URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

23. Januar 2014 ( *1 )

„Rechtsmittel — Gemeinschaftsmarke — Wortmarke WESTERN GOLD — Widerspruch des Inhabers der nationalen, internationalen und Gemeinschaftswortmarken WeserGold, Wesergold und WESERGOLD“

In der Rechtssache C‑558/12 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 4. Dezember 2012,

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), vertreten durch A. Pohlmann als Bevollmächtigten,

Rechtsmittelführer,

andere Parteien des Verfahrens:

riha WeserGold Getränke GmbH & Co. KG, vormals Wesergold Getränkeindustrie GmbH & Co. KG, mit Sitz in Rinteln (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt T. Melchert,

Klägerin im ersten Rechtszug,

Lidl Stiftung & Co. KG mit Sitz in Neckarsulm (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte M. Wolter und A. K. Marx,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Borg Barthet (Berichterstatter), des Richters E. Levits und der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 21. September 2012, Wesergold Getränkeindustrie/HABM – Lidl Stiftung (WESTERN GOLD) (T‑278/10, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem es die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des HABM vom 24. März 2010 (Sache R 770/2009‑1) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen der Wesergold Getränkeindustrie GmbH & Co. KG und der Lidl Stiftung & Co. KG (im Folgenden: streitige Entscheidung) aufgehoben hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Art. 8 („Relative Eintragungshindernisse“) der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. L 78, S. 1) sieht in Abs. 1 vor:

„Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen,

b)

wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

3

Am 23. August 2006 meldete die Lidl Stiftung & Co. KG (im Folgenden: Lidl Stiftung) beim HABM nach der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1), die später durch die Verordnung Nr. 207/2009 ersetzt wurde, eine Gemeinschaftsmarke an.

4

Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um das Wortzeichen WESTERN GOLD.

5

Die Marke wurde für die Waren „Spirituosen, insbesondere Whisky“ der Klasse 33 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet.

6

Die Gemeinschaftsmarkenanmeldung wurde im Blatt für Gemeinschaftsmarken Nr. 3/2007 vom 22. Januar 2007 veröffentlicht.

7

Am 14. März 2007 erhob die Wesergold Getränkeindustrie GmbH & Co. KG (im Folgenden: Wesergold Getränkeindustrie), deren Rechte und Pflichten auf die riha WeserGold Getränke GmbH & Co. KG (im Folgenden: riha WeserGold Getränke) übergegangen sind, gemäß Art. 42 der Verordnung Nr. 40/94, dessen Bestimmungen denen des Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009 entsprechen, Widerspruch gegen die Anmeldung der fraglichen Marke für die in Rn. 5 des vorliegenden Urteils genannten Waren.

8

Dieser Widerspruch war auf mehrere ältere Marken gestützt.

9

Als erste ältere Marke wurde die Gemeinschaftswortmarke „WeserGold“ geltend gemacht, die für folgende Waren der Klassen 29, 31 und 32 am 3. Januar 2003 angemeldet und am 2. März 2005 unter der Nr. 2994739 eingetragen worden war:

Klasse 29: „Konservierte, getrocknete und gekochte Früchte und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Kompotte; Milchprodukte, nämlich Joghurt-Getränke, bestehend vor allem aus Joghurt sowie aus Fruchtsäften oder Gemüsesäften“,

Klasse 31: „Frische Früchte“ und

Klasse 32: „Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer; andere nichtalkoholische Getränke, nämlich Limonaden, Brausen und Cola-Getränke; Fruchtsäfte, Fruchtgetränke, Gemüsesäfte und Gemüsegetränke; Sirupe und andere Präparate zur Herstellung von Getränken“.

10

Als zweite ältere Marke wurde die deutsche Wortmarke „WeserGold“ geltend gemacht, die für folgende Waren der Klassen 29, 31 und 32 am 26. November 2002 angemeldet und am 27. Februar 2003 unter der Nr. 30257995 eingetragen worden war:

Klasse 29: „Konservierte, getrocknete und gekochte Früchte und Gemüse; Gallerten (Gelees), Konfitüren, Fruchtsoßen; Milchprodukte, nämlich Joghurtgetränke, bestehend vor allem aus Joghurt sowie aus Fruchtsäften oder Gemüsesäften“,

Klasse 31: „Frische Früchte“ und

Klasse 32: „Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer; andere nichtalkoholische Getränke, nämlich Limonaden, Brausen und Colagetränke; Fruchtsäfte, Fruchtgetränke, Gemüsesäfte und Gemüsegetränke; Sirupe und andere Präparate zur Herstellung von Getränken“.

