SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

VERICA Trstenjak

vom 8. September 2011(1)

Rechtssache C‑384/10

Jan Voogsgeerd

gegen

Navimer SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van Cassatie [Belgien])

„Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht – Art. 6 Abs. 2 Buchst. b – Rechtswahl der Parteien – Zwingende Bestimmungen des mangels einer Rechtswahl anzuwendenden Rechts – Arbeitsvertrag – Arbeitnehmer, der seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet“





I –    Einleitung

1.        Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV stellt das belgische Hof van Cassatie (im Folgenden: vorlegendes Gericht) dem Gerichtshof eine Reihe von Fragen betreffend die Auslegung des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (im Folgenden: Übereinkommen von Rom)(2). Dieses Übereinkommen wurde ausweislich der in der Präambel angeführten Begründungserwägungen in dem Bestreben geschlossen, die innerhalb der Union insbesondere im Bereich der gerichtlichen Zuständigkeit und der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidung bereits begonnene Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts fortzusetzen, sowie in dem Wunsch, einheitliche Normen für die Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden Rechts zu schaffen. Mit der Vereinheitlichung der betreffenden Kollisionsnormen sollte zur Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum beitragen werden. An dieses Ziel knüpft ebenfalls die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Rechte (Rom I)(3) (im Folgenden: Rom-I‑Verordnung) an, die das Übereinkommen von Rom mit Wirkung zum 17. Dezember 2009 ersetzt hat. Vor dem Hintergrund, dass diese Verordnung erst auf nach diesem Zeitpunkt geschlossene Verträge Anwendung findet und dass der streitgegenständliche Arbeitsvertrag am 7. August 2001 geschlossen wurde, kommen auf ihn allein die Bestimmungen des Übereinkommens von Rom zur Anwendung.

2.        Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Voogsgeerd, einem niederländischen Staatsangehörigen, und seinem früheren Arbeitgeber, der im Großherzogtum Luxemburg ansässigen Firma Navimer, für die er als leitender Schiffsingenieur gearbeitet hat, über einen Anspruch auf Schadensersatz wegen vermeintlich missbräuchlicher Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Streitig ist dabei welches nationale Recht im Ausgangsfall letztlich zur Anwendung kommen soll, zumal im Fall der Anwendbarkeit luxemburgischen Rechts – das ursprünglich als lex contractus vereinbart worden war – der Schadensersatzklage von Herrn Voogsgeerd eine dreimonatige Ausschlussfrist entgegenstünde, die mittlerweile verstrichen ist. Er selbst steht auf dem Standpunkt, dass diese Ausschlussfrist nicht gelte, da sie im Widerspruch zu den zwingenden Bestimmungen des belgischen Rechts stehe, die seiner Ansicht nach auf seinen Arbeitsvertrag anwendbar sind. Um die Anwendbarkeit belgischen Rechts zu begründen, beruft er sich u. a. darauf, dass er im Rahmen der Durchführung seines Arbeitsvertrages stets Anweisungen eines anderen, jedoch mit seinem Arbeitgeber eng verbundenen Unternehmens, nämlich der in Antwerpen ansässigen Firma Naviglobe, erhalten habe. Daraus folgert er, dass Naviglobe als eine Niederlassung seines Arbeitgebers im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens von Rom angesehen werden müsse, mit der Folge, dass letztlich die darin angeführten speziellen Regelungen heranzuziehen seien.

3.        Die Vorlagefragen zielen im Wesentlichen darauf, Auskunft darüber zu erhalten, was unter dem Begriff „Niederlassung“ im Sinne der oben genannten Bestimmung zu verstehen ist bzw. welche Anforderungen an dieses Tatbestandsmerkmal zu stellen sind, damit die darin enthaltene Kollisionsregel zur Anwendung kommen kann. Angesichts der Parallelen, die zwischen der Rechtssache C‑29/10, Koelzsch(4), in der es um die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens ging, und dieser Rechtssache bestehen, erweist sich eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen beiden Bestimmungen als notwendig.

II – Normativer Rahmen

A –    Übereinkommen von Rom

4.        Art. 3 („Freie Rechtswahl“) des Übereinkommens von Rom sieht vor:

„(1)  Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.

…“

5.         Art. 4 („Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht“) des Übereinkommens von Rom bestimmt:

„(1)  Soweit das auf den Vertrag anzuwendende Recht nicht nach Artikel 3 vereinbart worden ist, unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Lässt sich jedoch ein Teil des Vertrages von dem Rest des Vertrages trennen und weist dieser Teil eine engere Verbindung mit einem anderen Staat auf, so kann auf ihn ausnahmsweise das Recht dieses anderen Staates angewendet werden.

…“

6.        Art. 6 („Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen“) des Übereinkommens von Rom bestimmt:

„(1)  Ungeachtet des Artikels 3 darf in individuellen Arbeitsverträgen die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach diesem Artikel mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre.

(2)       Abweichend von Artikel 4 sind mangels einer Rechtswahl nach Artikel 3 auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse anzuwenden:

a)       das Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist, oder

b)       das Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet,

es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist; in diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“

7.        Das Erste Protokoll betreffend die Auslegung des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften(5) (im Folgenden: Erstes Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens von Rom) bestimmt in Art. 1:

„Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften entscheidet über die Auslegung

a)       des am 19. Juni 1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, …

b)       der Übereinkommen über den Beitritt der Staaten zu dem Übereinkommen von Rom, die nach dem Tag Mitglieder der Europäischen Gemeinschaften geworden sind, an dem es zur Unterzeichnung aufgelegt wurde,

…“

8.        Art. 2 des Ersten Protokolls über die Auslegung des Übereinkommens von Rom sieht vor:

„Folgende Gerichte können eine Frage, die bei ihnen in einem schwebenden Verfahren aufgeworfen wird und sich auf die Auslegung von Regelungen bezieht, die in den in Artikel 1 genannten Übereinkünften enthalten sind, dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen, wenn sie eine Entscheidung darüber zum Erlass ihres Urteils für erforderlich halten:

(b)       die Gerichte der Vertragsstaaten, sofern sie als Rechtsmittelinstanz entscheiden.“

B –    Brüsseler Übereinkommen

9.        Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssache (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) (6) sieht in Art. 5 vor:

„Eine Person, die ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden:

5.       wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweigniederlassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung handelt, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befindet.“

C –    Nationales Recht

10.      Gemäß Art. 80 des luxemburgischen Gesetzes vom 9. November 1990(7) über die Errichtung eines luxemburgischen öffentlichen Seeschiffsregisters haben Seeleute bei einer missbräuchlichen Kündigung des Arbeitsvertrags für Seeleute Anspruch auf Schadensersatz zuzüglich Zinsen; die Klage auf Schadensersatz für diese missbräuchliche Kündigung kann nur binnen einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Zustellung der Kündigung oder ihrer Begründung beim Arbeitsgericht erhoben werden.

III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11.      Herr Voogsgeerd, ein niederländischer Staatsangehöriger, schloss am 7. August 2001 einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit dem Unternehmen Navimer mit Sitz im Großherzogtum Luxemburg ab. Als anwendbares Recht wurde in diesem Arbeitsvertrag das luxemburgische Recht vereinbart.

12.      Herr Voogsgeerd erhielt sein Gehalt vom Sekretariat des Unternehmens Navimer, das ebenfalls seinen Sitz in Luxemburg hat, und war zudem bei einer luxemburgischen Krankenkasse versichert.

13.      Während des Zeitraums vom August 2001 bis zum April 2002 übte er eine Tätigkeit als leitender Ingenieur an Bord der im Eigentum des Unternehmens Navimer stehenden Schiffe MS Regina und Prince Henri aus, wobei als Einsatzgebiet die Nordsee angegeben wird.

14.      Mit Schreiben vom 8. April 2002 entließ Navimer Herrn Voogsgeerd, der sich gegen die einseitige Aufhebung seines Arbeitsvertrags mittels Kündigungsschutzklage vom 4. April 2003 vor dem Arbeitsgericht Antwerpen wehrte.

15.      Zur Stützung seiner Klage berief sich Herr Voogsgeerd unter Verweis auf Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom auf die zwingenden Bestimmungen des belgischen Rechts, die mangels einer Rechtswahl zwischen den Vertragsparteien gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens anwendbar seien.

16.      Dabei machte er geltend, er müsse als durch einen Arbeitsvertrag mit dem belgischen Unternehmen Naviglobe und nicht etwa mit dem luxemburgischen Unternehmer Navimer gebunden angesehen werden, da er sich im Rahmen der Verrichtung seiner Tätigkeit stets nach Antwerpen habe begeben müssen, um bei der Verladung der Schiffe anwesend zu sein und Anweisungen von seinem Arbeitgeber, die ihm über Naviglobe übermittelt worden seien, entgegenzunehmen.

17.      Das Arbeitsgericht Antwerpen entschied, dass auf Grundlage aller Umstände des Arbeitsverhältnisses Navimer als die Niederlassung angesehen werden müsse, die Herrn Voogsgeerd eingestellt habe und dementsprechend die zwingenden Bestimmungen des luxemburgischen Rechts auf den Arbeitsvertrag gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Übereinkommens zur Anwendung kommen müssten.

18.      Des Weiteren hat das Arbeitsgericht Antwerpen für Recht erkannt, dass die Klage auf Schadensersatz wegen der widerrechtlichen Kündigung des Arbeitsvertrags zurückzuweisen sei, da sie nach Ablauf der hierfür in Art. 80 des Gesetzes über die Errichtung eines luxemburgischen öffentlichen Seeschiffsregisters vorgesehenen dreimonatigen Ausschlussfrist eingereicht worden sei.

19.      Gegen dieses Urteil hat Herr Voogsgeerd Rechtsmittel beim zuständigen Gericht in Antwerpen eingelegt. Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass das Rechtmittelgericht zwar das Rechtsmittel zurückgewiesen, jedoch nicht ausgeschlossen hat, dass die von Herrn Voogsgeerd vorgetragenen Tatsachen hinsichtlich des Ortes der Verladung und der Weisungsgebundenheit gegenüber Naviglobe auch Berücksichtigung finden könnten.

20.      In seiner Kassationsbeschwerde vor dem vorlegenden Gericht macht Herr Voogsgeerd dieselben Argumente wie in der Rechtsmittelinstanz geltend. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass, sofern die Angaben zutreffend sein sollten, das in Antwerpen ansässige Unternehmen Naviglobe als jene Niederlassung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens angesehen werden könnte, an die Herr Voogsgeerd kraft seiner tatsächlichen Beschäftigung gebunden sei.

21.      In Anbetracht der verbleibenden Auslegungszweifel hat das Hof van Cassatie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.         Ist unter dem Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, eingestellt hat, der Staat zu verstehen, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet, die den Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag eingestellt hat, oder der Staat, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet, bei der der Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt ist, auch wenn er seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet?

2.         Ist der Ort, an dem ein Arbeitnehmer, der seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet, verpflichtet ist, sich anzumelden, und die Weisungen und Anordnungen zur Durchführung seiner Tätigkeiten erhält, als Ort der tatsächlichen Beschäftigung im Sinne der ersten Frage anzusehen?

3.         Muss die Niederlassung des Arbeitgebers, bei der der Arbeitnehmer im Sinne der ersten Frage tatsächlich beschäftigt ist, bestimmte formelle Anforderungen wie den Besitz eigener Rechtspersönlichkeit erfüllen oder genügt hierfür das Bestehen einer faktischen Niederlassung?

