SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 6. September 2011(1)

Rechtssache C‑442/10

Churchill Insurance Company Limited

gegen

Benjamin Wilkinson

und

Tracy Evans

gegen

Equity Claims Limited

(Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal, Vereinigtes Königreich)

„Versicherung der Haftpflicht für Fahrzeuge im Straßenverkehr – Opfer eines Verkehrsunfalls, das als Mitfahrer Insasse eines Fahrzeugs ist, für das es als berechtigter Führer versichert ist – Führen eines Fahrzeugs durch eine nicht versicherte Person“





1.        Im Vereinigten Königreich entspricht es im Gegensatz zum größeren Teil der Mitgliedstaaten der Union gängiger Praxis, dass die Versicherungspolice für Fahrzeuge zwar die Daten des versicherten Fahrzeugs angibt, in Wirklichkeit aber eigentlich eine persönliche Police ist, die die Schäden deckt, die der Inhaber der Police oder eine andere Person verursacht hat, die in ihr ausdrücklich als zum Führen des Fahrzeugs berechtigt angeführt wird. Bei einem von einem nicht berechtigten Fahrer verursachten Unfall hat die Versicherung die Opfer zu entschädigen, wie es das Unionsrecht vorschreibt, kann aber bei dem Versicherten, der der nicht berechtigten Person das Führen des Fahrzeugs gestattet hat, Regress nehmen.

2.        Die vorliegende Rechtssache beruht auf diesem besonderen Versicherungssystem. Was die beiden Ereignisse auszeichnet, die das vorlegende Gericht zu beurteilen hat, ist das Nebeneinander der Eigenschaft als Opfer und der Eigenschaft als Versicherter bei derselben Person, die das Führen eines Fahrzeugs einer nicht berechtigten Person gestattet hat, die dann einen Unfall verursachte. Als Opfer hat sie ganz allgemein Anspruch auf Entschädigung. Als Versicherte, die einer Person das Führen des Fahrzeugs gestattet hat, die das nicht hätte tun dürfen, kann sie nach nationalem Recht verpflichtet sein, der Versicherung die an die Opfer gezahlten Beträge zu erstatten. Konkret bedeutet dies, dass sie nichts von der Versicherung erhält, weil der Betrag, den sie als Opfer zu erhalten hätte, mit dem verrechnet wird, den sie als „fahrlässige“ Versicherte der Versicherung zu erstatten hätte. Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

I –    Anwendbare Rechtsvorschriften

A –    Unionsrecht

3.        Die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen beziehen sich auf die Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (im Folgenden: Richtlinie)(2). Diese Richtlinie war zum Zeitpunkt der Ereignisse, über die das vorlegende Gericht zu befinden hat, noch nicht in Kraft getreten. Es handelt sich indessen um eine konsolidierende Richtlinie, die vier voraufgegangene Richtlinien(3) in einem einzigen Text zusammengefasst hat, ohne deren Inhalt zu verändern.

4.        In den Erwägungsgründen 3(4), 14(5) und 15(6) der Richtlinie heißt es:

„(3) Jeder Mitgliedstaat sollte alle zweckdienlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.

(14) Es ist notwendig, eine Stelle einzurichten, die dem Geschädigten auch dann eine Entschädigung sicherstellt, wenn das verursachende Fahrzeug nicht versichert war oder nicht ermittelt wurde. …

(15) Es liegt im Interesse der Unfallopfer, dass die Wirkungen bestimmter Ausschlussklauseln auf die Beziehungen zwischen dem Versicherer und dem für den Unfall Verantwortlichen beschränkt bleiben. Bei gestohlenen oder unter Anwendung von Gewalt erlangten Fahrzeugen können die Mitgliedstaaten jedoch vorsehen, dass zur Entschädigung des Opfers die genannte Stelle eintritt.“

5.        Art. 3 der Richtlinie 2009/103/EG sieht die allgemeine Pflicht zur Versicherung der Kraftfahrzeuge gegen Haftpflicht sowohl für Sach- wie für Personenschäden vor.

6.        Art. 12 Abs. 1(7) der Richtlinie 2009/103/EG bestimmt:

„Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 deckt die in Artikel 3 genannte Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers.“

7.        Derselbe Art. 12 bestimmt in Abs. 3 Unterabsatz 2(8), dass „der vorliegende Artikel … die zivilrechtliche Haftung und die Höhe des Schadenersatzes unberührt [lässt]“.

8.        Art. 13 Abs. 1 derselben Richtlinie(9) lautet:

„Jeder Mitgliedstaat trifft alle geeigneten Maßnahmen, damit für die Zwecke der Anwendung von Artikel 3 bezüglich der Ansprüche von bei Unfällen geschädigten Dritten jede Rechtsvorschrift oder Vertragsklausel in einer nach Artikel 3 ausgestellten Versicherungspolice als wirkungslos gilt, mit der die Nutzung oder das Führen von Fahrzeugen durch folgende Personen von der Versicherung ausgeschlossen werden:

a)      hierzu weder ausdrücklich noch stillschweigend ermächtigte Personen;

Die in Unterabsatz 1 Buchstabe a genannte Vorschrift oder Klausel kann jedoch gegenüber den Personen geltend gemacht werden, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, sofern der Versicherer nachweisen kann, dass sie wussten, dass das Fahrzeug gestohlen war.

