SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 8. Dezember 2011 ( 1 )

Rechtssache C-594/10

T. G. van Laarhoven

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)

„Mehrwertsteuer — Sechste Richtlinie — Vorsteuerabzug — Beschränkung — Übergangsweise weiterhin zulässige Altregelungen — Änderung einer bestehenden Beschränkung, die betragsmäßig zu deren Ausweitung führt — Sowohl geschäftlich als auch privat genutzter Pkw — Besteuerung der privaten Verwendung“

I – Einleitung

1.

Das Recht auf Vorsteuerabzug kann grundsätzlich nicht beschränkt werden. Die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie ( 2 ) und die ihr nachfolgende Mehrwertsteuersystemrichtlinie ( 3 ) lassen jedoch weiterhin nationale Altregelungen zu, die das Recht auf Vorsteuerabzug beschränken, sofern die betreffende Regelung bereits bei Inkrafttreten der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie galt. Doch wie verhält es sich mit späteren Änderungen einer solchen Regelung, durch die das Recht auf Vorsteuerabzug allein hinsichtlich des Betrags noch weiter beschränkt wird? Dies ist die Frage, um deren Beantwortung der Gerichtshof im vorliegenden Fall im Wesentlichen ersucht wird. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu klären, ob die hier zugrunde liegende niederländische Regelung tatsächlich an den Unionsvorschriften über den Vorsteuerabzug zu messen ist, oder womöglich an jenen über die Besteuerung der privaten Verwendung. Denn sie lässt bei sowohl betrieblicher als auch privater Nutzung eines Pkw durchaus den sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug zu und sieht lediglich hinsichtlich der privaten Verwendung eine jährlich erfolgende pauschalierte Nachversteuerung vor.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Unionsrecht

2.

Art. 6 „Dienstleistungen“ der Sechsten Richtlinie bestimmt auszugsweise:

„(2)   Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:

a)

die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat;

Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.“

3.

Der Abschnitt VIII „Besteuerungsgrundlage“ der Sechsten Richtlinie enthält Art. 11, der, soweit hier relevant, vorsieht:

„A.Im Inland

(1)   Die Besteuerungsgrundlage ist:

c)

bei den in Artikel 6 Absatz 2 genannten Umsätzen der Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung;

…“

4.

Art. 17 „Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“ der Sechsten Richtlinie in der Fassung ihres Art. 28f Nr. 1 lautet auszugsweise wie folgt:

„(2)   Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a)

die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden,

(6)

Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.

Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.

…“

5.

Art. 20 „Berichtigung der Vorsteuerabzüge“ der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere:

a)

wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war;

b)

wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten; die Berichtigung unterbleibt jedoch bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, bei einer Zerstörung oder einem ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und Muster nach Artikel 5 Absatz 6. Bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten jedoch eine Berichtigung verlangen.

(2)   Für Investitionsgüter wird eine Berichtigung vorgenommen, die sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren einschließlich des Jahres, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden, erstreckt. Die jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel der Steuer, mit der diese Güter belastet waren. Die Berichtigung erfolgt unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden.

Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung der Güter beginnt.

…“

B – Niederländisches Recht

6.

Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts haben die Niederlande im Rahmen der Umsetzung der Sechsten Richtlinie eine Regelung beibehalten, die den Vorsteuerabzug in Bezug auf Pkw, die vom Unternehmer nicht nur betrieblich, sondern auch privat genutzt werden, beschränkt. ( 4 ) Danach wird die Mehrwertsteuer, die den Besitz, einschließlich der Anschaffung, des Pkw belastet, zuerst abgezogen, als würde der Wagen ausschließlich betrieblich genutzt. Am Ende jedes Jahres kommt es jedoch zu einer Nachversteuerung. Dazu wird ein fester Prozentsatz auf den Pauschalbetrag erhoben, der im Rahmen der Einkommensteuererhebung als Entnahme für private Zwecke betrachtet wird. Dieser Pauschalbetrag stellt seinerseits einen bestimmten Prozentsatz des Listenpreises oder des Fahrzeugwerts dar.

7.

Im Laufe der Zeit kam es zu verschiedenen Änderungen dieser Regelung, die laut dem vorlegenden Gericht in den meisten Fällen dazu führten, dass sich der definitiv abzugsfähige Betrag verringerte.

8.

Zum einen wurde der erwähnte feste Prozentsatz mehrfach geändert. Während er bei Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie bei 12 % lag, wurde er zwischenzeitlich sukzessive auf 12,5 %, 13,5 % und 13 % festgesetzt; seit dem 1. Januar 1992 liegt er jedoch wieder bei 12 %. Zum anderen wurde der Entnahmebetrag, auf den dieser feste Prozentsatz angewandt wurde, zwischenzeitlich angehoben. Während er anfangs bei mindestens 20 % des Listenpreises des Fahrzeugs lag, wurde er später für bestimmte Fälle, insbesondere wenn die private Nutzung eine bestimmte Kilometerzahl überschritt, auf 24 % und dann auf 25 % angehoben. Vom 1. Januar 2004 bis zum hier maßgeblichen Besteuerungszeitraum betrug der Entnahmebetrag – abgesehen bei einer jährlichen Privatnutzung von unter 500 km – mindestens 22 %. Auch die im Laufe der Zeit geänderte Einordnung von Pendelverkehr als betriebliche oder private Nutzung konnte dazu führen, dass sich der Entnahmebetrag in bestimmten Zeiträumen erhöhte.

III – Sachverhalt und Vorlagefragen

9.

