im Sinne von Art. 146 der Verfassung sei.

13

Nach Ansicht des in zweiter Instanz mit der Sache befassten Anotato Dikastirio Kyprou (Oberster Gerichtshof der Republik Zypern) steht hier die Auslegung der Verordnung Nr. 854/2004 in Rede. Fraglich sei, welche Verpflichtungen den zuständigen nationalen Behörden oblägen und welche Grenzen das ihnen im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung zustehende Ermessen habe.

14

Unter diesen Umständen hat der Anotato Dikastirio Kyprou das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Räumt die Verordnung Nr. 854/2004 der zuständigen Behörde im Hinblick auf die Benennung eines amtlichen Tierarztes für die Überwachung der Schlachtung von Tieren ein Ermessen zur Festlegung des Zeitpunkts ein, zu dem eine bestimmte Schlachtung stattfindet, oder ist die Behörde verpflichtet, einen Tierarzt für den Termin zu benennen, den der Schlachter für die Schlachtung festgelegt hat?

2.

Räumt die Verordnung Nr. 854/2004 der zuständigen Behörde das Ermessen ein, die Benennung eines amtlichen Tierarztes für die tierärztliche Überwachung einer Tierschlachtung abzulehnen, wenn sie davon unterrichtet wird, dass zu einem bestimmten Termin in einem zugelassenen Schlachthof eine Schlachtung stattfinden wird?

Zu den Vorlagefragen

15

Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Verordnung Nr. 854/2004 dahin auszulegen ist, dass es Sache der zuständigen Behörde ist, im Hinblick auf die Benennung des amtlichen Tierarztes zur Überwachung der Schlachtung festzulegen, wann die Tiere geschlachtet werden sollen, oder ob diese Behörde zu dem vom Schlachthof festgelegten Termin einen amtlichen Tierarzt entsenden muss, ohne dies ablehnen zu können.

16

Im Hinblick auf die Auslegung der Verordnung Nr. 854/2004 ist zunächst darauf hinzuweisen, dass diese auf Art. 168 Abs. 4 Buchst. b AEUV beruht, dessen Normzweck im Schutz der Gesundheit der Bevölkerung besteht.

17

In diesem Zusammenhang sieht der vierte Erwägungsgrund dieser Verordnung vor, dass „[d]ie amtliche Überwachung von Erzeugnissen tierischen Ursprungs … alle Aspekte abdecken [sollte], die für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und gegebenenfalls für den Schutz der Tiergesundheit sowie für das Wohlbefinden der Tiere von Bedeutung sind“. Aus den Erwägungsgründen 8 und 9 ergibt sich, dass „[e]ine amtliche Überwachung der Fleischproduktion … erforderlich [ist], um nachzuprüfen, ob die Lebensmittelunternehmer die Hygienevorschriften einhalten und die Kriterien und Ziele des Gemeinschaftsrechts erfüllen“ und dass „[e]s … angebracht [ist], dass amtliche Tierärzte in Anbetracht ihres besonderen Fachwissens Schlachthöfe … überprüfen und inspizieren“.

18

Art. 1 der Verordnung Nr. 854/2004 legt besondere Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von Erzeugnissen tierischen Ursprungs fest.

19

Hinsichtlich der von den amtlichen Tierärzten durchzuführenden Kontrollen bestimmt Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 854/2004, dass der amtliche Tierarzt in Schlachthöfen gemäß den allgemeinen Bestimmungen des Anhangs I Abschnitt I Kapitel II dieser Verordnung Inspektionen durchführt. Nach Art. 5 Abs. 5 der Verordnung müssen genügend amtliche Tierärzte vorhanden sein, damit die amtliche Überwachung gemäß Anhang I in der in Anhang I Abschnitt III Kapitel II festgelegten Häufigkeit erfolgen kann.

20

Im Einzelnen hat die zuständige mitgliedstaatliche Behörde nach Anhang I Abschnitt I Kapitel II Teil B Nr. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 854/2004 dafür zu sorgen, dass ein amtlicher Tierarzt in den Schlachthöfen anwesend ist, um eine Schlachttieruntersuchung durchzuführen, die innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft der Tiere im Schlachthof und innerhalb von 24 Stunden vor der Schlachtung erfolgen muss.

21

Somit sieht die Verordnung Nr. 854/2004 nicht nur eine Befugnis zur Würdigung der Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung und für die Tiergesundheit vor, sondern auch eine Verpflichtung der zuständigen Behörden, für die Art und die zügige Durchführung der vorgesehenen Verfahren Sorge zu tragen sowie über das erforderliche Personal zu verfügen.

22

In diesem Zusammenhang enthält die Verordnung Nr. 854/2004, wie sowohl die polnische und die zyprische Regierung als auch die Europäische Kommission zutreffend ausgeführt haben, keine Vorschriften über die für die zuständigen Behörden geltenden Arbeitszeiten und Feiertage und erst recht keine näheren Angaben darüber, ob diese Behörden an Sonn- und Feiertagen Personal bereitstellen müssen. Vielmehr wird in Anhang I Abschnitt I Kapitel II Teil B Nr. 1 Buchst. b dieser Verordnung lediglich ein zeitlicher Rahmen für bestimmte Tätigkeiten der amtlichen Tierärzte vorgegeben.