…“

9.        Art. 10 der Richtlinie 2009/103/EG(10) bezieht sich auf Sachverhalte, bei denen das schadenstiftende Fahrzeug nicht versichert war oder nicht ermittelt worden ist. Für solche Fälle legt die Richtlinie fest, dass jeder Mitgliedstaat eine Stelle schafft oder anerkennt, die die Unfallopfer zu entschädigen hat. Abs. 2 Unterabs. 2 dieses Artikels bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können jedoch von der Einschaltung der Stelle Personen ausschließen, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, sofern durch die Stelle nachgewiesen werden kann, dass sie wussten, dass das Fahrzeug nicht versichert war.“

B –    Nationales Recht

10.      Die im vorliegenden Fall maßgebenden Rechtsvorschriften finden sich im Road Traffic Act 1988 (Kraftverkehrsgesetz 1988, im Folgenden auch: RTA). Dessen Section 151 (8) sieht vor, dass ein Versicherer, der verpflichtet ist, einen Betrag wegen der Haftpflicht an eine Person zu zahlen, die nicht durch eine Police versichert war, berechtigt ist, den gezahlten Betrag von dem Versicherten zurückzuverlangen, der die Benutzung des schadenstiftenden Fahrzeugs veranlasst oder gestattet hat.

II – Sachverhalt und Vorlagefragen

11.      Das beim vorlegenden Gericht anhängige Verfahren beruht auf der Verbindung von Rechtsmitteln, die in zwei Rechtsstreitigkeiten eingelegt worden sind, die in erster Instanz von zwei verschiedenen Gerichten mit unterschiedlichem Ergebnis entschieden worden sind.

12.      Die beiden Ereignisse unterscheiden sich zum Teil, weisen indessen beide die unter rechtlichem Blickwinkel wesentlichen Merkmale auf. In beiden Fällen hat die versicherte Person die Führung des Fahrzeugs – in dem einen Fall ein Motorrad, in dem anderen ein Kraftfahrzeug – einer im Versicherungsvertrag nicht als berechtigter Fahrer genannten Person überlassen, die außerdem keine eigene Versicherung besaß. In beiden Fällen ereignete sich ein Unfall, bei dem die versicherte Person, die als Passagier mitfuhr, körperliche Schäden davontrug.

13.      Die betroffenen Versicherungsgesellschaften weigerten sich in beiden Fällen, den beiden Opfern eine Entschädigung zu zahlen, und zwar aufgrund der in Section 158 (8) RTA anerkannten Befugnis, sich bei dem Versicherten wegen der Beträge schadlos zu halten, die für Schäden gezahlt wurden, die von einer nicht berechtigten Person verursacht worden waren, der der Versicherte die Benutzung des Fahrzeugs überlassen hatte. Ihnen zufolge heben sich in Fällen wie denen, zu denen sich das vorlegende Gericht zu äußern hat, die Pflicht zur Entschädigung des Opfers und die Befugnis, sich beim Versicherten schadlos zu halten, gegenseitig auf, weil das Opfer und die Person, von der die Erstattung verlangt werden kann, übereinstimmen.

14.      Bei dieser Sachlage hat das vorlegende Gericht, das hier ein mögliches Problem der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sah, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Art. 12 Abs. 1 und 13 Abs. 1 der Richtlinie 2009/103/EG dahin auszulegen, dass sie nationalen Bestimmungen entgegenstehen, deren Wirkung nach dem einschlägigen nationalen Recht darin besteht, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls von der Versicherungsleistung ausgeschlossen ist, wenn

a)      dieser Unfall durch einen nicht versicherten Fahrer verursacht wurde,

b)      dem nicht versicherten Fahrer vom Geschädigten gestattet worden war, das Fahrzeug zu führen,

c)      der Geschädigte zur Zeit des Unfalls Insasse des Fahrzeugs war,

d)      der Geschädigte für das Führen des fraglichen Fahrzeugs versichert war?

Insbesondere:

i)      Ist eine solche nationale Vorschrift eine Vorschrift, durch die Personen im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2009/103/EG „von der Versicherung ausgeschlossen werden“?

ii)      Ist unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles eine von der Versicherung dem Nichtversicherten vom Versicherten(11) erteilte Erlaubnis eine ausdrückliche oder stillschweigende Ermächtigung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/103/EG?

iii)      Ist es für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung, dass gemäß Art. 10 der Richtlinie 2009/103/EG nationale Stellen, die für Entschädigungen für durch nicht ermittelte oder nicht versicherte Fahrzeuge verursachte Schäden zuständig sind, Personen von einer Entschädigung ausschließen können, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, sofern durch die Stelle nachgewiesen werden kann, dass sie wussten, dass das Fahrzeug nicht versichert war?

2.      Hängt die Antwort auf Frage 1 davon ab, ob die fragliche Erlaubnis (a) auf der tatsächlichen Kenntnis davon, dass der betreffende Fahrer nicht versichert war, beruhte oder (b) auf die Annahme gegründet war, dass der Fahrer versichert sei, oder (c) von der versicherten Person erteilt wurde, die sich über die Frage keine Gedanken gemacht hatte?