Herr van Laarhoven betreibt in den Niederlanden ein Steuerberatungsbüro als Einmannbetrieb. Zum Unternehmensvermögen gehörten im Jahr 2006 aufeinander folgend zwei Pkw, die er sowohl betrieblich als auch privat nutzte. In seiner Mehrwertsteuererklärung für das vierte Quartal meldete er für die im Jahr 2006 erfolgte private Verwendung von über 500 km einen Betrag von 538 Euro als geschuldete Mehrwertsteuer an, focht diese Veranlagung daraufhin jedoch an und beantragte die Erstattung des Betrags. Da weder sein Einspruch noch seine erstinstanzliche Klage erfolgreich waren, legte er Kassationsbeschwerde beim Hoge Raad der Nederlanden ein. Unter anderem machte er geltend, die zugrunde liegenden niederländischen Steuervorschriften verstießen gegen die Standstill-Klausel des Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie.

10.

Vor diesem Hintergrund hat der Hoge Raad dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Steht Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie Änderungen einer den Abzug beschränkenden Regelung wie der vorliegenden entgegen, durch die ein Mitgliedstaat von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit (der Beibehaltung) des Ausschlusses des Abzugs für bestimmte Waren und Dienstleistungen Gebrauch machen wollte, wenn der Betrag, der vom Abzug ausgeschlossen ist, infolge der Änderungen in den meisten Fällen zugenommen hat, aber der Grundgedanke und die Systematik der den Abzug beschränkenden Regelung unverändert geblieben ist?

2.

Muss der nationale Richter, wenn die erste Frage bejaht wird, die den Abzug beschränkende Regelung vollständig unberücksichtigt lassen, oder genügt es, die Regelung unberücksichtigt zu lassen, soweit diese die bei Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie bestehenden Ausschluss- oder Beschränkungstatbestände erweitert hat?

11.

Am Verfahren vor dem Gerichtshof haben sich Herr van Laarhoven, die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission beteiligt, wobei die Regierung des Vereinigten Königreichs nur schriftliche Erklärungen eingereicht hat.

IV – Rechtliche Würdigung

A – Einleitende Bemerkungen

12.

Das Recht auf Vorsteuerabzug, wie es in Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie in klaren und eindeutigen Worten niedergelegt ist ( 5 ), stellt nach ständiger Rechtsprechung einen wesentlichen Bestandteil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dar. ( 6 ) Es dient dazu, Unternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit vollständig von der für ihre Eingangsumsätze geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu entlasten ( 7 ), es kann sofort ausgeübt werden ( 8 ), und garantiert so die Neutralität dieser Steuer. ( 9 ) Das Recht auf Vorsteuerabzug darf daher grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. ( 10 )

13.

Das Recht auf Vorsteuerabzug steht jedoch unter dem Vorbehalt der Ausnahmebestimmung des Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie, insbesondere des Unterabs. 2. ( 11 ) Danach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, ihre zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sechsten Richtlinie bestehenden Regelungen über den Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts beizubehalten, bis der Rat die in diesem Artikel vorgesehenen Bestimmungen erlässt. ( 12 ) Da Letzteres bislang nicht geschehen ist ( 13 ), konnten die Mitgliedstaaten im hier maßgeblichen Zeitraum alle bestehenden Regelungen über den Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts beibehalten. ( 14 )

14.

Der Hoge Raad ersucht den Gerichtshof um Auslegung dieses Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie vor dem Hintergrund der niederländischen Regelung über die mehrwertsteuerliche Behandlung von sowohl betrieblich als auch privat genutzten Pkw. Nach Auffassung des Hoge Raad führt diese Regelung, die schon bei Inkrafttreten der Richtlinie bestand, zu einer Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Seine Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Sechsten Richtlinie rühren konkret daher, dass die Regelung nach Inkrafttreten der Richtlinie wiederholt geändert und die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs dadurch betragsmäßig noch weiter beschränkt worden sei.

15.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob in der niederländischen Regelung überhaupt eine Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug, die an Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie zu messen wäre, zu sehen ist.

16.

Die niederländische Regelung berechtigt den Steuerpflichtigen nämlich, worauf auch die Kommission hinweist, tatsächlich dazu, die Vorsteuer, die insbesondere den Erwerb eines Pkw belastet, der sowohl betrieblich als auch privat genutzt werden soll, sofort und in vollem Umfang abzuziehen. Damit entspricht diese Regelung der ständigen Rechtsprechung, wonach ein Steuerpflichtiger ein Investitionsgut, das nicht allein der unternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, sondern auch privaten Zwecken dient, gleichwohl in vollem Umfang dem Unternehmensvermögen zuordnen kann ( 15 ) und in diesem Fall die beim Erwerb dieses Gegenstands geschuldete Vorsteuer gemäß den Art. 17 und 18 der Richtlinie grundsätzlich vollständig und sofort abziehbar ist. ( 16 )

17.

Das vorlegende Gericht sieht das Recht auf Vorsteuerabzug jedoch dadurch beschränkt, dass die niederländische Regelung eine zeitlich gestaffelte Nachversteuerung hinsichtlich der privaten Verwendung des Pkw vorsieht. So wird jeweils zum Jahresende ein Mehrwertsteuerbetrag auf die private Verwendung erhoben, indem ein fester Prozentsatz auf einen Pauschalbetrag an Kosten angewandt wird, der seinerseits einen Prozentsatz des Listenpreises oder des Fahrzeugwerts darstellt.

18.

