SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 29. Mai 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑95/12

Europäische Kommission

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Klage gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV — Urteil des Gerichtshofs, in dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird — Sinn und Tragweite des Urteils — Finanzielle Sanktionen — Zwangsgeld — Pauschalbetrag — Behauptete Mehrdeutigkeit des Urteils — Zeitraum zwischen dem Ende des vorgerichtlichen Verfahrens und der Anrufung des Gerichtshofs — Antrag auf Auslegung“

1. 

Die vorliegende Klage ist von der Europäischen Kommission nach Art. 260 Abs. 2 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben worden, weil diese das Urteil des Gerichtshofs vom 23. Oktober 2007, Kommission/Deutschland (C‑112/05) ( 2 ) (im Folgenden: Urteil von 2007), nicht umgesetzt haben soll.

2. 

In diesem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk GmbH in private Hand vom 21. Juli 1960 ( 3 ) (im Folgenden: VW-Gesetz) beibehalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen hat. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland neue Vorschriften erlassen hat, durch die § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 VW-Gesetz aufgehoben wurden, geht es im vorliegenden Verfahren nur noch darum, ob das Urteil in Bezug auf § 4 Abs. 3 dieses Gesetzes umgesetzt worden ist.

3. 

Da die Parteien unterschiedlicher Auffassung über das Urteil von 2007 in diesem Punkt sind, stellt sich in der vorliegenden Rechtssache vorab die Frage, ob der Gerichtshof in Bezug auf § 4 Abs. 3 VW-Gesetz – diese Bestimmung räumt jedem Aktionär, der 20 % des Aktienkapitals hält, eine Sperrminorität ein – für sich genommen eine Vertragsverletzung festgestellt hat, oder ob vielmehr eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne des Art. 56 Abs. 1 EG nur in Verbindung mit § 2 Abs. 1 VW-Gesetz vorliegt. Die letztere Bestimmung sah die Beschränkung jedes einzelnen Aktionärs auf ein Höchststimmrecht von 20 % des Aktienkapitals der Volkswagenwerk GmbH (im Folgenden: Volkswagen) vor.

4. 

Falls der Gerichtshof der Klage der Kommission hinsichtlich der unterbliebenen Umsetzung des Urteils von 2007 stattgibt, werden sich daraus auch schwierige Fragen im Hinblick auf die richtige Methode zur Berechnung der finanziellen Sanktionen ergeben. Im Zentrum dieser Problematik stellt sich einerseits die Frage, inwieweit der behaupteten Mehrdeutigkeit des Urteils von 2007 im Hinblick auf die Verhängung finanzieller Sanktionen Rechnung zu tragen ist, und andererseits die Frage, ob – und falls ja, wie – bei der Berechnung der finanziellen Sanktionen die ungewöhnlich lange Zeit berücksichtigt werden sollte, die zwischen der Antwort der Bundesrepublik Deutschland auf die mit Gründen versehene Stellungnahme und der Erhebung der Klage verstrichen ist.

I – Vorgerichtliches Verfahren

5.

Mit Schreiben vom 24. Dezember 2007 ersuchte die Kommission die deutsche Regierung darum, ihr mitzuteilen, welche Maßnahmen unternommen worden seien, um dem Urteil von 2007 nachzukommen.

6.

Die deutschen Behörden antworteten mit Schreiben vom 6. März 2008, dass die sich aus dem Urteil von 2007 ergebenden Gesetzesänderungen vorbereitet worden seien.

7.

Da das Schreiben jedoch weder Angaben zum Zeitrahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch zum Inhalt des erwähnten Gesetzesentwurfs enthielt, ersuchte die Kommission die Bundesrepublik Deutschland mit Aufforderungsschreiben vom 5. Juni 2008 um eine Stellungnahme binnen zwei Monaten.

8.

Die deutsche Regierung beantwortete dieses Schreiben noch am selben Tag und informierte die Kommission über den Fortgang der beabsichtigten Gesetzesänderung. Sie teilte mit, dass der Gesetzesentwurf zur Änderung des VW-Gesetzes vom Bundeskabinett beschlossen worden sei und das Gesetzgebungsverfahren unverzüglich eingeleitet werde.

9.

Mit Schreiben vom 1. August 2008 übermittelte die deutsche Regierung einen detaillierten Zeitplan für die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs und informierte die Kommission über dessen Inhalt.

10.

Da die Kommission die Antworten der deutschen Regierung noch immer nicht als zufriedenstellend ansah, forderte sie die Bundesrepublik Deutschland mit einer mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 1. Dezember 2008 auf, binnen zwei Monaten die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um dem Urteil von 2007 nachzukommen. Zu dem Gesetzesentwurf führte die Kommission aus, dass der betreffende Text keine Änderung der Sperrminorität in § 4 Abs. 3 VW-Gesetz vorsehe. Außerdem habe die deutsche Regierung nicht mitgeteilt, was sie im Hinblick auf die Änderung der Satzung von Volkswagen zu tun gedenke, mit denen die unionsrechtswidrigen Bestimmungen des VW-Gesetzes umgesetzt würden. Schließlich sei noch die Änderung des VW-Gesetzes selbst zu notifizieren.

11.

Am 10. Dezember 2008 wurde das gegenüber dem Gesetzesentwurf im Wesentlichen unverändert gebliebene Gesetz vom 8. Dezember 2008 zur Änderung des VW-Gesetzes ( 4 ) (im Folgenden: Änderungsgesetz zum VW-Gesetz) verabschiedet. Durch dieses Gesetz, das am 11. Dezember 2008 in Kraft trat, wurden § 4 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 VW-Gesetz sowie § 101 Abs. 5 des Aktiengesetzes ( 5 ) aufgehoben. Das Gesetz sah jedoch keine Änderungen in Bezug auf § 4 Abs. 3 VW-Gesetz vor.

12.

Da die Parteien weiterhin unterschiedlicher Auffassung über das Urteil von 2007 waren, schlug die deutsche Regierung mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 vor, bezüglich des zwischen ihr und der Kommission streitigen Urteils nach Art. 43 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 102 seiner Verfahrensordnung gemeinsam einen Auslegungsantrag an den Gerichtshof zu richten ( 6 ). Die Kommission antwortete mit Schreiben vom 15. Januar 2009, dass für sie keinerlei Zweifel über Sinn und Tragweite des Urteils von 2007 bestünden und sie daher nicht beabsichtige, einen Auslegungsantrag an den Gerichtshof zu richten.

13.

Die deutsche Regierung antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben vom 29. Januar 2009, in dem sie zu der Schlussfolgerung gelangte, dass sie das Urteil von 2007 mit dem Erlass des Änderungsgesetzes zum VW-Gesetz einwandfrei umgesetzt habe.

14.

Am 21. Februar 2012 hat die Kommission, da ihrer Ansicht nach die Bundesrepublik Deutschland dem Urteil von 2007 nur teilweise nachgekommen ist, die vorliegende Klage erhoben.

II – Verfahren vor dem Gerichtshof und Klageanträge

15.

In ihrer Klageschrift beantragt die Kommission,

festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 2 AEUV verstoßen hat, indem sie nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, zu denen sie nach dem Urteil von 2007 betreffend die Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des VW-Gesetzes verpflichtet gewesen wäre;

der Bundesrepublik Deutschland die Zahlung eines Zwangsgeldes in Höhe von 282725,10 Euro pro Tag sowie eines Pauschalbetrags von 31114,72 Euro pro Tag aufzuerlegen, zahlbar auf das Eigenmittelkonto der Europäischen Union;

der Bundesrepublik Deutschland die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

16.

Die Bundesrepublik Deutschland beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise den von der Kommission beantragten Pauschalbetrag und das beantragte Zwangsgeld nach dem Ermessen des Gerichtshofs herabzusetzen und eine etwaige Zahlungsverpflichtung erst ab einem vom Gerichtshof in seinem Urteil festgelegten Zeitpunkt wirksam werden zu lassen;

die Kosten des Verfahrens der Kommission aufzuerlegen.

17.

In der mündlichen Verhandlung vom 12. März 2013 haben die deutsche Regierung und die Kommission mündlich Stellung genommen. Die Parteien haben außerdem auf meine ihnen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung übermittelten Fragen geantwortet ( 7 ).

III – Prüfung

A – Ist die Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen?

1. Der Sanktionsmechanismus gemäß Art. 260 AEUV

18.

Das Verfahren des Art. 260 Abs. 2 AEUV kann als das letzte Mittel der Kommission beschrieben werden, in ihrer Rolle als „Hüterin des Vertrages“ die Durchsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten. Es handelt sich um ein besonderes gerichtliches Verfahren zur Durchführung von Urteilen, oder anders gesagt, um eine Zwangsmaßnahme, um deren Befolgung sicherzustellen ( 8 ).

19.

In dem vorliegenden Klageverfahren hat die Kommission nicht nur Rügen im Hinblick auf § 4 Abs. 3 VW-Gesetz erhoben, sondern auch in Bezug auf die Satzung von Volkswagen. Zu diesen Rügen führt die deutsche Regierung aus, dass die Satzung durch den Gerichtshof im Urteil von 2007 nicht in Zweifel gezogen worden sei. Daher seien diese Rügen als unzulässig zurückzuweisen.

20.