11

Als dritte ältere Marke wurde die am 13. März 2003 mit Wirkung in der Tschechischen Republik, Dänemark, Spanien, Frankreich, Italien, Ungarn, Österreich, Polen, Portugal, Slowenien, Schweden, dem Vereinigten Königreich und den Benelux-Ländern für die in Rn. 10 des vorliegenden Urteils aufgezählten Waren der Klassen 29, 31 und 32 angemeldete internationale Wortmarke Nr. 801149 „Wesergold“ geltend gemacht.

12

Als vierte ältere Marke wurde die deutsche Wortmarke „WESERGOLD“ geltend gemacht, die für folgende Waren der Klasse 32 am 12. Juni 1970 angemeldet, am 16. Februar 1973 unter der Nr. 902472 eingetragen und am 13. Juni 2000 verlängert worden war: „Süßmoste, Limonaden, Mineralwässer, Gemüsesäfte als Getränk, Obstsäfte“.

13

Als fünfte ältere Marke wurde die polnische Wortmarke „WESERGOLD“ geltend gemacht, die für folgende Waren der Klasse 32 am 26. Juni 1996 angemeldet und am 11. Mai 1999 unter der Nr. 161413 eingetragen worden war: „Mineralwässer und Quellenwässer; Tischwässer, alkoholfreie Getränke; Fruchtsäfte, Fruchtnektare, Fruchtsirupe, Gemüsesäfte, Gemüsenektare, Erfrischungsgetränke, Getränke aus Fruchtsäften, Limonade, Schaumgetränke, Mineralgetränke, Eistees, aromatisierte Mineralwässer, Mineralwässer mit Zusatz von Fruchtsäften – alle genannten Getränke auch als diätetische Präparate für nichtmedizinische Zwecke“.

14

Wesergold Getränkeindustrie stützte ihren Widerspruch auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94, dessen Bestimmungen denen von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 entsprechen.

15

Am 11. Juni 2009 gab die Widerspruchsabteilung des HABM (im Folgenden: Widerspruchsabteilung) diesem Widerspruch statt und wies die fragliche Gemeinschaftsmarkenanmeldung zurück. Aus Gründen der Verfahrensökonomie beschränkte sie ihre Prüfung des Widerspruchs auf die ältere Gemeinschaftswortmarke, für die keine ernsthafte Benutzung nachgewiesen werden musste.

16

Am 13. Juli 2009 legte die Lidl Stiftung gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung nach den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 beim HABM Beschwerde ein.

17

Mit der streitigen Entscheidung gab die Erste Beschwerdekammer des HABM (im Folgenden: Beschwerdekammer) dieser Beschwerde statt und hob die Entscheidung der Widerspruchsabteilung auf. Die Beschwerdekammer befand, dass das relevante Publikum aus dem allgemeinen Publikum der Europäischen Union bestehe. Zwischen den von der Anmeldemarke erfassten Waren in Klasse 33, nämlich „Spirituosen, insbesondere Whisky“, und den von den älteren Marken erfassten Waren in den Klassen 29 und 31 bestehe keine Ähnlichkeit. Die von der Anmeldemarke erfassten Waren in Klasse 33 und die von den älteren Marken erfassten Waren in Klasse 32 seien zu einem geringen Grad ähnlich. Die einander gegenüberstehenden Zeichen seien bildlich und klanglich zu einem mittleren Grad ähnlich, begrifflich aber unähnlich. Hinsichtlich der Kennzeichnungskraft der älteren Marken war die Beschwerdekammer im Wesentlichen der Ansicht, dass sie aufgrund des Vorhandenseins des Wortes „Gold“, das eine geringe Kennzeichnungskraft besitze, leicht unter dem Durchschnitt liege. Die Abwägung aller Umstände des Einzelfalls führe schließlich im Rahmen der Beurteilung der Verwechslungsgefahr dazu, dass zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen keine Verwechslungsgefahr bestehe.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

18

Wesergold Getränkeindustrie erhob mit Klageschrift, die am 21. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichts einging, Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung.

19

Sie stützte ihre Klage auf vier Klagegründe, mit denen sie einen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, Art. 64, Art. 75 Satz 2 und, hilfsweise, Art. 75 Satz 1 der Verordnung Nr. 207/2009 rügte.

20

Das Gericht hat nur den ersten dieser Klagegründe geprüft.

