URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

12. Februar 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Gemeinsamer Zolltarif — Zolltarifliche Einreihung — Kombinierte Nomenklatur — Infrarot-Wärmebildkameras“

In der Rechtssache C‑134/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 7. März 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 18. März 2013, in dem Verfahren

Raytek GmbH,

Fluke Europe BV

gegen

Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas, E. Juhász und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Raytek GmbH und der Fluke Europe BV, vertreten durch I. Humby, Consultant, und V. Sloane, Barrister,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von R. Hill, Barrister,

der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und L. Flynn als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Gültigkeit der Verordnung (EU) Nr. 314/2011 der Kommission vom 30. März 2011 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. L 86, S. 57).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Klagen der Raytek GmbH und der Fluke Europe BV (im Folgenden: Raytek bzw. Fluke) gegen Entscheidungen der Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (im Folgenden: Commissioners) über die zolltarifliche Einreihung von Infrarot-Wärmebildkameras.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

Das am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossene internationale Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 (im Folgenden: HS-Übereinkommen) wurde im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. L 198, S. 1) genehmigt.

4

Nach Art. 3 Abs. 1 des HS-Übereinkommens verpflichtet sich jede Vertragspartei, ihre zolltarifliche und statistische Nomenklatur mit dem HS in Einklang zu bringen, alle Positionen und Unterpositionen des HS – ohne Zusätze oder Änderungen – sowie die dazugehörigen Codes zu verwenden und der Nummerierung des HS zu folgen. Nach der genannten Bestimmung verpflichtet sich jede Vertragspartei außerdem, die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung des HS (im Folgenden: Allgemeine Vorschriften [HS]) und die Anmerkungen zu den Abschnitten, Kapiteln und Unterpositionen des HS anzuwenden und die Tragweite der Abschnitte, Kapitel und Unterpositionen nicht zu ändern.

5

Der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens – jetzt Weltzollorganisation (WZO) –, der durch das am 15. Dezember 1950 in Brüssel unterzeichnete internationale Abkommen über seine Gründung errichtet wurde, genehmigt nach Maßgabe von Art. 8 des HS-Übereinkommens die Erläuterungen, die der in Art. 6 des Übereinkommens geregelte Ausschuss für das HS ausgearbeitet hat (im Folgenden: HS-Erläuterungen).

6

In der Erläuterung zur Allgemeinen Vorschrift 3 (HS) heißt es:

„...

Allgemeine Vorschrift 3 a

...

IV)

Es ist nicht möglich, starre Grundsätze festzulegen, nach denen bestimmt werden kann, ob eine Position die Waren genauer bezeichnet als eine andere; ganz allgemein kann jedoch gesagt werden:

a)

Eine namentliche Bezeichnung ist genauer als eine Gattungsbezeichnung (z. B. gehören elektrische Rasierapparate und Haarschneide- und ‑schermaschinen mit eingebautem Elektromotor zu Pos. 8510 und nicht zu Pos. 8467 als von Hand zu führende Werkzeuge mit eingebautem Elektromotor oder zu Pos. 8509 als elektromechanische Haushaltsgeräte mit eingebautem Elektromotor).

b)

Genauer ist die Warenbezeichnung, die die Waren deutlicher und vollständiger beschreibt.

Beispiele hierfür sind:

1)

Nadelflorteppiche aus Spinnstoffen, erkennbar für den Gebrauch in Kraftfahrzeugen bestimmt, gehören nicht als Kraftfahrzeugzubehör zu Pos. 8708, sondern zu Pos. 5703, weil sie dort als Teppiche genauer bezeichnet sind.

2)

Nicht gerahmtes, vorgespanntes Einschichten-Sicherheitsglas oder Mehrschichten-Sicherheitsglas (Verbundglas), geformt und erkennbar zur Verwendung für Flugzeuge bestimmt, gehört nicht zu Pos. 8803 als Teil von Luftfahrzeugen der Pos. 8801 oder 8802, sondern zu Pos. 7007, weil es dort als Sicherheitsglas genauer bezeichnet ist.

V)

Zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder nur auf einen Teil der Artikel einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht, sind im Hinblick auf diese Ware oder diesen Artikel als gleich genau zu betrachten, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält als die anderen. In solchen Fällen werden die Waren nach der Allgemeinen Vorschrift 3 b oder 3 c eingereiht.