Nach dem System der Sechsten Richtlinie ist eine solche Nachversteuerung der privaten Verwendung jedoch nicht als Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug im Sinne des Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie anzusehen, die nur ausnahms- und zudem nur übergangsweise zulässig wäre. Vielmehr entspricht eine solche spätere Mehrwertsteuererhebung auf die private Verwendung eines vollständig dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug berechtigt hat, der Logik des durch die Richtlinie geschaffenen Systems. ( 17 )

19.

Die Richtlinie sieht nämlich selbst vor, dass in einem solchen Fall dem Recht auf vollständigen und sofortigen Vorsteuerabzug die Verpflichtung gegenübersteht, auf die private Verwendung des Unternehmensgegenstands Mehrwertsteuer zu zahlen. ( 18 ) Zu diesem Zweck stellt Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie die private Verwendung einer Dienstleistung gegen Entgelt gleich, so dass der Steuerpflichtige nach Maßgabe des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie Mehrwertsteuer auf die Ausgaben für diese Verwendung zahlen muss. ( 19 )

20.

Dasselbe Ziel verfolgt Art. 20 der Sechsten Richtlinie, der Regeln für die Berichtigung des ursprünglichen Vorsteuerabzugs enthält und der, wenngleich sich ihr Anwendungsbereich nicht vollständig deckt, ebenso wie Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie auf Fälle anwendbar ist, in denen ein Gegenstand zugleich für betriebliche und für private Zwecke genutzt wird. ( 20 )

21.

Beide Richtlinienbestimmungen sollen zum einen verhindern, dass dem Steuerpflichtigen, der einen seinem Unternehmen zugeordneten Gegenstand auch privat nutzt, durch den zunächst gewährten vollständigen Vorsteuerabzug ein ungerechtfertigter wirtschaftlicher Vorteil gegenüber dem Endverbraucher verschafft wird. Zum anderen sollen beide Bestimmungen einen Zusammenhang zwischen Vorsteuerabzug und Erhebung der Mehrwertsteuer sicherstellen. ( 21 )

22.

Der Hoge Raad weist in der Vorlageentscheidung zwar darauf hin, dass die niederländischen Rechtsvorschriften über die private Verwendung von zum Unternehmensvermögen gehörenden Gegenständen bis zum 1. Januar 2007 keine Steuer in Bezug auf die private Verwendung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie vorgesehen hätten. Unabhängig davon ist jedoch festzustellen, dass die hier in Rede stehende niederländische Regelung die Besteuerung von Pkw regelt, die sowohl betrieblich als auch privat genutzt werden und zum sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug berechtigt haben. Um dem vorlegenden Gericht sachdienliche Hinweise für die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Sechsten Richtlinie geben zu können, sind daher die Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und 20 der Sechsten Richtlinie und nicht Art. 17 Abs. 6 dieser Richtlinie auszulegen.

23.

An späterer Stelle werde ich mich gleichwohl hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof meine Auffassung nicht teilen sollte, der Auslegung von Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie zuwenden, um die der Hoge Raad ersucht hat.

B – Zur Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 20 der Sechsten Richtlinie

24.

Wie bereits erwähnt, können sich die Anwendungsbereiche der Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 20 der Sechsten Richtlinie nach der Rechtsprechung überschneiden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der dem Unternehmen zugeordnete Gegenstand zum sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug berechtigt hat und in der Folge nicht nur betrieblich, sondern auch privat genutzt wird. ( 22 ) Ob und unter welchen Umständen eine dieser beiden Richtlinienbestimmungen in einer solchen Situation vorrangig zu prüfen ist, lässt sich der bisherigen Rechtsprechung, soweit ersichtlich, nicht entnehmen.

25.

Systematisch gesehen scheint Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie die speziellere Vorschrift zu sein, denn er betrifft nur die Verwendung zu privaten bzw. unternehmensfremden Zwecken, nicht aber etwa die Verwendung für steuerbefreite Tätigkeiten. ( 23 ) Zudem führt die Anwendung dieser Vorschrift dazu, dass die private Verwendung einen besteuerten Umsatz im Sinne des Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie darstellt. ( 24 ) Diese Fiktion hat zur Folge, dass der Steuerpflichtige zum Abzug der Vorsteuer auf den insgesamt seinem Unternehmen zugeordneten Gegenstand berechtigt ist ( 25 ) und bleibt, so dass es keiner Berichtigung gemäß Art. 20 der Richtlinie bedarf und dessen Anwendungsvoraussetzungen zudem nicht erfüllt zu sein scheinen. Außerdem bietet Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie eine flexiblere Handhabe als Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie, der nur eine jährliche Berichtigung vorsieht.

26.

Die niederländische Regelung über die Besteuerung der privaten Verwendung von gemischt genutzten Pkw weist zwar, indem sie eine jährliche Nachversteuerung vorsieht, eine gewisse Parallele zu Art. 20 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie auf, der ebenfalls eine jährliche Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorsieht. Allerdings haben die Mitgliedstaaten nach dem Urteil Wollny ( 26 ) auch im Rahmen der Besteuerung der privaten Verwendung nach Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie aufgrund des ihnen zustehenden Ermessensspielraums die Möglichkeit, für die Zwecke der Bestimmung der Besteuerungsgrundlage die Anwendung der Regeln des Art. 20 über die Berichtigung der Vorsteuerabzüge vorzusehen.

27.

