SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 21. Juni 2012 ( 1 )

Rechtssache C-249/11

Hristo Byankov

gegen

Glaven sekretar na Ministerstvo na vatreshnite raboti

(Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad [Bulgarien])

„Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten — Verwaltungsmaßnahme eines Ausreiseverbots wegen Nichtbegleichung einer Schuld gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts — Grundsatz der Rechtssicherheit hinsichtlich bestandskräftig gewordener Verwaltungsakte — Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“

1. 

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat sich bereits zu der Frage geäußert, ob mit dem Unionsrecht Maßnahmen vereinbar sind, mit denen ein Mitgliedstaat einem seiner eigenen Staatsangehörigen wegen einer nach nationalem Recht als erheblich eingestuften Steuerschuld das Verlassen des Hoheitsgebiets verbietet ( 2 ). Im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens wird der Gerichtshof ersucht, Stellung zu dem Fall zu nehmen, dass die Verbindlichkeit nicht gegenüber der Staatskasse, sondern gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts besteht. Außerdem wird er zu den Voraussetzungen befragt, unter denen das Unionsrecht die nationalen Gerichte zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, der nicht vor Gericht angefochten wurde, verpflichtet, weil er gegen Unionsrecht verstößt.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Richtlinie 2004/38/EG

2.

Im 31. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ( 3 ) heißt es: „Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und -freiheiten und den Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden.“

3.

Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 „[haben] [u]nbeschadet der für die Kontrollen von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften … alle Unionsbürger, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, … das Recht, das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verlassen und sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben“.

4.

Art. 27 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38, der zu deren Kapitel VI gehört, in dem die Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit geregelt sind, lautet:

„(1)   Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2)   Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und darf ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne Weiteres diese Maßnahmen nicht begründen.

Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.“

5.

Art. 31 der Richtlinie 2004/38 regelt die Verfahrensgarantien, die den Unionsbürgern einzuräumen sind. Im Einzelnen sieht Art. 31 Abs. 1 dieser Richtlinie vor, dass „[die Betroffenen] [g]egen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit … einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können [müssen]“.

6.

Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 bestimmt, dass „[i]m Rechtsbehelfsverfahren … die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen [sind]. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 nicht unverhältnismäßig ist“.

7.

Art. 32 der Richtlinie 2004/38 regelt die zeitliche Wirkung eines Aufenthaltsverbots. Sein Abs. 1 lautet:

„Personen, gegen die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist, können nach einem entsprechend den Umständen angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach dem Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen endgültigen Aufenthaltsverbots einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis darauf einreichen, dass eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben.

Der betreffende Mitgliedstaat muss binnen sechs Monaten nach Einreichung des Antrags eine Entscheidung treffen.“

B – Bulgarisches Recht

1. Gesetz über die bulgarischen Personaldokumente

8.

Nach Art. 23 Abs. 2 des Gesetzes über die bulgarischen Personaldokumente (Zakon za balgarskite lichni dokumenti, im Folgenden: ZBLD) ( 4 )„[hat] [j]eder bulgarische Staatsbürger … das Recht, über die Binnengrenzen zwischen der Republik Bulgarien und den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie in den in völkerrechtlichen Verträgen vorgesehenen Fällen das Land auch mit einem Personalausweis zu verlassen und dorthin zurückzukehren“.

9.

In Art. 23 Abs. 3 ZBLD heißt es: „Das Recht nach Abs. 2 darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen sind und den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit der Staatsbürger oder der Rechte und Freiheiten der anderen Staatsbürger zum Ziel haben.“

10.

Art. 76 Nr. 3 ZBLD lautete in der zum Zeitpunkt des Erlasses des fraglichen Verwaltungsakts gültigen Fassung: „Es ist möglich, folgenden Personen das Verlassen des Landes nicht zu gestatten und Pässe oder Ersatzdokumente nicht auszustellen: … Personen, die gegenüber bulgarischen oder ausländischen natürlichen oder juristischen Personen erhebliche Geldschulden haben, die gerichtlich festgestellt worden sind, es sei denn, ihr persönliches Vermögen deckt die Schuld oder sie stellen eine angemessene Sicherheit.“

11.

Aus den Akten ergibt sich, dass der bulgarische Gesetzgeber Art. 76 Nr. 3 ZBLD in zwei aufeinanderfolgenden Schritten aufgehoben hat ( 5 ), ohne jedoch die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die auf der Grundlage dieser Vorschrift erlassenen Maßnahmen ihre Wirkungen verlieren ( 6 ). Die vor der Aufhebung von Art. 76 Nr. 3 ZBLD auf dessen Grundlage erlassenen Verwaltungszwangsmaßnahmen entfalten also im Sinne des nationalen Rechts über die Personaldokumente weiterhin ihre Wirkungen.

2. Verwaltungsverfahrensordnung

12.

Art. 99 der Verwaltungsverfahrensordnung (Administrativnoprotsesualen kodeks, im Folgenden: APK) gehört zu Kapitel 7 APK, in dem die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme der Verfahren zum Erlass von Verwaltungsakten festgelegt sind. Dieser Artikel lautet:

„Ein bestandskräftig gewordener individueller oder allgemeiner Verwaltungsakt, der nicht vor Gericht angefochten worden ist, kann von der unmittelbar höherrangigen Verwaltungsbehörde oder, wenn der Verwaltungsakt nicht im Verwaltungsweg anfechtbar war, von der Behörde, die ihn erlassen hat, aufgehoben oder geändert werden, sofern:

1.

ein wesentlicher Verstoß gegen eine der Voraussetzungen für seine Rechtmäßigkeit vorliegt;

7.

durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein Verstoß gegen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgestellt worden ist.“

II – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Herr Byankov, ist bulgarischer Staatsbürger. Am 17. April 2007 wurde gegen ihn auf der Grundlage des damals gültigen Art. 76 Nr. 3 ZBLD eine Verfügung erlassen, mit der ihm verboten wurde, die Republik Bulgarien zu verlassen, und untersagt wurde, ihm Pässe oder Ersatzdokumente auszustellen (im Folgenden: Verfügung von 2007). Diese Verfügung erließ der Direktor der Regionaldirektion des Innenministeriums gegen Herrn Byankov auf Antrag eines privaten Gerichtsvollziehers wegen einer als erheblich eingestuften Verbindlichkeit ( 7 ) gegenüber einer juristischen Person des bulgarischen Privatrechts, für die der Kläger keine angemessene Sicherheit stellen konnte. Herr Byankov legte gegen diese Verfügung keinen Rechtsbehelf ein, so dass sie bestandskräftig wurde.