Allgemeine Vorschrift 3 b

VI)

Diese zweite Einreihungsmethode gilt für:

1)

Gemische;

2)

aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzte Waren;

3)

aus verschiedenen Bestandteilen zusammengesetzte Waren;

4)

Warenzusammenstellungen in Aufmachungen für den Einzelverkauf.

Sie wird nur angewendet, wenn die Allgemeine Vorschrift 3 a zu keinem Ergebnis geführt hat.

VII)

Kann in diesen Fällen ein Stoff oder Bestandteil ermittelt werden, der den Charakter der Ware bestimmt, ist die Ware so einzureihen, als bestände sie aus diesem Stoff oder Bestandteil.

VIII)

Das Merkmal, das den Charakter einer Ware bestimmt, ist je nach Art der Ware verschieden. Es kann sich z. B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung des Stoffes in Bezug auf die Verwendung der Ware ergeben.

...“

Unionsrecht

Verordnung (EWG) Nr. 2658/87

7

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 861/2010 der Kommission vom 5. Oktober 2010 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: KN) enthält in ihrem Teil I Titel I Abschnitt A eine Reihe allgemeiner Vorschriften für ihre Auslegung (im Folgenden: Allgemeine Vorschriften [KN]). In Abschnitt A heißt es:

„Für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur gelten folgende Grundsätze:

1.

Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

...

3.

Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2 b) oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird wie folgt verfahren:

a)

Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder nur auf einen oder mehrere Bestandteile einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht, werden im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.

b)

Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a) nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

c)

Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3 a) und 3 b) nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur der zuletzt genannten Position zugewiesen.

...

6.

Maßgebend für die Einreihung von Waren in die Unterpositionen einer Position sind der Wortlaut dieser Unterpositionen, die Anmerkungen zu den Unterpositionen und – sinngemäß – die vorstehenden Allgemeinen Vorschriften. Einander vergleichbar sind dabei nur Unterpositionen der gleichen Gliederungsstufe. Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten bei Anwendung dieser Allgemeinen Vorschrift auch die Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln.“

8

In Teil II („Zolltarif“) der KN betrifft Kapitel 85 „Elektrische Maschinen, Apparate, Geräte und andere elektrotechnische Waren, Teile davon; Tonaufnahme- oder Tonwiedergabegeräte, Bild- und Tonaufzeichnungs- oder ‑Wiedergabegeräte, für das Fernsehen, Teile und Zubehör für diese Geräte“. In diesem Kapitel ist die Position 8525 enthalten, die lautet:

„Sendegeräte für den Rundfunk oder das Fernsehen, auch mit eingebautem Empfangsgerät oder Tonaufnahme oder Tonwiedergabegerät; Fernsehkameras, digitale Fotoapparate und Videokameraaufnahmegeräte“.

9

In der Mitteilung der Europäischen Kommission über die Erläuterungen zur KN (2011/C 137/01) heißt es, dass hierzu auch Wärmebildkameras mit Infrarot-Bildaufnehmern gehören, die Wärmestrahlung aufnehmen und sie in Bilder, die die Temperaturen einzelner Flächen oder Objekte als unterschiedliche Grautöne oder Farben darstellen, umwandeln, die aber keine Temperaturen messen oder die Messwerte als Zahlen ausgeben können.

10

Kapitel 90 („Optische, fotografische oder kinematografische Instrumente, Apparate und Geräte; Mess-, Prüf- oder Präzisionsinstrumente, ‑apparate und ‑geräte; medizinische und chirurgische Instrumente, Apparate und Geräte; Teile und Zubehör für diese Instrumente, Apparate und Geräte“) der KN enthält u. a. die Positionen 9025 und 9027.

11

Anmerkung 3 zu Kapitel 90 stellt klar, dass die Bestimmungen der Anmerkungen 3 und 4 zu Abschnitt XVI auch für dieses Kapitel gelten. Anmerkung 3 zu Abschnitt XVI lautet:

„Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind kombinierte Maschinen aus zwei oder mehr Maschinen verschiedener Art, die zusammen arbeiten sollen und ein Ganzes bilden, sowie Maschinen, die ihrer Beschaffenheit nach dazu bestimmt sind, zwei oder mehrere verschiedene, sich abwechselnde oder ergänzende Tätigkeiten (Funktionen) auszuführen, nach der das Ganze kennzeichnenden Haupttätigkeit (Hauptfunktion) einzureihen.“

