URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

24. Oktober 2013 ( *1 )

„Unionsbürgerschaft — Art. 20 AEUV und Art. 21 AEUV — Recht auf Freizügigkeit und auf freien Aufenthalt — Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats — Studium in einem anderen Mitgliedstaat — Ausbildungsförderung — Voraussetzungen — Mindestens zweijährige Ausbildungsdauer — Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses“

In der Rechtssache C‑275/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Hannover (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2012, in dem Verfahren

Samantha Elrick

gegen

Bezirksregierung Köln

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

der dänischen Regierung, vertreten durch V. P. Jørgensen und C. Thorning als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und D. Roussanov als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20 AEUV und 21 AEUV.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Elrick, einer deutschen Staatsangehörigen, und der Bezirksregierung Köln wegen der Weigerung der Letztgenannten, Frau Elrick eine Ausbildungsförderung für eine Ausbildung im Vereinigten Königreich zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

3

In § 1 („Grundsatz“) des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz) in der Fassung des Zweiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 23. Dezember 2007 (22. BAföGÄndG, BGBl. I, S. 3254) (im Folgenden BAföG) heißt es:

„Auf individuelle Ausbildungsförderung besteht für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe dieses Gesetzes, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen.“

4

§ 2 („Ausbildungsstätten)“ BAföG sieht vor:

„(1)   Ausbildungsförderung wird geleistet für den Besuch von

1.

weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Berufsfachschulen, einschließlich der Klassen aller Formen der beruflichen Grundbildung, ab Klasse 10 sowie von Fach- und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, wenn der Auszubildende die Voraussetzungen des Absatzes 1a erfüllt,

2.

Berufsfachschulklassen und Fachschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, sofern sie in einem zumindest zweijährigen Bildungsgang einen berufsqualifizierenden Abschluss vermitteln,

Maßgebend für die Zuordnung sind Art und Inhalt der Ausbildung. Ausbildungsförderung wird geleistet, wenn die Ausbildung an einer öffentlichen Einrichtung – mit Ausnahme nichtstaatlicher Hochschulen – oder einer genehmigten Ersatzschule durchgeführt wird.

(1a)   Für den Besuch der in Absatz 1 Nr. 1 bezeichneten Ausbildungsstätten wird Ausbildungsförderung nur geleistet, wenn der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt und

1.

von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte nicht erreichbar ist,

(5)   Ausbildungsförderung wird nur geleistet, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. …“

5

Gemäß § 4 BAföG wird Ausbildungsförderung vorbehaltlich der §§ 5 und 6 dieses Gesetzes für die Ausbildung in Deutschland geleistet.

6

§ 5 („Ausbildung im Ausland“) BAföG bestimmt:

„(1)   Der ständige Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes ist an dem Ort begründet, der nicht nur vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ohne dass es auf den Willen zur ständigen Niederlassung ankommt; wer sich lediglich zum Zwecke der Ausbildung an einem Ort aufhält, hat dort nicht seinen ständigen Wohnsitz begründet.

(2)   Auszubildenden, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, wird Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte, wenn

3.

eine Ausbildung an einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in der Schweiz aufgenommen oder fortgesetzt wird

(4)   Absatz 2 Nr. 1 und 2 gilt nur für den Besuch von Ausbildungsstätten, der dem Besuch der im Inland gelegenen Gymnasien ab Klasse 11 oder, soweit der Auszubildende die Hochschulzugangsberechtigung nach zwölf Schuljahren erwerben kann, ab Klasse 10, Berufsfachschulklassen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2, Höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen gleichwertig ist; Absatz 2 Nr. 3 gilt nur für den Besuch von Ausbildungsstätten, der dem Besuch der im Inland gelegenen Berufsfachschulklassen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2, höheren Fachschulen, Akademien oder Hochschulen gleichwertig ist. Die Prüfung der Gleichwertigkeit erfolgt von Amts wegen im Rahmen des Bewilligungsverfahrens.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

7

Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass Frau Elrick, eine am 1. Juni 1989 in Deutschland geborene deutsche Staatsangehörige, die ihren ständigen Wohnsitz im Sinne von § 5 Abs. 1 BAföG bei ihren Eltern in Deutschland hat, sich seit dem Jahr 1998 überwiegend im Vereinigten Königreich aufhält.

