URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. Februar 2012 ( *1 )

„Vorabentscheidungsersuchen — Aarhus-Übereinkommen — Richtlinie 2003/4/EG — Zugang zu Umweltinformationen — Gremien und Einrichtungen, die in gesetzgebender Eigenschaft handeln — Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden — Voraussetzung, dass diese Vertraulichkeit gesetzlich vorgesehen sein muss“

In der Rechtssache C-204/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juni 2009, in dem Verfahren

Flachglas Torgau GmbH

gegen

Bundesrepublik Deutschland

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot (Berichterstatter), J. Malenovský und U. Lõhmus, der Richter A. Rosas, M. Ilešič, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. September 2010, unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Flachglas Torgau GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt S. Altenschmidt und Rechtsanwältin M. Langner,

der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und T. Henze als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Oliver und B. Schima als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Juni 2011

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 und 4 der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. L 41, S. 26).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Flachglas Torgau GmbH (im Folgenden: Flachglas Torgau) und der Bundesrepublik Deutschland wegen deren Ablehnung des Antrags der Flachglas Torgau auf Zugang zu Informationen betreffend das Gesetz über den nationalen Zuteilungsplan für Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 (im Folgenden: Zuteilungsgesetz 2007).

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

3

Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus) wurde am 25. Juni 1998 unterzeichnet und durch den Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt (ABl. L 124, S. 1).

4

Art. 2 Nr. 2 dieses Übereinkommens definiert den Begriff „Behörde“ wie folgt:

„… ‚Behörde‘ [bedeutet]

a)

eine Stelle der öffentlichen Verwaltung auf nationaler, regionaler und anderer Ebene;

b)

natürliche oder juristische Personen, die aufgrund innerstaatlichen Rechts Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, einschließlich bestimmter Pflichten, Tätigkeiten oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Umwelt, wahrnehmen,

Diese Begriffsbestimmung umfasst keine Gremien oder Einrichtungen, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln.“

5

Art. 4 Abs. 1 des Übereinkommens von Aarhus sieht unter einer Reihe von Vorbehalten und Bedingungen vor, dass jede Vertragspartei sicherzustellen hat, dass die Behörden im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Öffentlichkeit auf Antrag Informationen über die Umwelt zur Verfügung stellen.

6

Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus bestimmt:

„Ein Antrag auf Informationen über die Umwelt kann abgelehnt werden, wenn die Bekanntgabe negative Auswirkungen hätte auf

a)

die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden, sofern eine derartige Vertraulichkeit nach innerstaatlichem Recht vorgesehen ist;

Die genannten Ablehnungsgründe sind eng auszulegen, wobei das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe sowie ein etwaiger Bezug der beantragten Informationen zu Emissionen in die Umwelt zu berücksichtigen sind.“

7

Art. 8 des Übereinkommens von Aarhus – der mit „Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und/oder allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente“ überschrieben ist – sieht vor:

„Jede Vertragspartei bemüht sich, zu einem passenden Zeitpunkt und solange Optionen noch offen sind, eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung während der durch Behörden erfolgenden Vorbereitung exekutiver Vorschriften und sonstiger allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher Bestimmungen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können, zu fördern. …

…“

8

In der Erklärung der Europäischen Gemeinschaft zu einigen besonderen Bestimmungen im Rahmen der Richtlinie 2003/4 im Anhang des Beschlusses 2005/370 heißt es:

„Die Europäische Gemeinschaft ersucht die Parteien des Übereinkommens von Aarhus, im Zusammenhang mit Artikel 9 dieses Übereinkommens Kenntnis von Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 6 der Richtlinie [2003/4] zu nehmen. Durch diese Bestimmungen wird den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in Ausnahmefällen und unter genau festgelegten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, bestimmte Gremien und Einrichtungen von den Vorschriften über Überprüfungsverfahren im Zusammenhang mit Entscheidungen über Anträge auf Zugang zu Informationen auszunehmen.

Vorbehalte von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die mit Artikel 2 Absatz 2 und Artikel 6 der Richtlinie [2003/4] vereinbar sind, werden daher bei der Ratifizierung des Übereinkommens von Aarhus durch die Europäische Gemeinschaft mit einbezogen.“

Unionsrecht

9

In den Erwägungsgründen 1, 5, 11 und 16 der Richtlinie 2003/4 heißt es:

„(1)

Der erweiterte Zugang der Öffentlichkeit zu umweltbezogenen Informationen und die Verbreitung dieser Informationen tragen dazu bei, das Umweltbewusstsein zu schärfen, einen freien Meinungsaustausch und eine wirksamere Teilnahme der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren in Umweltfragen zu ermöglichen und letztendlich so den Umweltschutz zu verbessern.

(5)

… Die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts müssen im Hinblick auf den Abschluss des Übereinkommens [von Aarhus] durch die Europäische Gemeinschaft mit dem Übereinkommen übereinstimmen.

