Rechtssache C‑452/09

Tonina Enza Iaia u. a.

gegen

Ministero dell’Istruzione, dell’Università e della Ricerca u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen der Corte d’appello di Firenze)

„Richtlinie 82/76/EWG – Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr – Ärzte – Erwerb des Facharztdiploms – Vergütung während der Weiterbildungszeit – Fünfjährige Verjährung des Anspruchs auf Zahlung wiederkehrender Bezüge“

Leitsätze des Urteils

Unionsrecht – Dem Einzelnen verliehene Rechte – Verletzung durch einen Mitgliedstaat – Pflicht zum Ersatz des dem Einzelnen entstandenen Schadens – Entschädigungsmodalitäten


Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem nicht entgegensteht, dass sich ein Mitgliedstaat gegenüber der von einem Einzelnen zur Wahrung der Rechte aus einer Richtlinie erhobenen Klage auf den Ablauf einer angemessenen Verjährungsfrist beruft, obwohl er die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, sofern er nicht durch sein Verhalten die Verspätung der Klage verursacht hat. Die Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof ist für den Beginn der Verjährungsfrist unerheblich, da dieser Verstoß außer Zweifel steht. In einem solchen Fall ist nämlich die gerichtliche Feststellung dieses Verstoßes nicht erforderlich, um die Begünstigten in die Lage zu versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen. Dadurch, dass die Verjährungsfrist vor der gerichtlichen Feststellung des Verstoßes zu laufen beginnt, wird also der Schutz der aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert.

(vgl. Randnrn. 23-24 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

19. Mai 2011(*)

„Richtlinie 82/76/EWG – Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr – Ärzte – Erwerb des Facharztdiploms – Vergütung während der Weiterbildungszeit – Fünfjährige Verjährung des Anspruchs auf Zahlung wiederkehrender Bezüge“

In der Rechtssache C‑452/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Corte d’appello di Firenze (Italien) mit Entscheidung vom 6. Oktober 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 2009, in dem Verfahren

Tonina Enza Iaia,

Andrea Moggio,

Ugo Vassalle

gegen

Ministero dell’Istruzione, dell’Università e della Ricerca,

Ministero dell’Economia e delle Finanze,

Università degli studi di Pisa

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.‑J. Kasel, A. Borg Barthet, E. Levits und M. Safjan (Berichterstatter),

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Iaia sowie Herrn Moggio und Herrn Vassalle, vertreten durch F. Frati und A. Castagna, avvocati,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch W. Ferrante als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,

–        der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Cabouat als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Traversa und S. La Pergola als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffend die Wahrung der von einer nicht umgesetzten Richtlinie verliehenen Rechte.

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Iaia, Herrn Moggio und Herrn Vassalle (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) einerseits und dem Ministero dell’Istruzione, dell’Università e della Ricerca (Ministerium für Unterricht, Hochschule und Forschung), dem Ministero dell’Economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen) und der Università degli studi di Pisa (Universität Pisa) andererseits wegen der Zahlung einer „angemessenen Vergütung“, die nach der Richtlinie 82/76/EWG des Rates vom 26. Januar 1982 zur Änderung der Richtlinie 75/362/EWG für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr sowie der Richtlinie 75/363/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Arztes (ABl. L 43, S. 21) vorgesehen ist.

 Rechtlicher Rahmen und Vorgeschichte des Rechtsstreits

3        Die Richtlinie 82/76 legte mit einem Anhang über die „Merkmale der ärztlichen Weiterbildung auf Voll- und Teilzeitbasis für Fachärzte“ zur Ergänzung der Richtlinie 75/363/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Arztes (ABl. L 167, S. 14) fest, dass die Zeit der Facharztausbildung auf Vollzeit- und Teilzeitbasis in allen Mitgliedstaaten „angemessen vergütet“ werden muss.

4        Mit Urteil vom 7. Juli 1987, Kommission/Italien (49/86, Slg. 1987, 2995), stellte der Gerichtshof fest, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Gemeinschaftsverpflichtungen verstoßen hatte, dass sie die Richtlinie 82/76 nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist umgesetzt hatte.

5        Auf diese Verurteilung hin wurde die Richtlinie 82/76 durch das Decreto legislativo Nr. 257/91 vom 8. August 1991 umgesetzt. Dieses legt jedoch in Art. 8 Abs. 2 fest, dass seine Bestimmungen unter Ausschluss der in den Studienjahren 1983 bis 1991 eingeschriebenen Ärzte erst mit dem Studienjahr 1991/92 in Kraft treten.

