Rechtssache C‑249/09

Novo Nordisk AS

gegen

Ravimiamet

(Vorabentscheidungsersuchen des Tartu ringkonnakohus)

„Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Werbung – Medizinische Zeitschrift – Angaben, die nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten sind“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Werbung – Tragweite

(Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Art. 87 Abs. 2)

2.        Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Werbung

(Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung, Art. 87 Abs. 2)

1.        Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie 2004/27 ist dahin gehend auszulegen, dass er auch Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken erfasst, die in einer Werbung für ein Arzneimittel enthalten sind, die sich an die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugten Personen richtet. Sowohl aus der Stellung des Art. 87 der Richtlinie 2001/83 im Aufbau dieser Richtlinie als auch aus seinem Wortlaut und Inhalt insgesamt ergibt sich nämlich, dass sein Abs. 2 eine allgemeine Norm darstellt, die jegliche Arzneimittelwerbung betrifft, einschließlich derjenigen, die sich an Personen richtet, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind. Diese Auslegung wird durch das Ziel der Richtlinie 2001/83 bestätigt. Falsche oder unvollständige Informationen könnten nämlich ganz klar eine Gefahr für die Gesundheit von Personen mit sich bringen und demnach das wesentliche Ziel dieser Richtlinie aufs Spiel setzen.

(vgl. Randnrn. 30-31, 34-35, Tenor 1)

2.        Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie 2004/27 untersagt es, in einer Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe befugten Personen Aussagen zu veröffentlichen, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, gebietet aber nicht, dass alle in der entsprechenden Werbung enthaltenen Aussagen in dieser Zusammenfassung enthalten oder daraus abzuleiten sein müssen. Eine solche Werbung kann Aussagen enthalten, mit denen die Angaben gemäß Art. 11 der Richtlinie ergänzt werden, sofern diese Aussagen

–        die entsprechenden Angaben bestätigen oder in einem mit ihnen zu vereinbarenden Sinne präzisieren, ohne sie zu verfälschen, und

–        den Anforderungen nach Art. 87 Abs. 3 und Art. 92 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie entsprechen.

Solche Aussagen dürfen demnach zum einen nicht irreführend sein und müssen einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellen, und sie müssen zum anderen genau, aktuell, überprüfbar und vollständig genug sein, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild von dem therapeutischen Wert des Arzneimittels zu machen. Schließlich müssen die aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken entnommenen Zitate, Tabellen und sonstigen Illustrationen klar als solche gekennzeichnet und ihre Quellen genau angegeben werden, damit die im Gesundheitswesen tätige Person darüber informiert ist und sie überprüfen kann.

(vgl. Randnrn. 50-51, Tenor 2)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

5. Mai 2011(*)

„Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Werbung – Medizinische Zeitschrift – Angaben, die nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten sind“

In der Rechtssache C‑249/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tartu ringkonnakohus (Estland) mit Entscheidung vom 11. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2009, in dem Verfahren

Novo Nordisk AS

gegen

Ravimiamet

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und J. Malenovský,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Novo Nordisk AS, vertreten durch M. Männik, advokaat, und A. Kmiecik, Solicitor,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch L. Uibo und M. Linntam als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch A. Wespes und T. Materne als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. P. Antunes als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Šimerdová und E. Randvere als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Oktober 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. L 136, S. 34) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gesellschaft Novo Nordisk AS (im Folgenden: Novo Nordisk) und dem Ravimiamet (Arzneimittelamt der Republik Estland) wegen dessen Verfügung, mit der Novo Nordisk aufgegeben wurde, die Werbung für Levemir (Insulin Detemir) zu beenden, weil diese gegen das Arzneimittelgesetz (Ravimiseadus, im Folgenden: RavS), insbesondere seinen § 83 Abs. 3 a. E., verstoße, wonach die Werbung für ein Arzneimittel keine Angaben enthalten darf, die sich nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels finden.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Erwägungsgründe 47, 48 und 52 der Richtlinie 2001/83 lauten:

„(47) Die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sind, trägt zu deren Information bei. Diese Werbung ist jedoch strengen Voraussetzungen und einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen, wobei insbesondere den im Rahmen des Europarats durchgeführten Arbeiten Rechnung zu tragen ist.

(48)      Die Arzneimittelwerbung muss angemessen und wirksam kontrolliert werden. Die entsprechenden Kontrollmechanismen sollten in Anlehnung an die Richtlinie 84/450/EWG ausgewählt werden.