(11)

Um dem in Artikel 6 des Vertrags festgelegten Grundsatz, wonach die Erfordernisse des Umweltschutzes bei der Festlegung und Durchführung der Gemeinschaftspolitiken und -maßnahmen einzubeziehen sind, Rechnung zu tragen, sollte die Bestimmung des Begriffs‚Behörden‘ so erweitert werden, dass davon Regierungen und andere Stellen der öffentlichen Verwaltung auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erfasst werden, unabhängig davon, ob sie spezifische Zuständigkeiten für die Umwelt wahrnehmen oder nicht. Die Begriffsbestimmung sollte ebenfalls auf andere Personen oder Stellen ausgedehnt werden, die im Rahmen des einzelstaatlichen Rechts umweltbezogene Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfüllen, sowie auf andere Personen oder Stellen, die unter deren Aufsicht tätig sind und öffentliche Zuständigkeiten im Umweltbereich haben oder entsprechende Aufgaben wahrnehmen.

(16)

Das Recht auf Information beinhaltet, dass die Bekanntgabe von Informationen die allgemeine Regel sein sollte und dass Behörden befugt sein sollten, Anträge auf Zugang zu Umweltinformationen in bestimmten, genau festgelegten Fällen abzulehnen. Die Gründe für die Verweigerung der Bekanntgabe sollten eng ausgelegt werden, wobei das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe gegen das Interesse an der Verweigerung der Bekanntgabe abgewogen werden sollte. …“

10

Die Ziele dieser Richtlinie werden in deren Art. 1 wie folgt definiert:

„Mit dieser Richtlinie werden folgende Ziele verfolgt:

a)

die Gewährleistung des Rechts auf Zugang zu Umweltinformationen, die bei Behörden vorhanden sind oder für sie bereitgehalten werden, und die Festlegung der grundlegenden Voraussetzungen und praktischer Vorkehrungen für die Ausübung dieses Rechts sowie

b)

die Sicherstellung, dass Umweltinformationen selbstverständlich zunehmend öffentlich zugänglich gemacht und verbreitet werden, um eine möglichst umfassende und systematische Verfügbarkeit und Verbreitung von Umweltinformationen in der Öffentlichkeit zu erreichen. Dafür wird die Verwendung insbesondere von Computer-Telekommunikation und/oder elektronischen Technologien gefördert, soweit diese verfügbar sind.“

11

Der Begriff „Umweltinformation“ im Sinne der Richtlinie 2003/4 wird in deren Art. 2 Nr. 1 wie folgt definiert:

„‚Umweltinformationen‘ [sind] sämtliche Informationen in schriftlicher, visueller, akustischer, elektronischer oder sonstiger materieller Form über

a)

den Zustand von Umweltbestandteilen wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Land, Landschaft und natürliche Lebensräume einschließlich Feuchtgebiete, Küsten- und Meeresgebiete, die Artenvielfalt und ihre Bestandteile, einschließlich genetisch veränderter Organismen, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen,

b)

Faktoren wie Stoffe, Energie, Lärm und Strahlung oder Abfall einschließlich radioaktiven Abfalls, Emissionen, Ableitungen oder sonstiges Freisetzen von Stoffen in die Umwelt, die sich auf die unter Buchstabe a) genannten Umweltbestandteile auswirken oder wahrscheinlich auswirken,

c)

Maßnahmen (einschließlich Verwaltungsmaßnahmen), wie z. B. Politiken, Gesetze, Pläne und Programme, Umweltvereinbarungen und Tätigkeiten, die sich auf die unter den Buchstaben a) und b) genannten Umweltbestandteile und -faktoren auswirken oder wahrscheinlich auswirken, sowie Maßnahmen oder Tätigkeiten zum Schutz dieser Elemente,

d)

Berichte über die Umsetzung des Umweltrechts,

e)

Kosten/Nutzen-Analysen und sonstige wirtschaftliche Analysen und Annahmen, die im Rahmen der unter Buchstabe c) genannten Maßnahmen und Tätigkeiten verwendet werden, und

f)

den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit gegebenenfalls einschließlich der Kontamination der Lebensmittelkette, Bedingungen für menschliches Leben sowie Kulturstätten und Bauwerke in dem Maße, in dem sie vom Zustand der unter Buchstabe a) genannten Umweltbestandteile oder – durch diese Bestandteile – von den unter den Buchstaben b) und c) aufgeführten Faktoren, Maßnahmen oder Tätigkeiten betroffen sind oder sein können“.

