Rechtssache C‑379/09
Maurits Casteels
gegen
British Airways plc
(Vorabentscheidungsersuchen des Arbeidshof te Brussel)
„Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art. 45 AEUV und 48 AEUV – Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Wahrung der Ansprüche auf eine Zusatzrente – Untätigkeit des Rates – Arbeitnehmer, der von demselben Arbeitgeber aufeinanderfolgend in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt wurde“
Leitsätze des Urteils
1. Soziale Sicherheit der Wandererwerbstätigen – Bestimmungen des Vertrags – Art. 48 AEUV – Keine unmittelbare Wirkung
(Art. 48 AEUV)
2. Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Gleichbehandlung – Zusatzrente – Tarifvertraglich geregelte Anspruchsvoraussetzungen
(Art. 45 AEUV)
1. Art. 48 AEUV hat keine unmittelbare Wirkung, auf die sich ein Einzelner gegenüber einem Arbeitgeber aus dem Privatsektor vor den nationalen Gerichten berufen kann.
(vgl. Randnr. 16, Tenor 1)
2. Art. 45 AEUV steht im Rahmen der zwingenden Anwendung eines Tarifvertrags dem entgegen,
– dass bei der Bestimmung des Zeitraums für den Erwerb von endgültigen Ansprüchen auf eine Zusatzrente in einem Mitgliedstaat die Dienstjahre nicht berücksichtigt werden, die der betroffene Arbeitnehmer für denselben Arbeitgeber in dessen Betriebsniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen desselben übergreifenden Arbeitsvertrags abgeleistet hat,
– dass ein Arbeitnehmer, der von einer in einem Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte seines Arbeitgebers in eine Betriebsstätte desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat versetzt wurde, als ein Arbeitnehmer angesehen wird, der diesen Arbeitgeber freiwillig verlassen hat.
(vgl. Randnr. 36, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
10. März 2011(*)
„Freizügigkeit der Arbeitnehmer – Art. 45 AEUV und 48 AEUV – Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Wahrung der Ansprüche auf eine Zusatzrente – Untätigkeit des Rates – Arbeitnehmer, der von demselben Arbeitgeber aufeinanderfolgend in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt wurde“
In der Rechtssache C‑379/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Arbeidshof te Brussel (Belgien) mit Entscheidung vom 15. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2009, in dem Verfahren
Maurits Casteels
gegen
British Airways plc
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Herrn Casteels, vertreten durch M. Van Asch, advocaat,
– der British Airways plc, vertreten durch C. Willems, S. Fiorelli und M. Caproni, advocaten,
– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der Hellenischen Republik, vertreten durch E.-M. Mamouna, M. Michelogiannaki und S. Spyropoulos als Bevollmächtigte,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. November 2010
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 45 AEUV und 48 AEUV.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Casteels, einem belgischen Staatsbürger, und der Zweigniederlassung der British Airways plc (im Folgenden: BA), einer Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Brüssel (Belgien), über Ansprüche des Betroffenen auf eine Zusatzrente.
Rechtlicher Rahmen
3 § 1 Abs. 1 Satz 1 des deutschen Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3610, im Folgenden: BetrAVG) bestimmt:
„Ein Arbeitnehmer, dem Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses (betriebliche Altersversorgung) zugesagt worden sind, behält seine Anwartschaft, wenn sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet, sofern in diesem Zeitpunkt der Arbeitnehmer mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und
– entweder die Versorgungszusage für ihn mindestens 10 Jahre bestanden hat
– oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens 12 Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage für ihn mindestens drei Jahre bestanden hat.“
4 § 17 Abs. 3 BetrAVG lautet:
„Von den §§ 2 bis 5, 16, 27 und 28 kann in Tarifverträgen abgewichen werden. Die abweichenden Bestimmungen haben zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung, wenn zwischen diesen die Anwendbarkeit der einschlägigen tariflichen Regelung vereinbart ist. Im Übrigen kann von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.“
5 Der zwischen der Düsseldorfer Betriebsniederlassung von BA und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr geschlossene Versorgungs-Tarifvertrag Nr. 3 (im Folgenden: Tarifvertrag) in der am 1. Januar 1988 geltenden Fassung sah in seinem § 7 Folgendes vor:
„(1) Arbeitnehmer, die nach dem 31. Dezember 1977 in die Dienste der BA getreten sind, erhalten beim Ausscheiden vor Vollendung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen die eigenen Beiträge unverzinst zurück.
