SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

VERICA TRSTENJAK

vom 5. Juli 2012 ( 1 )

Rechtssache C-300/10

Vítor Hugo Marques Almeida

gegen

Companhia de Seguros Fidelidade-Mundial SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal da Relação de Guimarães [Portugal])

„Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG und 90/232/EWG — Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung — Zusammenstoß zweier Fahrzeuge, der keinem der Fahrer zuzurechnen ist — In einem der Fahrzeuge beförderte Person, die zur Entstehung ihrer eigenen Schäden beigetragen hat — Gefährdungshaftung — Versagung oder Begrenzung des Rechts auf Entschädigung“

I – Einleitung

1.

Der Gedanke der Wiedergutmachung entspringt dem Streben nach Gerechtigkeit, wie es bereits in der Philosophie der griechischen Antike als Ideal begriffen wurde. So findet sich etwa bei Platon ( 2 ) die Überlegung einer über das Strafrecht hinausweisenden Wiedergutmachung aller zugefügten Schäden. Neben unterschiedlichen Gradstufen der Haftungszurechnung kannte die antike Philosophie auch die Möglichkeit der Haftungsentlastung, wenn ersichtlich war, dass ein Schaden jedenfalls nicht dem Schädiger allein zugerechnet werden konnte, etwa aufgrund des Eigenbeitrags des Geschädigten. Das maßgeblich von Antiphon ( 3 ) geprägte Konzept entwickelte sich im Verlauf der römischen und der modernen europäischen Rechtsgeschichte zu dem fort, was heutzutage in den Zivilrechtsordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten allgemein unter dem Begriff des „Mitverschuldens“ bekannt ist ( 4 ). Auf die Frage, ob dieses Konzept, das auch dem portugiesischen Haftungsrecht bekannt ist, mit dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsrecht der Union vereinbar ist, wird der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache eine Antwort geben müssen.

2.

Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV stellt das Tribunal da Relação de Guimarães (im Folgenden: vorlegendes Gericht) dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung der im Hinblick auf eine Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erlassenen Richtlinien 72/166/EWG ( 5 ), 84/5/EWG ( 6 ) und 90/232/EWG ( 7 ). Das vorlegende Gericht begehrt darin im Wesentlichen Aufschluss darüber, ob diese Richtlinien einer nationalen zivilrechtlichen Haftungsregelung entgegenstehen, die es einem Gericht, das über Schadensersatzansprüche resultierend aus einem Unfall im Straßenverkehr zu entscheiden hat, je nach Lage gestattet, Ansprüche zu begrenzen oder sogar zu versagen, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zur Entstehung oder Verschlimmerung der Schäden beigetragen hat.

3.

Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits um Entschädigungsansprüche eines infolge eines Verkehrsunfalls Geschädigten, der zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls als Mitfahrer einer der beiden beteiligten Fahrzeuge unterwegs war. Der Geschädigte, der vorschriftswidrig den Sicherheitsgurt nicht angelegt hatte ( 8 ), zog sich dabei schwerwiegende körperliche Verletzungen zu. Die daraufhin gegen die Fahrer beider Fahrzeuge, die Kraftfahrzeugversicherung des Fahrers des Fahrzeugs, in dem er als Insasse unterwegs war, sowie den Garantiefonds erhobene Klage auf Schadensersatz wurde vom zuständigen erstinstanzlichen Gericht auf der Grundlage der oben genannten zivilrechtlichen Haftungsregelung mit der Begründung abgewiesen, der Schaden sei auf eigenes Verschulden zurückzuführen, da der Geschädigte die gesetzliche Gurtanlegepflicht nicht beachtet habe.

4.

Die vorliegende Rechtssache fügt sich in eine lange Reihe von Vorabentscheidungsersuchen portugiesischer Gerichte ein, in denen es im Kern um die Frage der Vereinbarkeit der nationalen Vorschriften über die zivilrechtliche Haftung bei Straßenverkehrsunfällen mit dem Unionsrecht, genauer gesagt mit den Richtlinien zur Harmonisierung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, geht. Vor dem Hintergrund, dass hierzu in letzter Zeit mehrere Entscheidungen des Gerichtshofs ergangen sind, in denen diese Frage bejaht worden ist, vor allem die maßgebenden Urteile vom 17. März 2011, Carvalho Ferreira Santos ( 9 ), und vom 9. Juni 2011, Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio ( 10 ), bietet die vorliegende Rechtssache die Gelegenheit, diese Rechtsprechung durch eine Entscheidung der Großen Kammer zu bestätigen – und damit auf eine solidere Rechtsprechungsbasis zu stellen – oder gegebenenfalls zu präzisieren.

II – Normativer Rahmen

A – Unionsrecht

5.

Ab dem Jahr 1972 hat der Unionsgesetzgeber mit der Angleichung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung mittels Richtlinien begonnen ( 11 ).

6.

Die Erste Richtlinie sieht die Beseitigung der Kontrolle der Grünen Karte an den Grenzen und die Einführung einer Haftpflichtversicherung, die die im Gebiet der Gemeinschaft verursachten Schäden deckt, in allen Mitgliedstaaten vor.

7.

Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Opfer von Verkehrsunfällen Schadensersatz von einem solventen Schuldner erhalten müssen, wenn die Haftung festgestellt ist, bestimmt Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie:

„Jeder Mitgliedstaat trifft … alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.“

8.

Ferner bestimmt Art. 3 Abs. 2 der Ersten Richtlinie u. a. Folgendes:

„Jeder Mitgliedstaat trifft alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Versicherungsvertrag überdies folgende Schäden deckt:

die im Gebiet der anderen Mitgliedstaaten gemäß den Rechtsvorschriften dieser Staaten verursachten Schäden …“

9.

Mit der Zweiten Richtlinie wollte der Unionsgesetzgeber die unterschiedlichen inhaltlichen Gesichtspunkte dieser Pflichtversicherung angleichen, um den Opfern von Verkehrsunfällen einen Mindestschutz zu verschaffen und die in der Union bestehenden Unterschiede im Deckungsumfang dieser Versicherung zu verringern.

10.

In Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie heißt es:

„Jeder Mitgliedstaat trifft zweckdienliche Maßnahmen, damit jede Rechtsvorschrift oder Vertragsklausel in einer nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG ausgestellten Versicherungspolice, mit der die Nutzung oder Führung von Fahrzeugen durch

hierzu weder ausdrücklich noch stillschweigend ermächtigte Personen oder

Personen, die keinen Führerschein für das betreffende Fahrzeug besitzen, oder

– Personen, die den gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Zustand und Sicherheit des betreffenden Fahrzeugs nicht nachgekommen sind, von der Versicherung ausgeschlossen werden, bei der Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG bezüglich der Ansprüche von bei Unfällen geschädigten Dritten als wirkungslos gilt.

Die im ersten Gedankenstrich genannte Vorschrift oder Klausel kann jedoch gegenüber den Personen geltend gemacht werden, die das Fahrzeug, das den Schaden verursacht hat, freiwillig bestiegen haben, sofern der Versicherer nachweisen kann, dass sie wussten, dass das Fahrzeug gestohlen war. …“

11.

Die Dritte Richtlinie wurde erlassen, um einige Bestimmungen in Bezug auf die Haftpflichtversicherung klarzustellen, da immer noch erhebliche Unterschiede im Umfang der durch die Versicherung gewährten Deckung bestanden.

12.

Art. 1 der Dritten Richtlinie sieht Folgendes vor:

„Unbeschadet des Artikels 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 84/5/EWG deckt die in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG genannte Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers. …“

13.

Art. 1a dieser Richtlinie lautet wie folgt:

„Die in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 72/166/EWG genannte Versicherung deckt Personen- und Sachschäden von Fußgängern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, die nach einzelstaatlichem Zivilrecht einen Anspruch auf Schadenersatz aus einem Unfall haben, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist. Der vorliegende Artikel lässt die zivilrechtliche Haftung und die Höhe des Schadenersatzes unberührt.“

14.

Die am 8. Oktober 2009 in Kraft getretene Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht ( 12 ) konsolidiert nunmehr die oben genannten Richtlinien, die damit nicht mehr in Kraft sind. Da die Ereignisse, die Anlass zu dem Ausgangsstreit gegeben haben, sich jedoch lange vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 2009/103 zugetragen haben, finden allein diese Richtlinien auf den Ausgangsfall Anwendung.

15.

Art. 12 der Richtlinie 2009/103 bestimmt Folgendes:

„(1)   Unbeschadet des Artikels 13 Absatz 1 Unterabsatz 2 deckt die in Artikel 3 genannte Versicherung die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers.

(3)   Die in Artikel 3 genannte Versicherung deckt Personen und Sachschäden von Fußgängern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern, die nach einzelstaatlichem Zivilrecht einen Anspruch auf Schadenersatz aus einem Unfall haben, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist. …“

B – Nationales Recht

16.

Die für den Ausgangsfall relevanten Bestimmungen des portugiesischen Código Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) lauten wie folgt:

17.