12

Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2003/4 definiert den Begriff „Behörde“ wie folgt:

„‚Behörde‘

a)

die Regierung oder eine andere Stelle der öffentlichen Verwaltung, einschließlich öffentlicher beratender Gremien, auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene,

Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass diese Begriffsbestimmung keine Gremien oder Einrichtungen umfasst, soweit sie in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln. Wenn ihre verfassungsmäßigen Bestimmungen zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie kein Überprüfungsverfahren im Sinne von Artikel 6 vorsehen, können die Mitgliedstaaten diese Gremien oder Einrichtungen von dieser Begriffsbestimmung ausnehmen“.

13

Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass Behörden gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie verpflichtet sind, die bei ihnen vorhandenen oder für sie bereitgehaltenen Umweltinformationen allen Antragstellern auf Antrag zugänglich zu machen, ohne dass diese ein Interesse geltend zu machen brauchen.“

14

Im Anschluss an Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/4, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, einen Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen in bestimmten Fällen abzulehnen, räumt Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten ebenfalls diese Möglichkeit mit folgender Formulierung ein:

„Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass ein Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen abgelehnt wird, wenn die Bekanntgabe negative Auswirkungen hätte auf:

a)

die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden, sofern eine derartige Vertraulichkeit gesetzlich vorgesehen ist;

Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Ablehnungsgründe sind eng auszulegen, wobei im Einzelfall das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe zu berücksichtigen ist. In jedem Einzelfall wird das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe gegen das Interesse an der Verweigerung der Bekanntgabe abgewogen. Die Mitgliedstaaten dürfen aufgrund des Absatzes 2 Buchstaben a), d), f), g) und h) nicht vorsehen, dass ein Antrag abgelehnt werden kann, wenn er sich auf Informationen über Emissionen in die Umwelt bezieht.

…“

15

Der mit „Zugang zu den Gerichten“ überschriebene Art. 6 der Richtlinie 2003/4 verpflichtet die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass ein Antragsteller, der der Ansicht ist, sein Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen sei von einer Behörde nicht beachtet, fälschlicherweise abgelehnt, unzulänglich beantwortet oder nicht bearbeitet worden, die Handlungen oder Unterlassungen der betreffenden Behörde auf dem Verwaltungsweg oder gerichtlich überprüfen lassen kann.

Nationales Recht

16

Die Richtlinie 2003/4 wurde durch das Umweltinformationsgesetz (UIG) vom 22. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3704) in deutsches Recht umgesetzt.

17

§ 2 Abs. 1 UIG sieht vor:

„Informationspflichtige Stellen sind

1.   die Regierung und andere Stellen der öffentlichen Verwaltung … Zu den informationspflichtigen Stellen gehören nicht

a)

die obersten Bundesbehörden, soweit sie im Rahmen der Gesetzgebung oder beim Erlass von Rechtsverordnungen tätig werden …“

18

Zur Ausnahme aus Gründen der Vertraulichkeit der Beratungen heißt es in § 8 Abs. 1 UIG:

„Soweit das Bekanntgeben der Informationen nachteilige Auswirkungen hätte auf

2.

die Vertraulichkeit der Beratungen von informationspflichtigen Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1,

ist der Antrag abzulehnen, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt. …“

19

Das Verwaltungsverfahrensgesetz vom 23. Januar 2003 (BGBl. I S. 102, im Folgenden: VwVfG) bestimmt in § 28 Abs. 1:

„Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.“

20

§ 29 VwVfG bestimmt:

„(1)   Die Behörde hat den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Satz 1 gilt bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht für Entwürfe zu Entscheidungen sowie die Arbeiten zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung. …

(2)   Die Behörde ist zur Gestattung der Akteneinsicht nicht verpflichtet, soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt, das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder soweit die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach, namentlich wegen der berechtigten Interessen der Beteiligten oder dritter Personen, geheim gehalten werden müssen.

…“

21

§ 68 Abs. 1 VwVfG, der die mündliche Verhandlung vor einer Behörde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens betrifft, lautet:

„Die mündliche Verhandlung ist nicht öffentlich. An ihr können Vertreter der Aufsichtsbehörden und Personen, die bei der Behörde zur Ausbildung beschäftigt sind, teilnehmen. Anderen Personen kann der Verhandlungsleiter die Anwesenheit gestatten, wenn kein Beteiligter widerspricht.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22

Flachglas Torgau möchte Auskünfte darüber erhalten, unter welchen Umständen das für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten zuständige Umweltbundesamt in den Jahren 2005 bis 2007 Entscheidungen über die Zuteilung dieser Zertifikate erlassen hat.

23

Zu diesem Zweck ersuchte Flachglas Torgau das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (im Folgenden: Bundesministerium für Umwelt) um die Übermittlung von Informationen sowohl über das Gesetzgebungsverfahren für das Zuteilungsgesetz 2007 als auch über die Umsetzung dieses Gesetzes. Sie beantragte insbesondere Zugang zu ministeriumsinternen Vermerken und Stellungnahmen sowie zum Schriftverkehr, einschließlich des E-Mail-Verkehrs, mit dem Umweltbundesamt.