III – Zur ersten Vorlagefrage

A –    Vorbemerkungen

15.      Natürlich stellt sich in der vorliegenden Rechtssache nicht die Frage einer zivilrechtlichen Haftung für die den Opfern zugefügten Schäden. Wie bei der Prüfung der anwendbaren Rechtsvorschriften zu sehen war, lässt das Unionsrecht die nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die zivilrechtliche Haftung und die Schadensermittlung unberührt.

16.      Im Allgemeinen muss die Untersuchung der Rechtsfolgen jedes schadenstiftenden Ereignisses in zwei Abschnitten erfolgen. Im ersten Abschnitt ist festzustellen, ob eine zivilrechtliche Haftung vorliegt. Liegt sie vor, ist zum zweiten Abschnitt der Prüfung überzugehen, der das Eingreifen der Versicherungsgesellschaften betrifft. Nur mit diesem zweiten Abschnitt befasst sich grundsätzlich und unbeschadet der Pflicht zur Sicherstellung der nützlichen Wirkung der Richtlinie das Unionsrecht(12). Im Übrigen kann ich nicht umhin, festzustellen, dass die Unterscheidung der beiden Abschnitte im Einzelfall einige Schwierigkeit bereiten kann und nicht auszuschließen ist, dass der Gerichtshof in Zukunft aufgerufen sein könnte, in dieser Hinsicht zu weiterer Klärung beizutragen.

17.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts in dieser Rechtssache betreffen, wie ihre Fassung zeigt, eben diesen genannten zweiten Abschnitt. Das hier zu lösende Problem betrifft nicht das Vorliegen einer zivilrechtlichen Haftung, sondern das Vorliegen und die Grenzen einer Pflicht zur Zahlung dessen, was als Entschädigung seitens der Versicherungen geschuldet wird. Allerdings besteht kein Zweifel, dass die Lösung der Fragen in einer Auslegung der Vorschriften der Richtlinie zu suchen ist, in deren Anwendungsbereich das zu prüfende Ereignis fällt.

B –    Zur Vorlagefrage

18.      Mit seiner ersten Frage befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Kern nach der Vereinbarkeit von nationalen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht, die einer Versicherungsgesellschaft gestatten, einem Opfer keinerlei Entschädigung zu zahlen, wenn die drei folgenden Voraussetzungen vorliegen: a) Der Unfall ist auf ein Fahrzeug zurückzuführen, das von einer nicht versicherten Person gefahren wurde; b) das Opfer war versichert; c) der Versicherte hatte der nicht versicherten Person die Führung des Fahrzeugs gestattet.

19.      Die betroffenen Versicherungsgesellschaften stellen den Sachverhalt, wie sogleich bemerkt sei, dem vorlegenden Gericht zufolge unterschiedlich dar. Sie bestehen nämlich darauf, dass wir es im vorliegenden Fall nicht mit einer Weigerung zu tun haben, zu zahlen oder die Deckung durch die Versicherung anzuerkennen: Das nationale Recht gestatte es den Versicherungsgesellschaften unter den besonderen Umständen des Falles lediglich, sich gegenüber dem Versicherten auf das zu berufen, was den Unfallopfern gezahlt worden sei. Da hier Versicherter und Opfer übereinstimmten, ist nach Auffassung der Versicherungen die ausbleibende Zahlung nur die Folge einer sofortigen Verrechnung des an das Opfer gezahlten Betrags und des Betrags, der vom „fahrlässigen“ Versicherten zurückgefordert werden könnte(13).

20.      Das vorlegende Gericht ist umgekehrt der Auffassung, dass eine solche Unterscheidung künstlich sei und die nationalen Rechtsvorschriften dahin ausgelegt werden müssten, dass aus ihnen – lediglich – folge, dass an das Unfallopfer durch die Versicherung keine Entschädigung gezahlt werde.

21.      Auch wenn feststeht, dass die Auslegung des nationalen Rechts dem vorlegenden Gericht vorbehalten bleibt, entspricht es meiner Überzeugung, dass im vorliegenden Fall die Antwort auf die Fragen nicht entscheidend anders ausfällt je nachdem, ob man dem einen oder dem anderen der beiden eben dargestellten Ansätze folgt. In jedem Fall verhindert das Unionsrecht bei Sachverhalten wie dem, den das vorlegende Gericht zu beurteilen hat, dass die Versicherung einem Unfallopfer jede Entschädigung für die erlittenen Schäden vorenthält. Ich versuche in der Folge, die Gründe hierfür zu erläutern.