21

In den Rn. 24 und 25 des angefochtenen Urteils hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass in den maßgeblichen Verkehrskreisen der Durchschnittsverbraucher der Union zu sehen sei.

22

Zum Vergleich der betreffenden Waren hat das Gericht in Rn. 41 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die von der Anmeldemarke erfassten Spirituosen und die von den älteren Marken erfassten alkoholfreien Getränke nur zu einem geringen Grad ähnlich seien.

23

Zum Vergleich der einander gegenüberstehenden Zeichen hat das Gericht in den Rn. 47 und 50 des angefochtenen Urteils befunden, dass diese Zeichen in bildlicher und klanglicher Hinsicht zu einem mittleren Grad ähnlich seien, und in Rn. 56 hat es festgestellt, dass die Zeichen in begrifflicher Hinsicht unterschiedlich seien.

24

In Rn. 58 des Urteils ist es zu dem Ergebnis gelangt, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen insgesamt – trotz ihrer bildlichen und klanglichen Ähnlichkeiten – unähnlich seien.

25

Das Gericht hat ferner die von der Beschwerdekammer vorgenommene Beurteilung der Kennzeichnungskraft der älteren Marken geprüft, die von Wesergold Getränkeindustrie gerügt worden war.

26

Hinsichtlich der durch Benutzung der älteren Marken erhöhten Kennzeichnungskraft hat sich das Gericht in den Rn. 65 bis 68 des angefochtenen Urteils mit den von Wesergold Getränkeindustrie vor der Widerspruchsabteilung und vor der Beschwerdekammer eingereichten Schriftsätzen befasst. Es hat in Rn. 70 dieses Urteils festgestellt, dass sich Wesergold Getränkeindustrie in ihrem Verteidigungsvorbringen vor der Beschwerdekammer zu der durch Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marken nicht ausdrücklich geäußert, sondern lediglich auf ihre bei der Widerspruchsabteilung eingereichten Schriftsätze verwiesen habe, die allerdings die mit Beweisen untermauerte Behauptung enthalten hätten, dass die älteren Marken eine durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft besäßen.

27

In den Rn. 71 und 72 des angefochtenen Urteils hat das Gericht, gestützt auf Art. 64 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009, im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdekammer durch die Wirkung der bei ihr anhängig gemachten Beschwerde damit betraut werde, eine vollständige neue Prüfung der Begründetheit des Widerspruchs sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht vorzunehmen, und dass sie somit verpflichtet gewesen sei, das gesamte Vorbringen von Wesergold Getränkeindustrie im Widerspruchsverfahren zu prüfen. Da diese im Verfahren vor der Widerspruchsabteilung eine durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken geltend gemacht habe, habe die Beschwerdekammer nicht davon ausgehen können, dass sich das Unternehmen nicht auf eine solche erhöhte Kennzeichnungskraft berufen habe.

28

In Rn. 73 dieses Urteils ist das Gericht daher zu dem Schluss gelangt, dass die Beschwerdekammer Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 fehlerhaft angewandt habe.

29

In den Rn. 82 und 83 des Urteils hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, da die Beschwerdekammer die von Wesergold Getränkeindustrie vorgebrachten Argumente und Beweise in Bezug auf die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken nicht geprüft habe, habe sie es versäumt, einen möglicherweise relevanten Umstand im Rahmen der umfassenden Beurteilung des Vorliegens von Verwechslungsgefahr zwischen der angemeldeten Marke und den älteren Marken zu prüfen; sie habe damit wesentliche Formvorschriften verletzt mit der Folge, dass die streitige Entscheidung aufzuheben sei.

30

Das Gericht hat deshalb dem ersten Klagegrund von Wesergold Getränkeindustrie stattgegeben und die streitige Entscheidung aufgehoben, ohne auf ihre übrigen Klagegründe einzugehen.

Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

31

Das HABM beantragt mit seinem Rechtsmittel,

das angefochtene Urteil aufzuheben und

riha WeserGold Getränke die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

32

riha WeserGold Getränke beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

33

Die Lidl Stiftung beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und riha WeserGold Getränke die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug und des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

34

Das HABM stützt sein Rechtsmittel auf drei Gründe, mit denen es einen Verstoß gegen erstens Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, zweitens Art. 76 Abs. 1 dieser Verordnung in Verbindung mit ihrem Art. 64 Abs. 1 und drittens die ständige Rechtsprechung rügt, wonach ein Rechtsfehler nicht zur Aufhebung einer Entscheidung führen könne, wenn er auf sie offensichtlich keine Auswirkungen gehabt habe.

