SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
JULIANE KOKOTT
vom 11. April 2013 ( 1 )
Rechtssache C-492/11
Ciro Di Donna
gegen
Società Imballaggi Metallici Salerno Srl (SIMSA)
(Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di Pace di Mercato S. Severino, Italien)
„Richtlinie 2008/52/EG — Mediation in Zivilsachen — Obligatorisches Mediationsverfahren — Zugang zur Justiz — Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz“
I – Einleitung
1. |
Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen ( 2 ). |
2. |
Hintergrund der Vorlagefragen sind die zur Umsetzung dieser Richtlinie ergangenen italienischen Vorschriften ( 3 ), die für bestimmte zivilrechtliche Streitigkeiten ein Mediationsverfahren vorschrieben. Der Versuch einer Mediation war nach italienischem Recht in diesen Fällen Voraussetzung für die Zulässigkeit einer späteren Klage. Darüber hinaus enthielt das italienische Recht Vorschriften zu den Auswirkungen eines Mediationsverfahrens auf das nachfolgende Gerichtsverfahren. So war es einem Richter beispielsweise möglich, aus der Nichtteilnahme an einem obligatorischen Mediationsverfahren Beweisnachteile zulasten der nichtteilnehmenden Partei abzuleiten. |
3. |
Für das vorlegende Gericht stellte sich die Frage, ob ein solches System mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Mediationsrichtlinie vereinbar ist. |
4. |
Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens vor dem Gerichtshof erging allerdings ein Urteil des italienischen Verfassungsgerichts, mit dem zahlreiche Vorschriften des DL 28/2010 für verfassungswidrig erklärt wurden, darunter auch die Vorschrift, die zur Durchführung eines Mediationsverfahrens verpflichtete. Somit stellt sich die Frage, ob sich das Vorabentscheidungsersuchen zwischenzeitlich erledigt hat. |
II – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
5. |
Den unionsrechtlichen Rahmen des Falles bildet die Richtlinie 2008/52. Ihr Anwendungsbereich wird in Art. 1 festgelegt, der u. a. bestimmt: „(1) Ziel dieser Richtlinie ist es, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, indem zur Nutzung der Mediation angehalten und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mediation und Gerichtsverfahren gesorgt wird. …“ |
6. |
Art. 3 der Mediationsrichtlinie trägt die Überschrift „Begriffsbestimmungen“ und legt fest: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
|
B – Italienisches Recht
7. |
Die Mediationsrichtlinie wurde im italienischen Recht durch das DL 28/2010 ( 4 ) umgesetzt. Dessen Art. 5 bestimmt, dass ein Mediationsverfahren in bestimmten Fällen Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage ist. Abs. 1 lautet wie folgt: „In Streitigkeiten, die das Miteigentum, dingliche Rechte, Auseinandersetzungen, Erbschaften, Familienverträge, Miete, Leihe, Betriebsverpachtung, Schadensersatz bei Verkehrsunfällen, aus Arzthaftung und bei übler Nachrede durch Druckwerke oder andere Formen der Veröffentlichung, Versicherungs-, Banken- und Finanzverträge betreffen, ist vor Klageerhebung ein Mediationsverfahren im Sinne dieses Dekrets … durchzuführen. Der Versuch eines Mediationsverfahrens ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klageerhebung. … Stellt das Gericht fest, dass die Mediation begonnen, aber nicht abgeschlossen wurde, setzt es die nächste Sitzung nach Ablauf der in Art. 6 bestimmten Frist an. Das Gleiche gilt, wenn die Mediation noch nicht versucht wurde; in diesem Fall legt es gleichzeitig den Parteien eine Frist von 15 Tagen für die Einreichung des Antrags auf Mediation auf. ...“ |
8. |
Art. 6 des DL 28/2010 regelt die Dauer des Mediationsverfahrens und bestimmt: „(1) Das Mediationsverfahren dauert nicht länger als vier Monate. …“ |
9. |
Art. 8 enthält Regelungen zum Verfahrensablauf und sieht in Abs. 5 Folgendes vor: „(5) Aus der Nichtteilnahme am Mediationsverfahren ohne rechtfertigenden Grund kann das Gericht im nachfolgenden Rechtsstreit im Sinne von Art. 116 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (Codice di procedura civile) Beweisargumente ableiten. Das Gericht legt der bestellten Partei, die in den in Art. 5 vorgesehenen Fällen ohne rechtfertigenden Grund nicht an dem Verfahren teilgenommen hat, die Zahlung einer Summe zugunsten des Staatshaushaltes in Höhe der für das Gerichtsverfahren geschuldeten Einheitsgebühr auf.“ |
10. |
Art. 11 betrifft die Streitbeilegung im Rahmen der Mediation und regelt: „(1) Wurde eine gütliche Einigung erzielt, erstellt der Mediator darüber ein Protokoll, dem der Text der Vereinbarung als Anlage beigefügt wird. Wird keine Einigung erzielt, kann der Mediator einen Vorschlag zur Streitbeilegung formulieren. Der Mediator formuliert in jedem Fall einen Vorschlag zur Streitbeilegung, wenn ihn die Parteien zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens übereinstimmend darum bitten. Vor der Unterbreitung des Vorschlags informiert der Mediator die Parteien über die möglichen sich aus Art. 13 ergebenden Folgen. (2) Der Vorschlag zur Streitbeilegung wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. Die Parteien teilen dem Mediator innerhalb von 7 Tagen schriftlich die Annahme oder die Ablehnung des Vorschlags mit. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine Antwort, gilt der Vorschlag als abgelehnt. Unbeschadet einer anderweitigen Vereinbarung der Parteien, darf der Vorschlag keinen Bezug auf die im Laufe des Verfahrens abgegebenen Erklärungen und gesammelten Informationen enthalten. … (4) Gelingt die Streitbeilegung nicht, erstellt der Mediator ein Verfahrensprotokoll, das den Vorschlag wiedergibt; das Protokoll ist von den Parteien und dem Mediator zu unterzeichnen, der die Unterschrift der Parteien oder deren Unvermögen zu unterschreiben beglaubigt. In diesem Protokoll nimmt der Mediator die Nichtteilnahme einer Partei am Mediationsprozess auf. (5) Das Verfahrensprotokoll wird bei dem Sekretariat der Einrichtung eingereicht; den Parteien wird auf Anfrage eine Kopie des Protokolls erteilt.“ |
11. |