22.      Die Rechtsvorschriften der Union über die zivilrechtliche Haftung im Bereich des Straßenverkehrs haben, wie ich weiter oben dargelegt habe, nicht das Ziel, die haftungsrechtlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Sie haben ein begrenzteres, doppeltes Ziel, da sie zum einen den freien Verkehr der Kraftfahrzeuge und ihrer Insassen und zum anderen eine vergleichbare Behandlung der Unfallopfer unabhängig vom dem Ort sicherstellen sollen, an dem sich die Unfälle ereignen(14). Die Richtlinie fordert mit anderen Worten, auch wenn sie dem nationalen Gesetzgeber, wie wir sahen, einen Ermessensspielraum bei der Festlegung der haftungsrechtlichen Vorschriften einräumt, gleichzeitig, dass Unfallopfern, wenn schon keine gleiche Behandlung in jedem Mitgliedstaat (die eine Harmonisierung auch der haftungsrechtlichen Vorschriften erforderlich gemacht hätte, die der Gesetzgeber indessen hat vermeiden wollen), so doch auf jeden Fall zumindest ein „vergleichbarer“ Standard im gesamten Unionsgebiet garantiert wird. Es ist keineswegs klar, ob dieser Grundsatz der Richtlinie sich auf den Ermessensspielraum auswirken kann, der den Mitgliedstaaten bei den haftungsrechtlichen Vorschriften eingeräumt wird: Auf jeden Fall liegt die Frage der zivilrechtlichen Haftung, wie ich bereits dargelegt habe, jenseits der Grenzen der vorliegenden Auseinandersetzung.

23.      In der vorliegenden Sache fallen die der Auseinandersetzung zugrunde liegenden Sachverhalte eindeutig unter die Tatbestände, die in Art. 13 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2009/103 geregelt werden. Die Versicherungen versuchen, ihrer eigenen Zahlungspflicht aufgrund von gesetzlichen/vertraglichen Klauseln zu entgehen, die darauf abstellen, dass die das Fahrzeug führende Person dazu nicht berechtigt war. Nach Maßgabe der eben angeführten Rechtsnorm sind ähnliche Klauseln unvereinbar mit dem Unionsrecht(15). Für die Entschädigung ist nämlich der Eigentümer/Versicherte in jeder Hinsicht ein „Dritter“, der von der angeführten Vorschrift geschützt wird. Bei Unfällen sind nämlich als „Dritte“ alle Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers zu betrachten, der den Unfall verursacht hat(16). In diesen Fällen geht, um mit den Worten von Generalanwalt Geelhood zu sprechen, „die Rechtsbeziehung des Versicherungsnehmers mit dem Versicherer auf den Schadensverursacher über“(17).

24.      Die Untersuchung der Rechtsprechung bestätigt und bekräftigt, was ich soeben ausgeführt habe.

25.      Das vorlegende Gericht bemerkt nämlich zu Recht, dass die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Ereignisse große Ähnlichkeiten mit der vom Gerichtshof im Jahr 2005 entschiedenen Rechtssache Candolin u. a.(18) aufweisen. In diesem Fall ließen es die nationalen finnischen Rechtsvorschriften zu, die Entschädigung der Unfallopfer durch die Versicherungen abzulehnen oder zu beschränken, wenn diese die Schadensverursachung mitzuverantworten hatten: Die Frage betraf in der Rechtssache Candolin u. a. einige Personen, darunter den Eigentümer des Fahrzeugs, die dieses bestiegen hatten, obwohl sie wussten, dass der Fahrer angetrunken war.

26.      Der Gerichtshof hat bei dieser Gelegenheit entschieden, dass solche nationalen Rechtsvorschriften nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien, wenn nämlich das anwendbare Unionsrecht die Entschädigung der Opfer durch die Versicherungen vorschreibt und ausdrücklich einige Ausnahmen von dieser Pflicht vorsieht, die eng ausgelegt werden müssen(19). Demgemäß hat der Gerichtshof bekräftigt, dass alle Sachverhalte, die nicht unter die von der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen fallen, zur Entschädigung der Unfallopfer führen müssen.

27.      In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass sich unter den Opfern der Eigentümer des Fahrzeugs befindet, der als Insasse mitfuhr. Der Einzige, dem die Richtlinie grundsätzlich das Recht auf Entschädigung durch die Versicherung nicht zuerkennt, ist der Fahrer, während alle sonstigen Insassen Deckung finden müssen(20). Folglich lehrt uns die Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass das Unfallopfer, falls nicht eine der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen vorliegt, immer die Entschädigung durch die Versicherung beanspruchen könne. Da im vorliegenden Fall klar ist, dass keine in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehene Ausnahme vorliegt, bestätigt die Heranziehung des Urteils Candolin u. a., dass die beiden Versicherten, die die Führung ihres Kraftfahrzeugs nicht berechtigten Personen überlassen hatten, gleichwohl das Recht haben, für die erlittenen Schäden Ersatz zu erhalten.

28.      Es ließe sich einwenden, dass der Gerichtshof im Urteil Candolin u. a. nicht erwähnt hat, wer Inhaber der Versicherungspolice war, was in der vorliegenden Rechtssache indessen ein zentraler tatsächlicher Umstand ist. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass dieser Aspekt konkret nicht erheblich sein dürfte, da der Gerichtshof ausdrücklich bekräftigt hat, dass die einzige nach der Richtlinie zulässige Unterscheidung, wenn keiner der dort genannten außergewöhnlichen Umstände vorliegt, die einen Ausschluss der Deckung zulassen, die zwischen Fahrer und sonstigen Insassen ist und dass daher andere Personen als der Fahrer für die Zwecke der Richtlinie „Dritte“ sind, die Anspruch auf Entschädigung haben. Auf jeden Fall ergibt sich nicht, dass sich die dem Urteil Candolin u. a. zugrunde liegenden tatsächlichen Umstände von dem typischen Modell unterschieden, bei dem der Eigentümer des Fahrzeugs zugleich Inhaber der Versicherungspolice ist(21). Im Übrigen darf auch nicht vergessen werden, dass im größten Teil der Mitgliedstaaten, wie wir gesehen haben, die Versicherungspolice lediglich ein Fahrzeug deckt, ohne festzulegen, wer zu seiner Führung berechtigt ist.