Vorbringen der Parteien

35

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft das HABM, unterstützt von der Lidl Stiftung, dem Gericht vor, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 fehlerhaft ausgelegt zu haben, indem es entschieden habe, dass die Beschwerdekammer die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken hätte prüfen müssen, obwohl es festgestellt habe, dass die in Rede stehenden Marken insgesamt unähnlich seien. Die Ähnlichkeit der Zeichen sei eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b. Wenn die einander gegenüberstehenden Zeichen insgesamt unähnlich seien, erübrige sich daher die Prüfung einer möglicherweise gesteigerten Kennzeichnungskraft aufgrund intensiver Benutzung der Widerspruchsmarke. Wie sich u. a. aus dem Urteil vom 12. Oktober 2004, Vedial/HABM (C-106/03 P, Slg. 2004, I-9573, Rn. 51), ergebe, entspreche diese Auffassung im Übrigen einer ständigen Rechtsprechung.

36

Die Lidl Stiftung bringt darüber hinaus, gestützt auf den Beschluss vom 14. März 2011, Ravensburger/HABM (C‑370/10 P, Rn. 50), vor, dass bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr zunächst jedes Kriterium für sich und unabhängig vom Vorliegen oder vom Intensitätsgrad der übrigen Voraussetzungen zu ermitteln sei und dass die fehlende Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken nicht durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke kompensiert werden könne.

37

Das HABM und die Lidl Stiftung sind deshalb der Auffassung, das Gericht habe die streitige Entscheidung zu Unrecht mit der Begründung aufgehoben, dass die Beschwerdekammer nicht die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken geprüft habe, da eine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 fehle.

38

riha WeserGold Getränke macht geltend, der erste Rechtsmittelgrund sei nicht begründet, da die Beurteilung des Gerichts in Bezug auf die fehlende Ähnlichkeit der fraglichen Marken ein Zwischenergebnis gewesen sei, das noch unter dem Gesichtspunkt der Kennzeichnungskraft der älteren Marken hätte überprüft werden müssen. Die begriffliche Ähnlichkeit der Marken lasse sich nicht unabhängig von der Frage ihrer Kennzeichnungskraft prüfen. Die Vorstellung, die sich der Verkehr von einer Marke bilde, unterscheide sich nämlich in Abhängigkeit davon, ob bestimmte Bestandteile der Marke mehr aufgrund ihres Begriffsinhalts oder mehr wegen ihrer durch Benutzung erlangten Bekanntheit als Marke im Verkehr präsent seien.

39

Die vom HABM vertretene Auffassung werde auch nicht durch eine ständige Rechtsprechung gestützt.

Würdigung durch den Gerichtshof

40

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft das HABM dem Gericht im Wesentlichen vor, die streitige Entscheidung mit der Begründung aufgehoben zu haben, dass die Beschwerdekammer nicht die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken geprüft habe, obwohl es zuvor festgestellt habe, dass die einander gegenüberstehenden Marken unähnlich seien.

41

Nach ständiger Rechtsprechung setzt bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 das Bestehen von Verwechslungsgefahr sowohl eine Identität oder Ähnlichkeit der Anmeldemarke mit der älteren Marke als auch eine Identität oder Ähnlichkeit der von der Anmeldemarke erfassten Waren oder Dienstleistungen mit den Waren oder Dienstleistungen voraus, für die die ältere Marke eingetragen ist, wobei es sich um kumulative Voraussetzungen handelt (Urteile Vedial/HABM, Rn. 51, und vom 13. September 2007, Il Ponte Finanziaria/HABM, C-234/06 P, Slg. 2007, I-7333, Rn. 48).

42

Entgegen dem Vorbringen von riha WeserGold Getränke handelt es sich dabei um eine gefestigte Rechtsprechung des Gerichtshofs. Er hat nämlich wiederholt darauf hingewiesen, dass bei fehlender Ähnlichkeit der älteren Marke und der angemeldeten Marke die erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke sowie die Identität oder die Ähnlichkeit der betroffenen Waren oder Dienstleistungen nicht ausreichen, um eine Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Marken anzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. September 2010, Calvin Klein Trademark Trust/HABM, C-254/09 P, Slg. 2010, I-7989, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Außerdem hat der Gerichtshof im Beschluss vom 4. März 2010, Kaul/HABM (C‑193/09 P), den auf einen Rechtsfehler des Gerichts bei der Feststellung, dass ein auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 beruhender Widerspruch in bestimmten Fällen aufgrund einer einfachen Prüfung der Ähnlichkeit der fraglichen Marken und somit insbesondere ohne Prüfung der eventuell erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marke zurückgewiesen werden könne, gestützten Rechtsmittelgrund als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. In Rn. 45 dieses Beschlusses hat der Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Gericht kein Rechtsfehler unterlaufen war, als es feststellte, dass die Beschwerdekammer des HABM, da sie zu dem Ergebnis gelangt war, dass die fraglichen Marken von den maßgeblichen Verkehrskreisen in keiner Weise als ähnlich angesehen werden konnten, daraus den Schluss ziehen durfte, dass eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen sei, ohne dass es erforderlich gewesen wäre, zuvor im Rahmen einer umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr eine eventuell erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke zu prüfen.