14.

Am 6. Juli 2010, also mehr als drei Jahre nach dem Erlass des fraglichen Verwaltungsakts, beantragte Herr Byankov bei der Behörde, die den Akt erlassen hatte, die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens und die Aufhebung dieses Akts. Herr Byankov trug dabei vor, dass das ihm als Unionsbürger zustehende Freizügigkeitsrecht nur unter den im Unionsrecht vorgesehenen Voraussetzungen beschränkt werden dürfe. Die Einschränkung, die ihm durch die Verfügung von 2007 auferlegt wurde, sei nicht vom Begriff der öffentlichen Ordnung im Sinne der Richtlinie 2004/38 erfasst, was sich insbesondere aus dem Urteil des Gerichtshofs ergebe, das nach dem Erlass des fraglichen Akts in der Rechtssache Jipa ( 8 ) ergangen sei.

15.

Der Glaven Sekretar na Ministerstvo na vatreshnite raboti (Hauptsekretär des Innenministeriums), an den der Antrag von Herrn Byankov übersandt worden war, überprüfte ihn als Antrag auf Aufhebung eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts im Verfahren nach Art. 99 APK. Die zuständige Verwaltungsbehörde lehnte den Antrag mit Verfügung vom 20. Juli 2010 ab.

16.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens rief deshalb das vorlegende Gericht an, um zu erreichen, dass diese Verfügung aufgehoben und seinem Antrag auf Aufhebung der Verfügung von 2007 stattgegeben wird.

17.

Der Administrativen sad Sofia-grad hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof mit am 19. Mai 2011 bei dessen Kanzlei eingegangener Vorlageentscheidung gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Verlangt angesichts des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV in Verbindung mit den Art. 20 und 21 AEUV, dass eine nationale Bestimmung eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren fragliche – wonach die Aufhebung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts zulässig ist, um eine durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellte Verletzung eines Grundrechts wie das Freizügigkeitsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten abzustellen, das zugleich auch im Recht der Europäischen Union anerkannt wird – auch in Bezug auf die durch eine Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorgenommene Auslegung von für die Beschränkungen der Ausübung des genannten Rechts einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts angewandt wird, wenn zur Abstellung der Rechtsverletzung die Aufhebung des Verwaltungsakts erforderlich ist?

2.

Folgt aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38, dass, wenn ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht ein Verfahren zur Überprüfung eines Verwaltungsakts vorgesehen hat, der das Recht aus Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie beschränkt, die zuständige Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, auf Antrag des Adressaten des Verwaltungsakts diesen zu überprüfen und seine Rechtmäßigkeit zu beurteilen, indem sie auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Auslegung einschlägiger Vorschriften des Unionsrechts berücksichtigt, in denen die Bedingungen und Beschränkungen geregelt sind, unter denen dieses Recht ausgeübt wird, damit gewährleistet ist, dass die auferlegte Beschränkung des Rechts zum Zeitpunkt des Erlasses des Überprüfungsbescheids nicht unverhältnismäßig ist, wenn der Verwaltungsakt, mit dem die Beschränkung auferlegt worden ist, zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig ist?

3.

Erlauben die Bestimmungen des Art. 52 Abs. 1 Satz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bzw. des Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, dass eine nationale Vorschrift, die die Auferlegung einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union im Rahmen der Europäischen Union allein wegen des Bestehens einer über einen bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Betrag hinausgehenden und nicht gesicherten Verbindlichkeit gegenüber einem Privaten, nämlich einer Handelsgesellschaft, vorsieht, im Zusammenhang mit einem anhängigen Vollstreckungsverfahren zur Einziehung der Forderung und ohne Berücksichtigung der im Unionsrecht vorgesehenen Möglichkeit, dass eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats die Forderung einzieht, angewandt wird?

III – Das Verfahren vor dem Gerichtshof

18.

Die Europäische Kommission hat als einziger Beteiligter schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht.

IV – Rechtliche Würdigung

19.

Zum besseren Verständnis der vorliegenden Rechtssache erscheint es mir wichtig, nach Möglichkeit die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zu klären und die von ihm gestellten Vorlagefragen neu zu ordnen. Ich werde daher zunächst die dritte Vorlagefrage untersuchen, wobei ich dem Gerichtshof eine relativ schnelle Würdigung dieses Punkts vorschlage, da die jüngere Rechtsprechung für diesen Bereich bereits ausreichende Vorgaben macht. Sodann werde ich erläutern, warum die zweite Vorlagefrage nicht zu behandeln ist. Schließlich werde ich mich der ersten Frage widmen, nicht ohne sie jedoch zuvor neu formuliert zu haben.

A – Zur Vereinbarkeit des Ausreiseverbots mit dem Unionsrecht

20.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens verhängte Maßnahme mit dem Unionsrecht vereinbar ist, und hat zu diesem Zweck einige Angaben gemacht. Es hat den Gerichtshof zunächst darauf hingewiesen, dass Art. 76 Nr. 3 ZBLD, auf dessen Grundlage das Ausreiseverbot gegen Herrn Byankov verhängt worden sei, vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union in Kraft getreten sei und nicht dazu bestimmt gewesen sei, eine Vorschrift des Unionsrechts umzusetzen. Es hat außerdem speziell festgestellt, dass Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nicht in Bezug auf bulgarische Staatsangehörige in nationales Recht umgesetzt worden sei ( 9 ). Sodann hat es klargestellt, dass die gegen den Kläger gerichtete Maßnahme weder eine Bezugnahme auf das persönliche Verhalten des Klägers enthalte noch Gründe dafür nenne, dass die Auferlegung einer solchen Maßnahme zur Begleichung der Geldschuld von Herrn Byankov beitragen könne, noch auf Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gestützt werde. Meines Erachtens ist vor allem das folgende wesentliche Merkmal hervorzuheben: Die Schuld von Herrn Byankov besteht gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts.

