URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST
DER EUROPÄISCHEN UNION
(Zweite Kammer)
19. Juni 2014
Rechtssache F-157/12
BN
gegen
Europäisches Parlament
Öffentlicher Dienst – Beamte – Anfechtungsklage – Beamter der Besoldungsgruppe AD 14, der vorläufig die Stelle eines Beraters bei einem Direktor innehat – Mobbingvorwurf gegen den Generaldirektor – Krankheitsurlaub von langer Dauer – Entscheidung über die Ernennung auf eine Beraterstelle in einer anderen Generaldirektion – Fürsorgepflicht – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Dienstliches Interesse – Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten – Schadensersatzklage – Schaden aus einem Verhalten ohne Entscheidungscharakter“
Gegenstand Klage nach Art. 270 AEUV, der gemäß Art. 106a EA auch für den EAG-Vertrag gilt, auf Aufhebung der Entscheidung des Europäischen Parlaments vom 20. März 2012, mit der die Verwendung des Klägers als Berater beim Direktor der Direktion Ressourcen der Generaldirektion (GD) Personal beendet und er mit Wirkung vom 15. März 2012 auf die Stelle eines Beraters bei der Dienststelle „System für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung“ (im Folgenden: Dienststelle EMAS) des Referats Allgemeine Koordinierung der Direktion Ressourcen der GD Infrastrukturen und Logistik umgesetzt wird, und der Entscheidung vom 21. September 2012 über die Zurückweisung der Beschwerde gegen die Entscheidung vom 20. März 2012 sowie auf Schadensersatz wegen Mobbing und schlechter Verwaltungsführung seitens seiner Vorgesetzten in Höhe eines nach billigem Ermessen auf 400 000 Euro bezifferten Betrages
Entscheidung: Die Klage wird abgewiesen. Das Europäische Parlament trägt seine eigenen Kosten und wird verurteilt, die BN entstandenen Kosten zu tragen.
Leitsätze
1. Beamte – Versetzung – Umsetzung – Abgrenzungskriterium – Gemeinsame Voraussetzungen
(Beamtenstatut, Art. 4, Art. 7 Abs. 1 und Art. 29)
2. Beamte – Organisation der Dienststellen – Dienstliche Verwendung des Personals – Umsetzung – Wahrung des Grundsatzes der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten – Umfang
(Beamtenstatut, Art. 7 Abs. 1)
3. Beamte – Mobbing – Beweislast – Verpflichtung des Betroffenen, einen Anfangsbeweis zu erbringen
(Beamtenstatut, Art. 12a Abs. 2)
4. Beamtenklage – Gründe – Ermessensmissbrauch – Begriff – Entscheidung im dienstlichen Interesse – Kein Ermessensmissbrauch
5. Beamte – Organisation der Dienststellen – Dienstliche Verwendung des Personals – Umsetzungsmaßnahme im dienstlichen Interesse – Anhörungsrecht des Betroffenen – Fehlen
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a; Beamtenstatut, Art. 7 Abs. 1)
6. Beamte – Fürsorgepflicht der Verwaltung – Umfang – Erhöhte Pflicht bei Beeinträchtigung der Gesundheit des Beamten – Grenzen
(Beamtenstatut, Art. 24)
7. Beamte – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit – Verpflichtungen der Organe – Umfang – Richtlinie 89/391 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit – Wirkung – Grenzen
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 31 Abs. 1; Beamtenstatut, Art. 1e Abs. 2; Richtlinie 89/391 des Rates)
1. Auch wenn sich eine Entscheidung insofern, als sie u. a. auf Art. 7 Abs. 1 des Statuts gestützt ist, als Entscheidung über die Versetzung eines Beamten darstellt, ist sie als Umsetzungsmaßnahme zu beurteilen, wenn der Betroffene nicht gemäß den Art. 4 und 29 des Statuts auf eine freie Planstelle versetzt worden ist.
Die Umsetzungsentscheidungen unterliegen jedoch hinsichtlich der Wahrung der Rechte und berechtigten Interessen des betroffenen Beamten ebenso wie die Versetzungen in dem Sinne den Bestimmungen des Art. 7 Abs. 1 des Statuts, dass insbesondere die Umsetzung von Beamten nur im dienstlichen Interesse und unter Beachtung der Gleichwertigkeit der Dienstposten erfolgen darf.
