Rechtssache C-465/11
Forposta SA
und
ABC Direct Contact sp. z o.o.
gegen
Poczta Polska SA
(Vorabentscheidungsersuchen de Krajowa Izba Odwoławcza)
„Richtlinie 2004/18/EG — Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d — Richtlinie 2004/17/EG — Art. 53 Abs. 3 und Art. 54 Abs. 4 — Öffentliche Aufträge — Sektor für Postdienste — Kriterien für den Ausschluss vom Vergabeverfahren — Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit — Schutz des öffentlichen Interesses — Erhaltung des lauteren Wettbewerbs“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 13. Dezember 2012
Vorabentscheidungsverfahren – Anrufung des Gerichtshofs – Einzelstaatliches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV – Begriff – Vorlegende Einrichtung, die eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter zu fällen hat – Krajowa Izba Odwoławcza (Landesberufungskammer von Polen) – Einbeziehung
(Art. 267 AEUV)
Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2004/18 – Erteilung des Zuschlags – Gründe für den Ausschluss von der Beteiligung an einem Vergabeverfahren – Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit – Begriff – Auslegung – Nationale Regelung, die einen Begriff der vom Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortenden Umstände vorsieht – Ausschluss – Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung des beanstandeten Verhaltens durch den öffentlichen Auftraggeber
(Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d)
Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 2004/18 – Erteilung des Zuschlags – Gründe für den Ausschluss von der Beteiligung an einem Vergabeverfahren – Erschöpfende Aufzählung der Gründe in Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie – Befugnis der Mitgliedstaaten, weitere Ausschlussgründe vorzusehen – Voraussetzungen
(Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 45 Abs. 2)
Vorabentscheidungsverfahren – Auslegung – Zeitliche Wirkung der Auslegungsurteile – Rückwirkung – Grenzen – Rechtssicherheit – Beurteilungsbefugnis des Gerichtshofs
(Art. 267 AEUV)
Vorabentscheidungsverfahren – Auslegung – Zeitliche Wirkung der Auslegungsurteile – Rückwirkung – Begrenzung durch den Gerichtshof – Voraussetzungen – Bedeutung der finanziellen Konsequenzen des Urteils für den betreffenden Mitgliedstaat – Kein entscheidendes Kriterium
(Art. 267 AEUV)
Zur Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne des Art. 267 AEUV handelt, stellt der Gerichtshof auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit.
Insoweit ist die Krajowa Izba Odwoławcza, die ein durch das polnische Vergaberechtsgesetz geschaffenes Organ ist, das mit einer ausschließlichen Zuständigkeit für die erstinstanzliche Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Auftraggebern ausgestattet ist, ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, wenn sie ihre Befugnisse aus den Bestimmungen des genannten Gesetzes ausübt. Dass dieses Organ unter Umständen auf der Grundlage anderer Bestimmungen mit beratenden Aufgaben betraut ist, ist insoweit unerheblich.
(vgl. Randnrn. 17, 18)
Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine zum automatischen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von einem laufenden Vergabeverfahren führende schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorliegt, wenn der öffentliche Auftraggeber wegen von diesem Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortender Umstände einen mit ihm geschlossenen früheren Vertrag über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags aufgelöst oder gekündigt hat oder von dem Vertrag zurückgetreten ist, die Auflösung oder Kündigung des Vertrags oder der Rücktritt vom Vertrag innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren vor der Einleitung des laufenden Verfahrens erfolgt ist und der Wert des nicht ausgeführten früheren Auftrags mindestens 5 % des Vertragswerts beträgt.
Der Begriff der schweren Verfehlung ist nämlich so zu verstehen, dass er sich üblicherweise auf ein Verhalten des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers bezieht, das bei ihm auf Vorsatz oder auf eine Fahrlässigkeit von gewisser Schwere schließen lässt. So kann zwar jede nicht ordnungsgemäße, ungenaue oder mangelhafte Erfüllung eines Vertrags oder eines Vertragsteils unter Umständen von einer geringen fachlichen Eignung des Wirtschaftsteilnehmers zeugen, doch stellt sie nicht automatisch auch eine schwere Verfehlung dar. Darüber hinaus erfordert die Feststellung einer schweren Verfehlung grundsätzlich eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung der Verhaltensweise des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers. In diesem Zusammenhang kann der Begriff der schweren Verfehlung nicht durch den Begriff der vom betreffenden Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortenden Umstände ersetzt werden.