21.

Vor diesem Hintergrund werde ich in einem ersten Schritt die Frage behandeln, ob sich die fehlende Umsetzung der Richtlinie 2004/38 in Bezug auf bulgarische Staatsangehörige auf die vorliegende Rechtssache auswirkt, bevor ich in einem zweiten Schritt prüfe, ob eine Situation wie die von Herrn Byankov unter das Unionsrecht fällt. Schließlich ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen ein Ausreiseverbot wie die Verfügung von 2007 als mit in Art. 27 der Richtlinie 2004/38 vereinbar angesehen werden kann.

22.

Was erstens die fehlende Umsetzung der Richtlinie 2004/38 hinsichtlich bulgarischer Staatsangehöriger betrifft, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dies keinen Einfluss hat, weil die nationalen Gerichte verpflichtet sind, für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts Sorge zu tragen und, falls erforderlich, eine gegen dieses Recht verstoßende Maßnahme unangewandt zu lassen, da Art. 27 der Richtlinie 2004/38 jedenfalls unmittelbare Wirkung entfaltet ( 10 ).

23.

Zweitens fällt eine Situation wie die von Herrn Byankov, der sich vom Hoheitsgebiet des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begeben möchte, zweifellos unter das Recht der Unionsbürger, sich in den Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ( 11 ). Das Freizügigkeitsrecht ist jedoch kein unbedingtes Recht und kann insbesondere unter den in der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Voraussetzungen beschränkt werden. Nach Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie kann die Freizügigkeit der Unionsbürger aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden, wobei diese Gründe jedoch niemals zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden dürfen. Damit das Unionsrecht einer nationalen Maßnahme wie jener, deren Adressat Herr Byankov ist, also nicht entgegensteht, muss erwiesen sein, dass sie aus einem der genannten Gründe erlassen worden ist und dieser Grund nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht worden ist.

24.

Schließlich ist noch zu klären, welche Voraussetzungen eine die Freizügigkeit eines Unionsbürgers beschränkende Maßnahme erfüllen muss, um mit dem Unionsrecht vereinbar zu sein. Hier möchte ich daran erinnern, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfügung von 2007 nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts selbst keinen Grund angibt, der mit der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder – noch weniger wahrscheinlich – Gesundheit im Zusammenhang steht. Die einzige Begründung für den Erlass der an Herrn Byankov gerichteten Verwaltungsmaßnahme ist die zweimalige Feststellung, dass gegenüber einem Privaten eine Schuld bestehe und der Schuldner keine Sicherheit stellen könne.

25.

Der erste Rechtfertigungsgrund, der für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer die Freizügigkeit eines Unionsbürgers beschränkenden Maßnahme mit dem Unionsrecht wesentlich ist, liegt zweifellos nicht vor. Zwar mangelt es im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren, dem die bulgarische Regierung nicht beigetreten ist, an konkreten Erläuterungen, die diese Regierung dem Gerichtshof zu den Zielen hätte geben können, die der nationale Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Verabschiedung und später der Änderung ( 12 ) des Gesetzes verfolgt hat, das die Zuständigkeit der nationalen Verwaltungsbehörden zum Erlass von Maßnahmen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden begründet. Die endgültige Beurteilung dieses Aspekts ist daher weitgehend dem vorlegenden Gericht zu überlassen. Ohne sich dessen allzu sicher zu sein, erwähnt das vorlegende Gericht, dass die Regelung – und als indirekte Folge die Herrn Byankov betreffende Maßnahme – die Gläubiger schützen solle ( 13 ). So formuliert, drängt sich kein offensichtlicher Zusammenhang zwischen diesem Ziel und der öffentlichen Ordnung auf. Selbst wenn einem solchen Ziel in gewisser Weise der Gedanke des Schutzes der öffentlichen Ordnung zugrunde liegen sollte, ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss jedenfalls nicht, dass dieses Ziel nicht ausschließlich aufgrund eines wirtschaftlichen Erfordernisses verfolgt wird. Durch das Unionsrecht, genauer gesagt durch Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, wird aber ausdrücklich ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat Gründe der öffentlichen Ordnung zu wirtschaftlichen Zwecken geltend machen kann.

26.

In diesem Punkt befürchtet das vorlegende Gericht eine mögliche Diskrepanz zwischen dem Schutzniveau, das den Gläubigern vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingeräumt wird, und dem Schutzniveau, das ihnen das Unionsrecht gewährt, womit es nahelegt, dass das in Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie enthaltene Verbot, Gründe der öffentlichen Ordnung zu wirtschaftlichen Zwecken geltend machen zu dürfen, keinen angemessenen Schutz der Gläubigerinteressen erlaube, obgleich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits entschieden habe, dass dieses Ziel ein legitimes Ziel zum Schutz der Rechte anderer sei, das eine Beschränkung der Freizügigkeit im Sinne von Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ( 14 ) (im Folgenden: EMRK) rechtfertigen könne, und obschon die Charta der Grundrechte der Union den Grundsatz des gleichwertigen Schutzes der in der EMRK verankerten Rechte und Freiheiten aufstelle. Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass man hier eine Situation sehen könnte, in der gemäß Art. 52 Abs. 1 der Charta eine Grundfreiheit zum Zweck des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer eingeschränkt werden könne.

27.