8

Nach ihrer Schulausbildung an einer Schule in Devon (Vereinigtes Königreich) war sie ab dem 8. September 2008 als Vollzeitschülerin am South Devon College für einen Ausbildungsgang mit dem Abschluss „First Diploma in Travel, Level 2“ eingeschrieben. Für den Besuch dieses einjährigen Ausbildungsgangs war kein vorheriger Abschluss einer anderweitigen Berufsausbildung erforderlich. Frau Elrick hatte während ihrer Schulausbildung und zu der Zeit, in der sie am South Devon College eingeschrieben war, ihren Wohnsitz bei ihren Eltern in Deutschland.

9

Am 5. Juli 2008 stellte Frau Elrick den Antrag, ihr für den Besuch des South Devon College ab September 2008 Ausbildungsförderung zu bewilligen.

10

Mit Bescheid vom 13. August 2008 wurde dieser Antrag von der Bezirksregierung Köln mit der Begründung abgelehnt, dass die von Frau Elrick gewählte Ausbildung, die keinen berufsqualifizierenden Abschluss gemäß den Kriterien des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG vermittele, mit einer einjährigen, der beruflichen Orientierung dienenden Ausbildung an einer deutschen Berufsfachschule vergleichbar sei; eine solche Ausbildung sei im Ausland nicht förderfähig.

11

Am 11. September 2008 erhob Frau Elrick gegen diesen Bescheid Klage mit der Begründung, dass die Versagung der Ausbildungsförderung gemäß dem BAföG gegen die Art. 20 AEUV und 21 AEUV verstoße. Wenn sie eine vergleichbare Ausbildung in Deutschland absolviert hätte, wäre ihr eine Förderung auch dann gewährt worden, wenn diese Ausbildung nur ein Jahr gedauert hätte. Das nationale Recht stelle sie somit vor die Wahl, entweder auf ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Wahl ihrer Ausbildungsstätte zu verzichten oder auf eine Ausbildungsförderung nach dem Recht ihres Herkunftsstaats. Damit werde ihr Recht auf Freizügigkeit aus sachlich nicht gerechtfertigten Gründen unangemessen eingeschränkt.

12

Das Verwaltungsgericht Hannover stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit den Art. 20 AEUV und 21 AEUV. Es führt einleitend aus, dass gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 BAföG bei vollständig im Ausland absolvierten Ausbildungen der Besuch einer Ausbildungsstätte, der dem Besuch einer Berufsfachschulklasse in Deutschland vergleichbar sei, nur dann gefördert werden könne, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG erfüllt seien. Nach dieser Vorschrift müsse die fragliche Ausbildung am Ende eines mindestens zweijährigen Bildungsgangs einen berufsqualifizierenden Abschluss vermitteln. Diese Voraussetzung sei aber bei der Ausbildung von Frau Elrick im Vereinigten Königreich nicht erfüllt gewesen.

13

Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts hätte Frau Elrick, wenn sie einen ihrer Ausbildung im Vereinigten Königreich vergleichbaren Ausbildungsgang in Deutschland absolviert hätte, grundsätzlich einen Anspruch auf Ausbildungsförderung gemäß § 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 und § 4 in Verbindung mit § 2 Abs. 1a Nr. 1 BAföG gehabt.

14

Beim Besuch der dem Wohnsitz ihrer Eltern in Deutschland zunächst gelegenen Ausbildungsstätte für einen solchen Ausbildungsgang hätte sie nämlich für Hin- und Rückfahrt jeweils mehr als eine Stunde aufwenden müssen, was gemäß den Verwaltungsvorschriften zum BAföG vom zeitlichen Aufwand her nicht mehr angemessen gewesen wäre. Bei einer Wohnsitznahme am Ort einer vergleichbaren Ausbildungsstätte in Deutschland hätte Frau Elrick somit dem Grund nach einen Förderanspruch für diesen Ausbildungsgang gehabt.

