SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 27. Februar 2014 ( 1 )

Rechtssache C‑521/12

T. C. Briels u. a.

gegen

Minister van Infrastructuur en Milieu

(Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State [Niederlande])

„Habitatrichtlinie — Projekt, das sich auf einen Lebensraum in einem Natura-2000-Gebiet auswirkt — Maßnahmen zur Schadensbegrenzung — Ausgleichsmaßnahmen“

1. 

Ein Straßenverbreiterungsprojekt in den Niederlanden hat Auswirkungen auf ein besonderes Schutzgebiet im Sinne der Habitatrichtlinie ( 2 ). Durch das Projekt könnten insbesondere die Flächengröße und/oder die Qualität von Pfeifengraswiesen ( 3 ) in dem Gebiet vermindert werden. Um die Schaffung neuer Wiesen an einer anderen Stelle innerhalb des Gebiets sicherzustellen, die die betroffenen Wiesen ersetzen oder ergänzen sollen, wurden bestimmte Maßnahmen angeordnet. Die ministeriellen Verordnungen, mit denen das Projekt vorbehaltlich der Durchführung dieser Maßnahmen genehmigt wurde, sind angefochten worden.

2. 

In diesem Zusammenhang möchte der Raad van State im Wesentlichen wissen, ob im Sinne der Habitatrichtlinie ein Gebiet als solches beeinträchtigt wird, wenn das Projekt die Schaffung einer gleich großen oder größeren Fläche dieses Lebensraumtyps in dem Gebiet umfasst, und, wenn dies zu bejahen ist, ob die Schaffung dieser Fläche als „Ausgleichsmaßnahme“ im Sinne der Richtlinie anzusehen ist.

Unionsrecht

Habitatrichtlinie

3.

Art. 1 der Habitatrichtlinie enthält eine Reihe von Begriffsbestimmungen, insbesondere:

„a)

‚Erhaltung‘: alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume … in einem günstigen Erhaltungszustand im Sinne des Buchstabens e) … zu erhalten oder diesen wiederherzustellen.

e)

‚Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums‘: die Gesamtheit der Einwirkungen, die den betreffenden Lebensraum und die darin vorkommenden charakteristischen Arten beeinflussen und die sich langfristig auf seine natürliche Verbreitung, seine Struktur und seine Funktionen sowie das Überleben seiner charakteristischen Arten in dem in Artikel 2 genannten Gebiet auswirken können.

Der Erhaltungszustand eines natürlichen Lebensraums wird als ‚günstig‘ erachtet, wenn

sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen und

die für seinen langfristigen Fortbestand notwendige Struktur und spezifischen Funktionen bestehen und in absehbarer Zukunft weiter bestehen werden und

der Erhaltungszustand der für ihn charakteristischen Arten … günstig ist.

k)

‚Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung‘: Gebiet, das in der oder den biogeografischen Region(en), zu welchen es gehört, in signifikantem Maße dazu beiträgt, einen natürlichen Lebensraumtyp des Anhangs I oder eine Art des Anhangs II in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder einen solchen wiederherzustellen und auch in signifikantem Maße zur Kohärenz des in Artikel 3 genannten Netzes ‚Natura 2000‘ und/oder in signifikantem Maße zur biologischen Vielfalt in der biogeografischen Region beitragen kann.

l)

‚Besonderes Schutzgebiet‘: ein von den Mitgliedstaaten durch eine Rechts- oder Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung als ein von gemeinschaftlicher Bedeutung ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden.

…“

4.

Art. 2 bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie hat zum Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der Vertrag Geltung hat, beizutragen.

(2)   Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wild lebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen.

(3)   Die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen tragen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung.“

5.

Art. 3 Abs. 1 bestimmt:

„Es wird ein kohärentes europäisches ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung ‚Natura 2000‘ errichtet. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die die natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I sowie die Habitate der Arten des Anhangs II umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten.

…“

6.

Art. 6 der Habitatrichtlinie lautet:

„(1)   Für die besonderen Schutzgebiete legen die Mitgliedstaaten die nötigen Erhaltungsmaßnahmen fest, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.

(3)   Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.

(4)   Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen.

Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“

7.

Schließlich sind in der Liste der Lebensraumtypen des Anhangs I der Habitatrichtlinie unter der Rubrik naturnahes feuchtes Grasland mit hohen Gräsern „6410 Pfeifengraswiesen auf kalkreichem Boden, torfigen und tonig-schluffigen Böden (Molinion caeruleae)“ aufgeführt. Hierbei handelt es sich nicht um einen prioritären Lebensraumtyp.

Auslegungsleitfaden der Kommission

8.

Die Kommission hat einen Auslegungsleitfaden (2007/2012, im Folgenden: Auslegungsleitfaden) zu Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie veröffentlicht, in dessen Ziff. 1.4.1 es u. a. heißt, dass im Sinne von Art. 6 der Habitatrichtlinie eindeutig zwischen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung und Ausgleichsmaßnahmen zu unterscheiden sei. Der Begriff „Ausgleichsmaßnahme“ sei in der Richtlinie zwar nicht definiert, jedoch biete sich ausgehend von Erfahrungswerten folgende Unterscheidung an:

„–

Maßnahmen zur Schadensbegrenzung im weiteren Sinne sind Maßnahmen, die auf eine Minimierung, wenn nicht gar eine Beseitigung der negativen Auswirkungen auf ein Gebiet abzielen, die voraussichtlich infolge der Durchführung eines Plans oder eines Projekts entstehen werden. Diese Maßnahmen sind fester Bestandteil der Spezifikationen eines Plans oder Projekts …;

Ausgleichsmaßnahmen im engeren Sinne sind (einschließlich aller damit verbundenen Maßnahmen zur Schadensbegrenzung) projektunabhängig. Sie sollen die negativen Auswirkungen eines Plans oder Projekts ausgleichen, so dass die globale ökologische Kohärenz des Netzes Natura 2000 erhalten bleibt.“

9.

Im Weiteren wird im Auslegungsleitfaden ausgeführt, dass Ausgleichsmaßnahmen zusätzlich zu den Maßnahmen ergriffen werden sollten, die aufgrund der Vorgaben der Habitatrichtlinie oder entsprechend den durch Rechtsvorschriften vorgegebenen Verpflichtungen gängige Praxis seien, etwa die Durchführung eines Bewirtschaftungsplans, und über die normalen bzw. Standardmaßnahmen hinausgehen sollten, die zum Schutz und für das Management der für Natura 2000 ausgewiesenen Gebiete erforderlich seien. „Demzufolge stellen Ausgleichsmaßnahmen kein Mittel dar, um eine Verwirklichung von Plänen oder Projekten unter Umgehung der Anforderungen von Artikel 6 zu ermöglichen. Ausgleichsmaßnahmen sollten erst dann in Erwägung gezogen werden, wenn eine genaue Feststellung negativer Auswirkungen auf die Integrität eines zum Netz von Natura 2000 gehörenden Gebiets erfolgt ist.“ Erst wenn die Entscheidung getroffen worden sei, mit der Verwirklichung des Plans bzw. Projekts fortzufahren, sei es an der Zeit, Ausgleichsmaßnahmen zu erwägen; sie stellten den „letzten Ausweg“ dar, wenn die anderen in der Richtlinie vorgesehenen Schutzklauseln nicht griffen und beschlossen worden sei, ein Projekt bzw. einen Plan mit negativen Auswirkungen auf ein Gebiet von Natura 2000 dennoch in Erwägung zu ziehen.