Für die vorliegende Untersuchung muss die Frage des genauen Verhältnisses zwischen Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie und Art. 20 dieser Richtlinie jedoch nicht abschließend geklärt werden. Vielmehr genügt es, angesichts ihrer gemeinsamen Zielsetzung ( 27 ) und ihrer gleichen wirtschaftlichen Wirkung ( 28 ) festzustellen, dass beide Vorschriften ebenso wie das Recht auf Vorsteuerabzug selbst letztlich die Neutralität der steuerlichen Belastung sichern sollen. ( 29 ) Diese ist jedoch nur dann gewahrt, wenn der Ausgleich, der aufgrund einer der beiden Vorschriften vorgenommen wird, weder hinter dem zurückbleibt noch über das hinausgeht, was der tatsächlichen privaten Nutzung entspricht. Die nachträgliche Belastung mit Mehrwertsteuer hat in dem Maße zu erfolgen, in dem der Steuerpflichtige sonst durch die private Nutzung des Gegenstands, für den er die Vorsteuer vollständig abziehen konnte, ungerechtfertigt bereichert würde. ( 30 )

28.

In Bezug auf Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie hat der Gerichtshof zwar klargestellt, dass die Mitgliedstaaten, auch wenn der Begriff „Betrag der Ausgaben des Steuerpflichtigen für die Erbringung der Dienstleistung“ an sich ein unionsrechtlicher Begriff ist, hinsichtlich der Grundsätze für die Ermittlung des betreffenden Ausgabenbetrags über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen. Auch Art. 20 Abs. 1 und 4 der Sechsten Richtlinie räumt den Mitgliedstaaten ein gewisses Ermessen ein, indem er vorsieht, dass der ursprüngliche Vorsteuerabzug „nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten“ berichtigt wird und die Mitgliedstaaten zur Durchführung u. a. des Abs. 2 den Steuerbetrag festlegen können, der bei der Berichtigung berücksichtigt wird, sowie verwaltungsmäßige Vereinfachungen ermöglichen können.

29.

Wenngleich dieser Ermessensspielraum sicherlich in gewissem Umfang pauschalierende Berechnungsmethoden zulässt, muss jedoch sichergestellt sein, dass die Pauschalierung den Anforderungen der Sechsten Richtlinie an den nachträglich vorzunehmenden Ausgleich grundsätzlich gerecht wird. Die pauschale Berechnung darf daher nicht außer Verhältnis zum tatsächlichen Umfang der Privatnutzung stehen.

30.

Hinsichtlich der hier in Rede stehenden niederländischen Regelung erscheint dies zumindest fraglich. Im streitigen Steuerjahr 2006 berechnete sich die Nachversteuerung nämlich wie folgt: Lag die Verwendung für private Zwecke bei mindestens 500 km/Jahr, wurde als Entnahmebetrag ein Betrag in Höhe von mindestens 22 % des Fahrzeugwerts angesetzt. Der Steuersatz, der auf diesen Entnahmebetrag angewandt wurde, betrug 12 %. Die Kommission ist der Ansicht, dass eine solche Pauschalierung nicht mit der Richtlinie vereinbar ist, da sie mangels einer weiteren Differenzierung bei einer Privatverwendung von über 500 km/Jahr weder eine ungerechtfertigte Bereicherung des Steuerpflichtigen noch mangels Berücksichtigung etwaiger Wertverluste des Fahrzeugs eine zu hohe Besteuerung des Steuerpflichtigen ausschließe.

31.

Meines Erachtens ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu beurteilen. Der Vorlageentscheidung lässt sich nämlich nicht eindeutig entnehmen, ob im Jahr 2006 der Entnahmebetrag auf der Grundlage des Listenpreises oder auf der Grundlage des tatsächlichen Fahrzeugwerts berechnet wurde. Außerdem spricht die Vorlageentscheidung für die Berechnung des Entnahmebetrags im Jahr 2006 von einem Prozentsatz von mindestens 22 %, so dass sich nicht ausschließen lässt, dass je nach Umfang der privaten Nutzung eine weitere Differenzierung erfolgt.

32.

Sollte der Hoge Raad im Ausgangsverfahren zu dem Ergebnis gelangen, dass die hier in Rede stehenden niederländischen Vorschriften zu einer zu hohen ( 31 ) Nachbesteuerung der tatsächlichen Privatnutzung der Pkw geführt haben, hat er angesichts des Vorrangs des Unionsrechts und seiner Verpflichtung, die Rechte zu schützen, die das Unionsrecht dem Einzelnen verleiht, die nationale Regelung in dem Umfang unangewendet zu lassen, in dem sie über eine adäquate Besteuerung der privaten Nutzung hinausgeht. ( 32 )

33.

Dem Hoge Rad sollte daher geantwortet werden, dass Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 20 der Sechsten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für sowohl betrieblich als auch privat genutzte Pkw zwar den sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug zulässt, hinsichtlich der privaten Verwendung aber eine pauschalierte Nachbesteuerung vorsieht, die außer Verhältnis zum tatsächlichen Umfang der Privatnutzung steht. Ist der nationale Richter mit einer solchen Regelung konfrontiert und hat sie zu einer zu hohen Nachbesteuerung der tatsächlichen Privatnutzung des Pkw geführt, hat er diese Regelung in dem Umfang unangewendet zu lassen, in dem sie über eine adäquate Besteuerung der privaten Nutzung hinausgeht.

C – Hilfsweise: Zur ersten Vorlagefrage

34.

Für den Fall, dass der Gerichtshof ungeachtet der Tatsache, dass die hier in Rede stehende niederländische Regelung den sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug zulässt und nur eine nachträgliche Mehrwertsteuererhebung auf die private Verwendung vorsieht, entsprechend der Formulierung der Vorlagefrage Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie für auslegungsbedürftig halten sollte, wende ich mich dieser Vorschrift im Folgenden hilfsweise zu. Zu diesem Zweck gehe ich wie das vorlegende Gericht von der – meiner Meinung nach nicht zutreffenden – Prämisse aus, dass die niederländische Regelung das Recht auf Vorsteuerabzug beschränkt.