15

Das vorlegende Gericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung mit dem Unionsrecht. So habe, da die Ausbildung im Vereinigten Königreich im Gegensatz zu einer vergleichbaren Ausbildung in Deutschland nicht nach dem BAföG förderfähig gewesen wäre, Frau Elrick keine andere Wahl gehabt, als entweder auf die Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit oder auf ihren Anspruch auf Ausbildungsförderung zu verzichten.

16

Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Hannover beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen Art. 20 AEUV und Art. 21 AEUV einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, nach der einer deutschen Staatsangehörigen, die ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland hat und eine Ausbildungsstätte in einem Mitgliedsland der Europäischen Union besucht, Ausbildungsförderung nach dem BAföG für den Besuch dieser ausländischen Ausbildungsstätte deshalb verwehrt wird, weil der besuchte Ausbildungsgang im Ausland nur ein Jahr dauert, während sie für eine vergleichbare Ausbildung in Deutschland, die ebenfalls ein Jahr gedauert hätte, Ausbildungsförderung nach dem BAföG hätte erhalten können?

Zur Vorlagefrage

17

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 20 AEUV und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, nach der einer Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats, die dort ihren Wohnsitz hat, eine Ausbildungsförderung für das Studium in einem anderen Mitgliedstaat nur gewährt wird, wenn diese Ausbildung einen berufsqualifizierenden Abschluss vermittelt, der den Abschlüssen entspricht, die im Leistungsstaat in Berufsfachschulen nach einem mindestens zweijährigen Ausbildungsgang vermittelt werden, obwohl der Betroffenen aufgrund ihrer besonderen Lage Ausbildungsförderung gewährt worden wäre, wenn sie sich dazu entschlossen hätte, im Leistungsstaat eine Ausbildung von weniger als zwei Jahren zu absolvieren, die derjenigen entspricht, die sie in einem anderen Mitgliedstaat absolvieren wollte.

18

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Frau Elrick als deutsche Staatsangehörige gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV Unionsbürgerin ist und sich daher, gegebenenfalls auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat, auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte berufen kann (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas, C-192/05, Slg. 2006, I-10451, Randnr. 19, vom 23. Oktober 2007, Morgan und Bucher, C-11/06 und C-12/06, Slg. 2007, I-9161, Randnr. 22, sowie vom 18. Juli 2013, Prinz und Seeberger, C‑523/11 und C‑585/11, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19

Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, ist der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Anwendungsbereich des AEU-Vertrags unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen (Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop, C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 28, vom 21. Februar 2013, N., C‑46/12, Randnr. 27, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 24).

20

In den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen u. a. diejenigen Situationen, die sich auf die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beziehen, insbesondere auch auf das durch Art. 21 AEUV verliehene Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Urteile Morgan und Bucher, Randnr. 23, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 165 Abs. 1 AEUV zwar für die Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig sind, sie diese Zuständigkeit jedoch unter Beachtung des Unionsrechts ausüben müssen, und zwar insbesondere unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrags über das durch Art. 21 Abs. 1 AEUV verliehene Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. Urteile Morgan und Bucher, Randnr. 24, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22

Sodann ist festzustellen, dass eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt (Urteile vom 18. Juli 2006, De Cuyper, C-406/04, Slg. 2006, I-6947, Randnr. 39, Morgan und Bucher, Randnr. 25, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 27). In diesem Zusammenhang macht ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt und dort eine weiterführende Schule besucht, von der durch Art. 20 AEUV garantierten Bewegungsfreiheit Gebrauch (vgl. Urteile D’Hoop, Randnrn. 29 bis 34, und vom 15. März 2005, Bidar, C-209/03, Slg. 2005, I-2119, Randnr. 35).