4.         Kann die Niederlassung einer anderen Gesellschaft, zu der die Arbeitgebergesellschaft Beziehungen unterhält, als Niederlassung im Sinne der dritten Frage gelten, auch wenn die Weisungsbefugnis nicht an diese andere Gesellschaft übertragen worden ist?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

22.      Die Vorlageentscheidung mit Datum vom 7. Juni 2010 ist am 29 Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

23.      Schriftliche Erklärungen haben Herr Voogsgeerd, die belgische und die niederländische Regierung sowie die Europäische Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.

24.      Die Frage des Gerichtshofs an das vorlegende Gericht, ob es im Hinblick auf das Urteil vom 15. März 2011, Koelzsch (C‑29/10), das ihm auch mitgeteilt worden ist, sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalte, hat dieses Gericht mit Schreiben vom 4. April 2011, das bei der Kanzlei des Gerichtshofs am 21. April 2011 eingegangen ist, bejaht.

25.      Der Gerichtshof hat in Ausübung seiner Befugnisse zur Anordnung von prozessleitenden Maßnahmen eine Frage betreffend die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens von Rom auf den Ausgangsfall an die Verfahrensbeteiligten gerichtet, die diese innerhalb der festgelegten Frist schriftlich beantwortet haben.

26.      Da keiner der Verfahrensbeteiligten die Eröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt hat, konnten nach der Generalversammlung des Gerichtshofs am 17. Mai 2011 die Schlussanträge in dieser Rechtssache ausgearbeitet werden.

V –    Wesentliche Argumente der Parteien

A –    Zur ersten und zweiten Vorlagefrage

27.      Die niederländische Regierung und die Kommission sind der Auffassung, dass der Ausdruck „Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens dahin gehend zu verstehen sei, dass damit der Staat gemeint sei, in dem sich die Niederlassung jenes Unternehmens befinde, das den Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen habe.

28.      Nach Ansicht der niederländischen Regierung muss Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens wörtlich verstanden werden. Diese Bestimmung diene nämlich dazu, die Kollisionsnormen zu vereinheitlichen, um Forum Shopping zu verhindern, die Rechtssicherheit zu fördern und die Bestimmung des anwendbaren Rechts zu erleichtern. Zu diesem Zweck müssten die Kollisionsnormen aber weitgehend vorhersehbar sein. Indes sei unklar, was genau unter dem „Ort der tatsächlichen Beschäftigung“ zu verstehen sei, vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichte.

29.      Die Kommission trägt vor, als Hauptkollisionsregel müsse die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens enthaltene angesehen werden, so dass das jeweilige Gericht zunächst feststellen müsse, ob es einen Schwerpunkt in der Tätigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers gebe. Das Gericht müsse bei seinen Überlegungen möglichst auf den Ort der Tätigkeit abstellen, der am besten der konkreten Situation entspreche, sogar wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten verrichte. Diese Regel ermögliche, wenn sie weit ausgelegt werde, die größtmögliche Rechtssicherheit, da sie weitgehend vorhersehbar sei und zudem die Wirklichkeit am besten widerspiegle. Die Kommission ist daher der Ansicht, dass diese Regel in den meisten Fällen eine Feststellung des anwendbaren Rechts gestatte. Die in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b enthaltene Kollisionsregel könne erst subsidiär herangezogen werden, wenn ein derartiger Tätigkeitsschwerpunkt nicht festgestellt werden könne.

30.      Nach dieser Kollisionsregel kämen zwei mögliche Ansätze in Betracht. Diese Regel könnte nämlich dahin ausgelegt werden, dass sie sich entweder auf den Ort der Niederlassung beziehe, an die der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit gebunden sei (auf Tatsachen gründendes Kriterium) oder auf den Ort der Niederlassung, die den Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag eingestellt hat (formales Kriterium). Die Kommission spricht sich für die zweite Auslegung aus. Zum einen weise der Wortlaut von Buchst. b selbst in diese Richtung: Mit dem Begriff „Einstellung“ sei eher der Zeitpunkt der Invertragnahme als der der tatsächlichen Verrichtung der Tätigkeit verbunden, im Gegensatz zum Kriterium in Buchst. a, das ausdrücklich auf die gewöhnliche Arbeitsverrichtung bei Durchführung des Arbeitsvertrags Bezug nehme. Zum anderen sei es von einem systematischen Standpunkt aus betrachtet wenig logisch, wenn ein Kriterium angewandt werde, das ebenfalls auf Tatsachen gründe, obwohl auch bei einer weiten Auslegung des in Buchst. a enthaltenen Kriteriums eine Feststellung des Schwerpunkts der Tätigkeit nicht möglich sei.

31.      Herr Voogsgeerd und die belgische Regierung vertreten hingegen die Auffassung, dass sich der Ausdruck „Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens auf den Staat beziehe, in dem sich die Niederlassung befinde, an die der Arbeitnehmer bei der tatsächlichen Verrichtung seiner Arbeit gebunden sei.

32.      Herr Voogsgeerd trägt dazu vor, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens weise das Arbeitsverhältnis lediglich eine sehr schwache Verbindung zum Niederlassungsort des Unternehmens auf, das den Arbeitnehmer eingestellt habe. Das Recht jenes Staates anzuwenden stünde im Widerspruch zu dem Ansatz, der dem Übereinkommen zugrunde liege, wonach das Recht jenes Staates Anwendung finden müsse, der die engere Verbindung zum Arbeitsverhältnis aufweise. Der Abschluss eines Vertrags mit der Niederlassung einer Muttergesellschaft zu dem bloßen Zweck, im Ausland für die Zweigniederlassung dieser Gesellschaft zu arbeiten, dürfe daher keine Auswirkungen auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts haben.

33.      Tatsächlich stünde es dem Zweck von Art. 6 des Übereinkommens entgegen, wenn der Arbeitgeber in der Lage wäre, sich willentlich den zwingenden Bestimmungen des Staates zu entziehen, zu dem der Arbeitsvertrag eine echte und enge Verbindung aufweist, indem er einfach den Arbeitsvertrag durch eine andere Niederlassung unterzeichnen lasse. Durch die Anwendung des Rechts des Staates der Niederlassung, in dem er arbeite, würde der Arbeitnehmer denselben Schutz genießen wie jene Arbeitnehmer, die ihre Aufgaben normalerweise in dieser Niederlassung in Erfüllung ihres Arbeitsvertrags wahrnähmen. Herr Voogsgeerd weist schließlich darauf hin, dass die englische Sprachfassung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens keinen Zweifel daran lasse, dass die Bestimmung sich nicht auf das Unternehmen beziehe, mit dem der Arbeitnehmer einen Arbeitsvertrag abgeschlossen habe.

34.      Die belgische Regierung macht geltend, mit „Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“ sei jener Staat gemeint, in dem sich die Niederlassung befinde, an die der Arbeitnehmer durch die tatsächliche Verrichtung seiner Arbeit gebunden sei.

35.      Sie weist erstens darauf hin, dass ein Verständnis dieser Bestimmung dahin gehend, dass damit der Staat gemeint sei, der im Vertrag angegeben sei, zur Folge haben könnte, dass die zwingenden Bestimmungen des Rechts dieses Staates keinerlei Bezug zur tatsächlichen Arbeitsverrichtung hätten. Die Verknüpfung in Anwendung eines solchen Kriteriums würde von einem Umstand abhängen, der oft keinerlei Bezug zur tatsächlichen Arbeit habe. Zweitens könne darunter nicht der Abschluss eines Arbeitsvertrags im Hauptsitz einer Gesellschaft verstanden werden, ohne dass die Arbeit tatsächlich in dem Staat verrichtet werde, in dem sich dieser Hauptsitz befinde. Dies könne leicht zu Missbrauch führen, indem der Arbeitgeber etwa den Sitz der Gesellschaft in einen Staat verlegen könnte, in dem es nur schwache soziale Garantien für den Arbeitnehmer gebe. Drittens stelle der Ansatz der belgischen Regierung auf die „Theorie der engeren Verbindung ab“, wonach das Recht jenes Staates Anwendung finden müsse, zu dem unter Berücksichtigung aller Umstände die engeren Verbindungen bestünden. Viele Aspekte könnten auf eine engere Verbindung hinweisen, wie etwa die Sprache des Vertrags, die verwendete Währung, die Eintragung im Personalregister, die Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien und der Ort der Ausübung der Weisungsbefugnis durch den Arbeitgeber.

B –    Zur dritten und zur vierten Vorlagefrage

36.      Nach Auffassung von Herrn Voogsgeerd kann ein Wirtschaftsteilnehmer als Niederlassung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Übereinkommens eingeordnet werden, wenn er eine Vertretung oder ein Büro hat, die eine gewisse Beständigkeit aufweist sowie Rechtspersönlichkeit besitzt oder anderen Anforderungen entspricht.

37.      Gleichwohl meint er, dass die Anerkennung einer solchen Eigenschaft es nicht erfordere, dass die betreffende Organisationseinheit eine Weisungsbefugnis besitze oder ihr eine solche Befugnis vom Hauptunternehmen übertragen worden sei. Sie könne sowohl eine Zweigniederlassung ohne Rechtspersönlichkeit als auch eine Tochtergesellschaft mit Rechtspersönlichkeit sein.

38.      Die belgische Regierung vertritt die Auffassung, dass der Besitz von Rechtspersönlichkeit keine formale Voraussetzung darstelle, um als „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens angesehen zu werden, und dass jede Zweigniederlassung oder Agentur einer Gesellschaft, deren Einrichtung in Einklang mit dem Recht des Niederlassungsstaats erfolge, als eine Niederlassung einordnet werden könne.

39.      Gleichwohl müsse jede Unternehmensniederlassung vom Mutterunternehmen die Weisungsbefugnis bezogen auf die Festlegung der Entlohnungsmodalitäten und die Entlassungsbedingungen erhalten haben.

40.      Die Kommission ist ebenfalls der Ansicht, dass die Einstufung als Niederlassung ein Mindestmaß an Stabilität erfordere. Sie verweist hierzu auf das Urteil Somafer(8), in dem der Gerichtshof bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 5 des Brüsseler Übereinkommens für Recht erkannt habe, dass mit dem Begriff der Zweigniederlassung, der Agentur oder Niederlassung ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint sei, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses auftrete. Die Kommission trägt vor, ein entsprechender Ansatz verhindere, dass eine Verknüpfung mit einem Staat hergestellt werde, der ein niedrigeres Arbeitnehmerschutzniveau aufweise.