(2) Für Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1978 in die Dienste von BA eingetreten sind, gelten die folgenden Regelungen:
a) Arbeitnehmer mit unverfallbaren Ansprüchen können bei Ausscheiden aus der Firma vor Erreichen der Altersgrenze die Auszahlung des Wertes des durch eigene Beiträge sichergestellten Versorgungsanspruchs verlangen.
b) Arbeitnehmer, die vor Ablauf von fünf Dienstjahren auf eigenen Wunsch aus den Diensten von BA ausscheiden, haben nur Anspruch auf Leistungen, die durch eigene Beiträge sichergestellt sind.
Arbeitnehmer, die nach Ablauf von 5 Dienstjahren, aber vor Vollendung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen, auf eigenen Wunsch oder aus irgendeinem anderen Grund aus den Diensten von BA ausscheiden, haben auch Anspruch auf die Versorgungsleistungen, die bis zu diesem Zeitpunkt durch die Beiträge der BA sichergestellt sind. …
...“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
6 Herr Casteels hat seit dem 1. Juli 1974 ununterbrochen für BA gearbeitet. Im Laufe seines Berufslebens war er in verschiedenen Mitgliedstaaten – im Königreich Belgien, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik – durchgehend für diese Gesellschaft tätig. Er war mit BA durch einen übergreifenden Arbeitsvertrag verbunden, der entsprechend der Betriebsniederlassung, bei der er tätig war, wiederholt geändert wurde.
7 So arbeitete er bis zum 14. November 1988 in Belgien und anschließend vom 15. November 1988 bis 1. Oktober 1991 am Sitz von BA in Düsseldorf. Vom 1. Oktober 1991 bis 1. April 1996 war er für BA in Frankreich tätig und danach wieder in Belgien beschäftigt.
8 Der Arbeitsvertrag von Herrn Casteels mit Datum vom 10. März 1988 sah seinen Anschluss an das am Ort der Beschäftigung geltende Zusatzrentensystem vor.
9 Bei einem Wechsel von Herrn Casteels von Brüssel nach Düsseldorf vereinbarten die betreffenden Parteien, dass sein Arbeitsverhältnis den Bedingungen für deutsche Beschäftigte unterliegen sollte, die am 1. Juli 1974 in die Dienste von BA getreten waren. Für die Zugehörigkeit von Herrn Casteels zum BA-Pensionssystem in Deutschland bei der Gruppenversicherungskasse Victoria Lebensversicherung AG war jedoch eine Ausnahme vorgesehen. Diese Zugehörigkeit begann erst mit der Aufnahme seiner Tätigkeit in der BA‑Betriebsniederlassung Düsseldorf.
10 Im Ausgangsverfahren verweigert BA Herrn Casteels die Gewährung der betrieblichen Zusatzrente für die in Deutschland zurückgelegte Beschäftigungszeit mit der Begründung, dass er 1991 die Betriebsniederlassung Düsseldorf freiwillig verlassen habe, ohne die erforderliche Mindestbeschäftigungsdauer im Sinne von § 7 des Tarifvertrags für den Erwerb eines endgültigen Anspruchs auf eine Zusatzrente im Rahmen der an der genannten Betriebsstätte geltenden Regelung erreicht zu haben.
11 Nach Ansicht des Arbeidshof te Brussel konnte Herr Casteels nach der in dem fraglichen Zeitraum geltenden deutschen Regelung nur einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihm eingezahlten Beiträge, unter Ausschluss der von seinem Arbeitgeber geleisteten Beiträge, geltend machen. Somit werde Herr Casteels in Bezug auf seinen Anspruch auf eine Zusatzrente aufgrund der Tatsache, dass er für denselben Arbeitgeber in mehreren Mitgliedstaaten gearbeitet habe, schlechter behandelt, als wenn er für diesen immer in Belgien tätig gewesen wäre.
12 Das vorlegende Gericht hat beschlossen, das Verfahren vor einer Entscheidung über die Klage von Herrn Casteels auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Kann sich eine Privatperson in einem Rechtsstreit gegen ihren Arbeitgeber aus dem Privatsektor vor nationalen Gerichten auf Art. 42 EG berufen, ohne dass der Rat der Europäischen Union tätig geworden ist?