Art. 503 Abs. 1: „Derjenige, der die tatsächliche Herrschaft über ein Landfahrzeug ausübt und dieses im eigenen Interesse und sei es durch einen Beauftragten nutzt, haftet für die Schäden, die aus der dem Fahrzeug eigenen Gefahr herrühren, auch wenn dieses nicht in Betrieb ist.“

18.

Art. 504 Abs. 1: „Die Haftung für durch Fahrzeuge verursachte Schäden kommt Dritten sowie den beförderten Personen zugute.“

19.

Art. 505 des Código Civil sieht unter der Überschrift „Ausschluss der Haftung“ vor: „Unbeschadet des Art. 570 ist die in Art. 503 Abs. 1 vorgesehene Haftung nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfall dem Geschädigten selbst oder einem Dritten zuzurechnen ist oder wenn er durch höhere Gewalt verursacht wurde, die mit dem Betrieb des Fahrzeugs in keinem Zusammenhang steht.“

20.

Art. 570 des Código Civil bestimmt unter der Überschrift „Verschulden des Geschädigten“:

„1.   Hat ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zur Entstehung oder Verschlimmerung der Schäden beigetragen, hat das Gericht auf der Grundlage der Schwere des jeweiligen Verschuldens der beiden Beteiligten sowie der daraus resultierenden Folgen zu bestimmen, ob die Entschädigung vollständig zu gewähren, zu kürzen oder sogar auszuschließen ist.

2.   Beruht die Haftung auf einer einfachen Schuldvermutung, schließt ein Verschulden des Geschädigten, sofern nichts anderes bestimmt ist, die Entschädigungspflicht aus.“

III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

21.

Am 12. Juni 2004 kam es auf einer Landstraße zu einem Frontalzusammenstoß zwischen zwei Kraftfahrzeugen. Für eines dieser Fahrzeuge bestand keine gültige und wirksame Versicherung. Herr Marques Almeida befand sich als Beifahrer in einem der beiden Fahrzeuge. Er prallte bei dem Unfall gegen die Windschutzscheibe. Diese zerbrach und fügte ihm tiefe Schnittwunden an Kopf und Gesicht zu.

22.

Herr Marques Almeida beantragte vor dem zuständigen Zivilgericht erster Instanz, die beklagte Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung des Halters des einen Fahrzeugs, den Fahrer und den Eigentümer des nicht versicherten Fahrzeugs sowie den Fundo de Garantia Automóvel (im Folgenden: Garantiefonds) zu Schadensersatz zu verurteilen. Die Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass bei keinem der Fahrer ein Verschulden in Bezug auf den Unfall habe festgestellt werden können. Das Gericht entschied zugunsten der beklagten Parteien, weil es der Ansicht war, dass die bei Herrn Marques Almeida festgestellten Schäden auf sein eigenes Verschulden zurückzuführen seien, da er unter Verstoß gegen Art. 82 Abs. 1 des Codigo da Estrada (Straßenverkehrsordnung) den Sicherheitsgurt nicht angelegt habe. Demnach sei eine Entschädigungspflicht gemäß Art. 505 des Código Civil ausgeschlossen.

23.

Herr Marques Almeida legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Das vorlegende Gericht, das über die Berufung zu entscheiden hat, äußert Zweifel an der Vereinbarkeit der portugiesischen haftungsrechtlichen Bestimmungen mit dem Unionsrecht, da diese Bestimmungen eine Kürzung oder gar einen Wegfall des Entschädigungsanspruchs des Geschädigten vorsähen, wenn dieser zur Entstehung der Schäden beigetragen hat. Es verweist in diesem Zusammenhang auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Farrell ( 13 ), in dem der Gerichtshof erklärt hat, dass „[d]er Umfang [des] Schadensersatzes … nur unter außergewöhnlichen Umständen auf der Grundlage einer Einzelfallbeurteilung und unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts reduziert werden [darf]“ ( 14 ).

24.

Das vorlegende Gericht hält eine Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung für erforderlich. Es hat daher das Verfahren ausgesetzt und folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Sind Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie (72/166/EWG), Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie (84/5/EWG) sowie die Art. 1 und 1a der Dritten Richtlinie (90/232/EWG) dahin gehend auszulegen, dass sie einer innerstaatlichen zivilrechtlichen Regelung, konkret den Art. 503 Abs. 1, 504, 505 und 570 des Código Civil, entgegenstehen, wonach im Fall eines Zusammenstoßes zweier Fahrzeuge, der von keinem der Fahrer verschuldet wurde und durch den der Insasse eines der Fahrzeuge (der Geschädigte, der eine Entschädigung verlangt) körperliche Schäden erlitten hat, diesem die Entschädigung, auf die dieser Anspruch hat, versagt oder begrenzt wird, weil er zur Entstehung der Schäden beigetragen hat, indem er als Beifahrer nicht gemäß den nationalen Vorschriften den Sicherheitsgurt angelegt hatte?

2.

In diesem Zusammenhang ist festgestellt worden, dass der betreffende Fahrzeuginsasse bei dem Zusammenstoß der beiden beteiligten Fahrzeuge aufgrund des Zusammenstoßes sowie des Umstands, dass er keinen Sicherheitsgurt angelegt hatte, so heftig mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe prallte, dass diese zerbrach und er dadurch tiefe Schnittverletzungen am Kopf und im Gesicht erlitt.

3.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass eines der beteiligten Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Unfalls nicht gültig und wirksam bei einem Versicherer versichert war, weshalb außer der Versicherung des anderen beteiligten Fahrzeugs auch der Eigentümer des nicht versicherten Fahrzeugs, dessen Fahrer und der Fundo de Garantia Automóvel verklagt sind, die, da es um die objektive Haftung geht, als Gesamtschuldner für die Zahlung der genannten Entschädigung haften könnten.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

25.

Die Vorlageentscheidung mit Datum vom 22. April 2010 ist am 17. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

26.

Schriftliche Erklärungen haben Herr Marques Almeida, die portugiesische und die deutsche Regierung sowie die Europäische Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.

27.

In der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 2012 sind die Prozessbevollmächtigten der portugiesischen und der deutschen Regierung sowie der Kommission erschienen, um Ausführungen zu machen.

V – Wesentliche Argumente der Parteien

28.

Herr Marques Almeida ist der Auffassung, dass die fraglichen Richtlinien einer nationalen Bestimmung entgegenstünden, die eine Versagung bzw. eine Begrenzung des Entschädigungsanspruchs des Geschädigten gestatte. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, die darauf abziele, Fahrzeuginsassen effektiven Schutz zu gewähren. Darüber hinaus verweist er auf das Ziel der fraglichen Richtlinien, das seiner Ansicht nach darin besteht, das Recht der Mitgliedstaaten zu harmonisieren und die Entschädigungsansprüche von Opfern von Verkehrsunfällen zu schützen. Die streitgegenständliche nationale Regelung sei insofern mit dem Unionsrecht unvereinbar, als sie diese Entschädigungsansprüche beschneide.

29.

Darüber hinaus stellt Herr Marques Almeida klar, dass er nicht zu dem Verkehrsunfall beigetragen habe. Davon abgesehen sei auch nicht bewiesen worden, dass seine Verletzungen hätten vermieden werden können, wenn er den Sicherheitsgurt angelegt hätte. Er macht auf den Umstand aufmerksam, dass der Fahrer des anderen Fahrzeugs keine Verletzungen erlitten habe, obwohl er den Sicherheitsgurt nicht angelegt habe. Vor diesem Hintergrund könnten ihm die erlittenen Verletzungen nicht zugerechnet werden. Folgerichtig gebe es keinen Grund, ihm einen Entschädigungsanspruch zu versagen.

30.

Sowohl die portugiesische als auch die deutsche Regierung und die Kommission vertreten dagegen die Ansicht, dass die fraglichen Richtlinien einer nationalen Bestimmung wie der hier in Rede stehenden nicht entgegenstünden. Zur Begründung tragen sie vor, dass die fraglichen Richtlinien ihrem Wortlaut und ihrem Regelungszweck nach zu urteilen nicht darauf abzielten, die nationalen Bestimmungen über die zivilrechtliche Haftung zu harmonisieren. Vielmehr beabsichtigten sie zum einen, den freien Verkehr der Fahrzeuge mit gewöhnlichem Standort im Gebiet der Union sowie den der Fahrzeuginsassen zu fördern. Zum anderen solle die Gleichbehandlung von Geschädigten innerhalb der Union gewährleistet werden. Zu diesem Zweck regelten die Richtlinien, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt sein müsse. Sie gäben vor, welche Art von Schäden und welcher Kreis von Geschädigten durch diese Versicherung abgesichert werden sollten.

31.

