Schlußanträge des Generalanwalts

Schlußanträge des Generalanwalts

1. Das dem Gerichtshof vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Vorschriften der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein(2) und der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006(3), die jene ersetzt hat.

2. Der Gerichtshof hat sich zu der Frage zu äußern, ob ein Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, es nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieses Führerscheins – hier das Fahren unter Drogeneinfluss –, der auf dem genannten Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattfand, ablehnen darf, die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen.

3. Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich von denen, mit denen sich der Gerichtshof bisher in zahlreichen fahrerlaubnisrechtlichen Streitigkeiten zu befassen hatte(4), da es in diesen früheren Rechtssachen um die Frage ging, ob sich der Betroffene in einem Mitgliedstaat, nachdem eine Fahrerlaubnis in ihm entzogen oder ausgesetzt wurde, auf eine in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnis berufen kann.

4. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt auch darin, dass nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Verstoß begangen wurde, hier die Bundesrepublik Deutschland, die Fahrerlaubnis für dieses Gebiet entzogen wurde, weil die Fahreignung der Betroffenen nicht mehr gegeben sei.

5. Nicht die Fahreignung im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis also, sondern in einem späteren Zeitpunkt, nämlich nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieser Fahrerlaubnis, wird in Frage gestellt. Die Frage, die sich stellt, ist, welche Behörden für die Prüfung zuständig sind, ob der genannte Inhaber die Fahreignung für das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem der Verstoß begangen wurde, wiedererlangt hat.

6. Bei meiner Untersuchung werde ich zunächst die Vorschriften des im vorliegenden Fall anwendbaren Unionsrechts bestimmen und die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Deutschland) neu formulieren.

7. Nach Prüfung dieser Vorlagefragen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu antworten, dass Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 einen Mitgliedstaat verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn infolge einer im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats nach Ausstellung dieses Führerscheins begangenen Verkehrswidrigkeit mit strafrechtlichem Charakter dem Führerscheininhaber die Fahrerlaubnis für das genannte Gebiet entzogen wurde, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr geeignet war und die Verkehrssicherheit gefährdete. Der Führerscheininhaber erlangt die Fahreignung für das genannte Gebiet wieder bei Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, vorgesehen sind, sofern die nationale Regelung weder dazu führt, dass Voraussetzungen aufgestellt werden, die die Richtlinie 2006/126 für die Ausstellung des Führerscheins nicht verlangt, noch dazu, dass die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf unbestimmte Zeit versagt wird.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

1. Richtlinie 91/439

8. Um die Freizügigkeit von Personen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder ihre Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihren Führerschein erworben haben, zu erleichtern, wurde mit der Richtlinie 91/439 der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine eingeführt(5) .

9. Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss.“

10. Nach dem vierten Erwägungsgrund sind „[a]us Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr … Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen“.

11. Der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 bestimmt:

„Außerdem sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz[(6) ] in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat“.

12. Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können unbeschadet der einzelstaatlichen straf- und polizeirechtlichen Vorschriften nach Konsultierung der Kommission innerstaatliche Vorschriften über andere als die in dieser Richtlinie genannten Anforderungen auf die Ausstellung des Führerscheins anwenden.“

13. Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 lautet:

„(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.“

2. Richtlinie 2006/126

14. Die Richtlinie 2006/126 fasst die Richtlinie 91/439 neu, weil diese mehrfach geändert wurde(7) .

15. Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Die Regelungen zum Führerschein sind wesentliche Bestandteile der gemeinsamen Verkehrspolitik, tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei und erleichtern die Freizügigkeit der Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der den Führerschein ausgestellt hat, niederlassen. Angesichts der Bedeutung der individuellen Verkehrsmittel fördert der Besitz eines vom Aufnahmemitgliedstaat anerkannten Führerscheins die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit der Personen …“

16. Nach dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie sollten „[a]us Gründen der Straßenverkehrssicherheit … die Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgelegt werden“.

17. Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz[(8) ] in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.“

18. In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie heißt es: „Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.“

19. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:

„1. Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die

a) eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen“.

20. In Art. 11 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„2. Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

4. …

Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.

…“

21. Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/126 bestimmt:

„1. Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 19. Januar 2011 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um Artikel 1 Absatz 1, Artikel 3, Artikel 4 Absätze 1, 2 und 3 sowie Absatz 4 Buchstaben b bis k, Artikel 6 Absatz 1 sowie Absatz 2 Buchstaben a, c, d und e, Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b, c und d sowie Absätze 2, 3 und 5, die Artikel 8, 10, 13, 14 und 15 sowie Anhang I Nummer 2, Anhang II Nummer 5.2 in Bezug auf die Klassen A1, A2 und A und den Anhängen IV, V und VI nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

2. Sie wenden diese Vorschriften ab dem 19. Januar 2013 an.“

22. Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Die Richtlinie 91/439/EWG wird – unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den in Anhang VII Teil B genannten Fristen für die Umsetzung jener Richtlinie in nationales Recht – mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben.“

23. In Art. 18 der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a, Artikel 9, Artikel 11 Absätze 1, 3, 4, 5 und 6, Artikel 12 und die Anhänge I, II und III gelten ab dem 19. Januar 2009.“

B – Deutsche Rechtsvorschriften

24. § 2 des Straßenverkehrsgesetzes in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung(9) bestimmt:

„(1) Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde) …

(4) Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat …

(11) Nach näherer Bestimmung durch Rechtsverordnung … berechtigen auch ausländische Fahrerlaubnisse zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland …“

25. § 3 („Entziehung der Fahrerlaubnis“) Abs. 1 und 2 StVG bestimmt:

„(1) Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung – auch wenn sie nach anderen Vorschriften erfolgt – die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen …

(2) Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis . Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Nach der Entziehung ist der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern oder zur Eintragung der Entscheidung vorzulegen. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis auf Grund anderer Vorschriften entzieht.“

26. § 29 („Tilgung der Eintragungen“) Abs. 1 StVG lautet:

„Die im Register gespeicherten Eintragungen werden nach Ablauf der in Satz 2 bestimmten Fristen getilgt. Die Tilgungsfristen betragen

1. zwei Jahre und sechs Monate

bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit,

a) die … als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit einem Punkt bewertet ist oder

b) soweit weder ein Fall des Buchstaben a noch der Nummer 2 Buchstabe b vorliegt und in der Entscheidung ein Fahrverbot angeordnet worden ist,

2. fünf Jahre

a) bei Entscheidungen über eine Straftat, vorbehaltlich der Nummer 3 Buchstabe a,

b) bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit, die … als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit zwei Punkten bewertet ist,

3. zehn Jahre

a) bei Entscheidungen über eine Straftat, in denen die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperre angeordnet worden ist,

…“

27. § 11 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998(10) in ihrer für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung bestimmt:

„Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. Außerdem dürfen die Bewerber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, so dass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird.“

28. Anlage 4 zu § 11 FeV stellt fest, dass die Einnahme von Cannabis zu den Erkrankungen und Mängeln gehört, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Eine Person, die Cannabis regelmäßig einnimmt, gilt als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, während eine Person, die Cannabis gelegentlich einnimmt, als geeignet gilt, sofern sie den Konsum vom Fahren trennt, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt, keine Störung der Persönlichkeit besteht und kein Kontrollverlust gegeben ist.

29. § 29 FeV („Ausländische Fahrerlaubnisse“) lautet:

„(1) Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis dürfen im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen, wenn sie hier keinen ordentlichen Wohnsitz nach § 7 haben …

(3) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse,

3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist …

(4) Das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 3 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen.“

30. § 46 FeV („Entziehung, Beschränkung, Auflagen“) bestimmt:

„(1) Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

(5) Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

(6) Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.“

31. § 69 des Strafgesetzbuchs (im Folgenden: StGB) bestimmt:

„(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist …

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

2. der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),

4. des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,

so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen …“

32. § 69b StGB lautet:

„Wirkung der Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis

(1) Darf der Täter auf Grund einer im Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen, ohne dass ihm von einer deutschen Behörde eine Fahrerlaubnis erteilt worden ist, so hat die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Mit der Rechtskraft der Entscheidung erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Während der Sperre darf weder das Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, noch eine inländische Fahrerlaubnis erteilt werden.

(2) Ist der ausländische Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden und hat der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, so wird der Führerschein im Urteil eingezogen und an die ausstellende Behörde zurückgesandt. In anderen Fällen werden die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperre in den ausländischen Führerscheinen vermerkt.“

II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsfragen

33. Frau Aykul ist österreichische Staatsangehörige, wurde 1980 geboren und hat ihren Wohnsitz seit ihrer Geburt in Österreich. Am 19. Oktober 2007 erteilte ihr die Bezirkshauptmannschaft Bregenz eine österreichische Fahrerlaubnis.

34. Am 11. Mai 2012 wurde sie in Leutkirch (Deutschland) einer Polizeikontrolle unterzogen. Ein wegen Verdachts einer Drogenbeeinflussung durchgeführter Urintest wies auf Cannabiskonsum hin. Nach diesem Test wurde eine Blutentnahme angeordnet und am selben Tag durchgeführt. In dem ärztlichen Protokoll wurde festgestellt, dass Frau Aykul nicht merkbar unter Drogeneinfluss zu stehen schien. Nach dem forensisch-toxikologischen Befund des Labors Enders, Stuttgart (Deutschland), vom 18. Mai 2012 ergab die Untersuchung der Blutprobe einen Gehalt an Tetrahydrocannabinol (im Folgenden: THC) von 18,8 ng/ml und einen THC‑COOH-Gehalt von 47,4 ng/ml.

35. Die Staatsanwaltschaft Ravensburg (Deutschland) stellte am 4. Juli 2012 das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein.

36. Mit Bußgeldbescheid der Stadt Leutkirch vom 18. Juli 2012 wurde gegen Frau Aykul wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels THC eine Geldbuße in Höhe von 590,80 Euro verhängt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet.

37. Das Landratsamt Ravensburg (Deutschland) entzog Frau Aykul mit Verfügung vom 17. September 2012 die österreichische Fahrerlaubnis für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an. Zur Begründung wurde ausgeführt, Frau Aykul sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die durch Untersuchung der Blutprobe festgestellten Werte belegten, dass Frau Aykul zumindest gelegentlich Cannabis konsumiere und unter dem Einfluss von THC ein Kraftfahrzeug geführt habe. Sie sei nicht in der Lage, ihren Drogenkonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen. Im Anhang zur Verfügung vom 17. September 2012 wurde Frau Aykul auf die Möglichkeit hingewiesen, die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland mit ihrer österreichischen Fahrerlaubnis neu zu beantragen. Von dieser Eignung könne erst wieder ausgegangen werden, wenn Frau Aykul ein positives Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland vorgelegt habe, das in der Regel den Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz voraussetze.

38. Das vorlegende Gericht führt aus, dass die vom deutschen Recht vorgesehenen Reaktionen auf Verkehrsverstöße und Hinweise auf eine fehlende Fahreignung auf drei verschiedenen Ebenen erfolgten, nämlich auf strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher und fahrerlaubnisrechtlicher Ebene.

39. Der Fall von Frau Aykul entspreche der Praxis im Fahrerlaubnisrecht, also dem Polizeiordnungsrecht, das der Abwehr von Gefahren für die Verkehrssicherheit diene. Die nationalen Fahrerlaubnisbehörden und Polizeidienststellen gingen von einer Zuständigkeit deutscher Behörden für die Entziehung ausländischer Fahrerlaubnisse aus, wenn bei einem in Deutschland begangenen Verkehrsverstoß Anzeichen für eine fehlende Fahreignung bekannt würden.

40. Am 19. Oktober 2012 erhob Frau Aykul Widerspruch und stellte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Sigmaringen mit der Begründung, dass den deutschen Behörden die Zuständigkeit zur Überprüfung der Fahreignung fehle.

41. Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, die vom Landratsamt Ravensburg über den Vorgang informiert wurde, erklärte, die Voraussetzungen zu einem Einschreiten der österreichischen Behörden seien nach österreichischem Verkehrsrecht nicht gegeben.

42. Mit Bescheid vom 15. November 2012 hob das Landratsamt Ravensburg die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 17. September 2012 auf. Daraufhin stellte das Verwaltungsgericht Sigmaringen das Eilverfahren mit Beschluss vom 29. September 2012 ein.

43. Das Regierungspräsidium Tübingen (Deutschland) wies den Widerspruch von Frau Aykul mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 zurück. Zur Begründung führte es aus, die Entziehung der österreichischen Fahrerlaubnis sei eine nachträgliche Maßnahme, die von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 gedeckt sei. Hiergegen erhob Frau Aykul Klage vor dem vorlegenden Gericht.

44. Auf die Anfrage des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 13. März 2013 erklärte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz erneut, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten der österreichischen Behörden nach österreichischem Fahrerlaubnisrecht nicht gegeben seien. Frau Aykul werde von den österreichischen Behörden weiterhin als geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen und behalte daher ihre österreichische Fahrerlaubnis.

45. Da das Verwaltungsreicht Sigmaringen Zweifel hat, ob die deutschen Rechtsvorschriften mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vereinbar sind, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Steht die aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 sich ergebende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine einer nationalen Regelung der Bundesrepublik Deutschland entgegen, nach der das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nachträglich auf dem Verwaltungswege aberkannt werden muss, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis mit dieser in Deutschland ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss illegaler Drogen führt und in der Folge, nach den deutschen Bestimmungen, seine Fahreignung nicht mehr besteht?

2. Falls die Frage 1 zu bejahen ist, gilt dies auch, wenn der Ausstellerstaat in Kenntnis der Drogenfahrt untätig bleibt und die vom Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis ausgehende Gefahr daher weiter besteht?

3. Falls die Frage 1 zu verneinen ist, darf die Bundesrepublik Deutschland die Wiedererteilung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, von der Erfüllung der nationalen Wiedererteilungsvoraussetzungen abhängig machen?

4. a) Vermag der Vorbehalt der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 ein fahrerlaubnisrechtliches Vorgehen eines Mitgliedstaats anstelle des Ausstellerstaats zu rechtfertigen? Lässt der Vorbehalt zum Beispiel die nachträgliche Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, durch eine strafrechtliche Sicherungsmaßregel zu?

b) Wenn Frage 4 a bejaht wird, ist, unter Berücksichtigung der Anerkennungspflicht, für die Wiedererteilung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, der die Sicherungsmaßregel verhängende Mitgliedstaat oder der Ausstellerstaat zuständig?

III – Würdigung

A – Vorbemerkungen

1. Das zeitlich anwendbare Recht der Europäischen Union

46. Sowohl in der Vorlageentscheidung als auch in den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird gleichzeitig auf die Bestimmungen der Richtlinie 91/439 und auf die der Richtlinie 2006/126 Bezug genommen.