Art. 13 bestimmt für die Kosten des Mediationsverfahrens: „(1) Stimmt die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags überein und hat die obsiegende Partei den Vorschlag abgelehnt, schließt das Gericht die Rückforderungen ihrer Kosten, die sich auf den Zeitraum nach der Formulierung des Vorschlags beziehen, aus und erlegt ihr die Tragung der Kosten der unterliegenden Partei in Bezug auf diesen Zeitraum sowie die Zahlung einer Summe zugunsten des Staatshaushalts in Höhe der geschuldeten Einheitsgebühr auf. Art. 92 und 96 der Zivilprozessordnung sind anwendbar. Die Bestimmungen dieses Absatzes gelten ebenfalls für die dem Mediator geschuldete Aufwandsentschädigung und die Vergütung des Sachverständigen nach Art. 8 Abs. 4. (2) Stimmt die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, nicht vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags überein, kann das Gericht bei Vorliegen schwerer und außerordentlicher Gründe dennoch die Rückforderung der von der obsiegenden Partei für die dem Mediator geschuldete Aufwandsentschädigung und die Vergütung des Sachverständigen nach Art. 8 Abs. 4 aufgewandten Kosten ausschließen. ...“ |
C – Urteil des italienischen Verfassungsgerichts
12. |
Am 24. Oktober 2012 erließ das italienische Verfassungsgericht das Urteil Nr. 272/2012, mit dem Teile des DL 28/2010 für verfassungswidrig erklärt wurden, insbesondere Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 5 sowie Art. 13 (mit Ausnahme des in dieser Vorschrift enthaltenen Verweises auf die Art. 92 und 96 der italienischen Zivilprozessordnung, der aber für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung ist). |
III – Sachverhalt und Vorlagefragen
13. |
Im Ausgangsverfahren handelt es sich um eine Klage auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung. Das Fahrzeug von Herrn Ciro Di Donna wurde durch einen Gabelstapler der SIMSA srl ( 5 ) auf deren Betriebsgelände beschädigt. SIMSA bestreitet den Schadensfall und ihre Verantwortlichkeit nicht, ist jedoch der Ansicht, ihre Versicherung müsse den Schaden begleichen, weshalb eine Zahlung an Herrn Di Donna bisher nicht erfolgt ist. Mangels Direktklagemöglichkeit gegen die Versicherung hat Herr Di Donna deshalb Zahlungsklage gegen SIMSA erhoben. SIMSA beantragte die Vertagung der ersten mündlichen Verhandlung, um ihrer Versicherung den Streit verkünden zu können. |
14. |
Das vorlegende Gericht führt aus, dass auch vor der Streitverkündung gemäß Art. 5 Abs. 1 des DL 28/2010 ein Mediationsverfahren zwischen SIMSA und der Versicherung stattfinden müsse. Es stellt sich daher die Frage, welche Fristen es für die Terminierung der ersten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen hat – lediglich die Frist von 45 Tagen, die im italienischen Zivilprozessrecht im Fall einer Streitverkündung vorgesehen ist, oder zusätzlich auch die Viermonatsfrist, die in Art. 6 Abs. 1 des DL 28/2010 als maximale Dauer des Mediationsverfahrens bestimmt ist. |
15. |
Die Parteien beklagen die damit verbundene unangemessene Verlängerung der Verfahrensdauer. Auf Aufforderung von SIMSA, die die Vereinbarkeit des DL 28/2010 mit der Mediationsrichtlinie bezweifelt, wandte sich der Giudice di Pace di Mercato S. Severino daher mit folgenden Fragen an den Gerichtshof: Stehen die Art. 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts des effektiven Rechtsschutzes und allgemein das Unionsrecht in seiner Gesamtheit der Einführung einer Regelung in einem der Mitgliedstaaten der Union, wie sie in der in Italien im Decreto legislativo Nr. 28/2010 und im Ministerialdekret Nr. 180/2010 in der durch das Ministerialdekret Nr. 145/2011 geänderten Fassung enthalten ist, entgegen, wonach
|
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
16. |
Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens am Gerichtshof erging das Urteil Nr. 272/2012 des italienischen Verfassungsgerichts, mit dem einige Vorschriften des DL 28/2010, insbesondere die Vorschrift, die eine Verpflichtung zur Durchführung eines Mediationsverfahrens vor Klageerhebung vorsah, für verfassungswidrig erklärt wurden. |
17. |
Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 gebeten, klarzustellen, wie sich das Urteil des italienischen Verfassungsgerichts auf das Vorabentscheidungsersuchen und das nationale Gerichtsverfahren auswirkt. Das vorlegende Gericht hat mit Stellungnahme vom 17. Januar 2013 geantwortet, dass sein Interesse an der Beantwortung der Vorlagefragen durch den Gerichtshof fortbestehe. Weitere Ausführungen zu den Auswirkungen des Urteils des italienischen Verfassungsgerichts und zu den Gründen der Aufrechterhaltung seines Ersuchens machte es nicht. |
18. |
Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich die italienische, die französische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission beteiligt. |
V – Rechtliche Würdigung
19. |
Es bestehen Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Die Kommission hat plausibel dargelegt, dass einige der Vorlagefragen hypothetischen Charakter haben. Es ist nämlich nicht ersichtlich, inwiefern die Modalitäten eines Mediationsverfahrens, beispielsweise hinsichtlich der Kosten, für die Entscheidung des konkreten Ausgangsrechtsstreits von Bedeutung sind. Auf Nachfrage des Gerichtshofs hat das vorlegende Gericht zur Entscheidungserheblichkeit der von ihm gestellten Fragen nur dargelegt, dass es über die Terminierung der mündlichen Verhandlung zu befinden habe und dabei entscheiden müsse, ob die Dauer des Mediationsverfahrens bei der Berechnung der Frist mit zu berücksichtigen sei. |
20. |
Ob das Vorabentscheidungsersuchen aus diesem Grund – zumindest teilweise – bereits anfänglich unzulässig war, kann vorliegend aber offenbleiben. Denn die dem Gerichtshof vorliegenden Informationen zeigen, dass die Vorlagefragen jedenfalls seit dem Erlass des Urteils des italienischen Verfassungsgerichts hypothetischer Natur sind. |
21. |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten nach Art. 267 AEUV allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass eines Urteils sowie die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen ( 6 ). Sofern die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Er kann die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die von diesem erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer Unionsvorschrift offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, um die ihm vorgelegten Fragen sachdienlich beantworten zu können ( 7 ). |