Zu diesem Punkt reicht es aus, sich zu vergegenwärtigen, dass – gerade im Hinblick auf die besonderen Eigenheiten des Verfahrens zur Durchsetzung nach Art. 260 Abs. 2 AEUV – nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur eine Vertragsverletzung, die er selbst aufgrund von Art. 258 AEUV festgestellt hat, Gegenstand dieses Verfahren sein kann ( 9 ). Da die Satzung vom Gerichtshof im Urteil von 2007 nicht geprüft wurde, halte ich die genannten Rügen für unzulässig ( 10 ).

21.

Vor diesem Hintergrund besteht der Zweck des vorliegenden Verfahrens nicht darin, festzustellen, ob § 4 Abs. 3 VW-Gesetz, wonach für Beschlüsse in der Hauptversammlung von Volkswagen eine Mehrheit von mehr als 80 % des vertretenen Grundkapitals erforderlich ist, gegen Unionsrecht verstößt. Vielmehr geht es bei dieser Klage um die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland dem Urteil von 2007 nicht nachgekommen ist.

22.

Nach dem Erlass eines Feststellungsurteils gemäß Art. 258 AEUV ist der betreffende Mitgliedstaat verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben (Art. 260 Abs. 1 AEUV). Geschieht dies nicht, so spielt die Kommission vor Erhebung einer Klage nach Art. 260 Abs. 2 AEUV eine zentrale Rolle bei der Feststellung, inwieweit der Mitgliedstaat alle Maßnahmen ergriffen hat, um dem ursprünglichen Urteil des Gerichtshofs, in dem eine Vertragsverletzung festgestellt wurde, nachzukommen.

23.

Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof, bevor er darüber entscheidet, ob die erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden, jedoch zunächst feststellen, ob bezüglich § 4 Abs. 3 VW-Gesetz überhaupt auf eine Vertragsverletzung erkannt wurde, aus der sich eine Verpflichtung ergeben könnte, Maßnahmen zur Umsetzung des Urteils zu ergreifen.

24.

Dass die Parteien aus dem Urteil von 2007 unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen, ist bedauerlich. Obgleich unterschiedliche Auffassungen über Sinn und Tragweite von Urteilen zu den unvermeidbaren Aspekten des Rechts gehören, könnte der Gerichtshof bei Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV meines Erachtens dazu beitragen, solche Unsicherheiten zu vermeiden, indem er für eine transparente Urteilsbegründung sorgt und den Urteilstenor sorgfältig formuliert. Es ist zwar Sache der Kommission, in der auf den Rechtsstreit folgenden Phase zu beurteilen, ob ein Mitgliedstaat dem Urteil in hinreichendem Maße nachkommt, doch setzt die Vornahme dieser Beurteilung eine eindeutige Feststellung des Gerichtshofs über das Vorliegen einer Vertragsverletzung voraus.

25.

Dies vorausgeschickt, meine ich, dass das Urteil von 2007 nicht besonders mehrdeutig ist. Wie die vorliegende Rechtssache veranschaulicht, lässt gleichwohl die in diesem Urteil gewählte Formulierung offenbar Raum für einen Streit bezüglich § 4 Abs. 3 VW-Gesetz.

26.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich nicht versuchen werde, zu ergründen, was der „subjektive Sinn“ des Urteils von 2007 ist oder was der Gerichtshof möglicherweise gemeint hat. Stattdessen soll vorliegend im Wege der Auslegung der Sinn des Urteilstenors im Licht der Entscheidungsgründe bestimmt werden. Da der Mitgliedstaat, der die Vertragsverletzung begangen hat, aufgrund dieses Urteils in der Lage sein muss, zu erkennen, worin das vertragsverletzende Verhalten liegt, können in dem vorliegenden Kontext nur Informationen von Bedeutung sein, die sich dem Urteil selbst entnehmen lassen. Mit anderen Worten kann in Anbetracht der finanziellen Sanktionen, um die es vorliegend geht, eine weite Auslegung des Urteils von 2007 nicht akzeptiert werden.

27.

Aus den nachstehend dargelegten Gründen bin ich der Auffassung, dass die von der Bundesrepublik Deutschland vertretene Lesart des Urteils von 2007 gegenüber der von der Kommission vertretenen den Vorzug verdient.

2. Rekonstruktion von Sinn und Tragweite des Urteils von 2007

28.

Im Tenor des Urteils von 2007 hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung mit ( 11 ) § 4 Abs. 3 VW-Gesetz beibehalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen hat.

29.

Dementsprechend wird sich die Feststellung, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 2 AEUV verletzt hat, darum drehen, ob das Urteil von 2007 entweder so zu verstehen ist, dass es i) die Rechtswidrigkeit der drei Bestimmungen jeweils für sich betrachtet feststellt, oder so, dass es ii) stattdessen zwei unterschiedliche Vertragsverletzungen feststellt, und zwar die erste im Hinblick auf § 4 Abs. 1 VW-Gesetz und die zweite im Hinblick auf § 2 Abs. 1 VW-Gesetz in Verbindung mit § 4 Abs. 3 dieses Gesetzes. Die zweitgenannte Lesart (ii) beruht rein auf der Wechselwirkung der betreffenden Bestimmungen. In diesem Fall ergäbe sich die Rechtswidrigkeit somit aus den vereinten Wirkungen dieser Bestimmungen.

30.

Die Kommission trägt vor, dass der Umstand, dass der maßgebliche Teil des Tenors des Urteils von 2007 die Formulierung „in Verbindung mit“ enthalte, es nicht ausschließe, dass jede der beanstandeten Bestimmungen für sich genommen rechtswidrig sei. Tatsächlich bestätige die Begründung des Urteils die Rechtswidrigkeit dieser Bestimmungen.

31.

Die deutsche Regierung tritt dem entgegen. Sie trägt vor, dass der Tenor des Urteils von 2007 nicht so verstanden werden könne, dass er sich auf drei – jeweils für sich betrachtet – rechtswidrige Bestimmungen beziehe. Der Gerichtshof habe zwei Verstöße gegen Art. 56 Abs. 1 EG festgestellt: den ersten im Hinblick auf § 4 Abs. 1 VW-Gesetz und den zweiten im Hinblick auf die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 3 VW-Gesetz zusammengenommen. Dementsprechend ist die deutsche Regierung der Ansicht, dass sie durch die Aufhebung von § 4 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 VW-Gesetz ihren Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV nachgekommen sei.

32.

Meiner Ansicht nach schließt die Verwendung der Formulierung „in Verbindung mit“ im Urteilstenor für sich genommen schon die von der Kommission vorgeschlagene Auslegung aus ( 12 ). In Anbetracht der Bedeutung, die der Begründung eines Urteils bei der Auslegung seines Sinnes zukommt ( 13 ), erscheint es jedoch angebracht, den Tenor des Urteils von 2007 im Licht der vom Gerichtshof gegebenen Begründung seiner Entscheidung zu prüfen.

a) Eine einzige Beschränkung in Bezug auf die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 3 VW-Gesetz

33.

Zunächst ist zu betonen, dass die Begründung des Urteils von 2007, insbesondere die Ausführungen in den Randnrn. 31 bis 56, meines Erachtens die von der Kommission vertretene Ansicht nicht stützen.

34.

Erstens hielt es der Gerichtshof für angebracht, angesichts des Vorbringens der Parteien zu den einzelnen Rügen, die von der Kommission in Bezug auf die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 3 VW-Gesetz erhoben wurden, und der kumulativen Wirkungen dieser Bestimmungen die Rügen gemeinsam zu prüfen ( 14 ). In dieser Hinsicht ist meines Erachtens hervorzuheben, dass der Gerichtshof ausdrücklich auf die kumulativen Wirkungen der angegriffenen Bestimmungen Bezug genommen hat ( 15 ).

35.

Zweitens stützt sich die Kommission auf eine Reihe von Randnummern des Urteils von 2007 ( 16 ), die – für sich genommen – so ausgelegt werden könnten, dass sie ihre Ansicht stützen. Insoweit ist jedoch die Bedeutung einer Gesamtbetrachtung der Feststellungen des Gerichtshofs zu den in Rede stehenden Bestimmungen hervorzuheben.

36.

Nach meinem Verständnis des Urteils von 2007 liegt der Entscheidung des Gerichtshofs, die Rügen betreffend die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 3 VW-Gesetz gemeinsam zu prüfen, die vereinte Wirkung dieser Bestimmungen zugrunde. Dies zeigt sich daran, dass sich der Gerichtshof dafür entschieden hat, die Wirkungen des Höchststimmrechts in Wechselwirkung mit der in § 4 Abs. 3 VW-Gesetz enthaltenen Sperrminorität zu prüfen ( 17 ).

37.

In Randnr. 50 des Urteils von 2007 hat der Gerichtshof ausgeführt, dass § 4 Abs. 3 VW-Gesetz auf ein Instrument hinauslaufe, das den öffentlichen Akteuren ermögliche, sich selbst eine Sperrminorität zu sichern, da das Land Niedersachsen weiterhin mit etwa 20 % am Kapital von Volkswagen beteiligt sei. Dies ermögliche ihnen, mit einer geringeren Investition als nach dem deutschen Aktiengesetz erforderlich, wichtige Entscheidungen zu blockieren.

38.

