SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 3. März 2015 ( 1 )

Verbundene Rechtssachen C‑544/13 und C‑545/13

Abcur AB

gegen

Apoteket Farmaci AB (C‑544/13),

Apoteket AB und Farmaci AB (C‑545/13)

(Vorabentscheidungsersuchen des Stockholms tingsrätt [Schweden])

„Richtlinie 2001/83/EG — Art. 3 Abs. 1 und 2 — Humanarzneimittel — Begriffe ‚Apotheke‘ und ‚Werbung‘ — Anwendungsbereich der Richtlinien 2005/29/EG und 2006/114/EG“

I – Einleitung

1.

Die Apoteket AB (im Folgenden: Apoteket), ein staatliches Unternehmen, das bis Juli 2009 das Monopol für den Einzelhandel mit Arzneimitteln in Schweden besaß, produziert und vertreibt zwei Mittel, ohne dass ihr hierfür eine Genehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 ( 2 ) erteilt wurde. Die Abcur AB (im Folgenden: Abcur), ein Unternehmen, das zwei diesen Mitteln vergleichbare Mittel produziert und vertreibt und dem eine Genehmigung nach der Verordnung Nr. 726/2004 erteilt wurde, verklagt Apoteket auf Schadensersatz. Abcur rügt sowohl die Tatsache, dass Apoteket die Mittel ohne Genehmigung herstellt, als auch die Maßnahmen, mit denen Apoteket die Mittel anbietet. In der vorliegenden Rechtssache geht es darum, ob die fraglichen Arzneimittel unter die Richtlinie 2001/83/EG ( 3 ) fallen, ob die Richtlinien 2005/29/EG ( 4 ) und 2006/114/EG ( 5 ) anwendbar sind und ob, sollte dies der Fall sein, einige ihrer materiell-rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Richtlinie 2001/83

2.

Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.“

3.

Art. 3 der Richtlinie 2001/83 lautet wie folgt:

„Diese Richtlinie gilt nicht für:

1.

Arzneimittel, die in einer Apotheke nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden (sog. formula magistralis);

2.

In der Apotheke nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitete Arzneimittel, die für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sind, die Kunden dieser Apotheke sind (sog. formula officinalis);

…“

4.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 in geänderter Fassung bestimmt:

„Ein Mitgliedstaat kann gemäß den geltenden Rechtsbestimmungen in besonderen Bedarfsfällen Arzneimittel von den Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie ausnehmen, die auf eine nach Treu und Glauben aufgegebene Bestellung, für die nicht geworben wurde, geliefert werden und die nach den Angaben eines zugelassenen Angehörigen der Gesundheitsberufe hergestellt werden und zur Verabreichung an einen bestimmten Patienten unter seiner unmittelbaren persönlichen Verantwortung bestimmt sind.“

5.

Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 lautet:

„Die Mitgliedstaaten untersagen die Werbung für ein Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erteilt worden ist.“

B – Richtlinie 2005/29

6.

Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 definiert „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“.

7.

Nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29 gilt Folgendes:

„Kollidieren die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend.“

C – Richtlinie 2006/114

8.

Nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/114 bedeutet „‚Werbung‘ jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“.

III – Sachverhalt und Verfahren

9.

Abcur ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das die Arzneimittel Metadon DnE und Noradrenalin Abcur herstellt und vertreibt.

10.

Apoteket ist eine dem schwedischen Staat gehörende Gesellschaft. Bis zum 1. Juli 2009 besaß sie das Monopol für den Einzelhandel mit Arzneimitteln in Schweden. Vor diesem Datum vertrieb sie Metadon APL und Noradrenalin APL.

11.

Apoteket Farmaci ist eine Tochtergesellschaft von Apoteket und für die Arzneimittelversorgung der Landsting (Verwaltungseinheiten der kommunalen Selbstverwaltung), der Gemeinden und privaten Unternehmen sowie öffentlicher und privater Gesundheitsdienste zuständig. Außerdem betreibt Apoteket Farmaci rund 70 Krankenhausapotheken.

12.

Noradrenalin Abcur 1 mg/ml ist seit dem 3. Juli 2009 als Arzneimittel zugelassen. Es wird seit Oktober/November 2009 vertrieben. Das Mittel wird ausschließlich in Verpackungen von 10x4 ml-Packungen verkauft. Es enthält die Infusionslösung Noradrenalin, eine Arzneizubereitung, die hauptsächlich zur Behandlung eines akut niedrigen Blutdrucks in der Notfall- und Intensivmedizin angewandt wird. Noradrenalin ist ein sogenanntes Krankenhausarzneimittel. Krankenhausarzneimittel sind nicht auf Verschreibung für einen bestimmten Patienten erhältlich. Sie werden von den Unternehmen und öffentlichen Stellen gekauft oder bestellt, die für die betreffende Einrichtung der Gesundheitsversorgung verantwortlich sind. Für die Abgabe von Noradrenalin ist eine Verschreibung eines in einer solchen Einrichtung tätigen Arztes erforderlich.

13.

Vor dem 3. Juli 2009 gab es kein für das Inverkehrbringen genehmigtes schwedisches Noradrenalin-Arzneimittel. Vor diesem Zeitpunkt wurde der Bedarf in Schweden durch Noradrenalin APL gedeckt, das von Apotek Produktion och Laboratorier AB (im Folgenden: APL), einer 100%igen Tochtergesellschaft der Apoteket AB, hergestellt wurde. Das Mittel wurde von den Einrichtungen der Gesundheitsversorgung bei Apoteket Farmaci für einen im Voraus bekannten und relativ baldigen Bedarf bestellt.

14.

Metadon DnE ist ein Arzneimittelpräparat zur Behandlung von Opiatabhängigen. Es gehört zu den als Betäubungsmittel eingestuften Präparaten und darf nur von Ärzten verschrieben werden, die eine besondere Zulassung für die Verschreibung von Betäubungsmitteln besitzen. Bis zur Genehmigung von Metadon DnE am 10. August 2007 gab es in Schweden kein genehmigtes Methadon-Arzneimittel, und der Bedarf in Schweden wurde ausschließlich durch das in Schweden zwischen 2000 und 2011 von den Apoteket-Gesellschaften vertriebene Metadon APL gedeckt. Metadon DnE und Metadon APL enthalten denselben Wirkstoff, haben dieselbe Stärke, dieselbe Darreichungsform, werden beide in Flaschen abgegeben und auf dieselbe Weise angewandt. Metadon DnE und Metadon APL unterscheiden sich hinsichtlich des Zucker- und Alkoholgehalts sowie des Geschmacks.

15.

Abcur erhob Klage gegen Apoteket Farmaci und macht geltend, Letztere habe dadurch gegen schwedisches Recht verstoßen, dass sie vom 30. Oktober 2009 bis 30. Juni 2010 für Noradrenalin APL (Rechtssache C‑544/13) und vom 15. November 2006 bis 30. Juni 2010 für Metadon APL (Rechtssache C‑545/13) geworben habe. Bei Noradrenalin APL und bei Metadon APL handele es sich um Arzneimittel, auf die die Richtlinie 2001/83 (insbesondere deren Art. 87) anwendbar sei. Ferner verlangt Abcur Schadensersatz.

16.

Mit Entscheidungen vom 11. Oktober 2013, bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 21. Oktober 2013, beschloss das Stockholms tingsrätt die Verfahren in beiden Rechtssachen auszusetzen und dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

IV – Vorlagefragen

A – Rechtssache C‑544/13

17.

