Rechtssache C‑351/12

OSA – Ochranný svaz autorský pro práva k dílům hudebním o.s.

gegen

Léčebné lázně Mariánské Lázně a.s.

(Vorabentscheidungsersuchen des Krajský soud v Plzni)

„Richtlinie 2001/29/EG — Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft — Begriff ‚öffentliche Wiedergabe‘ — Wiedergabe von Werken in den Zimmern einer Kureinrichtung — Unmittelbare Wirkung der Bestimmungen der Richtlinie — Art. 56 AEUV und 102 AEUV — Richtlinie 2006/123/EG — Freier Dienstleistungsverkehr — Wettbewerb — Ausschließliches Recht zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 27. Februar 2014

  1. Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29 – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Öffentliche Wiedergabe – Begriff – Absichtliche Verbreitung eines Signals durch eine Kureinrichtung in den Zimmern der Patienten über Fernseh- oder Radioempfänger – Einbeziehung

    (Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

  2. Rechtsangleichung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29 – Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft – Art. 3 Abs. 1 – Möglichkeit, sich gegenüber einem Einzelnen auf diese Bestimmung zu berufen – Fehlen – Pflichten der nationalen Gerichte – Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung – Grenzen – Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze – Auslegung des nationalen Rechts contra legem

    (Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

  3. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Offensichtlich unerhebliche Fragen und hypothetische Fragen, die in einem eine zweckdienliche Antwort ausschließenden Zusammenhang gestellt werden – Fragen, die in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen

    (Art. 267 AEUV)

  4. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Zuständigkeit des nationalen Gerichts – Erforderlichkeit einer Vorlage und Erheblichkeit der gestellten Fragen – Beurteilung durch das nationale Gericht

    (Art. 267 AEUV)

  5. Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123 – Zusätzliche Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit – Geltungsbereich – Einem Nutzer geschützter Werke von einer Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten erbrachte Dienstleistung – Einbeziehung – Unanwendbarkeit von Art. 16 dieser Richtlinie

    (Richtlinie 2006/123 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 16, 17 Nr. 11)

  6. Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Regelung eines Mitgliedstaats, wonach die Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken in seinem Hoheitsgebiet einer einzigen Verwertungsgesellschaft vorbehalten ist – Rechtfertigung durch Gründe des Allgemeininteresses – Schutz von Rechten des geistigen Eigentums – Zulässigkeit

    (Art. 56 AEUV)

  7. Wettbewerb – Öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewährt haben – Begründung einer beherrschenden Stellung – Keine automatische Unvereinbarkeit mit Art. 102 AEUV

    (Art. 102 AEUV und 106 Abs. 1 AEUV)

  8. Wettbewerb – Beherrschende Stellung – Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die ein gesetzliches Monopol innehat – Anzeichen für einen Missbrauch – Erzwingung von Tarifen, die erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewandten – Anwendung überhöhter Preise ohne vernünftigen Zusammenhang mit der erbrachten Leistung – Prüfung durch den nationalen Richter

    (Art. 102 AEUV und 106 Abs. 1 AEUV)

  1.  Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die das Recht der Urheber ausschließt, es zu erlauben oder zu verbieten, dass ihre Werke von einer gewerblich tätigen Kureinrichtung durch die absichtliche Verbreitung eines Signals über Fernseh- oder Radioempfänger in den Zimmern der Patienten dieser Einrichtung wiedergegeben werden. Art. 5 Abs. 2 Buchst. e, Abs. 3 Buchst. b und Abs. 5 dieser Richtlinie führt zu keiner anderen Auslegung.

    Zunächst ist nämlich der Begriff „Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 weit zu verstehen, und zwar dahin, dass er jede Übertragung geschützter Werke unabhängig vom eingesetzten technischen Mittel oder Verfahren umfasst.

    Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Öffentlichkeit“ im Sinne dieser Bestimmung eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten umfasst und zudem recht viele Personen impliziert. Was speziell das letztgenannte Kriterium betrifft, ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke an die potenziellen Adressaten ergibt. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Zahl der Personen, die neben- und nacheinander Zugang zum selben Werk haben. Eine Kureinrichtung wird sowohl gleichzeitig als auch nacheinander eine unbestimmte, aber recht große Zahl von Personen beherbergen, die in ihren Zimmern Sendungen empfangen können.

    Schließlich muss das durch Rundfunk gesendete Werk, um unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 fallen zu können, für ein neues Publikum übertragen werden, d. h. ein Publikum, das von den Urhebern der geschützten Werke nicht berücksichtigt wurde, als sie deren Nutzung durch Wiedergabe an das ursprüngliche Publikum zugestimmt haben. Wie die Gäste eines Hotels stellen auch die Patienten einer Kureinrichtung ein solches neues Publikum dar. Die Kureinrichtung wird nämlich als Einrichtung tätig, die in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens ihren Patienten Zugang zu dem geschützten Werk verschafft. Ohne dieses Tätigwerden könnten die Patienten grundsätzlich nicht in den Genuss des ausgestrahlten Werks kommen.