Die Kommission legt diese Randnummer des Urteils von 2007 so aus, dass sie das Bestehen einer Beschränkung im Hinblick auf § 4 Abs. 3 VW-Gesetz für sich genommen bestätige. Ich warne jedoch davor, sich zu sehr auf diesen einen Absatz zu stützen.

39.

Meiner Ansicht nach ist Randnr. 50 des Urteils in Verbindung mit Randnr. 51 zu lesen, in der der Gerichtshof feststellt, dass § 2 Abs. 1 VW-Gesetz durch die Begrenzung des Stimmrechts auf ebenfalls 20 % einen rechtlichen Rahmen vervollständige, der den öffentlichen Akteuren ermögliche, mit einer solchen, geringeren Investition wesentlichen Einfluss auszuüben. Gerade dieser rechtliche Rahmen, der aus der Wechselwirkung der beanstandeten Bestimmungen resultiert, liegt der vom Gerichtshof vorgenommenen Prüfung, ob eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit und insbesondere von Direktinvestitionen besteht, zugrunde.

40.

An diesem Punkt ist darauf hinzuweisen, dass Kapitalbewegungen im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG Direktinvestitionen umfassen, also Investitionen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmen, für die die Mittel zum Zweck einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind ( 18 ). Das Ziel der Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen setzt voraus, dass die Aktien eines Investors ihm die Möglichkeit geben, sich effektiv an der Verwaltung dieses Unternehmens oder an dessen Kontrolle zu beteiligen ( 19 ).

41.

In Bezug auf Direktinvestitionen sind nationale Maßnahmen als Beschränkungen im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG anzusehen, wenn sie geeignet sind, den Erwerb von Aktien der betreffenden Unternehmen zu verhindern oder zu beschränken oder aber Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuschrecken, in das Kapital dieser Unternehmen zu investieren ( 20 ).

42.

Darüber hinaus beruft sich die Kommission auf den ersten Satz in Randnr. 54 des Urteils von 2007. Insbesondere trägt sie vor, dass die Verwendung des Wortes „Beschränkungen“ im Plural bestätige, dass zwei voneinander unabhängige Verstöße im Hinblick auf die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 3 VW-Gesetz festgestellt worden seien.

43.

Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof in dieser Randnummer einerseits festgestellt hat, dass die „Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs, die Gegenstand der vorliegenden Klage sind, eher die Direktinvestitionen in das Kapital von Volkswagen als die Portfolio-Investitionen [betreffen], die … von der vorliegenden Klage nicht erfasst werden“ ( 21 ). Andererseits ist der Gerichtshof im Hinblick auf die Direktinvestitionen – die dem ersten Satz zufolge Gegenstand des Verfahrens waren – zu dem Ergebnis gekommen, dass „§ 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 VW-Gesetz das Interesse am Erwerb einer Kapitalbeteiligung an Volkswagen verringern, da mit ihnen ein Instrument bereitgestellt wird, das die Möglichkeit für die [direkten] Anleger einschränken kann, sich an der Gesellschaft zu beteiligen, um dauerhafte und direkte Wirtschaftsbeziehungen mit ihr zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, die es ihnen ermöglichen, sich effektiv an ihrer Verwaltung oder ihrer Kontrolle zu beteiligen“ ( 22 ).

44.

Meines Erachtens lassen weder die Verwendung des Wortes „Beschränkungen“ im Plural noch das Fehlen der Worte „in Verbindung mit“ in dieser Randnummer eine eindeutige Schlussfolgerung zu. Im ersten Satz wird lediglich die Beurteilung der behaupteten Beschränkungen auf Direktinvestitionen begrenzt und die Prüfung von Portfolio-Investitionen ausgeschlossen, weil sie irrelevant sind. Im zweiten Satz wendet der Gerichtshof seine Rechtsprechung zu Direktinvestitionen auf den ihm vorliegenden Fall an. Seiner Ansicht nach verringern die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 3 VW-Gesetz zusammen das Interesse der Investoren am Erwerb einer Beteiligung an Volkswagen, weil sie einen rechtlichen Rahmen – oder ein Instrument – schaffen, mit dem die Fähigkeit der Direktinvestoren, sich an der Gesellschaft zu beteiligen, um dauerhafte Wirtschaftsbeziehungen mit ihr zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, eingeschränkt werden kann ( 23 ). Mit anderen Worten ist es die Wechselwirkung dieser beiden Bestimmungen, die zu dieser Beschränkung führt.

45.

Jede andere Auslegung würde meiner Ansicht nach Randnr. 56 des Urteils von 2007 außer Betracht lassen, worin der Gerichtshof festgestellt hat, dass das Zusammenspiel von § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 VW-Gesetz eine Beschränkung des Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG darstellt.

46.

Demzufolge ist davon auszugehen, dass mit der Aufhebung von § 2 Abs. 1 VW-Gesetz der betreffende rechtliche Rahmen entfällt, wodurch die unerwünschten Auswirkungen der Wechselwirkung zwischen § 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 VW-Gesetz beendet sind, nämlich die Beschränkung von Direktinvestitionen in Volkswagen, die – wie aus dem Urteil von 2007 klar hervorgeht – im Zentrum der Rügen der Kommission stand. Obgleich ich nicht davon überzeugt bin, dass dasselbe Ergebnis durch Aufhebung von § 4 Abs. 3 anstelle von § 2 Abs. 1 VW-Gesetz hätte erreicht werden können, scheinen sowohl die Begründung des Urteils von 2007 als auch sein Tenor eine solche Lösung zuzulassen.

47.

Darüber hinaus glaube ich nicht, dass die übrige Beurteilung der beanstandeten Bestimmungen des VW-Gesetzes durch den Gerichtshof in der Weise ausgelegt werden, dass sie diese Analyse widerlegt.

b) Weitere Überlegungen zum Urteil von 2007

48.

Nachdem er festgestellt hatte, dass eine Beschränkung vorliegt, hat der Gerichtshof geprüft, ob die beanstandeten Bestimmungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Da die von der Bundesrepublik Deutschland geltend gemachten Interessen, namentlich der Schutz von Arbeitnehmern und Minderheitsaktionären, die betreffenden Beschränkungen nicht rechtfertigen konnten, hat der Gerichtshof entschieden, dass den „auf einen Verstoß gegen Art. 56 Abs. 1 EG gestützten Rügen der Kommission zu folgen [ist]“ ( 24 ).

49.

Auch hier könnte diese Randnummer für sich genommen so ausgelegt werden, dass sie das von der Kommission vertretene Verständnis des Urteils von 2007 stützt. Berücksichtigt man das Zwischenergebnis, zu dem der Gerichtshof in Randnr. 56 des Urteils von 2007 bezüglich des Vorliegens einer Beschränkung gelangt ist, so scheint die Formulierung in Randnr. 81 unglücklich gewählt ( 25 ). Allerdings wird der Widerspruch zwischen den beiden Randnummern dadurch gemildert, dass der Gerichtshof in Randnr. 82 beim Abschluss seiner Prüfung erneut bekräftigt, dass „die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 VW-Gesetz beibehalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen hat.“

50.

Dass der Gerichtshof gemäß dem Antrag der Kommission der Bundesrepublik Deutschland die Kosten auferlegt hat, weil Deutschland „mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist“ ( 26 ), widerspricht meinem Verständnis des Urteils von 2007 nicht. Insoweit ist es nämlich irrelevant, ob die Bundesrepublik Deutschland in Bezug auf alle Rügen, die die Kommission im Kontext von Art. 56 Abs. 1 EG gegen das VW-Gesetz erhoben hat, unterlegen ist oder nur in Bezug auf zwei Drittel dieser Rügen ( 27 ).

51.

Schließlich halte ich die von der Kommission vorgetragenen Argumente zur Bedeutung der Rechtsprechung zu den „golden shares“ ( 28 ) bei der Auslegung des Urteils von 2007 nicht für überzeugend. Es trifft zu, dass die Rechtsprechung die Grundlage für die Prüfung der Frage, ob eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vorliegt und gegebenenfalls gerechtfertigt ist, darstellt, wie sich aus der Argumentation des Gerichtshofs eindeutig ergibt ( 29 ). Darauf kann jedoch eine weite Auslegung des Urteils von 2007 nicht gestützt werden.

52.

Besondere Bedeutung ist hierbei dem Kontext beizumessen. Wie schon dargelegt, ist das Urteil von 2007 in dem Rahmen von Art. 258 AEUV (früher Art. 226 EG) ergangen. Auch wenn die Kommission bei der Beurteilung der Frage, in welchem Umfang die von einem Mitgliedstaat ergriffenen Maßnahmen ein Urteil umsetzen, ein erhebliches Ermessen hat, sollte ihr meines Erachtens nicht die Befugnis zugestanden werden, einseitig die Tragweite eines Feststellungsurteils des Gerichtshofs ex post aufgrund anderer vergleichbarer, aber nicht identischer Fälle auszudehnen ( 30 ).

53.