29.      Das vorlegende Gericht erkennt zwar die Maßgeblichkeit der soeben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs an, nährt indessen insoweit einige Zweifel, die es bewogen haben, seine Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Ich bin indessen der Meinung, dass diese Zweifel unbegründet sind und das Urteil Candolin u. a. auch im vorliegenden Fall einen Bezugspunkt darstellt.

30.      Das Hauptargument des vorlegenden Gerichts dafür, die Anwendbarkeit des Urteils Candolin u. a. in Zweifel zu ziehen – oder eigentlich eher, seine Zweifel an dessen Richtigkeit zu rechtfertigen –, besteht in der unterschiedlichen Behandlung, zu der es bei Übernahme der Auslegung des Gerichtshofs einerseits der durch einen Unfall betroffenen sonstigen Insassen bei einem Sachverhalt wie dem der vorliegenden Rechtssache und andererseits solchen Insassen käme, die wissentlich ein nicht versichertes Fahrzeug bestiegen haben. Während nämlich in unserem Fall bei Anwendung des Urteils Candolin u. a. die Entschädigung des Versicherten, der einer nicht berechtigten Person das Führen seines Fahrzeugs gestattet hat, anzuerkennen wäre, würde es Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie bei Personen, die wissentlich ein nicht versichertes Fahrzeug besteigen, erlauben, ihnen die Entschädigung zu verweigern.

31.      Bezüglich dieser angeblich unterschiedlichen Behandlung sind meines Erachtens zwei Bemerkungen am Platz. Erstens sind, wie auch z. B. die Kommission ausgeführt hat, die Lage des versicherten und die des nicht versicherten Fahrzeugs nicht vergleichbar. Für das nicht versicherte Fahrzeug sieht die Richtlinie den zwingenden Eintritt einer von den Mitgliedstaaten bestimmten Stelle vor, um auf jeden Fall ein bestimmtes Niveau der Deckung für die Opfer sicherzustellen; die Regelung bezüglich nicht versicherter Fahrzeuge kann somit zu Recht als Ausnahme betrachtet werden und daher anders als die Regelung ausfallen, die bei ordnungsgemäß versicherten Fahrzeugen gilt.

32.      Zweitens dürfte der Vorschlag, eine unterschiedliche Behandlung durch Herabsetzung des im „privilegierten“ Fall anerkannten Schutzniveaus zu überwinden, um dieses so dem für den „nachteiligen“ Fall anerkannten anzugleichen, im Allgemeinen unter dem Blickwinkel der Auslegung eher fragwürdig sein. Im Allgemeinen geschieht eher das Gegenteil, und der Ausleger wird, wenn überhaupt möglich, eher versuchen, auch im weniger geschützten Fall eine Behandlung anzuerkennen, die derjenigen vergleichbar ist, die für den Fall gilt, in dem größerer Schutz besteht.

33.      Folglich zeigen, wenn man den vom vorlegenden Gericht vorgeschlagenen Ansatz billigt, wonach das für den Sachverhalt des Rechtsstreits geltende nationale Recht bestimmt, dass die Versicherung in Fällen wie dem vorliegenden nicht verpflichtet ist, das Opfer zu entschädigen, die rechtliche Regelung wie auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs, unmittelbar und klar, dass das Unionsrecht einer solchen nationalen Regelung entgegensteht.

34.      Zum anderen wäre dieses Urteil, wie ich oben schon im Vorgriff dargelegt habe, auch nicht in dem Fall abzuändern, dass man dem vom vorlegenden Gericht zurückgewiesenen, von den Versicherungsgesellschaften selbst vorgetragenen Ansatz zu folgen hätte, dass wir es nicht mit einer Versagung der Entschädigung zu tun haben, sondern lediglich mit einer Verrechnung zwischen einer Entschädigung und einem Rückgriff gegen den „fahrlässigen“ Versicherten.

35.      Es ist nämlich daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung, auch wenn das Unionsrecht allgemein zulässt, dass das nationale Recht den Versicherungen gestattet, in bestimmten Fällen Rückgriff beim Versicherten zu nehmen(22), die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht antasten dürfen(23), die auf dem grundlegenden Prinzip aufbaut, dass die Versicherungen andere Opfer als den Fahrer stets entschädigen müssen(24).

36.      Da die Richtlinie die nationalen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung nicht harmonisiert, ist klar, dass die tatsächlichen Umstände der einzelnen Unfälle berücksichtigt werden können, um z. B. den Betrag der Entschädigung festzustellen. Auf jeden Fall muss eine etwaige Herabsetzung der Entschädigung, abgesehen davon, dass sie eine Ausnahmemöglichkeit sein muss, von Fall zu Fall geprüft werden und kann nicht nach allgemeinen und abstrakten Kriterien festgelegt werden(25). In Extremfällen könnte man sogar, wie die Kommission in der Sitzung bemerkt hat, zu einer Herabsetzung der Entschädigung um ihren gesamten Betrag und damit zu einer Null-Zahlung gelangen. Dies muss allerdings auf der Grundlage einer Prüfung sämtlicher Umstände des Falles geschehen, und sicherlich reicht der bloße Umstand, dass die Führung des Fahrzeugs einer nicht berechtigten Person überlassen wurde, nicht aus, die Entschädigung auf null zu stellen. Es sei weiter daran erinnert, dass nach der Auffassung des Gerichtshofs der Beitrag des Insassen zur Entstehung des Schadens nicht zu einer unverhältnismäßigen Begrenzung des Schadens führen darf(26).

