SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 13. Februar 2014 ( 1 )

Rechtssache C‑11/13

Bayer CropScience AG

gegen

Deutsches Patent‑ und Markenamt

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundespatentgerichts [Deutschland])

„Pflanzenschutzmittel — Ergänzendes Schutzzertifikat — Verordnung (EG) Nr. 1610/96 — Art. 1 und 3 — Begriffe ‚Erzeugnis‘ und ‚Wirkstoff‘ — Eventueller Einschluss eines ‚Safeners‘“

I – Einleitung

1.

Die vorliegende Rechtssache betrifft die Auslegung der Art. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel ( 2 ).

2.

Im Einzelnen fragt das Bundespatentgericht (Deutschland) den Gerichtshof, ob auch ein „Safener“, wenn für ihn ein ergänzendes Schutzzertifikat beantragt wird, vom Anwendungsbereich der Begriffe „Erzeugnis“ und „Wirkstoff“ im Sinne dieser Bestimmungen erfasst wird.

3.

Der Begriff „Safener“ bezeichnet im Unionsrecht „Stoffe oder Zubereitungen, die einem Pflanzenschutzmittel beigefügt werden, um die phytotoxische Wirkung des Pflanzenschutzmittels auf bestimmte Pflanzen zu unterdrücken oder zu verringern“ ( 3 ). Das Bundespatentgericht qualifiziert Safener als Gegengifte, die dazu dienen, die schädigende Wirkung eines Herbizids auf Pflanzen zu regulieren.

4.

In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Wechselwirkung zwischen zwei unionsrechtlichen Regelungen, nämlich derjenigen über die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und derjenigen über die Erteilung ergänzender Schutzzertifikate für solche Erzeugnisse. Die Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: Zulassung) unterliegt hier der Regelung der Richtlinie 91/414/EWG ( 4 ) und die Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats der Regelung der Verordnung Nr. 1610/96.

5.

Die zentrale Frage ist folgende: Verwehrt es der Umstand, dass ein Safener im Rahmen der Erteilung der Zulassung nach der Richtlinie 91/414 nicht als „Wirkstoff“ behandelt wurde, dass er in der folgenden Etappe, d. h. für den Zweck eines Antrags auf ein ergänzendes Schutzzertifikat nach der Verordnung Nr. 1610/96, als Wirkstoff angesehen wird? Die polnische Regierung und die Europäische Kommission sind der Ansicht, dass es sich so verhalte. Die Bayer CropScience AG (im Folgenden: Bayer CropScience) meint dagegen, dass keine solche Verbindung zwischen den beiden Verfahren herzustellen sei.

6.

Diese Frage wurde vor dem vorlegenden Gericht insbesondere aufgrund einer späteren Änderung des rechtlichen Rahmens aufgeworfen, die auf den konkreten Fall noch nicht anwendbar ist. Mit dem an die Stelle der Richtlinie 91/414 getretenen Rechtsakt, der Verordnung Nr. 1107/2009 ( 5 ), wurde nämlich zusätzlich zu der Definition des Begriffs des Wirkstoffs eine spezielle Definition des Begriffs „Safener“ eingeführt.

7.

Zum Zweck der Analyse der oben erwähnten Verbindung und in Ermangelung einschlägiger Rechtsprechung zu der Verordnung Nr. 1610/96 weise ich darauf hin, dass ein entsprechender – wenn auch verschiedener – Rahmen vom Unionsgesetzgeber für Humanarzneimittel erlassen wurde, für die die Erteilung der Zulassung in der Richtlinie 2001/83/EG ( 6 ) geregelt wird und die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats ursprünglich in der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 ( 7 ) geregelt war und nunmehr in der Verordnung Nr. 469/2009 ( 8 ) geregelt ist. Folglich können die vom Gerichtshof in diesem Rahmen herausgearbeiteten Grundsätze zur Auslegung der Verordnung Nr. 1610/96 beitragen.

II – Rechtlicher Rahmen

8.