35.

Wie bereits ausgeführt konnten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie ihre zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden Regelungen über den Ausschluss des Vorsteuerabzugsrechts beibehalten. ( 33 )

36.

Der Gerichtshof hat insoweit präzisiert, dass allein der Umstand, dass die konkrete nationale Rechtsvorschrift, die das Recht auf Vorsteuerabzug beschränkt, nach dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie erlassen wurde, nicht bedeutet, dass sie nicht unter die Ausnahmeregelung des Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie fallen könnte. Vielmehr ist bei einer Vorschrift, die im Wesentlichen mit der früheren Regelung übereinstimmt oder diese abmildert, davon auszugehen, dass sie unter die Ausnahme in Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie fällt. ( 34 )

37.

Dagegen stellt eine nationale Regelung keine nach Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie zulässige Beschränkung des Rechts auf Vorsteuerabzug dar und verstößt gegen deren Art. 17 Abs. 2, wenn sie nach dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie die bestehenden Ausschlusstatbestände erweitert und sich damit vom Ziel dieser Richtlinie entfernt. ( 35 )

38.

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof im Urteil Puffer ( 36 ) entschieden, dass eine Regelung, die auf einem anderen Grundgedanken als das frühere Recht beruht und neue Verfahren schafft, den Rechtsvorschriften, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sechsten Richtlinie bestanden, nicht gleichgestellt werden kann.

39.

Anders als offenbar die niederländische Regierung kann ich nicht erkennen, dass das Urteil Puffer dahin gehend zu verstehen ist, dass eine nicht mehr von der Ausnahmebestimmung des Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckte Änderung immer erst dann vorliegt, wenn die neue Regelung auf einem anderen Grundgedanken beruht und neue Verfahren schafft. Vielmehr handelt es sich dabei nur um eine der möglichen Fallgestaltungen, wann eine nationale Regelung die bestehenden Ausschlusstatbestände erweitert und sich damit vom Ziel dieser Richtlinie entfernt.

40.

Dies belegen insbesondere das Urteil Kommission/Frankreich ( 37 ), mit dem die Rechtsprechung zu den unzulässigen Erweiterungen ihren Anfang genommen hat, und das Urteil X Holding ( 38 ), das nach dem Urteil Puffer ergangen ist. In beiden Urteilen spielten die Kriterien des anderen Grundgedankens und der neuen Verfahren keine Rolle. Vielmehr zeigen sie, dass bereits die rein betragsmäßige Ausweitung einer bestehenden Beschränkung des Vorsteuerabzugs grundsätzlich zur Folge hat, dass die Regelung nicht mehr von Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckt ist.

41.

Was nun die hier in Rede stehende niederländische Regelung anbelangt, so ist festzustellen, dass sie bereits bei Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie vorsah, dass bei sowohl betrieblich als auch privat genutzten Fahrzeugen ein definitiver Vorsteuerabzug in Bezug auf die private Nutzung ausgeschlossen ist. Eine solche Altregelung kann, soweit man darin eine Beschränkung des in Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie gewährten Rechts auf Vorsteuerabzug sieht, grundsätzlich unter die Ausnahmebestimmung des Art. 17 Abs. 6 dieser Richtlinie fallen. Fraglich ist lediglich, ob aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Änderungen eine andere Beurteilung vorzunehmen ist. Dass überhaupt Änderungen vorgenommen wurden, steht der Anwendbarkeit von Art. 17 Abs. 6 der Richtlinie nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr die Tragweite der Änderungen.

42.

Da der Grundgedanke und die Systematik der niederländischen Regelung nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts seit dem Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie unverändert geblieben sind und keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, die eine andere Beurteilung nahe legen könnten, hat sich die Prüfung darauf zu konzentrieren, dass die Änderungen den definitiven Vorsteuerabzug in den meisten Fällen betragsmäßig zusätzlich beschränkt haben.

43.

Wie dargelegt, reicht eine zusätzliche betragsmäßige Beschränkung, die nicht nur Ausnahmefälle betrifft, grundsätzlich dafür aus, um eine Erweiterung der bestehenden Ausschlusstatbestände anzunehmen. ( 39 )

44.

Trotzdem wäre es voreilig, daraus automatisch den Schluss zu ziehen, dass sich die niederländische Regelung damit von den Zielen der Sechsten Richtlinie weiter entfernt hat.

45.

Vielmehr sind die Besonderheiten des hier fraglichen Beschränkungsmechanismus zu berücksichtigen. Wie wir gesehen haben, bestehen diese darin, dass bei gemischt genutzten Pkw zunächst ein sofortiger und vollständiger Vorsteuerabzug zugelassen wird, nachträglich jedoch hinsichtlich der privaten Verwendung Mehrwertsteuer erhoben wird, so dass, wenn man es so betrachten will, der Vorsteuerabzug insoweit nicht definitiv war.

46.

Ein solcher Mechanismus entspricht, wie bereits ausgeführt, durchaus den Zielen der Richtlinie, wenn dadurch der ursprünglich gewährte Vorsteuerabzug später in dem Maße ausgeglichen wird, wie der Pkw tatsächlich privat genutzt wurde. Wurde die ursprüngliche Beschränkungsregelung diesem Erfordernis, die private Verwendung adäquat mit Mehrwertsteuer zu belasten, nicht gerecht, kommt sie ihm aber durch die späteren Änderungen näher, so nähert sich diese Regelung den Zielen der Sechsten Richtlinie insgesamt an, selbst wenn im Vergleich zu vorher der definitiv zugelassene Vorsteuerabzug zusätzlich beschränkt wird.

