URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

3. April 2014 ( *1 )

„Vorabentscheidungsersuchen — Energie — Angabe des Energieverbrauchs von Fernsehgeräten mittels Etiketten — Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1062/2010 — Verantwortlichkeiten der Händler — Fernsehgerät, das dem Händler vor Beginn der Geltung der Verordnung ohne das entsprechende Etikett geliefert worden ist — Verpflichtung des Händlers, ein solches Fernsehgerät von Beginn der Geltung der Verordnung an zu etikettieren und sich nachträglich ein Etikett zu verschaffen“

In der Rechtssache C‑319/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Thüringer Oberlandesgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juni 2013, in dem Verfahren

Udo Rätzke

gegen

S+K Handels GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis und J.‑C. Bonichot,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. De Stefano, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und B. Eggers als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2010 der Kommission vom 28. September 2010 zur Ergänzung der Richtlinie 2010/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Kennzeichnung von Fernsehgeräten in Bezug auf den Energieverbrauch (ABl. L 314, S. 64, im Folgenden: Delegierte Verordnung).

2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Rätzke und der S+K Handels GmbH (im Folgenden: S+K), einer Wettbewerberin von Herrn Rätzke im Bereich des Handels mit Elektrogeräten, insbesondere Fernsehgeräten, wegen einer Unterlassungsklage nach dem deutschen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2010/30/EU

3

Der 19. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen Ressourcen durch energieverbrauchsrelevante Produkte mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen (ABl. L 153, S. 1) lautet:

„Der Kommission sollte die Befugnis übertragen werden, gemäß Artikel 290 AEUV delegierte Rechtsakte bezüglich der Angabe des Verbrauchs an Energie und anderen wichtigen Ressourcen durch energieverbrauchsrelevante Produkte während des Gebrauchs mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen zu erlassen. Es ist von besonderer Bedeutung, dass die Kommission bei ihren vorbereitenden Arbeiten angemessene Konsultationen – auch auf Expertenebene – durchführt.“

4

Der 25. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:

„Die Mitgliedstaaten sollten bei der Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie nach Möglichkeit auf den Erlass von Maßnahmen verzichten, mit denen den betreffenden Marktteilnehmern, insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen [KMU], unnötig bürokratische und schwerfällige Verpflichtungen aufgebürdet würden.“

5

Nach Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2010/30 gilt:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

g)

‚Händler‘ einen Einzelhändler oder jede andere Person, die Produkte an Endverbraucher verkauft, vermietet, zum Ratenkauf anbietet oder ausstellt;

h)

‚Lieferant‘ den Hersteller oder dessen zugelassenen Vertreter in der Union oder den Importeur, der das Produkt in der Union in Verkehr bringt oder in Betrieb nimmt. In Ermangelung dessen gilt jede natürliche oder juristische Person als Lieferant, die durch diese Richtlinie erfasste Produkte in Verkehr bringt oder in Betrieb nimmt;

i)

‚Inverkehrbringen‘ die erstmalige Zurverfügungstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt im Hinblick auf den Vertrieb oder die Nutzung des Produkts innerhalb der Union, ob gegen Entgelt oder kostenlos und unabhängig von der Art des Vertriebs;

…“

6

Art. 5 („Verantwortlichkeiten der Lieferanten“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass

a)

Lieferanten, die die unter einen delegierten Rechtsakt fallenden Produkte vertreiben oder in Betrieb nehmen, Etiketten und Datenblätter gemäß der vorliegenden Richtlinie und dem delegierten Rechtsakt mitliefern;

d)

im Hinblick auf die Etikettierung und Produktinformation die Lieferanten den Händlern die erforderlichen Etiketten kostenlos zur Verfügung stellen.