In der Rechtssache C‑544/13 legte der Stockholms tingsrätt dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1.

Kann ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel, das ausschließlich in der Notfallmedizin angewendet wird, für dessen Inverkehrbringen keine Genehmigung von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats oder gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 ( 6 ) erteilt wurde, das von einem Unternehmen wie dem im Rechtsstreit vor dem Stockholms tingsrätt Betroffenen zubereitet und vom Gesundheitsdienst unter den in diesem Verfahren vor dem Stockholms tingsrätt beschriebenen Voraussetzungen bestellt wird, unter eine der in Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel vorgesehenen Ausnahmen fallen, insbesondere wenn es ein anderes genehmigtes Arzneimittel mit demselben Wirkstoff, in derselben Dosierung und in derselben Darreichungsform gibt?

2.

Sind, wenn ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel wie das in der ersten Frage beschriebene unter Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fällt, die Vorschriften über Arzneimittelwerbung als nicht harmonisiert anzusehen, oder unterliegen Maßnahmen wie die, die im vorliegenden Verfahren angeblich Werbemaßnahmen darstellen, der Richtlinie 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung?

3.

Unter welchen grundsätzlichen Voraussetzungen sind, wenn die zweite Frage dahin zu beantworten ist, dass die Richtlinie 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung anwendbar ist, die vom Stockholms tingsrätt zu untersuchenden Maßnahmen (Benutzung eines Produktnamens, einer Warennummer und des Anatomic Therapeutic Chemical-Code für das Arzneimittel, Anwendung eines Festpreises für das Arzneimittel, Erteilung von Informationen über das Arzneimittel im Nationella Produktregistret för Läkemedel NPL [Nationales Produktverzeichnis für Arzneimittel, im Folgenden: NPL], Anbringen der NPL‑Identitätsnummer auf dem Arzneimittel, Verbreitung eines Informationsblattes über das Arzneimittel, Abgabe des Arzneimittels durch einen elektronischen Bestelldienst für den Gesundheitsdienst und Erteilung von Informationen über das Arzneimittel in einer von einer nationalen Branchenorganisation herausgegebenen Publikation) als Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114 anzusehen?

B – Rechtssache C‑545/13

18.

In der Rechtssache C‑545/13 legte der Stockholms tingsrätt dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1.

Kann ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel, das unter den in diesem Verfahren vor dem Stockholms tingsrätt bezeichneten Voraussetzungen zubereitet und abgegeben wird, für dessen Inverkehrbringen jedoch keine Genehmigung von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats oder gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 erteilt wurde, als Arzneimittel im Sinne des Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel angesehen werden, insbesondere wenn es ein anderes genehmigtes Arzneimittel mit demselben Wirkstoff, in derselben Dosierung und in derselben Darreichungsform gibt?

2.

Kann, wenn ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel, das unter den in diesem Verfahren vor dem Stockholms tingsrätt beschriebenen Voraussetzungen zubereitet und abgegeben wird, unter die Richtlinie 2001/83 fällt, die Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern neben der Richtlinie 2001/83 auf die behaupteten Werbemaßnahmen angewendet werden?

3.

Sind, wenn ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel, das unter den in diesem vor dem Stockholms tingsrätt beschriebenen Voraussetzungen zubereitet und abgegeben wird, unter Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 fällt, die Vorschriften über Arzneimittelwerbung als nicht harmonisiert anzusehen, oder unterliegen Maßnahmen wie die, die im vorliegenden Verfahren angeblich Werbemaßnahmen darstellen, i) der Richtlinie 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung und/oder ii) der Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern?

4.

Unter welchen grundsätzlichen Voraussetzungen sind, wenn die dritte Frage dahin zu beantworten ist, dass die Richtlinie 2006/114 über irreführende und vergleichende Werbung anwendbar ist, die vom Stockholms tingsrätt zu untersuchenden Maßnahmen (Benutzung oder Anbringen eines Produktnamens, einer Warennummer und eines ATC‑Code für das Arzneimittel, Anwendung eines Festpreises für das Arzneimittel, Erteilung von Informationen über das Arzneimittel im NPL, Anbringen der NPL-Identifikationsnummer auf dem Arzneimittel, Verbreitung eines Informationsblatts über das Arzneimittel, Abgabe des Arzneimittels und Erteilung von Informationen darüber durch einen elektronischen Bestelldienst für den Gesundheitsdienst oder auf der eigenen Homepage, Erteilung von Informationen über das Arzneimittel in einer von einer nationalen Branchenorganisation herausgegebenen Publikation, im Zentralen Artikelverzeichnis von Apoteket und einem damit verbundenen Verzeichnis [JACA], in einer anderen nationalen Informationsdatenbank für Arzneimittel [SIL], über das Terminalsystem von Apoteket [ATS] oder entsprechende Liefersysteme, Erteilung von Informationen über das eigene Arzneimittel und das Arzneimittel eines konkurrierenden Lieferanten in der Korrespondenz mit einem ärztlichen Dienst und Patientenorganisationen, Inverkehrbringen des Arzneimittels, Maßnahmen zur pharmazeutischen Kontrolle des Arzneimittels und eines konkurrierenden Arzneimittels, keine Erteilung von Informationen über die nachgewiesenen wesentlichen Unterschiede zwischen den Produkten, über die Zusammensetzung des eigenen Arzneimittels und seine Beurteilung durch das Arzneimittelamt [Läkemedelverket], keine Unterrichtung des Gesundheitsdienstes über die Beurteilung des konkurrierenden Produkts durch den wissenschaftlichen Rat des Arzneimittelamts, Aufrechterhaltung eines bestimmten Preisniveaus für das Arzneimittel, Festlegung der Gültigkeitsdauer der Verschreibung auf drei Monate, Lieferung des Apothekenarzneimittels statt des konkurrierenden Arzneimittels, obwohl der Patient eine Verschreibung für das konkurrierende Arzneimittel besitzt, Be- und Verhinderung des Übergangs von standardisierten Zubereitungen auf konkurrierende Arzneimittel einschließlich der Weigerung der örtlichen Apotheke, das konkurrierende Arzneimittel zu liefern, und Anwendung eines Festpreises im Rahmen der Arzneimittelvergünstigungen ohne vorherigen Beschluss der nationalen Behörde) als Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114 anzusehen?

19.

Mit Beschluss vom 12. Dezember 2013 hat der Präsident des Gerichtshofs die beiden Rechtssachen miteinander verbunden.

20.

Die Beklagten der Ausgangsverfahren sowie die portugiesische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. In der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2014 haben die Parteien der Ausgangsverfahren, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission mündliche Ausführungen gemacht.

V – Rechtliche Würdigung

A – Zubereitung der fraglichen Mittel

21.

Die erste Frage in den Rechtssachen C‑544/13 und C‑545/13 befasst sich mit der Zubereitung der fraglichen Mittel. Diese Frage betrifft im Wesentlichen den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob ein verschreibungspflichtiges Humanarzneimittel, für dessen Inverkehrbringen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats oder gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 ( 7 ) keine Genehmigung erteilt wurde, unter eine der in Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Ausnahmen fällt, insbesondere, wenn es ein anderes genehmigtes Arzneimittel mit demselben Wirkstoff, in derselben Dosierung und in derselben Darreichungsform gibt.

22.