2. Stehen die Art. 39 EG – vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 98/49/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Wahrung ergänzender Rentenansprüche von Arbeitnehmern und Selbständigen, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 209, S. 46) – und 42 EG jeweils allein oder zusammengenommen dem entgegen, dass
im Fall eines Arbeitnehmers, der im Dienst derselben juristischen Person als Arbeitgeber steht und nicht abgeordnet wurde, aufeinanderfolgend in verschiedenen Betriebsniederlassungen dieses Arbeitgebers in verschiedenen Mitgliedstaaten beschäftigt und jeweils den für diese Betriebsniederlassung geltenden Bestimmungen für eine Zusatzrente unterworfen wird,
– bei der Bestimmung eines Zeitraums für den Erwerb von endgültigen Ansprüchen auf eine Zusatzrente (auf der Grundlage der Beiträge des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers) in einem bestimmten Mitgliedstaat weder die schon für denselben Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat abgeleisteten Dienstjahre noch sein Anschluss an ein Zusatzrentensystem dort berücksichtigt werden und
– die Versetzung eines Arbeitnehmers mit dessen Zustimmung zu einer Betriebsniederlassung desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat mit dem in der Rentenordnung vorgesehenen Fall des freiwilligen Verlassens der Betriebsniederlassung gleichgesetzt wird, wodurch die Ansprüche auf Zusatzrente auf die eigenen Beiträge des Arbeitnehmers beschränkt werden,
wenn diese Situation die nachteilige Folge hat, dass der Arbeitnehmer Ansprüche auf eine Zusatzrente für seine Beschäftigung in diesem Mitgliedstaat verliert, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn er nur in einem Mitgliedstaat für seinen Arbeitgeber gearbeitet hätte und weiter Mitglied des Zusatzrentensystems dieses Mitgliedstaats geblieben wäre?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
13 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 48 AEUV in dem Sinne unmittelbare Wirkung hat, dass sich ein Einzelner gegenüber einem Arbeitgeber aus dem Privatsektor vor nationalen Gerichten auf diese Vorschrift berufen kann.
14 Dazu ist festzustellen, dass Art. 48 AEUV keinen unmittelbar geltenden Rechtssatz aufstellen will. Er stellt eine Rechtsgrundlage dar, die es dem Europäischen Parlament und dem Rat erlaubt, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu beschließen.
15 Diese Vorschrift erfordert also ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers, und ihre Wirkungen hängen deshalb vom Erlass eines weiteren Aktes der genannten Unionsorgane ab. Sie verleiht daher als solche einem Einzelnen keine Rechte, die er vor nationalen Gerichten geltend machen könnte.
16 Demzufolge ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 48 AEUV keine unmittelbare Wirkung hat, auf die sich ein Einzelner gegenüber einem Arbeitgeber aus dem Privatsektor vor den nationalen Gerichten berufen kann.
Zur zweiten Frage
17 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass bei der Bestimmung des Zeitraums für den Erwerb von endgültigen Ansprüchen auf eine Zusatzrente in einem Mitgliedstaat die Dienstjahre nicht berücksichtigt werden, die der betroffene Arbeitnehmer für denselben Arbeitgeber in dessen Betriebsniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen desselben übergreifenden Arbeitsvertrags abgeleistet hat.
18 Außerdem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Versetzung eines Arbeitnehmers mit dessen Zustimmung in eine andere Betriebsniederlassung desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat als ein freiwilliges Verlassen dieses Arbeitnehmers im Sinne der Bestimmungen des in Rede stehenden Zusatzrentensystems anzusehen ist.
19 Zunächst ist festzustellen, dass sich Art. 45 AEUV nicht nur auf behördliche Maßnahmen erstreckt, sondern auch auf Vorschriften anderer Art, die zur kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit dienen (vgl. Urteil vom 16. März 2010, Olympique Lyonnais, C‑325/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
20 Daraus folgt, dass Art. 45 AEUV auf eine Situation wie im Ausgangsverfahren anwendbar ist, in der es einen Tarifvertrag gibt, in dem die Ansprüche von Herrn Casteels gegenüber BA auf eine Zusatzrente geregelt sind.
21 Ferner sollen nach ständiger Rechtsprechung sämtliche Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit den Unionsangehörigen die Ausübung beruflicher Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Union erleichtern und Maßnahmen entgegenstehen, die die Unionsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie eine Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausüben wollen (vgl. Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, Slg. 2008, I‑1683, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Olympique Lyonnais, Randnr. 33).
22 Folglich steht Art. 45 AEUV jeder Maßnahme entgegen, die, auch wenn sie ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gilt, geeignet ist, die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. Urteil Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Im Ausgangsverfahren gelten die Vorschriften des Tarifvertrags, insbesondere dessen § 7, zwar unterschiedslos für alle in Deutschland in den BA-Betriebsstätten tätigen Arbeitnehmer und unterscheiden nicht nach der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer, doch hat der genannte Tarifvertrag zur Folge, dass Arbeitnehmer in der Situation von Herrn Casteels, die ihr Recht auf Freizügigkeit in der Union ausgeübt haben, gegenüber Arbeitnehmern von BA, die dieses Recht nicht ausgeübt haben, benachteiligt werden.