Die gleiche Vorsicht ist geboten im Hinblick auf das Vorbringen der Kommission, dass das Urteil von 2007 im Licht der Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, zu verstehen sei ( 31 ). Es sei daran erinnert, dass der Generalanwalt die von der deutschen Regierung vorgebrachten Argumente zurückgewiesen und dem Gerichtshof vorgeschlagen hat, die drei angegriffenen Bestimmungen für rechtswidrig zu erklären. Auch wenn die Schlussanträge von Generalanwalt zweifellos eine eingehende Analyse der rechtlichen und politischen Fragen enthalten, die dem Urteil des Gerichtshofs zugrunde liegen, muss die abweichende Formulierung, die im Tenor des Urteils in Bezug auf das Vorliegen rechtswidriger Beschränkungen verwendet wurde, angemessen berücksichtigt werden.

54.

Aufgrund dessen und weil der Zweck des vorliegenden Verfahrens nicht darin besteht, festzustellen, ob § 4 Abs. 3 VW-Gesetz für sich genommen gegen Unionsrecht verstößt, besteht keine Notwendigkeit, eingehender zu prüfen, ob die in § 4 Abs. 3 VW-Gesetz vorgesehene Sperrminorität einen Verstoß gegen Unionsrecht darstellt. Diese Frage sollte meiner Ansicht nach in einem Verfahren nach Art. 258 AEUV entschieden werden ( 32 ).

55.

Meines Erachtens sollte die Klage der Kommission daher abgewiesen werden, und die Kosten sollten der Kommission auferlegt werden.

56.

Für den Fall jedoch, dass der Gerichtshof meiner Auslegung des Urteils von 2007 nicht beipflichtet, werde ich zu den finanziellen Sanktionen Stellung nehmen.

B – Finanzielle Sanktionen

1. Vorfragen

57.

Käme der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik Deutschland das Urteil von 2007 nicht umgesetzt hat, wäre gemäß Art. 260 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV die Verhängung eines Zwangsgeldes und/oder eines Pauschalbetrags möglich ( 33 ). Nach der Rechtsprechung stellen die Vorschläge der Kommission bezüglich finanzieller Sanktionen zwar einen nützlichen Bezugspunkt dar, binden den Gerichtshof jedoch nicht. Dementsprechend ist es Sache des Gerichtshofs, unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten der Rechtssache im Einzelfall die Höhe der zu verhängenden finanziellen Sanktionen zu bestimmen ( 34 ).

58.

Die Kommission schlägt unter Zugrundelegung der in ihrer „Mitteilung zur Anwendung von Art. 228 EG-Vertrag“ ( 35 ) dargelegten Berechnungsmethode zur Bemessung finanzieller Sanktionen vor, der Bundesrepublik Deutschland ein Zwangsgeld in Höhe von 282725,10 Euro pro Tag der Nichtumsetzung des Urteils von 2007 aufzuerlegen. Dieser Vorschlag beruht auf einem einheitlichen Grundbetrag von 630 Euro, der mit einem Schwerekoeffizienten von 7, einem Dauerkoeffizienten von 3 sowie einem speziellen Faktor „n“ von 21,37 multipliziert wird ( 36 ).

59.

Hinsichtlich des Pauschalbetrags schlägt die Kommission unter Berücksichtigung aller rechtlicher und tatsächlicher Umstände des in Rede stehenden Verstoßes einen Tagessatz von 31114,72 Euro (als Produkt eines pauschalen Grundbetrags von 208 Euro, eines Schwerekoeffizienten von 7 und eines speziellen Faktors „n“ von 21,37) vor, der mit der Zahl der Tage zu multiplizieren ist, die zwischen der Verkündung des Urteils von 2007 und dem Tag liegen, an dem die Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen nachkommt, beziehungsweise, falls sie diesen nicht nachkommen sollte, bis zum Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache.

60.

Unter Heranziehung der von der Kommission erstellten Richtlinien als Ausgangspunkt prüft der Gerichtshof systematisch drei grundlegende Kriterien: Grad der Schwere des Verstoßes, seine Dauer und Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaats ( 37 ). Genauer gesagt, beurteilt der Gerichtshof, welche Folgen die Nichterfüllung der Verpflichtungen für die privaten und öffentlichen Interessen hat und wie dringend es ist, den betreffenden Mitgliedstaat zu veranlassen, seinen Verpflichtungen nachzukommen ( 38 ). Insoweit hat der Gerichtshof durchweg entschieden, dass die zu verhängenden finanziellen Sanktionen in einer Höhe festzusetzen sind, die sowohl den Umständen angemessen ist als auch im Verhältnis zur festgestellten Vertragsverletzung steht und darüber hinaus der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats angemessen ist ( 39 ).

61.

An diesem Punkt möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Wirtschaftsdaten, die die Kommission ihren Vorschlägen zugrunde legt, seit der Erhebung der Klage verändert haben. Insoweit erscheint es angemessen, möglicherweise eingetretene Änderungen dieser Daten zu berücksichtigen. Dies bezieht sich insbesondere auf die erforderliche Beurteilung der Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaats unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen der Inflation und des BIP in diesem Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof ( 40 ).

62.

Meiner Ansicht nach entspricht der Rückgriff auf die aktualisierten Daten den für den Bereich finanzieller Sanktionen geltenden Grundsätzen der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit ( 41 ). Dementsprechend lege ich meiner Berechnung die aktuellsten verfügbaren Daten, also die aus der Mitteilung der Kommission von 2012 ( 42 ), zugrunde. In dieser Mitteilung ist der einheitliche pauschale Grundbetrag für die Berechnung des Zwangsgeldes mit 640 Euro pro Tag und für den Pauschalbetrag mit 210 Euro angegeben, und der spezielle Länderfaktor „n“ für die Bundesrepublik Deutschland beläuft sich auf 21,12 ( 43 ).

2. Besondere Umstände des hier vorliegenden Falles

63.

Der vorliegende Fall wirft mehrere grundsätzliche Fragen auf. Insbesondere ist zu klären, ob – und falls ja, wie – die behauptete Mehrdeutigkeit des Urteils von 2007, der Zeitraum von drei Jahren zwischen dem Ende des vorgerichtlichen Verfahrens und der Einleitung des Verfahrens vor dem Gerichtshof und schließlich der Vorschlag der Bundesrepublik Deutschland, einen gemeinsamen Auslegungsantrag an den Gerichtshof zu richten, bei der Berechnung der finanziellen Sanktionen zu berücksichtigen sind.

64.

Diese Faktoren werden untersucht, bevor ich mich der Berechnung der finanziellen Sanktionen im Detail zuwende.

a) Sollte sich die behauptete Mehrdeutigkeit des Urteils von 2007 auf die Verhängung finanzieller Sanktionen auswirken?

65.

Die deutsche Regierung hat in ihrem Vorbringen durchgängig geltend gemacht, dass der Gerichtshof in Ermangelung einer klaren und eindeutigen rechtlichen Grundlage für die sich aus dem Urteil von 2007 ergebenden Verpflichtungen von der Verhängung finanzieller Sanktionen ganz absehen sollte.

66.

Dieses Argument kann ich nicht akzeptieren. Andernfalls würde meines Erachtens dem Zweck von Art. 260 AEUV – dem Erfordernis, die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten – nicht Genüge getan.

67.

Es ist daran zu erinnern, dass das spezielle System der sich ergänzenden Art. 258 und 260 AEUV, das die Befolgung des Unionsrechts sichern soll, von den Mitgliedstaaten selbst entworfen wurde. Als ein dem Unionsrecht eigentümliches Verfahren sui generis, das den wichtigsten Mechanismus zur Verhängung von Sanktionen gegen säumige Mitgliedstaaten bietet, ist das in Art. 260 AEUV geregelte Verfahren von einem zivilrechtlichen Verfahren zu unterscheiden ( 44 ).

68.

Dementsprechend sind die dem säumigen Mitgliedstaat zustehenden Rechte in Bezug auf gegen ihn zu verhängende finanzielle Sanktionen vom Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung eng ausgelegt worden. Insbesondere sind diese Rechte im Licht des mit Art. 260 AEUV verfolgten Ziels zu sehen, das darin besteht, die Einhaltung der betreffenden Rechtsvorschriften zu gewährleisten ( 45 ). Vor diesem Hintergrund ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Schlussfolgerungen, die sich seiner Ansicht nach aus dem Urteil, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird, ergeben, zu ziehen und die Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen erforderlichenfalls vor dem Gerichtshof im Verfahren nach Art. 260 AEUV zu rechtfertigen ( 46 ).

69.

Zur Erfüllung der Mindestanforderungen im Hinblick auf diese Rechte reicht es aus, dass dem Mitgliedstaat Gelegenheit gegeben worden ist, seine Auffassung zu allen rechtlichen und tatsächlichen Fragen zu äußern, die für die Feststellung, dass der behauptete Verstoß fortgedauert hat, und für die Entscheidung über die Schwere des Verstoßes und die Maßnahmen, die zu seiner Beendigung getroffen werden können, erforderlich sind ( 47 ). Wurde hierzu Gelegenheit gegeben, darf der Gerichtshof die seiner Ansicht nach angemessenen finanziellen Sanktionen verhängen, um für eine schnellstmögliche Umsetzung des ursprünglichen Urteils zu sorgen und erneuten ähnlichen Verstößen gegen das Unionsrecht vorzubeugen ( 48 ).

70.