10.

Darüber hinaus hat die Kommission auch „Methodik-Leitlinien zur Erfüllung der Vorgaben des Artikels 6 Absätze 3 und 4 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG“ (November 2001) veröffentlicht, in denen sie ihre Auffassung zu dem im Rahmen dieser Vorschriften zu verfolgenden Ansatz darlegt. Sie nennt vier aufeinanderfolgende Phasen: erstens Screening, zweitens Prüfung auf Verträglichkeit (unter Berücksichtigung der Erhaltungsziele und Einbeziehung einer Beurteilung der Maßnahmen zur Schadensbegrenzung), drittens Prüfung von Alternativlösungen und viertens Prüfung im Fall verbleibender nachteiliger Auswirkungen (einschließlich der Feststellung und Beurteilung von Ausgleichsmaßnahmen).

Rechtsprechung des Gerichtshofs

11.

Der Gerichtshof hat sich mehrmals mit Art. 6 der Habitatrichtlinie befasst. In jüngster Zeit hat er seine Rechtsprechung im Urteil Sweetman u. a. ( 4 ) zusammengefasst. Aus Zweckmäßigkeitsgründen seien nachfolgend die einschlägigen Randnummern dieses Urteils wiedergegeben:

„28

Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie sieht ein Prüfverfahren vor, das durch eine vorherige Prüfung gewährleisten soll, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die dieses jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, nur genehmigt werden, soweit sie dieses Gebiet als solches nicht beeinträchtigen (Urteile Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging[ ( 5 ) ], Randnr. 34, und vom 16. Februar 2012, Solvay u. a., C‑182/10, Randnr. 66).

29

Diese Bestimmung sieht demgemäß zwei Phasen vor. Die erste, in Satz 1 dieser Bestimmung umschriebene Phase verlangt von den Mitgliedstaaten eine Prüfung der Verträglichkeit von Plänen oder Projekten mit einem geschützten Gebiet, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Pläne oder Projekte dieses Gebiet erheblich beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, Randnrn. 41 und 43).

30

In diesem Rahmen steht dann fest, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, dieses Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, wenn sie die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden drohen. Die Beurteilung dieser Gefahr ist namentlich im Licht der besonderen Merkmale und Umweltbedingungen des von solchen Plänen oder Projekten betroffenen Gebiets vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, Randnr. 49).

31

In der in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie umschriebenen zweiten Phase, die sich an die genannte Verträglichkeitsprüfung anschließt, wird die Zustimmung zu einem solchen Plan oder Projekt vorbehaltlich Art. 6 Abs. 4 nur erteilt, wenn das betreffende Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird.

32

Um die Tragweite des Ausdrucks ‚das Gebiet als solches beeinträchtigt‘ in seinem Gesamtkontext zu beurteilen, sind, wie die Generalanwältin in Nr. 43 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Bestimmungen des Art. 6 der Habitatrichtlinie am Maßstab der mit der Richtlinie verfolgten Erhaltungsziele als ein zusammenhängender Normenkomplex auszulegen. Denn mit Art. 6 Abs. 2 und 3 soll das gleiche Schutzniveau für natürliche Lebensräume und Habitate von Arten gewährleistet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, C-404/09, [Slg. 2011, I-11853], Randnr. 142), während Art. 6 Abs. 4 lediglich eine Ausnahmevorschrift zu Art. 6 Abs. 3 Satz 2 darstellt.

33

Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Regelung des Art. 6 Abs. 2 der Habitatrichtlinie es erlaubt, dem wesentlichen Ziel der Erhaltung und des Schutzes der Qualität der Umwelt einschließlich des Schutzes der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen zu entsprechen, und eine allgemeine Schutzpflicht festlegt, die darin besteht, Verschlechterungen und Störungen zu vermeiden, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten (Urteil vom 14. Januar 2010, Stadt Papenburg, C-226/08, Slg. 2010, I-131, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie ergreift der Mitgliedstaat in dem Fall, dass ein Plan oder Projekt trotz negativer Ergebnisse der nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie vorgenommenen Prüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art durchzuführen ist und eine Alternativlösung nicht vorhanden ist, alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (vgl. Urteile vom 20. September 2007, Kommission/Italien, C-304/05, Slg. 2007, I-7495, Randnr. 81, und Solvay u. a., Randnr. 72).

35

Hierbei kommt Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie als Ausnahme von dem in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 aufgestellten Genehmigungskriterium nur zur Anwendung, nachdem die Auswirkungen eines Plans oder Projekts gemäß Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie analysiert wurden (vgl. Urteil Solvay u. a., Randnrn. 73 und 74).

36

Daraus folgt, dass die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 der Habitatrichtlinie den Mitgliedstaaten eine Reihe von Verpflichtungen und besonderen Verfahren vorschreiben, die, wie sich aus Art. 2 Abs. 2 dieser Richtlinie ergibt, darauf abzielen, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume, insbesondere der besonderen Schutzgebiete, zu bewahren oder gegebenenfalls wiederherzustellen.

40

Die Genehmigung eines Plans oder Projekts im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie darf daher nur unter der Voraussetzung erteilt werden, dass die zuständigen Behörden nach Ermittlung sämtlicher Gesichtspunkte des betreffenden Plans oder Projekts, die für sich oder in Verbindung mit anderen Plänen oder Projekten die für das betreffende Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beeinträchtigen können, und unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse Gewissheit darüber erlangt haben, dass sich der Plan oder das Projekt nicht dauerhaft nachteilig auf das betreffende Gebiet als solches auswirkt. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, Randnr. 99, und Solvay u. a., Randnr. 67).

41

Da die Behörde die Genehmigung des Plans oder des Projekts versagen muss, wenn Unsicherheit darüber besteht, ob keine nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches auftreten, schließt das in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 der Habitatrichtlinie vorgesehene Genehmigungskriterium den Vorsorgegrundsatz ein und erlaubt es, durch Pläne oder Projekte entstehende Beeinträchtigungen der Schutzgebiete als solche wirksam zu verhüten. Ein weniger strenges Genehmigungskriterium als das in Rede stehende könnte die Verwirklichung des Zieles des Schutzes der Gebiete, dem diese Bestimmung dient, nicht ebenso wirksam gewährleisten (Urteil Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, Randnrn. 57 und 58).

43

Die zuständigen nationalen Behörden dürfen daher keine Eingriffe zulassen, die die ökologischen Merkmale von Gebieten, die prioritäre natürliche Lebensraumtypen einschließen, dauerhaft beeinträchtigen könnten. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Eingriff zum Verschwinden oder zu einer teilweisen irreparablen Zerstörung eines im betreffenden Gebiet vorkommenden prioritären natürlichen Lebensraums führen könnte (vgl. zum Verschwinden prioritärer Arten Urteile vom 20. Mai 2010, Kommission/Spanien ( 6 ), Randnr. 21, und vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, Randnr. 163).