Unbeschadet des von den Lieferanten gewählten Verfahrens für die Lieferung der Etiketten liefern die Lieferanten die von Händlern angeforderten Etiketten unverzüglich;

…“

7

Art. 6 („Verantwortlichkeiten der Händler“) der Richtlinie 2010/30 lautet:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass

a)

Händler die Etiketten in lesbarer und sichtbarer Form ordnungsgemäß ausstellen und das Datenblatt in der Produktbroschüre oder in anderen das Produkt beim Verkauf an Endverbraucher begleitenden Unterlagen zur Verfügung stellen;

b)

bei der Ausstellung eines von einem delegierten Rechtsakt erfassten Produkts die Händler an der in dem entsprechenden delegierten Rechtsakt vorgeschriebenen Stelle ein geeignetes Etikett in der entsprechenden Sprache deutlich sichtbar anbringen.“

8

Art. 10 („Delegierte Rechtsakte“) Abs. 1 bis 3 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die Kommission legt Einzelheiten in Bezug auf das Etikett und das Datenblatt in delegierten Rechtsakten gemäß den Artikeln 11, 12 und 13 bezüglich jedes Produkttyps gemäß diesem Artikel fest.

Erfüllt ein Produkt die in Absatz 2 genannten Kriterien, so wird es von einem delegierten Rechtsakt im Sinne von Absatz 4 erfasst.

Bestimmungen in delegierten Rechtsakten bezüglich Angaben auf dem Etikett und im Datenblatt über den Verbrauch an Energie und anderen wichtigen Ressourcen während des Gebrauchs haben es dem Endverbraucher zu ermöglichen, Kaufentscheidungen besser informiert zu treffen, und haben den Marktaufsichtsbehörden die Prüfung zu ermöglichen, ob Produkte den Angaben entsprechen.

Enthält ein delegierter Rechtsakt Bestimmungen sowohl bezüglich der Energieeffizienz als auch des Verbrauchs eines Produkts an anderen wichtigen Ressourcen, ist durch Gestaltung und Inhalt des Etiketts die Energieeffizienz des Produkts zu betonen.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Kriterien sind die Folgenden:

a)

laut den neuesten verfügbaren Angaben und in Anbetracht der auf dem Unionsmarkt platzierten Mengen weisen die Produkte ein erhebliches Potenzial für die Einsparung von Energie und gegebenenfalls anderen wichtigen Ressourcen auf;

b)

auf dem Markt verfügbare Produkte mit gleichwertigen Funktionen weisen große Unterschiede bei den einschlägigen Leistungsniveaus auf;

c)

die Kommission berücksichtigt einschlägige unionsrechtliche Bestimmungen und Maßnahmen zur Selbstregulierung, wie freiwillige Vereinbarungen, von denen zu erwarten ist, dass sie die Erreichung der politischen Ziele schneller oder kostengünstiger als zwingende Vorschriften ermöglichen.

(3)   Bei der Ausarbeitung eines Entwurfs eines delegierten Rechtsakts geht die Kommission wie folgt vor:

d)

sie macht Terminvorgaben für die Durchführung, legt abgestufte Maßnahmen oder Übergangsmaßnahmen oder ‑zeiträume fest und berücksichtigt dabei insbesondere die möglichen Auswirkungen auf KMU oder auf spezifische, hauptsächlich von KMU hergestellte Produktgruppen.“

9

Die Art. 11, 12 und 13 der Richtlinie 2010/30 legen den Rahmen fest, in dem die delegierten Rechtsakte nach Art. 290 Abs. 2 AEUV erlassen werden. Art. 11 dieser Richtlinie regelt die Dauer der Ausübung der Befugnisübertragung durch die Kommission und verpflichtet diese, spätestens sechs Monate vor Ablauf eines am 19. Juni 2010 beginnenden Zeitraums von fünf Jahren einen Bericht über die übertragenen Befugnisse vorzulegen. Daneben verpflichtet er die Kommission, alle delegierten Rechtsakte gleich bei ihrem Erlass dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union zu übermitteln. Art. 12 der Richtlinie betrifft die Möglichkeit eines Widerrufs der Befugnisübertragung und ihr Art. 13 das Verfahren, das das Parlament und der Rat befolgen müssen, wenn sie gegen delegierte Rechtsakte Einwände erheben wollen.