37.      Die Lehren aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs führen mit anderen Worten notwendig zu der Aussage, dass es die Regelung der Art. 12 Abs. 1 und 13 Abs. 1 der Richtlinie 2009/103/EG mit sich bringt, dass, falls ein und dieselbe Person zugleich Opfer und fahrlässiger Versicherter ist, die erste Eigenschaft – als Opfer – gegenüber der zweiten den Vorrang genießt. Falls nicht einer der Fälle vorliegt, für die die Richtlinie ausdrücklich die Möglichkeit einer Zahlungsverweigerung vorsieht, müssen die Unfallopfer entschädigt werden.

38.      Es ist nicht zu leugnen, dass diese Auslegung des Unionsrechts, da sie als einzige mit der Regelung und der Rechtsprechung vereinbar ist, Inkohärenzen in einigen Bereichen bestehen lässt. Insbesondere ist einzuräumen, dass, auch wenn eine Versicherung gegenüber einem fahrlässigen Versicherten nicht Regress wegen der ihm als Opfer gezahlten Beträge nehmen kann, der Regress umgekehrt für etwa an andere Opfer desselben Unfalls gezahlte Beträge möglich sein wird. Eine solche Lage scheint mir indessen, insbesondere im Licht des Ziels des Opferschutzes, nicht unvereinbar mit dem Geist der Richtlinie zu sein.

C –    Zur Ermessensfreiheit der Mitgliedstaaten bei den Rechtsvorschriften über die zivile Haftpflicht

39.      Es muss ferner auch darauf hingewiesen werden, dass der von mir dargelegten Lösung auch die jüngsten Urteile des Gerichtshofs(27) nicht entgegenstehen, in denen die Vereinbarkeit der portugiesischen Regelung der zivilen Fahrzeughaftpflicht mit der Richtlinie anerkannt worden ist. Das portugiesische System der zivilen Haftpflicht lässt es in bestimmten Fällen zu, jede Entschädigung der Opfer im Straßenverkehr auszuschließen; das kann z. B. dann geschehen, wenn irgendeine Schuld der Fahrer der Fahrzeuge ausgeschlossen werden konnte.

40.      Wie der Gerichtshof selbst in den betreffenden Urteilen(28) ausgeführt hat, ging es um das Vorliegen einer zivilen Haftung für die jeweiligen Unfälle. Die Problematik gehörte indessen zu einem Bereich, der immer noch grundsätzlich der Ermessensfreiheit der Mitgliedstaaten überlassen ist. Im vorliegenden Fall hingegen ist, wie ich bereits bemerkt habe, von der Voraussetzung auszugehen, dass eine Haftpflicht besteht, und die Vorlagefragen betreffen lediglich das Eingreifen der Versicherung: Wir haben es hier folglich nicht mit einer Frage der zivilen Haftpflicht zu tun, sondern mit dem – in der Richtlinie geregelten – Bereich der Regelung der Rolle der Versicherungen.

41.      Nützlich ist ferner der Hinweis, dass in den eben angeführten Urteilen der Ausschluss der zivilen Haftung das Ergebnis einer Prüfung war, die die nationalen Gerichte von Fall zu Fall durchgeführt hatten. Umgekehrt erlaubt bei dem Sachverhalt, der der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegt, das nationale Recht den Versicherungen, die Zahlung ganz allgemein in all den Fällen zu verweigern, bei denen die Führung des Fahrzeugs einer Person gestattet worden war, die hierzu in der Police nicht ermächtigt war. Ein vergleichbarer Typ eines verallgemeinerten Ausschlusses erscheint daher auch, wie wir sahen, als Verstoß gegen die Pflicht zur Prüfung von Fall zu Fall, wie sie in der Rechtsprechung bestätigt worden ist(29).

D –    Zur „Ermächtigung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie

42.      Vor Abschluss der Untersuchung der ersten Vorlagefrage betrifft ein letzter Aspekt, der eine rasche Behandlung verdient, das Vorbringen der Versicherungsgesellschaften selbst und des Vereinigten Königreichs in ihren schriftlichen Erklärungen, wonach die „Ermächtigung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie nicht die Ermächtigung durch die Versicherung, sondern durch den Versicherten sei. Folglich seien die gemäß Art. 13 wirkungslosen Klauseln der Versicherungsverträge diejenigen, die die Deckung beim Führen des Fahrzeugs durch eine Person ausschlössen, die nicht vom Eigentümer ermächtigt sei. Umgekehrt blieben Klauseln anwendbar, die die Deckung beim Führen des Fahrzeugs durch Personen ausschlössen, die wie im vorliegenden Fall von der Versicherung nicht ermächtigt worden seien.