44

Für die Prüfung nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie ist darauf hinzuweisen, dass sie nicht lückenhaft sein darf und vollständige, präzise und endgültige Feststellungen enthalten muss, die geeignet sind, jeden vernünftigen wissenschaftlichen Zweifel hinsichtlich der Auswirkungen der Arbeiten, die in dem betreffenden Schutzgebiet geplant sind, auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2011, Kommission/Spanien, Randnr. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung). …

46

… [W]enn die zuständige nationale Behörde nach der auf der Grundlage von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der Habitatrichtlinie durchgeführten Prüfung der Verträglichkeit eines Plans oder Projekts mit einem Gebiet zu dem Schluss gelangt, dass dieser Plan oder dieses Projekt zu einem dauerhaften und nicht mehr rückgängig zu machenden vollständigen oder teilweisen Verlust eines prioritären natürlichen Lebensraumtyps führt, dessen Erhaltung es rechtfertigte, das betreffende Gebiet als [Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung] auszuweisen, [ist] davon auszugehen, dass dieser Plan oder dieses Projekt das Gebiet als solches beeinträchtigt.

47

Unter diesen Umständen könnte der genannte Plan oder das genannte Projekt auf der Grundlage dieser Bestimmung nicht genehmigt werden. Jedoch könnte die betreffende Behörde dann gegebenenfalls nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie eine Genehmigung erteilen, wenn die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging, Randnr. 60).“

12.

Es mag außerdem hilfreich sein, einige Leitgedanken zu berücksichtigen, die insbesondere Generalanwältin Kokott in Nr. 17 ihrer Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Niederlande ( 7 ) entwickelt hat: „… [Es gibt] auch Alternativen …, die den Plan oder das Projekt nicht im Sinne einer Plan- oder Projektalternative verändern, sondern nur die Durchführung betreffen. [Es] ist etwa daran zu denken, störende Tätigkeiten in Zeiträumen durchzuführen, während derer der Störeffekt am geringsten ist. Derartige Durchführungsalternativen können Teil der Gesichtspunkte des Plans oder Projekts sein, die schon im Rahmen der Prüfung nach Artikel 6 Absatz 3 der Habitatrichtlinie ermittelt werden müssen. Die zuständigen Behörden müssen diesbezügliche Prüfungsergebnisse im Sinne von Artikel 6 Absatz 3 Satz 2 auch dann bei ihrer Genehmigungsentscheidung berücksichtigen, wenn das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird. Entsprechende Auflagen können … dazu beitragen, … einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren. Artikel 6 Absatz 4 betrifft jedoch nicht diese Durchführungsalternativen, sondern Plan- und Projektalternativen.“

13.

Zudem hat Generalanwältin Kokott in Nr. 35 ihrer Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Portugal ( 8 ) ausgeführt: „Die Beeinträchtigung eines Gebietes ist nämlich im Rahmen von Artikel 6 der Habitatrichtlinie von den Ausgleichsmaßnahmen streng zu trennen. … Nach dem Regelungssystem der Habitatrichtlinie sind Beeinträchtigungen nach Möglichkeit zu vermeiden. Dies geschieht vorzugsweise, indem man jedes Schadensrisiko ausschließt oder indem man entsprechende Schadensminderungs- und Schadensvermeidungsmaßnahmen trifft. … Im Unterschied dazu kommen Ausgleichsmaßnahmen erst dann in Betracht, wenn Beeinträchtigungen aus überwiegenden Gründen des öffentlichen Interesses in Abwesenheit einer Alternative hingenommen werden müssen. Der Erhalt bestehender Naturgüter ist nämlich Ausgleichsmaßnahmen schon deswegen vorzuziehen, weil ihr Erfolg selten mit Sicherheit vorhergesagt werden kann.“

Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

14.

Das vorlegende Gericht macht folgende Angaben zum Sacherhalt und zum Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens.

15.

Am 6. Juni 2011 erließ der Minister van Infrastructuur en Milieu (Minister für Infrastruktur und Umwelt, im Folgenden: Minister) eine Verordnung betreffend die Verbreiterung des Rijksweg A2, die durch eine weitere Verordnung vom 25. Januar 2012 abgeändert wurde (zusammen im Folgenden: Trassenverordnung). Mehrere Parteien fochten die Verordnungen an, wurden aber mit ihren Klagegründen abgewiesen. Das vorlegende Gericht hat jedoch noch nicht über einen Klagegrund betreffend die Auswirkungen der Straßenverbreiterung auf das Natura-2000-Gebiet Vlijmens Ven, Moerputten und Bossche Broek (im Folgenden: Natura-2000-Gebiet) entschieden, bei dem es sich um ein besonderes Schutzgebiet für insbesondere den Lebensraumtyp Pfeifengraswiesen handelt ( 9 ). Die Erhaltungsziele des Gebiets sind eine Ausweitung der Fläche und eine Verbesserung der Qualität.

16.

Der Bericht über eine vorläufige Umweltverträglichkeitsprüfung kam zu dem Ergebnis, dass erhebliche nachteilige Auswirkungen als Folge von Stickstoffablagerungen nicht auszuschließen seien. In einem zweiten Bericht hieß es, dass in den Moerputten der vorübergehende Anstieg von Stickstoffablagerungen zu einer leichten Beschleunigung der bereits im Gang befindlichen Qualitätseinbuße führen werde. Im Bossche Broek seien die Pfeifengraswiesen von guter Qualität, aber potenziell bedroht. Nachteilige Auswirkungen infolge zunehmender Stickstoffablagerungen seien nicht auszuschließen. Darüber hinaus sei über einige Jahrzehnte zwar die Ausbreitung von Pfeifengraswiesen möglich, da jedoch im Jahr 2020 hier noch eine Zunahme der Stickstoffablagerungen eintreten werde, könne diese Entwicklung gehemmt werden. Im Vlijmens Ven könnten sich nach Fertigstellung des hydrologischen Systems kurzfristig Pfeifengraswiesen entwickeln; der vorübergehende Anstieg von Stickstoffablagerungen im Vlijmens Ven führe zu keiner Beeinträchtigung. Abschließend empfahl der Bericht Maßnahmen zur Schadensbegrenzung, um die nachteiligen Auswirkungen der Straßenverbreiterung zu beseitigen.

17.

Nach Art. 6 Abs. 2 der Trassenverordnung soll wegen der möglichen nachteiligen Auswirkungen auf die Pfeifengraswiesen als Maßnahme zur Schadensbegrenzung die hydrologische Situation innerhalb des Teilgebiets Vlijmens Ven verbessert werden, wodurch die Ausweitung dieses natürlichen Lebensraumtyps innerhalb dieses Gebiets ermöglicht wird. Nach dem Schadensbegrenzungsplan wurde erwartet, dass im Jahr 2012 mit der Umgestaltung des Vlijmens Ven begonnen werden konnte und dass hier im Jahr 2013 die ersten neuen Pfeifengraswiesen vorzufinden sein würden. Durch die Schaffung der neuen Wiesen im Vlijmens Ven würden die Auswirkungen des Anstiegs von Stickstoffablagerungen auf die bestehenden 11,5 Hektar Pfeifengraswiesen im Natura-2000-Gebiet als Folge des Straßenverkehrs auf der verbreiterten A2 weitgehend aufgehoben.

