Rechtssache C-414/11

Daiichi Sankyo Co. Ltd und Sanofi-Aventis Deutschland GmbH

gegen

DEMO Anonymos Viomichaniki kai Emporiki Etairia Farmakon

(Vorabentscheidungsersuchen des Polymeles Protodikeio Athinon)

„Gemeinsame Handelspolitik — Art. 207 AEUV — Handelsaspekte des geistigen Eigentums — Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) — Art. 27 — Patentfähiger Gegenstand — Art. 70 — Schutz bestehender Gegenstände des Schutzes“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 18. Juli 2013

  1. Vorabentscheidungsverfahren – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Fragen, die in einem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen – Ersuchen, das dem Gerichtshof hinreichende Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang liefert

    (Art. 267 AEUV)

  2. Gemeinsame Handelspolitik – Geltungsbereich – Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) – Handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums – Einbeziehung

    (Art. 113 EG und 133 EG; Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV und 207 Abs. 1 AEUV; TRIPS-Übereinkommen, Art. 27)

  3. Völkerrechtliche Verträge – Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) – Handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums – Patentierbarkeit der Erfindung eines pharmazeutischen Erzeugnisses – Einbeziehung

    (TRIPS-Übereinkommen, Art. 27)

  4. Rechtsangleichung – Einheitliche Rechtsvorschriften – Gewerbliches und kommerzielles Eigentum – Patentrecht – Ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel – Geltungsbereich – Patentanmeldung, die sich sowohl auf das Herstellungsverfahren als auch auf das pharmazeutische Erzeugnis bezieht – Patent, das nur für das Herstellungsverfahren erteilt wurde – Erstreckung auch auf das pharmazeutische Erzeugnis nach den in den Art. 27 und 70 des TRIPS-Übereinkommens aufgestellten Regeln – Ausschluss

    (TRIPS-Übereinkommen, Art. 27, 65 Abs. 1 und 70 Abs. 2; Verordnung Nr. 1768/92 des Rates, Art. 4 und 5)

  1.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Randnrn. 35-39)

  2.  Art. 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) in Anhang 1C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, genehmigt durch den Beschluss 94/800 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde, gehört zum Bereich der gemeinsamen Handelspolitik.

    Art. 207 AEUV weicht nämlich erheblich von den Bestimmungen ab, die er im Wesentlichen ersetzt hat, so dass die Frage der Aufteilung der Zuständigkeiten der Union und derjenigen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des derzeit geltenden Vertrags zu prüfen ist.

    Dazu geht zum einen aus Art. 207 Abs. 1 AEUV hervor, dass die gemeinsame Handelspolitik der ausschließlichen Zuständigkeit der Union unterliegt und sich zum anderen auf die Handelsaspekte des geistigen Eigentums bezieht. In diesem Zusammenhang ist ein Rechtsakt der Union, wie ein von dieser geschlossenes Übereinkommen, nicht schon deshalb zu der Kategorie von Übereinkommen, die unter die gemeinsame Handelspolitik fallen, zu zählen, weil er bestimmte Auswirkungen auf den internationalen Handelsverkehr haben kann, sondern er ist Teil dieser Politik, wenn er speziell den internationalen Warenaustausch betrifft, weil er im Wesentlichen den Handelsverkehr fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf ihn auswirkt. Somit können von den Bestimmungen, die die Union im Bereich des geistigen Eigentums erlässt, nur diejenigen unter den Begriff Handelsaspekte des geistigen Eigentums im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV und damit unter die gemeinsame Handelspolitik fallen, die einen spezifischen Bezug zum internationalen Handelsverkehr haben.

    Zum anderen spiegelt der Umstand, dass die in Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens enthaltenen Normen über patentfähige Gegenstände dem Bereich der gemeinsamen Handelspolitik und nicht dem Bereich des Binnenmarkts zugeordnet werden, zutreffend wider, dass diese Normen im Zusammenhang mit der Liberalisierung des internationalen Handelsverkehrs und nicht mit der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten der Union stehen.

    (vgl. Randnrn. 46, 48, 49, 51, 52, 60, 61, Tenor 1)

  3.  Art. 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) ist dahin auszulegen, dass die Erfindung eines pharmazeutischen Erzeugnisses wie des chemischen Wirkbestandteils eines Arzneimittels unter den in Art. 27 Abs. 1 aufgeführten Voraussetzungen Gegenstand eines Patents sein kann, wenn keine Ausnahme nach Art. 27 Abs. 2 oder 3 vorliegt.

    Eine solche Auslegung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieses Übereinkommens. Die Pharmakologie wird nämlich von den Vertragsparteien des TRIPS-Übereinkommens als Gebiet der Technik im Sinne von Art. 27 Abs. 1 betrachtet. Dies geht ferner aus Art. 70 Abs. 8 dieses Übereinkommens hervor, der eine Übergangsbestimmung darstellt und wonach Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens die Verpflichtung umfasst, die Erfindungen pharmazeutischer Produkte patentfähig zu machen. Desgleichen können die in Art. 27 Abs. 2 und 3 vorgesehenen Ausnahmen nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es erlauben, einen allgemeinen Ausschluss für die Erfindungen pharmazeutischer Erzeugnisse vorzusehen.