(vgl. Rn. 44 bis 46)
Verweisung auf:
Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil de Albuquerque/Kommission, F-55/06, EU:F:2007:15, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung
2. Bei der Umsetzung verlangt im Fall der Änderung der dem Beamten zugewiesenen Aufgaben der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten, der insbesondere in Art. 7 des Statuts zum Ausdruck gelangt, einen Vergleich zwischen der Besoldungsgruppe und den gegenwärtigen Aufgaben des Beamten und nicht zwischen seinen gegenwärtigen und seinen früheren Aufgaben. Daher steht der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten nicht einer Entscheidung entgegen, die die Zuweisung neuer Aufgaben mit sich bringt, die sich zwar von den früher ausgeübten unterscheiden und vom Betroffenen als Verringerung seiner Aufgaben empfunden werden, aber gleichwohl mit dem seiner Besoldungsgruppe entsprechenden Dienstposten übereinstimmen. Eine tatsächliche Verringerung der Aufgaben eines Beamten verstößt daher nur dann gegen den Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten, wenn seine neuen Aufgaben unter Berücksichtigung ihrer Art, ihrer Bedeutung und ihres Umfangs insgesamt eindeutig hinter denen zurückbleiben, die seiner Besoldungsgruppe und seinem Dienstposten entsprechen. Schließlich hat der Beamte nach dem Statut keinen Anspruch auf einen bestimmten Dienstposten, sondern bleibt vielmehr die Anstellungsbehörde befugt, die Beamten im dienstlichen Interesse in die verschiedenen ihrer Besoldungsgruppe entsprechenden Dienstposten einzuweisen. Im Übrigen hat die Verwaltung zwar jedes Interesse daran, die Beamten nach Maßgabe ihrer spezifischen Fähigkeiten und ihrer persönlichen Präferenzen zu verwenden, doch kann einem Beamten nicht das Recht zuerkannt werden, spezifische Tätigkeiten auszuüben oder beizubehalten oder jede andere zu seiner Grundamtsbezeichnung gehörende Tätigkeit abzulehnen. Somit wird bei der Umsetzung eines Beamten von der Stelle eines Referatsleiters auf eine Beraterstelle unter Beibehaltung derselben Besoldungsgruppe AD 14 die Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten gewahrt, da die Besoldungsgruppe AD 14, wie dies aus der Übersicht über die Funktionsbezeichnungen in Anhang I Abschnitt A des Statuts hervorgeht, einem AD-Beamten entspricht, der zum Beispiel die Funktion eines Direktors, Referatsleiters oder Beraters ausübt.
(vgl. Rn. 55 bis 58)
Verweisung auf:
Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil Bermejo Garde/EWSA, F-41/10, EU:F:2012:135, Rn. 162 bis 164 und die dort angeführte Rechtsprechung, Rechtsmittel anhängig beim Gericht der Europäischen Union, Rechtssache T-530/12 P
3. Art. 12a Abs. 2 des Statuts über den Schutz des Beamten, der sich als Opfer von Mobbing sieht, kann einen Antrag auf Aufhebung einer Entscheidung der Verwaltung nur dann stützen, wenn der Betroffene zumindest einen Anfangsbeweis dafür beibringt, dass die angefochtene Entscheidung ganz oder teilweise eine Vergeltungsmaßnahme gegen ihn darstellt.
Dass ein Beamter seine Ernennung auf eine Referatsleiterstelle beantragt hat, die Anstellungsbehörde diesem Antrag nicht entsprochen hat und der Beamte von einer Beraterstelle auf eine andere Beraterstelle umgesetzt wurde, reicht für sich allein nicht aus, um die angefochtene Entscheidung als Vergeltungsmaßnahme gegen ihn einzustufen.
(vgl. Rn. 67 und 70)
4. Der Begriff des Befugnismissbrauchs, von dem der Verfahrensmissbrauch einen Unterfall darstellt, hat eine ganz präzise Bedeutung; er betrifft den Fall, dass eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisse zu einem anderen Zweck als dem ausübt, zu dem sie ihr übertragen worden sind. Eine Entscheidung ist nur dann in diesem Sinne missbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, dass sie zu anderen als den angegebenen Zwecken getroffen wurde.
Ist eine Umsetzungsmaßnahme nicht für mit dem dienstlichen Interesse unvereinbar befunden worden, kann von einem Befugnismissbrauch keine Rede sein.
(vgl. Rn. 76 und 77)
Verweisung auf:
Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil BY/EASA, F-81/11, EU:F:2013:82, Rn. 69 und 70 und die dort angeführte Rechtsprechung
5. Die Verteidigungsrechte umfassen u. a. das in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte verfahrensmäßige Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird. Das Recht jedes Beamten, gehört zu werden, gilt insbesondere vor dem Erlass einer Maßnahme, die erhebliche Folgen für seine berufliche Entwicklung haben könnte.