47.

Nur wenn die zusätzliche Beschränkung nicht dazu dient, die aufgrund des sofortigen Vorsteuerabzugs zunächst frei von mehrwertsteuerlicher Belastung mögliche private Verwendung des Pkw nachträglich im erforderlichen Umfang mit Mehrwertsteuer zu belasten, um insbesondere eine ungerechtfertigte Bereicherung des Steuerpflichtigen zu vermeiden, müsste festgestellt werden, dass sie sich vom Ziel der Richtlinie weiter entfernt und daher nicht mehr von der Ausnahmebestimmung des Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckt wäre. Die Beurteilung, wie es sich bei der hier in Rede stehenden niederländischen Regelung verhält, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

48.

Hilfsweise schlage ich dem Gerichtshof daher vor, auf die erste Vorlagefrage Folgendes zu antworten: Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie steht Änderungen einer bereits bei Inkrafttreten der Richtlinie bestehenden nationalen Regelung,

die den Vorsteuerabzug in Bezug auf bestimmte gemischt genutzte Unternehmensgegenstände beschränkt, indem sie den Vorsteuerabzug zwar zunächst sofort und vollständig, definitiv betrachtet aber nur teilweise zulässt, da auf die private Verwendung im Nachhinein Mehrwertsteuer erhoben wird,

wobei der Betrag, der vom definitiven Abzug ausgeschlossen ist, infolge der Änderungen in den meisten Fällen zugenommen hat, Grundgedanke und Systematik der Regelung aber unverändert geblieben sind,

nur dann (und nur insoweit) entgegen, wenn die zusätzliche Beschränkung über das hinausgeht, was für die adäquate Belastung der privaten Verwendung mit Mehrwertsteuer erforderlich ist.

D – Ebenfalls hilfsweise: zur zweiten Vorlagefrage

49.

Für den Fall, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage als solche beantworten sollte, gehe ich nachfolgend hilfsweise auch noch auf die zweite Vorlagefrage ein.

50.

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der nationale Richter in dem Fall, dass die nationale Regelung aufgrund der Änderungen nicht mehr von Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckt sein sollte und daher gegen deren Art. 17 Abs. 2 verstößt, diese Regelung vollständig oder nur insoweit unberücksichtigt lassen muss, als sie die bei Inkrafttreten der Sechsten Richtlinie bestehenden Ausschluss- oder Beschränkungstatbestände erweitert hat.

51.

Wie die niederländische Regierung zutreffend bemerkt, würde eine vollständige Nichtanwendung der niederländischen Regelung, soweit sie bei gemischt genutzten Pkw den definitiven Vorsteuerabzug hinsichtlich der privaten Verwendung ausschließt, zu einem Ergebnis führen, das mit der Sechsten Richtlinie nicht vereinbar wäre, denn dann bliebe die private Verwendung frei von Mehrwertsteuer. Eine vollständige Nichtanwendung kommt daher unionsrechtlich nicht in Betracht.

52.

Da die geänderte nationale Regelung ohnehin nur insoweit nicht mehr von Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckt wäre, als die durch sie eingeführte zusätzliche Beschränkung über das hinausgeht, was für die adäquate Belastung der privaten Verwendung mit Mehrwertsteuer erforderlich ist, besteht die unionsrechtlich gebotene Vorgehensweise des nationalen Richters darin, die Neuregelung nur in dem für diese Besteuerung erforderlichen Ausmaß anzuwenden. Eines Rückgriffs auf eine Altregelung bedarf es in diesen Fällen nicht.

53.

Geht die zusätzliche Beschränkung des definitiven Vorsteuerabzugs, die durch die Änderung eingeführt wurde, insgesamt über das zur Besteuerung der privaten Verwendung erforderliche Maß hinaus und führt sie somit zu einer insgesamt unzulässigen Erweiterung der Beschränkung, so ist es Sache des nationalen Richters, nach den ihm nach nationalem Recht zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu entscheiden, ob er die Änderungsfassung in dem Ausmaß anwenden kann, wie sie die vorgehende Beschränkungsregelung umfasst, oder ob er sie unangewendet lässt ( 40 ) und die vorhergehende Regelung als solche anwendet.

54.

Allgemein ist dabei zu beachten, dass insoweit nicht unbedingt der Beschränkungsumfang maßgeblich ist, wie er vom nationalen Recht im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Sechsten Richtlinie vorgesehen war. Wurde diese Beschränkung nämlich nach Inkrafttreten der Richtlinie, aber vor der konkret zu beurteilenden Änderung abgemildert, so kann ein Mitgliedstaat hinter diesen späteren Stand seines nationalen Rechts grundsätzlich nicht zurück. ( 41 )

55.

Hilfsweise schlage ich dem Gerichtshof daher vor, auf die zweite Vorlagefrage wie folgt zu antworten: Geht die zusätzliche Beschränkung des Vorsteuerabzugs, die durch die Änderungen der nationalen Regelung eingeführt wurde, über das hinaus, was für die adäquate Belastung der privaten Verwendung mit Mehrwertsteuer erforderlich ist, mit der Folge, dass die geänderte Regelung insoweit nicht mehr von Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckt ist, hat der nationale Richter diese Regelung nur in dem für diese Besteuerung erforderlichen Ausmaß anzuwenden. Eine vollständige Nichtanwendung der Neu- und/oder der Altregelung mit dem Ergebnis, dass die private Verwendung frei von mehrwertsteuerlicher Belastung bleibt, ist mit der Sechsten Richtlinie nicht vereinbar.