Mit der Richtlinie 91/414 wurden einheitliche Regeln für die Zulassung, das Inverkehrbringen, die Anwendung und die Kontrolle von Pflanzenschutzmitteln in handelsüblicher Form sowie von in ihnen enthaltenen Wirkstoffen innerhalb der Europäischen Union aufgestellt. Mit ihr sollten nicht nur die Vorschriften über die Voraussetzungen und die Verfahren für die Zulassung dieser Erzeugnisse harmonisiert, sondern auch ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie für die Umwelt gegen die Bedrohungen und Gefahren gewährleistet werden, die sich aus einer unzureichend kontrollierten Verwendung dieser Erzeugnisse ergeben. Ferner sollte sie die Hemmnisse für den freien Verkehr dieser Erzeugnisse beseitigen.

9.

In Art. 4 der Richtlinie 91/414 wurden die Voraussetzungen für die Erteilung der Zulassung aufgestellt. Die für die Verwendung in Pflanzenschutzmitteln zulässigen Wirkstoffe wurden in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgeführt. In Anhang II dieser Richtlinie wurden die Anforderungen an die Unterlagen zum Antrag auf Aufnahme eines Wirkstoffs in Anhang I aufgezählt. In Anhang III der Richtlinie wurden die Anforderungen an die dem Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels beizufügenden Unterlagen aufgezählt.

10.

In der Verordnung Nr. 1610/96 sind insbesondere die Voraussetzungen vorgesehen, unter denen für einen bereits zugelassenen „Wirkstoff“ ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden kann.

11.

Nach Art. 1 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1610/96 sind „Pflanzenschutzmittel“ Wirkstoffe und Zubereitungen, die einen oder mehrere Wirkstoffe enthalten, in der Form, in welcher sie an den Anwender geliefert werden, und die u. a. dazu bestimmt sind, zum einen Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse vor Schadorganismen zu schützen oder ihrer Einwirkung vorzubeugen oder, zum anderen, in einer anderen Weise als ein Nährstoff die Lebensvorgänge von Pflanzen zu beeinflussen (z. B. Wachstumsregler).

12.

Nach Art. 1 Nr. 2 sind „Stoffe“ chemische Elemente und deren Verbindungen, wie sie natürlich vorkommen oder industriell hergestellt werden, einschließlich jeglicher bei der Herstellung nicht zu vermeidender Verunreinigung. In Art. 1 Nr. 3 sind „Wirkstoffe“ definiert als Stoffe und Mikroorganismen, einschließlich Viren, mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung gegen Schadorganismen (Buchst. a) oder auf Pflanzen, Pflanzenteile oder Pflanzenerzeugnisse (Buchst. b).

13.

Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 1610/96 kann für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent geschütztes Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Pflanzenschutzmittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß Art. 4 der Richtlinie 91/414 war, ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden.

14.

Dieses Zertifikat wird vom Deutschen Patent‑ und Markenamt erteilt.

15.

Art. 3 der Verordnung Nr. 1610/96 macht die Erteilung des Zertifikats von vier Bedingungen abhängig: Das Erzeugnis muss durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt sein, es muss als Pflanzenschutzmittel zugelassen worden sein, für das Erzeugnis darf nicht bereits ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt worden sein und die erwähnte Zulassung muss die erste Zulassung des Erzeugnisses als Pflanzenschutzmittel gewesen sein.

16.

Nach § 15c des Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen ( 9 ) in der am 14. Mai 1998 bekannt gemachten Fassung ( 10 ) mit späteren Änderungen ( 11 ) kann das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ein Pflanzenschutzmittel unter den in dieser Vorschrift vorgesehenen Voraussetzungen für einen Zeitraum von höchstens drei Jahren zulassen, namentlich dann, wenn das Erzeugnis einen Wirkstoff enthält, über dessen Aufnahme in Anhang I der Richtlinie 91/414 noch nicht entschieden worden ist.

III – Ausgangsverfahren, Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

A – Ausgangsverfahren

17.

Bayer CropScience ist Inhaberin eines am 8. September 1994 beantragten und mit Wirkung für Deutschland erteilten europäischen Patents mit der Bezeichnung „Substituierte Isoxazoline, Verfahren zu deren Herstellung, diese enthaltende Mittel und deren Verwendung als Safener“.