    (vgl. Randnrn. 64, 66-68, Tenor 2)

  4.  Bei einem Patent, das aufgrund einer die Erfindung sowohl des Verfahrens zur Herstellung eines pharmazeutischen Erzeugnisses als auch dieses pharmazeutischen Erzeugnisses selbst beanspruchenden Anmeldung erlangt, aber nur in Bezug auf das Herstellungsverfahren erteilt wurde, ist nicht aufgrund der in den Art. 27 und 70 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) aufgestellten Regeln davon auszugehen, dass sich das Patent ab dem Inkrafttreten des Übereinkommens auch auf die Erfindung des pharmazeutischen Erzeugnisses erstreckt.

    Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass der Schutz bestehender Gegenstände des Schutzes im Sinne von Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens darin bestehen kann, einem Patent Wirkungen beizulegen, die es nicht hat und niemals hatte. Die Erfindung eines pharmazeutischen Erzeugnisses könnte daher nur dann als zum Zeitpunkt der Anwendung des TRIPS-Übereinkommens geschützt betrachtet werden, wenn dieses Übereinkommen dahin ausgelegt würde, dass es die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WHO) dazu verpflichtete, bei seinem Inkrafttreten und nur wegen dieses Inkrafttretens beanspruchte Erfindungen in geschützte Erfindungen umzuwandeln. Eine solche Verpflichtung lässt sich aus dem TRIPS-Übereinkommen jedoch nicht ableiten und würde über den gewöhnlichen Sinn des Begriffs „bestehende Gegenstände des Schutzes“, der sich aus Art. 65 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens ergibt, hinausgehen. Zwar verpflichtet Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens die WHO-Mitglieder, die Möglichkeit vorzusehen, ein Patent für Erfindungen pharmazeutischer Erzeugnisse zu erlangen, diese Verpflichtung kann jedoch nicht dahin verstanden werden, dass die WHO-Mitglieder, die vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens den Schutz beanspruchter Erfindungen pharmazeutischer Erzeugnisse durch Patente, die für Erfindungen von Verfahren zur Herstellung solcher Erzeugnisse erteilt wurden, ausschlossen, diese Erfindungen ab dem Inkrafttreten als von den Patenten geschützt ansehen müssen.

    (vgl. Randnrn. 79, 81-83, Tenor 3)


Rechtssache C-414/11

Daiichi Sankyo Co. Ltd und Sanofi-Aventis Deutschland GmbH

gegen

DEMO Anonymos Viomichaniki kai Emporiki Etairia Farmakon

(Vorabentscheidungsersuchen des Polymeles Protodikeio Athinon)

„Gemeinsame Handelspolitik — Art. 207 AEUV — Handelsaspekte des geistigen Eigentums — Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) — Art. 27 — Patentfähiger Gegenstand — Art. 70 — Schutz bestehender Gegenstände des Schutzes“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 18. Juli 2013

  1. Vorabentscheidungsverfahren — Zulässigkeit — Voraussetzungen — Fragen, die in einem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen — Ersuchen, das dem Gerichtshof hinreichende Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang liefert

    (Art. 267 AEUV)

  2. Gemeinsame Handelspolitik — Geltungsbereich — Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) — Handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums — Einbeziehung

    (Art. 113 EG und 133 EG; Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV und 207 Abs. 1 AEUV; TRIPS-Übereinkommen, Art. 27)

  3. Völkerrechtliche Verträge — Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) — Handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums — Patentierbarkeit der Erfindung eines pharmazeutischen Erzeugnisses — Einbeziehung

    (TRIPS-Übereinkommen, Art. 27)

  4. Rechtsangleichung — Einheitliche Rechtsvorschriften — Gewerbliches und kommerzielles Eigentum — Patentrecht — Ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel — Geltungsbereich — Patentanmeldung, die sich sowohl auf das Herstellungsverfahren als auch auf das pharmazeutische Erzeugnis bezieht — Patent, das nur für das Herstellungsverfahren erteilt wurde — Erstreckung auch auf das pharmazeutische Erzeugnis nach den in den Art. 27 und 70 des TRIPS-Übereinkommens aufgestellten Regeln — Ausschluss

    (TRIPS-Übereinkommen, Art. 27, 65 Abs. 1 und 70 Abs. 2; Verordnung Nr. 1768/92 des Rates, Art. 4 und 5)

  1.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Randnrn. 35-39)

  2.  Art. 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) in Anhang 1C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, genehmigt durch den Beschluss 94/800 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde, gehört zum Bereich der gemeinsamen Handelspolitik.

    Art. 207 AEUV weicht nämlich erheblich von den Bestimmungen ab, die er im Wesentlichen ersetzt hat, so dass die Frage der Aufteilung der Zuständigkeiten der Union und derjenigen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des derzeit geltenden Vertrags zu prüfen ist.