    (vgl. Rn. 25, 27- 29, 31-32, 41, Tenor 1)

  2.  Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass sich eine Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen nicht auf diese Bestimmung berufen kann, um die Anwendung einer gegen sie verstoßenden Regelung eines Mitgliedstaats auszuschließen. Das Gericht, bei dem ein solcher Rechtsstreit anhängig ist, hat diese Regelung jedoch so weit wie möglich anhand von Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung auszulegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von ihr verfolgten Ziel vereinbar ist.

    Allerdings findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.

    (vgl. Rn. 45, 48, Tenor 2)

  3.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 50)

  4.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 56)

  5.  Art. 17 Nr. 11 der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er die Dienstleistung, die einem Nutzer geschützter Werke von einer Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten erbracht wird, vom Anwendungsbereich des Art. 16 dieser Richtlinie ausschließt.

    So ist Art. 16 der Richtlinie 2006/123, indem er unanwendbar ist, dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einer einzigen Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten vorbehält und dadurch Nutzer dieser Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen.

    (vgl. Rn. 65, 66, Tenor 3)

  6.  Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einer einzigen Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten vorbehält und dadurch Nutzer dieser Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen, und die Erbringung einer solchen Dienstleistung in der Praxis unterbindet, stellt eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Diese Beschränkung kann nur gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten, im Allgemeininteresse liegenden Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

    Insoweit ist der Schutz von Rechten des geistigen Eigentums ein solcher zwingender Grund des Allgemeininteresses. Zudem ist eine Regelung, durch die einer Verwertungsgesellschaft für die Wahrnehmung der Urheberrechte in Bezug auf eine bestimmte Kategorie geschützter Werke ein Monopol im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats eingeräumt wird, als zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums geeignet anzusehen, da sie eine wirksame Wahrnehmung dieser Rechte und eine wirksame Kontrolle ihrer Achtung in diesem Gebiet ermöglichen kann.

    Was die öffentliche Wiedergabe von Werken angeht, gibt es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts erkennbar keine andere Methode, mit der das gleiche Schutzniveau für die Urheberrechte erreicht werden könnte, als diejenige, die auf einem territorial aufgeteilten Schutz und damit auch einer territorial aufgeteilten Kontrolle dieser Rechte beruht und in deren Rahmen sich die fragliche Regelung einfügt. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Regelung, wenn sie Nutzer geschützter Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen, über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels des Schutzes der Urheberrechte erforderlich ist.

    Art. 56 AEUV ist daher dahin auszulegen, dass er einer solchen Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht.

    (vgl. Rn. 69-72, 76, 78, 79, Tenor 3)

  7.  Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung ausschließlicher Rechte im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV ist als solche noch nicht mit Art. 102 AEUV unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen könnte oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht.

    (vgl. Rn. 83)

  8.  Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einer einzigen Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten vorbehält und dadurch Nutzer dieser Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen.

    Es verstößt nämlich nicht bereits gegen Art. 102 AEUV, wenn ein Mitgliedstaat einer Verwertungsgesellschaft für die Wahrnehmung der Urheberrechte in Bezug auf eine bestimmte Kategorie geschützter Werke ein Monopol für sein Hoheitsgebiet einräumt.

    Diese Bestimmung ist jedoch dahin auszulegen, dass es ein Anzeichen für einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt, wenn die erstgenannte Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten für die von ihr erbrachten Dienstleistungen Tarife erzwingt, die nach einem auf einheitlicher Grundlage vorgenommenen Vergleich erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewandten Tarife, oder wenn sie überhöhte Preise ohne vernünftigen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung verlangt. Sollte ein solcher Missbrauch vorliegen und wäre er der auf diese Verwertungsgesellschaft anwendbaren Regelung zuzuschreiben, verstieße diese Regelung gegen die Art. 102 AEUV und 106 Abs. 1 AEUV.

    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob im Ausgangsverfahren gegebenenfalls eine solche Situation vorliegt.

    (vgl. Rn. 84, 89-92, Tenor 3)


Rechtssache C‑351/12

OSA – Ochranný svaz autorský pro práva k dílům hudebním o.s.

gegen

Léčebné lázně Mariánské Lázně a.s.