22. |
Es obliegt dem Gerichtshof jedoch ausnahmsweise, die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird ( 8 ). Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht seinerseits die Aufgabe des Gerichtshofs beachtet, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben ( 9 ). |
23. |
Auf Nachfrage hat das vorlegende Gericht pauschal angegeben, es habe weiterhin ein Interesse an der Beantwortung seines Vorabentscheidungsersuchens durch den Gerichtshof. Dabei hat es allerdings nicht weiter präzisiert, weshalb die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nach dem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts noch für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich sein sollen. Die dem Gerichtshof vorliegenden Informationen zeigen vielmehr, dass die vorgelegten Fragen nur noch hypothetischen Charakter haben. Denn sie beziehen sich entweder unmittelbar auf Vorschriften des DL 28/2010, die für verfassungswidrig erklärt wurden, oder sie sind nach Wegfall der Pflicht zur Durchführung eines Mediationsverfahrens vor Klageerhebung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr von Bedeutung. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die betreffenden Normen trotz der Tatsache, dass sie für verfassungswidrig erklärt wurden, weiterhin für das Ausgangsverfahren relevant sein könnten. Dementsprechend wurde auch ein vergleichbares Vorabentscheidungsersuchen eines anderen italienischen Gerichts zurückgenommen, das ebenfalls die Auslegung der Mediationsrichtlinie vor dem Hintergrund der vom Verfassungsgericht nun aufgehobenen italienischen Vorschriften betraf ( 10 ). |
Zur ersten bis vierten Vorlagefrage
24. |
Mit der ersten bis vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bestimmte Maßnahmen, die das Gericht nach dem DL 28/2010 treffen kann, mit der Mediationsrichtlinie bzw. dem übrigen Unionsrecht vereinbar sind. Die Fragen beziehen sich dabei ausschließlich auf Vorschriften, die für verfassungswidrig erklärt wurden. Die Frage der Vereinbarkeit der in den Fragen 1 bis 4 genannten Maßnahmen mit dem Unionsrecht hat daher lediglich hypothetischen Charakter und braucht vom Gerichtshof nicht mehr beantwortet zu werden. |
25. |
So betrifft die erste Vorlagefrage die Möglichkeit für das nationale Gericht, in dem einer Mediation nachfolgenden Rechtsstreit Beweisargumente zulasten einer Partei abzuleiten, wenn diese Partei ohne rechtfertigenden Grund nicht an einem obligatorischen Mediationsverfahren teilgenommen hat. Vorgesehen war diese Möglichkeit in Art. 8 Abs. 5 Satz 1 des DL 28/2010, der für verfassungswidrig erklärt wurde. |
26. |
Die zweite Vorlagefrage bezieht sich auf Art. 13 Abs. 1 des DL 28/2010, der vorsah, dass das zuständige Gericht der obsiegenden Partei die Tragung von Verfahrenskosten auferlegen kann, wenn die Partei einen Vorschlag des Mediators abgelehnt hat, der mit der abschließenden gerichtlichen Entscheidung übereinstimmt. Art. 13 Abs. 1 wurde jedoch ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. |
27. |
Mit der dritten Frage sollte geklärt werden, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass das nationale Gericht bei Vorliegen schwerer und außerordentlicher Gründe entscheiden kann, dass eine Rückforderung der Kosten, die die obsiegende Partei für die Aufwandsentschädigung des Mediators und die Vergütung des Sachverständigen aufgewandt hat, ausgeschlossen ist, obwohl die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, nicht vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags des Mediators übereinstimmt. Dies war in Art. 13 Abs. 2 des DL 28/2010 vorgesehen, der ebenfalls für verfassungswidrig erklärt wurde. |
28. |
Auch der Gegenstand der vierten Vorlagefrage ist weggefallen. Sie bezieht sich auf die für verfassungswidrig erklärte Regelung in Art. 8 Abs. 5 Satz 2 des DL 28/2010, welche die Zahlung einer Summe zugunsten des Staatshaushalts in Höhe der für das Gerichtsverfahren geschuldeten Einheitsgebühr durch die Partei vorsah, die ohne rechtfertigenden Grund nicht an dem Mediationsverfahren teilgenommen hat. |
Zur fünften bis neunten Vorlagefrage
29. |
Auch die Beantwortung der übrigen Vorlagefragen ist nach dem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr von Bedeutung. Die fünfte bis neunte Vorlagefrage beziehen sich nämlich auf die Modalitäten der Durchführung und Beendigung eines Mediationsverfahrens, auf dessen Dauer sowie auf die für das Mediationsverfahren anfallenden Kosten, wobei die Fragen von einem obligatorischen Mediationsverfahren ausgehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall tatsächlich ein Mediationsverfahren stattfinden soll. |
30. |
Die Parteien sind aufgrund der Verfassungswidrigkeit von Art. 5 Abs. 1 des DL 28/2010 nicht mehr dazu verpflichtet, an einer Mediation teilzunehmen. Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, haben sie vorliegend auch kein Interesse daran, ein solches Verfahren auf freiwilliger Basis durchzuführen. Vielmehr beklagen sie die unangemessene Verlängerung der Verfahrensdauer, die eine Mediation mit sich brächte. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen ergibt sich, dass ein Mediationsverfahren nur deshalb stattfinden sollte, weil die Parteien nach dem italienischen Recht dazu verpflichtet waren. |
31. |
Somit ist der Gerichtshof vorliegend mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst, welches sich infolge veränderter rechtlicher Umstände erledigt hat. Der Gerichtshof sollte daher aussprechen, dass das Vorabentscheidungsverfahren nicht mehr beantwortet zu werden braucht. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Vorlagefragen nicht von Anfang an unzulässig waren, sondern erst nach Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens gegenstandslos geworden sind, aber vom vorlegenden Gericht nicht zurückgenommen wurden ( 11 ). |
VI – Ergebnis
32. |
Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, über die vom Giudice di Pace di Mercato S. Severino vorgelegten Fragen wie folgt zu entscheiden: Das Vorabentscheidungsersuchen braucht nicht mehr beantwortet zu werden. |
( 1 ) Originalsprache: Deutsch.