44

Die Ähnlichkeit der in Rede stehenden Marken ist folglich eine notwendige Voraussetzung für das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009. Daher führt die fehlende Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken zur Unanwendbarkeit von Art. 8.

45

Die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft einer Marke ist somit ein Gesichtspunkt, der bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen ist, ob die Ähnlichkeit zwischen den Zeichen oder zwischen den Waren und Dienstleistungen ausreicht, um eine Verwechslungsgefahr hervorzurufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 1998, Canon, C-39/97, Slg. 1998, I-5507, Rn. 24).

46

Im vorliegenden Fall liegt den Erwägungen des Gerichts aber eine unzutreffende Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde.

47

Obwohl das Gericht nämlich in Rn. 58 des angefochtenen Urteils festgestellt hatte, dass die einander gegenüberstehenden Zeichen trotz ihrer bildlichen und klanglichen Ähnlichkeiten unähnlich seien, wollte es in Bezug auf die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung die rechtlichen Konsequenzen aus der fehlenden Prüfung der Kennzeichnungskraft der älteren Marken durch die Beschwerdekammer ziehen. Daher hat es in den Rn. 70 bis 72 dieses Urteils ausgeführt, dass die Beschwerdekammer verpflichtet gewesen wäre, die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken gemäß Art. 64 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 zu prüfen, was sie versäumt habe. Dieser Fehler habe, so das Gericht in Rn. 82 seines Urteils, zur Folge gehabt, dass die Beschwerdekammer es versäumt habe, einen möglicherweise relevanten Umstand im Rahmen der umfassenden Beurteilung des Vorliegens von Verwechslungsgefahr zu prüfen. In Rn. 83 fügt das Gericht hinzu, ein solcher Fehler stelle einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften dar, so dass die streitige Entscheidung aufzuheben sei.

48

Aufgrund dessen hat das Gericht mit der Entscheidung, dass das Fehlen einer Prüfung der durch Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marken seitens der Beschwerdekammer die Unwirksamkeit der streitigen Entscheidung zur Folge habe, von der Beschwerdekammer die Prüfung eines Gesichtspunkts verlangt, der für die Beurteilung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr zwischen den einander gegenüberstehenden Marken im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht relevant war. Da es nämlich zuvor festgestellt hatte, dass die fraglichen Marken insgesamt unähnlich seien, war jede Verwechslungsgefahr ausgeschlossen, und das eventuelle Vorliegen einer erhöhten Kennzeichnungskraft durch die Benutzung der älteren Marken konnte die fehlende Ähnlichkeit der fraglichen Marken nicht kompensieren.

49

Das HABM macht unter diesen Umständen zu Recht geltend, dass das angefochtene Urteil mit einem Rechtsfehler bei der Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 behaftet sei.

50

Nach alledem ist, ohne dass die beiden anderen Rechtsmittelgründe zu prüfen sind, das angefochtene Urteil im Hinblick darauf aufzuheben, dass das Gericht eine Verpflichtung der Beschwerdekammer bejaht hat, die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken zu prüfen, und die streitige Entscheidung aus diesem Grund aufgehoben hat, obwohl es zuvor festgestellt hatte, dass die einander gegenüberstehenden Marken unähnlich seien.

Zum Antrag auf Auswechslung der Begründung

Vorbringen der Parteien

51

Ohne ausdrücklich eine Auswechslung der Begründung des angefochtenen Urteils zu beantragen und unter Hinweis darauf, dass sie durch das Urteil nicht beschwert werde, rügt riha WeserGold Getränke bestimmte Aspekte dieses Urteils.