Angesichts dieser Ausführungen halte ich es für sinnvoll, das vorlegende Gericht – dasselbe Gericht, das dem Gerichtshof in der Rechtssache Aladzhov Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte – auf die Unterscheidung hinzuweisen, die zwischen dem Recht der EMRK und dem Unionsrecht getroffen werden muss. Hierzu habe ich bereits ausgeführt, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch deshalb ein legitimes Ziel feststellen konnte, das eine Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigen kann, weil nach dem Recht der EMRK und ihrer Protokolle Gründe der öffentlichen Ordnung zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden dürfen und in diesen Texten somit keine Beschränkung wie in Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehen ist. Die Rechtsordnung der Union lässt Beschränkungen der Freizügigkeit der Unionsbürger also nur unter wesentlich strengeren Voraussetzungen zu und bietet ein höheres Schutzniveau als das System der EMRK ( 15 ). Das Unionsrecht begnügt sich aber nicht damit, den Sieg der Schuldnerinteressen über die Interessen der Gläubiger zu feiern, und ist weit davon entfernt, die Lage der Gläubiger zu ignorieren. Meines Erachtens steht Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 einem Ausreiseverbot zwar entgegen, wenn es aus dem einzigen Grund verhängt wurde, dass zwischen Privaten eine Schuld besteht, doch ist daraus auch die Erkenntnis zu ziehen, dass die dem Schutz der Gläubigerinteressen dienenden Mittel grundsätzlich andere Formen annehmen müssen als jene einer Beschränkung der Freizügigkeit des Schuldners. Es gibt im Unionsrecht in der Tat ein rechtliches Instrumentarium, das die Gläubigerrechte garantieren kann, ohne dass eine Beschränkung der Freizügigkeit des Schuldners zwingend erforderlich wäre ( 16 ). Ich teile daher nicht die Befürchtung des vorlegenden Gerichts, es bestehe im System der EMRK ein anderes Schutzniveau als in der Rechtsordnung der Union.

28.

Selbst wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme ganz eindeutig auf Gründe der öffentlichen Ordnung gestützt wäre – wovon ich jedoch aus den oben genannten Gründen nicht überzeugt bin –, wäre diese Rechtfertigung allein nicht ausreichend, damit die Maßnahme ipso facto den Anforderungen des Unionsrechts genügt. Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass „der Begriff der öffentlichen Ordnung jedenfalls voraussetzt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ ( 17 ). Auch in diesem Punkt hat das vorlegende Gericht vorgetragen, dass die Verfügung von 2007 weder eine konkrete Beurteilung des persönlichen Verhaltens von Herrn Byankov enthalte noch darlege, dass dieses Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der bulgarischen Gesellschaft berühre, das an keiner Stelle der Akten definiert wird.

29.

Das vollständige Fehlen einer Beurteilung des konkreten Falls des Klägers des Ausgangsverfahrens bestätigt eher die Annahme, dass Maßnahmen wie die gegen Herrn Byankov gerichtete automatisch angewandt werden, sobald festgestellt wird, dass eine Schuld in Höhe von mehr als 5000 BGN besteht und der Schuldner nicht imstande ist, eine ausreichende Sicherheit zu stellen. Der Gerichtshof hat allerdings bereits entschieden, dass „eine nationale Gesetzes- oder Verordnungsvorschrift, die automatisch zu einer Entscheidung führt, mit der allein aufgrund des Bestehens einer Abgabenschuld und ohne Berücksichtigung des persönlichen Verhaltens des Betroffenen verboten wird, das Hoheitsgebiet zu verlassen, nicht den Anforderungen des Unionsrechts [entspräche]“ ( 18 ); diese Feststellung drängt sich auch für den Fall auf, dass ein zeitlich unbefristetes Ausreiseverbot allein wegen einer privaten Schuld verhängt wird.

30.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die dritte Frage zu antworten, dass das Unionsrecht einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach die Verwaltungsbehörde einem Staatsangehörigen dieses Staates allein aus dem Grund, dass er eine im nationalen Recht als erheblich eingestufte Verbindlichkeit gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts hat, das Verlassen dieses Staates verbieten darf, wenn mit der fraglichen Maßnahme nicht einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft begegnet werden soll und das verfolgte Ziel nur wirtschaftlichen Zwecken dient. Selbst wenn ein Ausreiseverbot wie das im Ausgangsverfahren gegen Herrn Byankov verhängte unter den Voraussetzungen nach Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 verhängt werden sollte, steht Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie einer solchen Maßnahme entgegen, wenn sie allein mit dem Bestehen der Schuld begründet wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Betroffenen konkret beurteilt und auf irgendeine Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch dieses Verhalten Bezug genommen wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das im Ausgangsverfahren der Fall ist.

B – Zur fehlenden Relevanz der Art. 31 und 32 der Richtlinie 2004/38 für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits

31.

Mit der zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2004/38 auch dann zu einer Überprüfung verpflichtet, wenn die Maßnahme, mit der die Freizügigkeit des Unionsbürgers beschränkt wird, bestandskräftig geworden ist.

32.

Hierzu ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht die einschlägige Bestimmung der Richtlinie 2004/38 nicht korrekt benannt hat. Art. 31 dieser Richtlinie regelt die Verfahrensgarantien, die Personen zum Zeitpunkt des Erlasses gegen sie gerichteter Maßnahmen, die ihre Freizügigkeit beschränken, einzuräumen sind. Dieser Artikel soll den betroffenen Personen insbesondere ihr Recht auf effektiven Rechtsschutz garantieren. Im vorliegenden Fall standen Herrn Byankov zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung von 2007 unbestritten Rechtswege offen, auf denen er das Ausreiseverbot – gegebenenfalls vor Gericht – hätte anfechten können. Weiter steht fest, dass Herr Byankov beschloss, sein Recht auf effektiven Rechtsschutz zu diesem Zeitpunkt nicht wahrzunehmen, mit dem Ergebnis, dass die Verfügung nach bulgarischem Recht bestandskräftig geworden ist.