18.

Mehrere Parteien des Ausgangsverfahrens tragen vor, dass die vorgesehene Schaffung neuer Pfeifengraswiesen im Natura-2000-Gebiet bei der Prüfung, ob das Gebiet als solches beeinträchtigt werde, nicht hätte berücksichtigt werden dürfen und dass der Minister die Schaffung neuer Pfeifengraswiesen zu Unrecht als Maßnahme zur Schadensbegrenzung ansehe.

19.

Nach Auffassung des Ministers ist von einer Beeinträchtigung des Gebiets als solchem keine Rede, da durch das in der Trassenverordnung vorgesehene Anlegen neuer Pfeifengraswiesen den Erhaltungszielen für diesen Lebensraumtyp Genüge getan werde.

20.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist zu prüfen, ob der Minister den Standpunkt einnehmen durfte, dass das Natura-2000-Gebiet als solches nicht beeinträchtigt werde.

21.

Die Straßenverbreiterung als solche habe nachteilige Auswirkungen auf die bestehenden Pfeifengraswiesen. In der Trassenverordnung sei jedoch ein Schadensbegrenzungsplan festgelegt, mit dem die Schaffung von Pfeifengraswiesen bezweckt werde, die eine größere Fläche als die bestehende einnähmen und von höherer Qualität seien. Der Standpunkt des Ministers laufe darauf hinaus, dass in einem Fall, in dem sich ein Projekt auf das in einem Natura-2000-Gebiet vorhandene Areal eines geschützten Lebensraumtyps nachteilig auswirken könne, bei der Prüfung, ob dieses Gebiet als solches beeinträchtigt wird, die Schaffung einer gleich großen oder größeren Fläche dieses Lebensraumtyps an einer Stelle in dem Gebiet zu berücksichtigen sei, an der sich das Projekt auf diesen Lebensraumtyp nicht nachteilig auswirken werde.

22.

Das vorlegende Gericht meint, dass weder der Wortlaut der Habitatrichtlinie noch die Rechtsprechung des Gerichtshofs Aufschluss darüber gäben, wie zu prüfen sei, ob eine Beeinträchtigung des Gebiets als solches im Sinne von Art. 6 Abs. 3 vorliege. Es ersucht daher um Vorabentscheidung folgender Fragen:

1.   Ist der Satzteil „das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird“ in Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie dahin auszulegen, dass in dem Fall, in dem das Projekt das in dem Gebiet vorhandene Areal eines geschützten Lebensraumtyps beeinträchtigt, das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, wenn im Rahmen des Projekts in dem Gebiet eine gleich große oder größere Fläche dieses Lebensraumtyps geschaffen wird?

2.   Falls die Antwort auf die erste Frage lautet, dass der Satzteil „das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird“ dahin auszulegen ist, dass unter den in der ersten Frage geschilderten Umständen das Natura-2000-Gebiet als solches beeinträchtigt wird, ist dann die Schaffung einer neuen Fläche eines Lebensraumtyps in diesem Fall als Ausgleichsmaßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie anzusehen?

23.

Bei Eingang des Vorabentscheidungsersuchens in der vorliegenden Rechtssache war das Verfahren in der Rechtssache Sweetman u. a. für eine Verbindung bereits zu weit fortgeschritten. Das vorliegende Verfahren wurde daher ausgesetzt, um den Verfahrensbeteiligten die Einreichung von Erklärungen nach Erlass des Urteils Sweetman u. a. zu ermöglichen.

24.

Einer der Kläger des Ausgangsverfahrens (die Stichting Overlast A2 Vught en omstreken, im Folgenden: Stichting), das Königreich der Niederlande, das Vereinigte Königreich sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und in der Sitzung vom 11. Dezember 2013 mündlich verhandelt, in deren Mittelpunkt insbesondere die Begriffe „Maßnahmen zur Schadensbegrenzung“ im Sinne des Auslegungsleitfadens der Kommission und „Ausgleichsmaßnahmen“ im Sinne der Habitatrichtlinie standen.

25.

Mit Blick auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens weisen sowohl die Stichting als auch die Kommission auf das von dem Autobahnverbreiterungsprojekt unabhängige Projekt LIFE+ ( 10 ) hin, dessen Hauptziel ausdrücklich in der Vergrößerung und Verbesserung des Areals, insbesondere der Pfeifengraswiesen, im Natura-2000-Gebiet als Habitat für zwei bestimmte Schmetterlingsarten liegt. Das Projekt mit der Bezeichnung „Blues in the Marshes“ ( 11 ) umfasst 170 Hektar neu naturalisierter Graslandhabitate im größeren Teil des Gebiets (Vlijmens Ven und Moerputten). Es erhielt im Juni 2012 einen Teil der Finanzmittel von der Union und soll ab diesem Zeitpunkt bis zum Dezember 2018 durchgeführt werden.

Würdigung

26.

Das vorlegende Gericht stellt zwei Fragen, die auf Folgendes hinauslaufen. Wenn das bestehende Areal eines geschützten natürlichen Lebensraumtyps in einem Natura-2000-Gebiet durch ein Projekt beeinträchtigt wird, für das allerdings die Auflage gilt, eine neue (gleich große oder größere) Fläche desselben natürlichen Lebensraumtyps an anderer Stelle in dem Gebiet zu schaffen, ist dann im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie das Gebiet als solches beeinträchtigt? Falls dies zu bejahen ist, ist das neue Areal als Ausgleichsmaßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie anzusehen?

27.

Aufgrund des Zusammenhangs zwischen diesen beiden Fragen, die meines Erachtens beide zu bejahen sind, erscheint es mir zweckmäßig, sie zusammen zu prüfen.

28.

Dabei mag eine kurze Untersuchung von Art. 6 der Habitatrichtlinie eine vorläufige Antwort liefern. Nach Art. 6 Abs. 4 sind Ausgleichsmaßnahmen erforderlich, wenn i) die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 negativ sind, ii) keine Alternativlösungen vorhanden sind und iii) der Plan oder das Projekt aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen ist. Aus der Systematik der beiden in Verbindung miteinander zu lesenden Absätze ergibt sich also, dass Ausgleichsmaßnahmen nicht im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 vorgesehen sind. Logisch und zeitlich erfolgen sie erst, nachdem eine nach dieser Bestimmung durchgeführte Verträglichkeitsprüfung zu negativen Ergebnissen geführt hat. Wollte man Ausgleichsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 berücksichtigen, wären sie entweder a) unzureichend, um eine Beeinträchtigung zu verhindern, so dass in diesem Fall der Plan oder das Projekt überhaupt nicht durchgeführt werden könnte, oder sie würden b) zusammen mit dem Plan oder Projekt durchgeführt, ohne dass zunächst geprüft werden müsste, ob Alternativlösungen oder zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses für die Durchführung vorliegen. In beiden Fällen liefe Art. 6 Abs. 4 leer. Damit würde Art. 6 – in dessen Rahmen Abs. 4 selbstverständlich Wirkung entfalten soll – nicht als zusammenhängender Normenkomplex beurteilt, wie dies die Rechtsprechung verlangt ( 12 ).