( 2 ) ABl. L 136, S. 3 (im Folgenden: Mediationsrichtlinie).
( 3 ) Decreto legislativo Nr. 28 vom 4. März 2010, zur Umsetzung des Art. 60 des Gesetzes Nr. 69 vom 18. Juni 2009 über die Mediation in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: DL 28/2010).
( 4 ) Zitiert in Fn. 3.
( 5 ) Im Folgenden: SIMSA.
( 6 ) Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra (C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38), vom 23. April 2009, Rüffler (C-544/07, Slg. 2009, I-3389, Randnr. 36), vom 19. November 2009, Filipiak (C-314/08, Slg. 2009, I-11049, Randnr. 40), vom 7. Juli 2011, Agafiţei u. a. (C-310/10, Slg. 2011, I-5989, Randnr. 25), und vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C-416/10, Randnr. 53).
( 7 ) Urteile PreussenElektra (zitiert in Fn. 6, Randnr. 39), Rüffler (zitiert in Fn. 6, Randnr. 38), Filipiak (zitiert in Fn. 6, Randnr. 42), Agafiţei u. a. (zitiert in Fn. 6, Randnr. 27) und Križan u. a. (zitiert in Fn. 6, Randnr. 54).
( 8 ) Urteile PreussenElektra (zitiert in Fn. 6, Randnr. 39), Rüffler (zitiert in Fn. 6, Randnr. 37) und Filipiak (zitiert in Fn. 6, Randnr. 41).
( 9 ) Urteile vom 20. Januar 2005, García Blanco (C-225/02, Slg. 2005, I-523, Randnr. 28), vom 8. September 2010, Winner Wetten (C-409/06, Slg. 2010, I-8015, Randnr. 38), vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C-617/10, Randnr. 42).
( 10 ) Vgl. den Streichungsbeschluss des Gerichtshofs vom 8. Februar 2013, Galioto (C-464/11, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).
( 11 ) Siehe in diesem Sinne bereits meine Schlussanträge vom 28. Oktober 2004 in der Rechtssache García Blanco (C-225/02, Slg. 2005, I-523, Nr. 36).
Schlußanträge des Generalanwalts
I – Einleitung
1. Dieses Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen(2) .
2. Hintergrund der Vorlagefragen sind die zur Umsetzung dieser Richtlinie ergangenen italienischen Vorschriften(3), die für bestimmte zivilrechtliche Streitigkeiten ein Mediationsverfahren vorschrieben. Der Versuch einer Mediation war nach italienischem Recht in diesen Fällen Voraussetzung für die Zulässigkeit einer späteren Klage. Darüber hinaus enthielt das italienische Recht Vorschriften zu den Auswirkungen eines Mediationsverfahrens auf das nachfolgende Gerichtsverfahren. So war es einem Richter beispielsweise möglich, aus der Nichtteilnahme an einem obligatorischen Mediationsverfahren Beweisnachteile zulasten der nichtteilnehmenden Partei abzuleiten.
3. Für das vorlegende Gericht stellte sich die Frage, ob ein solches System mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Mediationsrichtlinie vereinbar ist.
4. Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens vor dem Gerichtshof erging allerdings ein Urteil des italienischen Verfassungsgerichts, mit dem zahlreiche Vorschriften des DL 28/2010 für verfassungswidrig erklärt wurden, darunter auch die Vorschrift, die zur Durchführung eines Mediationsverfahrens verpflichtete. Somit stellt sich die Frage, ob sich das Vorabentscheidungsersuchen zwischenzeitlich erledigt hat.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
5. Den unionsrechtlichen Rahmen des Falles bildet die Richtlinie 2008/52. Ihr Anwendungsbereich wird in Art. 1 festgelegt, der u. a. bestimmt:
„(1) Ziel dieser Richtlinie ist es, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, indem zur Nutzung der Mediation angehalten und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mediation und Gerichtsverfahren gesorgt wird.