VI – Rechtliche Würdigung

A –    Einleitende Anmerkungen

41.      Kollisionen zwischen einzelnen Rechtsordnungen im Bereich des Arbeitsrechts werfen gerade bei Arbeitsverhältnissen, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen, komplexe Rechtsfragen auf. Sie bereiten den Gerichten der Mitgliedstaaten, die zur Feststellung des auf einen Arbeitsvertrag anwendbaren Rechts berufen sind, nicht zuletzt deshalb oft erhebliche Probleme. Zu den alltäglichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Auslegung des Arbeitsvertrags gesellt sich nämlich die Ungewissheit hinsichtlich der Wahl des geeigneten Ansatzes zur Feststellung des anwendbaren Rechts. Diese Schwierigkeiten in der Gerichtspraxis nehmen zu je üblicher die Entsendung von Arbeitnehmern wird, je mehr Unionsbürger die Arbeitnehmerfreizügigkeit für sich in Anspruch nehmen und je mehr Unternehmen Geschäftsbeziehungen mit dem Ausland bzw. Niederlassungen in anderen Ländern unterhalten. Die Entsendung – zeitweilig oder auf unbestimmte Zeit – zahlreicher Arbeitnehmer ist zu einem wichtigen Faktor in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen geworden, und zwar nicht nur innerhalb des europäischen Binnenmarkts, sondern allgemein weltweit. Gerade deswegen erscheint es von großer Bedeutung, über Kollisionsnormen zu verfügen, die den Vertragsparteien vorhersehbare Lösungen für die Vielzahl das Arbeitsverhältnis betreffender Probleme anbieten, wie etwa die Frage, welche Kündigungsregelungen gelten, welche Entschädigungen dem Arbeitnehmer gegebenenfalls zu zahlen sind, welche Urlaubsregelungen Anwendung finden oder ob eine Streitbeilegungsklausel als gültig anzusehen ist(9).

42.      Vor einem solchen Problem steht auch der nationale Richter im Ausgangsverfahren, der darüber zu entscheiden hat, ob er auf den Ausgangsfall luxemburgisches oder belgisches Recht anzuwenden hat. Die vielfältigen Bezüge zum Recht beider Mitgliedstaaten lassen auf den ersten Blick keine eindeutige Zuordnung erkennen. Die Feststellung des anwendbaren Rechts erweist sich für Herrn Voogsgeerd jedoch von grundlegender Bedeutung, da seiner Klage auf Schadensersatz wegen missbräuchlicher Kündigung im Fall der Anwendbarkeit luxemburgischen Rechts die mittlerweile verstrichene dreimonatige Ausschlussfrist des Art. 80 des luxemburgischen Gesetzes vom 9. November 1990 über die Errichtung eines luxemburgischen öffentlichen Seeschiffsregisters entgegenstünde. Seine Klage müsste in einem solchen Fall abgewiesen werden. Dementsprechend wird der zuständige nationale Richter seine Entscheidung auf die einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens von Rom stützen und dabei eine Reihe von rechtlichen Aspekten und Sachverhaltselementen berücksichtigen müssen. Die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen und Begriffe, die der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens vornehmen wird, soll ihm zu einer rechtlich zutreffenden Entscheidung verhelfen, die möglichst auch dem Regelungszweck des Art. 6 des Übereinkommens, nämlich den Arbeitnehmer in angemessener Weise zu schützen, Rechnung trägt.

B –    Darstellung der systematischen Prüfungsfolge bei der Feststellung des anwendbaren Rechts

43.      Um die aufgeworfenen Rechtsfragen in den richtigen thematischen und systematischen Kontext zu stellen, werde ich, bevor ich mich den eigentlichen Vorlagefragen zuwende, kurz die Prüfungsfolge erörtern, die der nationale Richter bei der Feststellung des anwendbaren Rechts einhalten muss. Um dem nationalen Richter eine möglichst fallgerechte Lösung der aufgeworfenen Rechtsfragen zu bieten, wird diese Darstellung nicht losgelöst vom Ausgangssachverhalt erfolgen, sondern möglichst auf einzelne Aspekte desselben Bezug nehmen.

1.      Freie Rechtswahl als Grundregel

44.      Das Übereinkommen von Rom zeichnet sich dadurch aus, dass es der Parteiautonomie eine zentrale Bedeutung einräumt, indem es den Vertragsparteien gemäß Art. 3 Abs. 1 als Grundregel die freie Rechtswahl gestattet(10). Damit stimmen die Wertungen dieses Übereinkommens letztlich mit der vom Gerichtshof bereits in seiner Rechtsprechung vertretenen Auffassung überein, wonach „die vertraglichen Vereinbarungen, in denen der übereinstimmende Wille der Parteien zum Ausdruck kommt, jedem anderen Kriterium vorgehen müssen, das nur bei Schweigen des Vertrages angewendet werden kann“(11). Treffen die Parteien allerdings keine Rechtswahl, bestimmt sich das anzuwendende Recht nach Art. 4 dieses Übereinkommens, das als grundlegendes Kriterium die Anwendung des Rechts des Staates vorsieht, zu dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist.

45.      Dazu ist festzustellen, dass im Ausgangsfall die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommen durchaus gegeben sind, da die Firma Navimer und Herr Voogsgeerd beim Abschluss des Arbeitsvertrages das Recht des Großherzogtums Luxemburg ausdrücklich als anwendbares Recht festgelegt haben. Insofern könnte von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des luxemburgischen Arbeitsrechts ausgegangen werden, sofern keine speziellen Bestimmungen dieses Übereinkommens einschlägig sein sollten.

2.      Sonderregelungen zum Schutz des Arbeitnehmers

46.      Art. 3 und 4 könnten nämlich im Ausgangsfall durch andere Bestimmungen dieses Übereinkommens infolge eines Spezialitätsverhältnisses gemäß dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali verdrängt worden sein. In Betracht kommt Art. 6 des Übereinkommens, der das auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse anzuwendende Recht regelt. Er stellt insofern eine Sonderregelung im Verhältnis zu Art. 3 und 4 dieses Übereinkommens dar, als er davon abweichende Vorschriften zum Schutz der schwächeren Vertragspartei, nämlich des Arbeitnehmers, enthält(12).

47.      Zum einen schreibt Art. 6 Abs. 1 vor, dass die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen darf, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das mangels einer Rechtswahl anzuwenden gewesen wäre. Zum anderen sind in Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens Sonderregelungen enthalten, die mangels einer Rechtswahl anzuwenden sind: In diesem Fall ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, bzw. – wenn kein Staat feststellbar ist, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird – das Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat. Beide Grundanknüpfungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie erstens im Verhältnis der Alternativität stehen, d. h., sie schließen sich gegenseitig aus, und zweitens das gesamte Spektrum möglicher Fallkonstellationen abdecken(13). Schließlich enthält Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens im letzten Unterabsatz eine Ausweichklausel(14), wonach keine dieser Bestimmungen anzuwenden ist, wenn der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist. In diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden. Diese Regelungen sind vom Grundgedanken gezeichnet, im Interesse des schützwürdigen Arbeitnehmers jenes Recht zur Anwendung kommen zu lassen, das dem Arbeitsvertrag näher steht.

48.      Damit die in Art. 3 verankerte Grundregel verdrängt werden kann, muss also das nationale Gericht gemäß Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens ermitteln, welches Recht zur Anwendung gekommen wäre, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen hätten, und ob dem Arbeitnehmer dadurch möglicherweise der Schutz entzogen worden ist, den ihm zwingende Bestimmungen des Rechts des anderen Staates gewähren. Diese Feststellung obliegt dem nationalen Richter, wobei er im Wesentlichen beurteilen muss, welches Recht – das gewählte Recht oder das andernfalls anwendbare Recht – dem Arbeitnehmer größeren Schutz gewährt (sogenanntes kollisionsrechtliches Günstigkeitsprinzip) und ob den einschlägigen Bestimmungen des vorteilhafteren Rechts nach der jeweiligen Rechtsordnung zwingender Rechtscharakter zukommt(15). Kennt das vereinbarte Recht keine zwingenden Schutzvorschriften oder bleibt es hinter dem Standard des nach Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens maßgeblichen Rechts zurück, so finden die dem Arbeitnehmer günstigeren zwingenden Vorschriften dieser Rechtsordnung Anwendung. Dies kann dazu führen, dass verschiedene Rechtsordnungen auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden(16). Bietet hingegen das von den Parteien gewählte Recht dem Arbeitnehmer genauso viel oder größeren Schutz wie das nach Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens maßgebliche Recht, so bleibt es beim vereinbarten Recht(17).

49.      Vor dem Hintergrund, dass zum einen manche Regelungen innerhalb derselben Rechtsordnung vorteilhafter ausfallen können als andere und zum anderen die Regelungen in beiden Rechtsordnungen unterschiedlich oder miteinander unvereinbar sein können, kann die Beurteilung des erstgenannten Aspekts – welches Recht die günstigeren Regelungen vorsieht – kaum darauf hinauslaufen, beide Arbeitsrechtsordnungen global und völlig losgelöst vom zu entscheidenden Fall miteinander zu vergleichen. Dies würde den nationalen Richter vor kaum zu bewältigende Probleme stellen, zumal eine bestimmte arbeitsrechtliche Regelung allein oder im Zusammenspiel mit anderen angewandt unterschiedliche Auswirkungen haben kann(18). Vielmehr müssen bei der vorzunehmenden Beurteilung in erster Linie jene Aspekte berücksichtigt werden, die den Gegenstand des Rechtsstreits unmittelbar betreffen(19).

50.      Im Ausgangsfall geht es um Regelungen betreffend den Kündigungsschutz für Angestellte sowie ihre gerichtliche Durchsetzung(20). Bei der Beurteilung des Ausgangsfalls könnte daher der Umstand eine Rolle spielen, dass nach luxemburgischem Recht für die Erhebung einer Klage auf Schadensersatz wegen missbräuchlicher Kündigung eine dreimonatige Ausschließfrist gilt, während im belgischen Recht mangels gegenteiliger Angaben des vorlegenden Gerichts keine entsprechende zeitliche Begrenzung gilt. Die Anwendbarkeit der arbeitnehmerschützenden Sonderbestimmungen des Übereinkommens auf den Ausgangsfall liegt meines Erachtens nahe, vor allem wenn man die Erläuterungen im Giuliano/Lagarde-Bericht über das Übereinkommen von Rom(21) zur Funktionsweise von Art. 6, die ein ähnliches Beispiel einer für den Arbeitnehmer günstigeren Regelung anführen, heranzieht: „Werden die Arbeitnehmer durch die Rechtsvorschriften, die aufgrund von Absatz 2 anwendbar sind, besser geschützt als durch das gewählte Recht, z. B. durch Gewährung einer längeren Kündigungsfrist, so schließen diese Rechtsvorschriften die entsprechenden Vorschriften des gewählten Rechts aus und gelten an deren Stelle.“ Vor dem Hintergrund, dass es in beiden Fällen jeweils um Fristen geht, deren Funktion im Schutz des Arbeitnehmers vor kündigungsbedingten Beeinträchtigungen besteht, erscheint der im Beispiel verkörperte Grundgedanke auf die streitgegenständliche Regelung übertragbar. Demnach würde eine längere Ausschließfrist oder gar das Fehlen einer solchen für die klageweise Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs im belgischen Recht eine Verdrängung der grundsätzlich anwendbaren luxemburgischen Vorschriften rechtfertigen.

51.      Sofern die belgischen Bestimmungen zum Kündigungsschutz als „zwingend“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Übereinkommens eingestuft werden sollten, dürfte eine Wahl des luxemburgischen Rechts durchaus als eine „Entziehung“ von Arbeitnehmerschutz anzusehen sein.