Daher überschreitet eine nationale Regelung, die sich nicht darauf beschränkt, den allgemeinen Rahmen für die Anwendung von Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 festzulegen, sondern dem öffentlichen Auftraggeber insoweit zwingende Voraussetzungen und aus bestimmten Umständen automatisch zu ziehende Schlussfolgerungen vorgibt, ohne ihm die Möglichkeit zu belassen, die Schwere des dem Wirtschaftsteilnehmer zur Last gelegten Fehlverhaltens bei der Durchführung des früheren Auftrags im Einzelfall zu beurteilen, das Ermessen, über das die Mitgliedstaaten nach Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Richtlinie bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung des Ausschlussgrundes nach Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d unter Beachtung des Unionsrechts verfügen.
(vgl. Randnrn. 30, 31, 33-36, Tenor 1)
Die Grundsätze und Regeln des Vergaberechts der Union rechtfertigen es nicht, dass eine nationale Regelung zum Schutz des öffentlichen Interesses und der berechtigten Interessen der öffentlichen Auftraggeber sowie zur Erhaltung des lauteren Wettbewerbs unter den Wirtschaftsteilnehmern einen öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, einen Wirtschaftsteilnehmer wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ohne eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung seiner Verhaltensweise von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags automatisch auszuschließen.
Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge nennt nämlich erschöpfend die Gründe, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Beteiligung an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung beziehen, und hindert folglich die Mitgliedstaaten daran, die in ihm enthaltene Aufzählung durch weitere auf berufliche Eignungskriterien gestützte Ausschlussgründe zu ergänzen.
Nur wenn der betreffende Ausschlussgrund nicht die berufliche Eignung des Wirtschaftsteilnehmers betrifft und somit nicht unter diese erschöpfende Aufzählung fällt, kann eventuell in Erwägung gezogen werden, diesen Ausschlussgrund im Hinblick auf die Grundsätze und anderen Regeln des Vergaberechts der Union zuzulassen.
(vgl. Randnrn. 38, 39, 41, Tenor 2)
In Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV kann der Gerichtshof die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ganz ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Der Gerichtshof greift auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurück, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen besteht, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhängt, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen wurden, und wenn sich herausstellt, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst wurden, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission beigetragen hatte.
(vgl. Randnrn. 44, 45)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnr. 47)
Rechtssache C-465/11
Forposta SA
und
ABC Direct Contact sp. z o.o.
gegen
Poczta Polska SA
(Vorabentscheidungsersuchen de Krajowa Izba Odwoławcza)
„Richtlinie 2004/18/EG — Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d — Richtlinie 2004/17/EG — Art. 53 Abs. 3 und Art. 54 Abs. 4 — Öffentliche Aufträge — Sektor für Postdienste — Kriterien für den Ausschluss vom Vergabeverfahren — Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit — Schutz des öffentlichen Interesses — Erhaltung des lauteren Wettbewerbs“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 13. Dezember 2012
Vorabentscheidungsverfahren — Anrufung des Gerichtshofs — Einzelstaatliches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV — Begriff — Vorlegende Einrichtung, die eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter zu fällen hat — Krajowa Izba Odwoławcza (Landesberufungskammer von Polen) — Einbeziehung
(Art. 267 AEUV)
Rechtsangleichung — Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge — Richtlinie 2004/18 — Erteilung des Zuschlags — Gründe für den Ausschluss von der Beteiligung an einem Vergabeverfahren — Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit — Begriff — Auslegung — Nationale Regelung, die einen Begriff der vom Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortenden Umstände vorsieht — Ausschluss — Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung des beanstandeten Verhaltens durch den öffentlichen Auftraggeber
(Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d)
Rechtsangleichung — Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge — Richtlinie 2004/18 — Erteilung des Zuschlags — Gründe für den Ausschluss von der Beteiligung an einem Vergabeverfahren — Erschöpfende Aufzählung der Gründe in Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie — Befugnis der Mitgliedstaaten, weitere Ausschlussgründe vorzusehen — Voraussetzungen
(Richtlinie 2004/18 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 45 Abs. 2)
Vorabentscheidungsverfahren — Auslegung — Zeitliche Wirkung der Auslegungsurteile — Rückwirkung — Grenzen — Rechtssicherheit — Beurteilungsbefugnis des Gerichtshofs
(Art. 267 AEUV)
Vorabentscheidungsverfahren — Auslegung — Zeitliche Wirkung der Auslegungsurteile — Rückwirkung — Begrenzung durch den Gerichtshof — Voraussetzungen — Bedeutung der finanziellen Konsequenzen des Urteils für den betreffenden Mitgliedstaat — Kein entscheidendes Kriterium
(Art. 267 AEUV)
Zur Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne des Art. 267 AEUV handelt, stellt der Gerichtshof auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit.
Insoweit ist die Krajowa Izba Odwoławcza, die ein durch das polnische Vergaberechtsgesetz geschaffenes Organ ist, das mit einer ausschließlichen Zuständigkeit für die erstinstanzliche Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Auftraggebern ausgestattet ist, ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, wenn sie ihre Befugnisse aus den Bestimmungen des genannten Gesetzes ausübt. Dass dieses Organ unter Umständen auf der Grundlage anderer Bestimmungen mit beratenden Aufgaben betraut ist, ist insoweit unerheblich.