24

Das Bundesministerium für Umwelt lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass es, was die Informationen über das Gesetzgebungsverfahren betreffe, wegen seiner Beteiligung an diesem Verfahren von der Pflicht zur Übermittlung von Informationen hierüber befreit sei und, was die Informationen über die Umsetzung des Zuteilungsgesetzes 2007 betreffe, diese unter die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden fielen.

25

Das Verwaltungsgericht Berlin gab der Klage, die von Flachglas Torgau gegen diese ablehnende Entscheidung erhoben wurde, teilweise statt. Das mit der Berufung befasste Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg war der Ansicht, dass sich das Bundesministerium für Umwelt zu Recht auf seine Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren berufen habe, dass es aber die Weigerung, die begehrten Informationen zu übermitteln, nicht mit der Vertraulichkeit der Beratungen rechtfertigen könne, ohne substantiiert die Gründe darzulegen, aus denen die Bekanntgabe tatsächlich nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit gehabt hätte.

26

Sowohl Flachglas Torgau als auch das Bundesministerium für Umwelt haben gegen dieses Urteil Revision beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt; in diesem Rahmen rügt Flachglas Torgau, dass die streitige Ablehnung gegen Unionsrecht verstoße. Sie macht insbesondere geltend, dass das Unionsrecht dem nationalen Gesetzgeber nicht erlaube, Ministerien, die im Rahmen der parlamentarischen Gesetzgebung tätig würden, von der Informationspflicht im Bereich der Umwelt auszunehmen, und dass diese Befreiung jedenfalls mit der Verkündung des betreffenden Gesetzes enden müsse.

27

Nach Ansicht von Flachglas Torgau kann sich das Bundesministerium für Umwelt im Übrigen nicht auf den Schutz der Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden berufen, da das Unionsrecht verlange, dass ein solcher Schutz ausdrücklich in einer speziellen Vorschrift des nationalen Rechts außerhalb des allgemeinen Umweltinformationsrechts vorgesehen sein müsse.

28

Das Bundesverwaltungsgericht vertritt insoweit die Auffassung, dass, sofern sich tatsächlich ein solches Erfordernis aus dem Unionsrecht ergebe, festgestellt werden müsse, ob mit einem allgemeinen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, wie ihn das nationale Recht vorsehe, wonach die Verwaltungsverfahren der Behörden nicht öffentlich seien, diesem Erfordernis Genüge getan werden könne.

29

Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht das bei ihm anhängige Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

a)

Ist Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen, dass in gesetzgebender Eigenschaft ausschließlich solche Gremien und Einrichtungen handeln, denen nach dem Recht des Mitgliedstaats die abschließende (verbindliche) Entscheidung im Gesetzgebungsverfahren obliegt, oder handeln in gesetzgebender Eigenschaft auch solche Gremien und Einrichtungen, denen das Recht des Mitgliedstaats Zuständigkeiten und Mitwirkungsrechte im Gesetzgebungsverfahren, insbesondere zur Einbringung eines Gesetzentwurfs und zu Äußerungen zu Gesetzentwürfen, übertragen hat?

b)

Können die Mitgliedstaaten immer nur dann vorsehen, dass die Begriffsbestimmung der Behörde keine Gremien und Einrichtungen umfasst, soweit sie in gerichtlicher und gesetzgebender Eigenschaft handeln, wenn zugleich ihre verfassungsmäßigen Bestimmungen zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie kein Überprüfungsverfahren im Sinne des Art. 6 der Richtlinie 2003/4 vorsahen?

c)

Werden Gremien und Einrichtungen, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln, nur für die Zeit bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens von dem Begriff der Behörde nicht erfasst?

2.

a)

Ist die Vertraulichkeit von Beratungen im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/4 gesetzlich vorgesehen, wenn die zur Umsetzung der Richtlinie 2003/4 ergangene Vorschrift des nationalen Rechts allgemein bestimmt, dass der Antrag auf Zugang zu Umweltinformationen abzulehnen ist, soweit das Bekanntgeben der Informationen nachteilige Auswirkungen auf die Vertraulichkeit der Beratungen von informationspflichtigen Stellen hätte, oder ist hierfür erforderlich, dass eine gesonderte gesetzliche Bestimmung die Vertraulichkeit der Beratungen anordnet?

b)

Ist die Vertraulichkeit von Beratungen im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/4 gesetzlich vorgesehen, wenn sich aus dem nationalen Recht ein allgemeiner ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Inhalts ergibt, dass die Verwaltungsverfahren der Behörden nicht öffentlich sind?