52

Erstens wirft riha WeserGold Getränke dem Gericht in Bezug auf die Ähnlichkeit der Waren vor, es habe in Rn. 35 des angefochtenen Urteils ergänzendes Beweismaterial zurückgewiesen, das sie ihm vorgelegt habe, um nachzuweisen, dass viele Spirituosenhersteller auch alkoholfreie Getränke und viele Hersteller von Saft auch alkoholische Getränke herstellten. Das Gericht habe ferner außer Acht gelassen, dass Mischgetränke nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 110/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 zur Begriffsbestimmung, Bezeichnung, Aufmachung und Etikettierung von Spirituosen sowie zum Schutz geografischer Angaben für Spirituosen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 1576/89 des Rates (ABl. L 39, S. 16) als Spirituosen angesehen würden, so dass diese Getränke den von den älteren Marken erfassten alkoholfreien Getränken hätten gegenübergestellt werden müssen.

53

Zweitens rügt riha WeserGold Getränke hinsichtlich der begrifflichen Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken, das Gericht habe die Schlussfolgerung, dass die begrifflichen Unterschiede zwischen diesen Marken ihre klanglichen und bildlichen Ähnlichkeiten neutralisierten, nicht hinreichend begründet.

54

Drittens wirft riha WeserGold Getränke dem Gericht im Wesentlichen vor, nur eine der älteren Marken geprüft und von einer Beurteilung der anderen von ihr zur Stützung ihres Widerspruchs angeführten Marken abgesehen zu haben.

Würdigung durch den Gerichtshof

55

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die Zulässigkeit eines Antrags auf Auswechslung der Begründung insofern ein Rechtsschutzinteresse voraus, als er geeignet sein muss, der Partei, die ihn gestellt hat, im Ergebnis einen Vorteil zu verschaffen. Dies kann der Fall sein, wenn der Antrag auf Auswechslung der Begründung ein Verteidigungsmittel gegen ein vom Kläger geltend gemachtes Angriffsmittel darstellt (Urteil vom 11. Juli 2013, Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Zum ersten Antrag, der sich auf die Begründung zur Ähnlichkeit der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren bezieht, ist festzustellen, dass er kein Verteidigungsmittel gegen das vom HABM geltend gemachte Angriffsmittel darstellt, da dieses sich auf die vom Gericht vorgenommene Beurteilung der Verpflichtung der Beschwerdekammer bezieht, die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marken zu prüfen. Ein solcher Antrag vermag daher die Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht in Frage zu stellen. Folglich fehlt riha WeserGold Getränke ein Interesse daran, ihn zu stellen, so dass er unzulässig ist.

57

Der zweite Antrag, der sich auf die Begründung zur begrifflichen Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Marken bezieht, stellt ebenfalls kein Verteidigungsmittel gegen das vom HABM geltend gemachte Angriffsmittel dar, da mit diesem die vom Gericht vorgenommene Beurteilung der Verpflichtung der Beschwerdekammer zur Prüfung der durch Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marken gerügt werden soll. Auch ein solcher Antrag vermag daher die Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht in Frage zu stellen. Folglich fehlt riha WeserGold Getränke ein Interesse daran, ihn zu stellen, so dass er unzulässig ist.

58

Der dritte Antrag ist – unterstellt, das Gericht hätte einen Rechtsfehler begangen, indem es nur eine der älteren Marken geprüft hat, die im Übrigen von riha WeserGold Getränke nicht erwähnt wird – nicht geeignet, die Aufhebung des angefochtenen Urteils zu neutralisieren. Der vom Gericht begangene Rechtsfehler beträfe nämlich jedenfalls die nach Ansicht von riha WeserGold Getränke vom Gericht zu beurteilende ältere Marke. Ein solcher Antrag auf Auswechslung der Begründung kann daher weder ein Verteidigungsmittel gegen die vom HABM geltend gemachten Angriffsmittel darstellen noch einen Vorteil verschaffen, der ein Rechtsschutzinteresse begründen würde. Er ist somit unzulässig.

59

Folglich ist der Antrag von riha WeserGold Getränke auf Auswechslung der Begründung als unzulässig zurückzuweisen.

Zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht

60

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

61

Da das Gericht lediglich den ersten der vier von riha WeserGold Getränke vorgetragenen Klagegründe geprüft hat, hält der Gerichtshof den vorliegenden Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif. Deshalb ist die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.

Kosten

62

Da die Sache an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die durch das vorliegende Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten vorzubehalten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 21. September 2012, Wesergold Getränkeindustrie/HABM – Lidl Stiftung (WESTERN GOLD) (T‑278/10), wird aufgehoben.

 

2.

Die Sache wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

 

3.

Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.