18.

Am 21. März 2003 wurde Bayer CropScience vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nach § 15c des Pflanzenschutzgesetzes eine vorläufige Zulassung für das Pflanzenschutzmittel MaisTer erteilt. In dieser Zulassung sind als Wirkstoffe von MaisTer die chemischen Verbindungen Foramsulfuron, Iodosulfuron und Isoxadifen genannt. In den endgültigen Zulassungen vom 12. Juni 2006 und vom 19. Dezember 2007 wird indessen Isoxadifen, der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Safener, bei den Wirkstoffen nicht mehr aufgeführt.

19.

Am 10. Juli 2003 beantragte Bayer CropScience beim Deutschen Patent‑ und Markenamt ein ergänzendes Schutzzertifikat für Isoxadifen.

20.

Das Deutsche Patent‑ und Markenamt wies den Zertifikatsantrag mit Beschluss vom 12. März 2007 aus Gründen zurück, die im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens nicht relevant sind ( 12 ).

21.

Gegen diesen Beschluss legte Bayer CropScience Beschwerde ein. Sie machte geltend, dass in der Zwischenzeit mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs ergangen seien, die eine Aufrechterhaltung der Zurückweisungsgründe nicht mehr rechtfertigten.

22.

Das Bundespatentgericht bestätigte dies in einem rechtlichen Hinweis, wies jedoch darauf hin, dass eine Zurückweisung des Antrags aus anderen Gründen in Betracht komme. Es könne sein, dass ein Safener kein Wirkstoff und damit kein Erzeugnis im Sinne der Verordnung Nr. 1610/96 sei, da in der Verordnung Nr. 1107/2009 ausdrücklich zwischen Wirkstoffen, Safenern und Synergisten unterschieden werde. Dies könne bedeuten, dass Safener von einem Schutzzertifikat ausgeschlossen seien.

23.

Das Bundespatentgericht bemerkt, dass noch nicht geklärt sei, ob für einen Safener überhaupt ein Zertifikat erteilt werden könne, weil es sich dabei möglicherweise nicht um ein Erzeugnis bzw. um einen Wirkstoff im Sinne der Verordnung Nr. 1610/96 handele.

B – Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

24.

In der Annahme, dass die Entscheidung über die bei ihm anhängige Beschwerde in diesem Kontext von der Auslegung der Begriffe „Erzeugnis“ und „Wirkstoff“ im Sinne von Art. 1 Nrn. 8 und 3 in Verbindung mit den Art. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1610/96 abhänge, hat das Bundespatentgericht mit Beschluss vom 6. Dezember 2012, der am 10. Januar 2013 eingegangen ist, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Begriffe Erzeugnis in Art. 3 Abs. 1, Art. 1 Nr. 8 und Wirkstoff in Art. 1 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1610/96 dahin auszulegen, dass auch ein Safener darunter fällt?

25.

Bayer CropScience, die polnische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Am 21. November 2013 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, an der Bayer CropScience und die Kommission teilgenommen haben.

IV – Analyse

A – Einleitende Ausführungen

26.

Bei der Verwertung von Erfindungen im Bereich der Pflanzenschutzmittel sind drei Etappen zu unterscheiden, die miteinander zusammenhängen, aber doch verschieden sind:

die Erfindung einer chemischen Verbindung und/oder des Verfahrens zu ihrer Herstellung oder Nutzung sowie der Schutz dieser Erfindung durch ein Patent, das sog. „Grundpatent“;

die Vermarktung der Erfindung als „Pflanzenschutzmittel“ mit einem oder mehreren Wirkstoffen nach der Erteilung einer Zulassung;

der Schutz des in einem Pflanzenschutzmittel enthaltenen Wirkstoffs über die Geltungsdauer des Patents hinaus durch ein ergänzendes Schutzzertifikat.

27.

Diese drei Etappen werden mit verschiedenen rechtlichen Instrumenten geregelt. Die Erteilung eines Patents unterliegt dem nationalen Recht oder – wie im vorliegenden Fall – dem Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente ( 13 ). Im Übrigen unterliegt im Ausgangsverfahren die Zulassung der Richtlinie 91/414, während das ergänzende Schutzzertifikat der Verordnung Nr. 1610/96 unterliegt.