Zu den Vorlagefragen

30

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Europäische Union mit dem Beitritt zum Übereinkommen von Aarhus zugesagt hat, im Rahmen der Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen, dass die bei den Behörden vorhandenen Umweltinformationen grundsätzlich zugänglich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2010, Ville de Lyon, C-524/09, Slg. 2010, I-14115, Randnr. 35).

31

Mit dem Erlass der Richtlinie 2003/4 wollte der Unionsgesetzgeber im Hinblick auf den Abschluss dieses Übereinkommens durch die Gemeinschaft die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit dem Übereinkommen durch eine allgemeine Regelung sicherstellen, die gewährleistet, dass jede natürliche oder juristische Person eines Mitgliedstaats ein Recht auf Zugang zu bei Behörden vorhandenen oder für diese bereitgehaltenen Umweltinformationen hat, ohne hierfür ein Interesse geltend machen zu müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil Ville de Lyon, Randnr. 36).

32

Zudem greift das von der Richtlinie 2003/4 gewährleistete Zugangsrecht nur insoweit, als die begehrten Informationen unter die von dieser Richtlinie vorgesehenen Vorgaben für den Zugang der Öffentlichkeit fallen, was u. a. voraussetzt, dass es sich um „Umweltinformationen“ im Sinne von Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie handelt; dies in Bezug auf das Ausgangsverfahren zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

Zu den Fragen 1a und 1b

33

Mit seinen Fragen 1a und 1b möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die den Mitgliedstaaten von dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, „Gremien oder Einrichtungen …, soweit sie in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, nicht als Behörden anzusehen, auf Ministerien angewandt werden kann, soweit diese am Gesetzgebungsverfahren, u. a. durch die Vorlage von Gesetzentwürfen oder Stellungnahmen, beteiligt sind, und ob diese Möglichkeit darüber hinaus von der Einhaltung der in Art. 2 Nr. 2 Satz 3 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen abhängt.

34

Wie aus der Vorlageentscheidung sowie aus den schriftlichen und mündlichen Erklärungen, die dem Gerichtshof übermittelt worden sind, hervorgeht, bezieht sich diese Frage nur auf das Gesetzgebungsverfahren im eigentlichen Sinne und nicht auf Verfahren, die zum Erlass einer Norm führen können, die im Rang unter einem Gesetz steht.

35

Im Übrigen ist das Vorbringen von Flachglas Torgau zurückzuweisen, das sich auf ein im Jahr 2000 von der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen unter dem Titel „The Aarhus Convention: An Implementation Guide [Das Übereinkommen von Aarhus: Ein Leitfaden zur Umsetzung]“ veröffentlichtes Dokument (im Folgenden: Leitfaden) stützt. Flachglas Torgau zitiert in diesem Zusammenhang folgende Passage aus dem Leitfaden: „As the activities of public authorities in drafting regulations, laws and normative acts is expressly covered by [article 8 of the Aarhus Convention], it is logical to conclude that the Convention does not consider these activities to be acting in a ‚legislative capacity‘ [Daraus, dass die Beteiligung von Behörden an der Vorbereitung von exekutiven Vorschriften, Gesetzen und anderen normativen Instrumenten in [Art. 8 des Übereinkommens von Aarhus] ausdrücklich erwähnt wird, lässt sich die logische Schlussfolgerung ableiten, dass das Übereinkommen [von Aarhus] diese Tätigkeiten als nicht ‚in gesetzgebender Eigenschaft‘ wahrgenommen wertet].“

36

Abgesehen davon, dass dieser Leitfaden das Übereinkommen von Aarhus nicht verbindlich auslegen kann, ist in Art. 8 dieses Übereinkommens jedenfalls nicht ausdrücklich von der Beteiligung der Behörden an der Vorbereitung von „Gesetzen [laws]“ die Rede, so dass sich aus dem Wortlaut dieses Artikels daher nicht die Auslegung ableiten lässt, wie sie der Leitfaden vornimmt.

37

Nach ständiger Rechtsprechung folgt sowohl aus den Anforderungen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch aus dem Gleichheitsgrundsatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2003, Monsanto Agricoltura Italia u. a., C-236/01, Slg. 2003, I-8105, Randnr. 72).

38

Im Übrigen kann Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4, der es den Mitgliedstaaten erlaubt, Ausnahmen von der allgemeinen Regelung der Richtlinie vorzusehen, nicht so ausgelegt werden, dass seine Wirkung über das hinausgeht, was zum Schutz der von ihm gewährleisteten Interessen erforderlich ist, und die Reichweite der dort vorgesehenen Ausnahmen muss unter Berücksichtigung der Ziele der Richtlinie bestimmt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juni 1998, Mecklenburg, C-321/96, Slg. 1998, I-3809, Randnr. 25).