12

Die KN-Position 9025 hat folgenden Wortlaut und folgende Gliederung:

„9025Dichtemesser (Aräometer, Senkwaagen) und ähnliche schwimmende Instrumente, Thermometer, Pyrometer, Barometer, Hygrometer und Psychrometer, auch mit Registriervorrichtung, auch miteinander kombiniert? Thermometer und Pyrometer, nicht mit anderen Instrumenten kombiniert9025 11? ? unmittelbar ablesbar, flüssigkeitsgefüllt...9025 19? ? andere9025 19 20? ? ? elektronische9025 19 80? ? ? andere......“

13

Die KN-Position 9027 hat in der französischen Sprachfassung folgenden Wortlaut und folgende Gliederung:

„9027

Instruments et appareils pour analyses physiques ou chimiques (polarimètres, réfractomètres, spectromètres, analyseurs de gaz ou de fumées, par exemple); instruments et appareils pour essais de viscosité, de porosité, de dilatation, de tension superficielle ou similaires ou pour mesures calorimétriques, acoustiques ou photométriques (y compris les indicateurs de temps de pose); microtomes:

[Instrumente, Apparate und Geräte für physikalische oder chemische Untersuchungen (z. B. Polarimeter, Refraktometer, Spektrometer und Untersuchungsgeräte für Gase oder Rauch); Instrumente, Apparate und Geräte zum Bestimmen der Viskosität, Porosität, Dilatation, Oberflächenspannung oder dergleichen oder für kalorimetrische, akustische oder fotometrische Messungen (einschließlich Belichtungsmesser); Mikrotome]

...

 

9027 30 00

? Spectromètres, spectrophotomètres et spectrographes utilisant les rayonnements optiques (UV, visibles, IR)

[Spektrometer, Spektrofotometer und Spektrografen, die optische Strahlen (UV-Strahlen, sichtbares Licht, Infrarotstrahlen) verwenden]

9027 50 00

? autres instruments et appareils utilisant les rayonnements optiques (UV, visibles, IR)

[andere Instrumente, Apparate und Geräte, die optische Strahlen (UV-Strahlen, sichtbares Licht, Infrarotstrahlen) verwenden]

...

...“

14

Der Ausdruck „instruments or apparatus for measuring or checking of quantities of heat“ in der englischen Sprachfassung dieser Position entspricht dem Ausdruck „instruments et appareils ... pour mesures calorimétriques [Instrumente, Apparate und Geräte … für kalorimetrische Messungen]“ in ihrer französischen Sprachfassung.

15

In der Erläuterung des HS zur Position 9027 heißt es, dass u. a. „Dichtemesser, Aräometer, Thermometer, Hygrometer und ähnliche Instrumente der Pos. 9025, auch zu Laborzwecken“, nicht zur Position 9027 gehören.

16

Auf die zolltarifliche Unterposition 9025 19 20 ist ein Einfuhrzollsatz von 3,2 % anzuwenden, wohingegen die Geräte, die zur Unterposition 9027 50 00 gehören, zollfrei sind.

Verordnung Nr. 314/2011

17

Die Verordnung Nr. 314/2011 trat am 21. April 2011 in Kraft. Darin werden Infrarot-Wärmebildkameras als Thermometer in den KN-Code 9025 19 20 eingereiht.

18

Die betreffenden Geräte werden im Anhang der genannten Verordnung wie folgt beschrieben:

„Ein Gerät (eine so genannte ‚Infrarot-Wärmebildkamera‘) zur Aufnahme von Infrarotstrahlungsbildern mit Hilfe eines Mikrobolometers und zur Anzeige dieser Bilder in unterschiedlichen Farben, die unterschiedlichen Temperaturen entsprechen, mit den Abmessungen von etwa 26 × 8 × 11 cm.

Das Gerät besteht aus:

einer abnehmbaren Linse,

einem Mikrobolometer mit einer Auflösung von 160 × 120 Pixel, zur Messung von Temperaturen im Bereich von – 20 °C bis 250 °C,

einer Farb-Flüssigkristall-Anzeige (LCD) mit einer Auflösung von 320 × 240 Pixel und einer Bildschirmdiagonale von etwa 7 cm (2,5 Zoll) und

einem Speicher mit einer Kapazität von bis zu 200 Bildern im JPEG-Format.

