Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 16. September 2013 – Villeroy & Boch Austria u. a./Kommission

(Verbundene Rechtssachen T‑373/10, T‑374/10, T‑382/10 und T‑402/10)

„Wettbewerb — Kartelle — Belgischer, deutscher, französischer, italienischer, niederländischer und österreichischer Markt für Badezimmerausstattungen — Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR‑Abkommen festgestellt wird — Koordinierung von Preiserhöhungen und Austausch sensibler Geschäftsinformationen — Einheitliche Zuwiderhandlung — Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung — Beweis — Geldbußen — Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen von 2006 — Rückwirkungsverbot — Angemessene Frist“

1. 

Wettbewerb — Geldbußen — Höhe — Festsetzung — Ermessen der Kommission — Gerichtliche Nachprüfung — Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung — Umfang — Grenzen — Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Rechts (Art. 261 AEUV und 263 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31) (vgl. Randnrn. 26, 397, 398)

2. 

Kartelle — Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen — Begriff — Gesamtkartell — Kriterien — Einziges Ziel (Art. 101 Abs. 1 AEUV) (vgl. Randnrn. 32-35, 61, 65)

3. 

Kartelle — Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen — Begriff — Einstufung als einheitliche Zuwiderhandlung — Entscheidungsspielraum der Kommission — Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen — Fehlen (Art. 101 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49 Abs. 1) (vgl. Randnrn. 40-43)

4. 

Kartelle — Verbot — Zuwiderhandlungen — Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen — Zurechnung der Verantwortung an ein Unternehmen aufgrund einer Beteiligung an der Zuwiderhandlung als Ganzes — Voraussetzungen (Art. 101 Abs. 1 AEUV) (vgl. Randnrn. 46-48, 54, 64, 242)

5. 

Wettbewerb — Verwaltungsverfahren — Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird — Verpflichtung zur Abgrenzung des relevanten Marktes — Tragweite (Art. 101 Abs. 1 AEUV) (vgl. Randnrn. 53, 56-58, 76)

6. 

Wettbewerb — Rechtsvorschriften der Union — Zuwiderhandlungen — Zurechnung — Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften — Wirtschaftliche Einheit — Beurteilungskriterien — Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Anteile sie zu 100 % hält (Art. 101 AEUV und 102 AEUV) (vgl. Randnrn. 97, 155, 156, 164)

7. 

Wettbewerb — Verwaltungsverfahren — Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird — Art des Nachweises — Indizienbündel — Bei jedem einzelnen Indiz erforderlicher Grad der Beweiskraft (Art. 101 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 2) (vgl. Randnrn. 104, 113-115, 257, 264, 275, 289)

8. 

Kartelle — Abgestimmte Verhaltensweise — Begriff — Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten autonom zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit — Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern — Wettbewerbswidriger Zweck oder wettbewerbswidrige Wirkung — Vermutung — Voraussetzungen (Art. 101 Abs. 1 AEUV) (vgl. Randnrn. 121, 123, 145, 148, 149, 248, 261)

9. 

Recht der Europäischen Union — Allgemeine Rechtsgrundsätze — Rechtssicherheit — Gesetzmäßigkeit der Strafen — Bedeutung (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49 Abs. 1) (vgl. Randnr. 157)

10. 

Recht der Europäischen Union — Grundsätze — Grundrechte — Unschuldsvermutung — Verfahren in Wettbewerbssachen — Anwendbarkeit (Art. 6 Abs. 2 EUV; Art. 101 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47 und 48 Abs. 1) (vgl. Randnr. 158)

11. 

Wettbewerb — Verwaltungsverfahren — Befugnisse der Kommission — Feststellung einer abgestellten Zuwiderhandlung — Berechtigtes Interesse an dieser Feststellung — Erheblichkeit für das Verständnis der Funktionsweise des Kartells insgesamt (Art. 101 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 7 Abs. 1) (vgl. Randnrn. 302-304)

12. 

Wettbewerb — Geldbußen — Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung — Voraussetzungen — Wirtschaftliche Einheit — Keine Verstöße gegen den Grundsatz ne bis in idem und gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2) (vgl. Randnrn. 324-329, 332, 333)

13. 

Wettbewerb — Verwaltungsverfahren — Verpflichtungen der Kommission — Einhaltung einer angemessenen Verfahrensdauer — Beurteilungskriterien — Verstoß — Folgen (Art. 101 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 1; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates) (vgl. Randnrn. 347-352)

14. 

Recht der Europäischen Union — Grundsätze — Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften — Geltungsbereich — Wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängte Geldbußen — Einbeziehung — Möglicher Verstoß aufgrund der Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen auf eine vor ihrer Einführung begangene Zuwiderhandlung — Vorhersehbarkeit der durch die Leitlinien eingeführten Änderungen — Kein Verstoß (Art. 101 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilungen der Kommission 98/C 9/03 und 2006/C 210/02) (vgl. Randnrn. 371-376)

15. 

Wettbewerb — Geldbußen — Höhe — Festsetzung — In den Leitlinien der Kommission festgelegte Berechnungsmethode — Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße — Berücksichtigung der Merkmale der Zuwiderhandlung als Gesamtheit (Art. 101 Abs. 1 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Nrn. 19 bis 25) (vgl. Randnrn. 381-384)

16. 

Wettbewerb — Geldbußen — Höhe — Festsetzung — Höchstbetrag — Berechnung — Unterscheidung zwischen dem Endbetrag und dem Zwischenbetrag der Geldbuße — Folgen (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2) (vgl. Randnrn. 388-393)

Gegenstand

Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses K(2010) 4185 endg. der Kommission vom 23. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39092 – Badezimmerausstattungen), soweit er die Klägerinnen betrifft, hilfsweise, Herabsetzung der gegen diese verhängten Geldbußen

Tenor

1. 

In den Rechtssachen T‑373/10, T‑382/10 und T‑402/10 werden die Klagen abgewiesen.

2. 

In der Rechtssache T‑374/10 wird Art. 1 Abs. 7 des Beschlusses K(2010) 4185 endg. der Kommission vom 23. Juni 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39092 – Badezimmerausstattungen) insoweit für nichtig erklärt, als darin festgestellt wird, dass sich die Villeroy & Boch AG vor dem 12. Oktober 1994 an einem Kartell im Badezimmerausstattungssektor in Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Österreich beteiligt hat.

3. 

In der Rechtssache T‑374/10 wird die Klage im Übrigen abgewiesen.

4. 

Die Villeroy & Boch Austria GmbH, die Villeroy et Boch SAS und die Villeroy & Boch – Belgium tragen ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission in den Rechtssachen T‑373/10, T‑382/10 und T‑402/10.

5. 

Die Villeroy & Boch AG trägt sieben Achtel ihrer eigenen Kosten und sieben Achtel der Kosten der Kommission in der Rechtssache T‑374/10.

6. 

Die Kommission trägt ein Achtel ihrer eigenen Kosten und ein Achtel der Kosten der Villeroy & Boch AG in der Rechtssache T‑374/10.