Diese Regelung zum Deckungsumfang unterscheide sich wiederum von der Entschädigungspflicht, die den Versicherten gegenüber dem Geschädigten auf der Grundlage des nationalen Haftungsrechts treffe. Letzteres unterliege der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten. Dementsprechend lasse sich allein dem nationalen Haftungsrecht entnehmen, ob ein Entschädigungsanspruch des Geschädigten aus dem Grund versagt oder begrenzt werden könne, dass dieser zur Entstehung seines eigenen Schadens beigetragen habe. Der Gerichtshof habe dies in den Urteilen Carvalho Ferreira Santos ( 15 ) und Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio ( 16 ) bereits bestätigt. Der Sachverhalt, der der vorliegenden Rechtssache zugrunde liege, sei auch fast identisch mit den Sachverhalten in den genannten Rechtssachen. Dagegen unterscheide sich der Sachverhalt des Ausgangsfalls insofern von denen der Rechtssachen Farrell ( 17 ) und Candolin u. a. ( 18 ), als die Begrenzung der Entschädigungspflicht durch die Versicherung eine Folge des zivilrechtlichen Haftungsrechts, jedoch nicht, wie in jenen Rechtssachen, des Haftpflichtversicherungsrechts sei. Die portugiesische und die deutsche Regierung sowie die Kommission sehen in Anbetracht dieser Umstände keinen Anlass, von den Rechtsprechungsgrundsätzen, die der Gerichtshof in den Urteilen Carvalho Ferreira Santos sowie Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio entwickelt habe, abzuweichen.

VI – Rechtliche Würdigung

A – Einleitende Bemerkungen

32.

Wie eingangs ausgeführt, bietet die vorliegende Rechtssache dem Gerichtshof die Gelegenheit, zum Verhältnis zwischen den beiden für die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen von Verkehrsopfern wesentlichen Rechtsmaterien – dem Recht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und dem Recht der zivilrechtlichen Haftung bei Straßenverkehrsunfällen – erneut Stellung zu nehmen. Eine Untersuchung der Verbindungspunkte, die zwischen beiden Rechtsmaterien bestehen, erscheint notwendig, zumal nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vorgaben, die das Unionsrecht im harmonisierten Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung aufgestellt hat, sich unter Umständen auch auf das Recht der zivilrechtlichen Haftung in den Mitgliedstaaten auswirken. Die Relevanz dieser Frage stellt sich gerade dann, wenn, wie vom vorlegenden Gericht angedeutet, die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Ziele, die der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinien über Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung verfolgt hat, vereitelt werden, was eine gesonderte Untersuchung erfordert. Die Kernfrage, die sich in der vorliegenden Rechtssache stellt, ist, ob diese unionsrechtlichen Vorgaben einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Fall des Zusammenstoßes zweier Kraftfahrzeuge, der von keinem der Fahrer verschuldet wurde, der Entschädigungsanspruch eines verletzten Beifahrers versagt oder begrenzt werden kann, wenn feststeht, dass dieser zur Entstehung seiner Schäden beigetragen hat.

33.

Bei der Würdigung dieser Rechtsfrage wird der Gerichtshof prüfen müssen, ob seine bisherige Rechtsprechung auf diesem Gebiet auf den Ausgangsfall übertragbar ist oder gegebenenfalls einer Präzisierung bedarf. Um dem Gerichtshof eine nützliche Entscheidungsgrundlage zu bieten, werde ich meine Untersuchung in drei Abschnitte gliedern: Zunächst soll ein kurzer Überblick über die Rechtsprechung gegeben werden, im Rahmen dessen die Problematik in ihren Grundzügen dargestellt werden soll. Anschließend werde ich mich mit der Frage der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall befassen, wobei die Besonderheiten des Ausgangssachverhalts nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Zum Schluss werde ich mich der Frage zuwenden, ob angesichts der gezogenen Schlüsse eine Präzisierung oder gar eine Änderung dieser Rechtsprechung angezeigt ist.

34.

Vorwegnehmen möchte ich an dieser Stelle, dass ich nicht überzeugt bin, dass die vorliegende Rechtssache eine andere rechtliche Bewertung als in den Urteilen Carvalho Ferreira Santos ( 19 ) sowie Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio ( 20 ) rechtfertigt. Meines Erachtens ist weiterhin an der grundsätzlich strengen Trennung zwischen den oben genannten Rechtsmaterien ( 21 ) festzuhalten. In Anbetracht der Tatsache, dass allein das Recht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Gegenstand einer Harmonisierung durch den Unionsgesetzgeber geworden ist, muss das Recht der zivilrechtlichen Haftung bei Straßenverkehrsunfällen grundsätzlich unangetastet bleiben. Eine andere Bewertung wäre mit dem Willen des Unionsgesetzgebers kaum zu vereinbaren. Eine Zurückdrängung mitgliedstaatlichen Rechts im Wege einer entsprechend weiten Auslegung des Anwendungsbereichs der Richtlinien über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung darf nur dann in Betracht kommen, wenn ersichtlich ist, dass die Ziele, die der Gesetzgeber mit dem Erlass dieser Richtlinien erreichen wollte, durch entgegenstehende Bestimmungen und Praktiken gefährdet sind. Dass davon in der vorliegenden Rechtssache nicht die Rede sein kann, zeigen die Parallelen zur Rechtssache Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio, in der der Gerichtshof die streitgegenständlichen portugiesischen zivilrechtlichen Rechtsvorschriften als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.

B – Überblick über die Rechtsprechung

1. Das Urteil Carvalho Ferreira Santos

a) Die Problematik der Rechtssache in ihren Grundzügen

35.

Gegenstand der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos ( 22 ) war ein Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal da Relação Porto, bei dem es im Kern um die Frage ging, ob die Richtlinien über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung einer nationalen zivilrechtlichen Regelung entgegenstehen, die es erlaubt, im Fall einer Schadensmitverursachung durch den Geschädigten eine Aufteilung der Haftung entsprechend dem Anteil vorzunehmen, zu dem die von den einzelnen Fahrzeugen ausgehende Betriebsgefahr zu den Schäden beigetragen hat, mit der Folge, dass dies sich mindernd auf die Höhe des Anspruchs auf Schadensersatz des Unfallgeschädigten gegen die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesellschaft auswirkt.

36.

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Carvalho und einer Haftpflichtversicherungsgesellschaft um die vollständige Erstattung des ihm infolge eines Straßenverkehrsunfalls entstandenen Vermögens- und Nichtvermögensschadens. Herr Carvalho, der zum Zeitpunkt des Unfalls ein Kraftrad fuhr, erlitt infolge des Zusammenstoßes mit einem Personenkraftwagen ein Schädelhirntrauma. Das für die Schadensersatzklage zuständige Zivilgericht stellte fest, dass keiner der beiden Fahrer den Unfall verschuldet hatte. Da Zweifel hinsichtlich des Verursachungsbeitrags der am Unfall beteiligten Fahrzeuge zu den entstandenen Schäden blieben, wendete das Zivilgericht Art. 506 Abs. 2 des Código Civil an, der jedem Fahrer einen Haftungsanteil von 50 % zuwies. Das Zivilgericht entschied, dass die Haftung des Fahrers des Fahrzeugs, das die Schäden verursacht hatte, entsprechend dem Anteil zu begrenzen war, zu dem das Fahrzeug des Geschädigten zu den Schäden beigetragen hatte. Diese Haftungsbegrenzung hatte eine entsprechende Begrenzung der von der Haftpflichtversicherungsgesellschaft aus der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung an den Geschädigten zu zahlenden Entschädigung zur Folge ( 23 ).

b) Die Argumentation in den Schlussanträgen

37.

In meinen Schlussanträgen vom 7. Dezember 2010 – auf deren Inhalt hiermit verwiesen werden soll – habe ich die Vereinbarkeit jener zivilrechtlichen Regelung mit dem Unionsrecht bejaht, und zwar im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der fraglichen Richtlinien fällt ( 24 ). Um zu dieser Feststellung zu gelangen, habe ich den Anwendungsbereich der fraglichen Richtlinien im Wege einer Auslegung anhand des Wortlauts sowie von Sinn und Zweck der betreffenden Richtlinienbestimmungen ermittelt. Dabei habe ich festgestellt, dass die Richtlinien zwar mehrere Bereiche des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsrechts regeln, jedoch keine Harmonisierung der Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten bezwecken ( 25 ). Daraus habe ich die Schlussfolgerung gezogen, dass weder die materiell-rechtlichen Kriterien der Haftung für den infolge eines Straßenverkehrsunfalls entstandenen Schaden noch der Umfang der Haftung in den Anwendungsbereich der Richtlinien fallen ( 26 ). In Anbetracht der Tatsache, dass die streitgegenständliche portugiesische Bestimmung regelungssystematisch dem nationalen zivilrechtlichen Schadensersatzrecht zuzuordnen war, konnte sie auch nicht als vom Anwendungsbereich der Richtlinien erfasst angesehen werden ( 27 ).

38.

Des Weiteren habe ich in meinen Schlussanträgen zur Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Candolin u. a. ( 28 ) und Farrell ( 29 ) ausführlich Stellung genommen ( 30 ), indem ich auf die unverkennbaren Unterschiede hingewiesen habe, die zwischen jenen Rechtssachen und der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos bestanden. Wie ich im Einzelnen dargelegt habe, unterschied sich die Sach- und Rechtslage in der letztgenannten Rechtssache in wesentlichen Punkten von der in den Rechtssachen Candolin u. a. und Farrell, da es darin um die Vereinbarkeit einer Bestimmung des zivilrechtlichen Haftungsrechts – und nicht, wie in den Rechtssachen Candolin u. a. und Farrell, um eine Bestimmung des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsrechts – ging ( 31 ). Vor diesem Hintergrund schied meines Erachtens eine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf die Rechtssache Carvalho Ferreira Santos aus ( 32 ).