3.      Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und b des Übereinkommens

52.      Der Regelungszweck von Art. 6 des Übereinkommens, der, wie bereits erwähnt, im Schutz des Arbeitnehmers besteht, ist darin begründet, dass dieser in der Regel als die sozial und wirtschaftlich schwächere Partei angesehen wird. Dieser Schutz wird dadurch erreicht, dass auf den Vertrag das Recht des Staates anzuwenden ist, zu dem der Arbeitsvertrag die engsten Verbindungen aufweist. Dieses ist, wie der Gerichtshof im Urteil Koelzsch festgestellt hat, das Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit ausübt, und nicht etwa das Recht jenes Staates, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Denn nach Auffassung des Gerichtshofs übt der Arbeitnehmer seine wirtschaftliche und soziale Tätigkeit im erstgenannten Staat aus, und dort beeinflusst das geschäftliche und politische Umfeld auch die Arbeitstätigkeit. Nach Auffassung des Gerichtshofs muss daher die Einhaltung der im Recht dieses Staates vorgesehenen Arbeitnehmervorschriften so weit wie möglich gewährleistet werden(22).

53.      Um dem Schutzzweck von Art. 6 des Übereinkommens angemessen Rechnung zu tragen, hat der Gerichtshof im Urteil Koelzsch ferner erklärt, dass das in Abs. 2 Buchst. a dieser Vorschrift aufgestellte Kriterium des Staates, in dem der Arbeitnehmer „gewöhnlich seine Arbeit verrichtet“, weit auszulegen ist, während das in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b vorgesehene Kriterium des Orts der „Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“, anzuwenden ist, wenn das angerufene Gericht nicht in der Lage ist, den Staat der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit zu bestimmen(23).

54.      Aus dem Regelungszweck, dem systematischen Aufbau von Art. 6 sowie dem Wortlaut der einzelnen Bestimmungen („sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet“) ergibt sich, dass der nationale Richter im Rahmen der Ermittlung des anwendbaren Rechts Abs. 2 Buchst. a heranziehen muss, bevor er auf Buchst. b zurückgreift. Ihm obliegt es dabei, einen Schwerpunkt der Tätigkeit des Arbeitnehmers zu ermitteln. Einer Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens steht daher grundsätzlich nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer unter Umständen im Rahmen seiner Tätigkeit vorübergehend in andere Staaten entsandt worden ist(24).

55.      Der Gerichtshof, der in der Rechtssache Koelzsch aufgerufen war, das Kriterium der „gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens auszulegen, hat dies in Randnr. 44 des Urteils dahin gehend formuliert, dass diese Bestimmung einschlägig ist, „wenn es dem angerufenen Gericht möglich ist, den Staat zu ermitteln, mit dem die Arbeit eine maßgebliche Verknüpfung aufweist“. Eine solche Verknüpfung besteht, wie der Gerichtshof in Randnr. 45 jenes Urteils weiter ausgeführt hat, zu dem Ort, „an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt, und, in Ermangelung eines Mittelpunkts der Tätigkeit, [zu dem] Ort, an dem er den größtem Teil seiner Arbeit ausübt“ (Hervorhebung nur hier).

4.      Kriterien zur Ermittlung des Mittelpunkts der Tätigkeit

56.      Die weite Auslegung, die Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens im Urteil Koelzsch erfahren hat, hat Konsequenzen für die rechtliche Beurteilung der vorliegenden Rechtssache, vor allem was die Wahl der richtigen Kollisionsregel anbelangt. Die Kriterien, die der Gerichtshof in jener Rechtssache entwickelt hat, um den Mittelpunkt einer Tätigkeit zu ermitteln, scheinen nämlich im Ausgangsfall Anwendung finden zu können. Dies werde ich im Einzelnen unter Bezugnahme auf die betreffenden Urteilstellen sowie auf die relevanten Sachverhaltselemente des Ausgangsfalls erläutern.

57.      Wie der Gerichtshof in jenem Urteil zutreffend erkannt hat, kann unter dem Ort der gewöhnlichen Verrichtung der Arbeit nicht nur der Ort verstanden werden, an dem der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt. Vielmehr entspricht es den Belangen des Arbeitnehmerschutzes sowie einer kohärenten Auslegung im Einklang mit den jeweiligen Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens bzw. der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen(25) (sogenannte Brüssel-I‑Verordnung)(26), wie sie in der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfahren haben, dass darunter auch der Ort verstanden werden muss, von dem aus der Arbeitnehmer seine berufliche Tätigkeit tatsächlich ausübt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diese Auslegung eine Bestätigung in dem Umstand gefunden hat, dass der Unionsgesetzgeber diese Fallkonstellation in die Nachfolgebestimmung des Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008(27) ausdrücklich aufgenommen hat, wodurch eine Klarstellung der bestehenden Rechtslage erfolgt ist(28).

58.      Ausgehend von dieser Feststellung hat der Gerichtshof in Randnrn. 48 f. des Urteils Koelzsch Kriterien entwickelt, die dem nationalen Richter dazu verhelfen sollen, den Mittelpunkt der arbeitnehmerischen Tätigkeit zu bestimmen. In Anbetracht der Tatsache, dass Gegenstand jener Rechtssache die Ermittlung des gewöhnlichen Arbeitsorts eines Lastkraftwagenfahrers war, beziehen sich diese Kriterien entsprechend auf den spezifischen Bereich des internationalen Transportsektors. Einer Anwendbarkeit dieser Kriterien auf den Ausgangsfall dürfte dieser Umstand allein jedoch nicht entgegenstehen, zumal Herr Voogsgeerd den Angaben des vorlegenden Gerichts nach offenbar für ein im Bereich der Schiffsfracht-Spedition tätiges Unternehmen gearbeitet hat. Wenngleich er nicht als Schiffskapitän, sondern als leitender Schiffsingenieur tätig war, lässt sich der Akte entnehmen, dass er offenbar wie der Rest der Besatzung auch an Bord von Schiffen tätig war, die für das Unternehmen in der Nordsee operierten. Infolgedessen könnten die von Gerichtshof im Urteil Koelzsch entwickelten Kriterien mangels gegenteiliger Anhaltspunkte bei der Beurteilung des Ausgangssachverhalts unmittelbar herangezogen werden.

59.      Nach diesen Kriterien muss der nationale Richter unter Berücksichtigung des Wesens der Arbeit im internationalen Transportsektor sämtlichen Gesichtspunkten Rechnung tragen, die die Tätigkeit des Arbeitnehmers kennzeichnen. Es muss insbesondere ermitteln, in welchem Staat der Ort liegt, von dem aus der Arbeitnehmer seine Transportfahrten durchführt, Anweisungen zu diesen Fahrten erhält und seine Arbeit organisiert und an dem sich die Arbeitsmittel befinden. Es muss auch prüfen, an welche Orte die Waren hauptsächlich transportiert werden, wo sie entladen werden und wohin der Arbeitnehmer nach seinen Fahrten zurückkehrt. Entscheidend ist letztlich, wo der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber im Wesentlichen erfüllt(29).

60.      Würde das nationale Gericht diese Kriterien auf den Ausgangsfall anwenden, so könnte es festzustellen, dass hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass der Mittelpunkt von Herrn Voogsgeerds Tätigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens sich in Antwerpen befand. Der Vorlageentscheidung kann nämlich entnommen werden, dass dieser verpflichtet war, sich vor der Verschiffung in Antwerpen zu melden und von der dort ansässigen Firma Naviglobe Weisungen und Anordnung erhielt, wobei dies in Erfüllung seines Arbeitsvertrags mit der Firma Navimer erfolgte. Antwerpen war demzufolge der Ort, an dem Herr Voogsgeerd arbeitete und seine ständige Basis hatte, von der aus er auch seine regelmäßigen Dienstfahrten startete. Angesichts der Tatsache, dass eine Ermittlung des anwendbaren Rechts anhand von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a ohne Weiteres möglich ist, ist es zweifelhaft, ob im Ausgangsfall noch Raum für eine Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b besteht(30).

61.      Der Umstand, dass mehrere Sachverhaltselemente dafür sprechen, Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens als die im Ausgangsfall eigentlich einschlägige Norm anzusehen, darf jedoch nicht dazu verleiten, die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen selbst in Frage zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es nämlich allein Sache des vorlegenden Gerichts, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem Gerichtshof vorlegen will. Nur das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, hat im jeweiligen Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Unionssrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden(31).

62.      Erinnert sei ferner daran, dass das vorlegende Gericht letztlich die Verantwortung dafür trägt, dass der Sachverhalt erschöpfend aufgeklärt wird, damit jene tatsächlichen und rechtlichen Elemente, die möglicherweise Anhaltspunkte für eine Anknüpfung an eine bestimmte Rechtsordnung bieten, festgestellt und dem Gerichtshof als Grundlage für seine Entscheidung zur Verfügung gestellt werden. Dadurch soll der Gerichtshof in die Lage versetzt werden, seine Auslegungskompetenzen im Rahmen des Kooperationsverhältnisses, das das Vorabentscheidungsverfahren auszeichnet, effektiv wahrzunehmen und dem vorlegenden Gericht eine nützliche Auslegung des Unionsrechts zu geben, die möglichst zur Beilegung des Ausgangsrechtsstreits beiträgt. Obgleich anzunehmen ist, dass das vorlegende Gericht dieser Verpflichtung nachgekommen ist und den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen ermittelt und in seiner Vorlageentscheidung hinreichend genau umrissen hat, kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass es über Hinweise verfügt, die eine Anwendung der Anknüpfungsregel in Buchst. b statt, wie hier vertreten, der Anknüpfungsregel in Buchst. a nahe legen.

63.      Für die Zwecke dieses Vorabentscheidungsverfahrens ist jedenfalls davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht rechtsfehlerfrei von der Nichtanwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens ausgegangen ist. Aus diesem Grunde ist im Folgenden Art. 6 Abs. 2 Buchst. b im Lichte der Vorlagefragen auszulegen.

C –    Untersuchung der Vorlagefragen

1.      Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage

64.      Die erste und die zweite Vorlagefrage zielen darauf ab, den Begriff der „Niederlassung des Arbeitgebers“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b zu definieren, wobei das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob darunter der Ort zu verstehen ist, an dem der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag eingestellt worden ist, oder eher der Ort, an dem er tatsächlich beschäftigt ist.

65.      Für eine Auslegung dahin gehend, dass unter dem Begriff der „Niederlassung des Arbeitgebers“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Ort zu verstehen ist, an dem der Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag eingestellt worden ist, spricht bereits der Wortlaut dieser Bestimmung. Die Verwendung des Ausdrucks „Einstellung“ im selben Satz stellt ersichtlich auf den Abschluss des Arbeitsvertrags bzw. beim faktischen Arbeitsverhältnis auf die Arbeitsaufnahme und nicht etwa auf die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers ab(32). Letzteres kann dennoch für die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a eine Rolle spielen, da diese Regelung auf das faktische Merkmal der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung abstellt.

66.      Weitere Anhaltspunkte darauf, wie der Begriff der „Niederlassung des Arbeitgebers“ in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b zu deuten ist, ergeben sich aus einer teleologischen und systematischen Auslegung der in Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens enthaltenen Regelungen.

67.      Wie bereits erwähnt, besteht der Sinn und Zweck der Sonderbestimmungen für Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen im Schutz des Arbeitnehmers. In Anbetracht der Tatsache, dass der Ort, an dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, letztlich die engeren Verbindungen zum Arbeitsvertrag aufweist und eine Anknüpfung an das Recht jenes Mitgliedstaats dem Schutz des Arbeitnehmers somit am ehesten Rechnung trägt, muss Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens, wie der Gerichtshof im Urteil Koelzsch zutreffend festgestellt hat, grundsätzlich weit ausgelegt werden. Die Notwendigkeit einer vorrangigen Anwendbarkeit dieser Bestimmung im Interesse des Arbeitnehmerschutzes spricht deshalb dafür, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. b eine entsprechend enge Auslegung erfahren muss.