Es gibt weitere Aspekte, die für beide Rechtssachen kennzeichnend sind: das Fehlen einer vorherigen ärztlichen Verschreibung für Noradrenalin APL und Metadon APL sowie die Zubereitung von Metadon APL in einer anderen als der dieses Mittel ausgebenden Einrichtung.

1. Verhältnis zwischen den Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/83

23.

Die Frage bezieht sich zwar ausdrücklich auf Art. 3 der Richtlinie 2001/83, aber das vorlegende Gericht scheint sich über das Verhältnis zwischen den Art. 2 und 3 nicht im Klaren zu sein. Daher sollte zunächst geklärt werden, welche Voraussetzungen von Art. 2 erfüllt sein müssen, damit Art. 3 eingreifen kann.

24.

Das Verhältnis zwischen den Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/83 ist tatsächlich nicht so klar, wie es auf den ersten Blick scheint. Nach Art. 2 Abs. 1 gilt die Richtlinie für Humanarzneimittel, die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Art. 3 bestimmt, dass die Richtlinie für eine Reihe von Fällen nicht gilt. Für die vorliegenden Rechtssachen sind die ersten beiden dieser Fälle relevant, d. h. die Fälle von Arzneimitteln, die in einer Apotheke entweder nach der sogenannten formula magistralis oder nach der formula officinalis zubereitet werden.

25.

Hat Art. 2 der Richtlinie 2001/83 – wie von den Beklagten der Ausgangsverfahren vorgetragen – zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 verlassen wird, sobald das Zubereitungsverfahren eines Arzneimittels nicht gewerblich ist?

26.

Dieser Meinung bin ich nicht.

27.

Meines Erachtens lässt sich aus Art. 2 nicht schließen, dass alle nicht gewerblich hergestellten Mittel automatisch nicht unter die Richtlinie 2001/83 fallen. Andernfalls würde Art. 3 teilweise überflüssig, da seine Funktion bereits durch Art. 2 erfüllt wäre. Die Liste der in Art. 3 aufgelisteten Fälle ist heterogen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Manche der Fälle, auf die Bezug genommen wird, betreffen normalerweise eine nichtgewerbliche Zubereitung (z. B. Nrn. 1 und 2), wohingegen andere normalerweise eine gewerbliche Zubereitung betreffen (Nrn. 3, 4 und 5) ( 8 ). Was die Nrn. 1 und 2 angeht, enthält Art. 3 lediglich konkrete Erläuterungen zu Art. 2, indem spezifische Beispiele angeführt werden ( 9 ).

28.

In Bezug auf Art. 3 Nrn. 1 und 2 bin ich daher derselben Ansicht wie Generalanwältin Sharpston, die in der Rechtssache Novartis Pharma ausführt, dass in Art. 3 der Richtlinie 2001/83 diejenigen Arzneimittel beschrieben sind, die nicht so zubereitet werden, wie in Art. 2 beschrieben ( 10 ).

29.

Darüber hinaus sehe ich keinen Grund, weshalb mit der Unionsgesetzgebung beabsichtigt sein sollte, alle Arzneimittel vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen, die nicht gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung kein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt. Da das Hauptziel der Richtlinie im Schutz der öffentlichen Gesundheit besteht, sollte der Gerichtshof bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs der Richtlinie keine zu strengen Maßstäbe anlegen. Daher bin ich der Meinung, dass Art. 3 Nrn. 1 und 2 nähere Angaben zu Art. 2 enthält. Mit anderen Worten: So wie ich die Richtlinie auffasse, müssen in der vorliegenden Rechtssache die Voraussetzungen von Art. 3 erfüllt sein, damit die Richtlinie nicht anwendbar ist.

2. Auslegung von Art. 3 Nrn. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83

30.

Ich wende mich daher nun der Auslegung von Art. 3 Nrn. 1 und 2 und der Beurteilung des vom vorlegenden Gericht geschilderten Sachverhalts zu.

31.

Art. 3 Nr. 1 enthält die folgenden drei Voraussetzungen: Erstens muss es sich bei dem Mittel um ein Arzneimittel handeln, zweitens muss es in einer Apotheke zubereitet werden, und drittens muss es nach ärztlicher Verschreibung für einen bestimmten Patienten zubereitet werden. Diese Voraussetzungen ergeben sich eindeutig aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 1. Auch Art. 3 Nr. 2 enthält drei Voraussetzungen, die aus seinem Wortlaut herzuleiten sind: Die ersten beiden entsprechen den ersten beiden in Art. 3 Nr. 1. Zusätzlich muss das fragliche Arzneimittel nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereitet und für die unmittelbare Abgabe an die Patienten bestimmt sein, die Kunden dieser Apotheke sind. Der wesentliche Unterschied zwischen Art. 3 Nr. 1 und Art. 3 Nr. 2 besteht also darin, dass nach Nr. 2 keine ärztliche Verschreibung erforderlich ist ( 11 ).

32.

Ein Arzneimittel wird in Art. 1 Nr. 2 beschrieben als a) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung und zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Zweifellos handelt es sich bei den fraglichen Mitteln nach dieser Definition um Arzneimittel.

33.

Die Kriterien der Zubereitung in einer Apotheke und entweder der ärztlichen Verschreibung für einen bestimmten Patienten oder der unmittelbaren Abgabe eines nach Vorschrift einer Pharmakopöe zubereiteten Mittels an Patienten, die Kunden dieser Apotheke sind, scheinen problematischer zu sein. Ich werde sie nacheinander prüfen.

a) Begriff der „Apotheke“ in Art. 3 Nrn. 1 und 2

34.

Die Richtlinie 2001/83 definiert nicht, was eine Apotheke ist. Ebenso wenig enthalten meines Wissens andere Handlungen des Sekundärrechts der Union eine solche Definition.

35.

In der mündlichen Verhandlung kam die Frage auf, ob auf die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen ( 12 ) zurückgegriffen werden kann. Ich glaube nicht, dass dies möglich ist. Erstens befasst sich die Richtlinie, da sie Berufsqualifikationen und ‑ausbildungen betrifft, eher mit Apothekern als mit Apotheken. Zweitens wird darin noch nicht einmal versucht, zu definieren, was ein Apotheker ist ( 13 ). Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass weder die Richtlinie 2005/36 noch eine andere Maßnahme zur Durchführung der im Vertrag gewährleisteten Verkehrsfreiheiten Bedingungen für die Aufnahme der Tätigkeiten des Apothekers vorsieht, die den Kreis der Personen klarstellen würden, die zum Betrieb einer Apotheke berechtigt sind ( 14 ).

36.

Damit stellt sich die Frage nach dem Regelungsgehalt des Begriffs „Apotheke“ in Art. 3 der Richtlinie 2001/83: Ist der Begriff vom Gerichtshof autonom und daher logischerweise in der gesamten Europäischen Union einheitlich auszulegen, oder bezieht sich dieser Begriff einfach nur auf die Auffassung, die jeder einzelne Mitgliedstaat der Europäischen Union von einer „Apotheke“ hat?

37.

Nach Auffassung der Beklagten in den Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht nach nationalem Recht zu bestimmen, was unter einer Apotheke zu verstehen ist.

38.

Ich glaube nicht, dass die Dinge so einfach gelagert sind, wie sich die Beklagten der Ausgangsverfahren dies vielleicht wünschen.

39.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen die einheitliche Anwendung des Rechts der Europäischen Union und der Gleichheitsgrundsatz, dass die Begriffe einer Vorschrift des Rechts der Europäischen Union, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Europäischen Union autonom und einheitlich auszulegen sind ( 15 ), wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der betreffenden Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln ist ( 16 ). Anders verhält es sich jedoch, wenn der Unionsgesetzgeber seine Harmonisierungsbemühungen ausdrücklich beschränkt hat.