Das als thermischer Detektor in der Kamera verwendete Mikrobolometer liefert 19200 Pixel pro Bild, wobei jedes Pixel das Ergebnis einer Temperaturmessung darstellt.

Das Bild wird in unterschiedlichen Farben, die die Ergebnisse verschiedener Temperaturmessungen darstellen, zusammen mit einer vertikalen Skala angezeigt, die die höchste und niedrigste Temperatur des gewählten Temperaturbereichs sowie die entsprechende Farbskala angibt.

Das Gerät kann auch die Temperatur an einem bestimmten Punkt messen und das Ergebnis auf einer Temperaturskala anzeigen.

Das Gerät wird für vorbeugende Wartungsarbeiten zum Aufspüren von Bau- oder Isolierungsschäden sowie von Wärmelecks verwendet.“

19

Im genannten Anhang wird die Einreihung der betreffenden Geräte in den KN-Code 9025 19 20 wie folgt begründet:

„Einreihung gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 [KN] … sowie nach dem Wortlaut der KN-Codes 9025, 9025 19 und 9025 19 20.

Da das Gerät Temperaturmessungen vornehmen und die Messwerte in Zahlen angeben kann, was einer unter der Pos. 9025 aufgeführten Funktion entspricht, kann es nicht als Kamera in die Pos. 8525 eingereiht werden (siehe auch die Erläuterungen zum Harmonisierten System [HS] zu Pos. 8525).

Das Gerät ist nicht für kalorimetrische Messungen vorgesehen, sondern soll die Stärke der Infrarotstrahlung ermitteln (Temperaturmessung), weshalb die Einreihung in die Pos. 9027 ausgeschlossen ist.

Aufgrund seiner Merkmale ist das Gerät daher in den KN-Code 9025 19 20 als Thermometer einzureihen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

20

Raytek und Fluke führen Infrarot-Wärmebildkameras in das Vereinigte Königreich ein.

21

Zu den Eigenschaften dieser Kameras führt das vorlegende Gericht aus, dass die Kameras insbesondere aus einer Kameralinse bestünden, die die Infrarotstrahlungsenergie des Messobjekts empfange und diese auf einen Infrarot-Detektor bündele. Die Infrarotstrahlung bewirke eine messbare Reaktion beim Detektor, die in der Folge in der Wärmebildkamera elektronisch verarbeitet werde, um ein Thermogramm (Infrarotbild) zu erzeugen, auf dem die unterschiedlichen Farbtöne der Verteilung der Infrarotstrahlung auf der Oberfläche des Messobjekts entsprächen. Durch Bedienungsmechanismen, die Variablen wie den Temperaturbereich, den Wärmemessbereich und ‑grad, Farbpaletten und die Verschmelzung von sichtbaren und Infrarotbildern regelten, könnten elektronische Einstellungen zur Verfeinerung des auf dem Bildschirm angezeigten Wärmebilds vorgenommen werden.

22

Zur Verwendung der genannten Kameras gibt das vorlegende Gericht an, dass sie im Wesentlichen zur Ermittlung und Lokalisierung defekter elektrischer Kontakte, durch elektrische Überladung verursachter übermäßiger Erhitzung oder von Baumängeln, Isolierungsschäden und Luft- oder Wasserlecks bestimmt seien.

23

Nach der Veröffentlichung der Verordnung Nr. 314/2011 teilten die Commissioners Raytek und Fluke mit Schreiben vom 14. April 2011 mit, dass die ihnen zuvor erteilten verbindlichen Zolltarifauskünfte über die zolltarifliche Einreihung der von ihnen eingeführten Geräte in die Position 9027 hinfällig seien.

24

Raytek und Fluke erhoben Klagen gegen die in diesen Schreiben enthaltenen Entscheidungen, in deren Rahmen sie die Gültigkeit der Verordnung Nr. 314/2011 im Hinblick auf die tatsächliche Tragweite der Tarifpositionen 9025 19 20 und 9027 50 00 bestreiten.

25

In diesem Zusammenhang hat das First-tier Tribunal (Tax Chamber) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die Verordnung Nr. 314/2011 gültig, soweit darin Infrarot-Wärmebildkameras in die KN-Position 9025 19 20 eingereiht werden?