(52)      Die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen müssen zwar über eine neutrale und objektive Informationsquelle über die auf dem Markt angebotenen Arzneimittel verfügen, es obliegt jedoch den Mitgliedstaaten, die dafür geeigneten Maßnahmen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen besonderen Lage zu treffen.“

4        Nach Art. 11 der Richtlinie 2001/83 enthält die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels eine detaillierte Liste von Angaben, insbesondere die qualitative und quantitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und Bestandteilen der Arzneiträgerstoffe, deren Kenntnis für eine zweckgemäße Verabreichung des Mittels erforderlich ist, die pharmakologischen Eigenschaften, die Anwendungsgebiete, die Gegenanzeigen, die Häufigkeit und die Schwere unerwünschter Nebenwirkungen, die Vorsichtshinweise für den Gebrauch, die medikamentösen Wechselwirkungen, die Dosierung und die Art der Anwendung sowie die Hauptinkompatibilitäten.

5        Titel VIII („Werbung“) der Richtlinie 2001/83 umfasst die Art. 86 bis 88, Titel VIIIa („Information und Werbung“) die Art. 88a bis 100.

6        Art. 86 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„(1)      Im Sinne dieses Titels gelten als ‚Werbung für Arzneimittel‘ alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern; sie umfasst insbesondere:

–        die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel,

–        die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind,

–        den Besuch von Arzneimittelvertretern bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind,

–        die Lieferung von Arzneimittelmustern,

–        Anreize zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln durch das Gewähren, Anbieten oder Versprechen von finanziellen oder materiellen Vorteilen, sofern diese nicht von geringem Wert sind,

–        das Sponsern von Verkaufsförderungstagungen, an denen Personen teilnehmen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind,

–        das Sponsern wissenschaftlicher Kongresse, an denen Personen teilnehmen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind, insbesondere die Übernahme der Reise- und Aufenthaltskosten dieser Personen.

…“

7        Art. 87 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten untersagen die Werbung für ein Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft erteilt worden ist.

(2)      Alle Elemente der Arzneimittelwerbung müssen mit den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vereinbar sein.

(3)      Die Arzneimittelwerbung

–        muss einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt;

–        darf nicht irreführend sein.“

8        Art. 91 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:

„(1)      Jede Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen muss Folgendes enthalten:

–        die wesentlichen Informationen im Einklang mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels,

–        die Einstufung des Arzneimittels hinsichtlich der Abgabe.

Die Mitgliedstaaten können ferner vorschreiben, dass diese Werbung den Einzelhandelsverkaufspreis oder Richttarif der verschiedenen Packungen und die Erstattungsbedingungen der Sozialversicherungsträger umfasst.

(2)      Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass die Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen abweichend von Absatz 1 nur den Namen des Arzneimittels oder gegebenenfalls seinen internationalen Freinamen oder das Warenzeichen enthalten muss, wenn ihr Zweck ausschließlich darin besteht, an diesen bzw. dieses zu erinnern.“

9        Art. 92 der Richtlinie 2001/83 lautet:

„(1)      Alle Unterlagen über ein Arzneimittel, die im Rahmen der Verkaufsförderung für dieses Arzneimittel an die zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen abgegeben werden, müssen mindestens die in Artikel 91 Absatz 1 genannten Informationen einschließen, sowie die Angabe des Zeitpunkts, zu dem die Unterlagen erstellt oder zuletzt geändert worden sind.

(2)      Alle in den in Absatz 1 erwähnten Unterlagen enthaltenen Informationen müssen genau, aktuell, überprüfbar und vollständig genug sein, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild von dem therapeutischen Wert des Arzneimittels zu machen.

(3)      Die aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken entnommenen Zitate, Tabellen und sonstigen Illustrationen, die in den in Absatz 1 genannten Unterlagen verwendet werden, müssen wortgetreu übernommen werden; dabei ist die genaue Quelle anzugeben.“

 Nationales Recht

10      § 83 RavS legt die allgemeinen Anforderungen an Arzneimittelwerbung fest. Nach den Angaben des Tartu ringkonnakohus (Bezirksgericht Tartu) sieht § 83 Abs. 3 Folgendes vor:

„Die Arzneimittelwerbung muss den im reklaamiseadus (Gesetz über die Werbung) niedergelegten grundlegenden und allgemeinen Anforderungen an die Werbung entsprechen und auf der vom Ravimiamet bestätigten Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels beruhen, und sie darf keine Angaben enthalten, die sich nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels finden.“