40.

In Bezug auf den Begriff „Apotheke“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 hat der Unionsgesetzgeber ausdrücklich anerkannt, dass die spezifischen Bedingungen für die Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit über den Einzelhandel nicht auf Unionsebene harmonisiert sind und dass die Mitgliedstaaten daher innerhalb der vom Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gesetzten Schranken Bedingungen für die Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit festlegen können ( 17 ). Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit einer Auslegung der Bestimmungen von Titel VII ( 18 ) der Richtlinie 2001/83 im Urteil Caronna ( 19 ) ausdrücklich auf diese Feststellung Bezug genommen. Weiter führte der Gerichtshof aus, dass sich folglich die Regelung, die für Personen gilt, die mit dem Einzelhandelsvertrieb von Arzneimitteln betraut sind, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheidet ( 20 ). In einem Vertragsverletzungsverfahren, in dem ein Mitgliedstaat von den grundlegenden Bestimmungen des Vertrags zur Niederlassungsfreiheit und zum freien Kapitalverkehr abweichen wollte, stellte der Gerichtshof außerdem fest, dass das Recht der Europäischen Union die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen wie der Apotheken unberührt lässt ( 21 ).

41.

Aus alledem ist zweierlei herzuleiten: Erstens ist der Begriff „Apotheke“ auf Unionsebene nicht abstrakt und umfassend harmonisiert, und zweitens hilft die eben angeführte Rechtsprechung bei der Auslegung des Begriffs „Apotheke“ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2001/83 nicht weiter.

42.

Obwohl die Richtlinie 2001/83 nicht abstrakt definiert, was eine Apotheke ist, hat meines Erachtens der Begriff „Apotheke“ in Art. 3 Nrn. 1 und 2 dennoch eine autonome und einheitliche Bedeutung für die Bestimmung der Stellen, die Arzneimittel entweder nach der sogenannten formula magistralis oder nach der sogenannten formula officinalis zubereiten dürfen. Wäre dies anders, hinge der Anwendungsbereich der gesamten Richtlinie von den unterschiedlichen Auslegungen in der Europäischen Union ab, und die einheitliche Anwendung der Richtlinie würde beeinträchtigt. Dies kann nicht die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen sein.

43.

Was Art. 3 Nrn. 1 und 2 betrifft, möchte ich den Gerichtshof in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen eine Apotheke als eine räumliche Einrichtung definiert hat, die berechtigt ist, Arzneimittel zu verkaufen, abzugeben, zu überwachen und (in kleinen Mengen) zuzubereiten. Die Abgabe kann unmittelbar an die Patienten (Apotheke mit Publikumsverkehr) oder an entsprechend „Befugte aus dem Gesundheitswesen“ (Apotheke mit Publikumsverkehr oder Krankenhausapotheke) erfolgen. Eine solche Definition scheint mir zwingend zu sein, da sie auf Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 beruht, die auf verschiedene Aufgaben einer Apotheke Bezug nehmen: Abgabe im Publikumsverkehr ( 22 ), Überprüfung der Echtheit von Arzneimitteln ( 23 ) und Zubereitung von Arzneimitteln ( 24 ). Die Kriterien für die Definition sind also in der Richtlinie selbst zu finden.

44.

Auch wenn vom nationalen Gericht zu bestimmen ist, ob es sich bei APL um eine Apotheke handelt, habe ich doch Zweifel, dass dies der Fall ist. Mir scheint APL eher eine einfache Produktionseinheit zu sein ( 25 ).

b) Begriff der „Verschreibung für einen bestimmten Patienten“ in Art. 3 Nr. 1

45.

Zur Auslegung von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 im Hinblick auf das Mittel Noradrenalin APL möchte das vorlegende Gericht wissen, wie der Umstand zu beurteilen ist, dass die Krankenhäuser Bestellungen aufgeben, bevor ein bestimmter Patient bekannt ist. Ebenso möchte das vorlegende Gericht in Bezug auf Metadon APL wissen, ob dieses Mittel nach Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 aufgrund einer Verschreibung, d. h. ohne dass in jedem Einzelfall eine Verschreibung für einen bestimmten Patienten vorliegt, abgegeben werden kann.

46.

Selbstverständlich erfolgt im eben beschriebenen Fall eine ärztliche Verschreibung für einen bestimmten Patienten im Sinne von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83, nachdem die fraglichen Mittel geliefert wurden. Im Hinblick auf das Mittel Noradrenalin APL könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass mit Rücksicht darauf, dass auf Arzneimittel, die Noradrenalin enthalten, normalerweise in Notfällen zurückgegriffen wird und folglich für diese Art von Mitteln eine ärztliche Verschreibung in aller Regel erst stattfindet, nachdem das Mittel an ein Krankenhaus geliefert wurde, Art. 3 Nr. 1 weit ausgelegt werden sollte, um einen solchen Fall zu erfassen.

47.

Hier ist allerdings Vorsicht geboten. Für mich ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 3 Nr. 1, dass der Patient bekannt sein muss, bevor die ärztliche Verschreibung ausgestellt wird. Art. 3 Nr. 1 sollte nicht noch weiter ausgelegt werden, selbst wenn eine solche Auslegung zur Folge hat, dass bestimmte Mittel wie Noradrenalin APL regelmäßig nicht unter Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 fallen.

48.

Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass ich den eigentlichen Zweck von Art. 3 Nr. 1 gerade darin sehe, dass jeder Einzelfall anders gelagert ist. Durch diese Bestimmung soll den Apotheken ermöglicht werden, für bestimmte Patienten in kleinem Rahmen Mittel herzustellen ( 26 ). Folglich scheint mir eine enge Auslegung des Wortlauts von Art. 3 Nr. 1 erforderlich, und ich sehe keine Möglichkeit für eine weite Auslegung dieser Vorschrift.

c) Begriff der unmittelbaren Abgabe in Art. 3 Nr. 2

49.

Wie ist in diesem Zusammenhang die Tatsache zu beurteilen, dass Metadon APL an einem mit dem Ausgabeort nicht identischen Ort zubereitet wird? Das vorlegende Gericht erwähnt diesen Umstand nur in Bezug auf die Auslegung von Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 und fragt, ob dadurch die Anwendung dieser Bestimmung ausgeschlossen ist.

50.

Die Kommission ist der Auffassung, dass die wesentlichen Phasen der Zubereitung eines Arzneimittels in einer Apotheke stattfinden müssen. Ein Labor als solches könne nicht als Apotheke angesehen werden, obschon es durchaus Teil einer Apotheke sein könne.

51.

Das Vereinigte Königreich trägt vor, Art. 3 Nrn. 1 und 2 verlange nur, dass die fraglichen Mittel durch einen Apotheker oder unter dessen Aufsicht zubereitet würden. Eine Voraussetzung dahin, dass die Zubereitung am selben Ort erfolgen müsse, an dem das Mittel auch an den Patienten ausgegeben werde, bestehe nicht. Seiner Meinung nach gibt es außerdem auch keinen Grund für eine solche Voraussetzung, da es sich oft anbiete und möglicherweise auch ungefährlicher und sicherer sei, Arzneimittel an einem anderen Ort als dem zuzubereiten, an dem sie an Patienten ausgegeben würden.

52.