28.

Im Ausgangsverfahren geht es um eine chemische Verbindung, Isoxadifen, die im vorliegenden Fall als Safener wirkt, durch ein Grundpatent geschützt ist und für die – zusammen mit zwei Wirkstoffen – eine Zulassung als „Pflanzenschutzmittel“ erteilt wurde. Bayer CropScience hat zudem – nur für Isoxadifen – ein ergänzendes Schutzzertifikat beantragt.

29.

Die polnische Regierung und die Kommission tragen vor, für Isoxadifen könne kein ergänzendes Schutzzertifikat nach der Verordnung Nr. 1610/96 erteilt werden, da es sich nicht um einen Wirkstoff handele ( 14 ). Bayer CropScience meint dagegen, ein Safener werde auch vom Begriff „Erzeugnis“ in Art. 3 Abs. 1 und Art. 1 Nr. 8 sowie vom Begriff „Wirkstoff“ in Art. 1 Nr. 3 der Verordnung Nr. 1610/96 erfasst.

30.

Mir scheint, dass es sich dabei um eine wichtige Auslegungsfrage handelt, da die Entscheidung über die ergänzenden Schutzzertifikate von den nationalen Behörden getroffen werden und die gegenwärtige Praxis in Bezug auf „Safener“ von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ist. In einigen Fällen ist für einen Safener ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt worden, während dies in anderen Fällen – wie im Ausgangsverfahren – nicht der Fall war.

31.

In den vorliegenden Schlussanträgen möchte ich die folgende Auslegung vorschlagen: Wenn ein Stoff die in der Verordnung Nr. 1610/96 aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, kann dafür meiner Meinung nach unabhängig davon, ob es sich im Rahmen der Richtlinie 91/414 oder der Verordnung Nr. 1107/2009 um einen Safener handelt, ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden. Eine wesentliche Frage besteht insoweit darin, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Stoff tatsächlich pflanzenschützend wirkt oder nicht. Die deutsche Regierung und die Kommission bestreiten dies, während es von Bayer CropScience behauptet wird. Dabei handelt es sich allerdings um eine Tatsachenfrage, über die das nationale Gericht zu entscheiden hat.

B – Der Zweck des ergänzenden Schutzzertifikats

32.

Im Urteil Hogan Lovells International ( 15 ) hat der Gerichtshof festgestellt, dass mit dem ergänzenden Schutzzertifikat die Herstellung einer ausreichenden Dauer des wirksamen Patentschutzes angestrebt wird, indem dem Inhaber nach Ablauf des Grundpatents eine zusätzliche Ausschließlichkeitsfrist eingeräumt wird, die zumindest zum Teil den Rückstand in der wirtschaftlichen Verwertung ihrer Erfindung ausgleichen soll, der aufgrund der Zeitspanne von der Einreichung der Patentanmeldung bis zur Erteilung der ersten Zulassung in der Union eingetreten ist.

33.

Dazu hat der Gerichtshof ausgeführt, dass durch das ergänzende Schutzzertifikat ein Zusammenhang zwischen dem Grundpatent und der ersten Zulassung des Pflanzenschutzerzeugnisses hergestellt wird, ab der mit dessen wirtschaftlicher Verwertung begonnen werden kann. Aus diesem Grund müssen für die Erteilung dieses Zertifikats die vier kumulativen Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1610/96 vorliegen ( 16 ).

34.

Das ergänzende Schutzzertifikat wird somit durch die Verordnung Nr. 1610/96 geregelt, insbesondere durch ihren von dem vorlegenden Gericht angeführten Art. 3. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass bei der Auslegung von Art. 3 dieser Verordnung nicht allein auf seinen Wortlaut abgestellt werden darf, sondern auch die allgemeine Systematik und die Ziele der Regelung, in die er sich einfügt, zu berücksichtigen sind ( 17 ).

35.