6        Da die in der Richtlinie 82/76 vorgesehene Verpflichtung zur Gewährung einer angemessenen Vergütung im Jahr 1983 in Kraft zu treten hatte, löste der Erlass des Decreto zahlreiche Rechtsstreitigkeiten zwischen den in den Studienjahren 1983 bis 1991 zur Facharztausbildung zugelassenen Ärzten einerseits und dem italienischen Staat und einigen italienischen Universitäten andererseits aus.

7        Mit den Urteilen vom 25. Februar 1999, Carbonari u. a. (C‑131/97, Slg. 1999, I‑1103, Randnrn. 47 und 48), sowie vom 3. Oktober 2000, Gozza u. a. (C‑371/97, Slg. 2000, I‑7881, Randnrn. 36 und 37), hat der Gerichtshof entschieden, dass die Verpflichtung, für die Zeiten der Weiterbildung zum Facharzt eine angemessene Vergütung zu gewähren, als solche dem nationalen Gericht nicht die Feststellung erlaubt, wer Schuldner der angemessenen Vergütung sei und wie hoch diese sein muss. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, das mit der Anwendung des nationalen Rechts und insbesondere der Bestimmungen eines Gesetzes, die speziell zur Umsetzung der Richtlinie 82/76 eingeführt wurden, betraut ist, das nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks dieser Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen.

8        Falls das von der Richtlinie 82/76 vorgeschriebene Ergebnis nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung erreicht werden könne, sei die Italienische Republik verpflichtet, die dem Einzelnen durch die nicht fristgemäß erfolgte Umsetzung dieser Richtlinie entstandenen Schäden zu ersetzen. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die rückwirkende, vollständige Anwendung der Maßnahmen, die eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie 82/76 gewährleisteten, grundsätzlich ausreiche, um die Schadensfolgen dieser verspäteten Umsetzung zu beheben. Täten die Begünstigten jedoch dar, dass ihnen zusätzliche Einbußen dadurch entstanden seien, dass sie nicht rechtzeitig in den Genuss der durch die Richtlinie garantierten finanziellen Vergünstigungen hätten gelangen können, wären sie auch insoweit zu entschädigen (vgl. Urteile Carbonari u. a., Randnrn. 52 und 53, sowie Gozza u. a., Randnrn. 38 und 39).

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9        Mit Klageschrift vom 23. November 2001 erhoben die Kläger des Ausgangsverfahrens (Ärzte, die vor dem Studienjahr 1991/92 eine Facharztausbildung absolviert hatten) Klage gegen den italienischen Staat und die Universität Pisa auf Zahlung dessen, was ihnen nach der Richtlinie 82/76 zustehe, oder, hilfsweise, auf den Ersatz des Schadens, der ihnen dadurch entstanden sei, dass innerhalb der festgelegten Fristen keine ordnungsgemäße staatliche Umsetzung dieser Richtlinie erfolgt sei.

10      Das Tribunale di Firenze wies die Klage wegen Ablaufs der für die Zahlungsforderung in Art. 2948 Abs. 4 Codice civile und für die hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzforderung in Art. 2947 Codice civile vorgesehenen fünfjährigen Verjährungsfrist ab.

11      Das nationale Gericht vertrat die Ansicht, dass diese Frist an dem Tag in Lauf gesetzt worden sei, an dem der Anspruch habe geltend gemacht werden können, d. h. mit dem Inkrafttreten des Decreto legislativo Nr. 257/91, also 15 Tage nach seiner am 16. August 1991 erfolgten Veröffentlichung. Ab diesem Zeitpunkt hätten die Kläger des Ausgangsverfahrens wissen können, wer zur Zahlung der angemessenen Vergütung verpflichtet sei und wie hoch diese sein müsse, und hätten die Unvereinbarkeit dieses Decreto mit dem Gemeinschaftsrecht in Bezug auf die in den Jahren 1983 bis 1991 für die Facharztausbildung eingeschriebene Ärzte geltend machen können.

12      Die Kläger des Ausgangsverfahrens legten gegen diese Entscheidung Berufung ein und beriefen sich dabei auf die Entscheidung in der Rechtssache, in der das Urteil vom 25. Juli 1991, Emmott (C‑208/90, Slg. 1991, I‑4269), ergangen ist. Die Corte d’appello di Firenze ist jedoch der Ansicht, dass die spätere Rechtsprechung den Anwendungsbereich dieser Entscheidung auf Fälle beschränkt habe, in denen die nationalen Klagefristen dazu führten, dass dem Kläger jede Möglichkeit genommen werde, seine aus der Richtlinie 82/76 abgeleiteten Rechte vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.