11      § 85 RavS betrifft Arzneimittelwerbung gegenüber im Gesundheitswesen tätigen Personen. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts bestimmt § 85 Abs. 1 Folgendes:

„Zitate aus dem wissenschaftlichen Schrifttum, die in einer Arzneimittelwerbung verwendet werden, die sich an zur Verschreibung von Arzneimitteln berechtigte Personen, Apotheker und Pharmazeuten richtet, müssen unverändert und unter Hinweis auf die ursprüngliche Quelle wiedergegeben werden. Der Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen hat auf Verlangen zu gewährleisten, dass innerhalb von drei Tagen, gerechnet ab dem Eingang des entsprechenden Verlangens, eine Kopie der ursprünglichen Quelle erhältlich ist.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12      Im April 2008 schaltete Novo Nordisk in der medizinischen Zeitschrift Lege Artis eine Werbung für das verschreibungspflichtige Arzneimittel Levemir (Insulin Detemir).

13      Mit Verfügung vom 6. Juni 2008 verpflichtete das Ravimiamet Novo Nordisk, die Veröffentlichung der Werbung für das Arzneimittel Levemir zu beenden und in die Werbung für dieses Arzneimittel keine Angaben aufzunehmen, die nicht in der Zusammenfassung der Merkmale dieses Arzneimittels enthalten seien (im Folgenden: angefochtene Verfügung).

14      Nach der angefochtenen Verfügung sind folgende Aussagen, die in der Werbung für Levemir enthalten sind, mit § 83 Abs. 3 RavS unvereinbar:

–        wirksame Kontrolle des Blutzuckers mit geringerem Hypoglykämierisiko;

–        68 % der Patienten nehmen nicht zu oder nehmen sogar ab;

–        82 % der Patienten wird in der klinischen Praxis einmal täglich Levemir (Insulin Detemir) injiziert.

15      Aus der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels gehe hingegen hervor, dass

–        gerade die Hypoglykämie die häufigste Nebenwirkung von Levemir sei;

–        Vergleichsuntersuchungen mit NPH-Insulinen und Glargin-Insulinen gezeigt hätten, dass es in der Levemir-Gruppe zu einer geringen oder keiner Zunahme des Körpergewichts gekommen sei;

–        Levemir ein- bis zweimal täglich verabreicht werde.

16      Der angefochtenen Verfügung zufolge ist die streitige Werbung insofern rechtswidrig, als

–        darin nicht darauf hingewiesen werde, dass das Hypoglykämierisiko in der Nacht geringer sei;

–        sich die Behauptung, dass das Körpergewicht sinke, nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels finde;

–        sich der in der Werbung genannte Wert von 82 % nicht in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels finde.

17      Novo Nordisk erhob am 4. Juli 2008 beim Tartu halduskohus (Verwaltungsgericht Tartu) Klage auf Nichtigerklärung dieser Verfügung. Sie machte insbesondere geltend, dass die Werbung für ein Arzneimittel, die sich an die zur Verschreibung von Arzneimitteln berechtigten Personen richte, zum Ziel habe, diesen Personen – auf der Grundlage von im wissenschaftlichen Schrifttum veröffentlichten Daten – ergänzende Informationen an die Hand zu geben, und dass es daher zulässig sei, Zitate aus dem medizinischen und wissenschaftlichen Schrifttum zu verwenden, die nicht ausdrücklich in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten seien.

18      Mit Urteil vom 24. November 2008 wies das Tartu halduskohus die Klage ab. Es stellte insbesondere fest, dass nach Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 alle Elemente einer Arzneimittelwerbung mit den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vereinbar sein müssten und dass auch weder Art. 91 Abs. 1 oder Art. 92 Abs. 1 noch der 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 es zuließen, in einer Arzneimittelwerbung Angaben zu machen, die in dieser Zusammenfassung nicht enthalten seien.

19      Novo Nordisk legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht Berufung ein.

20      Unter diesen Umständen hat das Tartu ringkonnakohus beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass er auch Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder anderen wissenschaftlichen Werken erfasst, die in einer Werbung für ein Arzneimittel enthalten sind, die sich an die zu seiner Verschreibung berechtigten Personen richtet?