39.

In Anbetracht der hier verkürzt wiedergegebenen Erwägungen habe ich dem Gerichtshof vorgeschlagen, die Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, dass die Richtlinien 72/166, 84/5 und 90/232 einer nationalen zivilrechtlichen Regelung nicht entgegenstehen, die in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der es zu einem Zusammenstoß von Fahrzeugen gekommen ist, wobei keinem der Fahrer Verschulden nachzuweisen ist und einem der Fahrer durch diesen Unfall körperliche und materielle Schäden entstanden sind, dazu führt, dass der Anspruch des Geschädigten aus Gefährdungshaftung pauschal um die Hälfte gekürzt wird.

c) Die Entscheidung des Gerichtshofs

40.

Der Gerichtshof ist diesem Vorschlag mit dem Urteil Carvalho Ferreira Santos ( 33 ) gefolgt. Dabei ist auch eine weitgehende Übereinstimmung in der rechtlichen Argumentation festzustellen, wie im Folgenden aufgezeigt werden soll.

41.

Ausgangspunkt dieser Argumentation war die Feststellung, dass zwischen der Pflicht zur Deckung von Schäden, die Dritten durch Kraftfahrzeuge entstehen, durch die Haftpflichtversicherung auf der einen und dem Umfang ihrer Entschädigung im Rahmen der Haftpflicht des Versicherten auf der anderen Seite unterschieden werden muss. Erstere ist nämlich durch die Unionsregelung, Letzterer hingegen im Wesentlichen durch das nationale Recht festgelegt und garantiert ( 34 ). Unter Bezugnahme auf die Urteile Candolin u. a. ( 35 ) und Farrell ( 36 ) hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Richtlinien über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nicht die Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten harmonisieren sollen und dass es diesen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nach wie vor freisteht, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen selbst zu regeln ( 37 ). Letzteres gilt insbesondere für die Festlegung der Art der Kraftfahrzeughaftpflicht – Gefährdungs- oder Verschuldenshaftung –, die von der Pflichtversicherung zu decken ist ( 38 ). Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass ungeachtet dieser Abgrenzung der einzelnen Regelungsaspekte voneinander dennoch insofern eine Verbindung zwischen ihnen besteht, als die Mitgliedstaaten aufgrund der Richtlinien verpflichtet sind, sicherzustellen, dass die nach ihrem nationalen Recht geltende Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt ist, die mit den Bestimmungen der erwähnten drei Richtlinien im Einklang steht ( 39 ).

42.

Was das Verständnis der oben genannten Kriterien der Candolin-Rechtsprechung und deren eventuelle Anwendbarkeit auf den Ausgangsfall wiederum angeht, hat der Gerichtshof einen ähnlichen Standpunkt vertreten wie ich in meinen Schlussanträgen. Er hat nämlich in dem Umstand, dass eine nationale Haftungsregelung wie die des Art. 506 des Código Civil eine Teilung der Haftpflicht für die Schäden vorsieht, die bei einem Zusammenstoß zweier Kraftfahrzeuge entstehen, wenn keinen der Fahrer ein Verschulden trifft, noch keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien gesehen, da diese Haftungsregelung nicht die vom Unionsrecht vorgesehene Gewähr berührt, dass die nach dem nationalen Recht geltende zivilrechtliche Haftungsregelung durch eine mit den Bestimmungen der drei genannten Richtlinien vereinbare Versicherung gedeckt sein muss ( 40 ).

43.

Um seine Argumentation im Wege einer systematischen Auslegung zu untermauern, hat sich der Gerichtshof auch auf die neueren Richtlinien über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung gestützt, aus deren Bestimmungen im Wesentlichen hervorgeht, dass sich ungeachtet der grundsätzlichen Deckung von Personen- und Sachschäden durch die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung im Fall von Straßenverkehrsunfällen die Haftung und die Höhe des Schadensersatzes selbst nach den zivilrechtlichen Haftungsregelungen richtet ( 41 ). So heißt es etwa in Art. 1a der Dritten Richtlinie, der mit der Richtlinie 2005/14 ( 42 ) eingefügt wurde, dass die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166 genannte Versicherung Personen- und Sachschäden von Fußgängern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern deckt, die nach einzelstaatlichem Zivilrecht einen Anspruch auf Schadensersatz aus einem Unfall haben, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist. Zudem schreibt diese Richtlinienbestimmung ausdrücklich vor, dass die zivilrechtliche Haftung und die Höhe des Schadensersatzes unberührt bleiben. Darüber hinaus verweist der Gerichtshof auf Art. 12 der Richtlinie 2009/103, aus dem sich ergibt, dass die Deckung der Schäden spezifischer Kategorien von Unfallopfern, insbesondere von nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern und Fahrzeuginsassen, durch die Pflichtversicherung die Haftung und die Höhe des Schadensersatzes unberührt lässt.

44.

Nach alledem hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie, Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie und Art. 1 der Dritten Richtlinie einer nationalen Regelung wie der in Art. 506 des Código Civil nicht entgegenstehen, die für den Fall, dass bei einem Zusammenstoß zweier Fahrzeuge Schäden entstanden sind, ohne dass einen der Fahrer ein Verschulden trifft, die Haftung für diese Schäden entsprechend dem Anteil aufteilt, zu dem die einzelnen Fahrzeuge zu den Schäden beigetragen haben, und bei Zweifeln in dieser Hinsicht festlegt, dass beide Fahrzeuge gleichermaßen zu den Schäden beigetragen haben ( 43 ).

2. Die Rechtssache Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio

a) Die Problematik der Rechtssache in ihren Grundzügen

45.

Der Rechtssache Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio lag ein Vorabentscheidungsersuchen des Supremo Tribunal de Justiça zugrunde, mit dem es den Gerichtshof im Wesentlichen um Aufschluss darüber bat, ob die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die das Recht auf Entschädigung des Opfers eines Unfalls, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist, beschränkt oder ausschließt, wenn das Unfallopfer die Schäden teilweise oder ausschließlich selbst verursacht hat ( 44 ).

46.

Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ambrósio Lavrador und Frau Olival Ferreira Bonifácio einerseits und einer Haftpflichtversicherungsgesellschaft andererseits wegen Ersatzes der Schäden, die die Kläger des Ausgangsverfahrens infolge eines Verkehrsunfalls erlitten hatten, an dem ihr minderjähriges Kind, das auf einem Fahrrad fuhr, und ein Fahrzeug, für das die Haftpflichtversicherungsgesellschaft einzustehen hatte, beteiligt waren ( 45 ). Der Vorlageentscheidung zufolge war die Klage der Eltern auf Schadensersatz sowohl in erster Instanz als auch in der Berufungsinstanz mit der Begründung abgewiesen worden, der Unfall, bei dem das Kind tödlich verunglückte, sei von diesem selbst verschuldet worden, da es gegen die Fahrtrichtung gefahren sei und die Vorfahrtsregeln nicht beachtet habe.

47.

Das Supremo Tribunal de Justiça zweifelte an der Vereinbarkeit der angewandten zivilrechtlichen Haftungsregelung mit der Candolin-Rechtsprechung und beschloss, den Gerichtshof um Auskunft darüber zu ersuchen, ob es Art. 1 der Dritten Richtlinie zuwiderläuft, wenn das portugiesische Zivilrecht, insbesondere über die Art. 503 Abs. 1, 504, 505 und 570 des Código Civil, bei einem Verkehrsunfall das Recht des minderjährigen Unfallopfers auf eine Entschädigung aus dem einfachen Grund verweigert oder begrenzt, dass dieses die Schäden teilweise oder sogar ausschließlich selbst verursacht hat.

b) Die Entscheidung des Gerichtshofs

48.

Vor dem Hintergrund, dass bereits in der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos Schlussanträge verlesen worden waren und somit die Rechtssache Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio keine neue Rechtsfrage aufwarf, beschloss der Gerichtshof gemäß Art. 20 Abs. 5 seiner Satzung nach Anhörung des Generalanwalts, ohne Schlussanträge über die Sache zu entscheiden.

49.

Mit dem Urteil Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio ( 46 ) hat der Gerichtshof entschieden, dass die Richtlinien über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nationalen Rechtsvorschriften über die Haftpflicht nicht entgegenstehen, nach denen der Anspruch eines Unfallopfers auf eine Entschädigung im Rahmen der Haftpflichtversicherung des an dem Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs auf der Grundlage einer Einzelfallbeurteilung des ausschließlichen oder anteiligen Beitrags dieses Opfers zu seinem eigenen Schaden ausgeschlossen oder begrenzt werden kann.

50.

Der Gerichtshof hat sich einer ähnlichen rechtlichen Argumentation wie in der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos bedient. Zunächst hat er die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen der Pflicht zur Deckung von Schäden, die Dritten durch Kraftfahrzeuge entstehen, durch die Haftpflichtversicherung auf der einen und dem Umfang ihrer Entschädigung im Rahmen der Haftpflicht des Versicherten auf der anderen Seite unterstrichen ( 47 ). Zugleich hat er daran erinnert, dass es mangels einer Harmonisierungsregelung im Unionsrecht den Mitgliedstaaten freisteht, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen mit Fahrzeugen selbst zu regeln ( 48 ).