13      Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Tragweite dieser Beschränkung, da es a priori die normale Folge des Ablaufs von Verjährungsfristen sei, die Geltendmachung eines Anspruchs unmöglich zu machen, und fragt sich, ob darin eine echte Kehrtwende zu sehen sei, die das Verbot der Verjährungseinwendung aufgehoben habe, oder ob diese Beschränkung nur Ausschlussfristen betreffe, die die Geltendmachung des Anspruchs auch für die Zukunft endgültig verhinderten.

14      Da in zweiter Instanz auch die in Art. 2946 Codice Civile festgelegte ordentliche zehnjährige Verjährungsfrist für nicht schuldhafte Rechtsverletzungen in Betracht gekommen war, hat die Corte d’appello di Firenze, nachdem sie ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass das Erfordernis der Gleichwertigkeit der Verjährungsfristen mit den in der italienischen Rechtsordnung für ähnliche, auf innerstaatliches Recht gestützte Forderungen allgemein vorgesehenen Verjährungsfristen im vorliegenden Fall erfüllt sei, entschieden, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, dass der italienische Staat nach italienischem Recht gegen einen aus der Richtlinie 82/76/EWG abgeleiteten Anspruch für den Zeitraum vor dem ersten italienischen Umsetzungsgesetz einwenden kann, dieser sei wegen Ablaufs der fünfjährigen oder der ordentlichen zehnjährigen Verjährungsfrist erloschen, ohne dass dadurch die Geltendmachung dieses Anspruchs, der Lohn-/Gehalts- bzw. Unterhaltscharakter hat, oder, hilfsweise, die Erhebung einer Schadensersatz- bzw. Entschädigungsklage endgültig verhindert würde?

2.      Ist umgekehrt nach dem Gemeinschaftsrecht die Erhebung jeglichen Verjährungseinwands ausgeschlossen, weil er die Geltendmachung des genannten Anspruchs endgültig verhindert?

3.      Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, dass die Erhebung jeglichen Verjährungseinwands bis zur Feststellung eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof (im vorliegenden Fall bis 1999) ausgeschlossen ist?

4.      Ist es mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, dass, wie der Gerichtshof im Urteil Emmott entschieden hat, die Erhebung jeglichen Verjährungseinwands jedenfalls bis zur korrekten und vollständigen Umsetzung der den Anspruch begründenden Richtlinie in das nationale Recht (die im vorliegenden Fall nie erfolgte) ausgeschlossen ist?

 Zu den Vorlagefragen

15      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Mitgliedstaat nach dem Unionsrecht gegen die Ausübung des aus einer Richtlinie abgeleiteten Rechts oder die Geltendmachung des Anspruchs auf Schadensersatz wegen fehlender ordnungs- und fristgemäßer Umsetzung dieser Richtlinie eine Einrede der Verjährung erheben kann und ob dies gegebenenfalls erst nach Feststellung des Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof möglich ist.

16      Nach ständiger Rechtsprechung ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, zu bestimmen, wobei diese Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sein dürfen als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Grundsatz der Äquivalenz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Grundsatz der Effektivität) (vgl. Urteile vom 17. Juli 1997, Texaco und Olieselskabet Danmark, C‑114/95 und C‑115/95, Slg. 1997, I‑4263, Randnr. 41, vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer, C‑62/00, Slg. 2002, I‑6325, Randnr. 34, und vom 24. März 2009, Danske Slagterier, C‑445/06, Slg. 2009, I‑2119, Randnr. 31).

17      Zum Effektivitätsgrundsatz hat der Gerichtshof entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im Interesse der Rechtssicherheit, die zugleich den Abgabepflichtigen und die Behörde schützt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Solche Fristen sind nämlich nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, auch wenn ihr Ablauf per definitionem die vollständige oder teilweise Abweisung der erhobenen Klage zur Folge hat (vgl. Urteile vom 17. Juli 1997, Haahr Petroleum, C‑90/94, Slg. 1997, I‑4085, Randnr. 48, vom 2. Dezember 1997, Fantask u. a., C‑188/95, Slg. 1997, I‑6783, Randnr. 48, vom 15. September 1998, Edis, C‑231/96, Slg. 1998, I‑4951, Randnr. 35, und Marks & Spencer, Randnr. 35).