68.      Sofern eine Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens in dem konkret zu entscheidenden Fall nicht in Betracht kommen sollte, würden vor allem die Belange der Rechtssicherheit für eine eher formale Auslegung der in Buchst. b enthaltenen Regelung sprechen, und zwar dahin gehend, dass sie sich auf den Ort der Unternehmensniederlassung bezieht, die den Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag eingestellt hat. Insoweit verdient die dahin tendierende Auffassung der niederländischen Regierung(33) und der Kommission(34) ausdrücklich Zustimmung. Eine Anknüpfung an den Ort der Einstellung bietet nämlich den Vorteil der Vorhersehbarkeit im Hinblick auf das anwendbare Recht, im Gegensatz zu einer Anknüpfung an ein rein faktisches Merkmal wie den Ort der gewöhnlichen Arbeitsverrichtung. Während Letzterer sich im Rahmen eines Berufslebens häufig ändern kann, bleibt der Ort der Einstellung in der Regel unverändert, und zwar ungeachtet eventueller Standortverlagerungen des Unternehmens selbst oder möglicher langjähriger Entsendungen des Arbeitnehmers ins Ausland(35). Letzten Endes gibt der Ort der Einstellung am deutlichsten Auskunft darüber, wo der Arbeitnehmer zum ersten Mal in die Unternehmensstruktur eingegliedert wurde. Gerade bei Arbeitsverhältnissen, die dem Arbeitnehmer eine hohe Mobilität abverlangen, erweist sich dieses Kriterium als dasjenige, das am besten der Stetigkeit der Rechtsbeziehungen der Vertragsparteien dient(36).

69.      Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, warum die Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens von Rom die Vorhersehbarkeit dieses Kriteriums hätten aufgeben wollen, um stattdessen auf ein weniger zuverlässiges Kriterium wie den Ort der tatsächlichen Beschäftigung abzustellen. Ein solches Verständnis der fraglichen Regelung, wie es Herr Voogsgeerd in seinen schriftlichen Ausführungen vertritt(37), verkennt nämlich, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. a bereits ein faktisches Kriterium anführt, das aufgrund seiner weiten Auslegung in den meisten Fällen einschlägig sein wird. Es wäre daher von einem systematischen Standpunkt aus gesehen unlogisch, wenn Buchst. b im Wesentlichen dieselbe Regelung enthielte, da sie sonst schlicht überflüssig wäre. Das Bestehen einer eigenen, separaten Regelung spricht vielmehr für einen eigenen Regelungsgehalt dieser Bestimmung, der streng von dem der Regelung in Buchst. a zu unterscheiden ist. Was diesen Regelungsgehalt genau angeht, kann den Vertragsparteien des Übereinkommens nicht unterstellt werden, die oben erwähnten Vorteile eines formalen Anknüpfungskriteriums nicht gekannt zu haben. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie dieses Kriterium in das Regelungsgefüge des Übereinkommens integrieren wollten. Eine systematische Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens lässt somit eher darauf schließen, dass er auf den Ort des Vertragsabschlusses verweist.

70.      Dies bedeutet jedoch nicht zwingend, unter dem Begriff der „Niederlassung“ im Sinne dieser Bestimmung allein den Hauptsitz des Unternehmens zu verstehen. Eine solche Auslegung würde außer Acht lassen, dass zum einen die Geschäftsbeziehungen von Unternehmen heutzutage zahlreiche internationale Verflechtungen aufweisen, zum anderen nicht wenige Gesellschaften Zweigniederlassungen und Agenturen in mehreren Mitgliedstaaten unterhalten, um von den Vorteilen des Binnenmarktes zu profitieren. Solche Zweigniederlassungen und Agenturen können im eigenen oder im Namen der Gesellschaft selbst Personal einstellen. Dementsprechend muss es auch möglich sein, sie unter den Begriff der „Niederlassung“ zu fassen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine solche Auslegung wird gerade durch die englischsprachige Fassung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b („the place of business through which he was engaged“) des Übereinkommen bestätigt, dessen Wortlaut die Möglichkeit einer Einstellung eröffnet, bei der die Niederlassung lediglich eine Vermittlerrolle zwischen der Gesellschaft und dem Arbeitnehmer einnimmt(38). Um die Regelung in Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Übereinkommens nicht ihrer Funktion als leicht anzuwendendes Kriterium zu berauben und zudem das Missbrauchsrisiko zu mindern, müsste jedenfalls zu verlangen sein, dass die jeweilige Zweigniederlassung bzw. Agentur im Auftrag des Arbeitgebers am Abschluss des Arbeitsvertrags aktiv beteiligt gewesen sein muss, etwa im Rahmen von Vertragsverhandlungen mit dem Arbeitnehmer(39).

71.      Das Abstellen auf den Ort der Einstellung vermag gewiss das Missbrauchsrisiko nicht völlig auszuschließen, zumal es durchaus vorstellbar erscheint, dass ein Arbeitgeber eventuell geneigt sein könnte, als Ort für den Abschluss des Arbeitsvertrags einen Staat auszuwählen, dessen arbeitsrechtlichen Bestimmungen lediglich ein niedriges Schutzniveau für den Arbeitnehmer gewährleisten(40). Vor diesem Hintergrund könnte eine Anknüpfung an den Ort der Einstellung unter Umständen als beliebig oder gar willkürlich erscheinen, da es schließlich auch von Zufall abhängen kann, wo der Arbeitnehmer unter Vertrag genommen wird. Um dieser Gefahr vorzubeugen müsste in extremen Fällen als zusätzliche Voraussetzung für eine Einordnung als „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Übereinkommens zu verlangen sein, dass der Arbeitnehmer auch tatsächlich am Ort beschäftigt wird und dass es sich dabei nicht lediglich um den Ort des Vertragsabschlusses handelt(41).

72.      Was den Ausgangsfall anbelangt, ist festzustellen, dass die spärlichen Angaben im Vorlagebeschluss sowie im Schriftsatz von Herrn Voogsgeerd keine Rückschlüsse auf den genauen Vorgang des Vertragsabschlusses bzw. auf eine eventuelle Beteiligung von Naviglobe am Einstellungsverfahren gestatten. Sofern Herr Voogsgeerd nach dem Vertrag im Namen der Firma Navimer eingestellt worden sein sollte, schließt dies nicht notwendigerweise aus, dass die Firma Naviglobe unter Umständen am Einstellungsverfahren beteiligt gewesen sein kann, indem sie beispielsweise die Stellenausschreibung veröffentlicht, das Einstellungsgespräch durchgeführt, die Einzelheiten des Arbeitsvertrags festgelegt hat oder ihre Räumlichkeiten zum Zweck des Abschlusses des Arbeitsvertrags zur Verfügung gestellt hat. Das vorlegende Gericht wird deshalb die Hintergründe der Einstellung von Herrn Voogsgeerd und die genaue Rolle der Firma Naviglobe dabei beleuchten müssen.

73.      Sofern sich herausstellen sollte, dass ein offensichtliches Auseinanderfallen zwischen dem Ort der Einstellung und dem Ort der tatsächlichen Beschäftigung besteht, ließe sich eine dem Schutz des Arbeitnehmers förderlichere, engere Verbindung des Arbeitsvertrags oder Arbeitsverhältnisses zum Ort des anwendbaren Rechts wiederum durch einen Rückgriff auf die Ausnahmeregelung des Art. 6 Abs. 2 letzter Unterabsatz herstellen. Nach dieser Regelung findet nämlich – unter Abweichung von den anderen zuvor genannten Bestimmungen – das Recht eines Staates Anwendung, zu dem der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis „engere Verbindungen“ aufweist. Der Zweck dieser Regelung besteht darin, das Risiko zu vermeiden, dass der Arbeitgeber den Sitz seines Unternehmens absichtlich in einen Staat verlegt, dessen Arbeitsrecht dem Arbeitnehmer ein niedriges Schutzniveau bietet, um das Recht dieses Staates anzuwenden. Diese Regelung gleicht einige der Nachteile des eher starren Systems der Regelanknüpfungen in Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens aus, indem sie ausnahmsweise auf das Beurteilungsermessen des nationalen Richters verweist, um eine flexible, den jeweiligen Umständen angepasste Lösung zu ermöglichen(42). Die ausschließliche Berücksichtigung des Ortes des Vertragsabschlusses bei einer Anwendung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b kann nämlich bei einem Auseinanderfallen von kontrahierender Niederlassung und Tätigkeitsort, aber auch bei längerer Dauer des Arbeitsverhältnisses und späterer Änderung der tatsächlichen Umstände unzweckmäßig sein(43).

74.      Erforderlich ist, dass der Arbeitsvertrag eine engere Verbindung zu diesem anderen Land aufweist. Die Maßgeblichkeit dieses Rechts kann sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben(44). Folgende Kriterien können Anhaltspunkte für eine engere Verbindung zu einem bestimmten Staat geben: Sprache des Vertrags, Aufnahme von Rechtskonzepten aus einer bestimmten Rechtsordnung, verwendete Währung, Laufzeit des Arbeitsvertrags, Eintragung im Personalregister, Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien, gewöhnlicher Wohnort, Ort, an dem der Arbeitgeber seine Personalaufsicht ausübt, sowie Ort des Vertragsabschlusses(45). Jedes dieser Kriterien kann für sich allein Aufschluss über eine engere Verbindung zu einem anderen Staat als dem Staat geben, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt wird oder in dem sich die Niederlassung befindet, die ihn eingestellt hat. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Art. 6 Abs. 2 letzter Unterabsatz lediglich eine Ausnahmeregelung enthält, die erst dann zur Anwendung kommt, nachdem vorab die Einschlägigkeit der Regelungen in Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und b des Übereinkommen geprüft wurde(46).

75.      Zusammenfassend ist festzustellen, dass unter dem Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens eingestellt hat, der Staat zu verstehen ist, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet, die den Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag eingestellt hat. Da die zweite Vorlagefrage offenkundig nur für den Fall gestellt worden ist, dass der Gerichtshof zu einer anderen Auffassung gelangen sollte, nämlich der, dass darunter der Staat zu verstehen ist, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet, bei der der Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt ist, erübrigt sich eine Stellungnahme zu dieser Vorlagefrage.

2.      Zur dritten Vorlagefrage

76.      Die dritte und die vierte Vorlagefrage betreffen im Wesentlichen die rechtlichen Anforderungen, die eine „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens erfüllen muss, um als solche einstuft zu werden.

77.      Im Einzelnen begehrt das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage Auskunft darüber, ob die Niederlassung des Arbeitgebers, bei der der Arbeitnehmer im Sinne der ersten Frage tatsächlich beschäftigt ist, bestimmte formelle Anforderungen wie den Besitz eigener Rechtspersönlichkeit erfüllen muss oder hierfür vielmehr das Bestehen einer faktischen Niederlassung genügt. Obwohl diese Frage offenbar für den Fall gestellt worden war, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage anders beantworten sollte als hier vorgeschlagen, bin ich der Ansicht, dass man dem vorlegenden Gericht dennoch nützliche Auslegungshinweise an die Hand geben kann, um den Ausgangsfall zu beurteilen, zumal sie weiterhin Relevanz besitzen. Sie könnten nämlich dem vorlegenden Gericht bei der Beurteilung der Frage hilfreich sein, ob die Firma Naviglobe gegebenenfalls funktionell als eine Niederlassung der Firma Navimer im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens eingeordnet werden kann.