2.      Ist Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass er es untersagt, in einer Arzneimittelwerbung Aussagen zu veröffentlichen, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, aber nicht gebietet, dass alle in der Arzneimittelwerbung enthaltenen Aussagen in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten oder aus den Angaben in der Zusammenfassung abzuleiten sein müssen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

21      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 sich nur auf Arzneimittelwerbung bezieht, die an die Öffentlichkeit gerichtet ist, oder auch Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken erfasst, die in einer Werbung für ein Arzneimittel enthalten sind, die sich an die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugten Personen richtet.

22      Dazu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 30 seiner Schlussanträge dargelegt hat, aus einer systematischen Untersuchung hervorgeht, dass in den Titeln VIII und VIIIa der Richtlinie 2001/83 nacheinander vier Gruppen von Normen niedergelegt sind. Im Titel VIII („Werbung“) werden zunächst in den Art. 86 bis 88 die allgemeinen und grundlegenden Bestimmungen über Arzneimittelwerbung dargelegt, im Titel VIIIa („Information und Werbung“) werden anschließend in den Art. 88 bis 90 die speziellen Vorschriften für Öffentlichkeitswerbung präzisiert, auf die in den Art. 91 bis 96 die Vorschriften über die Werbung bei im Gesundheitswesen tätigen Personen und schließlich, in den Art. 97 bis 100, die Vorschriften über die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten und der Inhaber von Genehmigungen sowie die über die Werbung für homöopathische Arzneimittel folgen.

23      Sodann ist festzustellen, dass die Vorschriften des Titels VIII der Richtlinie 2001/83 allgemeinen Charakter haben.

24      So ist Art. 86 dieser Richtlinie, in dem der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ definiert und präzisiert wird, dass er u. a. die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel und die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind, umfasst, eine allgemeine Regel, die in allen Fällen Anwendung findet, in denen bestimmt werden muss, ob eine Tätigkeit die Merkmale einer Werbung für ein Arzneimittel aufweist.

25      Ebenso ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Inhalt von Art. 87 der Richtlinie 2001/83, dass er allgemeine Grundsätze enthält, die auf alle Arten und Elemente von Arzneimittelwerbung Anwendung finden.

26      Zum einen findet nämlich das in Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 niedergelegte Verbot jeglicher Werbung für ein Arzneimittel, für dessen Inverkehrbringen keine Genehmigung nach den Rechtsvorschriften der Union erteilt worden ist, zwingend auf alle Arten von Werbung Anwendung, da das entsprechende Genehmigungsverfahren für alle Arzneimittel vorgeschrieben ist.

27      Zum anderen ist offensichtlich, dass die in Art. 87 Abs. 3 dieser Richtlinie niedergelegten allgemeinen Grundsätze, nach denen die Arzneimittelwerbung einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern muss, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellt, und nicht irreführend sein darf, für alle Arten von Arzneimittelwerbung gelten, insbesondere für die Öffentlichkeitswerbung oder die Werbung bei Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind.

28      Was Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 betrifft, um dessen Auslegung mit der vorliegenden Frage ersucht wird, so zeigt sein Wortlaut, dass er eine allgemeine Regel enthält, die insbesondere für die Öffentlichkeitswerbung für Arzneimittel und für die Arzneimittelwerbung bei im Gesundheitswesen tätigen Personen gilt. In dieser Vorschrift wird im Gegensatz zu den angeführten Vorschriften in Titel VIIIa dieser Richtlinie nicht präzisiert, dass sie nur die Öffentlichkeitswerbung oder die Werbung bei Personen betrifft, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind.

29      Außerdem wird mit der in dieser Vorschrift verwendeten Formulierung „alle Elemente der [W]erbung“ der allgemeine Charakter der Verpflichtung der Vereinbarkeit mit den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels hervorgehoben, die die in der Arzneimittelwerbung enthaltenen Informationen erfüllen müssen. Somit umfasst diese Formulierung Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken, so wie jedes andere in einer Arzneimittelwerbung enthaltene Element.

30      Somit ergibt sich sowohl aus der Stellung des Art. 87 der Richtlinie 2001/83 im Aufbau dieser Richtlinie als auch aus seinem Wortlaut und Inhalt insgesamt, dass sein Abs. 2 eine allgemeine Norm darstellt, die jegliche Arzneimittelwerbung betrifft, einschließlich derjenigen, die sich an Personen richtet, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind.