10

Art. 16 („Umsetzung“) Abs. 1 der Richtlinie 2010/30 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten setzen spätestens am 20. Juni 2011 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

Sie wenden diese Vorschriften ab dem 20. Juli 2011 an.

…“

11

Art. 18 („Inkrafttreten“) der Richtlinie lautet:

„Diese Richtlinie tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 5 Buchstaben d, g und h gelten ab dem 31. Juli 2011.“

Delegierte Verordnung

12

Der dritte Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung hat folgenden Wortlaut:

„Es sollten harmonisierte Vorschriften zur Angabe der Energieeffizienz und des Energieverbrauchs von Fernsehgeräten mittels einheitlicher Etiketten und Produktinformationen erlassen werden, um den Herstellern Anreize zur Verbesserung der Energieeffizienz von Fernsehgeräten zu geben, die Verbraucher zur Anschaffung energieeffizienter Modelle zu bewegen, den Stromverbrauch dieser Geräte zu verringern und einen Beitrag zum Funktionieren des Binnenmarktes zu leisten.“

13

Der neunte Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung lautet:

„Zur Förderung der Herstellung energieeffizienter Fernsehgeräte sollten Lieferanten, die Fernsehgeräte in Verkehr bringen möchten, die den Anforderungen höherer Energieeffizienzklassen genügen, bereits vor dem Zeitpunkt, an dem die Angabe dieser Effizienzklassen verbindlich wird, Etiketten benutzen dürfen, auf denen diese Klassen erscheinen.“

14

Art. 3 („Verantwortlichkeiten der Lieferanten“) der Delegierten Verordnung sieht vor:

„(1)   Die Lieferanten stellen sicher, dass

a)

jedes Fernsehgerät mit einem gedruckten Etikett geliefert wird, dessen Gestaltung und Informationsgehalt den Vorgaben in Anhang V entspricht;

(3)   Die Gestaltung des Etiketts gemäß den Vorgaben in Anhang V gilt nach folgendem Zeitplan:

a)

Bei Geräten, die ab 30. November 2011 in Verkehr gebracht werden, müssen die Etiketten für Fernsehgeräte der Energieeffizienzklassen

i)

A, B, C, D, E, F und G Anhang V Nummer 1 oder, falls die Lieferanten dies für zweckmäßig halten, Nummer 2 entsprechen;

ii)

A+ Anhang V Nummer 2 entsprechen;

iii)

A++ Anhang V Nummer 3 entsprechen;

iv)

A+++ Anhang V Nummer 4 entsprechen.

b)

Bei den ab 1. Januar 2014 in Verkehr gebrachten Fernsehgeräten der Effizienzklassen A+, A, B, C, D, E und F müssen die Etiketten Anhang V Nummer 2 oder, falls die Lieferanten dies für zweckmäßig halten, Nummer 3 entsprechen.

c)

Bei den ab 1. Januar 2017 in Verkehr gebrachten Fernsehgeräten der Effizienzklassen A++, A+, A, B, C, D und E müssen die Etiketten Anhang V Nummer 3 oder, falls die Lieferanten dies für zweckmäßig halten, Nummer 4 entsprechen.

d)

Bei den ab 1. Januar 2020 in Verkehr gebrachten Fernsehgeräten der Effizienzklassen A+++, A++, A+, A, B, C und D müssen die Etiketten Anhang V Nummer 4 entsprechen.“

15

In Art. 4 („Verantwortlichkeiten der Händler“) der Delegierten Verordnung heißt es:

„Die Händler stellen sicher, dass

a)

alle Fernsehgeräte in der Verkaufsstelle das von den Lieferanten gemäß Artikel 3 Absatz 1 bereitgestellte Etikett deutlich sichtbar an der Vorderseite tragen;

…“

16

Art. 9 („Inkrafttreten“) der Delegierten Verordnung bestimmt:

„Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Sie gilt ab 30. November 2011. …

Diese Verordnung ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat.“

Deutsches Recht

17

§ 3 Abs. 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (BGBl. 2010 I, S. 254, im Folgenden: UWG) schreibt vor:

„Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.“

18

§ 4 UWG bestimmt:

„Beispiele unlauterer geschäftlicher Handlungen

Unlauter handelt insbesondere, wer

11.   einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“

19

§ 5a Abs. 2 und 4 UWG lautet:

„(2)   Unlauter handelt, wer die Entscheidungsfähigkeit von Verbrauchern im Sinne des § 3 Absatz 2 dadurch beeinflusst, dass er eine Information vorenthält, die im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der Beschränkungen des Kommunikationsmittels wesentlich ist.