…“
6. Art. 3 der Mediationsrichtlinie trägt die Überschrift „Begriffsbestimmungen“ und legt fest:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a) ,Mediation‘ ein strukturiertes Verfahren unabhängig von seiner Bezeichnung, in dem zwei oder mehr Streitparteien mit Hilfe eines Mediators auf freiwilliger Basis selbst versuchen, eine Vereinbarung über die Beilegung ihrer Streitigkeiten zu erzielen. Dieses Verfahren kann von den Parteien eingeleitet oder von einem Gericht vorgeschlagen oder angeordnet werden oder nach dem Recht eines Mitgliedstaats vorgeschrieben sein. Es schließt die Mediation durch einen Richter ein, der nicht für ein Gerichtsverfahren in der betreffenden Streitsache zuständig ist. Nicht eingeschlossen sind Bemühungen zur Streitbeilegung des angerufenen Gerichts oder Richters während des Gerichtsverfahrens über die betreffende Streitsache; …“
B – Italienisches Recht
7. Die Mediationsrichtlinie wurde im italienischen Recht durch das DL 28/2010(4) umgesetzt. Dessen Art. 5 bestimmt, dass ein Mediationsverfahren in bestimmten Fällen Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage ist. Abs. 1 lautet wie folgt:
„In Streitigkeiten, die das Miteigentum, dingliche Rechte, Auseinandersetzungen, Erbschaften, Familienverträge, Miete, Leihe, Betriebsverpachtung, Schadensersatz bei Verkehrsunfällen, aus Arzthaftung und bei übler Nachrede durch Druckwerke oder andere Formen der Veröffentlichung, Versicherungs-, Banken- und Finanzverträge betreffen, ist vor Klageerhebung ein Mediationsverfahren im Sinne dieses Dekrets … durchzuführen. Der Versuch eines Mediationsverfahrens ist Zulässigkeitsvoraussetzung für die Klageerhebung. … Stellt das Gericht fest, dass die Mediation begonnen, aber nicht abgeschlossen wurde, setzt es die nächste Sitzung nach Ablauf der in Art. 6 bestimmten Frist an. Das Gleiche gilt, wenn die Mediation noch nicht versucht wurde; in diesem Fall legt es gleichzeitig den Parteien eine Frist von 15 Tagen für die Einreichung des Antrags auf Mediation auf. ...“
8. Art. 6 des DL 28/2010 regelt die Dauer des Mediationsverfahrens und bestimmt:
„(1) Das Mediationsverfahren dauert nicht länger als vier Monate.
…“
9. Art. 8 enthält Regelungen zum Verfahrensablauf und sieht in Abs. 5 Folgendes vor:
„(5) Aus der Nichtteilnahme am Mediationsverfahren ohne rechtfertigenden Grund kann das Gericht im nachfolgenden Rechtsstreit im Sinne von Art. 116 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (Codice di procedura civile) Beweisargumente ableiten. Das Gericht legt der bestellten Partei, die in den in Art. 5 vorgesehenen Fällen ohne rechtfertigenden Grund nicht an dem Verfahren teilgenommen hat, die Zahlung einer Summe zugunsten des Staatshaushaltes in Höhe der für das Gerichtsverfahren geschuldeten Einheitsgebühr auf.“
10. Art. 11 betrifft die Streitbeilegung im Rahmen der Mediation und regelt:
„(1) Wurde eine gütliche Einigung erzielt, erstellt der Mediator darüber ein Protokoll, dem der Text der Vereinbarung als Anlage beigefügt wird. Wird keine Einigung erzielt, kann der Mediator einen Vorschlag zur Streitbeilegung formulieren. Der Mediator formuliert in jedem Fall einen Vorschlag zur Streitbeilegung, wenn ihn die Parteien zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens übereinstimmend darum bitten. Vor der Unterbreitung des Vorschlags informiert der Mediator die Parteien über die möglichen sich aus Art. 13 ergebenden Folgen.
(2) Der Vorschlag zur Streitbeilegung wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. Die Parteien teilen dem Mediator innerhalb von 7 Tagen schriftlich die Annahme oder die Ablehnung des Vorschlags mit. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine Antwort, gilt der Vorschlag als abgelehnt. Unbeschadet einer anderweitigen Vereinbarung der Parteien, darf der Vorschlag keinen Bezug auf die im Laufe des Verfahrens abgegebenen Erklärungen und gesammelten Informationen enthalten.
…
(4) Gelingt die Streitbeilegung nicht, erstellt der Mediator ein Verfahrensprotokoll, das den Vorschlag wiedergibt; das Protokoll ist von den Parteien und dem Mediator zu unterzeichnen, der die Unterschrift der Parteien oder deren Unvermögen zu unterschreiben beglaubigt. In diesem Protokoll nimmt der Mediator die Nichtteilnahme einer Partei am Mediationsprozess auf.
(5) Das Verfahrensprotokoll wird bei dem Sekretariat der Einrichtung eingereicht; den Parteien wird auf Anfrage eine Kopie des Protokolls erteilt.“
11. Art. 13 bestimmt für die Kosten des Mediationsverfahrens:
„(1) Stimmt die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags überein und hat die obsiegende Partei den Vorschlag abgelehnt, schließt das Gericht die Rückforderungen ihrer Kosten, die sich auf den Zeitraum nach der Formulierung des Vorschlags beziehen, aus und erlegt ihr die Tragung der Kosten der unterliegenden Partei in Bezug auf diesen Zeitraum sowie die Zahlung einer Summe zugunsten des Staatshaushalts in Höhe der geschuldeten Einheitsgebühr auf. Art. 92 und 96 der Zivilprozessordnung sind anwendbar. Die Bestimmungen dieses Absatzes gelten ebenfalls für die dem Mediator geschuldete Aufwandsentschädigung und die Vergütung des Sachverständigen nach Art. 8 Abs. 4.