23

Daher ist es im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen, auf denen die Europäische Union beruht und die die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten regeln, gemäß Art. 5 des EU-Vertrags Sache der Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet für die Durchführung der Regelungen der Union zu sorgen. Soweit das Unionsrecht einschließlich seiner allgemeinen Grundsätze hierfür keine gemeinsamen Vorschriften enthält, gehen die nationalen Behörden bei der Durchführung dieser Regelungen nach den formellen und materiellen Bestimmungen ihres nationalen Rechts vor (vgl. insbesondere Urteile Dominikanerinnen-Kloster Altenhohenau, C‑285/93, EU:C:1995:398, Rn. 26, Karlsson u. a., C‑292/97, EU:C:2000:202, Rn. 27, und Azienda Agricola Giorgio, Giovanni und Luciano Visentin u. a., C‑495/00, EU:C:2004:180, Rn. 39).

24

Da die Verordnung Nr. 854/2004 keine entsprechende gemeinsame Vorschrift enthält, spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass die zuständigen Behörden die Feiertage festlegen und es ablehnen, an diesen Tagen amtliche Tierärzte in die Schlachthöfe zu entsenden. Darüber hinaus kann die zuständige Behörde nicht verpflichtet sein, jedem Ersuchen eines Schlachthofs um Überwachung stattzugeben, da die Verordnung Nr. 854/2004 den Mitgliedstaaten keine solche Verpflichtung auferlegt.

25

Allein der zuständigen Behörde stehen nämlich Informationen über alle Schlachthöfe zur Verfügung, so dass nur sie unter Berücksichtigung der ihr in den verschiedenen Schlachthöfen obliegenden Aufgaben entscheiden kann, ob die Hygienekontrollen der Schlachtungen zu den vom Schlachthof vorgeschlagenen Terminen durchgeführt werden können. Daher muss die zuständige Behörde in der Lage sein, in Absprache mit den Verantwortlichen der Schlachthöfe festzulegen, wann die Überwachung durch die amtlichen Tierärzte gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 854/2004, der auf Anhang I Abschnitt I Kapitel II dieser Verordnung verweist, erfolgt.

26

Beim Erlass von Maßnahmen zur Durchführung einer Unionsregelung haben die Mitgliedstaaten ihr Ermessen jedoch insbesondere unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteile Mulligan u. a., C‑313/99, EU:C:2002:386, Rn. 35, und Azienda Agricola Giorgio, Giovanni und Luciano Visentin u. a., EU:C:2004:180, Rn. 40), zu denen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes, der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung gehören (Urteil Kurt und Thomas Etling u. a., C‑230/09 und C‑231/09, EU:C:2011:271, Rn. 74).

27

Um die in Rn. 26 des vorliegenden Urteils genannten Grundsätze zu wahren und die nach Art. 5 der Verordnung Nr. 854/2004 erforderliche amtliche Überwachung zu planen, kann die zuständige Behörde es daher ablehnen, zu den von den Schlachthöfen beantragten Terminen amtliche Tierärzte zu entsenden, es sei denn, es ist objektiv erforderlich, dass die Schlachtungen zu einem bestimmten Termin stattfinden.

28

Dagegen ist es Sache der Schlachthöfe, im Hinblick auf die Festlegung der Schlachtzeiten den zuständigen Behörden den Termin für die Schlachtung der Tiere eine angemessene Zeit im Voraus mitzuteilen, damit die Behörden zu den beantragten Zeiten Tierärzte entsenden können. Um zu gewährleisten, dass die Wirksamkeit der Verordnung Nr. 854/2004 nicht beeinträchtigt wird, hat das vorlegende Gericht daher zu beurteilen, ob der Antrag auf Schlachtung lange genug im Voraus gestellt worden ist, um es der zuständigen Behörde zu ermöglichen, die Anwesenheit eines amtlichen Tierarztes zu veranlassen, und ob es objektiv erforderlich ist, dass die Schlachtung an einem Sonntag stattfindet.

29

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Verordnung Nr. 854/2004 dahin auszulegen ist, dass sie es grundsätzlich nicht verbietet, dass die zuständige Behörde im Hinblick auf die Benennung des amtlichen Tierarztes für die Überwachung der Schlachtung bestimmt, wann die Tiere geschlachtet werden sollen, und es ablehnt, zu den vom Schlachthof bestimmten Terminen einen amtlichen Tierarzt zu entsenden, es sei denn, es ist objektiv erforderlich, dass die Schlachtungen zu einem bestimmten Termin stattfinden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Kosten

30

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Verordnung (EG) Nr. 854/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie es grundsätzlich nicht verbietet, dass die zuständige Behörde im Hinblick auf die Benennung des amtlichen Tierarztes für die Überwachung der Schlachtung bestimmt, wann die Tiere geschlachtet werden sollen, und es ablehnt, zu den vom Schlachthof bestimmten Terminen einen amtlichen Tierarzt zu entsenden, es sei denn, es ist objektiv erforderlich, dass die Schlachtungen zu einem bestimmten Termin stattfinden, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Griechisch.