47. Festzustellen ist, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126, den das vorlegende Gericht in seinen Fragen anführt, zu dem für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgebenden Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war.

48. Der Sachverhalt ereignete sich nämlich am 11. Mai 2012, als Frau Aykul einer Polizeikontrolle unterzogen wurde, und am 17. September 2012, als das Landratsamt Ravensburg ihr die österreichische Fahrerlaubnis entzog.

49. Durch Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 wird die Richtlinie 91/439 mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben. Gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 gelten bestimmte Vorschriften dieser Richtlinie jedoch ab dem 19. Januar 2009. Dies ist der Fall bei Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4, wobei die letztgenannte Vorschrift den in der Vorlageentscheidung angeführten Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 ersetzt. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 dagegen gehört nicht zu den Vorschriften, die ab dem 19. Januar 2009 gelten. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 gilt daher weiterhin.

50. Der Gerichtshof hat zudem klargestellt, dass zwar Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vorsieht, Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Richtlinie jedoch bestimmt, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist, und zwar unabhängig davon, ob der Führerschein ausgestellt wurde, bevor die genannte Vorschrift wirksam wurde(11) .

51. Nach ständiger Rechtsprechung, die auf dem Erfordernis beruht, dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben(12), ist die Frage umzuformulieren, damit diejenigen Vorschriften des Unionsrechts ausgelegt werden, die in dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum anwendbar waren, d. h. im vorliegenden Fall die Vorschrift von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, dessen Wortlaut im Übrigen weitgehend mit dem Wortlaut des vom vorlegenden Gericht angeführten Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 übereinstimmt.

52. Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind daher im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 sowie auf Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zu prüfen.

2. Die Behandlung der Vorlagefragen

53. Die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen sind meines Erachtens gemeinsam zu behandeln.

54. Aus der Antwort auf die Fragen, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, die Ausnahmen von diesem Grundsatz und die Reichweite dieser Ausnahmen betreffen (erste und zweite sowie vierte Frage Buchst. a), wird sich nämlich die Antwort auf die Frage ergeben, welche Behörden für die Entscheidung zuständig sind, ob der Fahrerlaubnisinhaber die Fahreignung für das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem der Verstoß begangen wurde, wiedererlangt ha t.

B – Zu den Fragen

55. Ich verstehe die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts so, dass der Gerichtshof gefragt wird,

– ob ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, es nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieses Führerscheins – hier das Fahren unter Drogeneinfluss –, der im genannten Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattfand und aufgrund nationalen Rechts geahndet wurde, ablehnen darf, die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen, und

– ob sich nach diesem nationalen Recht – unter Ausschluss des Rechts des ausstellenden Mitgliedstaats – die Voraussetzungen bestimmen, die der Führerscheininhaber für die Wiedererlangung der Fahrberechtigung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats erfüllen muss, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde.

56. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es in der vorliegenden Rechtssache nicht darum geht, im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126 die Voraussetzungen für die „Ausstellung“ des Führerscheins von Frau Aykul in Frage zu stellen.

57. Wie die polnische Regierung zu Recht ausführt, ist Gegenstand des Rechtsstreits eine Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund einer Handlung der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die erst „nach“ der Ausstellung dieses Führerscheins erfolgte, wobei diese Handlung durch die deutschen Behörden als straßenverkehrsgefährdend eingestuft wurde. Keinesfalls geht es um eine Verweigerung der Anerkennung der Fahreignungsbeurteilung, die der Ausstellerstaat „im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins“ gemäß den genannten Bestimmungen vorgenommen hat(13) .

58. Hierzu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass „[d]er Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins … als Nachweis dafür anzusehen [ist], dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins [die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen] erfüllte“(14) .

59. Im vorliegenden Fall stellt die Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage, dass die Voraussetzungen für den Besitz der Fahrerlaubnis von Frau Aykul am Tag der Erteilung des Führerscheins erfüllt waren, sondern dass diese nach einer Handlung vorliegen, die Frau Aykul im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach der Erteilung beging.

60. Nachdem nämlich Frau Aykul im deutschen Hoheitsgebiet ein Kraftfahrzeug unter Wirkung berauschender Mittel geführt hatte, wurde ihr die österreichische Fahrerlaubnis entzogen. Diese Sanktion hatte zur Folge, dass ihr das Recht aberkannt wurde, im deutschen Hoheitsgebiet von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen. Frau Aykul kann daher in den anderen Mitgliedstaaten, nicht jedoch in der Bundesrepublik Deutschland, in deren Gebiet sie den Gesetzesverstoß begangen hat, weiterhin ein Kraftfahrzeug führen.

61. Das Problem hängt hier daher mit der genannten Sanktion zusammen, die zur Folge hat, dass die deutschen Behörden Frau Aykul die Fahrberechtigung mit Wirkung für das deutsche Hoheitsgebiet aberkennen, weil aufgrund des Gesetzesverstoßes ihre Fahreignung nicht mehr bestehe.

62. Anders gesagt: Kann diese Aberkennung der ausländischen Fahrberechtigung als Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 vorgesehenen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine als zulässig angesehen werden?

63. Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren(15), um alle Vorschriften des Unionsrechts auszulegen, die das nationale Gericht für seine Entscheidung benötigt.

64. Zu diesem Zweck kann der Gerichtshof aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Normen und Grundsätze des Unionsrechts herausarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits einer Auslegung bedürfen(16) .

65. Meines Erachtens findet Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, auf den sich das vorlegende Gericht in seinen Fragen bezieht, in der vorliegenden Rechtssache keine Anwendung. Eine sachdienliche Antwort ist vielmehr im Hinblick auf Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 zu geben.

1. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 findet keine Anwendung

66. Es ist daran zu erinnern, dass das mit der Richtlinie 91/439 eingeführte System der Führerscheinausstellung ein System der örtlichen Zuständigkeit ist. Die Führerscheinausstellung liegt in der Verantwortung des aufgrund des ordentlichen Wohnsitzes örtlich zuständigen Mitgliedstaats, der damit die von dieser Richtlinie aufgestellten „Mindest“-Vorschriften zu beachten hat, was naturgemäß die Voraussetzung dafür bildet, dass die gegenseitige Anerkennung der Führerscheine als gerechtfertigt angesehen werden kann.

67. Nehmen nach dieser Ausstellung die Führerscheininhaber die Freizügigkeit wahr, so sind zwei Arten von Sachverhalten denkbar.

68. Der erste Sachverhalt ist der, dass der Führerscheininhaber den ordentlichen Wohnsitz wechselt. In diesem Fall kann der neue Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund seiner ihm jetzt zukommenden örtlichen Zuständigkeit entsprechend seinem Straf- und Polizeirecht seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

69. Dies ist der Sachverhalt, der zum maßgeblichen Zeitpunkt durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 geregelt war, welcher, wie erinnerlich, bestimmt, dass „[v]orbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips … der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen [kann]“.

70. Diese Vorschrift ist in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 10 der Richtlinie 91/439 zu sehen, in denen es heißt, dass, um die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, „die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben“, ein Führerschein wünschenswert ist, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen, dass aber aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, „der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat“.

71. Bereits aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 10 dieser Richtlinie ergibt sich, dass er den Fall regelt, in dem der Führerscheininhaber seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ausstellermitgliedstaat hat. Begeht diese Person einen Gesetzesverstoß im Hoheitsgebiet des Wohnsitzstaates, ermächtigt Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 diesen Mitgliedstaat, seine nationalen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung auf die Fahrerlaubnis anzuwenden, die von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde(17) .

72. Es liegt somit auf der Hand, dass die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 und inzwischen die des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 nur bei einer Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes Anwendung finden. Dies wäre der Fall, wenn Frau Aykul ihren ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hätte. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da Frau Aykul ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich hat.

73. Der zweite mögliche Sachverhalt ist der, dass sich der Führerscheininhaber nur vorübergehend im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. Dieser Sachverhalt ist meines Erachtens durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 geregelt.

2. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 findet Anwendung

74. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 ist, wie oben ausgeführt, nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich anwendbar.

75. Wie oben bereits zitiert, lautet die genannte Vorschrift wie folgt:

„ Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab , der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.“(18)

76. Die genannte Vorschrift regelt meines Erachtens den hier vorliegenden Fall, in dem die Sanktion aufgrund von Straf- und Polizeigesetzen eines Mitgliedstaats anwendbar ist, der der Staat der Begehung des Gesetzesverstoßes ist, in dem jedoch weder die Fahrerlaubnis erteilt wurde noch der neue ordentliche Wohnsitz liegt(19) .

77. Die Kommission nahm in der mündlichen Verhandlung eine „historische“ Auslegung von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 vor, wonach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 sich auf Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie beziehe und der angeführte Mitgliedstaat somit nur der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes sein könne. Der fehlende Bezug auf den Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes in Abs. 2 sei lediglich ein Versehen des Unionsgesetzgebers und müsse folglich korrigiert werden.

78. Dieser Auslegung kann ich nicht folgen.

79. Die Bestimmungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 sind nämlich selbständig anwendbar, und zwar sowohl in Bezug auf dessen Abs. 2 als auch auf Abs. 2 des Art. 8 der Richtlinie 91/439 in der zur Zeit des Ausgangsverfahrens geltenden identischen Fassung. Diese Unabhängigkeit schließt aus, dass er nur bei einer Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes Anwendung findet. Zur Begründung dieser Auffassung können mehrere Argumente angeführt werden.

80. Zunächst weise ich darauf hin, dass Art. 11 der Richtlinie 2006/126 nach seiner Überschrift Vorschriften „über den Umtausch, den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung der Führerscheine“ betrifft, was vom Wortlaut her meines Erachtens darauf schließen lässt, dass diese Vorschriften nicht unbedingt miteinander in Verbindung stehen.

81. Sodann ist festzustellen, dass Abs. 4 dieses Artikels durch den Unionsgesetzgeber von Abs. 2 desselben Artikels getrennt wurde, da der Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Verhältnis zur letztgenannten Vorschrift um vier Jahre vorgezogen wurde, woraus sich meines Erachtens nicht gerade entnehmen lässt, dass die Absätze dieses Artikels untrennbar miteinander verknüpft wären.

82. Schließlich weise ich darauf hin, dass die verschiedenen Bestimmungen von Abs. 4 des Art. 11 eindeutig unterschiedliche Sachverhalte regeln. So finden Unterabs. 1 und 3 des genannten Absatzes auf den Fall Anwendung, dass der betreffende Mitgliedstaat als Ausstellermitgliedstaat tätig wird(20) . Unterabs. 2 des genannten Absatzes dagegen regelt einen völlig anderen Sachverhalt, nämlich den Fall, dass der Mitgliedstaat auf eine vom Ausstellermitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis die Einschränkungen anwendet, die sich aus der Anwendung seines zwingenden innerstaatlichen Rechts, des Straf- oder Polizeirechts, ergeben – ein Fall, der hier vorliegt. Die Bestimmungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 haben daher einen eindeutigen Gehalt, ohne dass es nötig wäre, sie mit Abs. 2 des Art. 11 in Zusammenhang zu bringen.

83. Die Bestimmungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 sind ihrerseits eine Ausgestaltung des Territorialitätsgrundsatzes, da sie die Einschränkung der Gültigkeit eines Führerscheins im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde.

84. Zweifel hieran gibt es umso weniger, als in der vom Unionsgesetzgeber verwendeten neuen Formulierung der Wille zu einer strengeren Regelung zum Ausdruck kommt, die aber nicht erreicht werden könnte, wenn man der von Frau Aykul vertretenen Auffassung folgte. Während nämlich Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 die Aberkennung der von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrberechtigung in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellte, sind diese nach dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 nunmehr zur Aberkennung verpflichtet.

85. Das konkrete Ergebnis dieser strengeren Ausgestaltung stellt im Übrigen eine Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine dar, die dem Geist des Systems entspricht, da die gegenseitige Anerkennung die Freizügigkeit fördert und die Einschränkung dieser Anerkennung als Folge eines Gesetzesverstoßes, indem sie ein fahrlässiges Handeln und eine mögliche Gefahrenquelle beseitigt, die Verkehrssicherheit und somit ihrerseits die Freizügigkeit verbessert, was gerade der Zweck der Richtlinie 2006/126 ist(21) . Die zeitliche und räumliche Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung ist erforderlich, um den Eintritt des Gegenteils von dem zu verhindern, was die Richtlinie 2006/126 in Art. 11 Abs. 4 erreichen will, nämlich eine größere Sicherheit durch verstärkte Bekämpfung gefährlicher Verhaltensweisen. Ich kann nicht umhin, nochmals darauf hinzuweisen, dass die vorgezogene Anwendung von Art. 11 Abs. 4 dem klaren Willen des Gesetzgebers der Union entspricht.

86. Worin bestünde nämlich die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats gegen Unionsbürger, die Gesetzesverstöße im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats begehen, keine Sanktionen verhängen könnten, weil sie in diesem Gebiet nur „fahren“? Dies liefe darauf hinaus, dass diese Bürger nicht mit einer Sanktion belegt werden können, obwohl sie eine Gefahr für sich selbst und für andere Verkehrsteilnehmer darstellen.

87. Würde man im vorliegenden Fall die Gültigkeit einer Fahrerlaubnis anerkennen, so liefe das dem Ziel der Verbesserung der Verkehrssicherheit zuwider.

88. Zudem hat der Gerichtshof im Hinblick auf die vom Unionsgesetzgeber verwendete neue Formulierung festgestellt, dass der Unterschied im Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 nicht geeignet ist, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen in Frage zu stellen, unter denen die Anerkennung eines Führerscheins aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 91/439 abgelehnt werden konnte und nunmehr aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 abgelehnt werden muss(22) .

89. Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass die Feststellung, wonach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und deshalb eng auszulegen ist(23), für die nunmehr in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 enthaltene Verpflichtung gültig bleibt(24) .

90. Der Gerichtshof hat ferner klargestellt, dass die Umstände, unter denen ein Führerschein gemäß Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 nicht als gültig anerkannt werden kann, nicht auf die Fälle beschränkt sind, in denen der Inhaber dieses Führerscheins den Umtausch des Führerscheins beantragt. Diese Bestimmung hat auch den Zweck, es dem Mitgliedstaat zu ermöglichen, in seinem Hoheitsgebiet seine nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden, wenn der Inhaber des Führerscheins z. B. einen Gesetzesverstoß begangen hat(25) .