Ich halte den Wortlaut von Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 für eindeutig: Das Arzneimittel soll unmittelbar an die Patienten ausgegeben werden, die Kunden dieser Apotheke sind. Wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass sowohl der Ort der Zubereitung als auch der der Abgabe sich in derselben Apotheke befinden, ist dieses Kriterium nicht erfüllt. Die bloße Anwesenheit eines Apothekers halte ich nicht für ausreichend ( 27 ). Eine flexiblere Lesart, und sei es nur aus Gründen der Praktikabilität, wie sie das Vereinigte Königreich in seinen schriftlichen Erklärungen vorzuschlagen scheint, kann daher nicht akzeptiert werden.

d) Existenz eines anderen genehmigten Arzneimittels mit demselben Wirkstoff, in derselben Dosierung und in derselben Darreichungsform

53.

Das vorlegende Gericht nimmt auf Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 Bezug. Es erinnert daran, dass ein Arzneimittel von den Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 nach deren Art. 5 ausgenommen werden kann, wenn es auf dem nationalen Markt kein zugelassenes Äquivalent gibt oder ein solches dort nicht verfügbar ist. Das vorlegende Gericht vermutet, dass eine ähnliche Beschränkung in Bezug auf die Ausnahmen in Art. 3 Nrn. 1 und 2 zur Anwendung kommen könnte.

54.

Diese Meinung teile ich nicht.

55.

Eine solche Vermutung kann nicht aus dem Wortlaut von Art. 3 Nrn. 1 und 2 hergeleitet werden. Außerdem weist das Vereinigte Königreich zutreffend darauf hin, dass die Ausnahme in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 einem Mitgliedstaat in besonderen Bedarfsfällen erlaubt, Arzneimittel von den Bestimmungen dieser Richtlinie auszunehmen. Diese Situation ist nicht typisch für Art. 3 Nrn. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83, die die Zubereitung von Arzneimitteln unabhängig davon zulassen, ob die Herstellung anderer entsprechender Mittel außerhalb von Apotheken zugelassen ist. Darüber hinaus kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wenn Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen, derselben Dosierung und derselben Darreichungsform wie die, deren Verschreibung der behandelnde Arzt für die Behandlung seiner Patienten für notwendig erachtet, bereits genehmigt und auf dem nationalen Markt verfügbar sind, von „besonderen Bedarfsfällen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83, die eine Ausnahme von dem Erfordernis einer Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie verlangen, keine Rede sein ( 28 ).

56.

Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage dahin zu beantworten, dass für die Anwendung von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83 der Zubereitung eines Arzneimittels in einer Apotheke in jedem Fall eine ärztliche Verschreibung für einen bestimmten Patienten vorausgehen muss. Ein Arzneimittel wird nicht im Sinne von Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 unmittelbar an einen Patienten abgegeben, wenn der Herstellungsort und der Abgabeort nicht Teil derselben Apotheke sind. Für die Anwendung von Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 kommt es nicht darauf an, ob es auf dem Markt ein anderes genehmigtes Mittel mit demselben Wirkstoff, in derselben Dosierung und in derselben Darreichungsform gibt.

B – Präsentation der fraglichen Mittel

57.

Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C‑545/13 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob im Hinblick auf die behaupteten Werbemaßnahmen die Richtlinie 2005/29 auch auf ein unter die Richtlinie 2001/83 fallendes Arzneimittel angewendet werden kann. Es stellt sich also die Frage, ob die Richtlinien 2001/83 und 2005/29 parallel anwendbar sind.

58.

Meines Erachtens können die beiden Richtlinien grundsätzlich parallel angewendet werden.

59.

Bei der Richtlinie 2005/29 handelt es sich um eine horizontale Richtlinie zur vollständigen Harmonisierung ( 29 ) der möglicherweise gegenläufigen Interessen des Binnenmarkts für Waren und Dienstleistungen und des Verbraucherschutzes ( 30 ). Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten in Bereichen, die unter die Richtlinie fallen, keine abweichenden nationalen Vorschriften erlassen dürfen ( 31 ).

60.

Zum Verhältnis mit anderen Vorschriften des Sekundärrechts der Europäischen Union bestimmt die Richtlinie 2005/29 in Art. 3 Abs. 3, dass sie die Rechtsvorschriften der Gemeinschaft ( 32 ) oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt lässt ( 33 ). Außerdem gehen nach Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie, wenn deren Bestimmungen mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft kollidieren, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausführt, wird durch diese Bestimmung ein Hierarchieverhältnis zwischen der Richtlinie und sektorspezifischen Bestimmungen des Unionsrechts betreffend den unlauteren Handel geschaffen ( 34 ).

61.

Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 7 Abs. 5 in Verbindung mit Anhang II der Richtlinie 2005/29, dass die beiden Richtlinien sich gegenseitig ergänzen: Nach diesen Bestimmungen gelten bei der Beurteilung der Frage, was als eine irreführende Unterlassung anzusehen ist, die im Recht der Europäischen Union festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing als wesentliche Informationen.

62.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Frage des vorlegenden Gerichts auf die Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 beschränkt ist und sich nicht auf die inhaltlichen Anforderungen der Richtlinie bezieht.

63.

Ich bin der Ansicht, dass das vorlegende Gericht dennoch die nachfolgenden Erwägungen in seine Beurteilung einbeziehen sollte ( 35 ).

64.

Die der Richtlinie 2005/29 zugrunde liegende Überlegung besteht darin, dass die Geschäftspraktiken von Händlern rechtmäßig sind, solange sie nicht nach dieser Richtlinie verboten sind ( 36 ).

65.

Der Anwendungsbereich der Richtlinie beschränkt sich auf Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern ( 37 ). Für die vorliegende Rechtssache bedeutet dies, dass nur hinsichtlich Informationen, die für den Verbraucher zugänglich sind, davon ausgegangen werden kann, dass sie unter die Richtlinie fallen. Somit fallen alle vom vorlegenden Gericht angeführten Aspekte, zu denen der Verbraucher keinen Zugang hat, nicht unter die Richtlinie.

66.

Weiter möchte ich daran erinnern, dass sich die Richtlinie, wie in ihrem siebten Erwägungsgrund ausgeführt wird, „auf Geschäftspraktiken [bezieht], die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen“.

67.

In Bezug auf die letzten beiden Punkte, die in den Zuständigkeitsbereich des nationalen Gerichts fallende Fragen betreffen, ist für mich, da das fragliche Mittel Metadon APL nur aufgrund einer ärztlichen Verschreibung von einem Einzelnen „erworben“ werden kann, schwer erkennbar, wo hier Raum für die Anwendung der Richtlinie sein soll. Die Richtlinie betrifft den Verbraucherschutz. Meiner Meinung nach ist der Verbraucher, hier der Patient, ausreichend durch den Arzt geschützt, der das Mittel verschreibt.

68.

Nach alledem könnte das vorlegende Gericht beispielsweise feststellen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der zur Verfügung gestellten Information und der Einflussnahme auf den Arzt, das Mittel auf Veranlassung des Verbrauchers/Patienten zu verschreiben. Ebenso ist es möglich, dass nach nationalem Recht ein Apotheker über ein gewisses Ermessen in Bezug auf die Verschreibung in dem Sinne verfügt, dass er dem Verbraucher/Patienten ein Mittel mit demselben Wirkstoff aushändigen kann. In solchen Fällen könnte die Richtlinie 2005/29 anwendbar sein.

69.

Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Frage in der Rechtssache C‑545/13 dahin zu beantworten, dass bei der Prüfung der Frage, ob absatzfördernde Maßnahmen für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das unter Umständen wie im vorliegenden Fall zubereitet wurde, unter die Richtlinie 2005/29 fallen, zu berücksichtigen ist, dass sich der Anwendungsbereich der Richtlinie auf Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern beschränkt und dass sich die Richtlinie auf Geschäftspraktiken bezieht, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen.

C – Auf hypothetischer Grundlage: weitere Fragen zur Präsentation der fraglichen Mittel

70.

Auf der Grundlage meiner Antwort auf die erste Frage sind die weiteren Fragen hypothetisch. Die nachstehende Würdigung erfolgt daher nur für den Fall, dass der Gerichtshof meinen bisherigen Ausführungen nicht folgen wird und der Auffassung sein sollte, dass die Richtlinie 2001/83 unanwendbar sei, weil die Voraussetzungen von Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 erfüllt seien.

1. Die Frage 3 ii) in der Rechtssache C‑545/13

71.

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob im Fall der Unanwendbarkeit der Richtlinie 2001/83 die Richtlinie 2005/29 auf die vorliegende Rechtssache anwendbar ist und ob die fraglichen Maßnahmen unter diese Richtlinie fallen. Das vorlegende Gericht möchte also Gewissheit darüber erlangen, ob die auf Werbemaßnahmen für Metadon APL anwendbaren Regelungen als nicht harmonisiert anzusehen sind oder ob die Richtlinie 2005/29 Anwendung findet.

72.

Für mich ist nicht erkennbar, warum die Richtlinie 2005/29 nicht anwendbar sein sollte: Wenn die Richtlinie 2005/29, wie oben dargestellt, grundsätzlich parallel zur Richtlinie 2001/83 anwendbar ist, so ist sie erst recht auf Situationen anwendbar, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 fallen.

73.

Was die materiell-rechtlichen Anforderungen der Richtlinie 2005/29 angeht, verweise ich auf die Ausführungen oben in den Nrn. 63 bis 69.

2. Die zweite Frage in der Rechtssache C‑544/13 und die dritte Frage in der Rechtssache C‑545/13

74.

Das vorlegende Gericht ist sich zwar des Umstands bewusst, dass die Titel VIII und VIIIa der Richtlinie 2001/83 nur auf Situationen anwendbar sind, die unter die Richtlinie 2001/83 fallen, und eine vollständige Harmonisierung von Werbemaßnahmen darstellen ( 38 ), aber es möchte wissen, welche Regeln in Situationen gelten, in denen die Richtlinie 2001/83 aufgrund ihres Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 oder ihres Art. 5 Abs. 1 nicht anwendbar ist.

75.

Der Gerichtshof hatte bisher nicht zu entscheiden, welches Verhältnis zwischen den Richtlinien 2001/83 und 2006/114 in Fällen besteht, in denen die Richtlinie 2001/83 nicht anwendbar ist.

76.

Das vorlegende Gericht scheint zu der Auffassung zu neigen, dass die vollständige Harmonisierung in Bezug auf Arzneimittel nach der Richtlinie 2001/83 bedeutet, dass die Richtlinie 2006/114 noch nicht einmal auf Werbung für Arzneimittel anwendbar ist, die gemäß Art. 3 der Richtlinie 2001/83 nicht unter die Richtlinie 2006/114 fallen. Mit anderen Worten: Nationale Rechtsvorschriften zur Werbung für Arzneimittel, die unter Art. 3 der Richtlinie 2001/83 fallen, sollen demnach nicht harmonisiert worden sein. Hierzu verweist das vorlegende Gericht auf mehrere vom Gerichtshof entschiedene Rechtssachen, insbesondere auf das Urteil Ludwigs-Apotheke ( 39 ).

77.

Ich bin nicht dieser Auffassung.

78.

In der Rechtssache Ludwigs-Apotheke hat der Gerichtshof entschieden, dass Arzneimittel, die unter eine Vorschrift des deutschen Rechts fielen, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 ausgeschlossen waren, und dass folglich die die Werbung betreffenden Bestimmungen von Titel VIII dieser Richtlinie auf diese Arzneimittel nicht anwendbar waren ( 40 ). Der Gerichtshof prüfte sodann, ob ein Werbeverbot wie das in der deutschen Rechtsvorschrift für Arzneimittelwerbung vorgesehene mit den Bestimmungen des Vertrags über den freien Warenverkehr vereinbar ist ( 41 ).

79.

Die Tatsache, dass der Gerichtshof die deutsche Rechtsvorschrift nicht im Licht der dann anwendbaren Richtlinie über irreführende Werbung ( 42 ) geprüft hat, bedeutet meines Erachtens nicht, dass die Rechtsvorschriften der Europäischen Union über irreführende Werbung auf Arzneimittel, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 ausgeschlossen sind, nicht anwendbar wären ( 43 ).

80.

Die Richtlinie 2006/114 ist vom Gerichtshof nur selten ausgelegt worden ( 44 ). Daher möchte ich auf einige Grundsätze im Zusammenhang mit dieser Richtlinie hinweisen. Erstens ist die Richtlinie 2006/114 auf zwei unterschiedliche Fallgestaltungen anwendbar, nämlich auf irreführende Werbung im Sinne von Art. 2 Buchst. b und auf vergleichende Werbung im Sinne von Art. 2 Buchst. c. Zweitens werden mit der Richtlinie 2006/114, wie aus ihrem Art. 8 Abs. 1 hergeleitet werden kann, in Bezug auf irreführende Werbung Mindestvorschriften festgelegt, wonach die Mitgliedstaaten Bestimmungen aufrechterhalten oder erlassen können, um einen weiter reichenden Schutz der Gewerbetreibenden und Mitbewerber sicherzustellen, während die Richtlinie die Vorschriften der Mitgliedstaaten über vergleichende Werbung vollständig harmonisiert. Drittens ist der Anwendungsbereich der Richtlinie, wie aus ihrem Art. 1 hervorgeht, in Bezug auf irreführende Werbung auf Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen beschränkt, während dies für die Bestimmungen betreffend vergleichende Werbung, die auch auf an Verbraucher gerichtete Werbung anwendbar sind, nicht zutrifft ( 45 ). In Bezug auf irreführende Werbung fallen Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern unter die Richtlinie 2005/29.

81.

Meines Erachtens handelt es sich bei der Richtlinie 2006/114 um einen horizontalen Rechtsakt in dem Sinne, dass sie auf jeden Sektor wirtschaftlicher Tätigkeit anwendbar ist, solange dieser nicht durch Spezialvorschriften geregelt wird. Soweit ein ausdrücklicher Ausschluss der Richtlinie 2006/114 nicht besteht, sollte daher von deren Anwendbarkeit ausgegangen werden.

82.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es in einem Fall, in dem die Richtlinie 2001/83 nicht anwendbar ist, keine Wechselwirkung zwischen den die Werbung betreffenden Kapiteln dieser Richtlinie und der Richtlinie 2006/114 gibt. Wie ich unten darlegen werde, bin ich insbesondere der Auffassung, dass es gute Gründe dafür gibt, die in Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 genannten Maßnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/114 auszuschließen.

83.

Daher sollte diese Frage dahin beantwortet werden, dass die Richtlinie 2006/114 in Situationen, die nicht unter die Richtlinie 2001/83 fallen, auf Arzneimittelwerbung grundsätzlich anwendbar ist.