51.

Ähnlich wie in der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos hat der Gerichtshof auf den Unterschied hingewiesen, der zwischen dem Ausgangsfall und dem Fall, der den Rechtssachen Candolin u. a. und Farrell zugrunde lag, bestand. Im Gegensatz zu den beiden zuletzt genannten Rechtssachen war der Anspruch des Unfallopfers auf Entschädigung nicht aufgrund einer Begrenzung der Haftpflichtdeckung durch versicherungsrechtliche Vorschriften, sondern vielmehr wegen einer Begrenzung der Haftung des versicherten Fahrers nach der geltenden zivilrechtlichen Haftungsregelung beeinträchtigt ( 49 ).

52.

Diese Feststellung beruhte auf einer Untersuchung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften. Wie der Gerichtshof der Vorlageentscheidung entnehmen konnte, sahen die Art. 503 und 504 des portugiesischen Código Civil bei Verkehrsunfällen zwar eine objektive Haftung vor. Allerdings entfiel gemäß Art. 505 des Código Civil die in Art. 503 Abs. 1 vorgesehene Gefährdungshaftung, wenn der Unfall dem Geschädigten zuzurechnen war. Hatte ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zur Entstehung oder Verschlimmerung der Schäden beigetragen, so war ihm außerdem gemäß Art. 570 des portugiesischen Código Civil die Entschädigung je nach Schwere des Verschuldens ganz oder teilweise zu versagen ( 50 ). Der Gerichtshof hat diese Rechtsvorschriften dahin gehend verstanden, dass mit ihnen die Gefährdungshaftung des Fahrers des an dem Unfall beteiligten Fahrzeugs nur dann ausgeschlossen werden sollte, wenn der Unfall ausschließlich dem Geschädigten zuzurechnen war. Hatte ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zur Entstehung oder Verschlimmerung seines Schadens beigetragen, so wirkte sich dies entsprechend der Schwere des Verschuldens auf seine Entschädigung aus ( 51 ).

53.

Der Gerichtshof hat die Auffassung vertreten, dass im Gegensatz zu den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen in den Rechtssachen Candolin u. a. und Farrell die genannten Rechtsvorschriften nicht zur Folge hatten, dass in dem Fall, dass der Geschädigte zu seinem eigenen Schaden beitrug, sein Anspruch – im konkreten Fall derjenige der Eltern eines minderjährigen Kindes, das tödlich verunglückte, als es mit seinem Fahrrad mit einem Kraftfahrzeug zusammenstieß – auf eine Entschädigung durch die obligatorische Haftpflichtversicherung des Fahrers des an dem Unfall beteiligten Fahrzeugs von vornherein ausgeschlossen oder unverhältnismäßig begrenzt würde. Der Gerichtshof hat daraus gefolgert, dass die fraglichen Rechtsvorschriften daher nicht die vom Unionsrecht vorgesehene Gewähr berührten, dass die nach dem anwendbaren nationalen Recht vorgesehene Haftpflicht durch eine mit den drei genannten Richtlinien vereinbare Versicherung gedeckt sein muss ( 52 ).

54.

Mit anderen Worten: Der Gerichtshof hat in dem Umstand, dass nach der nationalen zivilrechtlichen Haftungsregelung dem Geschädigten eine Entschädigung aus dem Grund verwehrt wird, weil er zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, noch keine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinien gesehen, da die grundsätzliche – und vom Unionsrecht – intendierte Absicherung des zivilrechtlichen Anspruchs durch die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung unangetastet blieb.

C – Untersuchung der vorliegenden Rechtssache

55.

Nachdem die bisherige Rechtsprechung in ihren wesentlichen Grundzügen dargestellt worden ist, gilt es zu prüfen, ob sich daraus Schlussfolgerungen für die Behandlung der vorliegenden Rechtssache ergeben.

1. Bestimmung des Auslegungsgegenstands

56.

Vorab sind jedoch einige Bemerkungen zum Umfang des Auslegungsgegenstands notwendig. Es ist anerkannt, dass zu den Kompetenzen des Gerichtshofs auch gehört, eine Vorlagefrage erforderlichenfalls zu präzisieren oder sogar neu zu formulieren, um dem vorlegenden Gericht eine möglichst vollständige und nützliche Antwort geben zu können, die zur Entscheidung des Rechtsstreits beiträgt ( 53 ). Eine Präzisierung der Vorlagefrage ist meines Erachtens insofern erforderlich, als sie zum Teil auch auf die Auslegung einer Vorschrift – nämlich Art. 1a der Dritten Richtlinie – abzielt, die sowohl aus sachlichen als auch zeitlichen Gründen im Ausgangsfall keine Anwendung findet.

57.

Sie ist sachlich nicht einschlägig, weil der im Ausgangsfall Geschädigte nicht zu dem relevanten Kreis der geschützten Personen gehört. Die Vorschrift regelt, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Personen- und Sachschäden von Fußgängern, Radfahrern und anderen nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern deckt, die nach einzelstaatlichem Zivilrecht einen Anspruch auf Schadensersatz aus einem Unfall haben, an dem ein Kraftfahrzeug beteiligt ist. Im Ausgangsrechtsstreit geht es indes um den Schadensersatzanspruch eines bei einem Unfall geschädigten Fahrzeuginsassen.

58.

Sie ist zeitlich nicht anwendbar, weil die Richtlinie 2005/14, mit der sie in die Dritte Richtlinie eingefügt wurde, erst am 11. Mai 2005 erlassen wurde. Die Richtlinie 2005/14 war gemäß Art. 6 Abs. 1 spätestens bis zum 11. Juni 2007 umzusetzen. Einzelne können sich jedoch grundsätzlich erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist vor nationalen Gerichten auf Richtlinienbestimmungen berufen. Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung ausgeführt hat, kann den Mitgliedstaaten vor Ablauf der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie nicht zur Last gelegt werden, dass sie die Maßnahmen zu deren Umsetzung in innerstaatliches Recht noch nicht erlassen haben ( 54 ). In Anbetracht der Tatsache, dass der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegende Verkehrsunfall sich bereits am 12. Juni 2004 ereignet hat, scheidet die Möglichkeit einer Berufung auf diese Richtlinienbestimmung aus.

59.

Angesichts dieses Befunds erweist sich eine Auslegung von Art. 1a der Dritten Richtlinie als nicht entscheidungserheblich. Deswegen braucht der Gerichtshof diese Vorschrift auch nicht als Teil des Auslegungsgegenstands anzusehen. Die Vorlagefrage ist demnach dahin zu präzisieren, dass das Auslegungsersuchen sich nicht auf die fragliche Richtlinienbestimmung erstreckt.

2. Übertragbarkeit der genannten Rechtsprechung auf den Ausgangsfall

60.

Für eine Übertragbarkeit der oben wiedergegebenen Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen nationalem Zivilrecht und dem unionsrechtlich geprägten Recht der Kraftfahrzeugversicherung auf den Ausgangsfall lassen sich meines Erachtens eine Reihe von Argumenten anführen, die im Folgenden erörtert werden sollen.

61.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof, wie die portugiesische Regierung ( 55 ) und die Kommission ( 56 ) zu Recht betonen, in der Rechtssache Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio eine fast identische Vorlagefrage bereits beantwortet hat. Nicht zuletzt deshalb ist dieses Urteil von besonderer Bedeutung für die Würdigung der Rechtsfragen, die die vorliegende Rechtssache aufwirft. Wie in jener Rechtssache geht es hier letztlich auch um die Richtlinienkonformität der portugiesischen Regelungen über den Ausschluss der Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters infolge Eigenverschuldens des Geschädigten. Diese zivilrechtlichen Regelungen räumen, wie sowohl der Vorlagefrage als auch den einschlägigen Bestimmungen des Código Civil zu entnehmen ist, einem Gericht, das über Schadensersatzansprüche resultierend aus einem Unfall im Straßenverkehr zu entscheiden hat, die Befugnis ein, Ansprüche zu begrenzen oder sogar zu versagen, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten zur Entstehung oder Verschlimmerung der Schäden beigetragen hat. Dies folgt einem Grundsatz des portugiesischen Zivilrechts, wonach ein schuldhaftes Verhalten des Geschädigten sich auf die Höhe der Entschädigung auswirken kann. Je nach Schwere des Verschuldens kann dies sogar den vollständigen Wegfall des Entschädigungsanspruchs zur Folge haben.

62.

Die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt, dass dieser Grundsatz des nationalen Zivilrechts grundsätzlich in Einklang mit dem Unionsrecht steht, da in den beiden genannten Urteilen die Befugnis der Mitgliedstaaten anerkannt worden ist, in ihren Rechtsordnungen sowohl die hälftige Kürzung von Entschädigungsansprüchen ( 57 ) als auch deren vollständigen Wegfall vorzusehen ( 58 ), wenn dies gerechtfertigt erscheint. Dies ist in erster Linie auf die vom Gerichtshof anerkannte Trennung zwischen dem Recht der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, das unionsrechtlichen Vorgaben unterliegt, und dem Recht der zivilrechtlichen Haftung bei Straßenverkehrsunfällen, das durch nationalrechtliche Vorgaben geprägt ist, zurückzuführen. Angesichts der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten insbesondere die Art der Kraftfahrzeughaftpflicht festlegen dürfen ( 59 ), steht ihnen dementsprechend auch frei, bei der Gestaltung ihres nationalen Rechts zu bestimmen, ob ein Wegfall des Anspruchs von einem etwaigen Verschulden des Geschädigten abhängig sein soll.