29.

Es empfiehlt sich jedoch, die Bestimmungen über diese eher formaljuristische Würdigung hinaus auch inhaltlich zu analysieren. Zuvor ist zweckmäßigerweise der Begriff „Maßnahmen zur Schadensbegrenzung“ zu klären, der, auch wenn er weder in den Rechtsvorschriften verwendet noch in der Rechtsprechung definiert wird, in der vorliegenden Rechtssache ausführlich vor dem Gerichtshof erörtert wurde.

30.

Die Umweltfachleute sind sich generell einig, und zwischen den Verfahrensbeteiligten, die in der mündlichen Verhandlung Ausführungen gemacht haben, scheint unstreitig zu sein, dass Pläne oder Projekte, die sich auf die Umwelt auswirken können, anhand einer „Schadensbegrenzungsrangfolge“ zu beurteilen sind. Diese Rangfolge mag inhaltlich mehr oder weniger detailliert und in leicht unterschiedlicher Form formuliert sein, lässt sich aber im Wesentlichen wie folgt beschreiben: „Der Ausgleich von Restschäden ist ein letzter Schritt und folgt erst nach Prüfung zunächst der Frage, wie Schäden von vornherein vermieden werden können, und dann der Frage, wie Schäden – sollte eine Vermeidung nicht möglich sein – durch Schadensbegrenzung minimiert werden können“ ( 13 ). Die drei wesentlichen Phasen oder Stufen lauten in absteigender Reihenfolge ihrer Präferenz: Vermeidung, Schadensbegrenzung, Ausgleich ( 14 ).

31.

Eine vergleichbare Rangfolge findet sich in Art. 6 der Habitatrichtlinie, auch wenn dort von Schadensbegrenzung als solcher nicht die Rede ist. Art. 6 Abs. 1 schreibt die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen vor, d. h. gemäß Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 1 derjenigen Maßnahmen, die erforderlich sind, um die natürlichen Lebensräume „in einem günstigen Erhaltungszustand … zu erhalten oder diesen wiederherzustellen“. Dieses Niveau geht mithin über die bloße Vermeidung hinaus, da es eine aktive Verbesserung oder sogar eine Qualitätsverbesserung oder Ausdehnung der Lebensräume umfasst. Sodann verlangt Art. 6 Abs. 2 geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen. Zur Gewährleistung des gleichen Schutzniveaus ( 15 ) erlaubt Art. 6 Abs. 3 die Genehmigung von Plänen oder Projekten nur, wenn „das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird“. Schließlich müssen nach Art. 6 Abs. 4 alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen ergriffen werden, wenn ein Plan oder Projekt, obwohl es das Gebiet als solches beeinträchtigt, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen ist und es keine Alternativlösungen gibt.

32.

Daher lässt sich, obwohl Maßnahmen zur Schadensbegrenzung in Art. 6 der Habitatrichtlinie nicht ausdrücklich erwähnt werden, vernünftigerweise nicht vertreten, dass für solche Maßnahmen in der Systematik der Vorschrift kein Platz wäre. Ich schließe mich der Auffassung aller Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, und den oben wiedergegebenen Ausführungen von Generalanwältin Kokott an, wonach Maßnahmen, die Bestandteil eines Plans oder Projekts sind und die dessen Auswirkungen faktisch auf ein Minimum reduzieren, bei der nach Art. 6 Abs. 3 vorzunehmenden Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, ob der Plan oder das Projekt ein Gebiet als solches beeinträchtigt. Es dürfte jedoch klar sein, dass Art. 6 Abs. 1 eine aktive Erhaltungsbewirtschaftung und nicht bloß das Fehlen einer Beeinträchtigung gebietet und dass Art. 6 Abs. 4 Situationen betrifft, in denen sich jedwede Maßnahme, die zur Reduzierung einer Beeinträchtigung durchgeführt werden kann, im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 als unzureichend erwiesen hat.

33.

Sämtliche Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, sind sich daher einig, dass unter „Maßnahmen zur Schadensbegrenzung“ ein für Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie relevantes Konzept zu verstehen ist, das sich von „Ausgleichsmaßnahmen“ im Sinne von Art. 6 Abs. 4 unterscheidet. Die Stellung von Art. 6 Abs. 3 innerhalb der Gesamtsystematik des Art. 6 entspricht außerdem der Stellung der Begriffe „Schadensbegrenzung“ oder „Minimierung“ innerhalb der allgemein anerkannten Schadensbegrenzungsrangfolge.

34.

Ich komme nunmehr zu den vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen. Vor dem Gerichtshof wurde im Wesentlichen erörtert, ob es sich bei einer Maßnahme der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art um eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung, die (unstreitig) im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 berücksichtigt werden darf, oder aber um eine Ausgleichsmaßnahme handelt, und falls Letzteres zu bejahen ist, ob diese Maßnahme trotzdem im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 oder nur im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 berücksichtigt werden darf. Es wurde nicht geltend gemacht, dass solche Maßnahmen noch nicht einmal als Ausgleichsmaßnahmen eingestuft werden könnten, wohl aber, dass die im Ausgangsverfahren konkret in Rede stehenden Maßnahmen bei der Beurteilung der Auswirkungen des Autobahnverbreiterungsprojekts außer Acht bleiben müssten, falls die Maßnahmen in Wirklichkeit übliche Maßnahmen zur Verwaltung des Natura-2000-Gebiets darstellten.

35.

Zunächst müssen also zwei Unterscheidungen getroffen werden, nämlich zum einen zwischen Schadensbegrenzungsmaßnahmen und Ausgleichsmaßnahmen und zum anderen zwischen Maßnahmen, die im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie berücksichtigt werden können, und Maßnahmen, die allein im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 berücksichtigt werden dürfen. Es lässt sich nicht grundsätzlich behaupten, dass diese beiden Unterscheidungen auf ein und dasselbe hinauslaufen ( 16 ).

36.

Die grundsätzliche semantische Unterscheidung zwischen Schadensbegrenzung (oder Minimierung oder Reduzierung) und Ausgleich (oder Aufhebung) scheint mir nicht besonders kontrovers zu sein. Im Kontext von Art. 6 Abs. 3 und 4 der Habitatrichtlinie muss unter einer Maßnahme zur Schadensbegrenzung eine Maßnahme zu verstehen sein, die die nachteiligen Auswirkungen eines Plans oder eines Projekts mit dem Ziel abmildert, nach Möglichkeit sicherzustellen, dass (auch wenn einige unerhebliche und/oder vorübergehende Auswirkungen nicht völlig beseitigt werden können) das „Gebiet als solches“ nicht beeinträchtigt wird. Eine Ausgleichsmaßnahme ist hingegen eine Maßnahme, die dieses Ziel nicht in dem engeren Rahmen des Plans oder des Projekts selbst erzielt, sondern die die Nichterreichung des Ziels durch andere positive Auswirkungen aufwiegen soll, um in einem wie auch immer gearteten weiteren Rahmen zumindest eine negative Gesamtbilanz zu vermeiden (und, wenn möglich, eine positive Gesamtbilanz zu erzielen) ( 17 ).