Verfahren vor dem Gerichtshof

26

Mit Entscheidung vom 14. Januar 2014 hat der Gerichtshof die vorliegende Rechtssache der Zehnten Kammer zugewiesen, beschlossen, ohne Schlussanträge des Generalanwalts über die Rechtssache zu entscheiden, und die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung geladen, die am 6. März 2014 stattgefunden hat und im Anschluss an die das mündliche Verfahren geschlossen worden ist.

27

Die Zehnte Kammer hat am 2. Oktober 2014 beschlossen, die vorliegende Rechtssache an den Gerichtshof zu verweisen, damit sie nach Art. 60 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem größeren Spruchkörper zugewiesen wird. Daraufhin hat der Gerichtshof beschlossen, die vorliegende Rechtssache der Fünften Kammer zuzuweisen.

28

Mit Beschluss vom 4. November 2014 hat der Gerichtshof die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens und die Ladung der Parteien zu einer erneuten mündlichen Verhandlung angeordnet, die am 26. November 2014 stattgefunden hat.

Zur Vorlagefrage

29

Zur Beantwortung der Vorlagefrage ist festzustellen, dass der Rat der Europäischen Union der Kommission, die mit den Zollsachverständigen der Mitgliedstaaten zusammenarbeitet, bezüglich der Anwendung der KN ein weites Ermessen bei der näheren Bestimmung des Inhalts der Tarifpositionen eingeräumt hat, die für die Einreihung einer bestimmten Ware in Frage kommen. Ihre Befugnis zum Erlass von Maßnahmen gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2658/87, wie etwa die Einreihung von Waren, gibt der Kommission jedoch nicht das Recht, den Inhalt der Tarifpositionen zu ändern, die auf der Grundlage des durch das HS-Übereinkommen eingeführten HS geschaffen wurden, denn die Europäische Union hat sich nach Art. 3 dieses Übereinkommens verpflichtet, die Tragweite dieser Tarifpositionen nicht zu verändern (vgl. in diesem Sinne Urteile Frankreich/Kommission, C‑267/94, EU:C:1995:453, Rn. 19 und 20, Kawasaki Motors Europe, C‑15/05, EU:C:2006:259, Rn. 35, sowie Dinter und Europol Frost-Food, C‑522/07 und C‑65/08, EU:C:2009:663, Rn. 32).

30

Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob die Kommission durch die Einreihung der in Spalte 1 des Anhangs der Verordnung Nr. 314/2011 beschriebenen Waren in die KN-Position 9025 19 anstelle der Position 9027 50 den Inhalt dieser beiden Tarifpositionen verändert hat.

31

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (Urteile Kawasaki Motors Europe, EU:C:2006:259, Rn. 38, Dinter und Europol Frost-Food, EU:C:2009:663, Rn. 29, und Premis Medical, C‑273/09, EU:C:2010:809, Rn. 42).

32

Die Ware, auf die sich die Verordnung Nr. 314/2011 bezieht, ist nach der Beschreibung in Spalte 1 ihres Anhangs ein „Gerät (eine so genannte ‚Infrarot-Wärmebildkamera‘) zur Aufnahme von Infrarotstrahlungsbildern mit Hilfe eines Mikrobolometers und zur Anzeige dieser Bilder in unterschiedlichen Farben, die unterschiedlichen Temperaturen entsprechen“. Diese Bilder werden mit Hilfe eines Mikrobolometers „zur Messung von Temperaturen im Bereich von – 20 °C bis 250 °C“ aufgenommen, „wobei jedes Pixel [des erzeugten Bildes] das Ergebnis einer Temperaturmessung darstellt“ und „[d]as Bild ... in unterschiedlichen Farben, die die Ergebnisse verschiedener Temperaturmessungen darstellen, zusammen mit einer vertikalen Skala angezeigt [wird], die ... die entsprechende Farbskala angibt“. Schließlich kann das „Gerät ... auch die Temperatur an einem bestimmten Punkt messen und das Ergebnis auf einer Temperaturskala anzeigen“.

33

Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass die von der Verordnung Nr. 314/2011 erfassten Geräte die Infrarotstrahlung des Messobjekts empfangen und daraus ein Bild des Messobjekts erzeugen, dessen Farben Temperaturen darstellen, die aus der empfangenen Infrarotstrahlung abgeleitet werden. Die Geräte können auch die Temperatur an einem bestimmten Punkt des Messobjekts messen, wobei diese Messung ebenfalls aus der empfangenen Infrarotstrahlung abgeleitet wird.

