Rechtssache C-116/11
Bank Handlowy w Warszawie SA
und
PPHU „ADAX“/Ryszard Adamiak
gegen
Christianapol sp. z o.o.
(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy Poznań-Stare Miasto w Poznaniu)
„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 — Insolvenzverfahren — Begriff ‚Beendigung des Verfahrens‘ — Möglichkeit für das Gericht des Sekundärinsolvenzverfahrens, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beurteilen — Befugnis zur Eröffnung eines Liquidationsverfahrens als Sekundärinsolvenzverfahren, wenn das Hauptinsolvenzverfahren ein Sauvegarde-Verfahren ist“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 22. November 2012
Gerichtliches Verfahren – Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung – Antrag, sich zu den in den Schlussanträgen des Generalanwalts aufgeworfenen Rechtsfragen äußern zu dürfen – Voraussetzungen für die Wiedereröffnung
(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 61)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000 – Geltungsbereich – In Anhang A der Verordnung aufgenommene Verfahren
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. a)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000 – Anzuwendendes Recht – Begriff „Beendigung des Verfahrens“ – Frage des nationalen Rechts
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 4 Abs. 2 Buchst. j)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000 – Sekundärinsolvenzverfahren – Hauptinsolvenzverfahren, das einem Schutzzweck dient – Möglichkeit, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 27)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000 – Sekundärinsolvenzverfahren – Keine Möglichkeit, in diesen Verfahren die Insolvenz des Schuldners zu prüfen
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 27)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnrn. 26-30)
Sobald ein Verfahren in Anhang A der Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung aufgenommen ist, fällt es in den Anwendungsbereich der Verordnung. Die Aufnahme in diesen Anhang hat die unmittelbare und verbindliche Wirkung, die den Bestimmungen einer Verordnung zukommt.
(vgl. Randnr. 33)
Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das nationale Recht des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, darüber entscheidet, wann die Beendigung des Insolvenzverfahrens eintritt.
Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist nämlich eine Kollisionsnorm, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzt. Für eine solche Kollisionsnorm ist es charakteristisch, dass sie eine materiell-rechtliche Frage nicht selbst beantwortet, sondern lediglich festlegt, nach welchem Recht sich die Antwort richtet. Daher können Fragen wie die nach den Voraussetzungen und Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, für die Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Verordnung ausdrücklich auf das nationale Recht verweist, nicht Gegenstand einer autonomen Auslegung sein; sie sind vielmehr nach der anwendbaren lex concursus zu entscheiden.
(vgl. Randnrn. 47, 48, 50, 52, Tenor 1)
Art. 27 der Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es erlaubt, ein Sekundärinsolvenzverfahren in dem Mitgliedstaat zu eröffnen, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, wenn das Hauptinsolvenzverfahren einem Schutzzweck dient. Das für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht hat unter Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der Verordnung Rechnung zu tragen.
(vgl. Randnr. 63, Tenor 2)
Art. 27 der Verordnung Nr. 1346/2000 in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch dann nicht prüfen darf, wenn das Hauptinsolvenzverfahren einem Schutzzweck dient.
Denn da das in einem Mitgliedstaat eröffnete Hauptinsolvenzverfahren in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald es im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist, ist die Beurteilung der Insolvenz des Schuldners durch das für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständige Gericht für die möglicherweise mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befassten Gerichte bindend. Zudem muss gemäß der Verordnung Nr. 1346/2000 vor Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens die Insolvenz des Schuldners vom zuständigen Gericht nach seinem nationalen Recht geprüft werden.
(vgl. Randnrn. 68-70, 74, Tenor 3)
Rechtssache C-116/11
Bank Handlowy w Warszawie SA
und
PPHU „ADAX“/Ryszard Adamiak
gegen
Christianapol sp. z o.o.