(2) Stimmt die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, nicht vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags überein, kann das Gericht bei Vorliegen schwerer und außerordentlicher Gründe dennoch die Rückforderung der von der obsiegenden Partei für die dem Mediator geschuldete Aufwandsentschädigung und die Vergütung des Sachverständigen nach Art. 8 Abs. 4 aufgewandten Kosten ausschließen. ...“
C – Urteil des italienischen Verfassungsgerichts
12. Am 24. Oktober 2012 erließ das italienische Verfassungsgericht das Urteil Nr. 272/2012, mit dem Teile des DL 28/2010 für verfassungswidrig erklärt wurden, insbesondere Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 5 sowie Art. 13 (mit Ausnahme des in dieser Vorschrift enthaltenen Verweises auf die Art. 92 und 96 der italienischen Zivilprozessordnung, der aber für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung ist).
III – Sachverhalt und Vorlagefragen
13. Im Ausgangsverfahren handelt es sich um eine Klage auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung. Das Fahrzeug von Herrn Ciro Di Donna wurde durch einen Gabelstapler der SIMSA srl(5) auf deren Betriebsgelände beschädigt. SIMSA bestreitet den Schadensfall und ihre Verantwortlichkeit nicht, ist jedoch der Ansicht, ihre Versicherung müsse den Schaden begleichen, weshalb eine Zahlung an Herrn Di Donna bisher nicht erfolgt ist. Mangels Direktklagemöglichkeit gegen die Versicherung hat Herr Di Donna deshalb Zahlungsklage gegen SIMSA erhoben. SIMSA beantragte die Vertagung der ersten mündlichen Verhandlung, um ihrer Versicherung den Streit verkünden zu können.
14. Das vorlegende Gericht führt aus, dass auch vor der Streitverkündung gemäß Art. 5 Abs. 1 des DL 28/2010 ein Mediationsverfahren zwischen SIMSA und der Versicherung stattfinden müsse. Es stellt sich daher die Frage, welche Fristen es für die Terminierung der ersten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen hat – lediglich die Frist von 45 Tagen, die im italienischen Zivilprozessrecht im Fall einer Streitverkündung vorgesehen ist, oder zusätzlich auch die Viermonatsfrist, die in Art. 6 Abs. 1 des DL 28/2010 als maximale Dauer des Mediationsverfahrens bestimmt ist.
15. Die Parteien beklagen die damit verbundene unangemessene Verlängerung der Verfahrensdauer. Auf Aufforderung von SIMSA, die die Vereinbarkeit des DL 28/2010 mit der Mediationsrichtlinie bezweifelt, wandte sich der Giudice di Pace di Mercato S. Severino daher mit folgenden Fragen an den Gerichtshof:
Stehen die Art. 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts des effektiven Rechtsschutzes und allgemein das Unionsrecht in seiner Gesamtheit der Einführung einer Regelung in einem der Mitgliedstaaten der Union, wie sie in der in Italien im Decreto legislativo Nr. 28/2010 und im Ministerialdekret Nr. 180/2010 in der durch das Ministerialdekret Nr. 145/2011 geänderten Fassung enthalten ist, entgegen, wonach
1. das Gericht im nachfolgenden Rechtsstreit Beweisargumente zulasten der Partei, die ohne rechtfertigenden Grund an einem obligatorischen Mediationsverfahren nicht teilgenommen hat, ableiten kann;
2. das Gericht die Rückforderung der Kosten, die von der obsiegenden Partei, die einen Vorschlag zur Streitbeilegung abgelehnt hat, aufgewandt worden sind und die sich auf den Zeitraum nach der Formulierung des Vorschlags beziehen, ausschließen und dieser Partei die Tragung der Kosten der unterliegenden Partei in Bezug auf diesen Zeitraum sowie die Zahlung eines weiteren Betrags zugunsten des Staatshaushalts in Höhe des bereits für die geschuldete Gebühr (Einheitsgebühr) geleisteten auferlegen muss, wenn die Entscheidung, die das nach der Formulierung des Vorschlags eingeleitete gerichtliche Verfahren abschließt, vollständig mit dem Inhalt des abgelehnten Vorschlags übereinstimmt;
3. das Gericht bei Vorliegen schwerer und außerordentlicher Gründe die Rückforderung der von der obsiegenden Partei für die dem Mediator geschuldete Aufwandsentschädigung und die Vergütung des Sachverständigen aufgewandten Kosten ausschließen kann, auch wenn die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, nicht vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags übereinstimmt;
4. das Gericht der Partei, die ohne rechtfertigenden Grund nicht an dem Mediationsverfahren teilgenommen hat, die Zahlung eines Betrags zugunsten des Staatshaushalts in Höhe der für das Gerichtsverfahren geschuldeten Einheitsgebühr auferlegen muss;
5. der Mediator einen Vorschlag zur Streitbeilegung auch dann formulieren kann oder sogar muss, wenn keine Einigung der Parteien vorliegt, und zwar auch, wenn die Parteien am Verfahren nicht teilgenommen haben;
6. die Frist für den Abschluss des Versuchs der Mediation bis zu vier Monate betragen kann;
7. auch nach Ablauf der Frist von vier Monaten seit Beginn des Verfahrens die Klageerhebung erst zulässig ist, nachdem beim Sekretariat der Einrichtung für Mediation das vom Mediator verfasste Protokoll über das Nichtzustandekommen der Einigung, das den abgelehnten Vorschlag wiedergibt, erlangt worden ist;
8. nicht ausgeschlossen ist, dass so viele Mediationsverfahren stattfinden können – mit der daraus folgenden Verlängerung der für die Beendigung der Streitigkeit benötigten Zeit –, wie im Laufe des in der Zwischenzeit begonnenen gerichtlichen Verfahrens neue rechtmäßige Anträge gestellt werden;
9. die Kosten des verpflichtenden Mediationsverfahrens mindestens doppelt so hoch sind wie die des gerichtlichen Verfahrens, das durch das Mediationsverfahren vermieden werden soll, und dieses Missverhältnis exponentiell ansteigt, je höher der Wert der Streitigkeit ist (soweit, dass die Kosten der Mediation die des gerichtlichen Verfahrens um mehr als das Sechsfache übersteigen) oder je komplexer diese ist (in diesem Fall wird sich die Benennung eines von den Verfahrensparteien zu vergütenden Sachverständigen als notwendig erweisen, der dem Mediator in Streitigkeiten hilft, die bestimmte Fachkenntnisse verlangen, ohne dass das vom Sachverständigen erstellte Gutachten oder die von ihm gesammelten Informationen im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren verwendet werden können)?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
16. Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens am Gerichtshof erging das Urteil Nr. 272/2012 des italienischen Verfassungsgerichts, mit dem einige Vorschriften des DL 28/2010, insbesondere die Vorschrift, die eine Verpflichtung zur Durchführung eines Mediationsverfahrens vor Klageerhebung vorsah, für verfassungswidrig erklärt wurden.