(4)   Als wesentlich im Sinne des Absatzes 2 gelten auch Informationen, die dem Verbraucher auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen oder nach Rechtsvorschriften zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Richtlinien für kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung und Marketing nicht vorenthalten werden dürfen.“

20

§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG lautet:

„Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.“

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

21

S+K bot am 20. Januar 2012 in ihrer Schaufensterauslage ein Fernsehgerät zum Verkauf an, das nicht das Etikett über den Energieverbrauch gemäß Anhang V der Delegierten Verordnung trug. Das Fernsehgerät war von seinem Hersteller, der Haier Deutschland GmbH, an einen Großhändler, die ElectronicPartner Handel SE, geliefert worden, die es ihrerseits am 20. Mai 2011 an S+K lieferte. Fernseher dieses Typs wurden am 20. Januar 2012 noch produziert.

22

Nach einer Abmahnung durch Herrn Rätzke erhob S+K eine negative Feststellungsklage, auf die Herr Rätzke eine Widerklage erhob, mit der er beantragte, S+K zu untersagen, Fernsehgeräte zum Verkauf anzubieten, die nicht mit dem Etikett nach Anhang V der Delegierten Verordnung versehen sind.

23

Diese auf § 3 Abs. 1, § 4 Nr. 11 und § 8 Abs. 1 UWG gestützte Widerklage wirft die Frage auf, ob S+K nach Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung verpflichtet war, das ihr am 20. Mai 2011 ohne Etikett gelieferte Fernsehgerät mit einem Etikett zu versehen.

24

Das Landgericht Mühlhausen wies die Widerklage mit der Begründung ab, dass die vor dem 30. November 2011 im Einklang mit der vor diesem Tag geltenden Rechtslage ohne das fragliche Etikett gelieferten Fernsehgeräte auch nach dem 30. November 2011 nicht mit einem Etikett versehen sein müssten.

25

Das vorlegende Gericht, bei dem gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen Berufung eingelegt wurde, fragt sich, wie Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung auszulegen ist, der seiner Ansicht nach eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 4 UWG darstellt. Dazu führt es aus, die Formulierung „von … bereitgestellt“ in Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung könnte darauf hindeuten, dass den Händler nur dann ab dem 30. November 2011 eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der Fernsehgeräte treffe, wenn der Lieferant diese Geräte entsprechend seiner eigenen ab diesem Tag geltenden Verpflichtung mit Etikett geliefert habe. Der Zweck der Kennzeichnungspflicht, wie er im dritten Erwägungsgrund der Delegierten Verordnung angegeben sei, könnte jedoch für eine ab dem 30. November 2011 geltende Kennzeichnungspflicht für alle von Händlern ausgestellten Fernsehgeräte einschließlich der vor diesem Zeitpunkt gelieferten sprechen. Nach Ansicht von Herrn Rätzke lässt sich aus dem Zusammenhang mit Art. 5 Buchst. d der Richtlinie 2010/30 herleiten, dass die Lieferanten in allen Fällen, d. h. auch bei vor dem 30. November 2011 gelieferten Geräten, zur kostenlosen und unverzüglichen Bereitstellung der Etiketten verpflichtet seien, damit die Händler von diesem Tag an ihrer Kennzeichnungspflicht nachkommen könnten.