91. Es ist nunmehr zu prüfen, ob der Entzug seinem Wesen nach von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 erfasst wird. Anders gesagt: Ist die Unterscheidung zwischen der strafrechtlichen Natur und der verwaltungsrechtlichen Natur der Sanktion erheblich?

92. Im vorliegenden Fall stellte die Staatsanwaltschaft Ravensburg das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein(26) . In der Vorlageentscheidung heißt es, dass die Fahrerlaubnis von Frau Aykul durch das Landratsamt Ravensburg, also durch eine Verwaltungsbehörde, entzogen worden sei und dass dieser Entzug aufgrund des Fahrerlaubnisrechts erfolgt sei. Wenn Zweifel an der Fahreignung aufträten, sehe die deutsche Rechtsordnung zunächst die Überprüfung der Fahreignung vor. Stehe fest, dass die Fahreignung nicht oder nicht mehr bestehe, sei die Fahrerlaubnisbehörde nach dem Gesetz verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das vorlegende Gericht stellt klar, dass ein Ermessen insoweit nicht bestehe(27) .

93. Die Kommission bezieht sich auf Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126(28), teilt jedoch nicht die Auffassung, dass der Führerscheinentzug mangels Fahreignung als strafrechtliche Schutzmaßnahme(29) und somit als vom Vorbehalt in Bezug auf das straf- und polizeirechtliche Territorialprinzip gedecktes Strafrecht betrachtet werden könne(30) .

94. Dieser Auffassung, der Frau Aykul in der mündlichen Verhandlung gefolgt ist, vermag ich nicht beizupflichten.

95. Wie vorstehend ausgeführt, regelt Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 den hier vorliegenden Fall, in dem die Sanktion aufgrund von Straf- und Polizeigesetzen eines Mitgliedstaats anwendbar ist, der der Mitgliedstaat der Begehung des Gesetzesverstoßes ist.

96. Die Begriffe des Strafrechts und des Polizeirechts erscheinen in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 im Satzteil „Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips“. Die Richtlinie gibt jedoch ebenso wenig wie die Richtlinie 2006/126 eine Definition dieses Satzteils oder dieser Begriffe; auch die Rechtsprechung gibt keinen Hinweis für die Auslegung.

97. Der Begriff des Strafrechts ist aus sich heraus verständlich. Der Begriff des Polizeirechts(31) dagegen lässt unmittelbar an den Begriff des Schutzes der öffentlichen Sicherheit denken. Beide Begriffe verweisen unbestreitbar auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Staates, ein Begriff, der in den territorialen Grenzen des Staates Geltung hat.

98. Die Begehung von Gesetzesverstößen, die Gefahren und Unsicherheiten für die Bürger mit sich bringen, ist eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und rechtfertigt eine Sanktion.

99. Diese Sanktion kann je nach Art und Schwere und entsprechend der gerichtlichen Organisation des Staates, die eine Trennung der behördlichen oder der gerichtlichen Handlungen vorsehen kann, unterschiedliche Formen annehmen, die aber alle demselben Ziel verpflichtet sind, und zwar hier dem Ziel, das von der Richtlinie 2006/126 vorgegeben ist.

100. Die Verwendung der beiden Begriffe „Strafrecht“ und „Polizeirecht“ verweist daher nicht auf einen Unterschied, sondern führt ein komplementäres Verhältnis ein.

101. Diese Komplementarität ergibt sich meines Erachtens aus dem Begriff „Strafsachen“, wie ihn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwendet.

102. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache ausgeführt habe, die mit dem Urteil Kommission/Parlament und Rat (C‑43/12, EU:C:2014:298) abgeschlossen wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen funktionellen Ansatz zur Bestimmung dessen herangezogen, was zu den Strafsachen im Rahmen von Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zählt. Ich nehme hier Bezug auf sein Urteil Öztürk/Deutschland vom 21. Februar 1984(32), das sich auf Verkehrsdelikte bezieht. Diesem Ansatz folgend bestehen keine Zweifel, dass Verkehrsdelikte insoweit einen strafrechtlichen Charakter haben, als sie in den Mitgliedstaaten zu Sanktionen führen, die sowohl repressiven als auch abschreckenden Charakter haben. Es ist also unerheblich, ob diese Sanktionen dem Verwaltungs- oder dem Strafrecht der Mitgliedstaaten unterliegen(33) .

103. Die Komplementarität der beiden Begriffe wird meines Erachtens auch aus dem Ablauf des nationalen Verfahrens deutlich.

104. Aus dem genannten Grund nämlich entschied sich die Strafverfolgungsbehörde, ausgehend von der begangenen, sowohl strafrechtlich als auch verwaltungsrechtlich sanktionierten Straftat, durch Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens dafür, dem Verwaltungsverfahren den Vorzug zu geben, das angesichts eines Gesetzesverstoßes, der rechtlich und sachlich einfach gelagert war und zweifellos kein schwerfälliges klassisches Strafverfahren rechtfertigte, schneller und weniger aufwendig ist.

105. Diese Wahl, die das Gesetz als Möglichkeit vorsieht und die von der Staatsanwaltschaft getroffen wird, ist Ausdruck eines klassischen Systems, das in manchen Staaten „Entscheidung über die Opportunität der Strafverfolgung“ genannt wird, ein missverständlicher Ausdruck, an dessen Stelle ich den Ausdruck „Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der Strafverfolgung“ setzen möchte. Wie immer auch die Bezeichnung sein möge, dieses Vorgehen stellt ein klassisches Verfahren dar, in dem die für eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eines Staates vorgesehene Sanktion umfassend, koordiniert und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit beurteilt und angewandt wird.

106. Die genannte Komplementarität erscheint mir daher im Fall von Frau Aykul bestimmend für den Ausgang des Verfahrens zu sein.

107. Das räumlich anwendbare deutsche Recht sieht im Fall von Frau Aykul zum einen vor, dass der Gesetzesverstoß zu einer Aussetzung der Fahrberechtigung führt, also zu einer sofortigen Sanktion, die nicht nur eine Buße für das Vergehen ist, sondern auch wegen der möglichen Gefahr erfolgt, die für andere Verkehrsteilnehmer besteht, weil Frau Aykul den Konsum von Cannabis und das Fahren von Kraftfahrzeugen nicht trennt; es sieht zum anderen vor, dass Frau Aykul nach Aussetzung der Fahrberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland diese Fahrberechtigung erst nach einem positiven Gutachten einer medizinischen Begutachtungsstelle wiedererlangen kann. Diese Verbindung der beiden Aspekte, d. h. die Sanktion, zu der die in bestimmten Rechtsvorschriften „Sicherungsmaßregeln“ genannten Maßnahmen treten, die die Wiederholung gefährlicher Gesetzesverstöße verhindern sollen, ist in modernen Rechtsvorschriften durchaus typisch.

108. Meines Erachtens ist der Entzug der Fahrerlaubnis seinem Wesen nach durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 gedeckt; nunmehr sind jedoch die Schlussfolgerungen aus der Anwendung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes zu ziehen.

3. Anerkennung der die Fahrerlaubnis betreffenden strafrechtlichen Entscheidung durch die anderen Mitgliedstaaten

109. Nach dem straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzip hat eine Person, die im Hoheitsgebiet eines Staates ein Kraftfahrzeug führt, die Gesetze dieses Staates zu beachten.

110. Wie die polnische Regierung ausführt(34) und die Klägerin des Ausgangsverfahrens einräumt(35), hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dann, wenn in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Zuwiderhandlung begangen wird, allein dieser Mitgliedstaat dafür zuständig ist, diese zu ahnden, indem er gegebenenfalls eine Maßnahme des Entzugs gegen die betreffende Person verhängt(36) .

111. Frau Aykul wurde ihre österreichische Fahrerlaubnis mit der Folge entzogen, dass sie im deutschen Hoheitsgebiet ein Kraftfahrzeug erst wieder führen darf, wenn sie den Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung in diesem Gebiet erbringt. Die Frage des vorlegenden Gerichts ist, welche Behörden für die Prüfung dieser Eignung zuständig sind.

112. Der Gerichtshof hat wiederholt ausgeführt, dass die Fahreignung eine Voraussetzung für die „Ausstellung“ der Fahrerlaubnis ist, deren Prüfung allein Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats ist(37) . Wie aber ausgeführt, wird im Ausgangsverfahren nicht die Fahreignung bei Erteilung der Fahrerlaubnis, sondern nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieser Fahrerlaubnis in Frage gestellt, dessen Ahndung nur im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats Wirkungen zeitigt, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde.

113. Ebenso wie die polnische Regierung bin ich der Ansicht, dass bei Anwendung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, zu entscheiden haben, ob der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis die Fahreignung in seinem Hoheitsgebiet wiedererlangt hat.

114. Es würde nämlich zu Ungereimtheiten führen, wenn der Ausstellermitgliedstaat die eigenen Vorschriften über die Prüfung der Fahreignung anwenden würde, um dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrberechtigung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats wiederzuerteilen, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde.

115. Wie die polnische Regierung zu Recht darlegt, kann, wenn der Verlust der Fahrberechtigung auf der Grundlage von Regelungen erfolgte, die nicht im Ausstellermitgliedstaat gelten(38), schwerlich verlangt werden, dass dieser Mitgliedstaat das Verfahren der Wiedererteilung der genannten Berechtigung nach den eigenen Prüfungsregeln betreibt(39) .

116. Geht man von der ausschließlichen Zuständigkeit des Ausstellermitgliedstaats aus, könnte dies zu zwei verschiedenen Lösungen führen, nämlich dazu, dass der Ausstellermitgliedstaat in einem Fall wie dem von Frau Aykul entweder selbst prüft, ob die nach dem Gesetz des Begehungsstaates erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind – eine Lösung, die sichtlich über die gegenseitige Anerkennung einer Gerichtsentscheidung eines Mitgliedstaats durch einen anderen hinausgeht –, oder dass er die gesetzlichen Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Verstoß begangen wurde, nicht anerkennt, weil sie in dem Ausstellermitgliedstaat nicht gelten. Diese letztgenannte, von der Kommission gebilligte Auffassung wird von der Republik Österreich vertreten.

117. Wollte man dieser letztgenannten Auffassung folgen, würde dies notwendigerweise auf die Annahme hinauslaufen, dass die Richtlinie 2006/126 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Harmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten zugunsten des Ausstellermitgliedstaats zur Folge hätte, allerdings mit einer auf das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Zuwiderhandlung beschränkten Wirkung. Meines Erachtens kann kaum behauptet werden, dass gerade hierin – obendrein noch implizit – eine der von der Richtlinie beabsichtigten großen Neuerungen liegen solle.

118. Dagegen darf der Mitgliedstaat der Zuwiderhandlung, sobald die Sanktion vollstreckt ist, für die Wiedererteilung des Rechts, in seinem Hoheitsgebiet ein Fahrzeug zu führen, nicht Voraussetzungen aufstellen, die enger sind als die Voraussetzungen, die die Richtlinie für die Ausstellung einer Fahrerlaubnis aufstellt. Anders gesagt, das Erfordernis, sich in einem Fall wie dem von Frau Aykul einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, darf nur zur Feststellung dienen, ob die mit einer Sanktion belegte Person zukünftig die von der Richtlinie 2006/126 verlangte Gewähr bietet, nicht mehr und nicht weniger. Insoweit sieht Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126 vor, dass ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden darf, die eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen.

119. Aus den Nrn. 15 und 15.1 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126 ergibt sich, dass einer Person, die von Drogen abhängig ist oder, auch ohne abhängig zu sein, solche Stoffe regelmäßig einnimmt oder von ihnen regelmäßig übermäßig Gebrauch macht, eine Fahrerlaubnis weder erteilt noch ihre Fahrerlaubnis erneuert werden darf.

120. Das vom deutschen Recht vorgesehene Verfahren gemäß den Nrn. 15 und 15.1 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126, das nach einem Gesetzesverstoß stattfindet, bezweckt gerade die Prüfung, ob der Betroffene noch unter dem Einfluss von Drogen steht und ob er für sich und die anderen Verkehrsteilnehmer keine Gefahr mehr darstellt.

121. Zwar sind die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, zuständig für die Prüfung, ob der Inhaber der Fahrerlaubnis die Fahreignung für das Gebiet dieses Mitgliedstaats wiedererlangt hat. Es ist jedoch zu klären, ob der Entzug nicht durch eventuelle andere Vorschriften oder durch andere Auswirkungen, insbesondere hinsichtlich ihrer Dauer, den Vorschriften des Unionsrechts widerspricht(40) .

122. Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 berufen kann, um einer Person, auf die eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später, d. h. nach Ablauf der Sperrfrist, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird(41) .

123. Eine derartige Auslegung gilt meines Erachtens erst recht im vorliegenden Fall, in dem sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 berufen kann, um auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis zu versagen, wenn auf den Inhaber dieser Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eine einschränkende Maßnahme angewendet wurde.

124. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, der den Schlussstein des mit der Richtlinie 91/439 eingeführten Systems darstellt, würde nämlich geradezu negiert, hielte man einen Mitgliedstaat für berechtigt, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern(42) .

125. Es ist somit zu prüfen, ob die Bundesrepublik Deutschland durch ihre eigenen Regelungen in Wirklichkeit nicht die Anerkennung der von den österreichischen Behörden ausgestellten Fahrerlaubnis unbegrenzt verweigert.

126. Nach deutschem Recht wurde gegen Frau Aykul, wie erinnerlich, eine Geldbuße verhängt und ein Entzug der Fahrerlaubnis nur für das deutsche Hoheitsgebiet für die Dauer von einem Monat angeordnet. Sie hat die Möglichkeit, die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland mit der österreichischen Fahrerlaubnis neu zu beantragen. Dabei kann von einer ausreichenden Kraftfahreignung für die Teilnahme am Straßenverkehr in Deutschland erst wieder ausgegangen werden, wenn Frau Aykul ein positives Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland vorgelegt hat. Eine positive Begutachtung setzt in der Regel den Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz voraus.

127. Meines Erachtens zielen die anwendbaren nationalen Vorschriften darauf ab, die Wirkungen eines Entzugs zeitlich zu verlängern, versagen jedoch nicht unbegrenzt die Anerkennung der Fahrerlaubnis, da, wie die deutsche Regierung in ihrer schriftlichen Antwort auf die Frage des Gerichtshofs ausgeführt hat, auch ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens die Berechtigung zum Gebrauchmachen von der ausländischen Fahrerlaubnis, sofern es sich um eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis handelt, dann wieder zuerkannt wird, wenn die Eintragung der Eignungsmängel aus dem Fahreignungsregister getilgt worden ist(43) .