43.      Diese Lesart ist meines Erachtens unannehmbar.

44.      Erstens stellt, wie zu Recht bemerkt wurde, das Fahren ohne Ermächtigung des Eigentümers regelmäßig einen Diebstahl dar, und für den Diebstahl sieht die Richtlinie besondere Bestimmungen vor, die in Art. 13 festgelegt sind. Insbesondere bei gestohlenen Fahrzeugen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Opfer von der in Art. 10 bezeichneten Stelle für den Ersatz von Schäden durch unbekannte oder nicht versicherte Fahrzeuge entschädigt werden. Die Geltung solcher Sonderbestimmungen für den Fall des Diebstahls weist darauf hin, dass der Gesetzgeber, wenn er bei der Abfassung von Buchst. a des Art. 13 Abs. 1 nur an diesen Fall gedacht hätte, dies eindeutiger zum Ausdruck gebracht hätte.

45.      Meines Erachtens muss bei der teleologischen Auslegung der Richtlinie im Licht des Ziels des Opferschutzes die Vorschrift, die die Unanwendbarkeit von Vertragsklauseln vorschreibt, die die Deckung durch die Versicherung beim Fehlen einer „Ermächtigung“ ausschließen, weit in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie sich auf alle Sachverhalte bezieht, bei denen die Person, die das Fahrzeug führt, dieses nicht hätte führen dürfen, weil sie weder von der Versicherungsgesellschaft noch vom Eigentümer des Fahrzeugs, noch vom Versicherten ermächtigt war. Bei allen diesen Sachverhalten ist auf jeden Fall die Deckung durch die Versicherung sicherzustellen, um die Opfer zu schützen, und die Versicherung kann sich grundsätzlich nicht ihrer Zahlungspflicht entziehen.

46.      Diese Lesart wird nicht durch die Klarstellung in Frage gestellt, dass die in Rede stehende Ermächtigung „ausdrücklich oder stillschweigend“ sein kann. Entgegen der Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs kann auch eine Ermächtigung durch eine Versicherung und nicht nur die seitens eines Versicherten stillschweigend erfolgen. Wie dargelegt, deckt nämlich die Versicherung im größten Teil der Mitgliedstaaten lediglich ein Fahrzeug ohne Angabe der berechtigten Fahrer; in einem solchen Fall handelt es sich um eine „stillschweigende“ Ermächtigung der Versicherung zugunsten aller denkbaren Führer des Fahrzeugs.

47.      Hingewiesen sei ferner darauf, dass, wie die Kommission in der Sitzung bemerkt hat, die Klauseln nach den Buchst. a bis c des Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie eher beispielhaft als abschließend sind, insbesondere im Licht der Rechtsprechung, die Bestimmungen, die in einigen Fällen den Ausschluss der Zahlung durch die Versicherung zulassen, die Natur von eng auszulegenden Ausnahmen beigemessen hat(30). Bei dieser Betrachtungsweise bedeutet der Umstand, dass ein Klauseltyp nicht ausdrücklich in Art. 13 angeführt ist, keineswegs, dass dieser ohne Weiteres mit der Richtlinie vereinbar wäre.

E –    Ergebnis zur ersten Vorlagefrage

48.      Zum Schluss meiner Untersuchung der ersten Vorlagefrage schlage ich daher dem Gerichtshof vor, auf diese Frage zu antworten, dass die Art. 12 Abs. 1 und 13 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, auf deren Grundlage sich eine Versicherung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens weigern kann, ein Opfer zu entschädigen, wenn dieses ein Versicherter ist, der als Insasse in sein eigenes Fahrzeug eingestiegen ist, dessen Führung er jemandem anvertraut hat, der nicht von der Versicherungspolice gedeckt ist.

IV – Zur zweiten Vorlagefrage

49.      Mit seiner zweiten Frage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Klärung, ob für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage der Kenntnisstand des Versicherten, der die Führung des Fahrzeugs einer nicht berechtigten Person gestattet hat, erheblich ist und ob es insbesondere von Bedeutung sein kann, dass dem Versicherten bekannt war oder nicht, dass die Person, der er die Führung des Fahrzeugs anvertraut hat, nicht versichert war.

50.      Wie ich bereits ausgeführt habe, stützt sich die Richtlinie in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung auf den Gedanken, dass die Versicherung grundsätzlich die Opfer immer entschädigen muss, wenn nicht eine der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen vorliegt. Der Kenntnisstand des Versicherten ist mit anderen Worten für die Notwendigkeit der Entschädigung der Opfer auf jeden Fall unerheblich, auch wenn eines von ihnen der „fahrlässige“ Versicherte ist.

51.      Dies hindert natürlich die Mitgliedstaaten in keiner Weise daran, in den oben anerkannten Grenzen diesen Gesichtspunkt im Rahmen der Vorschriften über die zivile Haftpflicht zu berücksichtigen, um z. B. den Betrag zu ermitteln, den die Opfer beanspruchen können, oder um bei Dritten zugefügten Schäden das Recht des Rückgriffs der Versicherungen festzulegen.

52.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass es für die Beantwortung der ersten Frage unerheblich ist, ob dem Versicherten bekannt war oder nicht, dass die Person, der er die Führung des Fahrzeugs anvertraut hat, nicht von der Versicherung gedeckt war.