33.

Die Rechtslage des Ausgangsverfahrens, wie sie vom vorlegenden Gericht im Rahmen der zweiten Vorlagefrage beschrieben worden ist ( 19 ), ist somit nicht anhand von Art. 31 der Richtlinie 2004/38 zu prüfen. Die zeitliche Wirkung eines Aufenthaltsverbots ist in Art. 32 dieser Richtlinie geregelt. Es muss geprüft werden, ob dieser Artikel für die vorliegende Rechtssache relevant ist.

34.

Meines Erachtens besteht kein Zweifel daran, dass die Garantien, die der Unionsgesetzgeber in den Art. 31 und 32 der Richtlinie 2004/38 vorgesehen hat, für Einreise- und Ausreiseverbote gleichermaßen gewahrt werden müssen. Die Auslegung von Art. 32 muss daher über seinen Wortlaut hinausgehen, und es muss auf seine grundsätzliche Anwendbarkeit erkannt werden, wenn ein Unionsbürger von einem Ausreiseverbot betroffen ist.

35.

Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 32 der Richtlinie 2004/38 eindeutig verpflichtet, ein Verfahren zur Überprüfung von Maßnahmen einzurichten, die auf der Grundlage dieser Richtlinie ergangen sind und mit denen die Freizügigkeit der Unionsbürger beschränkt wird. Dieses Verfahren muss gegen eine bestandskräftige, die Freizügigkeit der betroffenen Person einschränkende Maßnahme mindestens alle drei Jahre wegen einer materiellen Änderung der Umstände durchgeführt werden können. Sowohl der Wortlaut als auch der Zweck von Art. 32 der Richtlinie 2004/38 zwingen zu dem Schluss, dass die Bestandskraft der Maßnahme entgegen den Ausführungen des vorlegenden Gerichts einer Überprüfung nicht entgegensteht. Es hätte auch keinen Sinn, nur für jene Maßnahmen eine Überprüfung zu fordern, gegen die noch der Rechtsweg offensteht.

36.

Da die Verfügung von 2007 gegen Herrn Byankov vor mehr als drei Jahren erlassen wurde und bestandskräftig geworden ist, könnte man meinen, dass sie Gegenstand einer Überprüfung auf der Grundlage von Art. 32 der Richtlinie 2004/38 sein muss. Zwei Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit diese Vorschrift im Ausgangsverfahren einschlägig ist, sind jedoch nicht erfüllt. Zum einen muss die in Rede stehende Maßnahme „nach dem [Union]srecht ordnungsgemäß erlassen …“ worden sein, damit der Weg zur Überprüfung eröffnet ist. Die Würdigung der dritten Vorlagefrage hat jedoch zu dem Ergebnis geführt, dass dies meines Erachtens nicht der Fall ist. Zum anderen ist die Überprüfung im Sinne der Richtlinie 2004/38 zur Wahrung einer gewissen rechtlichen Stabilität auf die Fälle beschränkt, in denen „eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das [Ausreise]verbot gerechtfertigt haben“. Diese materielle Änderung kann darin bestehen, dass die Gefährdung der öffentlichen Ordnung, die von der betroffenen Person möglicherweise tatsächlich ausging, nicht mehr gegenwärtig ist oder dass die Forderung nicht mehr besteht. Hierzu ist festzustellen, dass im Fall von Herrn Byankov keine solche Änderung eingetreten ist.

37.

Das Rechtsproblem des Ausgangsverfahrens kann folglich nicht anhand der Richtlinie 2004/38 gelöst werden. Die zweite Frage, die das vorlegende Gericht gestellt hat, ist demzufolge für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht relevant.

C – Zu den Voraussetzungen, unter denen das Unionsrecht eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines bestandskräftig gewordenen, nicht vor Gericht angefochtenen Verwaltungsakts wegen Verstoßes gegen Unionsrecht verlangt

38.

Das Problem, dass die Verfügung von 2007 aufwirft, unterscheidet sich deutlich von dem, das in Art. 32 der Richtlinie 2004/38 behandelt wird. Diese Vorschrift regelt den Fall einer ursprünglich nach dem Unionsrecht zulässigen Maßnahme, bei der sich später herausstellen soll, dass sie nicht mehr die Voraussetzungen der Richtlinie 2004/38 erfüllt. Im Fall des Ausgangsverfahrens ist der Gerichtshof dagegen mit einer Maßnahme befasst, a) die meines Erachtens seit dem Zeitpunkt ihres Erlasses nicht mit den in der Richtlinie 2004/38 enthaltenen materiellen Voraussetzungen vereinbar ist, b) die nicht vor Gericht angefochten wurde und deshalb bestandskräftig geworden ist und c) die nun von der betroffenen Person angefochten wird, ohne dass diese Anfechtung als Antrag auf Aufhebung des Verbots nach Art. 32 der Richtlinie 2004/38 angesehen werden kann.

39.

Unter diesen Umständen schlage ich eine Prüfung in drei Schritten vor.

40.

Zunächst sollte eine aufmerksame Untersuchung des nationalen Rechts dem Gerichtshof eine genauere Bestimmung der für die Prüfung der ersten Vorlagefrage einschlägigen nationalen Vorschrift ermöglichen. Sodann ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das gegen den Kläger des Ausgangsverfahrens erlassene Ausreiseverbot nicht Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle war. Zum Schluss erfolgt als Konsequenz eine Prüfung im Licht der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.

1. Nationale Rechtslage

41.

Die Situation, in der sich das nationale Gericht befindet, kann wie folgt zusammengefasst werden: Es ist mit einem Antrag auf Aufhebung einer Verwaltungsentscheidung befasst, mit der ein Antrag des Klägers des Ausgangsverfahrens abgelehnt wurde, das Verwaltungsverfahren, das zum Erlass der Verfügung von 2007 geführt hatte, wieder aufzunehmen, weil diese Verfügung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Das nationale Gericht muss also feststellen, ob diese Ablehnung den Anforderungen des Unionsrechts genügt. Bevor diese Frage entschieden werden kann, ist der nationale rechtliche Rahmen näher zu bestimmen, in dem der die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens ablehnende Bescheid ergangen ist, um Letzteren besser zu verstehen.