Insbesondere ist bei der Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96, wonach für ein Pflanzenschutzmittel eine Zulassung „gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/414“ erteilt worden sein muss, auf die Bestimmungen dieser Richtlinie abzustellen, in denen die Bedingungen für die Erteilung einer Zulassung für Pflanzenschutzmittel geregelt sind ( 18 ).

36.

Diese Bestimmungen beruhen auf einer Unterscheidung zwischen der Zulassung von Wirkstoffen, die auf der Ebene der Union erteilt wird, und der Zulassung von Wirkstoffe enthaltenden Erzeugnissen, die, wie aus den Art. 3 bis 6 und 8 der Richtlinie 91/414 hervorgeht, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt ( 19 ).

37.

Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 darf ein Pflanzenschutzmittel in einem Mitgliedstaat nur dann in den Verkehr gebracht und angewandt werden, wenn die zuständigen Behörden dieses Staates es nach den Bestimmungen dieser Richtlinie zugelassen haben. Nach deren Art. 4 Abs. 1 Buchst. a darf ein Mitgliedstaat ein Pflanzenschutzmittel nur dann zulassen, wenn die darin enthaltenen Wirkstoffe unionsrechtlich anerkannt und in Anhang I der Richtlinie aufgenommen wurden. Die Voraussetzungen für die Aufnahme dieser Stoffe in Anhang I sind in Art. 5 der Richtlinie beschrieben, und über sie müssen Unterlagen gemäß Anhang II der Richtlinie vorgelegt werden ( 20 ).

38.

Hervorzuheben ist, dass die im vorliegenden Fall anwendbaren Bestimmungen, d. h. die der Verordnung Nr. 1610/96, keine eigene Definition des Begriffs des Safeners enthalten ( 21 ). Dass eine Definition des Safeners in die Verordnung Nr. 1107/2009, die an die Stelle der Richtlinie 91/414 getreten ist, aufgenommen und damit eine im Rahmen der Beurteilung und der Erteilung der Zulassung vorzunehmende Unterscheidung eingeführt wurde, kann einige Ansätze für Erwägungen geben, doch ist diese Unterscheidung in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar und bietet auch keine direkte Antwort auf die Vorlagefrage, die die Auslegung der Verordnung Nr. 1610/96 betrifft.

39.

Somit ist der Schluss zu ziehen, dass die Richtlinie 91/414 für die Anwendung der Verordnung Nr. 1610/96 im Allgemeinen ohne Bedeutung ist. Das Ziel dieser Verordnung besteht gerade darin, Innovationen anzuregen, die zu Erzeugnissen führen, die die in der Richtlinie 91/414 aufgestellten Voraussetzungen erfüllen und somit eine Zulassung erhalten haben. Allerdings wird die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats meiner Meinung nach weiterhin autonom in der Verordnung Nr. 1610/96 geregelt.

C – Die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats

40.

Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum ergänzenden Schutzzertifikat einem restriktiven Ansatz den Vorzug gegeben, und zwar sowohl bei Pflanzenschutzmitteln als auch bei Humanarzneimitteln ( 22 ).

41.

Im Urteil Massachusetts Institute of Technology ( 23 ) hat der Gerichtshof im Bereich der Humanarzneimittel den Standpunkt eingenommen, dass Trägerstoffe, d. h. „zu der Zusammensetzung eines Arzneimittels gehörende Stoffe, die keine eigene Wirkung auf den menschlichen oder den tierischen Organismus haben“ ( 24 ), nicht von der Definition des Begriffs „Erzeugnis“ im Sinne der Verordnung Nr. 1768/92 erfasst werden.

42.

Zudem hat der Gerichtshof im Beschluss in der Rechtssache Yissum ( 25 ) unter Bezugnahme auf das Urteil Massachusetts Institute of Technology festgestellt, dass der Begriff „Erzeugnis“ im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1768/92 im engen Sinn als „Wirkstoff“ zu verstehen ist.

43.

Im Beschluss in der Rechtssache Glaxosmithkline Biologicals und Glaxosmithkline Biologicals, Niederlassung der Smithkline Beecham Pharma ( 26 ), hat der Gerichtshof ferner festgestellt, dass ein Adjuvans, weil es keine eigenen arzneilichen Wirkungen hat, nicht als ein „Wirkstoff“ im Sinne des Art. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 469/2009 angesehen werden kann.