128. Im Fall von Frau Aykul dürfte nach den Ausführungen der deutschen Regierung die Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b StVG fünf Jahre betragen, da das Fahren unter dem Einfluss berauschender Mittel als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit zwei Punkten bewertet ist. Nach Ablauf dieser Frist kann Frau Aykul wieder von ihrer österreichischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch machen, ohne ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt zu haben(44) .

129. Dass die Wiedererteilung der Fahrberechtigung im deutschen Hoheitsgebiet von einem positiven medizinisch-psychologischen Gutachten abhängt, das auf der Basis eines positiven Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland erstellt wird, kann zwar als eine Maßnahme mit Zwangscharakter angesehen sein(45) . Meines Erachtens ist insoweit nur eine Einschränkung zu machen: Die Bescheinigung muss auch von einer Begutachtungsstelle oder gleichwertigen Stelle stammen können, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist und die Kriterien der Richtlinie 2006/126 anwendet. Die Maßnahme als solche ist jedoch als ein wirksames Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit anzusehen(46) .

130. Das Aktionsprogramm der Kommission bezweckt im Hinblick auf das Ziel einer Verbesserung der Verkehrssicherheit, die Verkehrsteilnehmer zu einem besseren Verhalten anzuhalten, insbesondere durch bessere Einhaltung der geltenden Vorschriften und durch fortgesetzte Anstrengungen zur Bekämpfung gefährlichen Fahrverhaltens(47) .

131. Die Kommission hat ebenfalls betont, wie wichtig die Verkehrserziehung, die Fahrausbildung, die Kontrolle und gegebenenfalls die Sanktionierung der Straßenverkehrsteilnehmer sind, da diese das erste Glied in der Kette der Verkehrssicherheit sind(48) .

132. Die Maßnahme steht daher im Einklang mit der oben angeführten Rechtsprechung und ist meines Erachtens ausreichend wirksam, verhältnismäßig und abschreckend im Hinblick auf die Ziele der Verkehrssicherheit, die die Kommission seit einer Reihe von Jahren zu ihrem Hauptthema macht(49) . Die Verfolgung der Gesetzesverstöße ohne abschreckende Sanktionen kann nämlich nicht erfolgreich sein.

133. Jedenfalls kann sich Frau Aykul, um die Fahrberechtigung im deutschen Hoheitsgebiet wiederzuerlangen, entweder einer ärztlichen Begutachtung während eines Zeitraums von einem Jahr unterziehen oder sie kann die Tilgung der Eintragung ihrer Eignungsmängel aus dem Register nach Ablauf von fünf Jahren abwarten.

134. Ich weise ferner darauf hin, dass das den Unionsbürgern durch Art. 21 AEUV verliehene Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Union frei zu bewegen und aufzuhalten, dessen Ausübung die Richtlinie 2006/126 erleichtern soll, im Fall von Frau Aykul nicht beschränkt wird, da die Nichtanerkennung der Gültigkeit ihrer österreichischen Fahrerlaubnis eine nur zeitlich begrenzte Wirkung hat und auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränkt ist, weil sie im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten weiterhin fahren kann.

135. Insofern bin ich der Meinung, dass die deutsche Regelung durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 und nicht durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 gedeckt ist. Die erstgenannte Vorschrift ist nämlich dahin zu verstehen, dass sie dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Gesetzesverstoß stattfand, erlaubt, die Versagung der Anerkennung der Gültigkeit der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis in ihren Wirkungen auf sein Hoheitsgebiet zu beschränken, während an die Anwendung der zweitgenannten Vorschrift aufgrund der Möglichkeit, den Führerschein umzutauschen, Wirkungen in allen Mitgliedstaaten geknüpft sind.

136. Nach alledem sollte der Gerichtshof meines Erachtens auf die Vorlagefragen antworten, dass die Richtlinie 2006/126 einen Mitgliedstaat verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn infolge einer im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats nach Ausstellung dieses Führerscheins begangenen Verkehrswidrigkeit mit strafrechtlichem Charakter dem Führerscheininhaber die Fahrerlaubnis für das genannte Gebiet entzogen wurde, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr geeignet war und die Verkehrssicherheit gefährdete. Der Führerscheininhaber erlangt die Fahreignung für das genannte Gebiet wieder bei Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, vorgesehen sind, sofern die nationale Regelung weder dazu führt, dass Voraussetzungen aufgestellt werden, die die Richtlinie 2006/126 für die Ausstellung des Führerscheins nicht verlangt, noch dazu, dass die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf unbestimmte Zeit versagt wird.

IV – Ergebnis

137. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Verwaltungsgericht Sigmaringen zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein verpflichtet einen Mitgliedstaat, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn infolge einer im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats nach Ausstellung dieses Führerscheins begangenen Verkehrswidrigkeit mit strafrechtlichem Charakter dem Führerscheininhaber die Fahrerlaubnis für das genannte Gebiet entzogen wurde, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr geeignet war und die Verkehrssicherheit gefährdete. Der Führerscheininhaber erlangt die Fahreignung für das genannte Gebiet wieder bei Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, vorgesehen sind, sofern die nationale Regelung weder dazu führt, dass Voraussetzungen aufgestellt werden, die die Richtlinie 2006/126 für die Ausstellung des Führerscheins nicht verlangt, noch dazu, dass die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf unbestimmte Zeit versagt wird.

(1) .

(2) – ABl. L 237, S. 1. Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 2009/112/EG der Kommission vom 25. August 2009 (ABl. L 223, S. 26) (im Folgenden: Richtlinie 91/439).

(3) – ABl. L 403, S. 18.

(4)  – Vgl. insbesondere Urteile Kapper (C‑476/01, EU:C:2004:261), Wiedemann und Funk (C‑329/06 und C‑343/06, EU:C:2008:366), Weber (C‑1/07, EU:C:2008:640), Grasser (C‑184/10, EU:C:2011:324), Akyüz (C‑467/10, EU:C:2012:112) und Hofmann (C‑419/10, EU:C:2012:240).

(5)  – Vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie.

(6)  – Der ordentliche Wohnsitz wird in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie definiert als „der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt“.

(7)  – Vgl. erster Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126.

(8)  – Die Definition des ordentlichen Wohnsitzes in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 stimmt mit der in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 überein.

(9)  – BGBl. 2003 I S. 310, im Folgenden: StVG.

(10)  – BGBl. 1998 I S. 2214, im Folgenden: FeV.

(11)  – Urteil Akyüz (C‑467/10, EU:C:2012:112, Rn. 32).

(12)  – Vgl. Urteile Deridder (C‑290/01, EU:C:2004:120, Rn. 37 und 38) und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (C‑157/10, EU:C:2011:813, Rn. 17 bis 21).

(13)  – Vgl. Rn. 10 und 11 der schriftlichen Erklärungen der polnischen Regierung.

(14) – Hervorhebung nur hier. Vgl. Urteile Schwarz (C‑321/07, EU:C:2009:104, Rn. 77), Grasser (EU:C:2011:324, Rn. 21) und Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 46).

(15)  – Vgl. Urteil Le Rayon d’Or (C‑151/13, EU:C:2014:185, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

(16) – Ebd. (Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

(17)  – Vgl. Nr. 3 der Erklärungen der italienischen Regierung.

(18) – Hervorhebung nur hier.

(19)  – In dem Schreiben des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg wurde ausgeführt, der Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 berechtige, anders als der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, nicht nur den Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes, sondern jeden Mitgliedstaat zur Nichtanerkennung (S. 5 f. des Vorlagebeschlusses).

(20)  – In Unterabs. 1 heißt es: „Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, … einen Führerschein auszustellen “, und in Unterabs. 3: „Ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, … einen Führerschein auszustellen “ (Hervorhebung nur hier).

(21)  – Die Union hat bereits seit vielen Jahren das Ziel der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit zu ihrem Hauptthema gemacht hat. Sie setzt sich das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2010 die Zahl der Unfälle zu verringern (vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Ein europäischer Raum der Straßenverkehrssicherheit: Leitlinien für die Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit 2011–2020 (KOM[2010] 389 endg., S. 2).

(22)  – Vgl. Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 65).

(23)  – Urteil Kapper (EU:C:2004:261, Rn. 70 und 72 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Beschluss Halbritter (C‑227/05, EU:C:2006:245, Rn. 26).

(24)  – Vgl. Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 71).

(25)  – Vgl. Urteil Kapper (EU:C:2004:261, Rn. 73).

(26) – Vgl. S. 3 der Vorlageentscheidung.

(27) – Vgl. S. 14 der Vorlageentscheidung.

(28)  – Ich weise darauf hin, dass im vorliegenden Fall Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zeitlich Anwendung findet.

(29)  – Das vorlegende Gericht benutzt hier den Ausdruck „strafrechtliche Sicherungsmaßregel“.

(30)  – Vgl. Rn. 39 bis 41 der Erklärungen der Kommission.

(31)  – Das vorlegende Gericht führt in der Vorlageentscheidung aus, dass das Fahrerlaubnisrecht Polizeiordnungsrecht sei (vgl. S. 14 der Vorlageentscheidung).

(32)  – Serie A Nr. 73, insbesondere §§ 53 bis 56.

(33)  – Schlussanträge Kommission/Parlament und Rat (C‑43/12, EU:C:2013:534, Rn. 65).

(34)  – Vgl. Rn. 25 der Erklärungen der polnischen Regierung.

(35)  – Vgl. Nr. 9 der schriftlichen Erklärungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens.

(36)  – Urteil Weber (EU:C:2008:640, Rn. 38).

(37)  – Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

(38)  – Die Republik Österreich hätte gegen Frau Aykul nichts unternommen und sie daher nicht mit einer Sanktion belegt, wenn sie die Zuwiderhandlung in ihrem Hoheitsgebiet begangen hätte (vgl. S. 4 bis 7 der Vorlageentscheidung).

(39)  – Vgl. Rn. 34 der Erklärungen der polnischen Regierung.

(40)  – Vgl. in diesem Sinne Urteil Unamar (C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 46 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

(41)  – Vgl. Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

(42)  – Vgl. Urteil Akyüz (EU:C:2012:112, Rn. 57).

(43)  – Vgl. Rn. 11 der schriftlichen Antwort.

(44)  – Vgl. Rn. 13 der schriftlichen Antwort.

(45)  – Durch das medizinisch-psychologische Gutachten muss der Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz erbracht werden. Diese Abstinenz ist durch ärztliche Untersuchungen auf der Basis von mindestens vier unvorhersehbar anberaumten Laboruntersuchungen innerhalb der Jahresfrist nachzuweisen.

(46)  – Vgl. zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126.

(47)  – Vgl. S. 4 der Mitteilung der Kommission „Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit – Halbierung der Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr in der Europäischen Union bis 2010: eine gemeinsame Aufgabe“ (KOM[2003] 311 endg.).

(48)  – Vgl. Mitteilung der Kommission, angeführt in Fn. 21 (S. 5).

(49)  – Vgl. das Aktionsprogramm, angeführt in Fn. 47, in dem es heißt, dass „[d]ie Nichtbeachtung von Straßenverkehrsvorschriften … durch die Einführung von Maßnahmen für eine Verbesserung der Kontrollen und zur Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen auf Ebene der Europäischen Union … zu bekämpfen [ist]“ (S. 10), Entschließung des Rates vom 27. November 2003 über die Bekämpfung des Konsums psychoaktiver Substanzen in Verbindung mit Verkehrsunfällen (ABl. 2004, C 97, S. 1), die unterstreicht, dass es wichtig ist, „alle geeigneten Bestimmungen, auch über Sanktionen, betreffend Führer von Fahrzeugen zu erlassen, die unter Einfluss von psychoaktiven Substanzen stehen, welche ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen“ (Nr. 29), und Empfehlung der Kommission vom 6. April 2004 zu Durchsetzungsmaßnahmen im Bereich der Straßenverkehrssicherheit (ABl. L 111, S. 75), die im neunten Erwägungsgrund bestimmt, dass „die Mitgliedstaaten generell nach dem Grundsatz [verfahren], diese Verstöße durch effektive, angemessene und abschreckende Sanktionen zu ahnden“.


SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 4. September 2014 ( 1 )

Rechtssache C‑260/13

Sevda Aykul

gegen

Land Baden-Württemberg

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Sigmaringen [Deutschland])

„Vorabentscheidungsersuchen — Richtlinien 91/439/EWG und 2006/126/EG — Führerschein — Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 — Weigerung eines Mitgliedstaats, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der einer Person, die unter Drogeneinfluss in seinem Hoheitsgebiet gefahren ist, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist — Schuldhaftes Verhalten des Führerscheininhabers nach Ausstellung des Führerscheins — Entzug der Fahrerlaubnis — Verfahren zur Überprüfung der Fahreignung — Zuständige Behörden — Erhöhung der Sicherheit des Straßenverkehrs“

1. 

Das dem Gerichtshof vorgelegte Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Vorschriften der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein ( 2 ) und der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 ( 3 ), die jene ersetzt hat.

2. 

Der Gerichtshof hat sich zu der Frage zu äußern, ob ein Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, es nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieses Führerscheins – hier das Fahren unter Drogeneinfluss –, der auf dem genannten Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattfand, ablehnen darf, die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen.

3. 

Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich von denen, mit denen sich der Gerichtshof bisher in zahlreichen fahrerlaubnisrechtlichen Streitigkeiten zu befassen hatte ( 4 ), da es in diesen früheren Rechtssachen um die Frage ging, ob sich der Betroffene in einem Mitgliedstaat, nachdem eine Fahrerlaubnis in ihm entzogen oder ausgesetzt wurde, auf eine in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Fahrerlaubnis berufen kann.

4. 

Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt auch darin, dass nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Verstoß begangen wurde, hier die Bundesrepublik Deutschland, die Fahrerlaubnis für dieses Gebiet entzogen wurde, weil die Fahreignung der Betroffenen nicht mehr gegeben sei.

5. 

Nicht die Fahreignung im Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis also, sondern in einem späteren Zeitpunkt, nämlich nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieser Fahrerlaubnis, wird in Frage gestellt. Die Frage, die sich stellt, ist, welche Behörden für die Prüfung zuständig sind, ob der genannte Inhaber die Fahreignung für das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem der Verstoß begangen wurde, wiedererlangt hat.

6. 

Bei meiner Untersuchung werde ich zunächst die Vorschriften des im vorliegenden Fall anwendbaren Unionsrechts bestimmen und die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Deutschland) neu formulieren.

7. 