V – Ergebnis

56.

Alles in allem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Hoge Raad wie folgt zu antworten:

Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Art. 20 der Sechsten Richtlinie stehen einer nationalen Regelung entgegen, die für sowohl betrieblich als auch privat genutzte Pkw zwar den sofortigen und vollständigen Vorsteuerabzug zulässt, hinsichtlich der privaten Verwendung aber eine pauschalierte Nachbesteuerung vorsieht, die außer Verhältnis zum tatsächlichen Umfang der Privatnutzung steht. Ist der nationale Richter mit einer solchen Regelung konfrontiert und hat sie zu einer zu hohen Nachbesteuerung der tatsächlichen Privatnutzung des Pkw geführt, hat er diese Regelung in dem Umfang unangewendet zu lassen, in dem sie über eine adäquate Besteuerung der privaten Nutzung hinausgeht.

57.

Hilfsweise schlage ich dem Gerichtshof vor, die beiden Vorlagefragen des Hoge Raad wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie steht Änderungen einer bereits bei Inkrafttreten der Richtlinie bestehenden nationalen Regelung,

die den Vorsteuerabzug in Bezug auf bestimmte gemischt genutzte Unternehmensgegenstände beschränkt, indem sie den Vorsteuerabzug zwar zunächst sofort und vollständig, definitiv betrachtet aber nur teilweise zulässt, da auf die private Verwendung im Nachhinein Mehrwertsteuer erhoben wird,

wobei der Betrag, der vom definitiven Abzug ausgeschlossen ist, infolge der Änderungen in den meisten Fällen zugenommen hat, Grundgedanke und Systematik der Regelung aber unverändert geblieben sind,

nur dann (und nur insoweit) entgegen, wenn die zusätzliche Beschränkung über das hinausgeht, was für die adäquate Belastung der privaten Verwendung mit Mehrwertsteuer erforderlich ist.

2.

Geht die zusätzliche Beschränkung des Vorsteuerabzugs, die durch die Änderungen der nationalen Regelung eingeführt wurde, über das hinaus, was für die adäquate Belastung der privaten Verwendung mit Mehrwertsteuer erforderlich ist, mit der Folge, dass die geänderte Regelung insoweit nicht mehr von Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie gedeckt ist, hat der nationale Richter diese Regelung nur in dem für diese Besteuerung erforderlichen Ausmaß anzuwenden. Eine vollständige Nichtanwendung der Neu- und/oder der Altregelung mit dem Ergebnis, dass die private Verwendung frei von mehrwertsteuerlicher Belastung bleibt, ist mit der Sechsten Richtlinie nicht vereinbar.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).

( 3 ) Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1). Da der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens das Jahr 2006 betrifft und diese Richtlinie gemäß ihrem Art. 413 erst am 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, ist die vorliegende Rechtssache anhand der Sechsten Richtlinie zu beurteilen.

( 4 ) Art. 15 Abs. 6 der Wet op de omzetbelasting 1968 (Umsatzsteuergesetz 1968) in Verbindung mit Art. 15 der Uitvoeringsbeschikking omzetbelasting 1968 (Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1968).

( 5 ) Urteile vom 14. Juni 2001, Kommission/Frankreich (C-345/99, Slg. 2001, I-4493, Randnr. 18), sowie vom 23. April 2009, Puffer (C-460/07, Slg. 2009, I-3251, Randnr. 82) und PARAT Automotive Cabrio (C-74/08, Slg. 2009, I-3459, Randnr. 17).

( 6 ) Urteile vom 6. Juli 1995, BP Soupergaz (C-62/93, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 18), vom 22. Dezember 2008, Magoora (C-414/07, Slg. 2008, I-10921, Randnr. 28), und vom 28. Juli 2011, Kommission/Ungarn (C-274/10, Slg. 2011, I-7289, Randnr. 43).

( 7 ) Urteile vom 15. Januar 1998, Ghent Coal Terminal (C-37/95, Slg. 1998, I-1, Randnr. 15), vom 1. April 2004, Bockemühl (C-90/02, Slg. 2004, I-3303, Randnr. 39), und vom 29. Oktober 2009, NCC Construction Danmark (C-174/08, Slg. 2009, I-10567, Randnr. 27).

( 8 ) Urteile vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a. (C-110/98 bis C-147/98, Slg. 2000, I-1577, Randnr. 43), vom 29. April 2004, Terra Baubedarf-Handel (C-152/02, Slg. 2004, I-5583, Randnr. 35), und vom 15. Juli 2010, Pannon Gép Centrum (C-368/09, Slg. 2010, I-7467, Randnr. 37).

( 9 ) Urteile vom 8. Januar 2002, Metropol und Stadler (C-409/99, Slg. 2002, I-81, Randnr. 59), vom 11. Dezember 2008, Danfoss und AstraZeneca (C-371/07, Slg. 2008, I-9549, Randnr. 26) und Magoora (zitiert in Fn. 6, Randnr. 28).

( 10 ) Vgl. Urteile Magoora (zitiert in Fn. 6, Randnr. 28), Pannon Gép Centrum (zitiert in Fn. 8, Randnr. 37) und Kommission/Ungarn (zitiert in Fn. 6, Randnr. 43).

( 11 ) Urteile Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 5, Randnr. 19) und Magoora (zitiert in Fn. 6, Randnr. 29).

( 12 ) Urteile Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 5, Randnr. 19), Danfoss und AstraZeneca (zitiert in Fn. 9, Randnr. 28) und vom 15. April 2010, X Holding (C-538/08 und C-33/09, Slg. 2010, I-3129, Randnr. 38).