44.

In der vorliegenden Rechtssache haben sich die deutschen Behörden insbesondere darauf berufen, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Safener keine eigenen therapeutischen Wirkungen habe. Bayer CropScience hat dies in der mündlichen Verhandlung bestritten und geltend gemacht, dass ein Safener ein chemischer Stoff sei, der pflanzenschützend wirke. Der fragliche Safener entfalte – auch ohne andere Pflanzenschutzerzeugnisse – eine unmittelbare Wirkung auf den Stoffwechsel der Pflanze, was ihn grundlegend von der Situation bei einem Adjuvans unterscheide.

45.

Diese Erwägungen müssen zwar sicher berücksichtigt werden, doch hat der Gerichtshof in einigen Rechtssachen eine eingehendere Analyse der Wirkungen des jeweiligen Erzeugnisses vorgenommen und bestätigt, dass der besondere Mechanismus eines jeden Einzelfalls zu berücksichtigen ist.

46.

So hat der Gerichtshof im Urteil Chemische Fabrik Kreussler ( 27 ) mittelbare Wirkungen im Bereich der Humanarzneimittel berücksichtigt. Er hat nämlich für Recht erkannt, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass vom Vorliegen einer „pharmakologischen Wirkung“ einer Substanz im Sinne dieser Bestimmung nicht nur dann ausgegangen werden kann, wenn es zu einer Wechselwirkung zwischen den Molekülen dieser Substanz und einem zellulären Bestandteil des Körpers des Anwenders kommt, sondern dass eine Wechselwirkung zwischen dieser Substanz und einem beliebigen im Körper des Anwenders vorhandenen zellulären Bestandteil genügt.

47.

Ferner hat der Gerichtshof im Urteil Söll, das Biozide und insbesondere den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/8/EG ( 28 ) betrifft, entschieden, dass der Begriff „Biozid-Produkte“ in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er auch nur mittelbar auf die betreffenden Schadorganismen einwirkende Produkte erfasst, sofern sie einen oder mehrere Wirkstoffe enthalten, die eine chemische oder biologische Wirkung als Teil einer Kausalitätskette herbeiführen, die bei den betreffenden Schadorganismen eine Hemmwirkung hervorrufen soll ( 29 ).

D – Anwendung auf das Ausgangsverfahren

48.

Erstens scheint mir entgegen dem von der Kommission vertretenen Ansatz, dass in der Verordnung Nr. 1610/96 nicht zwischen einer unmittelbaren und einer mittelbaren Wirkung in dem Sinne unterschieden wird, dass nur eine unmittelbare Wirkung die in der Verordnung in Bezug auf Wirkstoffe aufgestellten Voraussetzungen erfüllen könnte.

49.

Zweitens wird mit der Regelung über ergänzende Schutzzertifikate ein im Wesentlichen wirtschaftlicher Zweck verfolgt. Der Gesetzgeber gewährt für Erfindungen in Bezug auf Pflanzenschutzmittel einen zusätzlichen Schutz, um insbesondere zukunftsorientierte Innovationen zu fördern. In diesem Zusammenhang wäre es etwas künstlich, eine Unterscheidung zwischen zwei oder mehr durch ein Patent geschützten Innovationen vorzunehmen, die – wie im vorliegenden Fall – in ein und demselben Erzeugnis enthalten und Gegenstand einer einzigen Zulassung sind. Ein ergänzendes Schutzzertifikat für den Herbizid-Bestandteil zu erteilen und es für den Safener-Bestandteil abzulehnen erscheint mir angesichts dieses Zwecks und vor dem Hintergrund, dass der Safener die Wirksamkeit des fraglichen Pflanzenschutzmittels erhöhen kann, nicht kohärent. Bayer CropScience hat ferner vorgetragen, dass Haushaltserwägungen in Verbindung mit der öffentlichen Gesundheit, die eine restriktive Auslegung rechtfertigen könnten, in diesem Bereich nicht in gleicher Weise wie im Sektor der Humanarzneimittel gälten.

50.