(Vorabentscheidungsersuchen des Krajský soud v Plzni)

„Richtlinie 2001/29/EG — Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft — Begriff ‚öffentliche Wiedergabe‘ — Wiedergabe von Werken in den Zimmern einer Kureinrichtung — Unmittelbare Wirkung der Bestimmungen der Richtlinie — Art. 56 AEUV und 102 AEUV — Richtlinie 2006/123/EG — Freier Dienstleistungsverkehr — Wettbewerb — Ausschließliches Recht zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 27. Februar 2014

  1. Rechtsangleichung — Urheberrecht und verwandte Schutzrechte — Richtlinie 2001/29 — Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft — Öffentliche Wiedergabe — Begriff — Absichtliche Verbreitung eines Signals durch eine Kureinrichtung in den Zimmern der Patienten über Fernseh- oder Radioempfänger — Einbeziehung

    (Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

  2. Rechtsangleichung — Urheberrecht und verwandte Schutzrechte — Richtlinie 2001/29 — Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft — Art. 3 Abs. 1 — Möglichkeit, sich gegenüber einem Einzelnen auf diese Bestimmung zu berufen — Fehlen — Pflichten der nationalen Gerichte — Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung — Grenzen — Beachtung der allgemeinen Rechtsgrundsätze — Auslegung des nationalen Rechts contra legem

    (Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 1)

  3. Vorabentscheidungsverfahren — Zuständigkeit des Gerichtshofs — Grenzen — Offensichtlich unerhebliche Fragen und hypothetische Fragen, die in einem eine zweckdienliche Antwort ausschließenden Zusammenhang gestellt werden — Fragen, die in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen

    (Art. 267 AEUV)

  4. Vorabentscheidungsverfahren — Zuständigkeit des Gerichtshofs — Grenzen — Zuständigkeit des nationalen Gerichts — Erforderlichkeit einer Vorlage und Erheblichkeit der gestellten Fragen — Beurteilung durch das nationale Gericht

    (Art. 267 AEUV)

  5. Niederlassungsfreiheit — Freier Dienstleistungsverkehr — Dienstleistungen im Binnenmarkt — Richtlinie 2006/123 — Zusätzliche Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit — Geltungsbereich — Einem Nutzer geschützter Werke von einer Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten erbrachte Dienstleistung — Einbeziehung — Unanwendbarkeit von Art. 16 dieser Richtlinie

    (Richtlinie 2006/123 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 16, 17 Nr. 11)

  6. Freier Dienstleistungsverkehr — Beschränkungen — Regelung eines Mitgliedstaats, wonach die Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken in seinem Hoheitsgebiet einer einzigen Verwertungsgesellschaft vorbehalten ist — Rechtfertigung durch Gründe des Allgemeininteresses — Schutz von Rechten des geistigen Eigentums — Zulässigkeit

    (Art. 56 AEUV)

  7. Wettbewerb — Öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewährt haben — Begründung einer beherrschenden Stellung — Keine automatische Unvereinbarkeit mit Art. 102 AEUV

    (Art. 102 AEUV und 106 Abs. 1 AEUV)

  8. Wettbewerb — Beherrschende Stellung — Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die ein gesetzliches Monopol innehat — Anzeichen für einen Missbrauch — Erzwingung von Tarifen, die erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewandten — Anwendung überhöhter Preise ohne vernünftigen Zusammenhang mit der erbrachten Leistung — Prüfung durch den nationalen Richter

    (Art. 102 AEUV und 106 Abs. 1 AEUV)

  1.  Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die das Recht der Urheber ausschließt, es zu erlauben oder zu verbieten, dass ihre Werke von einer gewerblich tätigen Kureinrichtung durch die absichtliche Verbreitung eines Signals über Fernseh- oder Radioempfänger in den Zimmern der Patienten dieser Einrichtung wiedergegeben werden. Art. 5 Abs. 2 Buchst. e, Abs. 3 Buchst. b und Abs. 5 dieser Richtlinie führt zu keiner anderen Auslegung.

    Zunächst ist nämlich der Begriff „Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 weit zu verstehen, und zwar dahin, dass er jede Übertragung geschützter Werke unabhängig vom eingesetzten technischen Mittel oder Verfahren umfasst.

    Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Öffentlichkeit“ im Sinne dieser Bestimmung eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten umfasst und zudem recht viele Personen impliziert. Was speziell das letztgenannte Kriterium betrifft, ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke an die potenziellen Adressaten ergibt. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Zahl der Personen, die neben- und nacheinander Zugang zum selben Werk haben. Eine Kureinrichtung wird sowohl gleichzeitig als auch nacheinander eine unbestimmte, aber recht große Zahl von Personen beherbergen, die in ihren Zimmern Sendungen empfangen können.

    Schließlich muss das durch Rundfunk gesendete Werk, um unter den Begriff „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 fallen zu können, für ein neues Publikum übertragen werden, d. h. ein Publikum, das von den Urhebern der geschützten Werke nicht berücksichtigt wurde, als sie deren Nutzung durch Wiedergabe an das ursprüngliche Publikum zugestimmt haben. Wie die Gäste eines Hotels stellen auch die Patienten einer Kureinrichtung ein solches neues Publikum dar. Die Kureinrichtung wird nämlich als Einrichtung tätig, die in voller Kenntnis der Folgen ihres Verhaltens ihren Patienten Zugang zu dem geschützten Werk verschafft. Ohne dieses Tätigwerden könnten die Patienten grundsätzlich nicht in den Genuss des ausgestrahlten Werks kommen.