(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy Poznań-Stare Miasto w Poznaniu)
„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 — Insolvenzverfahren — Begriff ‚Beendigung des Verfahrens‘ — Möglichkeit für das Gericht des Sekundärinsolvenzverfahrens, die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beurteilen — Befugnis zur Eröffnung eines Liquidationsverfahrens als Sekundärinsolvenzverfahren, wenn das Hauptinsolvenzverfahren ein Sauvegarde-Verfahren ist“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 22. November 2012
Gerichtliches Verfahren — Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung — Antrag, sich zu den in den Schlussanträgen des Generalanwalts aufgeworfenen Rechtsfragen äußern zu dürfen — Voraussetzungen für die Wiedereröffnung
(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 61)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Insolvenzverfahren — Verordnung Nr. 1346/2000 — Geltungsbereich — In Anhang A der Verordnung aufgenommene Verfahren
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. a)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Insolvenzverfahren — Verordnung Nr. 1346/2000 — Anzuwendendes Recht — Begriff „Beendigung des Verfahrens“ — Frage des nationalen Rechts
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 4 Abs. 2 Buchst. j)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Insolvenzverfahren — Verordnung Nr. 1346/2000 — Sekundärinsolvenzverfahren — Hauptinsolvenzverfahren, das einem Schutzzweck dient — Möglichkeit, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu eröffnen
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 27)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Insolvenzverfahren — Verordnung Nr. 1346/2000 — Sekundärinsolvenzverfahren — Keine Möglichkeit, in diesen Verfahren die Insolvenz des Schuldners zu prüfen
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates in der Fassung der Verordnung Nr. 788/2008, Art. 27)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Randnrn. 26-30)
Sobald ein Verfahren in Anhang A der Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung aufgenommen ist, fällt es in den Anwendungsbereich der Verordnung. Die Aufnahme in diesen Anhang hat die unmittelbare und verbindliche Wirkung, die den Bestimmungen einer Verordnung zukommt.
(vgl. Randnr. 33)
Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das nationale Recht des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, darüber entscheidet, wann die Beendigung des Insolvenzverfahrens eintritt.
Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist nämlich eine Kollisionsnorm, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzt. Für eine solche Kollisionsnorm ist es charakteristisch, dass sie eine materiell-rechtliche Frage nicht selbst beantwortet, sondern lediglich festlegt, nach welchem Recht sich die Antwort richtet. Daher können Fragen wie die nach den Voraussetzungen und Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, für die Art. 4 Abs. 2 Buchst. j der Verordnung ausdrücklich auf das nationale Recht verweist, nicht Gegenstand einer autonomen Auslegung sein; sie sind vielmehr nach der anwendbaren lex concursus zu entscheiden.
(vgl. Randnrn. 47, 48, 50, 52, Tenor 1)
Art. 27 der Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es erlaubt, ein Sekundärinsolvenzverfahren in dem Mitgliedstaat zu eröffnen, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, wenn das Hauptinsolvenzverfahren einem Schutzzweck dient. Das für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zuständige Gericht hat unter Beachtung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit die Ziele des Hauptinsolvenzverfahrens zu berücksichtigen und der Systematik der Verordnung Rechnung zu tragen.
(vgl. Randnr. 63, Tenor 2)
Art. 27 der Verordnung Nr. 1346/2000 in der durch die Verordnung Nr. 788/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befasste Gericht die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch dann nicht prüfen darf, wenn das Hauptinsolvenzverfahren einem Schutzzweck dient.
Denn da das in einem Mitgliedstaat eröffnete Hauptinsolvenzverfahren in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald es im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist, ist die Beurteilung der Insolvenz des Schuldners durch das für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständige Gericht für die möglicherweise mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens befassten Gerichte bindend. Zudem muss gemäß der Verordnung Nr. 1346/2000 vor Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens die Insolvenz des Schuldners vom zuständigen Gericht nach seinem nationalen Recht geprüft werden.
(vgl. Randnrn. 68-70, 74, Tenor 3)