31      Bestätigt wird dieser Schluss durch eine teleologische Auslegung der Richtlinie 2001/83.

32      Die Werbung für Arzneimittel ist nämlich, wie der Gerichtshof entschieden hat, geeignet, der öffentlichen Gesundheit, deren Schutz das wesentliche Ziel der Richtlinie 2001/83 ist, zu schaden (vgl. Urteile vom 2. April 2009, Damgaard, C‑421/07, Slg. 2009, I‑2629, Randnr. 22, und vom 22. April 2010, Association of the British Pharmaceutical Industry, C‑62/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 34).

33      Mit Art. 87 der Richtlinie 2001/83 soll dieses Ziel im Rahmen der Regelung der Werbung für Arzneimittel gewährleistet werden, indem zum einen die Verwendung von Informationen untersagt oder begrenzt wird, die den Empfänger irreführen könnten oder die nicht zutreffen oder nicht überprüft sind, was zum Fehlgebrauch eines Arzneimittels führen könnte, und zum anderen bestimmte unerlässliche Informationen vorgeschrieben werden.

34      Wie alle Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, vorgetragen haben, gelten diese Regeln auch für alle Elemente einer Werbung, die sich an zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugte Personen richtet, da auch bei dieser Art von Werbung falsche oder unvollständige Informationen ganz klar eine Gefahr für die Gesundheit von Personen mit sich bringen und demnach das wesentliche Ziel der Richtlinie 2001/83 aufs Spiel setzen könnten.

35      Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin gehend auszulegen ist, dass er auch Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken erfasst, die in einer Werbung für ein Arzneimittel enthalten sind, die sich an die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugten Personen richtet.

 Zur zweiten Frage

36      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 nur die Veröffentlichung von Aussagen in einer Arzneimittelwerbung untersagt, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, oder auch gebietet, dass alle in der Arzneimittelwerbung enthaltenen Aussagen in dieser Zusammenfassung enthalten oder aus den Angaben in der Zusammenfassung abzuleiten sein müssen.

37      Einleitend ist daran zu erinnern, dass das wesentliche Ziel der Richtlinie 2001/83 nach ihrem zweiten Erwägungsgrund ein wirksamer Schutz der öffentlichen Gesundheit ist (Urteil Damgaard, Randnr. 22).

38      Daher heißt es im 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83, dass die Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigt sind, auch wenn sie zu deren Information beiträgt, strengen Voraussetzungen und einer wirksamen Kontrolle zu unterwerfen ist.

39      Ebenso muss die Arzneimittelwerbung, wie im 48. Erwägungsgrund dargelegt wird, angemessen und wirksam kontrolliert werden.

40      Dasselbe Anliegen findet seinen Ausdruck auch im 52. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83, wonach die zur Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Personen über eine neutrale und objektive Informationsquelle über die auf dem Markt angebotenen Arzneimittel verfügen müssen.

41      Was insbesondere Art. 87 Abs. 2 dieser Richtlinie betrifft, um dessen Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, ist zunächst festzustellen, dass seinem Wortlaut nach in einer Werbung für ein Arzneimittel Aussagen untersagt sind, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen.

42      Insbesondere dürfen die Elemente einer Arzneimittelwerbung nie u. a. Anwendungsgebiete, pharmakologische Eigenschaften oder sonstige Merkmale suggerieren, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, die von der zuständigen Behörde bei der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des entsprechenden Arzneimittels genehmigt wurde.

43      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 nicht vorgesehen hat, dass alle Elemente der Werbung für ein Arzneimittel mit denjenigen in der Zusammenfassung der Merkmale dieses Arzneimittels identisch sein müssen. Nach dieser Vorschrift wird nur verlangt, dass diese Elemente mit der Zusammenfassung vereinbar sein müssen.

44      Wenn es, wie im Ausgangsverfahren, um eine Werbung geht, die sich an im Gesundheitswesen tätige Personen richtet, ist Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in Verbindung mit den Art. 91 und 92 dieser Richtlinie zu lesen.

45      Nach Art. 91 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 muss jede Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen die wesentlichen Informationen im Einklang mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten.

46      Ebenso wird in Art. 92 Abs. 1 dieser Richtlinie präzisiert, dass alle Unterlagen über ein Arzneimittel, die im Rahmen der Verkaufsförderung für dieses Arzneimittel an die zur Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen abgegeben werden, „mindestens“ die in Art. 91 Abs. 1 genannten Informationen sowie die Angabe des Zeitpunkts, zu dem die Unterlagen erstellt oder zuletzt geändert worden sind, einschließen müssen.