26

Unter diesen Umständen hat das Thüringer Oberlandesgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung dahin auszulegen,

dass den Händler (ab dem 30. November 2011) nur dann eine Pflicht zur Etikettierung von Fernsehgeräten trifft, wenn diese Fernsehgeräte vom Lieferanten gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der genannten Verordnung (ab dem 30. November 2011) bereits mit einem entsprechenden Etikett geliefert wurden,

oder trifft den Händler die Kennzeichnungspflicht (ab dem 30. November 2011) auch für solche Fernsehgeräte, die vom Lieferanten vor dem 30. November 2011 ohne entsprechende Etiketten geliefert wurden, so dass der Händler zur (rechtzeitigen, nachträglichen) Anforderung von Etiketten für solche Fernsehgeräte verpflichtet ist?

Zur Vorlagefrage

27

Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Händler, sicherzustellen, dass jedes Fernsehgerät in der Verkaufsstelle ein Etikett trägt, das Informationen über die Energieeffizienz des Geräts enthält, nur für Fernsehgeräte gilt, die ab dem 30. November 2011 in Verkehr gebracht wurden.

28

Dazu ist, wie auch die Beteiligten vorgetragen haben, unter Berücksichtigung des Aufbaus der Delegierten Verordnung insbesondere im Licht der Bestimmungen der Richtlinie 2010/30 eine Gesamtschau der Pflichten vorzunehmen, die den Händlern und den Lieferanten hinsichtlich der Etikettierung von Fernsehgeräten durch diese Verordnung auferlegt worden sind.

29

Nach Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung sind die Händler nämlich verpflichtet, auf allen Fernsehern das von den Lieferanten „gemäß Artikel 3 Absatz 1“ dieser Verordnung bereitgestellte Etikett anzubringen.

30

Zudem enthält Art. 4 der Delegierten Verordnung im Gegensatz zu deren Art. 3 keinen eigenen Zeitplan für seine zeitliche Anwendung. Nach Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2010/30 bezieht sich die die Händler treffende Kennzeichnungspflicht jedoch nur auf von einem delegierten Rechtsakt erfasste Produkte, und Art. 10 Abs. 3 Buchst. d dieser Richtlinie stellt klar, dass der entsprechende delegierte Rechtsakt den zeitlichen Geltungsbereich der Kennzeichnungsverantwortlichkeit festlegt. Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass die Kommission bei der Ausarbeitung eines Entwurfs eines delegierten Rechtsakts „Terminvorgaben für die Durchführung [macht], … abgestufte Maßnahmen oder Übergangsmaßnahmen oder ‑zeiträume fest[legt] und … dabei insbesondere die möglichen Auswirkungen auf KMU oder auf spezifische, hauptsächlich von KMU hergestellte Produktgruppen [berücksichtigt]“.

31

Da demnach Art. 4 der Delegierten Verordnung keinen eigenen Zeitplan enthält, sondern auf Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung über die Verantwortlichkeiten der Lieferanten verweist, entspricht der zeitliche Geltungsbereich von Art. 4 der Delegierten Verordnung dem ihres Art. 3. Die Verpflichtung eines Händlers zur Anbringung der Etiketten ist daher im Verhältnis zur Verpflichtung des Lieferanten zur Bereitstellung der entsprechenden Etiketten akzessorisch.

32

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 3 der Delegierten Verordnung in Übereinstimmung mit dem zeitlichen Geltungsbereich dieser Verordnung, die nach ihrem Art. 9 ab 30. November 2011 gilt, für vor diesem Tag in Verkehr gebrachte Fernsehgeräte kein Erfordernis aufstellt. Diese Bestimmung regelt nämlich gerade die Erfordernisse, die für „[Geräte], die ab 30. November 2011“ und sodann schrittweise ab 1. Januar 2014, 1. Januar 2017 bzw. 1. Januar 2020„in Verkehr gebracht werden“, gelten.

33

Folglich ist zur Beantwortung der Vorlagefrage, wie auch die Beteiligten vorgetragen haben, die in Art. 3 Abs. 3 Buchst. a der Delegierten Verordnung gebrauchte Wendung „in Verkehr gebracht werden“ auszulegen.

34

Nach Art. 2 Buchst. i der Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „‚Inverkehrbringen‘ die erstmalige Zurverfügungstellung eines Produkts auf dem Unionsmarkt im Hinblick auf den Vertrieb oder die Nutzung des Produkts innerhalb der Union, ob gegen Entgelt oder kostenlos und unabhängig von der Art des Vertriebs“. Entscheidend ist danach die erstmalige Zurverfügungstellung auf dem Markt unabhängig von der Vertriebsart.