( 13 ) Urteile Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnr. 83), X Holding (zitiert in Fn. 12, Randnr. 39) und vom 30. September 2010, Oasis East (C-395/09, Slg. 2010, I-8811, Randnr. 20). Die Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthält ihrerseits in Art. 176 eine Art. 17 Abs. 6 der Sechsten Richtlinie entsprechende Ausnahmebestimmung.

( 14 ) Sofern die ausgeschlossenen Gegenstände und Dienstleistungen hinreichend bestimmt definiert sind und es sich nicht um allgemeine Ausschlüsse handelt, siehe Urteil X Holding (zitiert in Fn. 12, Randnrn. 40 bis 45).

( 15 ) Urteile vom 21. April 2005, HE (C-25/03, Slg. 2005, I-3123, Randnr. 46), vom 14. September 2006, Wollny (C-72/05, Slg. 2006, I-8297, Randnr. 21), und Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnr. 39).

( 16 ) Urteile vom 14. Juli 2005, Charles und Charles-Tijmens (C-434/03, Slg. 2005, I-7037, Randnr. 24), Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnr. 22) und Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnr. 40).

( 17 ) Urteil Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnr. 33).

( 18 ) Urteile Charles und Charles-Tijmens (zitiert in Fn. 16, Randnr. 30) und Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnrn. 24, 31 und 33).

( 19 ) Vgl. Urteile vom 8. Mai 2003, Seeling (C-269/00, Slg. 2003, I-4101, Randnrn. 42 f.), Charles und Charles-Tijmens (zitiert in Fn. 16, Randnr. 25) und Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnrn. 41 f.).

( 20 ) Urteil Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnr. 34).

( 21 ) Urteil Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnrn. 35 f.).

( 22 ) Siehe oben, Nr. 20.

( 23 ) Vgl. Urteil vom 30. März 2006, Uudenkaupungin kaupunki (C-184/04, Slg. 2006, I-3039, Randnr. 33).

( 24 ) Urteil Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnr. 41).

( 25 ) Vgl. Urteil Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnr. 42).

( 26 ) Zitiert in Fn. 15, Randnr. 37.

( 27 ) Urteil Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnr. 37).

( 28 ) Urteil Uudenkaupungin kaupunki (zitiert in Fn. 23, Randnr. 30).

( 29 ) Vgl. Urteil Uudenkaupungin kaupunki (zitiert in Fn. 23, Randnr. 26) zu Art. 20 der Richtlinie.

( 30 ) Vgl. Urteil Wollny (zitiert in Fn. 15, Randnrn. 32 bis 36).

( 31 ) Eine etwaige zu niedrige Nachbesteuerung ist an sich zwar ebenso problematisch, dürfte im Ausgangsverfahren jedoch unbeachtlich sein, da es dort allein um die Anfechtung der Nacherhebungsbescheide durch den Steuerpflichtigen mit dem Ziel der Aufhebung oder zumindest einer Reduzierung der festgesetzten Steuer geht.

( 32 ) Vgl. Nr. 72 meiner Schlussanträge vom 13. Dezember 2007 zum Urteil vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C-309/06, Slg. 2008, I-2283). Im Urteil Magoora (zitiert in Fn. 6, Randnr. 44) hingegen hat der Gerichtshof den Ansatz der unionsrechtskonformen Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften gewählt.

( 33 ) Siehe oben, Nr. 13.

( 34 ) Urteil Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnrn. 85 und 87). Vgl. zur Stand-Still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG bzw. des Art. 64 Abs. 1 AEUV betreffend den freien Kapitalverkehr gegenüber Drittstaaten die Urteile vom 24. Mai 2007, Holböck (C-157/05, Slg. 2007, I-4051, Randnr. 41), und vom 11. Februar 2010, Fokus Invest (C-541/08, Slg. 2010, I-1025, Randnr. 42)

( 35 ) Urteile vom 14. Juni 2001, Kommission/Frankreich (C-40/00, Slg. 2001, I-4539, Randnr. 17), Metropol und Stadler (zitiert in Fn. 9, Randnr. 46), vom 11. September 2003, Cookies World (C-155/01, Slg. 2003, I-8785, Randnr. 66), Magoora (zitiert in Fn. 6, Randnr. 37), Danfoss und AstraZeneca (zitiert in Fn. 9, Randnr. 28) und Puffer (zitiert in Fn. 5, Randnr. 86).

( 36 ) Zitiert in Fn. 5, Randnr. 87. Vgl. auch Urteil Cookies World (zitiert in Fn. 35, Randnr. 63), sowie zur Stand-Still-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG bzw. des Art. 64 Abs. 1 AEUV betreffend den freien Kapitalverkehr gegenüber Drittstaaten die Urteile Holböck (zitiert in Fn. 34, Randnr. 41) und Fokus Invest (zitiert in Fn. 34, Randnr. 42).

( 37 ) Zitiert in Fn. 35, Randnr. 17.

( 38 ) Zitiert in Fn. 12, Randnrn. 62 ff.

( 39 ) Siehe oben, Nr. 40.

( 40 ) Vgl. Urteil Magoora (zitiert in Fn. 6, Randnr. 44). Siehe auch Kokott/Henze, „Das Zusammenwirken von EuGH und nationalem Richter bei der Herstellung eines europarechtskonformen Zustands“, in: Steuerrecht im Rechtsstaat: Festschrift für Wolfgang Spindler, 2011, S. 279, 290.

( 41 ) Urteil Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 35, Randnrn. 17 f. und 24).