Drittens ist klar, dass die Verordnung Nr. 1610/96 Anträge auf Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Safener nicht ausdrücklich ausschließt. Zudem weist Bayer CropScience in ihren Erklärungen darauf hin, dass die zuständigen Behörden in einigen Mitgliedstaaten, etwa der Tschechischen Republik, dem Königreich Dänemark, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, Ungarn und der Republik Österreich ein ergänzendes Schutzzertifikat für das fragliche Pflanzenschutzmittel erteilt hätten ( 30 ).

51.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen sehe ich in der Verordnung Nr. 1610/96 nichts, was dem entgegenstünde, dass ein ergänzendes Schutzzertifikat für einen Safener erteilt werden kann, sofern dieser die Voraussetzungen insbesondere hinsichtlich des Wirkstoffs erfüllt.

52.

Insbesondere kann nur ein mit einem Grundpatent geschützter chemischer Stoff, der im Sinne von Art. 1 Nr. 3 Buchst. b der Verordnung Nr. 1610/96 eine allgemeine oder spezifische Wirkung auf Pflanzen oder Pflanzenteile ausübt und der für sich genommen oder in einer Zubereitung, die einen oder mehrere Wirkstoffe enthält, dazu bestimmt ist, im Sinne von Art. 1 Nr. 1 Buchst. b die Lebensvorgänge von Pflanzen zu beeinflussen, mit einem ergänzenden Schutzzertifikat geschützt werden, was auch dann gilt, wenn es sich um einen Safener handelt.

53.

Meiner Meinung nach genügt es, dass ein chemischer Stoff eine chemische oder biologische Wirkung als Teil einer Kausalitätskette herbeiführt, die eine allgemeine oder spezifische schützende Wirkung auf Pflanzen oder Pflanzenteile ausüben soll ( 31 ).

54.

Dass im Rahmen des Inverkehrbringens eine solche Wirkung als pflanzenschützend und das entsprechende Erzeugnis als Safener qualifiziert wird, sollte der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für den fraglichen Stoff nicht entgegenstehen. Mir scheint, dass der Charakter eines Arzneimittels als Gegengift zu einem anderen Arzneimittel, dessen schädliche Wirkungen damit abgemildert werden können, der Einstufung als Arzneimittel nicht entgegensteht, sofern es die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Dieselbe Logik sollte meiner Ansicht nach entsprechend auf Pflanzenschutzmittel Anwendung finden.

55.

Es versteht sich von selbst, dass sich das nationale Gericht zu vergewissern hat, dass die geltend gemachte pflanzenschützende Wirkung tatsächlich besteht.

V – Ergebnis

56.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Bundespatentgerichts wie folgt zu antworten:

Der in Art. 3 Abs. 1 und Art. 1 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel verwendete Begriff „Erzeugnis“ und der Begriff „Wirkstoff“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 dieser Verordnung sind dahin auszulegen, dass darunter jeder Stoff fällt, der die in diesen Bestimmungen aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, darunter gegebenenfalls auch ein Safener.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. L 198, S. 30.

( 3 ) Vgl. die Definition in Art. 2 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. L 309, S. 1).

( 4 ) Richtlinie des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 230, S. 1) in ihrer durch die Richtlinie 2005/58/EG der Kommission vom 21. September 2005 (ABl. L 246, S. 17) geänderten Fassung. Sie ist durch die Verordnung Nr. 1107/2009 ersetzt worden.

( 5 ) Vgl. Fn. 3.

( 6 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in ihrer durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung.

( 7 ) Verordnung des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ABl. L 182, S. 1).

( 8 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (ABl. L 152, S. 1).

( 9 ) In der Fassung, die bis zum 13. Februar 2012 in Kraft war.

( 10 ) BGBl. I S. 971 sowie (Berichtigungen) 1527 und 3512.

( 11 ) Im Folgenden: Pflanzenschutzgesetz. Die Bestimmung ist nunmehr durch Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes vom 6. Februar 2012 (BGBl. I S. 148) aufgehoben worden.