42.

Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts kann das Verwaltungsverfahren, das zum Erlass eines individuellen, bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts geführt hat, der nicht vor Gericht angefochten wurde, in sieben verschiedenen, in Art. 99 des APK abschließend aufgeführten Fällen ausnahmsweise wieder aufgenommen werden, um diesen Akt aufzuheben oder abzuändern. Auf zwei dieser sieben Fälle hat das vorlegende Gericht seine Aufmerksamkeit besonders gerichtet und es für zweckdienlich gehalten, sie dem Gerichtshof zur Kenntnis zu bringen.

43.

Es geht zum einen um Art. 99 Nr. 7 APK. Nach meinem Verständnis erlaubt er der Person, gegen die der fragliche Verwaltungsakt erlassen wurde, und gegebenenfalls dem Gericht, jederzeit das Verwaltungsverfahren wieder aufzunehmen, wenn durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgestellt wird, dass der in Rede stehende Akt ein in der EMRK verankertes Grundrecht verletzt.

44.

Nach ihrem Wortlaut bezieht sich diese Rechtsvorschrift nur auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausdrücklich. Es gibt keine entsprechende Vorschrift zur Rechtsprechung des Gerichtshofs. Allerdings ist eine solche Vorschrift auch nicht nötig, da sich das Unionsrecht im Gegensatz zum Recht der EMRK durch die beiden wesentlichen Eigenschaften des Vorrangs ( 20 ) und der unmittelbaren Wirkung ( 21 ) auszeichnet. Außerdem wird nach ständiger Rechtsprechung „[d]urch die Auslegung einer Bestimmung des [Unions]rechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus [Art. 267 AEUV] vornimmt, erforderlichenfalls erläutert und verdeutlicht …, in welchem Sinne und mit welcher Bedeutung diese Bestimmung seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre“ ( 22 ). Angesichts der besonderen Eigenschaften der Rechtsordnung der Union und der besonderen Natur des Vorabentscheidungsmechanismus sind die Verpflichtungen der nationalen Gerichte, die ihnen hinsichtlich der Voraussetzungen auferlegt sind, unter denen sie die Rechtmäßigkeit eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts wegen einer Verletzung des Unionsrechts überprüfen müssen, völlig unabhängig von dem Fall zu betrachten, in dem sich die behauptete Rechtswidrigkeit aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt.

45.

Gerade aus dem vom vorlegenden Gericht dargestellten nationalen rechtlichen Rahmen ergibt sich jedoch, dass das nationale Recht noch eine andere Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens unabhängig von der ausschließlich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffenden vorsieht, die folglich für unsere Rechtssache eher relevant ist.

46.

Art. 99 Nr. 1 APK bestimmt, dass ein bestandskräftig gewordener Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert werden kann, wenn ein wesentlicher Verstoß gegen eine der Voraussetzungen für seine Rechtmäßigkeit vorliegt. Gerade wegen der besonderen Eigenschaften des Unionsrechts, auf die ich hingewiesen habe, ist der nationale Begriff „wesentlicher Verstoß gegen die Rechtmäßigkeit“ so zu verstehen, dass er auch die Fälle erfasst, in denen der Verwaltungsakt gegen Unionsrecht verstößt.

47.

Im Gegensatz zu Art. 99 Nr. 7 APK kann der Wiederaufnahmegrund des Art. 99 Nr. 1 APK allerdings nicht jederzeit von der Person geltend gemacht werden, die von dem Verwaltungsakt betroffen ist. Die Aufhebung oder Änderung eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts unterliegt in diesem Fall vielmehr strengen Voraussetzungen hinsichtlich der Antragsbefugnis und der Frist. Nur die Verwaltungsbehörde, die den Akt erlassen hat, der Staatsanwalt und der Bürgerbeauftragte können die Aufhebung oder Änderung dieses Verwaltungsakts beschließen oder beantragen, und zwar innerhalb einer Frist von einem Monat ab seinem Erlass. Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts geht hervor, dass der in Art. 99 Nr. 1 APK vorgesehene Grund für die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens als „Recht“ der Verwaltung gestaltet ist. Die Zweckmäßigkeit seiner Anwendung ist der freien Beurteilung der Behörden überlassen, die die Befugnis haben, die Aufhebung oder Änderung des Verwaltungsakts zu betreiben; diese Behörden üben dabei also ein völlig freies Ermessen aus, ohne dass der Betroffene jemals aus eigenem Antrieb den Verstoß des seine persönliche Situation betreffenden Verwaltungsakts gegen die materielle Rechtmäßigkeit geltend machen könnte. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass die Verwaltungsbehörde, die über den Antrag des Klägers des Ausgangsverfahrens auf Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens entschieden hat, in ihrem Bescheid von 2010 festgestellt hat, dass die Behörde, die die Verfügung von 2007 erlassen hatte, auf die Ausübung des Rechts nach Art. 99 Nr. 1 APK verzichtet hatte.

48.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist eine Neuformulierung der ersten Vorlagefrage angebracht, die aus dem Vorabentscheidungsersuchen klar hergeleitet werden kann, und zwar, ob die Voraussetzungen, unter denen der Rechtsweg nach Art. 99 Abs. 1 APK beschritten werden kann, den Anforderungen des Unionsrechts genügen.

2. Unerheblichkeit der Rechtsprechung Kühne & Heitz

49.