Nach Prüfung dieser Vorlagefragen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu antworten, dass Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 einen Mitgliedstaat verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn infolge einer im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats nach Ausstellung dieses Führerscheins begangenen Verkehrswidrigkeit mit strafrechtlichem Charakter dem Führerscheininhaber die Fahrerlaubnis für das genannte Gebiet entzogen wurde, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr geeignet war und die Verkehrssicherheit gefährdete. Der Führerscheininhaber erlangt die Fahreignung für das genannte Gebiet wieder bei Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, vorgesehen sind, sofern die nationale Regelung weder dazu führt, dass Voraussetzungen aufgestellt werden, die die Richtlinie 2006/126 für die Ausstellung des Führerscheins nicht verlangt, noch dazu, dass die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf unbestimmte Zeit versagt wird.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

1. Richtlinie 91/439

8.

Um die Freizügigkeit von Personen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder ihre Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie ihren Führerschein erworben haben, zu erleichtern, wurde mit der Richtlinie 91/439 der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine eingeführt ( 5 ).

9.

Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss.“

10.

Nach dem vierten Erwägungsgrund sind „[a]us Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr … Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen“.

11.

Der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 bestimmt:

„Außerdem sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz[ ( 6 )] in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat“.

12.

Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können unbeschadet der einzelstaatlichen straf- und polizeirechtlichen Vorschriften nach Konsultierung der Kommission innerstaatliche Vorschriften über andere als die in dieser Richtlinie genannten Anforderungen auf die Ausstellung des Führerscheins anwenden.“

13.

Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 lautet:

„(2)   Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

(4)   Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde.“

2. Richtlinie 2006/126

14.

Die Richtlinie 2006/126 fasst die Richtlinie 91/439 neu, weil diese mehrfach geändert wurde ( 7 ).

15.

Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Die Regelungen zum Führerschein sind wesentliche Bestandteile der gemeinsamen Verkehrspolitik, tragen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit bei und erleichtern die Freizügigkeit der Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, der den Führerschein ausgestellt hat, niederlassen. Angesichts der Bedeutung der individuellen Verkehrsmittel fördert der Besitz eines vom Aufnahmemitgliedstaat anerkannten Führerscheins die Freizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit der Personen …“

16.

Nach dem achten Erwägungsgrund der Richtlinie sollten „[a]us Gründen der Straßenverkehrssicherheit … die Mindestvoraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis festgelegt werden“.

17.

Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sollten aus Gründen der Verkehrssicherheit die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung, die Erneuerung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, der seinen ordentlichen Wohnsitz[ ( 8 )] in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat.“

18.

In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie heißt es: „Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.“

19.

Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie bestimmt:

„1.   Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die

a)

eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen“.

20.

In Art. 11 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„2.   Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

4.   …

Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.

…“

21.

Art. 16 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/126 bestimmt:

„1.   Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 19. Januar 2011 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um Artikel 1 Absatz 1, Artikel 3, Artikel 4 Absätze 1, 2 und 3 sowie Absatz 4 Buchstaben b bis k, Artikel 6 Absatz 1 sowie Absatz 2 Buchstaben a, c, d und e, Artikel 7 Absatz 1 Buchstaben b, c und d sowie Absätze 2, 3 und 5, die Artikel 8, 10, 13, 14 und 15 sowie Anhang I Nummer 2, Anhang II Nummer 5.2 in Bezug auf die Klassen A1, A2 und A und den Anhängen IV, V und VI nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.

2.   Sie wenden diese Vorschriften ab dem 19. Januar 2013 an.“

22.

Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 lautet:

„Die Richtlinie 91/439/EWG wird – unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den in Anhang VII Teil B genannten Fristen für die Umsetzung jener Richtlinie in nationales Recht – mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben.“

23.

In Art. 18 der Richtlinie 2006/126 heißt es:

„Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 2 Absatz 1, Artikel 5, Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a, Artikel 9, Artikel 11 Absätze 1, 3, 4, 5 und 6, Artikel 12 und die Anhänge I, II und III gelten ab dem 19. Januar 2009.“

B – Deutsche Rechtsvorschriften

24.

§ 2 des Straßenverkehrsgesetzes in seiner für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung ( 9 ) bestimmt:

„(1)   Wer auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug führt, bedarf der Erlaubnis (Fahrerlaubnis) der zuständigen Behörde (Fahrerlaubnisbehörde) …

(4)   Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat …

(11)   Nach näherer Bestimmung durch Rechtsverordnung … berechtigen auch ausländische Fahrerlaubnisse zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland …“

25.

§ 3 („Entziehung der Fahrerlaubnis“) Abs. 1 und 2 StVG bestimmt:

„(1)   Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung – auch wenn sie nach anderen Vorschriften erfolgt – die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen …

(2)   Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Nach der Entziehung ist der Führerschein der Fahrerlaubnisbehörde abzuliefern oder zur Eintragung der Entscheidung vorzulegen. Die Sätze 1 bis 3 gelten auch, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis auf Grund anderer Vorschriften entzieht.“

26.

§ 29 („Tilgung der Eintragungen“) Abs. 1 StVG lautet:

„Die im Register gespeicherten Eintragungen werden nach Ablauf der in Satz 2 bestimmten Fristen getilgt. Die Tilgungsfristen betragen

1.   zwei Jahre und sechs Monate

bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit,

a)

die … als verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit einem Punkt bewertet ist oder

b)

soweit weder ein Fall des Buchstaben a noch der Nummer 2 Buchstabe b vorliegt und in der Entscheidung ein Fahrverbot angeordnet worden ist,

2.   fünf Jahre

a)

bei Entscheidungen über eine Straftat, vorbehaltlich der Nummer 3 Buchstabe a,

b)

bei Entscheidungen über eine Ordnungswidrigkeit, die … als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit zwei Punkten bewertet ist,

3.   zehn Jahre

a)

bei Entscheidungen über eine Straftat, in denen die Fahrerlaubnis entzogen oder eine isolierte Sperre angeordnet worden ist,

…“

27.

§ 11 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom 18. August 1998 ( 10 ) in ihrer für das Ausgangsverfahren geltenden Fassung bestimmt:

„Bewerber um eine Fahrerlaubnis müssen die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllen. Die Anforderungen sind insbesondere nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. Außerdem dürfen die Bewerber nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen haben, so dass dadurch die Eignung ausgeschlossen wird.“

28.

Anlage 4 zu § 11 FeV stellt fest, dass die Einnahme von Cannabis zu den Erkrankungen und Mängeln gehört, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. Eine Person, die Cannabis regelmäßig einnimmt, gilt als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet, während eine Person, die Cannabis gelegentlich einnimmt, als geeignet gilt, sofern sie den Konsum vom Fahren trennt, kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen vorliegt, keine Störung der Persönlichkeit besteht und kein Kontrollverlust gegeben ist.

29.

§ 29 FeV („Ausländische Fahrerlaubnisse“) lautet:

„(1)   Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis dürfen im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen, wenn sie hier keinen ordentlichen Wohnsitz nach § 7 haben …

(3)   Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse,

3.

denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist …

(4)   Das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis nach einer der in Absatz 3 Nummer 3 und 4 genannten Entscheidungen im Inland Gebrauch zu machen, wird auf Antrag erteilt, wenn die Gründe für die Entziehung nicht mehr bestehen.“

30.

§ 46 FeV („Entziehung, Beschränkung, Auflagen“) bestimmt:

„(1)   Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist.

(5)   Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

(6)   Mit der Entziehung erlischt die Fahrerlaubnis. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.“

31.

§ 69 des Strafgesetzbuchs (im Folgenden: StGB) bestimmt:

„(1)   Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist …

(2)   Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

2.

der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),

4.

des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,

so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen …“

32.

§ 69b StGB lautet:

„Wirkung der Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis

(1)   Darf der Täter auf Grund einer im Ausland erteilten Fahrerlaubnis im Inland Kraftfahrzeuge führen, ohne dass ihm von einer deutschen Behörde eine Fahrerlaubnis erteilt worden ist, so hat die Entziehung der Fahrerlaubnis die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Mit der Rechtskraft der Entscheidung erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland. Während der Sperre darf weder das Recht, von der ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, noch eine inländische Fahrerlaubnis erteilt werden.

(2)   Ist der ausländische Führerschein von einer Behörde eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausgestellt worden und hat der Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland, so wird der Führerschein im Urteil eingezogen und an die ausstellende Behörde zurückgesandt. In anderen Fällen werden die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Sperre in den ausländischen Führerscheinen vermerkt.“

II – Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsfragen

33.

Frau Aykul ist österreichische Staatsangehörige, wurde 1980 geboren und hat ihren Wohnsitz seit ihrer Geburt in Österreich. Am 19. Oktober 2007 erteilte ihr die Bezirkshauptmannschaft Bregenz eine österreichische Fahrerlaubnis.

34.

Am 11. Mai 2012 wurde sie in Leutkirch (Deutschland) einer Polizeikontrolle unterzogen. Ein wegen Verdachts einer Drogenbeeinflussung durchgeführter Urintest wies auf Cannabiskonsum hin. Nach diesem Test wurde eine Blutentnahme angeordnet und am selben Tag durchgeführt. In dem ärztlichen Protokoll wurde festgestellt, dass Frau Aykul nicht merkbar unter Drogeneinfluss zu stehen schien. Nach dem forensisch-toxikologischen Befund des Labors Enders, Stuttgart (Deutschland), vom 18. Mai 2012 ergab die Untersuchung der Blutprobe einen Gehalt an Tetrahydrocannabinol (im Folgenden: THC) von 18,8 ng/ml und einen THC‑COOH-Gehalt von 47,4 ng/ml.

35.

Die Staatsanwaltschaft Ravensburg (Deutschland) stellte am 4. Juli 2012 das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein.

36.

Mit Bußgeldbescheid der Stadt Leutkirch vom 18. Juli 2012 wurde gegen Frau Aykul wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Wirkung des berauschenden Mittels THC eine Geldbuße in Höhe von 590,80 Euro verhängt und ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet.

37.

Das Landratsamt Ravensburg (Deutschland) entzog Frau Aykul mit Verfügung vom 17. September 2012 die österreichische Fahrerlaubnis für den Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an. Zur Begründung wurde ausgeführt, Frau Aykul sei ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die durch Untersuchung der Blutprobe festgestellten Werte belegten, dass Frau Aykul zumindest gelegentlich Cannabis konsumiere und unter dem Einfluss von THC ein Kraftfahrzeug geführt habe. Sie sei nicht in der Lage, ihren Drogenkonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen zu trennen. Im Anhang zur Verfügung vom 17. September 2012 wurde Frau Aykul auf die Möglichkeit hingewiesen, die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland mit ihrer österreichischen Fahrerlaubnis neu zu beantragen. Von dieser Eignung könne erst wieder ausgegangen werden, wenn Frau Aykul ein positives Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland vorgelegt habe, das in der Regel den Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz voraussetze.

38.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass die vom deutschen Recht vorgesehenen Reaktionen auf Verkehrsverstöße und Hinweise auf eine fehlende Fahreignung auf drei verschiedenen Ebenen erfolgten, nämlich auf strafrechtlicher, ordnungswidrigkeitsrechtlicher und fahrerlaubnisrechtlicher Ebene.

39.

Der Fall von Frau Aykul entspreche der Praxis im Fahrerlaubnisrecht, also dem Polizeiordnungsrecht, das der Abwehr von Gefahren für die Verkehrssicherheit diene. Die nationalen Fahrerlaubnisbehörden und Polizeidienststellen gingen von einer Zuständigkeit deutscher Behörden für die Entziehung ausländischer Fahrerlaubnisse aus, wenn bei einem in Deutschland begangenen Verkehrsverstoß Anzeichen für eine fehlende Fahreignung bekannt würden.

40.

Am 19. Oktober 2012 erhob Frau Aykul Widerspruch und stellte einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Sigmaringen mit der Begründung, dass den deutschen Behörden die Zuständigkeit zur Überprüfung der Fahreignung fehle.

41.

Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz, die vom Landratsamt Ravensburg über den Vorgang informiert wurde, erklärte, die Voraussetzungen zu einem Einschreiten der österreichischen Behörden seien nach österreichischem Verkehrsrecht nicht gegeben.

42.

Mit Bescheid vom 15. November 2012 hob das Landratsamt Ravensburg die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 17. September 2012 auf. Daraufhin stellte das Verwaltungsgericht Sigmaringen das Eilverfahren mit Beschluss vom 29. September 2012 ein.

43.

Das Regierungspräsidium Tübingen (Deutschland) wies den Widerspruch von Frau Aykul mit Bescheid vom 20. Dezember 2012 zurück. Zur Begründung führte es aus, die Entziehung der österreichischen Fahrerlaubnis sei eine nachträgliche Maßnahme, die von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 gedeckt sei. Hiergegen erhob Frau Aykul Klage vor dem vorlegenden Gericht.

44.

Auf die Anfrage des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 13. März 2013 erklärte die Bezirkshauptmannschaft Bregenz erneut, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten der österreichischen Behörden nach österreichischem Fahrerlaubnisrecht nicht gegeben seien. Frau Aykul werde von den österreichischen Behörden weiterhin als geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen und behalte daher ihre österreichische Fahrerlaubnis.

45.

Da das Verwaltungsreicht Sigmaringen Zweifel hat, ob die deutschen Rechtsvorschriften mit der Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vereinbar sind, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Steht die aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 sich ergebende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine einer nationalen Regelung der Bundesrepublik Deutschland entgegen, nach der das Recht, von einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, nachträglich auf dem Verwaltungswege aberkannt werden muss, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis mit dieser in Deutschland ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss illegaler Drogen führt und in der Folge, nach den deutschen Bestimmungen, seine Fahreignung nicht mehr besteht?

2.

Falls die Frage 1 zu bejahen ist, gilt dies auch, wenn der Ausstellerstaat in Kenntnis der Drogenfahrt untätig bleibt und die vom Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis ausgehende Gefahr daher weiter besteht?

3.

Falls die Frage 1 zu verneinen ist, darf die Bundesrepublik Deutschland die Wiedererteilung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, von der Erfüllung der nationalen Wiedererteilungsvoraussetzungen abhängig machen?

4.

a)

Vermag der Vorbehalt der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 ein fahrerlaubnisrechtliches Vorgehen eines Mitgliedstaats anstelle des Ausstellerstaats zu rechtfertigen? Lässt der Vorbehalt zum Beispiel die nachträgliche Aberkennung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, durch eine strafrechtliche Sicherungsmaßregel zu?

b)

Wenn Frage 4 a bejaht wird, ist, unter Berücksichtigung der Anerkennungspflicht, für die Wiedererteilung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, der die Sicherungsmaßregel verhängende Mitgliedstaat oder der Ausstellerstaat zuständig?

III – Würdigung

A – Vorbemerkungen

1. Das zeitlich anwendbare Recht der Europäischen Union

46.