( 12 ) Die Zurückweisung beruhte im Wesentlichen auf drei Erwägungen: Eine vorläufige Zulassung nach § 15c des Pflanzenschutzgesetzes reiche für die Erteilung eines Zertifikats nicht aus, der Antrag richte sich lediglich auf einen Wirkstoff, genehmigt sei aber eine Wirkstoffkombination, und schließlich könne die angegebene italienische Zulassung nicht herangezogen werden, da sie für eine andere Wirkstoffkombination erteilt worden sei.

( 13 ) Unterzeichnet in München am 5. Oktober 1973.

( 14 ) Die vorliegende Rechtssache weist einen gewissen Zusammenhang mit dem Urteil vom 11. November 2010, Hogan Lovells International (C-229/09, Slg. 2010, I-11335, Rn. 16), auf. In jener Rechtssache ging es ebenfalls um einen Antrag auf ein ergänzendes Schutzzertifikat. Im Gegensatz zur vorliegenden Rechtssache war klar, dass die in jener Rechtssache in Rede stehende chemische Verbindung (Iodosulfuron) ein Wirkstoff war; in Frage stand, ob ein ergänzendes Schutzzertifikat auf der Grundlage einer vorläufigen Zulassung erteilt werden konnte. Der Gerichtshof hat diese Frage bejaht. Ich weise im Übrigen darauf hin, dass Iodosulfuron einer der beiden im Ausgangsverfahren mit Isoxadifen verbundenen Wirkstoffe ist, wobei es sich bei dem anderen um Foramsulfuron handelt.

( 15 ) Urteil Hogan Lovells International (Rn. 50).

( 16 ) Ebd. (Rn. 51).

( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Hogan Lovells International (Rn. 32) und vom 3. September 2009, AHP Manufacturing (C-482/07, Slg. 2009, I-7295, Rn. 27).

( 18 ) Urteil Hogan Lovells International (Rn. 33).

( 19 ) Ebd. (Rn. 34).

( 20 ) Ebd. (Rn. 35).

( 21 ) Zu beachten ist allerdings, dass der Begriff „Safener“ in Anhang III („Anforderungen an die dem Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels beizufügenden Unterlagen“) der Richtlinie 91/414 auftaucht: Im Teil A („Chemische Zubereitungen“) werden unter der Ziff. 1.4. („Ausführliche quantitative und qualitative Angaben über die Zusammensetzung der Zubereitung [Wirkstoff(e) und Beistoffe]“) in den Ziff. 1.4.1. und 1.4.2. Wirkstoffe und in den Ziff. 1.4.3. und 1.4.4. Beistoffe, darunter Safener, behandelt.

( 22 ) Zum Anwendungsbereich des ergänzenden Schutzzertifikats vgl. Grubb, P. W., und Thomsen, P. R., Patents for Chemicals, Pharmaceuticals and Biotechnology, Fünfte Auflage, Oxford University Press, Oxford 2010, S. 265, v. a. S. 267.

( 23 ) Urteil vom 4. Mai 2006 (C-431/04, Slg. 2006, I-4089, Rn. 25).

( 24 ) Vgl. Urteil Massachusetts Institute of Technology (Rn. 18, Hervorhebung nur hier).

( 25 ) Beschluss vom 17. April 2007 (C-202/05, Slg. 2007, I-2839, Rn. 17) und Urteil Massachusetts Institute of Technology (insbesondere Rn. 19, 21, 23 und 24).

( 26 ) Beschluss vom 14. November 2013 (C‑210/13, Rn. 35).

( 27 ) Urteil vom 6. September 2012 (C‑308/11, Rn. 36). Es ging um das Erzeugnis Chlorhexidin, das mit den im Mund des Nutzers auftretenden bakteriellen Zellen reagiert.

( 28 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (ABl. L 123, S. 1).

( 29 ) Urteil vom 1. März 2012, Söll (C‑420/10, Rn. 31).

( 30 ) Ich weise allerdings darauf hin, dass die Begründungen der entsprechenden Entscheidungen nicht in den Akten enthalten sind und dass Bayer CropScience auch nicht die ablehnenden Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten, soweit vorhanden, vorgelegt hat.

( 31 ) Vgl. entsprechend Urteil Söll (Rn. 31).