Anders gesagt, könnte gegen die Notwendigkeit der Verhängung finanzieller Sanktionen mit Erfolg argumentiert werden, dass ein Urteil des Gerichtshofs mehrdeutig sei, würde Art. 260 AEUV zu einem stumpfen Schwert. Darüber hinaus würde diese Lösung dazu führen, dass der Gerichtshof seine Feststellungsurteile nach Art. 258 AEUV systematisch auf Mehrdeutigkeit prüfen müsste, aufgrund deren die Mitgliedstaaten möglicherweise von der Verhängung finanzieller Sanktionen auszunehmen wären. Dies würde offenkundig in Widerspruch zum Ziel von Art. 260 AEUV stehen, die Nichteinhaltung des Unionsrechts so schnell wie möglich zu beenden. In dieser Beziehung stellt das Risiko der Verhängung finanzieller Sanktionen einen starken Anreiz für die Mitgliedstaaten dar, den Verstoß unverzüglich abzustellen.

71.

Dessen ungeachtet ließe sich argumentieren, dass die behauptete Mehrdeutigkeit des Urteils von 2007 als Milderungsgrund bei der Feststellung der Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen ist. Dies wäre gerechtfertigt, da der Inhalt der Verpflichtungen eines Mitgliedstaats endgültig erst in dem Urteil festgelegt wird, mit dem das Zwangsgeld verhängt wird ( 49 ).

72.

Auch wenn es dem Gerichtshof freisteht, sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die er für relevant hält, würde ich diese Herangehensweise nicht empfehlen. In Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV hat der Gerichtshof lediglich festzustellen, dass gegen eine Bestimmung des Unionsrechts verstoßen wurde ( 50 ). Er nimmt jedoch nicht dazu Stellung, welche Maßnahmen von dem betreffenden Mitgliedstaat getroffen werden müssen, um den Verstoß zu beenden. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Urteil, in dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird, auch Raum für Streit über die erforderlichen Maßnahmen lässt.

73.

Außerdem rührt die Nichterfüllung der sich aus dem ursprünglichen Urteil nach Art. 258 AEUV ergebenden Verpflichtungen daher, dass Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Verträgen nicht nachgekommen wurde. Die betreffenden Rechtsvorschriften, aus denen sich diese Verpflichtungen ergeben, werden aber als solche nicht davon berührt, wie das die jeweilige Vertragsverletzung feststellende Urteil formuliert ist. Daher dürfte meiner Ansicht nach die Klarheit der betreffenden Unionsrechtsbestimmungen in einigen Fällen einen geeigneteren Maßstab für die Beurteilung der Schwere abgeben als die Klarheit von Urteilen, die eine Vertragsverletzung feststellen ( 51 ).

74.

Aus den genannten Gründen bin ich der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland zur Verteidigung gegen die Verhängung finanzieller Sanktionen nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass das Urteil von 2007 mehrdeutig sei.

b) Wer sollte handeln, wenn Uneinigkeit über die Umsetzung besteht?

75.

In der mündlichen Verhandlung sind die Parteien aufgefordert worden, ihre Ansicht zu der Frage darzulegen, ob unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache eine der Parteien verpflichtet war, innerhalb einer bestimmten Frist zu handeln, und falls ja, wie die Unterlassung dieses Handelns bei der Berechnung der finanziellen Sanktionen berücksichtigt werden sollte. Im Kern geht es also um die Klärung der Frage, wer das Risiko der Untätigkeit tragen sollte, nachdem deutlich geworden ist, dass die Parteien miteinander unvereinbare Ansichten darüber haben, ob das ursprüngliche Urteil umgesetzt wurde.

76.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Kommission nach Art. 258 AEUV ein weites Ermessen bei der Entscheidung zukommt, ob sie ein Verfahren einleitet und in welchem zeitlichen Rahmen sie eine Klage wegen Nichterfüllung von Verpflichtungen erhebt ( 52 ). Allerdings bleibt im Kontext von Art. 260 AEUV der genaue Umfang dieses Ermessens vom Gerichtshof festzulegen.

77.

Zwischen diesen beiden Bestimmungen können Parallelen gezogen werden. Wie Art. 258 Abs. 2 AEUV enthält auch Art. 260 Abs. 2 AEUV keine Frist für die Erhebung der Klage beim Gerichtshof. Es scheint tatsächlich so, dass diese Bestimmungen der Kommission insoweit ein weites Ermessen einräumen ( 53 ). Meines Erachtens spricht das Fehlen eines verpflichtenden Wortlauts, das beiden Bestimmungen gemeinsam ist, für eine entsprechende Übertragung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 258 AEUV, insbesondere in Bezug auf das der Kommission zustehende Ermessen bezüglich des angemessenen Zeitpunkts für die Anrufung des Gerichtshofs. ( 54 )

78.

In dieser Hinsicht ist das Ermessen der Kommission, eine Klage wegen der Nichterfüllung von Verpflichtungen zu erheben, nur insoweit beschränkt, als ihr Verhalten die Verteidigungsrechte des betreffenden Mitgliedstaats verletzt ( 55 ). Behindert die ungewöhnlich lange Dauer des Verfahrens den Mitgliedstaat in seiner Verteidigung, kann dies zur Unzulässigkeit der gemäß Art. 258 AEUV erhobenen Klage führen ( 56 ).

79.

Im vorliegenden Fall gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Verhalten der Kommission und die Länge der Zeit, die seit dem Ende des vorgerichtlichen Verfahrens verstrichen ist, irgendeinen Einfluss auf die Art und Weise gehabt hat, wie die Bundesrepublik Deutschland sich verteidigt hat.

80.

Meiner Ansicht nach kommt im Zusammenhang mit Art. 260 AEUV eine Beschränkung der Verteidigungsrechte nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht, und die Kommission ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist den Gerichtshof anzurufen ( 57 ). Allerdings ergibt sich daraus die folgende Frage: Selbst wenn die Verzögerung der Klageerhebung beim Gerichtshof die Zulässigkeit der Klage nicht berührt, sollte sie einen Einfluss auf die Verhängung finanzieller Sanktionen haben?

81.

Auf den ersten Blick scheint es angemessen, das Verhalten der Kommission in irgendeiner Weise zu berücksichtigen, denn je länger die Zeitspanne bis zur Erhebung der Klage beim Gerichtshof ist, desto länger dauert die Nichtumsetzung an. Die Verzögerung bei der Anrufung des Gerichtshofs nach Abschluss des vorgerichtlichen Verfahrens könnte in einigen Fällen tatsächlich dem Ziel abträglich sein, dass die Umsetzung „baldmöglichst“ erfolgt ( 58 ) und letztlich die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts gewährleistet wird.

82.

Diese Anomalie reicht jedoch für sich nicht aus, um Art. 260 AEUV dahin auszulegen, dass er eine spezifische Frist enthält, innerhalb deren der Gerichtshof anzurufen ist.

83.

Von der Kommission zu verlangen, die Sache innerhalb einer spezifischen Frist dem Gerichtshof vorzulegen – und ihr Untätigbleiben in dieser Frist damit zu ahnden, dass gegen den Mitgliedstaat keine oder nur geringere finanzielle Sanktionen verhängt werden dürfen – würde meines Erachtens dem Ziel des Sanktionsmechanismus zuwiderlaufen ( 59 ). Der Grund dafür ist, dass ein solches Erfordernis die Kommission ihrer Mittel berauben würde, um die Mitgliedstaaten zu veranlassen, die erforderlichen Maßnahmen baldmöglichst zu ergreifen, einschließlich des wirtschaftlichen Drucks finanzieller Sanktionen.

84.

Dies vorausgeschickt, scheint der Umstand, dass in der vorliegenden Rechtssache zwischen dem Abschluss des vorgerichtlichen Verfahrens und der Anrufung des Gerichtshofs drei Jahre verstrichen sind, mit dem Ziel einer schnellen und effizienten Lösung der Nichtumsetzung nicht völlig in Einklang zu stehen. ( 60 ) Insoweit ist das Handeln der Kommission sicher nicht bar jeder Kritik.

85.

Ungeachtet des Verhaltens der Kommission bleibt es jedoch dabei, dass der Mitgliedstaat verpflichtet ist, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unionsrecht nachzukommen. Wenngleich Art. 260 AEUV keine Frist vorgibt, innerhalb deren das ursprüngliche, die Vertragsverletzung feststellende Urteil umgesetzt werden muss, hat der Gerichtshof durchgängig entschieden, dass das Gebot der sofortigen und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts bedeute, dass „diese Umsetzung sofort in Angriff genommen und innerhalb kürzestmöglicher Frist abgeschlossen wird“ ( 61 ).

86.

Die Verantwortung für das Abstellen des Verstoßes liegt einzig und allein bei dem betreffenden Mitgliedstaat. Da Art. 260 AEUV eine zwangsweise Methode der Durchsetzung vorsieht und die Möglichkeit der Verhängung finanzieller Sanktionen Mitgliedstaaten davon abhalten soll, weiterhin nicht umzusetzen, halte ich es nicht für angebracht, wegen des Verhaltens der Kommission in der vorliegenden Rechtssache die Bundesrepublik Deutschland von finanziellen Sanktionen auszunehmen oder tatsächlich deren Höhe herabzusetzen. Allgemein würde diese Herangehensweise in der Praxis den Zwangscharakter von Art. 260 AEUV schwächen und die Umsetzung als weniger attraktive Alternative erscheinen lassen ( 62 ).