Sowohl in der Vorlageentscheidung als auch in den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird gleichzeitig auf die Bestimmungen der Richtlinie 91/439 und auf die der Richtlinie 2006/126 Bezug genommen.

47.

Festzustellen ist, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126, den das vorlegende Gericht in seinen Fragen anführt, zu dem für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgebenden Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten war.

48.

Der Sachverhalt ereignete sich nämlich am 11. Mai 2012, als Frau Aykul einer Polizeikontrolle unterzogen wurde, und am 17. September 2012, als das Landratsamt Ravensburg ihr die österreichische Fahrerlaubnis entzog.

49.

Durch Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 wird die Richtlinie 91/439 mit Wirkung vom 19. Januar 2013 aufgehoben. Gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 gelten bestimmte Vorschriften dieser Richtlinie jedoch ab dem 19. Januar 2009. Dies ist der Fall bei Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4, wobei die letztgenannte Vorschrift den in der Vorlageentscheidung angeführten Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 ersetzt. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 dagegen gehört nicht zu den Vorschriften, die ab dem 19. Januar 2009 gelten. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 gilt daher weiterhin.

50.

Der Gerichtshof hat zudem klargestellt, dass zwar Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine vorsieht, Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Richtlinie jedoch bestimmt, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist, und zwar unabhängig davon, ob der Führerschein ausgestellt wurde, bevor die genannte Vorschrift wirksam wurde ( 11 ).

51.

Nach ständiger Rechtsprechung, die auf dem Erfordernis beruht, dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben ( 12 ), ist die Frage umzuformulieren, damit diejenigen Vorschriften des Unionsrechts ausgelegt werden, die in dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum anwendbar waren, d. h. im vorliegenden Fall die Vorschrift von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, dessen Wortlaut im Übrigen weitgehend mit dem Wortlaut des vom vorlegenden Gericht angeführten Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 übereinstimmt.

52.

Die Fragen des vorlegenden Gerichts sind daher im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 sowie auf Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zu prüfen.

2. Die Behandlung der Vorlagefragen

53.

Die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen sind meines Erachtens gemeinsam zu behandeln.

54.

Aus der Antwort auf die Fragen, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, die Ausnahmen von diesem Grundsatz und die Reichweite dieser Ausnahmen betreffen (erste und zweite sowie vierte Frage Buchst. a), wird sich nämlich die Antwort auf die Frage ergeben, welche Behörden für die Entscheidung zuständig sind, ob der Fahrerlaubnisinhaber die Fahreignung für das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem der Verstoß begangen wurde, wiedererlangt hat.

B – Zu den Fragen

55.

Ich verstehe die Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts so, dass der Gerichtshof gefragt wird,

ob ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins vorübergehend aufhält, es nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieses Führerscheins – hier das Fahren unter Drogeneinfluss –, der im genannten Gebiet nach Ausstellung des Führerscheins stattfand und aufgrund nationalen Rechts geahndet wurde, ablehnen darf, die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen, und

ob sich nach diesem nationalen Recht – unter Ausschluss des Rechts des ausstellenden Mitgliedstaats – die Voraussetzungen bestimmen, die der Führerscheininhaber für die Wiedererlangung der Fahrberechtigung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats erfüllen muss, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde.

56.

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es in der vorliegenden Rechtssache nicht darum geht, im Hinblick auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126 die Voraussetzungen für die „Ausstellung“ des Führerscheins von Frau Aykul in Frage zu stellen.

57.

Wie die polnische Regierung zu Recht ausführt, ist Gegenstand des Rechtsstreits eine Entscheidung über den Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund einer Handlung der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die erst „nach“ der Ausstellung dieses Führerscheins erfolgte, wobei diese Handlung durch die deutschen Behörden als straßenverkehrsgefährdend eingestuft wurde. Keinesfalls geht es um eine Verweigerung der Anerkennung der Fahreignungsbeurteilung, die der Ausstellerstaat „im Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins“ gemäß den genannten Bestimmungen vorgenommen hat ( 13 ).

58.

Hierzu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass „[d]er Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins … als Nachweis dafür anzusehen [ist], dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins [die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen] erfüllte“ ( 14 ).

59.

Im vorliegenden Fall stellt die Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage, dass die Voraussetzungen für den Besitz der Fahrerlaubnis von Frau Aykul am Tag der Erteilung des Führerscheins erfüllt waren, sondern dass diese nach einer Handlung vorliegen, die Frau Aykul im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach der Erteilung beging.

60.

Nachdem nämlich Frau Aykul im deutschen Hoheitsgebiet ein Kraftfahrzeug unter Wirkung berauschender Mittel geführt hatte, wurde ihr die österreichische Fahrerlaubnis entzogen. Diese Sanktion hatte zur Folge, dass ihr das Recht aberkannt wurde, im deutschen Hoheitsgebiet von dieser Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen. Frau Aykul kann daher in den anderen Mitgliedstaaten, nicht jedoch in der Bundesrepublik Deutschland, in deren Gebiet sie den Gesetzesverstoß begangen hat, weiterhin ein Kraftfahrzeug führen.

61.

Das Problem hängt hier daher mit der genannten Sanktion zusammen, die zur Folge hat, dass die deutschen Behörden Frau Aykul die Fahrberechtigung mit Wirkung für das deutsche Hoheitsgebiet aberkennen, weil aufgrund des Gesetzesverstoßes ihre Fahreignung nicht mehr bestehe.

62.

Anders gesagt: Kann diese Aberkennung der ausländischen Fahrberechtigung als Ausnahme von dem in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 vorgesehenen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine als zulässig angesehen werden?

63.

Nach ständiger Rechtsprechung ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren ( 15 ), um alle Vorschriften des Unionsrechts auszulegen, die das nationale Gericht für seine Entscheidung benötigt.

64.

Zu diesem Zweck kann der Gerichtshof aus dem gesamten vom nationalen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Normen und Grundsätze des Unionsrechts herausarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits einer Auslegung bedürfen ( 16 ).

65.

Meines Erachtens findet Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, auf den sich das vorlegende Gericht in seinen Fragen bezieht, in der vorliegenden Rechtssache keine Anwendung. Eine sachdienliche Antwort ist vielmehr im Hinblick auf Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 zu geben.

1. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 findet keine Anwendung

66.

Es ist daran zu erinnern, dass das mit der Richtlinie 91/439 eingeführte System der Führerscheinausstellung ein System der örtlichen Zuständigkeit ist. Die Führerscheinausstellung liegt in der Verantwortung des aufgrund des ordentlichen Wohnsitzes örtlich zuständigen Mitgliedstaats, der damit die von dieser Richtlinie aufgestellten „Mindest“-Vorschriften zu beachten hat, was naturgemäß die Voraussetzung dafür bildet, dass die gegenseitige Anerkennung der Führerscheine als gerechtfertigt angesehen werden kann.

67.

Nehmen nach dieser Ausstellung die Führerscheininhaber die Freizügigkeit wahr, so sind zwei Arten von Sachverhalten denkbar.

68.

Der erste Sachverhalt ist der, dass der Führerscheininhaber den ordentlichen Wohnsitz wechselt. In diesem Fall kann der neue Wohnsitzmitgliedstaat aufgrund seiner ihm jetzt zukommenden örtlichen Zuständigkeit entsprechend seinem Straf- und Polizeirecht seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.

69.

Dies ist der Sachverhalt, der zum maßgeblichen Zeitpunkt durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 geregelt war, welcher, wie erinnerlich, bestimmt, dass „[v]orbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips … der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen [kann]“.

70.

Diese Vorschrift ist in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 10 der Richtlinie 91/439 zu sehen, in denen es heißt, dass, um die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, „die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben“, ein Führerschein wünschenswert ist, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen, dass aber aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Straßenverkehrs die Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, ihre innerstaatlichen Bestimmungen über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung einer Fahrerlaubnis auf jeden Führerscheininhaber anzuwenden, „der seinen ordentlichen Wohnsitz in ihrem Hoheitsgebiet begründet hat“.

71.

Bereits aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 10 dieser Richtlinie ergibt sich, dass er den Fall regelt, in dem der Führerscheininhaber seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ausstellermitgliedstaat hat. Begeht diese Person einen Gesetzesverstoß im Hoheitsgebiet des Wohnsitzstaates, ermächtigt Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 diesen Mitgliedstaat, seine nationalen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung auf die Fahrerlaubnis anzuwenden, die von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde ( 17 ).

72.

Es liegt somit auf der Hand, dass die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 und inzwischen die des Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 nur bei einer Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes Anwendung finden. Dies wäre der Fall, wenn Frau Aykul ihren ordentlichen Wohnsitz in Deutschland hätte. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da Frau Aykul ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich hat.

73.

Der zweite mögliche Sachverhalt ist der, dass sich der Führerscheininhaber nur vorübergehend im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. Dieser Sachverhalt ist meines Erachtens durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 geregelt.

2. Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 findet Anwendung

74.

Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 ist, wie oben ausgeführt, nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich anwendbar.

75.

Wie oben bereits zitiert, lautet die genannte Vorschrift wie folgt:

Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.“ ( 18 )

76.

Die genannte Vorschrift regelt meines Erachtens den hier vorliegenden Fall, in dem die Sanktion aufgrund von Straf- und Polizeigesetzen eines Mitgliedstaats anwendbar ist, der der Staat der Begehung des Gesetzesverstoßes ist, in dem jedoch weder die Fahrerlaubnis erteilt wurde noch der neue ordentliche Wohnsitz liegt ( 19 ).

77.

Die Kommission nahm in der mündlichen Verhandlung eine „historische“ Auslegung von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 vor, wonach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 sich auf Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie beziehe und der angeführte Mitgliedstaat somit nur der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes sein könne. Der fehlende Bezug auf den Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes in Abs. 2 sei lediglich ein Versehen des Unionsgesetzgebers und müsse folglich korrigiert werden.

78.

Dieser Auslegung kann ich nicht folgen.

79.

Die Bestimmungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 sind nämlich selbständig anwendbar, und zwar sowohl in Bezug auf dessen Abs. 2 als auch auf Abs. 2 des Art. 8 der Richtlinie 91/439 in der zur Zeit des Ausgangsverfahrens geltenden identischen Fassung. Diese Unabhängigkeit schließt aus, dass er nur bei einer Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes Anwendung findet. Zur Begründung dieser Auffassung können mehrere Argumente angeführt werden.

80.

Zunächst weise ich darauf hin, dass Art. 11 der Richtlinie 2006/126 nach seiner Überschrift Vorschriften „über den Umtausch, den Entzug, die Ersetzung und die Anerkennung der Führerscheine“ betrifft, was vom Wortlaut her meines Erachtens darauf schließen lässt, dass diese Vorschriften nicht unbedingt miteinander in Verbindung stehen.

81.

Sodann ist festzustellen, dass Abs. 4 dieses Artikels durch den Unionsgesetzgeber von Abs. 2 desselben Artikels getrennt wurde, da der Zeitpunkt seines Inkrafttretens im Verhältnis zur letztgenannten Vorschrift um vier Jahre vorgezogen wurde, woraus sich meines Erachtens nicht gerade entnehmen lässt, dass die Absätze dieses Artikels untrennbar miteinander verknüpft wären.

82.

Schließlich weise ich darauf hin, dass die verschiedenen Bestimmungen von Abs. 4 des Art. 11 eindeutig unterschiedliche Sachverhalte regeln. So finden Unterabs. 1 und 3 des genannten Absatzes auf den Fall Anwendung, dass der betreffende Mitgliedstaat als Ausstellermitgliedstaat tätig wird ( 20 ). Unterabs. 2 des genannten Absatzes dagegen regelt einen völlig anderen Sachverhalt, nämlich den Fall, dass der Mitgliedstaat auf eine vom Ausstellermitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis die Einschränkungen anwendet, die sich aus der Anwendung seines zwingenden innerstaatlichen Rechts, des Straf- oder Polizeirechts, ergeben – ein Fall, der hier vorliegt. Die Bestimmungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 haben daher einen eindeutigen Gehalt, ohne dass es nötig wäre, sie mit Abs. 2 des Art. 11 in Zusammenhang zu bringen.

83.

Die Bestimmungen von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 sind ihrerseits eine Ausgestaltung des Territorialitätsgrundsatzes, da sie die Einschränkung der Gültigkeit eines Führerscheins im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wurde.

84.

Zweifel hieran gibt es umso weniger, als in der vom Unionsgesetzgeber verwendeten neuen Formulierung der Wille zu einer strengeren Regelung zum Ausdruck kommt, die aber nicht erreicht werden könnte, wenn man der von Frau Aykul vertretenen Auffassung folgte. Während nämlich Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 die Aberkennung der von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrberechtigung in das Ermessen der Mitgliedstaaten stellte, sind diese nach dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 nunmehr zur Aberkennung verpflichtet.

85.

Das konkrete Ergebnis dieser strengeren Ausgestaltung stellt im Übrigen eine Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine dar, die dem Geist des Systems entspricht, da die gegenseitige Anerkennung die Freizügigkeit fördert und die Einschränkung dieser Anerkennung als Folge eines Gesetzesverstoßes, indem sie ein fahrlässiges Handeln und eine mögliche Gefahrenquelle beseitigt, die Verkehrssicherheit und somit ihrerseits die Freizügigkeit verbessert, was gerade der Zweck der Richtlinie 2006/126 ist ( 21 ). Die zeitliche und räumliche Einschränkung der gegenseitigen Anerkennung ist erforderlich, um den Eintritt des Gegenteils von dem zu verhindern, was die Richtlinie 2006/126 in Art. 11 Abs. 4 erreichen will, nämlich eine größere Sicherheit durch verstärkte Bekämpfung gefährlicher Verhaltensweisen. Ich kann nicht umhin, nochmals darauf hinzuweisen, dass die vorgezogene Anwendung von Art. 11 Abs. 4 dem klaren Willen des Gesetzgebers der Union entspricht.

86.

Worin bestünde nämlich die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats gegen Unionsbürger, die Gesetzesverstöße im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats begehen, keine Sanktionen verhängen könnten, weil sie in diesem Gebiet nur „fahren“? Dies liefe darauf hinaus, dass diese Bürger nicht mit einer Sanktion belegt werden können, obwohl sie eine Gefahr für sich selbst und für andere Verkehrsteilnehmer darstellen.

87.

Würde man im vorliegenden Fall die Gültigkeit einer Fahrerlaubnis anerkennen, so liefe das dem Ziel der Verbesserung der Verkehrssicherheit zuwider.

88.