63.

Der Umstand, dass der Ausgangssachverhalt gewisse Besonderheiten aufweist, ist, wie die deutsche Regierung zu Recht bemerkt ( 60 ), für die Beantwortung der Vorlagefrage rechtlich nicht von Belang. Diese Besonderheiten können auch nicht als Argument für eine differenziertere Betrachtung herangezogen werden. Sie können höchstens Auswirkungen auf die rechtliche Würdigung des Sachverhalts nach Maßgabe des nationalen Zivilrechts haben. Konkret geht es um die Tatsache, dass im Ausgangsfall der geschädigte Beifahrer gegen die gesetzliche Anschnallpflicht verstoßen hat, was nach portugiesischem Recht, wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, einen rechtlich relevanten Aspekt darstellen kann, der den Vorwurf des Mitverschuldens des Geschädigten rechtfertigt. Auf Letzteres lässt insbesondere die Art und Weise, wie die Vorlagefrage formuliert ist, schließen.

64.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof letztlich an die Auslegung, die das nationale Zivilrecht in der Rechtsprechung der portugiesischen Gerichte gefunden hat, gebunden ist, zumal er nicht die Kompetenz besitzt, nationales Recht auszulegen ( 61 ) oder Tatsachenfragen zu würdigen ( 62 ). Es ist im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts, sein nationales Recht auszulegen und dessen Wirkungen zu würdigen ( 63 ). Aus unionsrechtlicher Perspektive ist eine rechtliche Bewertung des Sachverhalts im oben genannten Sinne jedenfalls unangreifbar, denn die Kraftfahrzeugrichtlinien bezwecken gerade nicht die Harmonisierung der Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten. Maßgeblich für die Zwecke des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens ist somit allein die verbindliche rechtliche Bewertung einer Handlung – in Form eines Tuns oder Unterlassens – als Mitverschulden seitens der portugiesischen Gerichte. Auf die Einlassungen von Herrn Marques Almeida zur vermeintlich fehlenden Zurechenbarkeit der Schadensentstehung aufgrund des Verstoßes gegen die Anschnallpflicht ( 64 ) braucht der Gerichtshof somit nicht einzugehen.

65.

Ebenso wenig kann der Umstand, dass Herr Marques Almeida schwere Verletzungen davongetragen hat, als stichhaltiges Argument für eine andere Würdigung der Rechtslage bewertet werden. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass in dem Sachverhalt, welcher der Rechtssache Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio zugrunde lag, das als schuldhaft bewertete Verhalten sogar zum Tod des Geschädigten geführt hat. Trotz der Schwere des erlittenen Schadens sah der Gerichtshof keinen Anlass, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Vor diesem Hintergrund ist das dahin gehende Vorbringen von Herrn Marques Almeida für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens als nicht relevant zurückzuweisen.

66.

Als weitere Besonderheit ist der Umstand angeführt worden, dass eines der beteiligten Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Unfalls nicht versichert war. Wiederum ist allerdings nicht erkennbar, inwiefern dieser Umstand für die Bewertung der Rechtslage von Belang sein könnte, zumal Herrn Marques Almeida die Möglichkeit offensteht, außer der Versicherung des anderen beteiligten Fahrzeugs auch den Eigentümer des nicht versicherten Fahrzeugs, dessen Fahrer und den Garantiefonds zu verklagen, die, da es um die objektive Haftung geht, als Gesamtschuldner für die Zahlung der genannten Entschädigung haften könnten. Darauf weist das vorlegende Gericht in seiner Vorlagefrage selbst hin.

67.

Es empfiehlt sich ferner, klarzustellen, dass der Umstand, dass es – anders als in den Rechtssachen Carvalho Ferreira Santos sowie Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio – im Ausgangsfall nicht um die Entschädigung eines Fahrzeugführers, sondern eines Beifahrers geht, nicht gegen eine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf die vorliegende Rechtssache spricht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung grundsätzlich die Schäden „aller Fahrzeuginsassen“, also einschließlich der von einem Beifahrer erlittenen Schäden, deckt, wie dem Wortlaut von Art. 1 der Dritten Richtlinie zu entnehmen ist. Der versicherungsrechtliche Schutz eines Beifahrers ist demnach dem eines jeden anderen Verkehrsteilnehmers, der ein Fahrzeug führt, vergleichbar. Diese unionsrechtliche Regelung, die einen umfassenden Versicherungsschutz für alle Verkehrsteilnehmer gewährleisten will, lässt letztlich aber die Frage einer eventuellen Kürzung bis hin zum vollständigen Wegfall eines Entschädigungsanspruchs des Fahrzeuginsassen nach Maßgabe des zivilrechtlichen Haftungsrechts unberührt. Insofern ergeben sich keine Besonderheiten für die Bestimmung des Umfangs der Entschädigung. Darauf liefen, wie die Kommission zutreffend bemerkt ( 65 ), die Ausführungen des Gerichtshofs zu Art. 1a der Richtlinie 2005/14 und zu Art. 12 der Richtlinie 2009/103 im Urteil Carvalho – allerdings in Bezug auf den Schutz anderer Kategorien von Verkehrsteilnehmern – auch hinaus. Somit ist festzustellen, dass die Beifahrereigenschaft des Geschädigten für sich allein keine Auswirkungen auf die Würdigung der vorliegenden Rechtssache hat.

68.

Steht wie im Ausgangsfall fest, dass der Wegfall des Entschädigungsanspruchs des Geschädigten letztlich ausschließlich auf einen zivilrechtlichen Haftungsausschluss zurückzuführen ist, so scheidet damit zugleich die Möglichkeit aus, Parallelen zu den Rechtssachen Candolin u. a. und Farrell zu ziehen, auf die das vorlegende Gericht auch verweist, um sein Ersuchen um Vorabentscheidung zu begründen. Denn im Gegensatz zu dem Fall, der den Urteilen in jenen Rechtssachen zugrunde lag, ist im Ausgangsfall der Anspruch von Herrn Marques Almeida als Unfallopfer auf Entschädigung nicht wegen einer Begrenzung der Haftpflichtdeckung durch versicherungsrechtliche Vorschriften beeinträchtigt.

69.

Im Gegensatz zu den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen in den Rechtssachen Candolin u. a. und Farrell haben die in Rede stehenden portugiesischen Rechtsvorschriften nicht zur Folge, dass in dem Fall, in dem der Geschädigte zu seinem eigenen Schaden beiträgt, sein Anspruch auf eine Entschädigung durch die obligatorische Haftpflichtversicherung des Fahrers des an dem Unfall beteiligten Fahrzeugs von vornherein ausgeschlossen oder unverhältnismäßig begrenzt würde. Diese Rechtsvorschriften berühren nicht die vom Unionsrecht vorgesehene Gewähr, dass die nach dem anwendbaren nationalen Recht vorgesehene Haftpflicht durch eine mit den Kraftfahrzeugrichtlinien vereinbare Versicherung gedeckt sein muss.

70.

Da die vorliegende Rechtssache in Bezug auf die rechtliche Problematik deutliche Parallelen zu den Rechtssachen Carvalho Ferreira Santos sowie Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio aufweist, drängt sich eine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf. Folgerichtig sollte der Gerichtshof auch feststellen, dass die Kraftfahrzeugrichtlinien einer nationalen Regelung über die Haftpflicht nicht entgegenstehen, nach der im Fall eines Zusammenstoßes zweier Fahrzeuge, der von keinem der Fahrer verschuldet wurde, der Entschädigungsanspruch des verletzten Insassen eines der Fahrzeuge versagt oder begrenzt wird, weil dieser zur Entstehung seiner Schäden beigetragen hat.

D – Keine Notwendigkeit einer Änderung der Rechtsprechung

71.

Die vorstehende Untersuchung hat ergeben, dass die Richtlinien zur Harmonisierung der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ihren gesetzgeberischen Zweck, sicherzustellen, dass die Haftpflicht für Fahrzeuge durch eine Versicherung gedeckt ist, erfüllen. Sie haben jedoch keinen Einfluss auf den Umfang der Haftpflicht, da sie nicht auf eine Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften zur Haftpflicht abzielen. Vor diesem Hintergrund müssen die im Einzelnen voneinander abweichenden Antworten, die die Zivilrechtsordnungen der Mitgliedstaaten ( 66 ) in Bezug auf die Höhe von Schadensersatzansprüchen von Unfallopfern wie Herrn Marques Almeida geben, beim jetzigen Entwicklungsstand des Unionsrechts hingenommen werden. Eine Angleichung dieser Rechtsvorschriften mittelbar im Wege einer extensiven Auslegung der Richtlinien erscheint nicht möglich, ohne dabei in die Kompetenzen des Unionsgesetzgebers einzugreifen, der bislang bewusst auf eine solche Harmonisierung verzichtet hat. Ein solches Vorgehen wäre, sofern eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften zur Haftpflicht als notwendig erachtet werden sollte, auch nicht wünschenswert, zumal an einer mit Bedacht durchgeführten Rechtsangleichung des Zivilrechts ( 67 ) durch den Unionsgesetzgeber selbst – wie einige aktuelle Beispiele zeigen ( 68 ) – kein Weg vorbeiführt.