3. Die dritte Frage in der Rechtssache C‑544/13 und die vierte Frage in der Rechtssache C‑545/13

84.

Als Letztes möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es sich bei den Maßnahmen der Beklagten in den Sachverhalten, die den Ausgangsverfahren zugrunde liegen, um Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114 handelt. Im Wesentlichen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es sich bei der Etikettierung, der Festsetzung der Preise und der Weitergabe rein tatsächlicher Informationen zu den fraglichen Mitteln um Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114 handelt. Das vorlegende Gericht, das mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung der Richtlinie 2006/114 gut vertraut zu sein scheint, weist darauf hin, dass der Begriff der Werbung im Hinblick auf die Art von Maßnahmen, um die es in dem bei ihm anhängigen Verfahren geht, bisher nicht ausgelegt wurde.

85.

Das vorlegende Gericht hält offenbar eine Auslegung des Begriffs „Werbung“ für erforderlich, um bestimmen zu können, ob die Maßnahmen von Apoteket als irreführende Werbung bezeichnet werden können.

86.

Nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/114 bedeutet „Werbung“ jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen zu fördern. Wie der Gerichtshof bestätigt hat, handelt es sich dabei um eine „besonders weite Definition“ ( 46 ), was bedeutet, dass es „sehr unterschiedliche Formen von Werbung geben kann“ ( 47 ).

87.

Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 schließt zahlreiche Maßnahmen vom Anwendungsbereich ihres Titels VIII aus, etwa die Etikettierung und die Packungsbeilage, konkrete Angaben und Unterlagen, die beispielsweise Änderungen der Verpackung, Warnungen vor unerwünschten Nebenwirkungen im Rahmen der Arzneimittelüberwachung sowie Verkaufskataloge und Preislisten betreffen, sofern diese keine Angaben über das Arzneimittel enthalten.

88.

Meines Erachtens können solche Maßnahmen keine „Werbung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2006/114 darstellen, da die für Wirtschaftsteilnehmer geltenden allgemeinen Vorschriften über Werbung nicht strenger sein dürfen als eine Sonderregelung. Die gegenteilige Ansicht würde zu dem seltsamen Ergebnis führen, dass die unter die Richtlinie 2001/83 fallenden Vorschriften über Arzneimittelwerbung nicht so streng wie die sind, die für ein vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossenes Arzneimittel gelten.

89.

Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausführt, kommt es entscheidend darauf an, ob objektiv festgestellt werden kann, dass die Angabe gemacht wurde, um den Absatz einer Ware oder die Erbringung einer Dienstleistung zu fördern.

90.

Wie darüber hinaus der Gerichtshof in seinem Urteil MSD Sharp & Dohme entschieden hat, wird durch Art. 86 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 nicht grundsätzlich die Möglichkeit ausgeschlossen, dass allein aus sachlicher Information bestehende Veröffentlichungen oder Bekanntmachungen als Werbung angesehen werden ( 48 ). Der Gerichtshof hat entschieden, dass es sich, „[s]ofern die Botschaft zum Ziel hat, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern, … um Werbung im Sinne dieser Richtlinie [handelt]. Hingegen fällt eine rein informatorische Angabe ohne Werbeabsicht [ ( 49 ) ] nicht unter die genannte Richtlinie über die Werbung für Arzneimittel.“ ( 50 )

91.

Diese Argumentation sollte meiner Meinung nach auf die Richtlinie 2006/114 übertragen werden.

92.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die tatsächlichen Umstände zu bestimmen, um dann festzustellen, ob und inwieweit es sich bei den in den Ausgangsverfahren fraglichen Tätigkeiten um Werbung im Sinne der Richtlinie 2006/114 handelt.

93.

Daher schlage ich dem Gerichtshof vor, diese Frage dahin zu beantworten, dass bei der Feststellung, ob Vermarkungsmaßnahmen für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das unter Umständen wie im vorliegenden Fall zubereitet worden ist, unter die Richtlinie 2006/114 fallen, zu berücksichtigen ist, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie sich in Bezug auf irreführende Werbung auf Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen beschränkt und dass es dabei entscheidend darauf ankommt, ob eine Angabe gemacht wurde, um den Absatz der fraglichen Ware zu fördern.

VI – Ergebnis

94.

Aufgrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Stockholms tingsrätt (Schweden) gestellten Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

1.

Für die Anwendung von Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2011 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel muss der Zubereitung eines Arzneimittels in einer Apotheke in jedem Fall eine ärztliche Verschreibung für einen bestimmten Patienten vorausgehen.

2.

Ein Arzneimittel wird nicht im Sinne von Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 unmittelbar an einen Patienten abgegeben, wenn der Herstellungsort und der Abgabeort nicht Teil derselben Apotheke sind.

3.

Für die Anwendung von Art. 3 Nr. 1 oder Nr. 2 kommt es nicht darauf an, ob es auf dem Markt ein anderes genehmigtes Mittel mit demselben Wirkstoff, in derselben Dosierung und in derselben Darreichungsform gibt.

4.

Bei der Prüfung der Frage, ob absatzfördernde Maßnahmen für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das unter Umständen wie im vorliegenden Fall zubereitet wurde, unter die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) fallen, ist zu berücksichtigen, dass sich der Anwendungsbereich der Richtlinie auf Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern beschränkt und dass sich die Richtlinie auf Geschäftspraktiken bezieht, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen der Verbraucher in Bezug auf Produkte stehen.

95.

Sollte der Gerichtshof nicht der eben unter 1. bis 3. empfohlenen Auslegung folgen, schlage ich vor, die übrigen Fragen wie folgt zu beantworten:

5.

Die Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung) ist in Situationen, die nicht unter die Richtlinie 2001/83 fallen, auf Arzneimittelwerbung grundsätzlich anwendbar.

6.

Bei der Feststellung, ob Vermarktungsmaßnahmen für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, das unter Umständen wie im vorliegenden Fall zubereitet worden ist, unter die Richtlinie 2006/114 fallen, ist zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie sich in Bezug auf irreführende Werbung auf Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen beschränkt und dass es dabei entscheidend darauf ankommt, ob eine Angabe gemacht wurde, um den Absatz der fraglichen Ware zu fördern.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136, S. 1).

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67).

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22).

( 5 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung) (ABl. L 376, S. 21).

( 6 ) Verordnung des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1).

( 7 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass in der vorliegenden Rechtssache die Verordnung Nr. 2309/93, auf die der Stockholms tingsrätt Bezug nimmt, nicht einschlägig ist, da sie aufgrund ihrer Aufhebung durch die Verordnung Nr. 726/2004, die am 30. April 2004 in Kraft trat (vgl. deren Art. 88 und 90), zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr in Kraft war.

( 8 ) Nr. 3: Arzneimittel, die für Versuche in Forschung und Entwicklung bestimmt sind; Nr. 4: Zwischenprodukte, die für eine weitere Verarbeitung durch einen autorisierten Hersteller bestimmt sind; Nr. 5: Radioaktive Arzneimittel zur Anwendung beim Menschen, mit Ausnahme von Radionukliden in Form geschlossener Quellen.

( 9 ) Ich meine, dass Art. 3 in Bezug auf die übrigen Nummern eine klassische Ausnahme zu Art. 2 darstellt. Dies ist aber nicht Gegenstand der vorliegenden Rechtssache.

( 10 ) Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Novartis Pharma (C‑535/11, EU:C:2013:53, Nr. 68).