35

Somit trifft die Händler die Kennzeichnungspflicht nur für Fernsehgeräte, die auf dem Unionsmarkt ab dem 30. November 2011 zur Verfügung gestellt wurden, d. h. für die vom Hersteller ab diesem Tag in die Vertriebskette eingeführten Geräte.

36

Dieser Ansatz, der auf der Berücksichtigung der Systematik des Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung beruht, wird durch eine teleologische Auslegung dieser Bestimmung nicht in Frage gestellt.

37

Zwar könnte, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, eine Verpflichtung zur Kennzeichnung der vor dem 30. November 2011 gelieferten Fernsehgeräte im Einklang mit dem mit der Delegierten Verordnung verfolgten Zweck, wie er in deren drittem und neuntem Erwägungsgrund beschrieben worden ist, die Verbraucher zur Anschaffung energieeffizienter Modelle bewegen.

38

Dieser Anreiz erweist sich jedoch als begrenzt, da der Zeitraum, in dem die genannten Fernsehgeräte zur Verfügung gestellt worden sind, relativ kurz ist.

39

Die begrenzte Wirkung einer Kennzeichnungspflicht auch für vor dem 30. November 2011 gelieferte Fernsehgeräte stünde im Übrigen außer Verhältnis zu dem Verwaltungsaufwand, den die Maßnahme für die Lieferanten und Händler mit sich brächte. So wären insbesondere die KMU gezwungen, für alle schon vor dem 30. November 2011 gelieferten Fernsehgeräte Energieverbrauchsetiketten beim Hersteller anzufordern. Nach dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/30 sollte jedoch auf den Erlass von Maßnahmen verzichtet werden, mit denen den betreffenden Marktteilnehmern, insbesondere KMU, unnötig bürokratische und schwerfällige Verpflichtungen aufgebürdet würden.

40

Art. 5 Buchst. d der Richtlinie 2010/30 kann entgegen dem Vorbringen von Herrn Rätzke vor dem vorlegenden Gericht kein anderes Ergebnis begründen. Diese Bestimmung regelt nämlich weder die Umstände, unter denen die Lieferung der Etiketten erforderlich ist, noch den zeitlichen Rahmen dieser Verpflichtung. Vielmehr verweist die Richtlinie, speziell ihr Art. 10 Abs. 3 Buchst. d, hinsichtlich dieser Frage auf die Bestimmungen eines delegierten Rechtsakts. In dem betreffenden delegierten Rechtsakt ist indessen der zeitliche Geltungsbereich der Kennzeichnungspflicht eindeutig in der Weise festgelegt worden, dass sich die Delegierte Verordnung nur auf erstmals ab dem 30. November 2011 in Verkehr gebrachte Fernsehgeräte bezieht.

41

Demgemäß ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung der Händler, sicherzustellen, dass jedes Fernsehgerät in der Verkaufsstelle das von den Lieferanten gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bereitgestellte Etikett trägt, nur für Fernsehgeräte gilt, die ab dem 30. November 2011 in Verkehr gebracht wurden, d. h. vom Hersteller erstmals zum Zweck ihres Vertriebs in die Vertriebskette eingeführt wurden.

Kosten

42

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 4 Buchst. a der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1062/2010 der Kommission vom 28. September 2010 zur Ergänzung der Richtlinie 2010/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Kennzeichnung von Fernsehgeräten in Bezug auf den Energieverbrauch ist dahin auszulegen, dass die Verpflichtung der Händler, sicherzustellen, dass jedes Fernsehgerät in der Verkaufsstelle das von den Lieferanten gemäß Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bereitgestellte Etikett trägt, nur für Fernsehgeräte gilt, die ab dem 30. November 2011 in Verkehr gebracht wurden, d. h. vom Hersteller erstmals zum Zweck ihres Vertriebs in die Vertriebskette eingeführt wurden.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.