VII – Ergebnis

72.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Tribunal da Relação de Guimarães gestellte Frage wie folgt zu antworten:

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sowie Art. 1 der Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sind dahin gehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung über die Haftpflicht nicht entgegenstehen, nach der im Fall eines Zusammenstoßes zweier Fahrzeuge, der von keinem der Fahrer verschuldet wurde, der Entschädigungsanspruch des verletzten Insassen eines der Fahrzeuge versagt oder begrenzt wird, weil er zur Entstehung seiner Schäden beigetragen hat.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Platon (altgriechisch: Πλάτων; etwa 427/428 bis 347/348 v. Chr.) schrieb seine Gedanken zur Wiedergutmachung in seinem Werk „Νόμοι“ (Gesetze) nieder.

( 3 ) Antiphon von Rhamnus (altgriechisch: Άντιφών, etwa 480 bis 411 v. Chr.) hinterließ zahlreiche Verteidigungsreden, die für gerichtliche Prozesse bestimmt waren. Außerdem sind drei sogenannte Tetralogien überliefert, d. h. knapp abgefasste Musterbearbeitungen fiktiver Rechtsfälle in jeweils zwei Anklage- und Verteidigungsreden. Darin wird auch der Aspekt des Eigenverschuldens des Geschädigten thematisiert.

( 4 ) Vgl. dazu Barta, H., „Die Entstehung der Rechtskategorie ‚Zufall‘ – Zur Entwicklung des haftungsrechtlichen Zurechnungsinstrumentariums im antiken Griechenland und dessen Bedeutung für die europäische Rechtsentwicklung“, Lebend(ig)e Rechtsgeschichte (hrsg. von Heinz Barta/Theo Mayer-Maly/Fritz Raber), und Platon, Werke – Übersetzung und Kommentar (hrsg. von Ernst Heitsch/Carl Werner Müller/Kurt Sier), Göttingen 2011.

( 5 ) Erste Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1, im Folgenden: Erste Richtlinie).

( 6 ) Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 8, S. 17, im Folgenden: Zweite Richtlinie).

( 7 ) Dritte Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. L 129, S. 33, im Folgenden: Dritte Richtlinie).

( 8 ) Aus einer von der Kommission in Auftrag gegebenen Studie geht hervor, dass nach Geschwindigkeitsübertretung und Alkohol am Steuer das Fahren ohne Sicherheitsgurt die häufigste Todesursache bei Verkehrsunfällen ist. Sie kommt zu dem Schluss, dass Maßnahmen zur Erhöhung der Anlegepflicht in der Europäischen Union bis zu 7300 Menschenleben jährlich retten könnten (Commission Staff Working Document – Respecting the rules, better road safety enforcement in the European Union, KOM[2008] 151). In ihrem Weißbuch vom 12. September 2001 über die europäische Verkehrspolitik (KOM[2001] 370 endg.) hatte die Kommission vorgeschlagen, dass sich die Europäische Union das Ziel setzen sollte, die Zahl der Verkehrstoten bis 2010 um die Hälfte zu verringern. Im Rahmen dieses Aktionsprogramms wurden mehrere gesetzgeberische Vorhaben auf den Weg gebracht. Dazu gehören Richtlinien zur Ausstattung von Fahrzeugen mit Sicherheitsgurten sowie zur Erweiterung der Anlegepflicht auf alle Fahrzeugkategorien sowie auf alle darin eingebauten Sitze. Die Gurtpflicht wurde ursprünglich mit der Richtlinie 91/671/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 (ABl. L 373, S. 26), geändert durch die Richtlinie 2003/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. April 2003 (ABl. L 115, S. 63), eingeführt. Zunächst galt sie nur für mit Rückhaltesystemen ausgestattete Kraftfahrzeuge von weniger als 3,5 Tonnen und sah für bestimmte andere Fahrzeuge (Personenkraftwagen, leichte Nutzfahrzeuge) keine Anschnallpflicht auf den Rücksitzen vor. Seit 2006 ist das Anlegen des Sicherheitsgurts in allen Kraftfahrzeugen Pflicht.

( 9 ) Urteil vom 17. März 2011 (C-484/09, Slg. 2011, I-1821).

( 10 ) Urteil vom 9. Juni 2011 (C-409/09, Slg. 2011, I-4955).

( 11 ) Vgl. zur Geschichte der Harmonisierung im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Nrn. 45 f. meiner Schlussanträge vom 7. Dezember 2010 in der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos (Urteil in Fn. 9 angeführt) sowie Reichert-Facilidades, F., „Europäisches Versicherungsvertragsrecht?“, Festschrift für Ulrich Drobnig zum siebzigsten Geburtstag (hrsg. von Jürgen Basedow/Klaus J. Hopt/Hein Kötz), Tübingen 1998, S. 127, und Lemor, U., Kommentar zur Kraftfahrtversicherung (hrsg. von Hans Feyock/Peter Jacobsen/Ulf Lemor), 3. Aufl., München 2009, 1. Teil, Randnr. 5.

( 12 ) ABl. L 263, S. 11.

( 13 ) Urteil vom 19. April 2007, Farrell (C-356/05, Slg. 2007, I-3067).

( 14 ) Ebd., Randnr. 35.

( 15 ) Oben in Fn. 9 angeführt.

( 16 ) Oben in Fn. 10 angeführt.

( 17 ) Urteil in Fn. 13 angeführt.

( 18 ) Urteil vom 30. Juni 2005 (C-537/03, Slg. 2005, I-5745).

( 19 ) Oben in Fn. 18 angeführt.

( 20 ) Oben in Fn. 10 angeführt.

( 21 ) Vgl. Caradonna, G., „Responsabilità civile da circolazione dei veicoli“, Giurisprudenza italiana – Recentissime dalle Corti europee, 2011, S. 761; Michel, V., „Assurance automobile obligatoire et responsabilité civile“, Europe, Mai 2011, Nr. 5, S. 44, und ders., „Indemnisation de la victime fautive“, Europe, August 2011, Nr. 8, S. 43, die darauf hinweisen, dass die Deckungspflicht für Schäden Dritter infolge von Verkehrsunfällen von der Verteilung der zivilrechtlichen Haftung unter den beteiligten Fahrzeugführern zu unterscheiden sei, wobei Letztere allein in die mitgliedstaatliche Regelungskompetenz falle. Vgl. zum sogenannten Trennungsprinzip im Verhältnis von Haftpflicht und Haftpflichtversicherung Baumann, H., „Zur Überwindung des Trennungsprinzips im System von Haftpflicht und Haftpflichtversicherung“, Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935 (hrsg. von Walther Hadding), Berlin 1999, S. 13, sowie Von Bar, C., „Das Trennungsprinzip und die Geschichte des Wandels der Haftpflichtversicherung“, Archiv für die civilistische Praxis, 1981, Nr. 181, S. 289, der sich dagegen ausspricht, Besonderheiten des Versicherungsrechts in das Haftungsrecht zu übertragen, was darauf hindeutet, dass im nationalen Recht eine deutliche Trennung zwischen beiden Rechtsmaterien besteht. Jansen, N., Die Struktur des Haftungsrechts, Tübingen 2003, S. 115, weist zwar auf die Akzessorietät des Direktanspruchs zum Haftungsanspruch hin, macht jedoch zugleich auf die Unterschiede aufmerksam, die das Haftungsrecht und das Versicherungsrecht auszeichnen. Während das Haftungsrecht dem Schadensausgleich diene, bezwecke das Versicherungsrecht eine Verteilung von Haftungslasten unter kollektiven Schadensträgern.

( 22 ) Urteil oben in Fn. 9 angeführt.

( 23 ) Vgl. Urteil Carvalho Ferreira Santos (oben in Fn. 9 angeführt, Randnrn. 11 bis 14).

( 24 ) Vgl. Nr. 73 meiner Schlussanträge.

( 25 ) Vgl. bereits Urteil vom 14. September 2000, Mendes Ferreira und Delgado Correia Ferreira (C-348/98, Slg. 2000, I-5711, Randnrn. 23 und 29). Vgl. ferner zur Auslegung der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie mit Wirkung für die EFTA/EWR-Staaten die (dem Homogenitätsgebot im EWR-Recht entsprechende) Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshofs, u. a. Urteile vom 14. Juni 2001, Helgadóttir (E-7/00, Randnr. 30), und vom 20. Juni 2008, Nguyen (E-8/07, Randnr. 24). Die Richtlinien sind gemäß Nrn. 8, 9 und 19 in Anhang IX zum EWR-Abkommen auch für die EFTA/EWR-Staaten anwendbar. Die Rechtsprechung auf dem Gebiet des Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsrechts im Europäischen Wirtschaftsraum ist durch den jahrelangen Austausch zwischen dem Gerichtshof der Europäischen Union und dem EFTA-Gerichtshof geprägt worden. Siehe zu den Wesensmerkmalen dieses einzigartigen gerichtlichen Dialogs Baudenbacher, C., „Some thoughts on the EFTA Court’s phases of life“, Judicial Protection in the European Economic Area, Stuttgart 2012, S. 11 f., und „The EFTA Court, the ECJ, and the Latter’s Advocates General – a Tale of Judicial Dialogue“, Continuity and Change in EU Law – Essays in Honour of Sir Francis Jacobs (hrsg. von Anthony Arnull/Takis Tridimas), Oxford 2008, S. 90 f.