78.      Dazu ist zunächst festzustellen, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens ein Erfordernis, dass eine Niederlassung im Sinne dieser Bestimmung stets Rechtspersönlichkeit besitzen muss, jedenfalls seinem Wortlaut nach nicht aufstellt. Dies deutet bereits auf die Notwendigkeit einer weniger formalen Betrachtung des Begriffs „Niederlassung“ hin. Berücksichtigt man ferner den bereits genannten Zweck dieser Regelung sowie des Übereinkommens von Rom insgesamt(47), nämlich im Interesse der Vertragsparteien für mehr Rechtssicherheit im Bezug auf die Frage des anwendbaren Rechts zu sorgen, so würde sie ihren Zweck aller Voraussicht nach verfehlen, wenn eine Anknüpfung an das Recht eines bestimmten Staates letztlich davon abhinge, ob die fragliche Niederlassung die Voraussetzungen für die Erlangung von Rechtspersönlichkeit nach den Bestimmungen dieser Rechtsordnung erfüllt. Angesichts der Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und der damit verbundenen denkbaren Mindestanforderungen wäre für den nationalen Richter, der mit einer fremden Rechtsordnung konfrontiert ist, nicht immer einfach zu ermitteln, ob diese Voraussetzungen im Hinblick auf eine bestimmte Zweigniederlassung oder Agentur auch gegeben sind.

79.      In Anbetracht der Tatsache, dass eine Niederlassung bei der Einstellung eines Arbeitnehmers, wie bereits ausgeführt, unter Umständen auch als „Vermittler“ fungieren kann, ohne dass sie im eigenen Namen zu kontrahieren braucht(48), erscheint das Erfordernis der Rechtspersönlichkeit der Niederlassung letztlich als zu streng, um einerseits dem Gebot der Rechtssicherheit, andererseits aber auch den Erfordernissen einer einfachen und flexiblen Handhabung Rechnung zu tragen. Als zu einschränkend dürfte daher die Anforderung anzusehen sein, unter „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens stets den Sitz der Gesellschaft als solchen zu verstehen. Den Anforderungen an Rechtssicherheit und Flexibilität würde man jedenfalls wohl bereits dann gerecht, wenn darunter auch eine faktische Niederlassung verstanden würde, z. B. das Büro eines Vertreters des Arbeitgebers.

80.      Zu verlangen ist aber auf jeden Fall, dass der Arbeitgeber die tatsächliche Kontrolle über diese Niederlassung ausüben muss, damit ihm das Handeln der Niederlassung als eigenes Handeln zugerechnet werden kann. Letzteres dürfte dann anzunehmen sein, wenn eine Niederlassung im weitesten Sinne, d. h. eine Zweigniederlassung ohne Rechtspersönlichkeit oder gar eine mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Tochtergesellschaft, von der Geschäftsleitung der dominierenden Gesellschaft Anweisungen entgegennimmt, aber auch in einer Fallkonstellation wie der des Ausgangsfalls, in der zwei Unternehmen ein und dieselbe Geschäftsleitung haben. Als relevant in diesem Zusammenhang ist deshalb der Hinweis von Herrn Voosgeerd auf den gemeinsamen Geschäftsführer beider Unternehmen(49) zu bewerten. Bei einer derartigen Identität in der Zusammensetzung der Geschäftsleitung verschwinden nämlich weitgehend die Unterschiede zwischen den beiden Unternehmen, da sowohl ihre Willensbildung als auch ihr Handeln denen einer Einheit entsprechen.

81.      Obwohl die Erlangung von Rechtspersönlichkeit keine zwingende Voraussetzung für eine Einordnung als „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens darstellt, ist dennoch als Mindestanforderung zu verlangen, dass die betreffende Niederlassung der Gesellschaft – wie Herr Voogsgeerd(50) und die Kommission(51) zutreffend anmerken – eine gewisse Dauerhaftigkeit an dem betreffenden Ort aufweist. Vermieden soll dadurch, dass der Arbeitgeber sich eine lediglich vorübergehende Präsenz in einem bestimmten Staat zunutze macht, um das Recht jenes Staates, das sich unter Umständen durch ein niedriges Arbeitsschutzniveau auszeichnet, zur Anwendung kommen zu lassen. Als nicht ausreichend anzusehen wäre daher, wenn ein Beauftragter eines ausländischen Arbeitgebers in regelmäßigen Abständen an diesem Ort erschiene, um Arbeitnehmer für einen Auslandseinsatz einzustellen(52). Reist hingegen derselbe Beauftragte in ein Land, in dem der Arbeitgeber eine ständige Vertretung seines Unternehmens unterhält, so wäre durchaus die Annahme vertretbar, dass diese eine „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens ist, in der der Arbeitnehmer eingestellt worden ist(53).

82.      Ausgehend von meinen Schlussfolgerungen betreffend die Auslegung des Kriteriums des Einstellungsorts(54) und entsprechend der oben angeführten Mindestanforderung der Dauerhaftigkeit müsste der Begriff der „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens dahin gehend zu verstehen sein, dass er in erster Linie den Betrieb erfasst, der die Beschäftigung des Arbeitnehmers insgesamt organisiert. Doch dürfte der Begriff noch weiter auszulegen sein und auch andere organisatorische Einheiten umfassen, die eine Tätigkeit für den Arbeitgeber entfalten, etwa in Form eines Betriebsteils oder eine Betriebsstätte des Unternehmens, ohne jedoch den Anforderungen eines Betriebs genügen zu müssen(55). Die Niederlassung ist nämlich grundsätzlich vom Sitz des Arbeitgebers, d. h. des Rechtsträgers des Unternehmens, zu unterscheiden. Vereinfacht formuliert genügt es für eine Einordnung als Niederlassung, dass der Arbeitgeber von dort aus geschäftlich tätig ist und hierzu Arbeitnehmer einsetzt(56).

83.      Anhaltspunkte für eine entsprechende Auslegung liefert die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 5 Nr. 5 des Brüsseler Übereinkommens, wonach mit dem Begriff der Zweigniederlassung, der Agentur oder Niederlassung im Sinne dieser Vorschrift „ein Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit gemeint ist, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese, obgleich sie wissen, dass möglicherweise ein Rechtsverhältnis mit dem im Ausland ansässigen Stammhaus begründet wird, sich nicht unmittelbar an dieses zu wenden brauchen, sondern Geschäfte an dem Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit abschließen können, der dessen Außenstelle ist“(57). Die Verbindungen zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und dem Übereinkommen von Rom sind, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Koelzsch ausführlich dargelegt habe(58), vielfältig. Nicht zuletzt deshalb hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu beiden Abkommen, sofern der Regelungsgegenstand der jeweiligen Vorschriften dies gestattete, den Versuch einer parallelen Auslegung von ähnlich lautenden Bestimmungen unternommen. Im vorliegenden Fall besteht kein Anlass, von diesem Vorgehen abzuweichen. Im Interesse einer möglichst einheitlichen Auslegung der Begriffe des internationalen Privatrechts erscheint es sinnvoll, diese vom Gerichtshof für Art. 5 Nr. 5 des Brüsseler Übereinkommens entwickelte Definition der „Niederlassung“ auf Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens zu übertragen.

84.      Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass eine „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens gegenüber der Hauptgesellschaft durchaus in einem Verhältnis der rechtlichen Abhängigkeit stehen kann. Sofern also das vorlegende Gericht bei seiner Beurteilung des Ausgangssachverhalts zu der Schlussfolgerung kommen sollte, dass Naviglobe als eine Zweigniederlassung oder gar eine Tochtergesellschaft von Navimer anzusehen ist, steht eine eventuell fehlende Rechtspersönlichkeit von Naviglobe einer Einordnung als „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens nicht entgegen.

85.      Nach alledem komme ich zu der Schlussfolgerung, dass der Besitz von Rechtspersönlichkeit keine Anforderung darstellt, die eine Niederlassung des Arbeitgebers erfüllen muss, sofern diese Niederlassung im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Sitzstaats errichtet worden ist und eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweist(59).

3.      Zur vierten Vorlagefrage

86.      Mit seiner letzten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Niederlassung einer anderen Gesellschaft, zu der die Arbeitgebergesellschaft Beziehungen unterhält, als „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens gelten kann, auch wenn die Weisungsbefugnis nicht an diese andere Gesellschaft übertragen worden ist.

87.      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung – wie bereits im Rahmen meiner Ausführungen zur ersten Vorlagefrage dargelegt(60) – auf den formalen Akt der „Einstellung“ des Arbeitnehmers und nicht etwa auf den faktischen Aspekt der Arbeitsverrichtung abstellt. Deshalb kann es für das Verständnis dieser Bestimmung nicht darauf ankommen, wer im konkreten Fall Weisungsbefugnis hat. Da die Weisungsbefugnis kein maßgebliches Kriterium für eine Einordnung als „Niederlassung“ darstellt, müsste die Vorlagefrage entsprechend bejaht werden.

88.      Eine hilfsweise Untersuchung dessen, was ein Arbeitsverhältnis rechtlich auszeichnet, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum unionsautonom auszulegenden Arbeitnehmerbegriff in Art. 45 AEUV „besteht das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er eine Vergütung erhält“(61). Daraus folgt, dass die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers ein charakteristisches Merkmal jedes Arbeitsverhältnisses darstellt, das im Wesentlichen verlangt, dass die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht einer anderen Person steht, die ihm die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeit vorschreibt und deren Anordnung oder Vorschriften der Arbeitnehmer zu befolgen hat(62). Dieses Merkmal dient in erster Linie der Abgrenzung zu den selbständigen Tätigkeiten, die entweder von der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 ff. AEUV oder von der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 ff. AEUV erfasst werden.

89.      Obwohl bei lebensnaher Auslegung davon auszugehen ist, dass im Regelfall der Arbeitgeber derjenige sein wird, der innerhalb des Arbeitsverhältnisses die ausschließliche Weisungsbefugnis haben wird, schließt diese Definition grundsätzlich nicht aus, dass der Arbeitgeber seine Weisungsbefugnis gegebenenfalls teilweise oder ganz an einen Dritten überträgt. Der Umfang einer solchen Übertragung der Weisungsbefugnis unterliegt privatautonomen Vereinbarungen. Sofern vertraglich vorgesehen ist, dass der Arbeitnehmer Leistungen gegenüber einer Gesellschaft erbringen muss, zu der die Arbeitgebergesellschaft Beziehungen unterhält, kann erwartet werden, dass dieser Gesellschaft vom Arbeitgeber auch Weisungsbefugnisse im Hinblick auf die Art und Weise der Tätigkeitsverrichtung übertragen werden.

90.      Der Umstand, dass der Dritte die Tätigkeit des Arbeitnehmers mit Zustimmung des Arbeitgebers durch die Erteilung von Weisungen und die Ausübung einer Aufsichtspflicht steuern darf, ändert jedoch in rechtlicher Hinsicht nichts daran, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten letztlich gegenüber dem Arbeitgeber erfüllt. Sofern Herr Voogsgeerd üblicherweise seine Anweisungen direkt von Naviglobe entgegennahm, geschah dies offenkundig in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten gegenüber Navimer. Rechtlich betrachtet ist es aber ebenso denkbar, dass der Arbeitgeber seine Weisungsbefugnis gegenüber dem Arbeitnehmer behält oder wieder an sich zieht, falls er dies für erforderlich erachtet. Letztlich ändert dies aber auch nichts daran, dass die eventuelle Einräumung von Weisungsbefugnis an eine Niederlassung lediglich eine Möglichkeit unter vielen ist, über die der Arbeitgeber verfügt, um seine Ziele zu erreichen. Sie vermag jedoch eine Beurteilung dessen, ob der Dritte als eine „Niederlassung“ des Arbeitgebers im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens zu qualifizieren ist, für sich allein nicht zu beeinflussen.