39

In Bezug auf die Ziele der Richtlinie 2003/4 führt deren Art. 1 insbesondere aus, dass diese das Recht auf Zugang zu Umweltinformationen, die bei Behörden vorhanden sind, gewährleisten und dafür sorgen soll, dass diese Informationen selbstverständlich zunehmend öffentlich zugänglich gemacht und verbreitet werden.

40

Sowohl aus dem Übereinkommen von Aarhus selbst als auch aus der Richtlinie 2003/4, mit der dieses Überkommen in das Unionsrecht umgesetzt werden soll, geht hervor, dass deren Verfasser mit „Behörden“ die Verwaltungsbehörden meinten, da es innerhalb der Staaten die Verwaltungsbehörden sind, bei denen infolge der von ihnen wahrgenommenen Aufgaben die Umweltinformationen normalerweise vorhanden sind.

41

Im Übrigen sieht das Übereinkommen in seinem Art. 2 Abs. 2 ausdrücklich vor, dass der dort verwendete Begriff „Behörden“„keine Gremien oder Einrichtungen [umfasst], die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln“, und zwar ohne jede Einschränkung.

42

Im Einklang mit dieser Bestimmung räumt Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 seinerseits den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Befugnis ein, vom Behördenbegriff Gremien oder Einrichtungen auszunehmen, soweit sie in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln.

43

Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 soll es den Mitgliedstaaten ermöglichen, geeignete Vorschriften zu erlassen, um den ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens zum Erlass von Gesetzen zu gewährleisten, wobei berücksichtigt wird, dass in den jeweiligen Mitgliedstaaten die Information der Bürger im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens normalerweise hinreichend gewährleistet ist.

44

Insoweit lässt sich im Übrigen feststellen, dass der Unionsgesetzgeber den besonderen Charakter der Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsorgane in den Mitgliedstaaten berücksichtigt. So nimmt z. B. in einem anderen Kontext, nämlich dem der Regeln über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 (ABl. L 175, S. 40) Projekte, die im Einzelnen durch einen besonderen einzelstaatlichen Gesetzgebungsakt genehmigt werden, von der Pflicht zur Prüfung aus, sofern die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele einschließlich des Ziels der Bereitstellung von Informationen im Wege des Gesetzgebungsverfahrens erreicht werden (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 18. Oktober 2011, Boxus u. a., C-128/09 bis C-131/09, C-134/09 und C-135/09, Slg. 2011, I-9711, Randnr. 36).

45

Zwar sieht – wie das vorlegende Gericht feststellt – Art. 2 Nr. 2 Satz 3 der Richtlinie 2003/4 vor, dass die Mitgliedstaaten diese Gremien oder Einrichtungen vom Behördenbegriff ausnehmen können, wenn ihre verfassungsmäßigen Bestimmungen zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie kein Überprüfungsverfahren im Sinne von deren Art. 6 vorsehen.

46

Diese Vorschrift sollte jedoch den Sonderfall bestimmter nationaler Behörden regeln, insbesondere den von mit Verwaltungsbefugnissen handelnden Behörden, deren Entscheidungen zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie 2003/4 nach den in bestimmten Mitgliedstaaten geltenden nationalen Rechtsvorschriften nicht gemäß den Anforderungen dieser Richtlinie überprüft werden konnten.

47

Diese Auslegung wird durch die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft zu einigen besonderen Bestimmungen im Rahmen der Richtlinie 2003/4 gestützt.

48

Es ist somit weder Zweck der genannten Vorschrift, die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zu begrenzen, Gremien oder Einrichtungen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie auszunehmen, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln, noch hat sie diese Wirkung; diese Möglichkeit ist im Übrigen im Übereinkommen von Aarhus selbst ohne jede Einschränkung vorgesehen.

49

Diese Erwägungen führen daher zu einer funktionellen Auslegung des Begriffs „Gremien oder Einrichtungen, die in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, wonach als unter diese Definition im Sinne und für die Anwendung der Richtlinie 2003/4 fallend die Ministerien angesehen werden können, die nach nationalem Recht damit betraut sind, Gesetzentwürfe vorzubereiten, diese dem Parlament vorzulegen und sich – u. a. mit Stellungnahmen – am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen.

50

Dieser funktionelle Ansatz ist umso mehr gerechtfertigt, als das Gesetzgebungsverfahren von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erhebliche Unterschiede aufweisen kann und daher eine Auslegung vorgenommen werden muss, die in den Mitgliedstaaten eine einheitliche Anwendung der Richtlinie 2003/4 gewährleistet.

51

Nach alledem ist somit auf die Fragen 1a und 1b zu antworten, dass Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die den Mitgliedstaaten von dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, „Gremien oder Einrichtungen …, soweit sie in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, nicht als Behörden anzusehen, auf Ministerien angewandt werden kann, soweit diese am Gesetzgebungsverfahren, u. a. durch die Vorlage von Gesetzentwürfen oder Stellungnahmen, beteiligt sind, und dass diese Möglichkeit nicht von der Einhaltung der in Art. 2 Nr. 2 Satz 3 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen abhängt.