47      Schließlich sieht Art. 92 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 im Rahmen der Verkaufsförderung für ein Arzneimittel bei Personen, die zu seiner Verschreibung oder Abgabe berechtigt sind, ausdrücklich die Verwendung von aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken entnommenen Zitaten, Tabellen und sonstigen Illustrationen vor, sofern sie wortgetreu übernommen werden und die genaue Quelle angegeben wird.

48      Daher kann Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 nicht so ausgelegt werden, dass damit verlangt wird, dass alle Aussagen in einer Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe berechtigten Personen in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels enthalten oder aus den Angaben in dieser Zusammenfassung abzuleiten sein müssen. Bei einer solchen Auslegung verlören nämlich sowohl Art. 91 Abs. 1 als auch Art. 92 dieser Richtlinie, die bei einer Werbung, die sich an im Gesundheitswesen tätige Personen richtet, ergänzende Informationen zulassen, sofern sie mit der Zusammenfassung vereinbar sind, ihren Sinn.

49      Um entsprechend dem 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 zur Information von Personen, die zur Verschreibung oder Abgabe eines Arzneimittels berechtigt sind, beizutragen – und angesichts der wissenschaftlichen Kenntnisse, über die diese Personen im Vergleich zur allgemeinen Öffentlichkeit verfügen –, kann eine Werbung für ein Arzneimittel bei solchen Personen demnach mit der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vereinbare Informationen enthalten, die die gemäß Art. 11 dieser Richtlinie in der Zusammenfassung enthaltenen Angaben bestätigen oder präzisieren, sofern die entsprechenden ergänzenden Informationen im Einklang mit den Anforderungen nach Art. 87 Abs. 3 und Art. 92 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie stehen.

50      Solche Informationen dürfen mit anderen Worten zum einen nicht irreführend sein und müssen einen zweckmäßigen Einsatz des Arzneimittels fördern, indem sie seine Eigenschaften objektiv und ohne Übertreibung darstellen, und sie müssen zum anderen genau, aktuell, überprüfbar und vollständig genug sein, um dem Empfänger die Möglichkeit zu geben, sich persönlich ein Bild von dem therapeutischen Wert des Arzneimittels zu machen. Schließlich müssen die aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken entnommenen Zitate, Tabellen und sonstigen Illustrationen klar als solche gekennzeichnet und ihre Quellen genau angegeben werden, damit die im Gesundheitswesen tätige Person darüber informiert ist und sie überprüfen kann.

51      Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahin gehend auszulegen ist, dass er es untersagt, in einer Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe befugten Personen Aussagen zu veröffentlichen, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, aber nicht gebietet, dass alle in der entsprechenden Werbung enthaltenen Aussagen in dieser Zusammenfassung enthalten oder daraus abzuleiten sein müssen. Eine solche Werbung kann Aussagen enthalten, mit denen die Angaben gemäß Art. 11 der Richtlinie ergänzt werden, sofern diese Aussagen

–        die entsprechenden Angaben bestätigen oder in einem mit ihnen zu vereinbarenden Sinne präzisieren, ohne sie zu verfälschen, und

–        den Anforderungen nach Art. 87 Abs. 3 und Art. 92 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie entsprechen.

 Kosten

52      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 ist dahin gehend auszulegen, dass er auch Zitate aus medizinischen Zeitschriften oder wissenschaftlichen Werken erfasst, die in einer Werbung für ein Arzneimittel enthalten sind, die sich an die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugten Personen richtet.

2.      Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung der Richtlinie 2004/27 ist dahin gehend auszulegen, dass er es untersagt, in einer Werbung für ein Arzneimittel bei den zu seiner Verschreibung oder Abgabe befugten Personen Aussagen zu veröffentlichen, die im Widerspruch zur Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels stehen, aber nicht gebietet, dass alle in der entsprechenden Werbung enthaltenen Aussagen in dieser Zusammenfassung enthalten oder daraus abzuleiten sein müssen. Eine solche Werbung kann Aussagen enthalten, mit denen die Angaben gemäß Art. 11 der Richtlinie ergänzt werden, sofern diese Aussagen

–        die entsprechenden Angaben bestätigen oder in einem mit ihnen zu vereinbarenden Sinne präzisieren, ohne sie zu verfälschen, und

–        den Anforderungen nach Art. 87 Abs. 3 und Art. 92 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie entsprechen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Estnisch.