Um festzustellen, welche Verpflichtungen sich aus dem Unionsrecht hinsichtlich der Überprüfung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts wegen seiner Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht ergeben, ist das vorlegende Gericht ausführlich auf die Rechtsprechung Kühne & Heitz eingegangen. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil entschieden, dass der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit eine Verwaltungsbehörde auf einen entsprechenden Antrag hin verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zu überprüfen, um der mittlerweile vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung der einschlägigen Bestimmung Rechnung zu tragen, wenn a) die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen, b) die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist, c) das Urteil, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des Gerichtshofs zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Unionsrechts beruht, die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, und d) der Betroffene sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der besagten Entscheidung des Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt hat ( 23 ).

50.

Da ich vorgeschlagen habe, die erste Vorlagefrage neu zu formulieren, erscheint mir das Problem eines nach dem Erlass eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts ergangenen Urteils des Gerichtshofs für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr von zentraler Bedeutung zu sein. Außerdem sind die in diesem Urteil enthaltenen Vorgaben jedenfalls nur dann relevant, wenn zwischen der Rechtssicherheit im Zusammenhang mit der Rechtskraftwirkung und der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die dem Einzelnen durch das Unionsrecht garantierten Rechte anzuwenden und zu wahren, eine Abwägung vorzunehmen ist. Ein charakteristischer Umstand des vorliegenden Ausgangsverfahrens ist jedoch gerade, dass die Verfügung von 2007 bestandskräftig wurde, ohne dass sie vor Gericht angefochten wurde.

51.

Die vier kumulativen Voraussetzungen, die der Gerichtshof in der Rechtsprechung Kühne & Heitz aufgestellt hat, sind mithin in der vorliegenden Rechtssache nicht einschlägig, da sich hier nicht die Frage der Rechtskraftwirkung stellt ( 24 ).

3. Die Beurteilung der Situation des Ausgangsverfahrens anhand der Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz

52.

Das Unionsrecht verlangt „[e]ntsprechend dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder durch Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist“ ( 25 ), und „[d]urch die Beachtung dieses Grundsatzes lässt sich verhindern, dass Handlungen der Verwaltung, die Rechtswirkungen entfalten, unbegrenzt in Frage gestellt werden können“ ( 26 ). Gleichwohl sieht das bulgarische Recht tatsächlich die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens für den Fall vor, dass der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist und den Mangel eines wesentlichen Rechtsverstoßes aufweist.

53.

In einer Situation, in der zu klären ist, welche Verpflichtungen nach dem Unionsrecht für die Überprüfung eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts gelten, der sich als unvereinbar mit dem Unionsrecht erweist, aber nicht vor Gericht angefochten wurde, und in der das nationale Recht eine solche Infragestellung der Rechtmäßigkeit des Akts erlaubt, antwortet der Gerichtshof jedoch auf der Grundlage der Prinzipien der Effektivität und der Äquivalenz und erinnert daran, dass „mangels einer einschlägigen [Unions]regelung die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem [Unions]recht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats sind; sie dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzprinzip), und die Ausübung der durch die [Unions]rechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip)“ ( 27 ). Die Situation des Ausgangsverfahrens ist daher im Licht dieser beiden Grundsätze zu untersuchen.

54.

Der Äquivalenzgrundsatz verlangt, dass bei der Anwendung sämtlicher für Rechtsbehelfe geltenden Vorschriften, einschließlich vorgesehener Fristen, nicht danach unterschieden wird, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht oder gegen internes Recht gerügt wird ( 28 ). Hierzu ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht die Möglichkeit erörtert hat, dass die besonderen Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 99 Nr. 1 APK verschieden sind, je nachdem ob die Rechtswidrigkeit des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts aufgrund eines Verstoßes gegen Unionsrecht oder aufgrund eines Verstoßes gegen internes Recht gerügt wird.

55.

Was den Effektivitätsgrundsatz angeht, ist die Situation schwieriger. Dieser Grundsatz verlangt, dass die Vorschriften, die für die Voraussetzungen gelten, unter denen die Gültigkeit eines bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts wegen seiner Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht in Frage gestellt werden kann, die Ausübung der insoweit durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

56.

Mindestens zwei dieser besonderen Voraussetzungen werfen einige Fragen auf, und zwar nach der Frist und nach den Personen, die befugt sind, die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens in Gang zu setzen.

57.

Was die Frist angeht, hat der Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedstaaten gestützt auf den Grundsatz der Rechtssicherheit verlangen können, dass ein Antrag auf Überprüfung und Rücknahme einer bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung, die gegen das Unionsrecht – gegebenenfalls in seiner späteren Auslegung durch den Gerichtshof – verstößt, bei der zuständigen Verwaltungsbehörde innerhalb einer angemessenen Frist gestellt wird ( 29 ). Diese Frist ist im Einklang mit den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität festzulegen ( 30 ). Hierzu ist festzustellen, dass Art. 99 Nr. 1 APK nur innerhalb einer Frist von einem Monat ab Erlass des Akts, der nicht vor Gericht angefochten wurde, als Rechtsgrundlage für die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens dienen kann; diese Frist genügt meines Erachtens nicht den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes.

58.

Jedenfalls wird auch hinsichtlich der Behörden, die befugt sind, die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens in Gang zu setzen, den Anforderungen des Effektivitätsgrundsatzes meines Erachtens nicht genügt. Wenn ein bestandskräftig gewordener Verwaltungsakt, der nicht vor Gericht angefochten wurde, wegen seiner Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht materiell rechtswidrig ist, kann der Adressat dieses Akts die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens nicht beantragen. Wie ich weiter oben ausgeführt habe, sind nur die Verwaltungsbehörde, die den Akt erlassen hat, der Staatsanwalt und der Bürgerbeauftragte befugt, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen oder zu beschließen.

59.

Der in Art. 99 Nr. 1 APK vorgesehene Grund für die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens ist durch zu enge Voraussetzungen in Bezug auf die Frist und die Antragsbefugnis eingegrenzt und erschwert dadurch die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig oder macht sie praktisch unmöglich; er gewährleistet daher keinen ausreichenden Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte. Folglich hat das nationale Gericht im Rahmen des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens alle sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen, um über den bei ihm vom Kläger des Ausgangsverfahrens gestellten Antrag auf Aufhebung der Verfügung, mit der die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens abgelehnt wurde, zu entscheiden.