    (vgl. Rn. 25, 27- 29, 31-32, 41, Tenor 1)

  2.  Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass sich eine Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen nicht auf diese Bestimmung berufen kann, um die Anwendung einer gegen sie verstoßenden Regelung eines Mitgliedstaats auszuschließen. Das Gericht, bei dem ein solcher Rechtsstreit anhängig ist, hat diese Regelung jedoch so weit wie möglich anhand von Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung auszulegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von ihr verfolgten Ziel vereinbar ist.

    Allerdings findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.

    (vgl. Rn. 45, 48, Tenor 2)

  3.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 50)

  4.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 56)

  5.  Art. 17 Nr. 11 der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er die Dienstleistung, die einem Nutzer geschützter Werke von einer Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten erbracht wird, vom Anwendungsbereich des Art. 16 dieser Richtlinie ausschließt.

    So ist Art. 16 der Richtlinie 2006/123, indem er unanwendbar ist, dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einer einzigen Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten vorbehält und dadurch Nutzer dieser Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen.

    (vgl. Rn. 65, 66, Tenor 3)

  6.  Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einer einzigen Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten vorbehält und dadurch Nutzer dieser Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen, und die Erbringung einer solchen Dienstleistung in der Praxis unterbindet, stellt eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Diese Beschränkung kann nur gerechtfertigt sein, wenn sie zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten, im Allgemeininteresse liegenden Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

    Insoweit ist der Schutz von Rechten des geistigen Eigentums ein solcher zwingender Grund des Allgemeininteresses. Zudem ist eine Regelung, durch die einer Verwertungsgesellschaft für die Wahrnehmung der Urheberrechte in Bezug auf eine bestimmte Kategorie geschützter Werke ein Monopol im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats eingeräumt wird, als zum Schutz der Rechte des geistigen Eigentums geeignet anzusehen, da sie eine wirksame Wahrnehmung dieser Rechte und eine wirksame Kontrolle ihrer Achtung in diesem Gebiet ermöglichen kann.

    Was die öffentliche Wiedergabe von Werken angeht, gibt es beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts erkennbar keine andere Methode, mit der das gleiche Schutzniveau für die Urheberrechte erreicht werden könnte, als diejenige, die auf einem territorial aufgeteilten Schutz und damit auch einer territorial aufgeteilten Kontrolle dieser Rechte beruht und in deren Rahmen sich die fragliche Regelung einfügt. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Regelung, wenn sie Nutzer geschützter Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen, über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels des Schutzes der Urheberrechte erforderlich ist.

    Art. 56 AEUV ist daher dahin auszulegen, dass er einer solchen Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht.

    (vgl. Rn. 69-72, 76, 78, 79, Tenor 3)

  7.  Die bloße Schaffung einer beherrschenden Stellung durch die Gewährung ausschließlicher Rechte im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV ist als solche noch nicht mit Art. 102 AEUV unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm übertragenen ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzen könnte oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht.

    (vgl. Rn. 83)

  8.  Art. 102 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die die kollektive Wahrnehmung der Urheberrechte an bestimmten geschützten Werken im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats einer einzigen Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten vorbehält und dadurch Nutzer dieser Werke daran hindert, die Dienstleistungen einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Verwertungsgesellschaft in Anspruch zu nehmen.

    Es verstößt nämlich nicht bereits gegen Art. 102 AEUV, wenn ein Mitgliedstaat einer Verwertungsgesellschaft für die Wahrnehmung der Urheberrechte in Bezug auf eine bestimmte Kategorie geschützter Werke ein Monopol für sein Hoheitsgebiet einräumt.

    Diese Bestimmung ist jedoch dahin auszulegen, dass es ein Anzeichen für einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellt, wenn die erstgenannte Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten für die von ihr erbrachten Dienstleistungen Tarife erzwingt, die nach einem auf einheitlicher Grundlage vorgenommenen Vergleich erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewandten Tarife, oder wenn sie überhöhte Preise ohne vernünftigen Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung verlangt. Sollte ein solcher Missbrauch vorliegen und wäre er der auf diese Verwertungsgesellschaft anwendbaren Regelung zuzuschreiben, verstieße diese Regelung gegen die Art. 102 AEUV und 106 Abs. 1 AEUV.

    Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob im Ausgangsverfahren gegebenenfalls eine solche Situation vorliegt.

    (vgl. Rn. 84, 89-92, Tenor 3)