23

Die vom Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nämlich nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die ihn allein deshalb ungünstiger stellt, weil er von diesen Erleichterungen Gebrauch gemacht hat (vgl. Urteile D’Hoop, Randnr. 31, Morgan und Bucher, Randnr. 26, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 28).

24

Dies gilt angesichts der mit Art. 6 Buchst. e AEUV und Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV verfolgten Ziele, u. a. die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern, besonders im Bereich der Bildung (vgl. Urteile D’Hoop, Randnr. 32, vom 7. Juli 2005, Kommission/Österreich, C-147/03, Slg. 2005, I-5969, Randnr. 44, Morgan und Bucher, Randnr. 27, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 29).

25

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, eine Regelung über eine Ausbildungsförderung für eine Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat vorzusehen. Ein Mitgliedstaat muss aber, wenn er ein Ausbildungsförderungssystem vorsieht, nach dem Auszubildende bei einer Ausbildung in einem anderen Mitgliedstaat eine Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen können, dafür Sorge tragen, dass die Modalitäten der Bewilligung dieser Förderung das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt beschränken (vgl. in diesem Sinne Urteile Morgan und Bucher, Randnr. 28, sowie Prinz und Seeberger, Randnr. 30).

26

Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, wenn sie in Deutschland eine mit ihrer Ausbildung im Vereinigten Königreich vergleichbare Ausbildung absolviert hätte, einen Anspruch auf Ausbildungsförderung gehabt hätte, da es keine Ausbildungsstätte für eine vergleichbare Ausbildung in angemessener Entfernung zum Wohnsitz ihrer Eltern in Deutschland gab.

27

Die deutsche Regierung macht geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung das Recht auf Freizügigkeit und auf freien Aufenthalt nicht beschränke, da sich der deutsche Gesetzgeber legitimerweise dafür entschieden habe, keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung für den von Frau Elrick absolvierten Ausbildungsgang einzuführen, und keine unionsrechtliche Maßnahme ihn dazu verpflichte. Mit dem BAföG werde das Ziel verfolgt, eine qualitative Auswahl der von der Bundesrepublik Deutschland geförderten Ausbildungsarten zu treffen. Eine solche Regelung stelle keine Beschränkung der Grundfreiheiten der Freizügigkeit und des freien Aufenthalts dar.

28

Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die die Gewährung einer Ausbildungsförderung im Ausland an die Voraussetzung der Gleichwertigkeit mit einer in einer Berufsfachschulklasse vermittelten Ausbildung knüpft, die nach einem mindestens zweijährigen Ausbildungsgang mit einem berufsqualifizierenden Abschluss beendet wird, stellt dennoch eine Beschränkung im Sinne von Art. 21 AEUV dar, wenn einem Antragsteller, der sich in der gleichen persönlichen Lage wie Frau Elrick befindet, eine Ausbildungsförderung gewährt würde, um in Deutschland eine Ausbildung zu absolvieren, die dem Ausbildungsgang vergleichbar ist, den Frau Elrick in einem anderen Mitgliedstaat absolviert hat.

29

Eine solche Voraussetzung ist unter Berücksichtigung der Auswirkungen, die die Ausübung der Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, auf das Recht auf Ausbildungsförderung haben kann, geeignet, Unionsbürger wie Frau Elrick von der Ausübung dieser Freiheit abzuhalten (vgl. Urteil Prinz und Seeberger, Randnr. 32). Zudem sind die mit dieser Voraussetzung verbundenen beschränkenden Wirkungen auch nicht zu ungewiss oder zu unbedeutend, um eine Beschränkung der Freizügigkeit und des Rechts auf Aufenthalt darzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Morgan und Bucher, Randnr. 32).

30

Nach ständiger Rechtsprechung lässt sich eine Regelung, die eine durch den Vertrag gewährleistete Grundfreiheit beschränken kann, nach dem Unionsrecht nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Ziel steht (vgl. Urteile De Cuyper, Randnr. 40, Tas-Hagen und Tas, Randnr. 33, und Morgan und Bucher, Randnr. 33). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass eine Maßnahme dann verhältnismäßig ist, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist (Urteile De Cuyper, Randnr. 42, Morgan und Bucher, Randnr. 33, und Prinz und Seeberger, Randnr. 33).