Zu Frage 1c

52

Mit seiner Frage 1c möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die den Mitgliedstaaten von dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, Gremien oder Einrichtungen, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln, nicht als Behörden anzusehen, nicht mehr angewandt werden darf, wenn das betreffende Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist.

53

Weder die Richtlinie 2003/4 noch das Übereinkommen von Aarhus geben hierüber Auskunft.

54

Diese Frage muss unter Berücksichtigung des Zwecks der betreffenden Vorschrift beantwortet werden, die – wie in Randnr. 43 des vorliegenden Urteils ausgeführt – dadurch gerechtfertigt ist, dass den Mitgliedstaaten ermöglicht werden muss, den ordnungsgemäßen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens gemäß den nationalen Verfassungsbestimmungen zu gewährleisten.

55

Während die Zurverfügungstellung von Umweltinformationen in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren unter den in Art. 3 der Richtlinie 2003/4 vorgesehenen Bedingungen den ordnungsgemäßen Ablauf dieses Verfahrens möglicherweise beeinträchtigen kann, gilt dies grundsätzlich nicht mehr, sobald das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist. Im Übrigen sind die diesbezüglichen Dokumente und insbesondere die Parlamentsberichte im Allgemeinen öffentlich zugänglich.

56

Daher muss zwar zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 der Begriff des Gesetzgebungsverfahrens weit gefasst werden und somit die verschiedenen Etappen dieses Verfahrens bis zur Verkündung des in diesem Rahmen gegebenenfalls erlassenen Gesetzes einschließen, doch erscheint es nicht gerechtfertigt, die Ausnahme von dem in Art. 1 dieser Richtlinie aufgestellten Grundsatz des Rechts auf Zugang zu Umweltinformationen über den Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens hinaus auszudehnen.

57

Dies gilt umso mehr, als auch dann, wenn – wie die Generalanwältin in den Nrn. 77 und 78 ihrer Schlussanträge festgestellt hat – die in Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 eingeräumte Möglichkeit, eine Ausnahme vorzusehen, ausschließlich für die Dauer des Gesetzgebungsverfahrens Anwendung findet, es den daran beteiligten Gremien und Einrichtungen unbenommen bleibt, die Übermittlung von Umweltinformationen aus anderen Gründen zu verweigern und sich insbesondere gegebenenfalls auf eine der in Art. 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen zu berufen.

58

In Anbetracht dessen ist auf die Frage 1c zu antworten, dass Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die den Mitgliedstaaten von dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, Gremien oder Einrichtungen, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln, nicht als Behörden anzusehen, nicht mehr angewandt werden darf, wenn das betreffende Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist.

Zu den Fragen 2a und 2b

59

Mit seinen Frage 2a und 2b möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die Voraussetzung, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden gesetzlich vorgesehen sein muss, als erfüllt angesehen werden kann, wenn es im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats eine Vorschrift wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gibt, die allgemein bestimmt, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden einen Grund für die Ablehnung des Zugangs zu Umweltinformationen, die bei diesen Behörden vorhanden sind, darstellt, oder ob diese Voraussetzung den Erlass gesonderter Bestimmungen über die Vertraulichkeit dieser Beratungen erfordert. Falls Letzteres zutrifft, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof außerdem wissen, ob ein allgemeiner Rechtsgrundsatz wie der im deutschen Recht bestehende, dem zufolge die Verwaltungsverfahren der Behörden nicht öffentlich sind, diesen Erfordernissen genügt.

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Nach ständiger Rechtsprechung ist es zwar unerlässlich, dass die Rechtslage, die sich aus den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie ergibt, ausreichend bestimmt und klar ist, um es den betroffenen Einzelnen zu ermöglichen, Kenntnis vom Umfang ihrer Rechte und Pflichten zu erlangen; dies ändert jedoch nichts daran, dass die Mitgliedstaaten schon nach dem Wortlaut von Art. 288 Abs. 3 AEUV die Form und die Mittel für die Umsetzung der Richtlinien wählen können, mit denen sich das mit den Richtlinien angestrebte Ergebnis am besten gewährleisten lässt, und dass sich aus dieser Vorschrift ergibt, dass die Umsetzung einer Richtlinie in das innerstaatliche Recht nicht unbedingt in jedem Mitgliedstaat eine Handlung des Gesetzgebers verlangt.