( 26 ) Vgl. Nr. 59 meiner Schlussanträge.

( 27 ) Ebd., Nr. 60.

( 28 ) Urteil oben in Fn. 16 angeführt.

( 29 ) Urteil oben in Fn. 13 angeführt.

( 30 ) Schlussanträge in der Rechtssache Carvalho Ferreira Santos, Nrn. 50 bis 53, 61 und 70 f.

( 31 ) Ebd., Nrn. 61, 70. Vgl. Micha, M., Der Direktanspruch im europäischen Internationalen Privatrecht, Tübingen 2010, S. 72 f., die das Urteil Farrell ausschließlich aus dem Blickwinkel des Haftpflichtversicherungsrechts untersucht.

( 32 ) Ebd., Nr. 74.

( 33 ) Oben in Fn. 9 angeführt.

( 34 ) Ebd. (Randnr. 31).

( 35 ) Oben in Fn. 18 angeführt.

( 36 ) Oben in Fn. 13 angeführt.

( 37 ) Ebd., Randnr. 32.

( 38 ) Ebd., Randnr. 33.

( 39 ) Ebd., Randnr. 34.

( 40 ) Ebd., Randnr. 44.

( 41 ) Ebd., Randnr. 45.

( 42 ) Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 zur Änderung der Richtlinien 72/166/EWG, 84/5/EWG, 88/357/EWG und 90/232/EWG des Rates sowie der Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 149, S. 14).

( 43 ) Urteil Carvalho Ferreira Santos (oben in Fn. 9 angeführt, Randnr. 46).

( 44 ) Urteil Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio (oben in Fn. 10 angeführt, Randnr. 22).

( 45 ) Ebd., Randnr. 2.

( 46 ) Oben in Fn. 10 angeführt.

( 47 ) Ebd., Randnr. 25.

( 48 ) Ebd., Randnr. 26.

( 49 ) Ebd., Randnr. 31.

( 50 ) Ebd., Randnr. 32.

( 51 ) Ebd., Randnr. 33.

( 52 ) Ebd., Randnr. 34.

( 53 ) Vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 32), und vom 28. November 2000, Roquette Frères (C-88/99, Slg. 2000, I-10465, Randnrn. 18 und 19). Vgl. Lenaerts, K./Arts, D./Maselis, I., Procedural Law of the European Union, 2. Aufl., London 2006, S. 48 f., Randnr. 2-021.

( 54 ) Vgl. Urteil vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a. (C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Randnr. 114).

( 55 ) Vgl. Randnr. 35 der schriftlichen Erklärungen der portugiesischen Regierung.

( 56 ) Vgl. Randnr. 41 der schriftlichen Erklärungen der Kommission.

( 57 ) Siehe Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.

( 58 ) Siehe Nr. 49 der vorliegenden Schlussanträge.

( 59 ) Siehe Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge.

( 60 ) Vgl. Randnr. 4 der schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung.

( 61 ) Vgl. u. a. Urteile vom 19. März 1964, Unger (75/63, Slg. 1964, 379), und vom 18. Dezember 1997, Annibaldi (C-309/96, Slg. 1997, I-7493, Randnr. 13).

( 62 ) Vgl. Urteile vom 22. September 2011, Interflora Inc. (C-323/09, Slg. 2011, I-8625, Randnr. 46), und vom 19. April 2012, Wintersteiger (C-523/10, Randnrn. 26 und 28).

( 63 ) Vgl. Urteile vom 3. Februar 1977, Benedetti (52/76, Slg. 1977, 163, Randnr. 25), vom 21. September 1999, Kordel u. a. (C-397/96, Slg. 1999, I-5959, Randnr. 25), vom 17. Juli 2008, Corporación Dermoestética (C-500/06, Slg. 2008, I-5785, Randnr. 21), und vom 1. Dezember 2011, Churchill Insurance Company und Evans (C-442/10, Slg. 2011, I-12639, Randnr. 22).

( 64 ) Vgl. Randnr. 23 der schriftlichen Erklärungen von Herrn Marques Almeida.

( 65 ) Vgl. Randnrn. 47 bis 51 der schriftlichen Erklärungen der Kommission.

( 66 ) Die meisten Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland, Spanien, Estland, Frankreich, Italien, Lettland, Polen, Slowenien, Schweden) erkennen einen Schadensersatzanspruch des Unfallopfers an, auch wenn bei keinem der beteiligten Fahrer ein Verschulden nachzuweisen war. In der Regel beruht dies auf dem Gedanken der Gefährdungshaftung wegen des Führens eines Fahrzeugs im Straßenverkehr. Diese Rechtsordnungen sehen auch einen Direktanspruch des Betroffenen gegen die Versicherungsgesellschaft vor. In anderen Mitgliedstaaten besteht eine solche verschuldensunabhängige Haftung jedoch nicht. Vielmehr muss der Betroffene eine Verletzung einer Aufsichtspflicht seitens des Fahrers geltend machen (z. B. Irland und Niederlande). Was den Umfang des Schadensersatzanspruchs selbst betrifft, sehen einige Mitgliedstaaten (z. B. Polen und Slowenien) durchaus die Möglichkeit einer Kürzung oder gar eines Wegfalls dieses Anspruchs vor, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt des Unfalls nicht angeschnallt war. Andere Mitgliedstaaten (z. B. Frankreich und Schweden) erkennen in ihren Rechtsordnungen wiederum ein grundsätzliches Recht des Betroffenen auf eine vollständige Entschädigung an, wobei eine Abweichung von diesem Grundsatz nur in Sonderfällen in Frage kommt. Andere Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland, Spanien, Griechenland, Italien, Lettland) hingegen sehen zwar im Prinzip eine Kürzung bzw. einen Wegfall des Anspruchs vor, wenn der Betroffene seiner Pflicht zur Abwendung des Schadens nicht nachgekommen ist. Gleichwohl erfolgt Letzteres nicht automatisch, sondern hängt vielmehr davon ab, ob der Anspruchsgegner beweisen kann, dass der Betroffene seine Verletzungen nicht erlitten hätte, wenn er die Anschnallpflicht beachtet hätte.

( 67 ) Zu den Vorbildern für eine schrittweise Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Zivilrechts zählt der Gemeinsame Referenzrahmen („Common Frame of Reference“), der ebenfalls Regelungen zur außervertraglichen Haftung anbietet. Dieser enthält in VI – 1:101 („Basic Rule“) die Grundregel, wonach jeder, der durch die zurechenbare Handlung eines anderen einen Schaden erleidet, Anspruch auf Entschädigung hat. VI – 3:205 („Accountability for damage caused by motor vehicles“) sieht eine Haftung des Fahrzeughalters für den Schaden vor, der einer anderen Person infolge eines Straßenverkehrsunfalls zugefügt wird. Andererseits schreibt VI – 5:102 („Contributory fault and accountability“) in Abs. 1 die Kürzung des Entschädigungsanspruchs in dem Maße vor, wie der Geschädigte zu seinem eigenen Schaden beigetragen hat. Gemäß Abs. 2 Buchst. c scheidet diese Kürzung des Entschädigungsanspruchs allerdings aus, wenn der Schaden sich im Rahmen eines Straßenverkehrsunfalls ereignet hat, es sei denn, die Unachtsamkeit des Geschädigten war angesichts der Umstände des konkreten Falls grob fahrlässig. Diese Regelung zielt darauf ab, den Opfern von Verkehrsunfällen einen besonderen Schutz zu gewähren.

( 68 ) Eine partielle Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Zivilrechts ist vor allem im Bereich des Verbraucherschutzrechts zu beobachten. Dieses erfährt derzeit eine Reihe von legislativen Anpassungen, die vom Bemühen der Kommission um Konsolidierung sowie Modernisierung des erreichten Besitzstands zeugt. Nicht nur hat die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29) durch die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über Rechte der Verbraucher (ABl. L 304, S. 64), die auf dem Ansatz einer Vollharmonisierung nationaler Verbraucherschutzbestimmungen beruht, einige punktuelle Änderungen erfahren. Darüber hinaus hat die Kommission mit ihrem Vorschlag vom 11. Oktober 2011 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (KOM[2011] 635 endg.) ein legislatives Vorhaben auf den Weg gebracht, das es künftig ermöglichen wird, dieses Regelungswerk als Option auf grenzüberschreitende Kaufverträge anzuwenden, wenn die Vertragsparteien dies ausdrücklich vereinbaren.