Die Anstellungsbehörde ist nicht dazu verpflichtet, dem Betroffenen vor dem Erlass einer Umsetzungsentscheidung mitzuteilen, auf welche Gründe sie gestützt wird, um ihm eine sachgerechte Stellungnahme dazu zu ermöglichen, wenn sie keine erhebliche Folgen für seine berufliche Entwicklung haben kann, die Gleichwertigkeit der Dienstposten wahrt, seinem Wunsch entspricht, nicht mehr in Bezug auf sein Spezialgebiet oder im unmittelbaren Bereich der Generaldirektion, in der gearbeitet hat, tätig zu sein, und für ihn keine Änderung des Dienstorts mit sich bringt.
(vgl. Rn. 84 und 85)
Verweisung auf:
Gericht erster Instanz: Urteil Clotuche/Kommission, T-339/03, EU:T:2007:36, Rn. 147
Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil Z/Gerichtshof, F-88/09 und F-48/10, EU:F:2012:171, Rn. 146 und die dort angeführte Rechtsprechung
6. Die Pflichten, die sich für die Verwaltung aus der Fürsorgepflicht ergeben, sind erheblich erhöht, wenn es um die Situation eines Beamten geht, dessen physische oder psychische Gesundheit erwiesenermaßen beeinträchtigt ist. In einem solchen Fall muss die Verwaltung die Anträge des betreffenden Beamten besonders aufgeschlossen prüfen. Im Übrigen obliegt es im Allgemeinen dem Ärztlichen Dienst eines Organs, das Vorhandensein und das Ausmaß der geltend gemachten Risiken zu prüfen und die Anstellungsbehörde vom Ergebnis seiner Prüfung in Kenntnis zu setzen, besonders wenn er entweder durch den betroffenen Beamten selbst oder durch die Verwaltung auf die vermeintlich negativen Folgen aufmerksam gemacht wird, die eine Verwaltungsentscheidung auf die Gesundheit der Person, an die sie gerichtet ist, haben könnte.
Der Anstellungsbehörde kann jedoch nicht vorgeworfen werden, dass sie durch den Erlass einer Umsetzungsentscheidung gegen ihre Fürsorgepflicht oder den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen habe, soweit sie mit dieser Entscheidung dem von dem Betroffenen geäußerten Wunsch entsprochen hat, nicht mehr in Bezug auf sein Spezialgebiet zu arbeiten und nicht mehr in einer bestimmten Generaldirektion tätig zu sein. Selbst wenn der Betroffene auch den Wunsch geäußert hat, in eine Referatsleiterstelle und nicht in eine Beraterstelle eingewiesen zu werden, hat der Unionsrichter aufgrund des weiten Ermessens, über das ein Organ bei der Organisation seiner Dienststellen verfügt, sofern eine Umsetzungsmaßnahme im dienstlichen Interesse geschieht und der Grundsatz der Entsprechung von Besoldungsgruppe und Dienstposten beachtet wird, nicht festzustellen, ob andere Maßnahmen angebrachter gewesen wären.
(vgl. Rn. 92, 93 und 96 bis 98)
Verweisung auf:
Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil Esders/Kommission, F-62/10, EU:F:2011:141, Rn. 80 und 82 und die dort angeführte Rechtsprechung
7. Die Organe der Union haben das Recht der Arbeitnehmer auf u. a. gesunde Arbeitsbedingungen zu achten, das in Art. 31 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist. Dieser Absatz stützt sich nach den Erläuterungen zu Art. 31 der Charta, die gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 7 der Charta bei deren Auslegung zu berücksichtigen sind, auf die Richtlinie 89/391 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz.
Der Wortlaut von Art. 1e Abs. 2 des Statuts erfasst seinerseits durch die Bezugnahme auf die Mindestvorschriften, die aufgrund von nach den Verträgen in den Bereichen der Gesundheit und der Sicherheit erlassenen Maßnahmen über die Arbeitsbedingungen gelten, Vorschriften wie die in der Richtlinie 89/391 enthaltenen, da mit dieser Richtlinie, wie aus ihrem Art. 1 Abs. 1 hervorgeht, Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz durchgeführt werden sollen.
Diese den Unionsorganen als Arbeitgeber obliegende Pflicht, für die Sicherheit und die Gesundheit ihres Personals zu sorgen, kann jedoch, so umfassend sie auch sein mag, nicht so weit gehen, dass das betreffende Organ eine absolute Erfolgspflicht trifft.
(vgl. Rn. 104 bis 106, 109 und 110)
Verweisung auf:
Gerichtshof: Urteil Überprüfung Kommission/Strack, C-579/12 RX-II, EU:C:2013:570, Rn. 39 und 43
Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil Missir Mamachi di Lusignano/Kommission, F-50/09, EU:F:2011:55, Rn. 130, Rechtsmittel anhängig beim Gericht der Europäischen Union, Rechtssache T-401/11 P