24 Der Tarifvertrag ist nämlich, wie die Generalanwältin in Nr. 50 ihrer Schlussanträge bemerkt, auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt.
25 Daraus folgt zum einen, dass Arbeitnehmern von BA, die, wie Herr Casteels, von einer BA-Betriebsstätte in einem anderen Mitgliedstaat zu der Betriebsstätte desselben Arbeitgebers in Düsseldorf gewechselt haben, bei der Prüfung, ob sie nach der in Deutschland geltenden Regelung die erforderliche Mindestbeschäftigungsdauer für den Erwerb eines endgültigen Anspruchs auf eine Zusatzrente aufzuweisen haben, die an der erstgenannten Betriebsstätte zurückgelegte Arbeitszeit nicht als Dienstzeit angerechnet wird.
26 Demgegenüber können Arbeitnehmer, die bei BA in der Betriebsstätte Düsseldorf eine ebenso lange Betriebszugehörigkeit wie Herr Casteels aufzuweisen haben, von ihrem Recht auf Freizügigkeit jedoch keinen Gebrauch gemacht haben, bei der Prüfung, ob sie gemäß den Bestimmungen des Tarifvertrags die erforderliche Beschäftigungsdauer aufzuweisen haben, um einen endgültigen Anspruch auf eine betriebliche Zusatzrente nach der an der genannten Betriebsstätte geltenden Regelung zu haben, eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit geltend machen. Diese Arbeitnehmer profitieren beim Erwerb ihrer Ansprüche auf eine Zusatzrente von einer Kontinuität, während die Zeit, in der Herr Casteels Ansprüche nach der in dieser Betriebsstätte geltenden Regelung erworben hat, für die nach § 7 des Tarifvertrags vorgesehene Mindestzeit nicht ausreichen konnte, weil seine Betriebszugehörigkeit bei BA insofern unterbrochen wurde, als sie sich aus Betriebszugehörigkeitszeiten zusammensetzt, die in Betriebsstätten desselben Arbeitgebers zurückgelegt wurden, die sich in anderen Mitgliedstaaten befinden.
27 Zum anderen gelten Arbeitnehmer von BA, die mit ihrer Zustimmung von der BA-Betriebsstätte Düsseldorf in eine in einem anderen Mitgliedstaat befindliche andere Betriebsstätte desselben Arbeitgebers versetzt werden, als im Sinne des Tarifvertrags von BA ausgeschieden, so dass sie, wenn sie vor Ablauf einer Beschäftigungszeit von fünf Jahren versetzt werden, nach § 7 Abs. 2 Buchst. b des Tarifvertrags nur Anspruch auf Leistungen haben, die durch eigene Beiträge sichergestellt sind.
28 Demgegenüber gilt jedoch ein Arbeitnehmer von BA, der, wie die Generalanwältin in Nr. 51 ihrer Schlussanträge bemerkt, einer Versetzung von der Betriebsstätte Düsseldorf in eine andere BA-Betriebsstätte in Deutschland zustimmt, nicht als im Sinne des Tarifvertrags bei BA ausgeschieden und fällt demzufolge nicht unter § 7 Abs. 2 Buchst. b des Tarifvertrags.
29 Dadurch, dass der Tarifvertrag keine Berücksichtigung von Dienstjahren vorsieht, die ein Arbeitnehmer von BA in einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte desselben Arbeitgebers zurückgelegt hat, und dass er die Versetzung eines Arbeitnehmers von BA, mit dessen Zustimmung, in eine in einem anderen Mitgliedstaat befindliche andere Betriebsstätte dieses Arbeitgebers einem freiwilligen Verlassen von BA gleichsetzt, benachteiligt er also Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, insofern, als sie finanzielle Verluste und eine Schmälerung ihrer Ansprüche auf eine Zusatzrente erleiden. Die Aussicht auf eine derartige Benachteiligung kann Arbeitnehmer wie Herrn Casteels davon abschrecken, von der in einem Mitgliedstaat befindlichen Betriebsstätte ihres Arbeitgebers in eine Betriebsstätte desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat zu wechseln (vgl. in diesem Sinne Urteil Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, Randnr. 48).