    Dazu geht zum einen aus Art. 207 Abs. 1 AEUV hervor, dass die gemeinsame Handelspolitik der ausschließlichen Zuständigkeit der Union unterliegt und sich zum anderen auf die Handelsaspekte des geistigen Eigentums bezieht. In diesem Zusammenhang ist ein Rechtsakt der Union, wie ein von dieser geschlossenes Übereinkommen, nicht schon deshalb zu der Kategorie von Übereinkommen, die unter die gemeinsame Handelspolitik fallen, zu zählen, weil er bestimmte Auswirkungen auf den internationalen Handelsverkehr haben kann, sondern er ist Teil dieser Politik, wenn er speziell den internationalen Warenaustausch betrifft, weil er im Wesentlichen den Handelsverkehr fördern, erleichtern oder regeln soll und sich direkt und sofort auf ihn auswirkt. Somit können von den Bestimmungen, die die Union im Bereich des geistigen Eigentums erlässt, nur diejenigen unter den Begriff Handelsaspekte des geistigen Eigentums im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV und damit unter die gemeinsame Handelspolitik fallen, die einen spezifischen Bezug zum internationalen Handelsverkehr haben.

    Zum anderen spiegelt der Umstand, dass die in Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens enthaltenen Normen über patentfähige Gegenstände dem Bereich der gemeinsamen Handelspolitik und nicht dem Bereich des Binnenmarkts zugeordnet werden, zutreffend wider, dass diese Normen im Zusammenhang mit der Liberalisierung des internationalen Handelsverkehrs und nicht mit der Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten der Union stehen.

    (vgl. Randnrn. 46, 48, 49, 51, 52, 60, 61, Tenor 1)

  3.  Art. 27 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) ist dahin auszulegen, dass die Erfindung eines pharmazeutischen Erzeugnisses wie des chemischen Wirkbestandteils eines Arzneimittels unter den in Art. 27 Abs. 1 aufgeführten Voraussetzungen Gegenstand eines Patents sein kann, wenn keine Ausnahme nach Art. 27 Abs. 2 oder 3 vorliegt.

    Eine solche Auslegung ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieses Übereinkommens. Die Pharmakologie wird nämlich von den Vertragsparteien des TRIPS-Übereinkommens als Gebiet der Technik im Sinne von Art. 27 Abs. 1 betrachtet. Dies geht ferner aus Art. 70 Abs. 8 dieses Übereinkommens hervor, der eine Übergangsbestimmung darstellt und wonach Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens die Verpflichtung umfasst, die Erfindungen pharmazeutischer Produkte patentfähig zu machen. Desgleichen können die in Art. 27 Abs. 2 und 3 vorgesehenen Ausnahmen nicht dahin ausgelegt werden, dass sie es erlauben, einen allgemeinen Ausschluss für die Erfindungen pharmazeutischer Erzeugnisse vorzusehen.

    (vgl. Randnrn. 64, 66-68, Tenor 2)

  4.  Bei einem Patent, das aufgrund einer die Erfindung sowohl des Verfahrens zur Herstellung eines pharmazeutischen Erzeugnisses als auch dieses pharmazeutischen Erzeugnisses selbst beanspruchenden Anmeldung erlangt, aber nur in Bezug auf das Herstellungsverfahren erteilt wurde, ist nicht aufgrund der in den Art. 27 und 70 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) aufgestellten Regeln davon auszugehen, dass sich das Patent ab dem Inkrafttreten des Übereinkommens auch auf die Erfindung des pharmazeutischen Erzeugnisses erstreckt.

    Es kann nämlich nicht angenommen werden, dass der Schutz bestehender Gegenstände des Schutzes im Sinne von Art. 70 des TRIPS-Übereinkommens darin bestehen kann, einem Patent Wirkungen beizulegen, die es nicht hat und niemals hatte. Die Erfindung eines pharmazeutischen Erzeugnisses könnte daher nur dann als zum Zeitpunkt der Anwendung des TRIPS-Übereinkommens geschützt betrachtet werden, wenn dieses Übereinkommen dahin ausgelegt würde, dass es die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WHO) dazu verpflichtete, bei seinem Inkrafttreten und nur wegen dieses Inkrafttretens beanspruchte Erfindungen in geschützte Erfindungen umzuwandeln. Eine solche Verpflichtung lässt sich aus dem TRIPS-Übereinkommen jedoch nicht ableiten und würde über den gewöhnlichen Sinn des Begriffs „bestehende Gegenstände des Schutzes“, der sich aus Art. 65 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens ergibt, hinausgehen. Zwar verpflichtet Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens die WHO-Mitglieder, die Möglichkeit vorzusehen, ein Patent für Erfindungen pharmazeutischer Erzeugnisse zu erlangen, diese Verpflichtung kann jedoch nicht dahin verstanden werden, dass die WHO-Mitglieder, die vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens den Schutz beanspruchter Erfindungen pharmazeutischer Erzeugnisse durch Patente, die für Erfindungen von Verfahren zur Herstellung solcher Erzeugnisse erteilt wurden, ausschlossen, diese Erfindungen ab dem Inkrafttreten als von den Patenten geschützt ansehen müssen.

    (vgl. Randnrn. 79, 81-83, Tenor 3)