1. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000 – Internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – Gerichte des Mitgliedstaats des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates)
2. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000 – Internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens – Gerichte des Mitgliedstaats des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen des Schuldners – Kriterien für die Feststellung
(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates)
1. Die Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats, das ein Hauptinsolvenzverfahren gegen eine Gesellschaft unter Zugrundelegung der Tatsache eröffnet hat, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft im Gebiet dieses Mitgliedstaats befindet, dieses Verfahren in Anwendung einer innerstaatlichen Vorschrift nur unter der Bedingung auf eine zweite Gesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, erweitern kann, dass nachgewiesen wird, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der zweiten Gesellschaft im erstgenannten Mitgliedstaat befindet.
Nach dem mit der Verordnung eingeführten System zur Bestimmung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, das sich auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners stützt, gibt es nämlich eine eigene gerichtliche Zuständigkeit für jeden Schuldner, der eine rechtlich selbständige Einheit darstellt.
Könnte ein nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 für einen Schuldner zuständiges Gericht in Anwendung seines nationalen Rechts eine andere rechtliche Einheit allein aufgrund einer Vermischung der Vermögensmassen einem Insolvenzverfahren unterwerfen, ohne zu prüfen, wo sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Einheit befindet, würde dies eine Umgehung des mit der Verordnung eingeführten Systems darstellen. Insbesondere würde sich daraus die Gefahr positiver Kompetenzkonflikte zwischen Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten ergeben, die mit der Verordnung im Interesse einer einheitlichen Behandlung von Insolvenzverfahren innerhalb der Union gerade vermieden werden sollten.
(vgl. Randnrn. 25, 28-29, Tenor 1)
2. Die Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass, wenn gegen eine Gesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich im Gebiet eines Mitgliedstaats befindet, Klage auf Erweiterung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens erhoben wird, das in einem anderen Mitgliedstaat gegen eine andere Gesellschaft, die im Gebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist, eröffnet ist, die Feststellung allein, dass eine Vermischung der Vermögensmassen dieser Gesellschaften vorliegt, nicht für den Nachweis ausreicht, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der von der Klage betroffenen Gesellschaft ebenfalls in diesem Mitgliedstaat befindet. Zur Widerlegung der Vermutung, dass sich dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet, ist erforderlich, dass mit einer Gesamtbeurteilung aller relevanten Anhaltspunkte der Nachweis gelingt, dass sich das tatsächliche Verwaltungs- und Kontrollzentrum der von der Klage auf Erweiterung betroffenen Gesellschaft für Dritte feststellbar in dem Mitgliedstaat befindet, in dem das ursprüngliche Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
(vgl. Randnr. 39, Tenor 2)