37.

Angesichts dessen würde ich die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen grundsätzlich als Ausgleichsmaßnahmen einstufen. Den Darstellungen zufolge scheint festzustehen, dass sich Qualität und/oder Umfang (eines Teils) der bestehenden Pfeifengraswiesen im Natura-2000-Gebiet aufgrund der Autobahnverbreiterung vermindern könnten. Offenbar besteht die Gefahr, dass sich der Zustand dieser Wiesen aufgrund der durch das verstärkte Autobahnverkehrsaufkommen verursachten (langfristig) höheren Stickstoffablagerungen verschlechtert; ferner ergibt sich, dass die ergriffenen oder geplanten Maßnahmen zwar keine adäquate Reduzierung der Umweltverschmutzung bewirken bzw. nicht verhindern, dass die Verschmutzung die der Autobahn am nächsten gelegenen Pfeifengraswiesen erreicht, dass aber neue Wiesen vorgesehen sind, die den Erwartungen nach jenseits des Einwirkungsbereichs der erhöhten Verschmutzung liegen.

38.

Ich vermag daher nicht der Auffassung der niederländischen Regierung zuzustimmen, wonach die Schaffung neuer Pfeifengraswiesen an einer anderen Stelle im Natura-2000-Gebiet eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung sei; es handelt sich vielmehr um eine Ausgleichsmaßnahme.

39.

Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass eine solche Maßnahme nicht im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie berücksichtigt werden dürfte. In dieser Bestimmung werden weder Schadensbegrenzungs- noch Ausgleichsmaßnahmen erwähnt, sondern das angestrebte Ergebnis – keine Beeinträchtigung des „Gebiets als solches“ – in den Mittelpunkt gestellt.

40.

Nach Ansicht der Niederlande und des Vereinigten Königreichs ist „das Gebiet als solches“ einer Gesamtbetrachtung anhand des sich bei einer Gesamtbilanzierung letztlich ergebenden Vor- oder Nachteils zu unterziehen: Es spiele keine Rolle, ob ein bestimmter Lebensraum in einem bestimmten Teil des Gebiets verloren gehe, sofern an einer anderen Stelle innerhalb des Gebiets ein gleicher Lebensraumtyp mit einer Fläche und Qualität zumindest gleichen (und vorzugsweise größeren) Umfangs geschaffen werde. Insbesondere das Vereinigte Königreich weist darauf hin, dass deshalb eine Ausgleichsmaßnahme dieser Art im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie berücksichtigt werden dürfe.

41.

Ich kann mich der Auffassung anschließen, dass „das Gebiet als solches“ in dem Sinne einer Gesamtbetrachtung unterzogen werden sollte, dass auf den dauerhaften wesentlichen Charakter des Gebiets und nicht auf unerhebliche und vorübergehende Qualitäts- oder Flächenschwankungen eines bestimmten Lebensraums abzustellen ist. Meines Erachtens ist jedoch eine langfristige Verschlechterung eines bestehenden natürlichen Lebensraums zwangsläufig als eine den dauerhaften wesentlichen Charakter betreffende Entwicklung anzusehen und nicht bloß als unerhebliche und vorübergehende Schwankung. Das Gleiche muss gelten, wenn es zur Beschleunigung einer im Gang befindlichen Qualitätseinbuße oder zur Hemmung einer möglichen Ausbreitung (was beides für Teile des hier in Rede stehenden Natura-2000-Gebiets erwartet wird) kommt (oder kommen könnte). In jedem Fall erfordert Art. 6 Abs. 3 die Prüfung auf Verträglichkeit „mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen“ – hier eine Ausweitung der Fläche der Pfeifengraswiese und eine Verbesserung der Qualität. Falls sich eine Verschlechterung der beschriebenen Art nicht ausschließen lässt, folgt daraus meines Erachtens, dass gemessen an den Erhaltungszielen das Gebiet als solches tatsächlich beeinträchtigt ist.

42.

Insoweit halte ich es für irrelevant, wenn an anderer Stelle des Gebiets neue Lebensräume geschaffen werden, selbst wenn dies voraussichtlich zu einer positiven Gesamtbilanz führt. Es kommt nämlich trotzdem zu einer negativen – womöglich sogar irreparablen – Einwirkung auf den bestehenden natürlichen Lebensraum und damit auf das Gebiet als solches. Der neue Lebensraum wird in gewissem Grad künstlich angelegt und kann erst nach einiger, möglicherweise langer Zeit zu einem wirklich natürlichen Lebensraum werden. Wie die Stichting in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die zur Schaffung eines neuen Areals für einen bestimmten Lebensraumtyp ergriffenen Maßnahmen tatsächlich jemals den gewünschten Erfolg haben, und in Anwendung des Vorsorgegrundsatzes gehört im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie das Bestehen von Gewissheit zu den Genehmigungsvoraussetzungen ( 18 ). Selbst bei intensiver Bodenbewirtschaftung können keine Erfolge garantiert werden; umso problematischer ist eine Erfolgsgarantie, wenn man versucht, der Natur ihren Lauf zu lassen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Schlussfolgerung, dass es zu keinen dauerhaften nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches kommt, nur zulässig, wenn insoweit aus wissenschaftlicher Sicht kein Zweifel besteht. Derselbe Maßstab muss meiner Meinung nach auch für Erfolgsvorhersagen für geplante neue Areale eines erschaffenen „natürlichen“ Lebensraums gelten.

43.

Zu einer anderen Sicht veranlasst mich auch nicht das Vorbringen des Vereinigten Königreichs, wonach der von mir hier befürwortete Ansatz zu dem „abwegigen“ Ergebnis führen könne, dass ein Plan, der sich nachteilig auf einen Lebensraum auswirke, nach Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie genehmigt werden könne, wenn die Auswirkungen zu unerheblich seien, um das Gebiet als solches zu beeinträchtigen, während die Genehmigung eines anderen Plans, der eine Verschlechterung eines begrenzten Areals eines Lebensraumtyps sowie dessen Ersetzung durch eine größere Fläche desselben Lebensraumtyps und somit eine positive Gesamtbilanz mit sich bringe, unzulässig wäre. Zum einen gibt es, wie gesagt, keine Erfolgsgarantie für den neuen Lebensraum und damit auch nicht für die positive Gesamtbilanz, so dass die Auffassung des Vereinigten Königreichs möglicherweise nicht in Einklang mit dem Vorsorgeprinzip steht. Zum anderen schließt die Unzulässigkeit einer Genehmigung nach Art. 6 Abs. 3 noch nicht eine Genehmigung nach Art. 6 Abs. 4 aus, nach dessen Wortlaut ausdrücklich Ausgleichsmaßnahmen berücksichtigt werden können.

44.