60.

Aus meinen vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass das Unionsrecht einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach das Verwaltungsverfahren, das zu einem bestandskräftig gewordenen, nicht vor Gericht angefochtenen Verwaltungsakt geführt hat, im Fall seiner Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht nur innerhalb einer Frist von einem Monat ab Erlass des Akts und nur auf Betreiben der Verwaltungsbehörde, die den Akt erlassen hat, des Staatsanwalts oder des Bürgerbeauftragten wieder aufgenommen werden kann, wodurch die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht wird.

V – Ergebnis

61.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Administrativen sad Sofia-grad wie folgt zu antworten:

1.

Das Unionsrecht steht einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegen, wonach die Verwaltungsbehörde einem Staatsangehörigen dieses Staates allein aus dem Grund, dass er eine im nationalen Recht als erheblich eingestufte Verbindlichkeit gegenüber einer juristischen Person des Privatrechts hat, das Verlassen dieses Staates verbieten darf, wenn mit der fraglichen Maßnahme nicht einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft begegnet werden soll und das verfolgte Ziel nur wirtschaftlichen Zwecken dient. Selbst wenn ein Ausreiseverbot wie das im Ausgangsverfahren gegen Herrn Byankov verhängte unter den Voraussetzungen nach Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG verhängt werden sollte, steht Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie einer solchen Maßnahme entgegen, wenn sie allein mit dem Bestehen der Schuld begründet wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Betroffenen konkret beurteilt und auf irgendeine Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch dieses Verhalten Bezug genommen wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das im Ausgangsverfahren der Fall ist.

2.

Das Unionsrecht steht einer Bestimmung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach das Verwaltungsverfahren, das zu einem bestandskräftig gewordenen, nicht vor Gericht angefochtenen Verwaltungsakt geführt hat, im Fall seiner Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht nur innerhalb einer Frist von einem Monat ab Erlass des Akts und nur auf Betreiben der Verwaltungsbehörde, die den Akt erlassen hat, des Staatsanwalts oder des Bürgerbeauftragten wieder aufgenommen werden kann, wodurch die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte übermäßig erschwert oder praktisch unmöglich gemacht wird.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Urteil vom 17. November 2011, Aladzhov (C-434/10, Slg. 2011, I-11659).

( 3 ) ABl. L 158, S. 77.

( 4 ) DV Nr. 93 vom 11. August 1998, geändert durch DV Nr. 105 vom 22. Dezember 2006.

( 5 ) Vgl. DV Nr. 82 vom 16. Oktober 2009.

( 6 ) Anders als dies der bulgarische Gesetzgeber ausdrücklich für Maßnahmen vorgesehen hat, die auf der Grundlage anderer aufgehobener Nummern des Art. 76 ZBLD erlassen wurden: vgl. das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die bulgarischen Personaldokumente (DV Nr. 26 vom 6. April 2010).

( 7 ) Nach bulgarischem Recht ist dies ein Betrag von mehr als 5000 BGN.

( 8 ) Urteil vom 10. Juli 2008, Jipa (C-33/07, Slg. 2008, I-5157).

( 9 ) Vgl. Randnr. 17 der Vorlageentscheidung.

( 10 ) Urteil Aladzhov (Randnrn. 31 f.).

( 11 ) Urteil Aladzhov (Randnrn. 24 bis 27).

( 12 ) Ich möchte daran erinnern, dass Art. 76 Nr. 3 ZBLD durch Gesetz aufgehoben worden ist, wobei die auf dieser Rechtsgrundlage bereits verhängten Maßnahmen im Gegensatz zu den Maßnahmen, die auf der Grundlage anderer, ebenfalls aufgehobener Nummern von Art. 76 ergangen sind, weiterhin ihre Wirkungen entfalten.

( 13 ) Vgl. Randnr. 60 des Vorabentscheidungsersuchens.

( 14 ) EGMR, Urteile Riener/Bulgarien vom 23. Mai 2006, Individualbeschwerde Nr. 46343/99 (§§ 116 f.), Ignatov/Bulgarien vom 2. Juli 2009, Individualbeschwerde Nr. 50/02 (§§ 35 und 37), und Gochev/Bulgarien vom 26. November 2009, Individualbeschwerde Nr. 34383/03 (§§ 48 f.).

( 15 ) Vgl. Nr. 30 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Aladzhov.

( 16 ) Ich beschränke mich hier auf einen Verweis auf die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

( 17 ) Urteil Aladzhov (Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Urteil Aladzhov (Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Zur Erinnerung: Die Frage bezieht sich auf ein „Verfahren zur Überprüfung“, auf den „Zeitpunkt des Erlasses des Überprüfungsbescheids“ und vor allem darauf, dass der Verwaltungsakt bereits bestandskräftig geworden ist.

( 20 ) Urteil vom 15. Juli 1964, Costa (6/64, Slg. 1964, 1141).

( 21 ) Urteil vom 5. Februar 1963, van Gend & Loos (26/62, Slg. 1963, 1).

( 22 ) Urteil vom 13. Januar 2004, Kühne & Heitz (C-453/00, Slg. 2004, I-837, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 23 ) Urteil Kühne & Heitz (Randnr. 28 und Tenor).

( 24 ) Diese Auffassung wird übrigens vom Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006, i-21 Deutschland und Arcor (C-392/04 und C-422/04, Slg. 2006, I-8559, Randnrn. 53 f.), bestätigt.

( 25 ) Urteil i-21 Deutschland und Arcor (Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 26 ) Ebd.

( 27 ) Ebd., Randnr. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 28 ) Ebd., Randnr. 62.

( 29 ) Urteil vom 12. Februar 2008, Kempter (C-2/06, Slg. 2008, I-411, Randnr. 59).

( 30 ) Urteil Kempter (Tenor).