87.

Schließlich ist für mich, da in Art. 260 Abs. 1 AEUV ausdrücklich das Erfordernis aufgestellt ist, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, kein Grund ersichtlich, weshalb die Bundesrepublik Deutschland nicht selbst einen Auslegungsantrag an den Gerichtshof hätte richten können, um das finanzielle Risiko zu verringern ( 63 ). Da jedoch die Stellung eines solchen Antrags keine Voraussetzung für das Sanktionsverfahren ist, sollte der Umstand, dass sie sich nicht zu dieser Vorgehensweise entschlossen hat, auch keinen Einfluss auf die Beurteilung der angemessenen finanziellen Sanktionen haben ( 64 ).

88.

Ich wende mich nun der Berechnung der finanziellen Sanktionen zu, beginnend mit dem Zwangsgeld.

3. Das Zwangsgeld

89.

Das Zwangsgeld soll den säumigen Mitgliedstaat veranlassen, eine andauernde Vertragsverletzung abzustellen ( 65 ). Für die Frage, ob ein Zwangsgeld verhängt werden sollte, ist entscheidend, ob eine Vertragsverletzung noch andauert, wenn die Rechtssache vom Gerichtshof geprüft wird.

90.

Für den Fall, dass der Gerichtshof der Klage der Kommission im Hinblick auf das Vorliegen einer Vertragsverletzung stattgeben sollte, scheint zwischen den Parteien unstreitig zu sein, dass die Bundesrepublik Deutschland diese allein deshalb noch nicht abgestellt hat, weil § 4 Abs. 3 VW-Gesetz unverändert in Kraft ist.

91.

Unter diesen Umständen und gesetzt den Fall, dass der Gerichtshof nicht mit meiner Auslegung des Urteils von 2007 übereinstimmen sollte, bin ich der Auffassung, dass gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Zwangsgeld verhängt werden sollte.

a) Schwere des behaupteten Verstoßes

92.

Zur Schwere des Verstoßes ist anzumerken, dass Art. 56 EG einen fundamentalen Grundsatz aufstellt, der zu den Grundpfeilern des Binnenmarkts zählt. Um das Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen, ist es zwingend erforderlich, dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten abgeschafft werden ( 66 ).

93.

In der Analyse der Kommission führt der von ihr behauptete Verstoß zu einer Situation, in der die öffentlichen Akteure die Möglichkeit behalten, in einem Maße Einfluss auf ein Unternehmen auszuüben, das den Umfang ihrer Beteiligung an ihm übersteigt. Insbesondere könnte das Handeln der öffentlichen Akteure in einem privaten Unternehmen mit gesetzlich vorgesehenen Mitteln (d. h. durch Anordnung der Sperrminorität in § 4 Abs. 3 VW-Gesetz) die Fähigkeit anderer Investoren beschränken, sich an diesem Unternehmen zu beteiligen, um dauerhafte und direkte Wirtschaftsbeziehungen mit ihm zu schaffen oder aufrechtzuerhalten.

94.

Obwohl die Verletzung von Grundprinzipien der Verträge sehr ernst zu nehmen ist ( 67 ), ist zu bemerken, dass die Bundesrepublik Deutschland eine teilweise Umsetzung des Urteils von 2007 vorgenommen hat, indem sie die §§ 2 Abs. 1 und 4 Abs. 1 VW-Gesetz aufgehoben hat. Dieser Umstand sollte meines Erachtens die Schwere des in Rede stehenden Verstoßes abmildern.

95.

Außerdem wäre ich dazu geneigt, zu argumentieren, dass die in § 4 Abs. 3 VW-Gesetz geregelte Sperrminorität ohne den durch das in § 2 Abs. 1 VW-Gesetz vorgesehene Höchststimmrecht gebildeten Rahmen nur sehr begrenzte Auswirkungen auf den Kapitalverkehr hat. Gewiss ist unbestritten, dass die Sperrminorität von der im Aktiengesetz vorgesehenen allgemeinen Grenze von 25 % abweicht und dass es sich um eine spezifische Regelung handelt, die den Aktionären im Wege der Gesetzgebung auferlegt wird. Gleichwohl ist für die Beurteilung der Schwere des behaupteten Verstoßes von Bedeutung, dass die Sperrminorität allen Aktionären – Klein- und Großaktionären – ohne Unterschied zugute kommt. Daher bin ich nicht davon überzeugt, dass eine solche Sperrminorität – selbst wenn dabei berücksichtigt wird, dass sich noch eine Beteiligung im Umfang von ca. 20 % am Kapital von Volkswagen in den Händen öffentlicher Akteure, namentlich des Landes Niedersachsen, befindet – den Kapitalverkehr erheblich beschränken kann.

96.

Nach alledem bin ich der Auffassung, dass ein Schwerekoeffizient von 2 die Schwere des Verstoßes angemessen widerspiegelt.

b) Dauer und Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaats

97.

Die Dauer des Verstoßes gegen Art. 260 Absatz 1 AEUV, die ab dem Tag zu berechnen ist, an dem der Gerichtshof das Urteil von 2007 verkündet hat, beträgt gegenwärtig fünf Jahre und sieben Monate. Auch wenn die Bestimmung keine Zeitspanne vorsieht, innerhalb deren ein Urteil umgesetzt werden muss, muss die Umsetzung nach der Rechtsprechung sofort in Angriff genommen werden und innerhalb kürzestmöglicher Frist abgeschlossen sein ( 68 ).

98.

Sollte der Gerichtshof feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ihre Verpflichtungen aus dem Urteil von 2007 nicht umgesetzt hat, ist dieses Versäumnis besonders zu kritisieren, weil die zur Umsetzung des Urteils von 2007 erforderlichen Maßnahmen als unkompliziert anzusehen sind. Wie schon die Verabschiedung des Änderungsgesetzes zum VW-Gesetz veranschaulicht, hätte die vollständige Umsetzung des Urteils von 2007 auf keine nennenswerten Schwierigkeiten stoßen dürfen.

99.

Somit erscheint ein Koeffizient von 3 der Dauer des Verstoßes angemessen Rechnung zu tragen.

100.

Bezüglich der Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Multiplikation des Grundbetrags mit einem für den Mitgliedstaat spezifischen Koeffizienten eine angemessene Methode zur Berücksichtigung der Zahlungsfähigkeit dieses Staates darstellt und gleichzeitig die Beschränkung der Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten auf ein angemessenes Maß gewährleistet ( 69 ). Demzufolge ist in der vorliegenden Rechtssache die Anwendung eines Faktors „n“ von 21,12 für die Bundesrepublik Deutschland angemessen ( 70 ).

101.

Schließlich stimme ich der deutschen Regierung nicht darin zu, dass ihr eine zusätzliche Zeitspanne zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gewährt werden sollte. Diese Forderung stützt sie auf das Fehlen einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage, aus der sich ihre Verpflichtungen ergeben ( 71 ).

102.

Wie bereits ausgeführt, sollte die behauptete Mehrdeutigkeit eines Urteils nicht als Umstand gewertet werden, der Einfluss auf die Beurteilung der Schwere des Verstoßes hat. Da das Urteil von 2007 den Inhalt der sich aus Art. 56 EG ergebenden Verpflichtungen des Mitgliedstaats in keiner Weise geändert hat, besteht keine Notwendigkeit, der Bundesrepublik Deutschland eine weitere Schonfrist zu gewähren.

103.

Aus diesen Gründen bin ich der Auffassung, dass die Zahlung eines Zwangsgeldes von 81100,80 Euro pro Tag (= 640 x 2 x 3 x 21,12) gegen die Bundesrepublik Deutschland verhängt werden sollte, und zwar vom Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache bis zur vollständigen Umsetzung des Urteils von 2007.

4. Der Pauschalbetrag

104.

Zusätzlich zur Zahlung eines Zwangsgeldes kann der Gerichtshof einen Pauschalbetrag verhängen, damit auf den Mitgliedstaat, der den Verstoß begangen hat, ein hinreichender finanzieller Zwang ausgeübt wird, um ihn zur Abstellung der in dem ursprünglichen Urteil nach Art. 258 AEUV festgestellten Vertragsverletzung zu veranlassen ( 72 ).

105.

Das Zwangsgeld soll den säumigen Mitgliedstaat dazu veranlassen, einen Verstoß so schnell wie möglich nach der Verkündung eines Urteil in Verfahren nach Art. 260 AEUV abzustellen. Im Gegensatz dazu stellt die Verhängung eines Pauschalbetrags ein Abschreckungsmittel dar, das sicherstellen soll, dass die Mitgliedstaaten es nicht als vorzugswürdig ansehen, ein Verfahren nach Art. 260 AEUV abzuwarten, bevor sie die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um einen in einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV durch den Gerichtshof festgestellten Verstoß abzustellen ( 73 ).

106.

Nach der Rechtsprechung verleiht Art. 260 AEUV dem Gerichtshof ein weites Ermessen bei der Entscheidung darüber, ob unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren, die sich sowohl auf die Natur der festgestellten Vertragsverletzung als auch das Verhalten des betreffenden Mitgliedstaats beziehen, ein Pauschalbetrag zu verhängen ist ( 74 ). Insbesondere sind dabei auch die Dauer des Fortbestands der Vertragsverletzung seit dem Erlass des sie feststellenden Urteils und die Schwere des Verstoßes zu berücksichtigen ( 75 ).