34

Aufgrund dieser Beschreibung konnte die Kommission entsprechend der Begründung in Spalte 3 des Anhangs davon ausgehen, dass das genannte Gerät, da es „Temperaturmessungen vornehmen und die Messwerte in Zahlen angeben kann, was einer unter der Pos. 9025 aufgeführten Funktion entspricht“, und da es „nicht für kalorimetrische Messungen vorgesehen [ist], sondern ... die Stärke der Infrarotstrahlung ermitteln [soll] (Temperaturmessung)“, „in den KN-Code 9025 19 20 als Thermometer einzureihen“ ist, wobei diese Unterposition für elektronische, nicht mit anderen Instrumenten der Position kombinierte Thermometer und Pyrometer steht.

35

Zur Position 9027 der KN, die die Kommission nach Auffassung der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens für die fragliche zollrechtliche Einreihung hätte wählen müssen, ist festzustellen, dass sie u. a. „Instrumente, Apparate und Geräte für physikalische ... Untersuchungen“ erfasst, wobei die Unterposition 9027 50 00 für „Instrumente, Apparate und Geräte, die optische Strahlen ([u. a.] UV‑Strahlen …) verwenden“, gilt. Die objektiven Merkmale und Eigenschaften der im Anhang der Verordnung Nr. 314/2011 beschriebenen Geräte erlauben es jedoch nicht, sie in diese Position einzuordnen. Diese Geräte zeigen nämlich das Ergebnis einer Temperaturmessung an, ohne eine weitere, über eine solche Messung hinausgehende physikalische Untersuchung vorzunehmen; diese speziellere Eigenschaft ist aber schon durch die Position 9025 der KN abgedeckt, die somit nach der Allgemeinen Vorschrift 3 a (KN) zu wählen ist.

36

Untermauert wird die Einreihung der genannten Geräte in die Position 9025 überdies durch die HS-Erläuterungen zur Position 9027, nach denen von dieser Position insbesondere „Dichtemesser, Aräometer, Thermometer, Hygrometer und ähnliche Instrumente der Pos. 9025“ ausgeschlossen sind.

37

Daraus folgt, dass die Kommission durch die Einreihung der im Anhang der Verordnung Nr. 314/2011 beschriebenen Waren in die KN‑Unterposition 9025 19 20 den Inhalt der Tarifpositionen 9025 19 und 9027 50 nicht verändert hat. Die Prüfung dieser Verordnung lässt daher nicht den Schluss auf ihre Ungültigkeit zu.

38

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist jedoch festzustellen, dass es angesichts der in der Vorlageentscheidung enthaltenen und in Rn. 21 des vorliegenden Urteils erwähnten Beschreibung der im Ausgangsverfahren fraglichen Geräte Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Geräte nicht unbedingt den von der Verordnung Nr. 314/2011 erfassten Geräten entsprechen.

39

Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob die von Raytek und Fluke eingeführten Infrarot-Wärmebildkameras den in der Verordnung Nr. 314/2011 beschriebenen Geräten entsprechen und ob insbesondere der Empfang und die Messung der Infrarotstrahlung auf der Oberfläche eines Messobjekts sowie die Anzeige eines die Verteilung der Infrarotstrahlung repräsentierenden Bildes eine Funktion im Sinne der KN-Position 9027 darstellen können, die optische Strahlen (u. a. UV‑Strahlen) verwendet und über eine bloße Temperaturmessung hinausgeht.

40

Wie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens eingeräumt haben, wäre in diesem Fall auch zu berücksichtigen, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Geräte als weitere Funktion die Temperaturmessung haben können und somit als Thermometer verwendet werden können.

41

Daher wären diese Geräte gemäß Anmerkung 3 zum Abschnitt XVI der KN – die nach der Allgemeinen Vorschrift 1 (KN) eine zwingende Vorschrift für die Einreihung der Waren bildet – als Maschinen, die nach ihrer Bauart zwei oder mehrere verschiedene, sich abwechselnde oder ergänzende Funktionen ausführen können, nach der das Ganze kennzeichnenden Hauptfunktion einzureihen.

42

Somit ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass ihre Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Verordnung Nr. 314/2011 berühren könnte.

Kosten

43

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Verordnung (EU) Nr. 314/2011 der Kommission vom 30. März 2011 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur berühren könnte.

 

Unterschriften


( *1 )   Verfahrenssprache: Englisch.