31

Die deutsche Regierung macht geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung durch die vom deutschen Gesetzgeber getroffene Entscheidung gerechtfertigt sei, die Förderung für eine Ausbildung im Ausland nach der Größe des typischerweise zu erwartenden Nutzens der Ausbildung sowie nach dem Verhältnis der Dauer der Ausbildung insgesamt zu der des Auslandsaufenthalts zu gewähren. Das allgemeine Ziel der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung sei somit, eine Förderung für eine Ausbildung im Ausland nur für Ausbildungen zu gewähren, die dem Auszubildenden die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt einräumten. Insoweit diene eine Ausbildung, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nur eine geringe Qualifikation vermittele, der allgemeinen beruflichen Orientierung, könne aber die Chancen eines solchen Auszubildenden auf dem Arbeitsmarkt nur in geringem Maße verbessern. Aus diesen Gründen sei eine solche Ausbildung im Ausland nicht förderfähig.

32

Allerdings geht aus dem Vorbringen der deutschen Regierung nicht klar hervor, wie die Erreichung des Ziels, nur solche Ausbildungen im Ausland zu fördern, die die Chancen der Auszubildenden auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, durch die in Rede stehende Regelung und insbesondere durch die in § 2 Abs. 1 Nr. 2 BAföG vorgesehene Voraussetzung einer Mindestdauer von zwei Jahren ohne Berücksichtigung von Art und Inhalt dieser Ausbildung sichergestellt wird, wenn eine Ausbildung, die dieses Erfordernis nicht erfüllt, aber in Deutschland absolviert wird, unter bestimmten Umständen, wie insbesondere solchen, die für die Lage der Klägerin des Ausgangsverfahrens kennzeichnend sind, gefördert wird. Das Erfordernis der zweijährigen Dauer steht somit offenbar in keinem Zusammenhang mit dem Niveau der gewählten Ausbildung.

33

Somit erscheint die Aufstellung einer Voraussetzung hinsichtlich der Ausbildungsdauer wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht kohärent und kann im Hinblick auf das genannte Ziel nicht als verhältnismäßig angesehen werden (vgl. entsprechend Urteil Morgan und Bucher, Randnr. 36).

34

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 20 AEUV und 21 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, nach der einer Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats, die dort ihren Wohnsitz hat, eine Ausbildungsförderung für das Studium in einem anderen Mitgliedstaat nur gewährt wird, wenn diese Ausbildung einen berufsqualifizierenden Abschluss vermittelt, der den Abschlüssen entspricht, die im Leistungsstaat in Berufsfachschulen nach einem mindestens zweijährigen Ausbildungsgang vermittelt werden, obwohl der Betroffenen aufgrund ihrer besonderen Lage Ausbildungsförderung gewährt worden wäre, wenn sie sich dazu entschlossen hätte, im Leistungsstaat eine Ausbildung von weniger als zwei Jahren zu absolvieren, die derjenigen entspricht, die sie in einem anderen Mitgliedstaat absolvieren wollte.

Kosten

35

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 20 AEUV und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen, nach der einer Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats, die dort ihren Wohnsitz hat, eine Ausbildungsförderung für das Studium in einem anderen Mitgliedstaat nur gewährt wird, wenn diese Ausbildung einen berufsqualifizierenden Abschluss vermittelt, der den Abschlüssen entspricht, die im Leistungsstaat in Berufsfachschulen nach einem mindestens zweijährigen Ausbildungsgang vermittelt werden, obwohl der Betroffenen aufgrund ihrer besonderen Lage Ausbildungsförderung gewährt worden wäre, wenn sie sich dazu entschlossen hätte, im Leistungsstaat eine Ausbildung von weniger als zwei Jahren zu absolvieren, die derjenigen entspricht, die sie in einem anderen Mitgliedstaat absolvieren wollte.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.