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Allerdings erfordert die Umsetzung einer Richtlinie zwar nicht eine förmliche Übernahme ihrer Bestimmungen in eine ausdrückliche, besondere Rechtsvorschrift, da der Umsetzung dieser Richtlinie je nach ihrem Inhalt durch einen allgemeinen rechtlichen Kontext Genüge getan sein kann (vgl. u. a. Urteile vom 23. Mai 1985, Kommission/Deutschland, 29/84, Slg. 1985, 1661, Randnrn. 22 und 23, vom 9. September 1999, Kommission/Deutschland, C-217/97, Slg. 1999, I-5087, Randnrn. 31 und 32, sowie vom 26. Juni 2003, Kommission/Frankreich, C-233/00, Slg. 2003, I-6625, Randnr. 76); mit der Klarstellung in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/4, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden „gesetzlich vorgesehen“ sein muss – eine Voraussetzung, die dem in Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens von Aarhus vorgesehenen Erfordernis, dass die Vertraulichkeit der Beratungen „nach innerstaatlichem Recht“ vorgesehen sein muss, entspricht –, hat der Unionsgesetzgeber jedoch ganz offensichtlich gewollt, dass es im nationalen Recht eine ausdrückliche Regel, deren Anwendungsbereich genau bestimmt ist, und nicht lediglich einen allgemeinen rechtlichen Kontext gibt.

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Diese Klarstellung kann hingegen nicht so ausgelegt werden, dass es erforderlich ist, dass sämtliche Bedingungen für die Anwendung dieses Grundes für die Ablehnung des Zugangs zu Umweltinformationen im Detail festgelegt sind, da die in diesem Bereich zu treffenden Entscheidungen schon aufgrund ihrer Eigenart eng von dem konkreten Kontext abhängen, in dem sie erlassen werden, und eine Berücksichtigung der Art der in Rede stehenden Dokumente sowie des Verfahrensabschnitts, in dem der Zugangsantrag gestellt wird, erfordern (vgl. entsprechend Urteil Kommission/Frankreich, Randnrn. 81 und 82).

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Allerdings dürfen die Behörden nicht einseitig die Umstände bestimmen, unter denen die Vertraulichkeit nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2003/4 entgegengehalten werden kann, was u. a. erfordert, dass das nationale Recht die Reichweite des Begriffs der „Beratungen“ von Behörden im Sinne dieser Vorschrift, der auf die abschließenden Etappen des Entscheidungsprozesses der Behörden verweist, klar festlegt.

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Schließlich und in jedem Fall findet das Erfordernis, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden gesetzlich vorgesehen sein muss, unbeschadet der anderen in Art. 4 der Richtlinie 2003/4 festgelegten Verpflichtungen und insbesondere der Verpflichtung der betreffenden Behörden, die vorliegenden Interessen in jedem Einzelfall gegeneinander abzuwägen, Anwendung (vgl. insoweit Urteil vom 16. Dezember 2010, Stichting Natuur en Milieu u. a., C-266/09, Slg. 2010, I-13119, Randnr. 58).

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Unter diesen Bedingungen ist auf die Fragen 2a und 2b zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/4 dahin auszulegen ist, dass die dort vorgesehene Voraussetzung, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden gesetzlich vorgesehen sein muss, als erfüllt angesehen werden kann, wenn es im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats eine Regel gibt, die allgemein bestimmt, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden einen Grund für die Ablehnung des Zugangs zu Umweltinformationen, die bei diesen Behörden vorhanden sind, darstellt, sofern das nationale Recht den Begriff der Beratungen klar bestimmt, was von den nationalen Gerichten zu prüfen ist.

Kosten

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Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass die den Mitgliedstaaten von dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, „Gremien oder Einrichtungen …, soweit sie in … gesetzgebender Eigenschaft handeln“, nicht als Behörden anzusehen, auf Ministerien angewandt werden kann, soweit diese am Gesetzgebungsverfahren, u. a. durch die Vorlage von Gesetzentwürfen oder Stellungnahmen, beteiligt sind, und dass diese Möglichkeit nicht von der Einhaltung der in Art. 2 Nr. 2 Satz 3 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen abhängt.

 

2.

Art. 2 Nr. 2 Satz 2 der Richtlinie 2003/4 ist dahin auszulegen, dass die den Mitgliedstaaten von dieser Vorschrift eingeräumte Möglichkeit, Gremien oder Einrichtungen, soweit sie in gesetzgebender Eigenschaft handeln, nicht als Behörden anzusehen, nicht mehr angewandt werden darf, wenn das betreffende Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist.

 

3.

Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/4 ist dahin auszulegen, dass die dort vorgesehene Voraussetzung, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden gesetzlich vorgesehen sein muss, als erfüllt angesehen werden kann, wenn es im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats eine Regel gibt, die allgemein bestimmt, dass die Vertraulichkeit der Beratungen von Behörden einen Grund für die Ablehnung des Zugangs zu Umweltinformationen, die bei diesen Behörden vorhanden sind, darstellt, sofern das nationale Recht den Begriff der Beratungen klar bestimmt, was von den nationalen Gerichten zu prüfen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.