107.

Im vorliegenden Verfahren rechtfertigt meiner Ansicht nach die Dauer des Verstoßes die Verhängung eines Pauschalbetrags. Insbesondere sind seit der Verkündung des Urteils von 2007 nunmehr mehr als fünf Jahre vergangen, ein ganz erheblicher Zeitraum. Der betreffende Verstoß besteht ungeachtet der teilweisen Umsetzung durch die Änderung des VW-Gesetzes fort.

108.

Was die konkrete Höhe des Pauschalbetrags anbelangt, erläutert der Gerichtshof nur selten die Kriterien, anhand deren er den Betrag berechnet, den er unter den Umständen der betreffenden Rechtssache für angemessen hält. Um größere Transparenz und dadurch auch eine größere Abschreckungswirkung des Pauschalbetrags zu erreichen, wäre es aus meiner Sicht besonders wichtig, die anzuwendenden Kriterien klar zu erläutern ( 76 ).

109.

In der vorliegenden Rechtssache sehe ich keinen Grund, die Richtlinien der Kommission ( 77 ) nicht als Maßstab zugrundezulegen. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zur Schwere des Verstoßes und zur Zahlungsfähigkeit des Mitgliedstaats scheint mir die Verhängung eines Pauschalbetrags von 8870,40 Euro (dem Produkt aus dem pauschalen Grundbetrag von 210 Euro, dem Schwerekoeffizienten von 2 und dem speziellen Faktor „n“ von 21,12) pro Tag der Fortdauer des Verstoßes angemessen.

110.

Am Tag der Stellung der vorliegenden Schlussanträge hat der Verstoß über 2045 Tagen angedauert. Multipliziert mit dem Tagessatz von 8870,40 Euro ergibt sich ein Gesamtbetrag von 18139968 Euro. Da dieser Betrag den von der Kommission für die Bundesrepublik Deutschland festgesetzten Mindestbetrag (11192000 Euro) übersteigt ( 78 ), spiegelt der vorgeschlagene Pauschalbetrag meiner Ansicht nach auch den Straf- und Abschreckungscharakter dieser finanziellen Sanktion korrekt wider.

111.

Daher bin ich der Auffassung, dass die Zahlung eines Pauschalbetrags in Höhe von 8870,40 Euro pro Tag, multipliziert mit der Zahl der Tage zwischen der Verkündung des Urteils von 2007 und dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache, gegen die Bundesrepublik Deutschland verhängt werden sollte.

IV – Ergebnis

112.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

die Klage der Kommission abzuweisen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof feststellt, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV nicht nachgekommen ist, schlage ich vor,

der Bundesrepublik Deutschland die Zahlung eines Zwangsgeldes in Höhe von 81100,80 Euro pro Tag ab dem Tag, an dem das Urteil in der vorliegenden Rechtssache verkündet wird, bis zur vollständigen Umsetzung des Urteils von 2007 sowie eines Pauschalbetrags von 8870,40 Euro pro Tag, multipliziert mit der Zahl der Tage zwischen der Verkündung des Urteils von 2007 und dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache aufzuerlegen;

der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Slg. 2007, I‑8995.

( 3 ) Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand (BGBl. 1960 I S. 585, BGBl. 1960 III 641-1-1).

( 4 ) Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand (BGBl. 2008 I S. 2369).

( 5 ) BGBl. 1965 I S. 1089.

( 6 ) Nach der Änderung der Verfahrensordnung steht diese Bestimmung nunmehr in Art. 158.

( 7 ) Siehe unten, Nrn. 75 ff.

( 8 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2005, Kommission/Frankreich (C-304/02, Slg. 2005, I-6263, Randnr. 92).

( 9 ) Urteil vom 10. September 2009, Kommission/Portugal (C-457/07, Slg. 2009, I-8091, Randnr. 47). Vgl. auch zum Gebot einer zusammenhängenden und klaren Darstellung der Klageschrift der Kommission in Vertragsverletzungsverfahren Urteil vom 19. Dezember 2012, Kommission/Italien (C‑68/11, Randnrn. 50 und 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) In der mündlichen Verhandlung wurde die Kommission aufgefordert, ihre Position zu diesem Punkt klarzustellen. Angesichts der vagen Antwort muss ich davon ausgehen, dass die Kommission nicht die Absicht hatte, ihre Rüge auf § 4 Abs. 3 VW-Gesetz zu beschränken. Mit anderen Worten, es ist anzunehmen, dass der die Satzung betreffende Vortrag der Kommission nicht lediglich dem Zweck dienen sollte, den Kontext der Streitfrage näher zu erläutern.

( 11 ) [Betrifft nicht die deutsche Sprachfassung der Schlussanträge.]

( 12 ) Wie die Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat, hätte der Gerichtshof, wie er es u. a. im Urteil vom 6. Dezember 2007, Federconsumatori u. a. (C-463/04 und C-464/04, Slg. 2007, I-10419, Randnr. 43) getan hat, klarstellen können, dass die beanstandeten Bestimmungen sowohl jede für sich genommen als auch in Verbindung mit der anderen einschlägigen Bestimmung rechtswidrige Beschränkungen bewirken.

( 13 ) Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Luxemburg (C-526/08, Slg. 2010, I-6151, Randnr. 29); vgl. auch Urteil vom 16. März 1978, Bosch (135/77, Slg. 1978, 855, Randnr. 4).

( 14 ) Randnr. 30 des Urteils von 2007.

( 15 ) Entgegen der Ansicht der Kommission bin ich der Auffassung, dass der Inhalt der Klageschrift in der Rechtssache C‑112/05 bei der Auslegung des Urteils von 2007 außer Betracht bleiben sollte, soweit dessen Einzelheiten nicht vom Inhalt des Urteils selbst zu unterscheiden sind.

( 16 ) Vgl. insbesondere die Randnrn. 40, 50 und 81 des Urteils von 2007.

( 17 ) Randnr. 43 des Urteils von 2007.

( 18 ) Urteil vom 20. Mai 2008, Orange European Smallcap Fund (C-194/06, Slg. 2008, I-3747, Randnr. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Ebd., Randnr. 101. Vgl. auch Randnr. 18 des Urteils von 2007 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 20 ) Urteil vom 11. November 2010, Kommission/Portugal (C-543/08, Slg. 2010, I-11241, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Erster Satz der Randnr. 54 des Urteils von 2007.

( 22 ) Zweiter Satz der Randnr. 54 des Urteils von 2007.

( 23 ) Vgl. insbesondere Randnrn. 52 und 54 in fine des Urteils von 2007.

( 24 ) Randnr. 81 des Urteils von 2007.

( 25 ) Siehe oben, Nr. 45.

( 26 ) Randnr. 83 des Urteils von 2007.

( 27 ) Daran ändert auch nichts, dass der Gerichtshof die Klage insoweit abgewiesen hat, als sie auf einen Verstoß gegen Art. 43 EG gestützt war, da zwei der drei beanstandeten Bestimmungen im Ergebnis für rechtswidrig befunden wurden.

( 28 ) Vgl. die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache C‑112/05, Nrn. 40 ff.

( 29 ) Vgl. insbesondere Randnrn. 18 sowie 72 und 73 des Urteils von 2007.

( 30 ) Zu den Unterschieden zwischen dem dem Urteil von 2007 zugrunde liegenden Sachverhalt und den tatsächlichen Umständen, die der Goldene-Aktien-Rechtsprechung des Gerichtshofs zugrunde liegen, vergleiche die Schlussanträge von Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache C‑112/05.

( 31 ) Siehe insbesondere Nrn. 103 und 107 der Schlussanträge.

( 32 ) In diesem Zusammenhang ist der Grundsatz der res iudicata zu berücksichtigen, der auch für Vertragsverletzungsverfahren gilt. Dieser Grundsatz erstreckt sich jedoch nur auf Tatsachen und Rechtsfragen, über die tatsächlich oder notwendigerweise in einem nach Art. 258 AEUV ergangenen Feststellungsurteil entschieden wurde. Daher können Mitgliedstaaten nur dann die Rechtskraftwirkung eines früheren Urteils geltend machen, wenn die Rechtssachen in Bezug auf die von der Kommission erhobenen Rügen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen identisch sind. Vgl. Urteil Kommission/Luxembourg (C‑526/08, Randnrn. 27 und 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 33 ) Vgl. Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnr. 86).

( 34 ) Urteil vom 10. Januar 2008, Kommission/Portugal (C-70/06, Slg. 2008, I-1, Randnrn. 34 und 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 35 ) SEK(2005) 1658.

( 36 ) In der Klageschrift zieht die Kommission auf der Mitteilung der Kommission „Aktualisierung der Daten zur Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die die Kommission dem Gerichtshof bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt“ (SEK[2011] 1024) beruhende Daten heran.

( 37 ) Urteil vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien (C‑610/10, Randnr. 119 und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. auch Urteil vom 4. Juli 2000, Kommission/Griechenland (C-387/97, Slg. 2000, I-5047, Randnr. 92), und Urteil vom 25. November 2003, Kommission/Spanien (C-278/01, Slg. 2003, I-14141, Randnr. 52).