Mich überzeugt auch nicht das von der niederländischen Regierung vorgetragene Argument, wonach zwar ein Projekt wie die Verbreiterung des Rijksweg A2 zweifellos das Tatbestandsmerkmal „aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses“ erfüllen und somit aufgrund der durchgeführten Ausgleichsmaßnahmen für eine Genehmigung nach Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie in Betracht kommen könne, dies aber wohl kaum für Privatprojekte (z. B. die Erweiterung eines Schweinezuchtbetriebs) gelte, selbst wenn diese die gleichen oder sogar noch wirksamere Ausgleichsmaßnahmen umfassten und daher in der Gesamtbilanz zu den gleichen oder sogar noch größeren Vorteilen führten. Der Gesetzgeber hat die Tatbestände von Art 6 Abs. 3 und 4 deutlich unterschiedlich ausgestaltet. Nach Art. 6 Abs. 3 kommt jedes Projekt für eine Genehmigung in Betracht, sofern es nicht das Gebiet als solches beeinträchtigt. Nach Art. 6 Abs. 4 kann ein Projekt, dessen Genehmigung nach Art. 6 Abs. 3 unzulässig ist, dennoch genehmigt werden, sofern es u. a. aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durchzuführen ist. Dass viele, wenn nicht die meisten privaten Projekte diese Voraussetzung nicht erfüllen dürften, rechtfertigt es nicht, eine Maßnahme, die die nachteiligen Auswirkungen auf das Gebiet als solches nicht auf ein Minimum reduziert, als eine Maßnahme einzuordnen, bei der das der Fall ist.

45.

An dieser Stelle ist noch auf ein anderes Argument einzugehen, das die in der mündlichen Verhandlung vertretenen Mitgliedstaaten angeführt haben, nämlich dass Art. 6 Abs. 4 ausschließlich Maßnahmen betreffe, die außerhalb des durch den Plan oder das Projekt beeinträchtigten Gebiets ergriffen würden, da die genannte Bestimmung vorschreibe, „alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen [zu ergreifen], um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist“ (Hervorhebung nur hier).

46.

Ich vermag der These zuzustimmen, dass nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 4 die dort bezeichneten Ausgleichsmaßnahmen nicht unbedingt innerhalb des beeinträchtigten Gebiets erfolgen müssen, sondern andere Gebiete im Netz „Natura 2000“ betreffen können ( 19 ). Daraus folgt jedoch nicht, dass sie ausdrücklich auf solche anderen Gebiete beschränkt wären. Eine Ausgleichsmaßnahme unterscheidet sich von einer Maßnahme zur Schadensbegrenzung, ‑minimierung oder ‑reduzierung aufgrund ihres Wesens, nicht aufgrund ihres Wirkungsortes. Eine Beeinträchtigung eines bestimmten Gebiets als solches wird wahrscheinlich nicht durch in einem anderen Gebiet ergriffene Maßnahmen abgemildert werden, jedoch gilt dies nicht logisch zwingend auch für Ausgleichsmaßnahmen. Bei einer Ausgleichsmaßnahme geht es naturgemäß nicht um das, was durch sie ersetzt werden soll, während eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung notwendigerweise an den Schaden anknüpft, zu dessen Begrenzung sie bestimmt ist. Dass Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle als in dem beeinträchtigten Gebiet durchgeführt werden können, heißt allerdings nicht, dass eine Durchführung innerhalb (möglicherweise in einem anderen Teil) des Gebiets unzulässig wäre. Eine Maßnahme eignet sich auch nicht weniger gut (wahrscheinlich wohl sogar besser) zum Schutz der globalen Kohärenz von Natura 2000, wenn sie innerhalb des beeinträchtigten Gebiets durchgeführt wird, als wenn sie in einem anderen Teil des Netzes „Natura 2000“ umgesetzt wird. Ich finde im Wortlaut von Art. 6 Abs. 4 keine Anhaltspunkte, die mich vom Gegenteil überzeugen könnten.

47.

Ein weiterer angesprochener Punkt, der allerdings Sachverhaltsfragen betrifft, die nur vom zuständigen nationalen Gericht entschieden werden können, betrifft das Verhältnis zwischen der Schaffung neuer Flächen von Pfeifengraswiesen als Voraussetzung für die Durchführung des Autobahnverbreiterungsprojekts und die Schaffung solcher Flächen im Rahmen des Projekts LIFE+, auf das oben in Nr. 25 hingewiesen wurde. Die Stichting und die Kommission sind – wenn ich ihre Ausführungen richtig verstanden habe – der Auffassung, dass es sich bei der in Art. 6 Abs. 2 der Trassenverordnung festgelegten Auflage möglicherweise gar nicht um eine neue Voraussetzung für die Durchführung des Projekts handele, sondern dass damit eigentlich bezweckt werde, die Vorteile des Projekts LIFE+ in Anspruch zu nehmen, um die nachteiligen Auswirkungen des Autobahnverbreiterungsprojekts aufzuwiegen.

48.

Sollte es sich tatsächlich so verhalten, könnten die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen meines Erachtens nicht als Ausgleichsmaßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Habitatrichtlinie angesehen werden. Das betreffende Projekt LIFE+ dürfte wohl unter die nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie vorgeschriebenen Erhaltungsmaßnahmen und Bewirtschaftungspläne einzuordnen sein. Art. 6 Abs. 3 bezieht sich ausschließlich auf Pläne oder Projekte, „die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind“ und schreibt deren Prüfung „auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen“ vor. Ich verstehe dies dahin, dass diese Verwaltung und diese Ziele zu den Merkmalen des „Gebiets als solchem“ gehören, das für die Beurteilung der Auswirkungen des Plans oder Projekts maßgebend ist. Die Verwaltung und die Erhaltungsziele können nicht gleichzeitig (schadensbegrenzendes) Element des Plans oder Projekts selbst sein. Dies muss erst recht gelten, wenn ein Plan oder Projekt, der bzw. das bereits nach Art. 6 Abs. 3 geprüft wurde, nochmals im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 untersucht wird.

49.

Meiner Meinung nach sind daher für die Beurteilung, ob ein Plan oder Projekt im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Habitatrichtlinie ein Gebiet als solches beeinträchtigt, Maßnahmen der im Vorlagebeschluss beschriebenen Art außer Betracht zu lassen; sie können jedoch im Rahmen von Art. 6 Abs. 4 berücksichtigt werden, sofern sie mit dem Plan oder Projekt in spezifischem Zusammenhang stehen und nicht Bestandteil der ohnehin durchzuführenden Verwaltungs- oder Erhaltungspläne sind. Demzufolge braucht nicht unbedingt geprüft zu werden, unter welchen Voraussetzungen verschiedene Arten von Maßnahmen im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 Berücksichtigung finden können. Gleichwohl mag es zweckmäßig sein, diese Voraussetzung im Kern kurz darzustellen, insbesondere in Bezug auf zwei Gesichtspunkte, die vielleicht in den Urteilen des Gerichtshofs noch nicht ausdrücklich behandelt worden sind. Was diese Voraussetzungen angeht, stimme ich weitgehend den Kriterien zu, die die in der mündlichen Verhandlung vertretenen Mitgliedstaaten genannt haben.