17. Vor diesem Hintergrund hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht mit Schreiben vom 14. Dezember 2012 gebeten, klarzustellen, wie sich das Urteil des italienischen Verfassungsgerichts auf das Vorabentscheidungsersuchen und das nationale Gerichtsverfahren auswirkt. Das vorlegende Gericht hat mit Stellungnahme vom 17. Januar 2013 geantwortet, dass sein Interesse an der Beantwortung der Vorlagefragen durch den Gerichtshof fortbestehe. Weitere Ausführungen zu den Auswirkungen des Urteils des italienischen Verfassungsgerichts und zu den Gründen der Aufrechterhaltung seines Ersuchens machte es nicht.
18. Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich die italienische, die französische und die österreichische Regierung sowie die Europäische Kommission beteiligt.
V – Rechtliche Würdigung
19. Es bestehen Zweifel an der Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens. Die Kommission hat plausibel dargelegt, dass einige der Vorlagefragen hypothetischen Charakter haben. Es ist nämlich nicht ersichtlich, inwiefern die Modalitäten eines Mediationsverfahrens, beispielsweise hinsichtlich der Kosten, für die Entscheidung des konkreten Ausgangsrechtsstreits von Bedeutung sind. Auf Nachfrage des Gerichtshofs hat das vorlegende Gericht zur Entscheidungserheblichkeit der von ihm gestellten Fragen nur dargelegt, dass es über die Terminierung der mündlichen Verhandlung zu befinden habe und dabei entscheiden müsse, ob die Dauer des Mediationsverfahrens bei der Berechnung der Frist mit zu berücksichtigen sei.
20. Ob das Vorabentscheidungsersuchen aus diesem Grund – zumindest teilweise – bereits anfänglich unzulässig war, kann vorliegend aber offenbleiben. Denn die dem Gerichtshof vorliegenden Informationen zeigen, dass die Vorlagefragen jedenfalls seit dem Erlass des Urteils des italienischen Verfassungsgerichts hypothetischer Natur sind.
21. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten nach Art. 267 AEUV allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass eines Urteils sowie die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen(6) . Sofern die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts betreffen, ist der Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Er kann die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die von diesem erbetene Auslegung oder Beurteilung der Gültigkeit einer Unionsvorschrift offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, um die ihm vorgelegten Fragen sachdienlich beantworten zu können(7) .
22. Es obliegt dem Gerichtshof jedoch ausnahmsweise, die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird(8) . Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht seinerseits die Aufgabe des Gerichtshofs beachtet, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben(9) .
23. Auf Nachfrage hat das vorlegende Gericht pauschal angegeben, es habe weiterhin ein Interesse an der Beantwortung seines Vorabentscheidungsersuchens durch den Gerichtshof. Dabei hat es allerdings nicht weiter präzisiert, weshalb die zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nach dem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts noch für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblich sein sollen. Die dem Gerichtshof vorliegenden Informationen zeigen vielmehr, dass die vorgelegten Fragen nur noch hypothetischen Charakter haben. Denn sie beziehen sich entweder unmittelbar auf Vorschriften des DL 28/2010, die für verfassungswidrig erklärt wurden, oder sie sind nach Wegfall der Pflicht zur Durchführung eines Mediationsverfahrens vor Klageerhebung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr von Bedeutung. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die betreffenden Normen trotz der Tatsache, dass sie für verfassungswidrig erklärt wurden, weiterhin für das Ausgangsverfahren relevant sein könnten. Dementsprechend wurde auch ein vergleichbares Vorabentscheidungsersuchen eines anderen italienischen Gerichts zurückgenommen, das ebenfalls die Auslegung der Mediationsrichtlinie vor dem Hintergrund der vom Verfassungsgericht nun aufgehobenen italienischen Vorschriften betraf(10) .
Zur ersten bis vierten Vorlagefrage
24. Mit der ersten bis vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bestimmte Maßnahmen, die das Gericht nach dem DL 28/2010 treffen kann, mit der Mediationsrichtlinie bzw. dem übrigen Unionsrecht vereinbar sind. Die Fragen beziehen sich dabei ausschließlich auf Vorschriften, die für verfassungswidrig erklärt wurden. Die Frage der Vereinbarkeit der in den Fragen 1 bis 4 genannten Maßnahmen mit dem Unionsrecht hat daher lediglich hypothetischen Charakter und braucht vom Gerichtshof nicht mehr beantwortet zu werden.
25. So betrifft die erste Vorlagefrage die Möglichkeit für das nationale Gericht, in dem einer Mediation nachfolgenden Rechtsstreit Beweisargumente zulasten einer Partei abzuleiten, wenn diese Partei ohne rechtfertigenden Grund nicht an einem obligatorischen Mediationsverfahren teilgenommen hat. Vorgesehen war diese Möglichkeit in Art. 8 Abs. 5 Satz 1 des DL 28/2010, der für verfassungswidrig erklärt wurde.