( 38 ) Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnr. 104). Vgl. auch Urteil Kommission/Griechenland (C‑387/97, Randnr. 92).

( 39 ) Zum Zwangsgeld vgl. Urteil Kommission/Spanien (C‑610/10, Randnr. 118 und die dort angeführte Rechtsprechung). Derselbe Grundsatz gilt für den Pauschalbetrag. Vgl. insoweit Urteil vom 4. Juni 2009, Kommission/Griechenland (C-568/07, Slg. 2009, I-4505, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 40 ) Urteil vom 31. März 2011, Kommission/Griechenland (C-407/09, Slg. 2011, I-2467, Randnr. 42), Urteil vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, (C‑610/10, Randnr. 131), und Urteil vom 19. Dezember 2012, Kommission/Irland (C‑279/11, Randnrn. 78 und 79).

( 41 ) So auch die Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Kommission/Tschechische Republik (C‑241/11, Randnr. 86).

( 42 ) Mitteilung der Kommission „Aktualisierung der Daten zur Berechnung der Pauschalbeträge und Zwangsgelder, die die Kommission dem Gerichtshof bei Vertragsverletzungsverfahren vorschlägt“ (C[2012] 6106 final).

( 43 ) Ebd., S. 3 und 4.

( 44 ) Vgl. insbesondere Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnr. 91).

( 45 ) Zum Grundsatz der Rechtssicherheit und zu den Verteidigungsrechten vgl. Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnrn. 85 bis 97).

( 46 ) Urteil vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland (C-503/04, Slg. 2007, 6153, Randnr. 16).

( 47 ) Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnr. 97).

( 48 ) Ebd.

( 49 ) Ähnlich die Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed in der Rechtssache Kommission/Frankreich (C‑177/04, Urteil vom 14. März 2006, Slg. 2006, I‑2461, Nr. 70). In dieser Rechtssache ist der Gerichtshof dem Vorschlag des Generalanwalts jedoch nicht gefolgt (vgl. Randnr. 78 des Urteils).

( 50 ) Urteil Kommission/Deutschland (C‑503/04, Randnr. 15). Sobald nämlich Art. 260 AEUV im Spiel ist, beschränkt sich der Verstoß nicht mehr auf die zugrunde liegende Vertragsverletzung nach Art. 258 AEUV, sondern er bildet einen „zusammengesetzten Verstoß“, der nicht nur die ursprüngliche Vertragsverletzung, sondern auch die Verletzung der sich aus Art. 260 Abs. 1 AEUV ergebenden Verpflichtungen umfasst. Vgl. die Schlussanträge von Generalanwalt Fenelly in der Rechtssache Kommission/Griechenland (Urteil vom 6. Oktober 2000, C-197/98, Slg. 2000, I-8609, Nr. 19).

( 51 ) Tatsächlich hat der Gerichtshof bei seiner Beurteilung berücksichtigt, inwieweit die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in den betreffenden Bestimmungen klar bestimmt waren. Vgl. insoweit Urteil Kommission/Frankreich (C‑177/04, Randnr. 72).

( 52 ) Vgl. u. a. Urteil vom 21. Januar 2010, Kommission/Deutschland (C-546/07, Slg. 2010, I-439, Randnrn. 21 und 22 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Verfahren nach Art. 258 AEUV ist die Kommission nicht verpflichtet, eine bestimmte Frist einzuhalten, sofern nicht ein Fall vorliegt, in dem eine zu lange Dauer des Vorverfahrens es dem betroffenen Staat erschweren könnte, die Argumente der Kommission zu widerlegen, und damit die Verteidigungsrechte verletzen würde.

( 53 ) Art. 260 Abs. 2 Satz 1 AEUV lautet: „Hat der betreffende Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, nach Auffassung der Kommission nicht getroffen, so kann die Kommission den Gerichtshof anrufen, nachdem sie diesem Staat zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat.“ Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Fenelly in der Rechtssache Kommission/Griechenland (C‑197/98, Nr. 19).

( 54 ) Dies scheint auch die herrschende Meinung der Lehre zu sein, vgl. u. a. Bonnie, A., „Commission discretion under Art. 171(2) EC“, European Law Review, 1998, 23(6), S. 544, und Masson, B., „L’obscure clarté de l’article 228, par. 2, CE“, Revue trimestrielle du droit Européen, 2004, 4(4), S. 639 bis 668.

( 55 ) Siehe oben, Nr. 76.

( 56 ) Urteil vom 24. April 2007, Kommission/Niederlande (C-523/04, Slg. 2007, I-3267, Randnr. 27). Vgl. auch Urteil vom 16. Mai 1991, Kommission/Niederlande (C-96/89, Slg. 1991, I-2461, Randnr. 16).

( 57 ) Zu den Kriterien der Beurteilung in Bezug auf die Verteidigungsrechte, vgl. Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnr. 97).

( 58 ) Vgl. insoweit Urteil vom 19. Dezember 2012, Kommission/Irland (C‑374/11, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 59 ) Ein solches Erfordernis würde außerdem in jedem Einzelfall eine komplexe und eingehende Beurteilung der Frage erfordern, welche Zeitspanne angemessen ist.

( 60 ) Dieses Ziel ist im Licht der Änderung von Art. 260 AEUV durch den Vertrag von Lissabon, die es der Kommission ermöglicht, auch ohne Abgabe einer mit Gründen versehenen Stellungnahme Klage gegen den betreffenden Mitgliedstaat beim Gerichtshof zu erheben, von besonderer Bedeutung. Auch wenn in der vorliegenden Rechtssache das vorgerichtliche Verfahren vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon beendet war und daher eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgegeben wurde, zeigt die Änderung deutlich, dass das Ziel des Verfahrens darin besteht, einen Verstoß schnell und effektiv zu beenden. Siehe auch: Sekretariat des Europäischen Konvents, „Schlussbericht des Arbeitskreises über die Arbeitsweise des Gerichtshofs“, Dokument CONV 636/03, Randnr. 28.

( 61 ) Vgl. insoweit Urteil Kommission/Irland (C‑374/11, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 62 ) Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil Mitgliedstaaten die Anrufung des Gerichtshofs verzögern könnten, indem sie Verhandlungen mit der Kommission ausdehnen. In diesen Fällen würde die Verzögerung der Klageerhebung den Mitgliedstaat, der seinen Pflichten nicht nachkommt, ungerechtfertigt begünstigen.

( 63 ) Ähnlich die Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Kommission/Tschechische Republik (C‑241/11, Nr. 70).

( 64 ) Das Ergebnis wäre dagegen zwangsläufig ein anderes, wenn die Bundesrepublik Deutschland einen entsprechenden Auslegungsantrag gestellt hätte und der Gerichtshof darauf erkannt hätte, dass das Urteil von 2007 tatsächlich einen Verstoß in Bezug auf § 4 Abs. 3 VW-Gesetz festgestellt hat. Bei dieser Fallgestaltung hätte die Vorgehensweise des Mitgliedstaats seine Absicht, den Verstoß schnellstmöglich zu beenden, klar zum Ausdruck gebracht.

( 65 ) Vgl. Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnr. 103).

( 66 ) Art. 56 Abs.1 EG.

( 67 ) Siehe insoweit Urteil vom 4. Juni 2009, Kommission/Griechenland (C-109/08, Slg. 2009, Ι‑4657, Randnr. 33), und Urteil Kommission/Frankreich (C‑304/02, Randnrn. 105 und 107).

( 68 ) Urteil Kommission/Spanien (C‑287/01, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 69 ) Urteil vom 17. November 2011, Kommission/Italien (C-496/09, Slg. 2011, I-11483, Randnr. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 70 ) Mitteilung der Kommission C(2012) 6106 final, S. 5.

( 71 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg (C-473/93, Slg. 1996, I-3207, Randnrn. 51 und 52).

( 72 ) Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑119/04, Urteil vom 18. Juli 2006, Slg. 2006, I‑6885, Nr. 46). Zur Funktion des Pauschalbetrags vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2009, Kommission/Griechenland (C-369/07, Slg. 2009, I-5703, Randnr. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 73 ) Urteil vom 9. Dezember 2008, Kommission/Frankreich (C-121/07, Slg. 2008, I-9159, Randnr. 58), und Schlussanträge von Generalanwalt Poiares Maduro in der Rechtssache Kommission/Italien (C‑119/04, Nr. 46). Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Jääskinen in der Rechtssache Kommission/Tschechische Republik (C‑241/11, Nrn. 34 und 35) zum Strafcharakter des Pauschalbetrags.

( 74 ) Vgl. u. a. Urteil Kommission/Irland (C‑279/11, Randnr. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 75 ) Rechtssache C‑610/10 Kommission/Spanien, Randnr. 144 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 76 ) In der Tat kann mangelnde Transparenz meines Erachtens nur dann zu einer verbesserten Abschreckungswirkung führen, wenn die Höhe der Strafzahlung von den Betroffenen überschätzt wird. Das scheint bei Art. 260 AEUV nicht der Fall zu sein, da der Gerichtshof nicht selten nach seinem Ermessen den von der Kommission vorgeschlagenen Betrag herabsetzt, ohne dafür notwendigerweise klare Kriterien anzugeben.

( 77 ) Mitteilung der Kommission C(2012) 6106.

( 78 ) Mitteilung der Kommission C(2012) 6106 final, S. 5.