50.

Zum einen knüpft eine Maßnahme zur Schadensbegrenzung nicht nur zwangsläufig an den Schaden an, der mit ihr begrenzt werden soll – d. h., sie muss dasselbe Gebiet und denselben Lebensraumtyp betreffen –, sondern sie muss, damit sie im Rahmen von Art. 6 Abs. 3 berücksichtigt werden kann, auch fester Bestandteil des zu prüfenden Plans oder Projekts sein. Sie kann, wie das Vereinigte Königreich ausführt, im ursprünglichen Plan oder Projekt vorgesehen sein oder in einer späteren Phase (jedoch vor Genehmigung des Plans oder Projekts) als zusätzliche Voraussetzung aufgenommen werden, um den erwarteten Auswirkungen entgegenzuwirken. Der Umstand, dass eine Maßnahme zur Begrenzung der Auswirkungen eines Plans oder Projekts geeignet ist, genügt für sich allein jedoch noch nicht: Die Maßnahme muss ein spezifisches Merkmal des Plans oder Projekts sein und darf nicht Bestandteil einer eigenständigen Regelung sein.

51.

Zum anderen ergibt sich als Nebenfolge aus dem Vorstehenden, dass die Durchführung der Maßnahmen eine rechtlich bindende Auflage für die Durchführung der Pläne oder Projekte sein muss, damit diese genehmigungsfähig werden. Außerdem ist (gewissermaßen als Kehrseite der Medaille) Voraussetzung, dass sie nicht erforderlich sind, falls der Plan oder das Projekt nicht genehmigt wird. Das bedeutet nicht, dass sie nur im Fall der Genehmigung der Pläne oder Projekte durchgeführt werden dürfen (denn es ist selbstverständlich möglich, dass diese einem eigenständigen nützlichen Zweck dienen), sondern lediglich, dass sie nicht als konkreter Bestandteil eines Plans oder Projekts angesehen werden können, wenn sie tatsächlich aufgrund einer anderen Regelung rechtlich vorgeschrieben sind.

Ergebnis

52.

Nach alledem sollte der Gerichtshof meines Erachtens die vom Raad van State gestellten Fragen in folgendem Sinne beantworten:

1.

Wird ein vorhandenes Areal eines geschützten natürlichen Lebensraumtyps in einem Natura-2000-Gebiet durch ein Projekt beeinträchtigt, das die Schaffung einer neuen (gleich großen oder größeren) Fläche dieses Lebensraumtyps an einer anderen Stelle in dem Gebiet vorsieht, ist davon auszugehen, dass das Gebiet als solches im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beeinträchtigt ist. Folglich darf das Projekt nicht nach Maßgabe dieser Bestimmung genehmigt werden.

2.

Unter diesen Umständen kann die Schaffung der neuen Fläche als Ausgleichsmaßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie angesehen werden, sofern sie in spezifischem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Projekt steht und sonst nicht im Rahmen der üblichen nach Art. 6 Abs. 1 oder 2 vorgeschriebenen Bewirtschaftung des Gebiets durchgeführt worden wäre. In diesem Fall darf das Projekt durchgeführt werden, sofern alle Voraussetzungen und Erfordernisse des Art. 6 Abs. 4 erfüllt sind.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7).

( 3 ) Molinia caerulea (Pfeifengras) ist eine Blütenpflanze aus der Familie der Gräser, die in feuchten Heide-, Sumpf- und Moorgebieten verbreitet ist.

( 4 ) Urteil vom 11. April 2013 (C‑258/11).

( 5 ) Urteil vom 7. September 2004 (C-127/02, Slg. 2004, I-7405).

( 6 ) Slg. 2010, I‑4281.

( 7 ) Urteil vom 14. April 2005 (C-441/03, Slg. 2005, I-3043).

( 8 ) Urteil vom 26. Oktober 2006 (C-239/04, Slg. 2006, I-10183).

( 9 ) Das in Rede stehende Gebiet liegt etwas südlich von ’s‑Hertogenbosch im Zentrum der Südniederlande. Ausweislich der Karten, in denen die Grenzen des Gebiets eingezeichnet sind, gehören das Vlijmens Ven und die Moerputten (neben Teilen mit der Bezeichnung De Maij und Honderd Morgen) zu einem größeren zusammenhängenden Areal im Westen des Gebiets, von dem das kleinere Areal Bossche Broek durch einen etwa 500 Meter breiten Streifen, in dem sich Straßen, Häuser und eine Eisenbahnlinie befinden, getrennt ist. Der Rijksweg A2, der Amsterdam und Maastricht miteinander verbindet, verläuft entlang des südlichen Randes des Bossche Broek ungefähr 2 km von dem nächstgelegenen Punkt des Moerputtenareals und mehrere Kilometer vom Vlijmens Ven entfernt. In der mündlichen Verhandlung hat die niederländische Regierung dem Gerichtshof mitgeteilt, dass das gesamte Gebiet wegen der dort vorhandenen Pfeifengraswiesen als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen worden sei.

( 10 ) Die Verordnung (EG) Nr. 614/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Mai 2007 über das Finanzierungsinstrument für die Umwelt (LIFE+) (ABl. L 149, S. 1) ermöglicht die Finanzierung von Umweltprojekten, darunter Projekte in Bezug auf die Bewirtschaftung von Natura-2000-Gebieten gemäß der Habitatrichtlinie (vgl. fünfter Erwägungsgrund).

( 11 ) „Blues in the Marshes – Habitat restoration & development for Scarce and Dusky Large Blue in the N2K area Vlijmens Ven, Moerputten and Bossche Broek“ (LIFE11 NAT/NL/000770).

( 12 ) Vgl. Urteil Sweetman u. a. (Rn. 32).

( 13 ) Auszug aus „Biodiversity Offsetting Pilots 1 – Guidance for developers“ (März 2012), veröffentlicht vom Department for Environment, Food and Rural Affairs (Ministerium für Umwelt, Nahrungsmittel und ländliche Angelegenheiten) des Vereinigten Königreichs (Ziff. 16).

( 14 ) Weitere Formulierungen sind etwa: Vermeidung, Minimierung, Ausgleich; Vermeidung, Reduzierung, Abhilfe; Vermeidung von Auswirkungen, Reduzierung unvermeidbarer Auswirkungen, Aufhebung verbleibender Auswirkungen; (ausführlicher:) Verbesserung, Vermeidung, Minimierung, Wiederherstellung, Ausgleich, Aufhebung.

( 15 ) Urteil Sweetman u. a. (Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Siehe unten, Nr. 39.

( 17 ) Siehe auch unten, Nrn. 47 und 48.

( 18 ) Vgl. Urteil Sweetman u. a. (Rn. 41) sowie Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der Rechtssache Kommission/Portugal (Urteil oben angeführt, Nr. 35).

( 19 ) In der Praxis müssen solche anderen Gebiete, wenn die „globale Kohärenz“ geschützt werden soll, wohl unter dem Gesichtspunkt der geografischen Nähe und des Lebensraumtyps einen einigermaßen engen Bezug zu dem beeinträchtigten Gebiet aufweisen.