Zudem hat der Gerichtshof im Hinblick auf die vom Unionsgesetzgeber verwendete neue Formulierung festgestellt, dass der Unterschied im Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 und Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 nicht geeignet ist, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen in Frage zu stellen, unter denen die Anerkennung eines Führerscheins aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 91/439 abgelehnt werden konnte und nunmehr aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 2006/126 abgelehnt werden muss ( 22 ).

89.

Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass die Feststellung, wonach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 eine Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine darstellt und deshalb eng auszulegen ist ( 23 ), für die nunmehr in Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 enthaltene Verpflichtung gültig bleibt ( 24 ).

90.

Der Gerichtshof hat ferner klargestellt, dass die Umstände, unter denen ein Führerschein gemäß Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 nicht als gültig anerkannt werden kann, nicht auf die Fälle beschränkt sind, in denen der Inhaber dieses Führerscheins den Umtausch des Führerscheins beantragt. Diese Bestimmung hat auch den Zweck, es dem Mitgliedstaat zu ermöglichen, in seinem Hoheitsgebiet seine nationalen Vorschriften über den Entzug, die Aussetzung und die Aufhebung der Fahrerlaubnis anzuwenden, wenn der Inhaber des Führerscheins z. B. einen Gesetzesverstoß begangen hat ( 25 ).

91.

Es ist nunmehr zu prüfen, ob der Entzug seinem Wesen nach von Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 erfasst wird. Anders gesagt: Ist die Unterscheidung zwischen der strafrechtlichen Natur und der verwaltungsrechtlichen Natur der Sanktion erheblich?

92.

Im vorliegenden Fall stellte die Staatsanwaltschaft Ravensburg das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ein ( 26 ). In der Vorlageentscheidung heißt es, dass die Fahrerlaubnis von Frau Aykul durch das Landratsamt Ravensburg, also durch eine Verwaltungsbehörde, entzogen worden sei und dass dieser Entzug aufgrund des Fahrerlaubnisrechts erfolgt sei. Wenn Zweifel an der Fahreignung aufträten, sehe die deutsche Rechtsordnung zunächst die Überprüfung der Fahreignung vor. Stehe fest, dass die Fahreignung nicht oder nicht mehr bestehe, sei die Fahrerlaubnisbehörde nach dem Gesetz verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Das vorlegende Gericht stellt klar, dass ein Ermessen insoweit nicht bestehe ( 27 ).

93.

Die Kommission bezieht sich auf Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126 ( 28 ), teilt jedoch nicht die Auffassung, dass der Führerscheinentzug mangels Fahreignung als strafrechtliche Schutzmaßnahme ( 29 ) und somit als vom Vorbehalt in Bezug auf das straf- und polizeirechtliche Territorialprinzip gedecktes Strafrecht betrachtet werden könne ( 30 ).

94.

Dieser Auffassung, der Frau Aykul in der mündlichen Verhandlung gefolgt ist, vermag ich nicht beizupflichten.

95.

Wie vorstehend ausgeführt, regelt Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 den hier vorliegenden Fall, in dem die Sanktion aufgrund von Straf- und Polizeigesetzen eines Mitgliedstaats anwendbar ist, der der Mitgliedstaat der Begehung des Gesetzesverstoßes ist.

96.

Die Begriffe des Strafrechts und des Polizeirechts erscheinen in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 im Satzteil „Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips“. Die Richtlinie gibt jedoch ebenso wenig wie die Richtlinie 2006/126 eine Definition dieses Satzteils oder dieser Begriffe; auch die Rechtsprechung gibt keinen Hinweis für die Auslegung.

97.

Der Begriff des Strafrechts ist aus sich heraus verständlich. Der Begriff des Polizeirechts ( 31 ) dagegen lässt unmittelbar an den Begriff des Schutzes der öffentlichen Sicherheit denken. Beide Begriffe verweisen unbestreitbar auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Staates, ein Begriff, der in den territorialen Grenzen des Staates Geltung hat.

98.

Die Begehung von Gesetzesverstößen, die Gefahren und Unsicherheiten für die Bürger mit sich bringen, ist eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und rechtfertigt eine Sanktion.

99.

Diese Sanktion kann je nach Art und Schwere und entsprechend der gerichtlichen Organisation des Staates, die eine Trennung der behördlichen oder der gerichtlichen Handlungen vorsehen kann, unterschiedliche Formen annehmen, die aber alle demselben Ziel verpflichtet sind, und zwar hier dem Ziel, das von der Richtlinie 2006/126 vorgegeben ist.

100.

Die Verwendung der beiden Begriffe „Strafrecht“ und „Polizeirecht“ verweist daher nicht auf einen Unterschied, sondern führt ein komplementäres Verhältnis ein.

101.

Diese Komplementarität ergibt sich meines Erachtens aus dem Begriff „Strafsachen“, wie ihn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verwendet.

102.

Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache ausgeführt habe, die mit dem Urteil Kommission/Parlament und Rat (C‑43/12, EU:C:2014:298) abgeschlossen wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen funktionellen Ansatz zur Bestimmung dessen herangezogen, was zu den Strafsachen im Rahmen von Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zählt. Ich nehme hier Bezug auf sein Urteil Öztürk/Deutschland vom 21. Februar 1984 ( 32 ), das sich auf Verkehrsdelikte bezieht. Diesem Ansatz folgend bestehen keine Zweifel, dass Verkehrsdelikte insoweit einen strafrechtlichen Charakter haben, als sie in den Mitgliedstaaten zu Sanktionen führen, die sowohl repressiven als auch abschreckenden Charakter haben. Es ist also unerheblich, ob diese Sanktionen dem Verwaltungs- oder dem Strafrecht der Mitgliedstaaten unterliegen ( 33 ).

103.

Die Komplementarität der beiden Begriffe wird meines Erachtens auch aus dem Ablauf des nationalen Verfahrens deutlich.

104.

Aus dem genannten Grund nämlich entschied sich die Strafverfolgungsbehörde, ausgehend von der begangenen, sowohl strafrechtlich als auch verwaltungsrechtlich sanktionierten Straftat, durch Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens dafür, dem Verwaltungsverfahren den Vorzug zu geben, das angesichts eines Gesetzesverstoßes, der rechtlich und sachlich einfach gelagert war und zweifellos kein schwerfälliges klassisches Strafverfahren rechtfertigte, schneller und weniger aufwendig ist.

105.

Diese Wahl, die das Gesetz als Möglichkeit vorsieht und die von der Staatsanwaltschaft getroffen wird, ist Ausdruck eines klassischen Systems, das in manchen Staaten „Entscheidung über die Opportunität der Strafverfolgung“ genannt wird, ein missverständlicher Ausdruck, an dessen Stelle ich den Ausdruck „Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der Strafverfolgung“ setzen möchte. Wie immer auch die Bezeichnung sein möge, dieses Vorgehen stellt ein klassisches Verfahren dar, in dem die für eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eines Staates vorgesehene Sanktion umfassend, koordiniert und unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit beurteilt und angewandt wird.

106.

Die genannte Komplementarität erscheint mir daher im Fall von Frau Aykul bestimmend für den Ausgang des Verfahrens zu sein.

107.

Das räumlich anwendbare deutsche Recht sieht im Fall von Frau Aykul zum einen vor, dass der Gesetzesverstoß zu einer Aussetzung der Fahrberechtigung führt, also zu einer sofortigen Sanktion, die nicht nur eine Buße für das Vergehen ist, sondern auch wegen der möglichen Gefahr erfolgt, die für andere Verkehrsteilnehmer besteht, weil Frau Aykul den Konsum von Cannabis und das Fahren von Kraftfahrzeugen nicht trennt; es sieht zum anderen vor, dass Frau Aykul nach Aussetzung der Fahrberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland diese Fahrberechtigung erst nach einem positiven Gutachten einer medizinischen Begutachtungsstelle wiedererlangen kann. Diese Verbindung der beiden Aspekte, d. h. die Sanktion, zu der die in bestimmten Rechtsvorschriften „Sicherungsmaßregeln“ genannten Maßnahmen treten, die die Wiederholung gefährlicher Gesetzesverstöße verhindern sollen, ist in modernen Rechtsvorschriften durchaus typisch.

108.

Meines Erachtens ist der Entzug der Fahrerlaubnis seinem Wesen nach durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 gedeckt; nunmehr sind jedoch die Schlussfolgerungen aus der Anwendung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes zu ziehen.

3. Anerkennung der die Fahrerlaubnis betreffenden strafrechtlichen Entscheidung durch die anderen Mitgliedstaaten

109.

Nach dem straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzip hat eine Person, die im Hoheitsgebiet eines Staates ein Kraftfahrzeug führt, die Gesetze dieses Staates zu beachten.

110.

Wie die polnische Regierung ausführt ( 34 ) und die Klägerin des Ausgangsverfahrens einräumt ( 35 ), hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dann, wenn in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Zuwiderhandlung begangen wird, allein dieser Mitgliedstaat dafür zuständig ist, diese zu ahnden, indem er gegebenenfalls eine Maßnahme des Entzugs gegen die betreffende Person verhängt ( 36 ).

111.

Frau Aykul wurde ihre österreichische Fahrerlaubnis mit der Folge entzogen, dass sie im deutschen Hoheitsgebiet ein Kraftfahrzeug erst wieder führen darf, wenn sie den Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung in diesem Gebiet erbringt. Die Frage des vorlegenden Gerichts ist, welche Behörden für die Prüfung dieser Eignung zuständig sind.

112.

Der Gerichtshof hat wiederholt ausgeführt, dass die Fahreignung eine Voraussetzung für die „Ausstellung“ der Fahrerlaubnis ist, deren Prüfung allein Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats ist ( 37 ). Wie aber ausgeführt, wird im Ausgangsverfahren nicht die Fahreignung bei Erteilung der Fahrerlaubnis, sondern nach einem Gesetzesverstoß des Inhabers dieser Fahrerlaubnis in Frage gestellt, dessen Ahndung nur im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats Wirkungen zeitigt, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde.

113.

Ebenso wie die polnische Regierung bin ich der Ansicht, dass bei Anwendung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, zu entscheiden haben, ob der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis die Fahreignung in seinem Hoheitsgebiet wiedererlangt hat.

114.

Es würde nämlich zu Ungereimtheiten führen, wenn der Ausstellermitgliedstaat die eigenen Vorschriften über die Prüfung der Fahreignung anwenden würde, um dem Fahrerlaubnisinhaber die Fahrberechtigung im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats wiederzuerteilen, in dem der Gesetzesverstoß begangen wurde.

115.

Wie die polnische Regierung zu Recht darlegt, kann, wenn der Verlust der Fahrberechtigung auf der Grundlage von Regelungen erfolgte, die nicht im Ausstellermitgliedstaat gelten ( 38 ), schwerlich verlangt werden, dass dieser Mitgliedstaat das Verfahren der Wiedererteilung der genannten Berechtigung nach den eigenen Prüfungsregeln betreibt ( 39 ).

116.

Geht man von der ausschließlichen Zuständigkeit des Ausstellermitgliedstaats aus, könnte dies zu zwei verschiedenen Lösungen führen, nämlich dazu, dass der Ausstellermitgliedstaat in einem Fall wie dem von Frau Aykul entweder selbst prüft, ob die nach dem Gesetz des Begehungsstaates erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind – eine Lösung, die sichtlich über die gegenseitige Anerkennung einer Gerichtsentscheidung eines Mitgliedstaats durch einen anderen hinausgeht –, oder dass er die gesetzlichen Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Verstoß begangen wurde, nicht anerkennt, weil sie in dem Ausstellermitgliedstaat nicht gelten. Diese letztgenannte, von der Kommission gebilligte Auffassung wird von der Republik Österreich vertreten.

117.

Wollte man dieser letztgenannten Auffassung folgen, würde dies notwendigerweise auf die Annahme hinauslaufen, dass die Richtlinie 2006/126 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Harmonisierung des Strafrechts der Mitgliedstaaten zugunsten des Ausstellermitgliedstaats zur Folge hätte, allerdings mit einer auf das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Zuwiderhandlung beschränkten Wirkung. Meines Erachtens kann kaum behauptet werden, dass gerade hierin – obendrein noch implizit – eine der von der Richtlinie beabsichtigten großen Neuerungen liegen solle.

118.

Dagegen darf der Mitgliedstaat der Zuwiderhandlung, sobald die Sanktion vollstreckt ist, für die Wiedererteilung des Rechts, in seinem Hoheitsgebiet ein Fahrzeug zu führen, nicht Voraussetzungen aufstellen, die enger sind als die Voraussetzungen, die die Richtlinie für die Ausstellung einer Fahrerlaubnis aufstellt. Anders gesagt, das Erfordernis, sich in einem Fall wie dem von Frau Aykul einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, darf nur zur Feststellung dienen, ob die mit einer Sanktion belegte Person zukünftig die von der Richtlinie 2006/126 verlangte Gewähr bietet, nicht mehr und nicht weniger. Insoweit sieht Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126 vor, dass ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden darf, die eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen.

119.

Aus den Nrn. 15 und 15.1 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126 ergibt sich, dass einer Person, die von Drogen abhängig ist oder, auch ohne abhängig zu sein, solche Stoffe regelmäßig einnimmt oder von ihnen regelmäßig übermäßig Gebrauch macht, eine Fahrerlaubnis weder erteilt noch ihre Fahrerlaubnis erneuert werden darf.

120.

Das vom deutschen Recht vorgesehene Verfahren gemäß den Nrn. 15 und 15.1 des Anhangs III der Richtlinie 2006/126, das nach einem Gesetzesverstoß stattfindet, bezweckt gerade die Prüfung, ob der Betroffene noch unter dem Einfluss von Drogen steht und ob er für sich und die anderen Verkehrsteilnehmer keine Gefahr mehr darstellt.

121.

Zwar sind die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, zuständig für die Prüfung, ob der Inhaber der Fahrerlaubnis die Fahreignung für das Gebiet dieses Mitgliedstaats wiedererlangt hat. Es ist jedoch zu klären, ob der Entzug nicht durch eventuelle andere Vorschriften oder durch andere Auswirkungen, insbesondere hinsichtlich ihrer Dauer, den Vorschriften des Unionsrechts widerspricht ( 40 ).

122.

Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 berufen kann, um einer Person, auf die eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später, d. h. nach Ablauf der Sperrfrist, von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird ( 41 ).

123.

Eine derartige Auslegung gilt meines Erachtens erst recht im vorliegenden Fall, in dem sich ein Mitgliedstaat nicht auf Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 berufen kann, um auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis zu versagen, wenn auf den Inhaber dieser Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eine einschränkende Maßnahme angewendet wurde.

124.

Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine, der den Schlussstein des mit der Richtlinie 91/439 eingeführten Systems darstellt, würde nämlich geradezu negiert, hielte man einen Mitgliedstaat für berechtigt, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins unter Berufung auf seine nationalen Vorschriften unbegrenzt zu verweigern ( 42 ).

125.

Es ist somit zu prüfen, ob die Bundesrepublik Deutschland durch ihre eigenen Regelungen in Wirklichkeit nicht die Anerkennung der von den österreichischen Behörden ausgestellten Fahrerlaubnis unbegrenzt verweigert.

126.

Nach deutschem Recht wurde gegen Frau Aykul, wie erinnerlich, eine Geldbuße verhängt und ein Entzug der Fahrerlaubnis nur für das deutsche Hoheitsgebiet für die Dauer von einem Monat angeordnet. Sie hat die Möglichkeit, die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland mit der österreichischen Fahrerlaubnis neu zu beantragen. Dabei kann von einer ausreichenden Kraftfahreignung für die Teilnahme am Straßenverkehr in Deutschland erst wieder ausgegangen werden, wenn Frau Aykul ein positives Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland vorgelegt hat. Eine positive Begutachtung setzt in der Regel den Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz voraus.

127.

Meines Erachtens zielen die anwendbaren nationalen Vorschriften darauf ab, die Wirkungen eines Entzugs zeitlich zu verlängern, versagen jedoch nicht unbegrenzt die Anerkennung der Fahrerlaubnis, da, wie die deutsche Regierung in ihrer schriftlichen Antwort auf die Frage des Gerichtshofs ausgeführt hat, auch ohne Vorlage eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens die Berechtigung zum Gebrauchmachen von der ausländischen Fahrerlaubnis, sofern es sich um eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis handelt, dann wieder zuerkannt wird, wenn die Eintragung der Eignungsmängel aus dem Fahreignungsregister getilgt worden ist ( 43 ).

128.

Im Fall von Frau Aykul dürfte nach den Ausführungen der deutschen Regierung die Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b StVG fünf Jahre betragen, da das Fahren unter dem Einfluss berauschender Mittel als besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende oder gleichgestellte Ordnungswidrigkeit mit zwei Punkten bewertet ist. Nach Ablauf dieser Frist kann Frau Aykul wieder von ihrer österreichischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch machen, ohne ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt zu haben ( 44 ).

129.

Dass die Wiedererteilung der Fahrberechtigung im deutschen Hoheitsgebiet von einem positiven medizinisch-psychologischen Gutachten abhängt, das auf der Basis eines positiven Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung in Deutschland erstellt wird, kann zwar als eine Maßnahme mit Zwangscharakter angesehen sein ( 45 ). Meines Erachtens ist insoweit nur eine Einschränkung zu machen: Die Bescheinigung muss auch von einer Begutachtungsstelle oder gleichwertigen Stelle stammen können, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist und die Kriterien der Richtlinie 2006/126 anwendet. Die Maßnahme als solche ist jedoch als ein wirksames Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit anzusehen ( 46 ).

130.

Das Aktionsprogramm der Kommission bezweckt im Hinblick auf das Ziel einer Verbesserung der Verkehrssicherheit, die Verkehrsteilnehmer zu einem besseren Verhalten anzuhalten, insbesondere durch bessere Einhaltung der geltenden Vorschriften und durch fortgesetzte Anstrengungen zur Bekämpfung gefährlichen Fahrverhaltens ( 47 ).

131.

Die Kommission hat ebenfalls betont, wie wichtig die Verkehrserziehung, die Fahrausbildung, die Kontrolle und gegebenenfalls die Sanktionierung der Straßenverkehrsteilnehmer sind, da diese das erste Glied in der Kette der Verkehrssicherheit sind ( 48 ).

132.

Die Maßnahme steht daher im Einklang mit der oben angeführten Rechtsprechung und ist meines Erachtens ausreichend wirksam, verhältnismäßig und abschreckend im Hinblick auf die Ziele der Verkehrssicherheit, die die Kommission seit einer Reihe von Jahren zu ihrem Hauptthema macht ( 49 ). Die Verfolgung der Gesetzesverstöße ohne abschreckende Sanktionen kann nämlich nicht erfolgreich sein.

133.

Jedenfalls kann sich Frau Aykul, um die Fahrberechtigung im deutschen Hoheitsgebiet wiederzuerlangen, entweder einer ärztlichen Begutachtung während eines Zeitraums von einem Jahr unterziehen oder sie kann die Tilgung der Eintragung ihrer Eignungsmängel aus dem Register nach Ablauf von fünf Jahren abwarten.

134.

Ich weise ferner darauf hin, dass das den Unionsbürgern durch Art. 21 AEUV verliehene Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Union frei zu bewegen und aufzuhalten, dessen Ausübung die Richtlinie 2006/126 erleichtern soll, im Fall von Frau Aykul nicht beschränkt wird, da die Nichtanerkennung der Gültigkeit ihrer österreichischen Fahrerlaubnis eine nur zeitlich begrenzte Wirkung hat und auf das deutsche Hoheitsgebiet beschränkt ist, weil sie im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten weiterhin fahren kann.

135.

Insofern bin ich der Meinung, dass die deutsche Regelung durch Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 und nicht durch Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 gedeckt ist. Die erstgenannte Vorschrift ist nämlich dahin zu verstehen, dass sie dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Gesetzesverstoß stattfand, erlaubt, die Versagung der Anerkennung der Gültigkeit der von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Fahrerlaubnis in ihren Wirkungen auf sein Hoheitsgebiet zu beschränken, während an die Anwendung der zweitgenannten Vorschrift aufgrund der Möglichkeit, den Führerschein umzutauschen, Wirkungen in allen Mitgliedstaaten geknüpft sind.

136.

Nach alledem sollte der Gerichtshof meines Erachtens auf die Vorlagefragen antworten, dass die Richtlinie 2006/126 einen Mitgliedstaat verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn infolge einer im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats nach Ausstellung dieses Führerscheins begangenen Verkehrswidrigkeit mit strafrechtlichem Charakter dem Führerscheininhaber die Fahrerlaubnis für das genannte Gebiet entzogen wurde, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr geeignet war und die Verkehrssicherheit gefährdete. Der Führerscheininhaber erlangt die Fahreignung für das genannte Gebiet wieder bei Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, vorgesehen sind, sofern die nationale Regelung weder dazu führt, dass Voraussetzungen aufgestellt werden, die die Richtlinie 2006/126 für die Ausstellung des Führerscheins nicht verlangt, noch dazu, dass die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf unbestimmte Zeit versagt wird.

IV – Ergebnis

137.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Verwaltungsgericht Sigmaringen zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein verpflichtet einen Mitgliedstaat, die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins abzulehnen, wenn infolge einer im Gebiet des erstgenannten Mitgliedstaats nach Ausstellung dieses Führerscheins begangenen Verkehrswidrigkeit mit strafrechtlichem Charakter dem Führerscheininhaber die Fahrerlaubnis für das genannte Gebiet entzogen wurde, weil er zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr geeignet war und die Verkehrssicherheit gefährdete. Der Führerscheininhaber erlangt die Fahreignung für das genannte Gebiet wieder bei Vorliegen der Voraussetzungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Gesetzesverstoß begangen wurde, vorgesehen sind, sofern die nationale Regelung weder dazu führt, dass Voraussetzungen aufgestellt werden, die die Richtlinie 2006/126 für die Ausstellung des Führerscheins nicht verlangt, noch dazu, dass die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf unbestimmte Zeit versagt wird.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. L 237, S. 1. Richtlinie in der Fassung der Richtlinie 2009/112/EG der Kommission vom 25. August 2009 (ABl. L 223, S. 26) (im Folgenden: Richtlinie 91/439).

( 3 ) ABl. L 403, S. 18.

( 4 ) Vgl. insbesondere Urteile Kapper (C‑476/01, EU:C:2004:261), Wiedemann und Funk (C‑329/06 und C‑343/06, EU:C:2008:366), Weber (C‑1/07, EU:C:2008:640), Grasser (C‑184/10, EU:C:2011:324), Akyüz (C‑467/10, EU:C:2012:112) und Hofmann (C‑419/10, EU:C:2012:240).

( 5 ) Vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie.

( 6 ) Der ordentliche Wohnsitz wird in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie definiert als „der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt“.

( 7 ) Vgl. erster Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126.

( 8 ) Die Definition des ordentlichen Wohnsitzes in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 stimmt mit der in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 überein.

( 9 ) BGBl. 2003 I S. 310, im Folgenden: StVG.

( 10 ) BGBl. 1998 I S. 2214, im Folgenden: FeV.

( 11 ) Urteil Akyüz (C‑467/10, EU:C:2012:112, Rn. 32).

( 12 ) Vgl. Urteile Deridder (C‑290/01, EU:C:2004:120, Rn. 37 und 38) und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (C‑157/10, EU:C:2011:813, Rn. 17 bis 21).

( 13 ) Vgl. Rn. 10 und 11 der schriftlichen Erklärungen der polnischen Regierung.

( 14 ) Hervorhebung nur hier. Vgl. Urteile Schwarz (C‑321/07, EU:C:2009:104, Rn. 77), Grasser (EU:C:2011:324, Rn. 21) und Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 46).

( 15 ) Vgl. Urteil Le Rayon d’Or (C‑151/13, EU:C:2014:185, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Ebd. (Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 17 ) Vgl. Nr. 3 der Erklärungen der italienischen Regierung.

( 18 ) Hervorhebung nur hier.

( 19 ) In dem Schreiben des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg wurde ausgeführt, der Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 berechtige, anders als der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, nicht nur den Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes, sondern jeden Mitgliedstaat zur Nichtanerkennung (S. 5 f. des Vorlagebeschlusses).

( 20 ) In Unterabs. 1 heißt es: „Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, … einen Führerschein auszustellen“, und in Unterabs. 3: „Ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, … einen Führerschein auszustellen“ (Hervorhebung nur hier).

( 21 ) Die Union hat bereits seit vielen Jahren das Ziel der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit zu ihrem Hauptthema gemacht hat. Sie setzt sich das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2010 die Zahl der Unfälle zu verringern (vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Ein europäischer Raum der Straßenverkehrssicherheit: Leitlinien für die Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit 2011–2020 (KOM[2010] 389 endg., S. 2).

( 22 ) Vgl. Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 65).

( 23 ) Urteil Kapper (EU:C:2004:261, Rn. 70 und 72 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Beschluss Halbritter (C‑227/05, EU:C:2006:245, Rn. 26).

( 24 ) Vgl. Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 71).

( 25 ) Vgl. Urteil Kapper (EU:C:2004:261, Rn. 73).

( 26 ) Vgl. S. 3 der Vorlageentscheidung.

( 27 ) Vgl. S. 14 der Vorlageentscheidung.

( 28 ) Ich weise darauf hin, dass im vorliegenden Fall Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 zeitlich Anwendung findet.

( 29 ) Das vorlegende Gericht benutzt hier den Ausdruck „strafrechtliche Sicherungsmaßregel“.

( 30 ) Vgl. Rn. 39 bis 41 der Erklärungen der Kommission.

( 31 ) Das vorlegende Gericht führt in der Vorlageentscheidung aus, dass das Fahrerlaubnisrecht Polizeiordnungsrecht sei (vgl. S. 14 der Vorlageentscheidung).

( 32 ) Serie A Nr. 73, insbesondere §§ 53 bis 56.

( 33 ) Schlussanträge Kommission/Parlament und Rat (C‑43/12, EU:C:2013:534, Rn. 65).

( 34 ) Vgl. Rn. 25 der Erklärungen der polnischen Regierung.

( 35 ) Vgl. Nr. 9 der schriftlichen Erklärungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens.

( 36 ) Urteil Weber (EU:C:2008:640, Rn. 38).

( 37 ) Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 38 ) Die Republik Österreich hätte gegen Frau Aykul nichts unternommen und sie daher nicht mit einer Sanktion belegt, wenn sie die Zuwiderhandlung in ihrem Hoheitsgebiet begangen hätte (vgl. S. 4 bis 7 der Vorlageentscheidung).

( 39 ) Vgl. Rn. 34 der Erklärungen der polnischen Regierung.

( 40 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Unamar (C‑184/12, EU:C:2013:663, Rn. 46 und 47 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

( 41 ) Vgl. Urteil Hofmann (EU:C:2012:240, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 42 ) Vgl. Urteil Akyüz (EU:C:2012:112, Rn. 57).

( 43 ) Vgl. Rn. 11 der schriftlichen Antwort.

( 44 ) Vgl. Rn. 13 der schriftlichen Antwort.

( 45 ) Durch das medizinisch-psychologische Gutachten muss der Nachweis einer einjährigen Drogenabstinenz erbracht werden. Diese Abstinenz ist durch ärztliche Untersuchungen auf der Basis von mindestens vier unvorhersehbar anberaumten Laboruntersuchungen innerhalb der Jahresfrist nachzuweisen.

( 46 ) Vgl. zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126.

( 47 ) Vgl. S. 4 der Mitteilung der Kommission „Europäisches Aktionsprogramm für die Straßenverkehrssicherheit – Halbierung der Zahl der Unfallopfer im Straßenverkehr in der Europäischen Union bis 2010: eine gemeinsame Aufgabe“ (KOM[2003] 311 endg.).

( 48 ) Vgl. Mitteilung der Kommission, angeführt in Fn. 21 (S. 5).

( 49 ) Vgl. das Aktionsprogramm, angeführt in Fn. 47, in dem es heißt, dass „[d]ie Nichtbeachtung von Straßenverkehrsvorschriften … durch die Einführung von Maßnahmen für eine Verbesserung der Kontrollen und zur Anwendung wirksamer, verhältnismäßiger und abschreckender Sanktionen auf Ebene der Europäischen Union … zu bekämpfen [ist]“ (S. 10), Entschließung des Rates vom 27. November 2003 über die Bekämpfung des Konsums psychoaktiver Substanzen in Verbindung mit Verkehrsunfällen (ABl. 2004, C 97, S. 1), die unterstreicht, dass es wichtig ist, „alle geeigneten Bestimmungen, auch über Sanktionen, betreffend Führer von Fahrzeugen zu erlassen, die unter Einfluss von psychoaktiven Substanzen stehen, welche ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen“ (Nr. 29), und Empfehlung der Kommission vom 6. April 2004 zu Durchsetzungsmaßnahmen im Bereich der Straßenverkehrssicherheit (ABl. L 111, S. 75), die im neunten Erwägungsgrund bestimmt, dass „die Mitgliedstaaten generell nach dem Grundsatz [verfahren], diese Verstöße durch effektive, angemessene und abschreckende Sanktionen zu ahnden“.