V –    Ergebnis

53.      Demgemäß schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Court of Appeal wie folgt zu beantworten:

Die Art. 12 Abs. 1 und 13 Abs. 1 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Vorschriften entgegenstehen, auf deren Grundlage sich eine Versicherung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens weigern kann, ein Opfer zu entschädigen, wenn dieses ein Versicherter ist, der als Insasse in sein eigenes Fahrzeug eingestiegen ist, dessen Führung er jemandem anvertraut hat, der nicht von der Versicherungspolice gedeckt ist.

Für die Beantwortung der ersten Frage ist es unerheblich, ob dem Versicherten bekannt war oder nicht, dass die Person, der er die Führung des Fahrzeugs anvertraut hatte, nicht von der Versicherung gedeckt war.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – ABl. L 263, S. 11.


3 – Es handelt sich um die (erste) Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1), die zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 8, S. 17), die dritte Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 129, S. 33) und die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie) (ABl. L 181, S. 65).


4 – Entspricht dem zweiten Erwägungsgrund der zweiten Richtlinie 84/5/EWG.


5 – Stimmt in dem angeführten Teil mit dem sechsten Erwägungsgrund der zweiten Richtlinie 84/5/EWG überein.


6 – Stimmt nahezu mit dem siebten Erwägungsgrund der zweiten Richtlinie 84/5/EWG überein.


7 – Entspricht Art. 1 Abs. 1 der dritten Richtlinie 90/232/EWG.


8 – Entspricht Art. 1a Satz 2 der dritten Richtlinie 90/232/EWG.


9 – Entspricht in dem hier angeführten Teil Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 84/5/EWG.


10 – Entspricht Art. 1 Abs. 4 bis 7 der zweiten Richtlinie 84/5/EWG.


11 –      In der Frage wird von „Versicherung“ gesprochen. Es handelt sich indessen wohl um einen Schreibfehler.


12 – Vgl. für zwei neuere Fälle, in denen der Gerichtshof die nicht immer einfache Unterscheidung von Rechtsvorschriften der Union über die Versicherungsdeckung und der nationalen Vorschriften über die zivile Haftpflicht nachgezeichnet hat, Urteile vom 17. März 2011, Carvalho Ferreira Santos (C‑484/09, Slg. 2011, I‑0000), und vom 9. Juni 2011, Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio (C‑409/09, Slg. 2011, I‑0000).


13 – Ich bemerke nebenbei, dass die Versicherungen mit dieser Lesart stillschweigend einräumen, dass sich hier kein Problem der zivilen Haftpflicht stellt, sondern nur ein Problem der Versicherungsdeckung. Wenn keine zivile Haftpflicht bestünde, könnten die Versicherungen einfach allein deshalb die Zahlung verweigern.


14 – Urteile vom 28. März 1996, Ruiz Bernáldez (C‑129/94, Slg. 1996, I‑1829, Randnrn. 13 f.); vom 14. September 2000, Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira (C‑348/98, Slg. 2000, I‑6711, Randnrn. 23 f.), und vom 30. Juni 2005, Candolin u. a. (C‑537/03, Slg. 2005, I‑5745, Randnr. 17).


15 – Siehe hierzu auch Nrn. 42 ff. der vorliegenden Schlussanträge.


16 – Vgl. Urteil Candolin u. a. (oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 33).


17 – Schlussanträge vom 10. März 2005 in der Rechtssache Candolin u. a. (Urteil oben in Fn. 14 angeführt, Nr. 54).


18 – Urteil oben in Fn. 14 angeführt.


19 – Ebd., Randnr. 21.


20 – Ebd., Randnrn. 31 bis 33.


21 – Generalanwalt Geelhoed ist in seinen Schlussanträgen in dieser Rechtssache (oben in Fn. 17 angeführt) eindeutig von dieser Voraussetzung ausgegangen (vgl. Nr. 54 seiner Schlussanträge).


22 – Urteil Ruiz Bernáldez (oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 23).


23 – Urteil Candolin u. a. (oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 28 angeführt). Vgl. auch Urteile vom 19. April 2007, Farrell (C‑356/05, Slg. 2007, I‑3067, Randnr. 34), und Ambrósio Lavrador und Olival Ferrera Bonifacio (oben in Fn. 12 angeführt, Randnr. 28).


24 – Urteil Ruiz Bernáldez (oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 18).


25 – Urteile Candolin u. a. (oben in Fn. 14 angeführt, Randnrn. 29 und 30) sowie Ambrósio Lavrador und Olival Ferrera Bonifacio (oben in Fn. 2 angeführt, Randnr. 29).


26 – Urteil Candolin u. a. (oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 29).


27 – Ich verweise auf die Urteile Carvalho Ferreira Santos und Ambrósio Lavrador und Olival Ferrera Bonifacio (beide oben in Fn. 12 angeführt).


28 – Urteile Carvalho Ferreira Santos (oben in Fn. 12 angeführt, Randnr. 39) und Ambrósio Lavrador und Olival Ferrera Bonifacio (oben in Fn. 12 angeführt, Randnr. 34).


29 – Siehe Nr. 36 der vorliegenden Schlussanträge.


30 – Urteil Candolin u. a. (oben in Fn. 14 angeführt, Randnr. 19).