30 Da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung eine nach Art. 45 AEUV grundsätzlich verbotene Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit darstellt, kann sie nur dann zugelassen werden, wenn mit ihr ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet ist, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (vgl. insbesondere Urteil Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 BA trägt in diesem Zusammenhang vor, dass diese Regelung darauf gerichtet sei, zu verhindern, dass ein Arbeitnehmer gleichzeitig mehreren betrieblichen Systemen der Altersvorsorge in verschiedenen Mitgliedstaaten unterliege. In einer Situation wie der von Herrn Casteels ist jedoch, wie die Generalanwältin in Nr. 79 ihrer Schlussanträge ausführt, gar keine ungerechtfertigte Bereicherung des Arbeitnehmers zu befürchten, sondern im Gegenteil seine ungerechtfertigte Benachteiligung durch den Verlust von Ansprüchen auf eine Zusatzrente für den Zeitraum, in dem er dem deutschen Zusatzrentensystem angeschlossen war.
32 Das von BA geltend gemachte Ziel, die Beschäftigten zu binden, kann die Benachteiligung von Arbeitnehmern, die unter Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit in der Union weiterhin beim selben Arbeitgeber beschäftigt sind, nicht rechtfertigen.
33 Nach ständiger Rechtsprechung obliegt es dem nationalen Gericht, die innerstaatliche Vorschrift unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden (vgl. Urteile vom 4. Februar 1988, Murphy u. a., 157/86, Slg. 1988, 673, Randnr. 11, vom 26. September 2000, Engelbrecht, C‑262/97, Slg. 2000, I‑7321, Randnr. 39, und vom 11. Januar 2007, ITC, C‑208/05, Slg. 2007, I‑181, Randnr. 68).
34 Insoweit hat Herr Casteels, da er seit dem 1. Juli 1974 ununterbrochen für BA gearbeitet hat, im Zuge einer Auslegung von § 7 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 2 des Tarifvertrags in Einklang mit Art. 45 AEUV als seit jenem Zeitpunkt bei BA beschäftigt zu gelten und ist seine Versetzung in die BA-Betriebsstätte in Frankreich nicht als Verlassen dieses Arbeitgebers anzusehen, so dass er für die Dauer seiner Zugehörigkeit zu der in der BA-Betriebsstätte in Düsseldorf geltenden Regelung Anspruch auf die Leistungen hat, die auf seinen eigenen Beiträgen und denen von BA beruhen.
35 Diese Vorschrift des Tarifvertrags bestimmt nämlich, dass Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1978 in die Dienste von BA eingetreten sind und nach Ablauf von fünf Dienstjahren, aber vor Vollendung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen, auf eigenen Wunsch oder aus irgendeinem anderen Grund aus den Diensten von BA ausscheiden, auch Anspruch auf die Versorgungsleistungen haben, die bis zu diesem Zeitpunkt durch die Beiträge von BA sichergestellt sind. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass BA in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, dass § 7 Abs. 2 des Tarifvertrags auf Herrn Casteels anwendbar sein könne.
36 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 45 AEUV dahin auszulegen ist, dass er im Rahmen der zwingenden Anwendung eines Tarifvertrags dem entgegensteht,
– dass bei der Bestimmung des Zeitraums für den Erwerb von endgültigen Ansprüchen auf eine Zusatzrente in einem Mitgliedstaat die Dienstjahre nicht berücksichtigt werden, die der betroffene Arbeitnehmer für denselben Arbeitgeber in dessen Betriebsniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen desselben übergreifenden Arbeitsvertrags abgeleistet hat, und
– dass ein Arbeitnehmer, der von einer in einem Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte seines Arbeitgebers in eine Betriebsstätte desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat versetzt wurde, als ein Arbeitnehmer angesehen wird, der diesen Arbeitgeber freiwillig verlassen hat.
Kosten
37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 48 AEUV hat keine unmittelbare Wirkung, auf die sich ein Einzelner gegenüber einem Arbeitgeber aus dem Privatsektor vor den nationalen Gerichten berufen kann.
2. Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er im Rahmen der zwingenden Anwendung eines Tarifvertrags dem entgegensteht,
– dass bei der Bestimmung des Zeitraums für den Erwerb von endgültigen Ansprüchen auf eine Zusatzrente in einem Mitgliedstaat die Dienstjahre nicht berücksichtigt werden, die der betroffene Arbeitnehmer für denselben Arbeitgeber in dessen Betriebsniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen desselben übergreifenden Arbeitsvertrags abgeleistet hat, und
– dass ein Arbeitnehmer, der von einer in einem Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte seines Arbeitgebers in eine Betriebsstätte desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat versetzt wurde, als ein Arbeitnehmer angesehen wird, der diesen Arbeitgeber freiwillig verlassen hat.
Unterschriften
* Verfahrenssprache: Niederländisch.