18      Hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist hatte der Gerichtshof zwar für Recht erkannt, dass sich der säumige Mitgliedstaat bis zum Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie nicht auf die Verspätung einer Klage berufen kann, die ein Einzelner zum Schutz der ihm durch diese Richtlinie verliehenen Rechte gegen ihn erhoben hat, da eine Klagefrist des nationalen Rechts erst zu diesem Zeitpunkt beginnen kann (Urteil Emmott, Randnr. 23).

19      Gleichwohl hat der Gerichtshof in der Folge zugelassen, dass der säumige Mitgliedstaat gegen Klagen Ausschlussfristen einwenden kann, auch wenn er im Zeitpunkt der Erhebung der Klagen die betreffende Richtlinie noch nicht ordnungsgemäß umgesetzt hatte, und entschieden, dass die Entscheidung in der Rechtssache Emmott durch die besonderen Umstände jenes Falles gerechtfertigt war, in dem die Ausschlusswirkung dazu geführt hatte, dass der Klägerin des Ausgangsverfahrens jegliche Möglichkeit genommen wurde, ihren auf eine Richtlinie gestützten Anspruch geltend zu machen (vgl. Urteile vom 27. Oktober 1993, Steenhorst-Neerings, C‑338/91, Slg. 1993, I‑5475, vom 6. Dezember 1994, Johnson, C‑410/92, Slg. 1994, I‑5483; Fantask u. a., Randnrn. 50 bis 52, vom 17. Juni 2004, Recheio – Cash & Carry, C‑30/02, Slg. 2004, I‑6051, und Danske Slagterier, Randnrn. 53 bis 56).

20      In der Rechtssache Emmott hatte nämlich die Vorgehensweise der nationalen Behörden die Klägerin des Ausgangsverfahrens daran gehindert, die von der betreffenden Richtlinie zuerkannten Rechte einzuklagen (Randnrn. 10 bis 14; vgl. in diesem Sinne auch Urteile Steenhorst-Neerings, Randnr. 20, und Johnson, Randnr. 27).

21      Folglich verwehrt es das Unionsrecht einer nationalen Behörde nur dann, sich auf den Ablauf einer angemessenen Verjährungsfrist zu berufen, wenn sie durch ihr Verhalten die Verspätung der Klage verursacht und so dem Kläger des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit genommen hat, seine Rechte aus einer Unionsrichtlinie vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile Edis, Randnr. 48, und vom 17. November 1998, Aprile, C‑228/96, Slg. 1998, I‑7141, Randnr. 43; vgl. auch entsprechend Urteile vom 27. Februar 2003, Santex, C‑327/00, Slg. 2003, I‑1877, Randnrn. 57 bis 61, und vom 15. April 2010, Barth, C‑542/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnrn. 33 bis 36).

22      Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine etwaige Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof für den Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich unerheblich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Edis, Randnr. 20, Recheio – Cash & Carry, Randnr. 23, und Danske Slagterier, Randnrn. 36 bis 39).

23      Dies gilt umso mehr, wenn der Unionsrechtsverstoß wie in der Ausgangsrechtssache außer Zweifel stand. In einem solchen Fall ist nämlich die gerichtliche Feststellung dieses Verstoßes nicht erforderlich, um die Begünstigten in die Lage zu versetzen, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen. Dadurch, dass die Verjährungsfrist vor der gerichtlichen Feststellung des Verstoßes zu laufen beginnt, wird also der Schutz der aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte nicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert.

24      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass das Unionsrecht dem nicht entgegensteht, dass sich ein Mitgliedstaat gegenüber der von einem Einzelnen zur Wahrung der Rechte aus einer Richtlinie erhobenen Klage auf den Ablauf einer angemessenen Verjährungsfrist beruft, obwohl er die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, sofern er nicht durch sein Verhalten die Verspätung der Klage verursacht hat. Die Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof ist für den Beginn der Verjährungsfrist unerheblich, wenn dieser Verstoß außer Zweifel steht.

 Kosten

25      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem nicht entgegensteht, dass sich ein Mitgliedstaat gegenüber der von einem Einzelnen zur Wahrung der Rechte aus einer Richtlinie erhobenen Klage auf den Ablauf einer angemessenen Verjährungsfrist beruft, obwohl er die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, sofern er nicht durch sein Verhalten die Verspätung der Klage verursacht hat. Die Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof ist für den Beginn der Verjährungsfrist unerheblich, wenn dieser Verstoß außer Zweifel steht.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.