91.      Folglich ist die vierte Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass die Niederlassung einer anderen Gesellschaft, zu der die Arbeitgebergesellschaft Beziehungen unterhält, ebenfalls als Niederlassung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens gelten kann, auch wenn die Weisungsbefugnis nicht an diese andere Gesellschaft übertragen worden ist.

VII – Ergebnis

92.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Hof van Cassatie gestellten Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

1.         Sofern das nationale Gericht nach Prüfung der Gesamtheit der Umstände des Ausgangsfalls feststellen sollte, dass der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Arbeitsvertrags gewöhnlich seine Arbeit in einem bestimmten Staat verrichtet, hat es Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, anzuwenden, selbst wenn der Arbeitnehmer vorübergehend in einen anderen Staat entsandt worden ist. In einem solchen Fall ist ein Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 Buchst. b ausgeschlossen.

2.         Sollten die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a nach Auffassung des nationalen Gerichts nicht erfüllt sein, so ist Art. 6 Abs. 2 Buchst. b wie folgt auszulegen:

a)      Unter dem Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, ist der Staat zu verstehen, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet, die den Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen hat, wobei es auf den Ort der tatsächlichen Beschäftigung grundsätzlich nicht ankommt.

b)      Der Besitz von Rechtspersönlichkeit stellt keine Anforderung dar, die eine Niederlassung des Arbeitgebers im Sinne dieser Bestimmung erfüllen muss, sofern diese Niederlassung im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Sitzstaats errichtet worden ist und eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweist.

c)      Die Niederlassung einer anderen Gesellschaft, zu der die Arbeitgebergesellschaft Beziehungen unterhält, kann als Niederlassung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens gelten, auch wenn die Weisungsbefugnis nicht an diese andere Gesellschaft übertragen worden ist.


1 – Originalsprache der Schlussanträge: Deutsch


Verfahrenssprache: Niederländisch


2 – ABl. 1980, L 266, S. 1.


3 – ABl. 2008, L 177, S. 6.


4 – Urteil vom 15. März 2011, Koelzsch (C‑29/10, Slg. 2011, I‑0000).


5 – ABl. 1998, C 27, S. 47.


6 – Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32), geändert durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und – geänderte Fassung – S. 77), das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1), das Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) sowie das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1).


7 – Gesetz vom 9. November 1990 zur Schaffung eines Seeschifffahrtsregisters, Memorial A‑N° 58, Amtsblatt des Großherzogtums Luxemburg, S. 807 f.


8 – Urteil vom 22. November 1978 (33/78, Slg. 1978, 2183).


9 – Vgl. Déprez, J., „La loi applicable au contrat de travail dans les relations internationales“, Revue de jurisprudence sociale, 4/1994, S. 237.


10 – Vgl. Plender, R., The European Contracts Convention – The Rome Convention on the Choice of Law for Contracts, London 1991, S. 87, Randnr. 5.01, Schneider, G., „Einfluss der Rom‑I‑VO auf die Arbeitsvertragsgestaltung mit Auslandsbezug“, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, 2010, S. 1380, und Ofner, H., „Neuregelung des Internationalen Vertragsrechts: Römisches Schuldvertragsübereinkommen“, Recht der Wirtschaft, Nr. 1/1999, S. 5, die den Stellenwert der freien Rechtswahl hervorheben. Nach Auffassung von Lein, E., „The new Rome I/Rome II/Brussel I synergy“, Yearbook of Private International Law, Band 10, 2008, S. 179, stellt der Grundsatz der Wahlfreiheit, die der freien Rechtswahl zugrunde liegt, sogar einer der von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze im Sinne von Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs dar.


11 – Urteil vom 26. November 1985, Kommission/CODEMI (318/81, Slg. 1985, 3693, Randnr. 21).


12 – Vgl. Van Eeckhoutte, W., „The Rome Convention on the law applicable to contractual obligations and labour law“, Freedom of services in the European Union – Labour and Social Security Law: The Bolkestein Initiative (hrsg. von Roger Blanpain), Den Haag 2006, S. 168, Wojewoda, M., „Mandatory rules in private international law: with special reference to the mandatory system under the Rome Convention on the law applicable to contractual obligations“, Maastricht journal of European and comparative law, Nr. 2/2000, S. 197, 201, Boskovic, O., „La protection de la partie faible dans le règlement Rome I“, Recueil Dalloz, 2008, S. 2175, Pfeiffer, T./Weller, M./Nordmeier, F., Recht der elektronischen Medien – Kommentar (hrsg. von Gerald Spindler/Fabian Schuster), 2. Aufl., München 2011, Rom I Art. 8, Randnr. 1, und Lein, E., a. a. O. (Fn. 10), S. 187, die darin eine im Interesse des Arbeitnehmerschutzes bestehende Sonderregelung zur Einschränkung der grundsätzlich auch für den Arbeitsvertrag bestehenden Rechtswahlfreiheit sehen.


13 – Vgl. Juncker, A., „Gewöhnlicher Arbeitsort im Internationalen Privatrecht“, Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, München 2005, S. 722.


14 – Vgl. Ofner, H., a. a. O. (Fn. 10), S. 5, Magnus, U., „Die Rom I‑Verordnung“, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, Nr. 1/2010, S. 41, und Martiny, D., Internationales Vertragsrecht – Das internationale Privatrecht der Schuldverträge (hrsg. von Christoph Reithmann/Dieter Martiny), Köln 2010, S. 1431, die die Regelung in Art. 6 Abs. 2 letzter Unterabsatz ausdrücklich als „Ausweichklausel“ bezeichnen.


15 – Vgl. Schäfer, K., Application of mandatory rules in the private international law of contracts, Frankfurt am Main 2010, S. 62 f., Wojewoda, M., a. a. O. (Fn. 12), S. 197, 201, und Boskovic, O., a. a. O. (Fn. 12), S. 2175, die auf die Schwierigkeit hinweisen, festzustellen, welche nationalen Regelungen vorteilhafter sind und ob die betreffenden Regelungen zwingenden Rechtscharakter besitzen.


16 – Vgl. Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1382.


17 – Vgl. Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1431 f.


18 – Vgl. Van Eeckhoutte, W., a. a. O. (Fn. 12), S. 173.


19 – Vgl. Déprez, J., „La loi applicable au contrat de travail dans les relations internationales“, Revue de jurisprudence sociale, 3/1999, S. 130, Pfeiffer, T./Weller, M./Nordmeier, F., a. a. O. (Fn. 12), Randnr. 7, nach dessen Ansicht es für den Günstigkeitsvergleich auf den konkreten Streitgegenstand abzustellen ist, Schäfer, K., a. a. O. (Fn. 15), S. 62 f., und Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1361, Randnr. 1883, wonach das kollisionsrechtliche Günstigkeitsprinzip gilt. Der Inhalt der in Frage kommenden Rechtsordnungen sei miteinander zu vergleichen. Die dem Arbeitnehmer günstigere Regelung erhalte Vorrang. Die Abwägung erfolge in einem Vergleich der Ergebnisse, zu denen die betreffenden Rechtsordnungen im Einzelfall führen. Der Vergleich sei nicht auf die gesamte Rechtsordnung auszudehnen, sondern habe sich an der zur Entscheidung stehenden Sachfrage zu orientieren. Ein umfassender Gesamtvergleich finde nicht statt. Die günstigere Lösung sei diejenige, die den Ansprüchen des Arbeitnehmers aus dem einzelnen Arbeitsverhältnis quantitativ oder qualitativ am meisten entgegenkomme und ihn besser schütze, z. B den Bestand seines Arbeitsverhältnisses am besten schütze. Auch der Geldwert der Rechtspositionen in den einzelnen Rechtsordnungen könne einander gegenübergestellt werden.


20 – Nach Auffassung von Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1382, und Schlachter, M., „Grenzüberschreitende Arbeitsverhältnisse“, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, 2/2000, S. 61, ist im Rahmen der Beurteilung, welches Recht die günstigeren Regelungen vorsieht, die Bildung vergleichbarer Sachgruppen (z. B. Urlaubsrecht, Kündigungs- und/oder Bestandsschutz) möglich. Die hier vorgenommene Eingrenzung des Streitgegenstands (Kündigungsschutz für Angestellte sowie ihre gerichtliche Durchsetzung) folgt dem Ansatz dieser Autoren.


21 – Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von M. Giuliano und P. Lagarde (ABl. 1980, C 282, S. 1).


22 – Urteil Koelzsch (oben in Fn. 4 angeführt, Randnr. 42).


23 – Urteil Koelzsch (oben in Fn. 4 angeführt, Randnr. 43).


24 – In diesem Sinne Van Eeckhoutte, W., a. a. O. (Fn. 12), S. 169, der darauf hinweist, dass der Zweck dieser Regelung darin bestehe, im Fall einer vorübergehenden Entsendung ins Ausland Rechtssicherheit zu schaffen und Manipulationen zu unterbinden.


25 – ABl. L 12, S. 1.


26 – Bei der Verordnung Nr. 44/2001 ist generell von der Kontinuität im Verhältnis zum Brüsseler Übereinkommen auszugehen („Grundsatz der Kontinuität“). Die Bedeutung dieses Grundsatzes bei der Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 geht aus dem 19. Erwägungsgrund der Verordnung hervor, wonach die Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und der Verordnung zu wahren ist und auch der Gerichtshof die Kontinuität bei der Auslegung der Verordnung zu gewährleisten hat. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung die Bedeutung einer einheitlichen Auslegung der beiden Rechtsakte bereits deutlich gemacht (vgl. dazu meine Schlussanträge vom 27. Januar 2009, Falco Privatstiftung und Rabitsch (C‑533/07, Urteil vom 23. April 2009, Slg. 2009, I‑3327).


27 – Dementsprechend lautet Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008: „Soweit das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht nicht durch Rechtswahl bestimmt ist, unterliegt der Arbeitsvertrag dem Recht des Staates, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, wechselt nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat verrichtet.“


28 – Die hier vertretene Einschätzung, dass durch Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 nur die bestehende Rechtslage klargestellt worden ist, stimmt mit der einiger Autoren überein, die der Ansicht sind, dass das Ziel dieses neuen Rechtsinstruments nicht gewesen sei, neue Regeln einzuführen, sondern, das bestehende Übereinkommen in eine Verordnung umzuwandeln. Die Änderungen zielten darauf ab, einige Bestimmungen des Übereinkommens zu modernisieren und sie klarer bzw. präziser zu formulieren und damit letztlich zur Rechtssicherheit beizutragen, ohne jedoch neue Elemente einzufügen, die die bestehende Rechtslage wesentlich ändern würden (vgl. Ferrari, F., „From Rome to Rome via Brussels: remarks on the law applicable to contractual obligations absent of a choice by the parties“, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, Nr. 4/2009, S. 751 f.). Vgl. speziell zum Kriterium des gewöhnlichen Arbeitsorts Magnus, U., „Die Rom I‑Verordnung“, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts, Nr. 1/2010, S. 27, 41, der die Änderung lediglich als eine Klarstellung betrachtet. Der neue Zusatz „oder von dem aus“ solle festlegen, dass es genüge, wenn der Arbeitnehmer ein Zentrum der Tätigkeit habe, von dem aus die Arbeit organisiert werde, von dem aus er starte, an das er zurückkehre und an dem er gegebenenfalls auch Teile seiner Tätigkeit erbringe.