(vgl. Randnrn. 17, 18)
Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine zum automatischen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von einem laufenden Vergabeverfahren führende schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorliegt, wenn der öffentliche Auftraggeber wegen von diesem Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortender Umstände einen mit ihm geschlossenen früheren Vertrag über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags aufgelöst oder gekündigt hat oder von dem Vertrag zurückgetreten ist, die Auflösung oder Kündigung des Vertrags oder der Rücktritt vom Vertrag innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren vor der Einleitung des laufenden Verfahrens erfolgt ist und der Wert des nicht ausgeführten früheren Auftrags mindestens 5 % des Vertragswerts beträgt.
Der Begriff der schweren Verfehlung ist nämlich so zu verstehen, dass er sich üblicherweise auf ein Verhalten des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers bezieht, das bei ihm auf Vorsatz oder auf eine Fahrlässigkeit von gewisser Schwere schließen lässt. So kann zwar jede nicht ordnungsgemäße, ungenaue oder mangelhafte Erfüllung eines Vertrags oder eines Vertragsteils unter Umständen von einer geringen fachlichen Eignung des Wirtschaftsteilnehmers zeugen, doch stellt sie nicht automatisch auch eine schwere Verfehlung dar. Darüber hinaus erfordert die Feststellung einer schweren Verfehlung grundsätzlich eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung der Verhaltensweise des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers. In diesem Zusammenhang kann der Begriff der schweren Verfehlung nicht durch den Begriff der vom betreffenden Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortenden Umstände ersetzt werden.
Daher überschreitet eine nationale Regelung, die sich nicht darauf beschränkt, den allgemeinen Rahmen für die Anwendung von Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 festzulegen, sondern dem öffentlichen Auftraggeber insoweit zwingende Voraussetzungen und aus bestimmten Umständen automatisch zu ziehende Schlussfolgerungen vorgibt, ohne ihm die Möglichkeit zu belassen, die Schwere des dem Wirtschaftsteilnehmer zur Last gelegten Fehlverhaltens bei der Durchführung des früheren Auftrags im Einzelfall zu beurteilen, das Ermessen, über das die Mitgliedstaaten nach Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Richtlinie bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung des Ausschlussgrundes nach Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d unter Beachtung des Unionsrechts verfügen.
(vgl. Randnrn. 30, 31, 33-36, Tenor 1)
Die Grundsätze und Regeln des Vergaberechts der Union rechtfertigen es nicht, dass eine nationale Regelung zum Schutz des öffentlichen Interesses und der berechtigten Interessen der öffentlichen Auftraggeber sowie zur Erhaltung des lauteren Wettbewerbs unter den Wirtschaftsteilnehmern einen öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, einen Wirtschaftsteilnehmer wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ohne eine konkrete und auf den Einzelfall bezogene Beurteilung seiner Verhaltensweise von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags automatisch auszuschließen.
Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge nennt nämlich erschöpfend die Gründe, mit denen der Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von der Beteiligung an einem Vergabeverfahren aus Gründen gerechtfertigt werden kann, die sich, gestützt auf objektive Anhaltspunkte, auf seine berufliche Eignung beziehen, und hindert folglich die Mitgliedstaaten daran, die in ihm enthaltene Aufzählung durch weitere auf berufliche Eignungskriterien gestützte Ausschlussgründe zu ergänzen.
Nur wenn der betreffende Ausschlussgrund nicht die berufliche Eignung des Wirtschaftsteilnehmers betrifft und somit nicht unter diese erschöpfende Aufzählung fällt, kann eventuell in Erwägung gezogen werden, diesen Ausschlussgrund im Hinblick auf die Grundsätze und anderen Regeln des Vergaberechts der Union zuzulassen.
(vgl. Randnrn. 38, 39, 41, Tenor 2)
In Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV kann der Gerichtshof die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ganz ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Der Gerichtshof greift auf diese Lösung nur unter ganz bestimmten Umständen zurück, namentlich, wenn eine Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen besteht, die insbesondere mit der großen Zahl von Rechtsverhältnissen zusammenhängt, die gutgläubig auf der Grundlage der als gültig betrachteten Regelung eingegangen wurden, und wenn sich herausstellt, dass die Einzelnen und die nationalen Behörden zu einem mit dem Unionsrecht unvereinbaren Verhalten veranlasst wurden, weil eine objektive, bedeutende Unsicherheit hinsichtlich der Tragweite der Unionsbestimmungen bestand, zu der eventuell auch das Verhalten anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kommission beigetragen hatte.
(vgl. Randnrn. 44, 45)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnr. 47)