26. Die zweite Vorlagefrage bezieht sich auf Art. 13 Abs. 1 des DL 28/2010, der vorsah, dass das zuständige Gericht der obsiegenden Partei die Tragung von Verfahrenskosten auferlegen kann, wenn die Partei einen Vorschlag des Mediators abgelehnt hat, der mit der abschließenden gerichtlichen Entscheidung übereinstimmt. Art. 13 Abs. 1 wurde jedoch ebenfalls für verfassungswidrig erklärt.
27. Mit der dritten Frage sollte geklärt werden, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass das nationale Gericht bei Vorliegen schwerer und außerordentlicher Gründe entscheiden kann, dass eine Rückforderung der Kosten, die die obsiegende Partei für die Aufwandsentschädigung des Mediators und die Vergütung des Sachverständigen aufgewandt hat, ausgeschlossen ist, obwohl die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, nicht vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags des Mediators übereinstimmt. Dies war in Art. 13 Abs. 2 des DL 28/2010 vorgesehen, der ebenfalls für verfassungswidrig erklärt wurde.
28. Auch der Gegenstand der vierten Vorlagefrage ist weggefallen. Sie bezieht sich auf die für verfassungswidrig erklärte Regelung in Art. 8 Abs. 5 Satz 2 des DL 28/2010, welche die Zahlung einer Summe zugunsten des Staatshaushalts in Höhe der für das Gerichtsverfahren geschuldeten Einheitsgebühr durch die Partei vorsah, die ohne rechtfertigenden Grund nicht an dem Mediationsverfahren teilgenommen hat.
Zur fünften bis neunten Vorlagefrage
29. Auch die Beantwortung der übrigen Vorlagefragen ist nach dem Urteil des italienischen Verfassungsgerichts für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr von Bedeutung. Die fünfte bis neunte Vorlagefrage beziehen sich nämlich auf die Modalitäten der Durchführung und Beendigung eines Mediationsverfahrens, auf dessen Dauer sowie auf die für das Mediationsverfahren anfallenden Kosten, wobei die Fragen von einem obligatorischen Mediationsverfahren ausgehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall tatsächlich ein Mediationsverfahren stattfinden soll.
30. Die Parteien sind aufgrund der Verfassungswidrigkeit von Art. 5 Abs. 1 des DL 28/2010 nicht mehr dazu verpflichtet, an einer Mediation teilzunehmen. Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, haben sie vorliegend auch kein Interesse daran, ein solches Verfahren auf freiwilliger Basis durchzuführen. Vielmehr beklagen sie die unangemessene Verlängerung der Verfahrensdauer, die eine Mediation mit sich brächte. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen ergibt sich, dass ein Mediationsverfahren nur deshalb stattfinden sollte, weil die Parteien nach dem italienischen Recht dazu verpflichtet waren.
31. Somit ist der Gerichtshof vorliegend mit einem Vorabentscheidungsersuchen befasst, welches sich infolge veränderter rechtlicher Umstände erledigt hat. Der Gerichtshof sollte daher aussprechen, dass das Vorabentscheidungsverfahren nicht mehr beantwortet zu werden braucht. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Vorlagefragen nicht von Anfang an unzulässig waren, sondern erst nach Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens gegenstandslos geworden sind, aber vom vorlegenden Gericht nicht zurückgenommen wurden(11) .
VI – Ergebnis
32. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, über die vom Giudice di Pace di Mercato S. Severino vorgelegten Fragen wie folgt zu entscheiden:
Das Vorabentscheidungsersuchen braucht nicht mehr beantwortet zu werden.
(1) .
(2) – ABl. L 136, S. 3 (im Folgenden: Mediationsrichtlinie).
(3) – Decreto legislativo Nr. 28 vom 4. März 2010, zur Umsetzung des Art. 60 des Gesetzes Nr. 69 vom 18. Juni 2009 über die Mediation in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: DL 28/2010).
(4) – Zitiert in Fn. 3.
(5) – Im Folgenden: SIMSA.
(6) – Urteile vom 13. März 2001, PreussenElektra (C-379/98, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38), vom 23. April 2009, Rüffler (C-544/07, Slg. 2009, I-3389, Randnr. 36), vom 19. November 2009, Filipiak (C-314/08, Slg. 2009, I-11049, Randnr. 40), vom 7. Juli 2011, Agafiţei u. a. (C-310/10, Slg. 2011, I-5989, Randnr. 25), und vom 15. Januar 2013, Križan u. a. (C-416/10, Randnr. 53).
(7) – Urteile PreussenElektra (zitiert in Fn. 6, Randnr. 39), Rüffler (zitiert in Fn. 6, Randnr. 38), Filipiak (zitiert in Fn. 6, Randnr. 42), Agafiţei u. a. (zitiert in Fn. 6, Randnr. 27) und Križan u. a. (zitiert in Fn. 6, Randnr. 54).
(8) – Urteile PreussenElektra (zitiert in Fn. 6, Randnr. 39), Rüffler (zitiert in Fn. 6, Randnr. 37) und Filipiak (zitiert in Fn. 6, Randnr. 41).
(9) – Urteile vom 20. Januar 2005, García Blanco (C-225/02, Slg. 2005, I-523, Randnr. 28), vom 8. September 2010, Winner Wetten (C-409/06, Slg. 2010, I-8015, Randnr. 38), vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C-617/10, Randnr. 42).
(10) – Vgl. den Streichungsbeschluss des Gerichtshofs vom 8. Februar 2013, Galioto (C-464/11, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).
(11) – Siehe in diesem Sinne bereits meine Schlussanträge vom 28. Oktober 2004 in der Rechtssache García Blanco (C-225/02, Slg. 2005, I-523, Nr. 36).