( 11 ) Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Nr. 19 der Richtlinie 2001/83 jede Verschreibung von Arzneimitteln eines Angehörigen eines Gesundheitsberufs, der dazu befugt ist, eine (ärztliche) Verschreibung darstellt.

( 12 ) Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen (ABl. L 255, S. 22).

( 13 ) Art 44 („Ausbildung des Apothekers“) der Richtlinie 2005/36 bestimmt zwar im Einzelnen, welche Art von Kenntnissen, Fähigkeiten und Kompetenzen in einer Apothekerausbildung erworben werden müssen, damit diese nach der Richtlinie automatisch anerkannt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Beruf des Apothekers definiert würde. Vgl. insoweit für den vergleichbaren Fall von Architekten meine Schlussanträge in der Rechtssache Angerer (C‑477/13, EU:C:2014:2338, Nrn. 54 und 55).

( 14 ) Vgl. Urteil Kommission/Italien (C‑531/06, EU:C:2009:315, Rn. 37).

( 15 ) Vgl. Urteil Ekro (327/82, EU:C:1984:11, Rn. 11). Vgl. auch Urteile Linster (C‑287/98, EU:C:2000:468, Rn. 43) und Germanwings (C‑452/13, EU:C:2014:2141, Rn. 16).

( 16 ) Vgl. Urteil Ekro (EU:C:1984:11, Rn. 11).

( 17 ) Vgl. 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/62/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel hinsichtlich der Verhinderung des Eindringens von gefälschten Arzneimitteln in die legale Lieferkette (ABl. L 174, S. 74).

( 18 ) Titel VII (Art. 76 bis 85b) der Richtlinie 2001/83 (in geänderter Fassung) lautet „Großhandelsvertrieb und Vermittlung von Arzneimitteln“.

( 19 ) Vgl. Urteil Caronna (C‑7/11, EU:C:2012:396, Rn. 43).

( 20 ) Ebd. Vgl. auch Urteil Kommission/Italien (EU:C:2009:315, Rn. 38).

( 21 ) Vgl. Urteil Kommission/Italien (EU:C:2009:315, Rn. 35).

( 22 ) Art. 81 Abs. 2 und Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83.

( 23 ) Art. 54a Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2001/83.

( 24 ) Art. 3 Nrn. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83.

( 25 ) Das scheint sich sogar aus ihrem Namen zu ergeben.

( 26 ) Und damit die „Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit … von dem komplizierten, um nicht zu sagen kostspieligen, System der Verkehrsgenehmigungen in Fällen [freizustellen], die in allen Mitgliedstaaten wenn nicht täglich, so doch regelmäßig vorkommen“ (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Novartis Pharma [EU:C:2013:53, Nr. 64]).

( 27 ) Normalerweise wird an einem Herstellungsort oder in einem Labor immer ein Apotheker anwesend sein.

( 28 ) Vgl. Urteil Kommission/Polen (C‑185/10, EU:C:2012:181, Rn. 37).

( 29 ) Vgl. Urteil VTB-VAB und Galatea (C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 52).

( 30 ) Vgl. Erwägungsgründe 5 („einheitliche Regeln auf Gemeinschaftsebene“), 14 („in dieser Richtlinie vorgesehene vollständige Angleichung“) und 15 („durch diese Richtlinie eingeführten vollständigen Angleichung“) sowie Art. 4 der Richtlinie 2005/29. Vgl. auch B. Keisbilck, The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competitions Law, Oxford 2001, S. 182.

( 31 ) Vgl. J. Stuyck, E. Terryn, T. Van Dyck, „Confidence through fairness? The new Directive on unfair business-to-consumer commercial practices in the internal market“, 43 Common Market Law Review 2006, S. 107 bis 152, auf S. 115.

( 32 ) Jetzt: Union.

( 33 ) In der Fachliteratur wird teilweise auch die Richtlinie 2001/83 dahin ausgelegt, dass sie zu den Regelungen zähle, die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten betreffen. Vgl. z. B. R. Stefanicki, Ustawa o przeciwdziałaniu nieuczciwym praktykom rynkowym, Warschau 2009, S. 38.

( 34 ) Vgl. auch B. Keisbilck, The New European Law of Unfair Commercial Practices and Competitions Law, Oxford 2001, S. 174.

( 35 ) Wie das Vereinigte Königreich in seinen schriftlichen Erklärungen zutreffend ausführt, wird im Vorabentscheidungsersuchen nicht dargelegt, inwieweit sich die Richtlinie 2005/29 auf das nationale Verfahren auswirken könnte. Ich werde dennoch versuchen, dem vorlegenden Gericht eine Orientierungshilfe zu geben.

( 36 ) Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in den verbundenen Rechtssachen VTB-VAB (C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2008:581, Nr. 81), wonach die Richtlinie dem Rechtsgedanken „in dubio pro libertate“ folgt.

( 37 ) Vgl. Art. 3 der Richtlinie 2005/29.

( 38 ) Vgl. Urteil Gintec (C‑374/05, EU:C:2007:654, Rn. 20), in dem der Gerichtshof wie folgt entschieden hat: „Die Analyse der Titel VIII und VIIIa der Richtlinie 2001/83, die die gemeinsamen Vorschriften über die Arzneimittelwerbung enthalten, erlaubt den Schluss, dass mit dieser Richtlinie eine vollständige Harmonisierung dieses Bereichs erfolgt ist, wobei die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten befugt sind, Bestimmungen zu erlassen, die von der in der Richtlinie getroffenen Regelung abweichen, ausdrücklich aufgeführt sind.“

( 39 ) Urteil Ludwigs-Apotheke (C‑143/06, EU:C:2007:656).

( 40 ) Ebd. (Rn. 23).

( 41 ) Ebd. (Rn. 24).

( 42 ) Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (ABl. L 250, S. 17). Die Richtlinie 2006/114 zur Aufhebung dieser Richtlinie trat am 12. Dezember 2007 in Kraft (vgl. Art. 11 der Richtlinie 2006/114).

( 43 ) Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache Ludwigs-Apotheke in keiner Weise auf die seinerzeit geltenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über irreführende Werbung Bezug nahmen.

( 44 ) Vgl. Urteile in den Rechtssachen Posteshop (C‑52/13, EU:C:2014:150) und Belgian Electronic Sorting Technology (C‑657/11, EU:C:2013:516). Diese Urteile betreffen den Regelungsgehalt der Richtlinie 2006/114 und nicht deren Anwendbarkeit auf einen bestimmten Fall.

( 45 ) Vgl. auch F. Henning-Bodewig, „Comments on the Misleading and Comparative Advertising Directive and the Unfair Commercial Practices Directive“, in O. Castendyk, E. Dommering, A. Scheuer, European Media Law, Kluwer Law International, Alphe a/d Rijn 2008, Abschnitt 13.

( 46 ) Vgl. Urteil Belgian Electronic Sorting Technology (EU:C:2013:516, Rn. 35). Es handelt sich dabei seit dem Urteil Toshiba Europe (C‑112/99, EU:C:2001:566, Rn. 28) – das die Richtlinie 84/450 betraf – um gefestigte Rechtsprechung.

( 47 ) Vgl. Urteil Belgian Electronic Sorting Technology (EU:C:2013:516, Rn. 35).

( 48 ) Vgl. Urteil MSD Sharp & Dohme (C‑316/09, EU:C:2011:275, Rn. 32).

( 49 ) Hervorhebung nur hier.

( 50 ) Urteil MSD Sharp & Dohme (EU:C:2011:275, Rn. 32).