29 – Urteil Koelzsch (oben in Fn. 4 angeführt, Randnrn. 48 bis 50).


30 – Vgl. im Zusammenhang mit dem jeweiligen Anwendungsbereich der Regelungen in Buchst. a und b des Übereinkommens angesichts der erfolgten Präzisierung durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 Boskovic, O., a. a. O. (Fn. 12), S. 2175, der auf die bereits erwähnte gesetzgeberische Präzisierung in Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 („von wo aus“) hinweist und dabei erklärt, dass diese Präzisierung dazu beitragen werde, die Situation von Schifffahrtspersonal zu regeln, das einer bestimmten Basis zugeteilt sei. Nach Auffassung des Autors wird diese Präzisierung den Anwendungsbereich von Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (der Nachfolgeregelung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens von Rom) weiter einschränken. Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1434, Randnr. 4848, weist darauf hin, dass durch diese Präzisierung die Anknüpfung an den Arbeitsort ausgedehnt und die Maßgeblichkeit des Kriteriums der einstellenden Niederlassung zurückgedrängt werde. Beide Autoren stimmen darin überein, dass der Anwendungsbereich des Kriteriums des Ortes der gewöhnlichen Tätigkeit ausgeweitet, der Anwendungsbereich des Kriteriums des Einstellungsorts jedoch eingeschränkt worden sei.


31 – Vgl. Urteile vom 5. Mai 2011, MSD Sharp (C‑316/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 21), vom 30. November 2006, Brünsteiner und Autohaus Hilgert (C‑376/05 und C‑377/05, Slg. 2006, I‑11383, Randnr. 26), vom 22. Mai 2003, Korhonen u. a. (C‑18/01, Slg. 2003, I‑5321, Randnr. 19), vom 27. Februar 2003, Adolf Truley (C‑373/00, Slg. 2003, I‑1931, Randnr. 21), vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital (C‑390/99, Slg. 2002, I‑607, Randnr. 18), und vom 13. März 2001, PreussenElektra (C‑379/98, Slg. 2001, I‑2099, Randnr. 38).


32 – Vgl. Plender, R., a. a. O. (Fn. 10), Randnr. 8.21, und Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1369, Randnr. 1891. In diesem Sinne Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1382, wonach die Rechtsordnung des Staates zur Anwendung kommt, in dem sich die einstellende Niederlassung befindet, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer auch am Ort der Niederlassung seiner vertraglichen Pflicht nachkommt. Laut Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1439, Randnr. 4859, braucht der Arbeitnehmer am Ort der Niederlassung nicht zu arbeiten.


33 – Vgl. Randnr. 14 des Schriftsatzes der niederländischen Regierung.


34 – Vgl. Randnr. 20 des Schriftsatzes der Kommission.


35 – Vgl. Plender, R., a. a. O. (Fn. 10), S. 144, Randnr. 8.21. Ähnlich auch Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1440, Randnr. 4861, der darauf hinweist, dass eine spätere Verlegung der einstellenden Niederlassung das Arbeitsvertragsstatut nicht ändere.


36 – Vgl. Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1438, Randnr. 4857.


37 – Vgl. Randnr. 5 des Schriftsatzes von Herrn Voogsgeerd.


38 – Die anderen Sprachfassungen stehen einem solchen Verständnis von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens keineswegs entgegen, da sie beide Optionen offenlassen, nämlich, ob die Niederlassung den Arbeitnehmer im eigenen Namen oder im Namen des Hauptunternehmens eingestellt hat. Siehe die deutsche („Niederlassung …, die den Arbeitnehmer eingestellt hat“), die französische („établissement qui a embauché le travailleur“), die spanische („establecimiento que haya contratado al trabajador“), die niederländische („vestiging … die de werknemer in dienst heeft genomen“), die italienische („sede che ha proceduto ad assumere il lavoratore“) und die portugiesische („estabelecimento que contratou o trabalhador“) Sprachfassung.


39 – Vgl. Plender, R., a. a. O. (Fn. 10), S. 145, Randnr. 8.22, der die Auffassung vertritt, dass als Ort der Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, nicht nur der Ort verstanden werden müsse, der als Sitz für eine Briefkastenfirma genutzt worden sei, sondern als der Ort der Niederlassung, die aktiv an der Einstellung des Arbeitnehmers beteiligt gewesen sei, beispielsweise indem sie Vertragsverhandlungen mit dem Arbeitnehmer eingegangen sei.


40 – Vgl. Juncker, A., a. a. O. (Fn. 13), S. 731, der auf eine weitverbreitete Praxis bei der Einstellung von Seeleuten hinweist. Seinen Angaben zufolge werden Seeleute oftmals von sogenannten „hire agencies“ oder „crewing companies“ rekrutiert, die in Staaten mit niedrigen arbeitsrechtlichen Mindeststandards und niedrigen Löhnen ansässig sind. Die „einstellende Niederlassung“ ist dann nicht die Reederei des Schiffes, sondern z. B. eine Personalagentur im Inselstaat Antigua.


41 – In diesem Sinne Van Eeckhoutte, W., a. a. O. (Fn. 12), S. 171, der darauf hinweist, dass am Unternehmensort tatsächlich eine Niederlassung bestehen und der Arbeitnehmer tatsächlich durch einen Zweig dieses Unternehmens beschäftigt gewesen sein müsse. Nicht ausreichend sei es, wenn an der Niederlassung allein der Arbeitsvertrag abgeschlossen worden sei. Nach Ansicht von Schlachter, M., a. a. O. (Fn. 20), S. 60, ist unter dem Ort der Einstellung grundsätzlich der Ort des Vertragsabschlusses zu verstehen. Der Befürchtung, eine Rechtsordnung mit möglichst niedrigem Schutzniveau durch Gründung einer lediglich mit Arbeitnehmeranwerbung befassten Zweigstelle für anwendbar zu erklären, könne durch präzisierte Anforderungen an den Begriff der „Niederlassung“ begegnet werden. Nach Auffassung des Autors sind deshalb darunter nur solche Einrichtungen zu verstehen, die zumindest durch Steuerung und Organisation der Beschäftigung den Angeworbenen unmittelbar dem Betriebszweck des Unternehmens dienten, nicht aber reine Anwerbebüros.


42 – Vgl. Déprez, J., a. a. O. (Fn. 19), S. 119. Juncker, A., a. a. O. (Fn. 13), S. 720, bezeichnet die Regelung in Art. 6 Abs. 2 letzter Unterabsatz als Ausweichklausel, die das starre System der Regelanknüpfung auflockere. Corneloup, S., „La loi applicable aux obligations contractuelles – Transformation de la Convention de Rome en règlement communautaire ‚Rome I‘“, La Semaine Juridique. Édition Générale, Nr. 44/2008, S. 26 f., Randnr. 11, weist auf Vor- und Nachteile von starren Anknüpfungsregeln hin. Einerseits führe die Einräumung eines weiten richterlichen Beurteilungsermessens nicht immer zu vorhersehbaren Lösungen. Andererseits führe eine allzu starre Regel nicht immer zur Anwendung des Rechts, das die engeren Verbindungen zum Arbeitsvertrag aufweise.


43 – Vgl. Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1369, Randnr. 1891.


44 – Ebd., S. 1371, Randnr. 1893, und Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1383.


45 – Vgl. Van Eeckhoutte, W., a. a. O. (Fn. 12), S. 171 f.


46 – Vgl. Juncker, A., a. a. O. (Fn. 13), S. 720, der darauf hinweist, dass ein unmittelbarer Rückgriff auf diese Klausel vor einer Prüfung der beiden Grundanknüpfungen in Art. 6 Abs. 2 a und b sich methodisch verbiete.


47 – Siehe Nr. 1 der vorliegenden Schlussanträge.


48 – Siehe Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge.


49 – Vgl. Punkt I des Schriftsatzes von Herrn Voogsgeerd.


50 – Vgl. Punkt IV. 3. des Schriftsatzes von Herrn Voogsgeerd.


51 – Vgl. Randnr. 28 des Schriftsatzes der Kommission.


52 – Vgl. Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1439, Randnr. 4859. Auch Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1382, stellt auf das Merkmal der Dauerhaftigkeit der Niederlassung ab.


53 – In diesem Sinne Lagarde, P., „Le nouveau droit international privé des contrats après l’entrée en vigueur de la Convention de Rome du 19 juin 1980“, Revue critique de droit international privé, 1991, S. 318 f., der anhand der beiden Fallkonstellationen die Merkmale einer Niederlassung im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. b des Übereinkommens erläutert.


54 – Siehe Nr. 70 der vorliegenden Schlussanträge.


55 – Nach Ansicht von Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1382, bezeichnet die Niederlassung eine auf eine gewisse Dauer angelegte organisatorische Einheit des Unternehmens zur Entfaltung geschäftlicher Tätigkeit, ohne jedoch den Anforderungen eines Betriebs genügen zu müssen.


56 – Vgl. Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1369, Randnr. 1891.


57 – Urteil in Fn. 8 angeführt, Randnr. 12.


58 – Vgl. meine Schlussanträge vom 16. Dezember 2010, Koelzsch (Urteil oben in Fn. 4 angeführt, Nrn. 44 ff.). Vgl. ferner Lein, E., a. a. O. (Fn. 10), S. 178, die zutreffend bemerkt, dass die Rom‑I‑, Rom‑II‑ und Brüssel‑I‑Verordnungen sich dadurch auszeichneten, dass sie ein einheitliches internationales Privatrecht zu schaffen bezweckten, wobei sie mehrere gemeinsame Ziele verfolgten: die Vorhersehbarkeit des Rechts zu verbessern, die Rechtssicherheit innerhalb des europäischen Rechtsraums zu stärken und die Transparenz zu fördern. Die Verordnungen bildeten ein einheitliches und autonomes Regelwerk, wobei es zwischen ihnen zu Synergien komme.


59 – In diesem Sinne Martiny, D., a. a. O. (Fn. 14), S. 1369, Randnr. 1891, und Schneider, G., a. a. O. (Fn. 10), S. 1382.


60 – Siehe Nr. 75 der vorliegenden Schlussanträge.


61 – Vgl. Urteile vom 3. Juli 1986 Lawrie-Blum (66/85, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 und 17), vom 26. Februar 1992, Bernini (C‑3/90, Slg. 1992, I‑1071, Randnr. 14), vom 12. Mai 1998, Martínez Sala (C‑85/96, Slg. 1998, I‑2691), vom 8. Juni 1999, Meeusen (C‑337/97, Slg. 1999, I‑3289, Randnr. 13), vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703, Randnr. 26), vom 7. September 2004, Trojani (C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573, Randnr. 15), vom 17. März 2005, Kranemann (C‑109/04, Slg. 2005, I‑2421, Randnr. 12), und vom 30. März 2006, Mattern (C‑10/05, Slg. 2006, I‑3145, Randnr. 18).


62 – Vgl. Urteil Lawrie-Blum (oben in Fn. 61 angeführt, Randnr. 18).