Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Grundrechte – Achtung des Privatlebens – Schutz personenbezogener Daten – Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Geltungsbereich

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 7 und 8)

2. Grundrechte – Achtung des Privatlebens – Schutz personenbezogener Daten – Einschränkungen – Voraussetzungen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 7, 8 und 52 Abs. 1)

3. Landwirtschaft – Gemeinsame Agrarpolitik – Finanzierung durch den EGFL und den ELER – Verordnungen Nrn. 1290/2005 und 259/2008 – Zwingende Veröffentlichung personenbezogener Daten hinsichtlich natürlicher Personen als Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 7 und 8; Verordnung Nr. 1290/2005 des Rates, Art. 42 Nr. 8b und 44a; Verordnung der Kommission Nr. 259/2008)

4. Vorabentscheidungsverfahren – Gültigkeitsprüfung – Feststellung der Ungültigkeit von Verordnungen, mit denen die Veröffentlichung personenbezogener Daten hinsichtlich natürlicher Personen als Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln vorgeschrieben wird – Wirkungen – Zeitliche Begrenzung

(Art. 264 Abs. 2 AEUV und 267 AEUV)

5. Rechtsangleichung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Richtlinie 95/46 – Verpflichtung zur Meldung bei der Kontrollstelle – Ausnahme

(Richtlinie 95/46 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 18 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich)

6. Rechtsangleichung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Richtlinie 95/46 – Vorabkontrollen

(Richtlinie 95/46 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 20)

Leitsätze

1. Die in den Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannte Achtung des Privatlebens erstreckt sich hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten auf jede Information, die eine bestimmte oder bestimmbare natürliche Person betrifft. Somit können sich juristische Personen auf den durch die Art. 7 und 8 der Charta verliehenen Schutz nur berufen, soweit der Name der juristischen Person eine oder mehrere natürliche Personen bestimmt. Dies ist der Fall, wenn der Name einer Gesellschaft unmittelbar natürliche Personen bestimmt, die deren Gesellschafter sind.

(vgl. Randnrn. 52-54)

2. Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union lässt Einschränkungen der Ausübung der Rechte wie derjenigen zu, die in den Art. 7 und 8 der Charta verankert sind, sofern diese Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Diese Einschränkungen des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten können gerechtfertigt sein, wenn sie denen entsprechen, die im Rahmen von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention geduldet werden.

(vgl. Randnrn. 52, 65)

3. Die Art. 42 Nr. 8b und 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik in der durch die Verordnung Nr. 1437/2007 geänderten Fassung und die Verordnung Nr. 259/2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1290/2005 hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) sind ungültig, soweit diese Bestimmungen bei natürlichen Personen, die Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln sind, die Veröffentlichung personenbezogener Daten hinsichtlich aller Empfänger vorschreiben, ohne nach einschlägigen Kriterien wie den Zeiträumen, während deren sie solche Beihilfen erhalten haben, der Häufigkeit oder auch Art und Umfang dieser Beihilfen zu unterscheiden.

Die Beträge, die die Empfänger aus dem EGFL und dem ELER erhalten, machen nämlich einen – häufig beträchtlichen – Teil ihrer Einkünfte aus und die Veröffentlichung von Daten mit den Namen dieser Empfänger und den genauen Beträgen, die sie erhalten haben, auf einer Internetseite stellt aufgrund der Tatsache, dass Dritte Zugang zu diesen Daten erhalten, einen Eingriff in ihr Privatleben im Sinne des Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dar. Der Umstand, dass sich die veröffentlichten Daten auf berufliche Tätigkeiten beziehen, ist insoweit ohne Belang. Im Übrigen stellt die durch Art. 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 und durch die Verordnung Nr. 259/2008 vorgeschriebene Veröffentlichung eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne von Art. 8 Abs. 2 dieser Charta dar. Ferner stellt auch der Umstand, dass die Empfänger über die zwingende Veröffentlichung ihrer Daten unterrichtet worden sind, nicht in Frage, dass überhaupt ein Eingriff in ihr Privatleben vorliegt, da Art. 42 Nr. 8b der Verordnung Nr. 1290/2005 und Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 259/2008, die lediglich vorsehen, dass die Mittelempfänger vorab über die Veröffentlichung ihrer Daten unterrichtet werden, die mit ihnen eingeführte Verarbeitung personenbezogener Daten nicht auf die Einwilligung dieser Empfänger stützen.

Ein solcher Eingriff ist nicht im Hinblick auf Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gerechtfertigt. Auch wenn in einer demokratischen Gesellschaft die Steuerzahler zwar einen Anspruch darauf haben, über die Verwendung der öffentlichen Gelder informiert zu werden, erforderte eine ausgewogene Gewichtung der verschiedenen beteiligten Interessen nämlich gleichwohl vor dem Erlass der genannten Bestimmungen die Prüfung der Frage durch die betreffenden Organe, ob die Veröffentlichung von Daten unter namentlicher Nennung aller betroffenen Empfänger und der genauen Beträge, die jeder von ihnen aus dem EGFL und dem ELER erhalten hat, in jedem Mitgliedstaat auf einer speziellen frei zugänglichen Internetseite – und zwar ohne dass nach Bezugsdauer, Häufigkeit oder Art und Umfang der erhaltenen Beihilfen unterschieden wird – in Anbetracht insbesondere der durch eine solche Veröffentlichung ausgelösten Verletzung der durch die Art. 7 und 8 der Charta anerkannten Rechte nicht über das hinausging, was zur Erreichung der verfolgten berechtigten Ziele erforderlich war. Dem Ziel der Transparenz kann insoweit nicht ohne Weiteres Vorrang gegenüber dem Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten zuerkannt werden, selbst wenn erhebliche wirtschaftliche Interessen betroffen sind. Da nicht ersichtlich ist, dass die Organe eine solche ausgewogene Gewichtung der Ziele des Art. 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 und der Verordnung Nr. 259/2008 auf der einen und der den natürlichen Personen durch die Art. 7 und 8 der Charta zuerkannten Rechte auf der anderen Seite vorgenommen haben, haben der Rat und die Kommission in Anbetracht der Tatsache, dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten auf das absolut Notwendige beschränken müssen und dass Maßnahmen vorstellbar sind, die dieses Grundrecht der natürlichen Personen weniger stark beeinträchtigen, den Zielen der in Rede stehenden Unionsrechtsvorschriften aber ebenso in wirksamer Weise dienen, die durch die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgegebenen Grenzen überschritten, indem sie die Veröffentlichung der Namen aller natürlichen Personen, die Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln sind, sowie der genauen aus diesen Fonds erhaltenen Beträge vorgeschrieben haben.

Was hingegen juristische Personen betrifft, die Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln sind, ist, soweit sie sich auf die durch die Art. 7 und 8 der Charta anerkannten Rechte berufen können, davon auszugehen, dass die Verpflichtung zur Veröffentlichung, die sich aus den Art. 42 Nr. 8b und 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 sowie aus der Verordnung Nr. 259/2008 ergibt, nicht über die durch die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgegebenen Grenzen hinausgeht. Die Verletzung des Rechts auf Schutz der personenbezogenen Daten hat nämlich bei juristischen Personen ein anderes Gewicht als bei natürlichen Personen. Juristische Personen unterliegen insoweit bereits einer erweiterten Verpflichtung zur Veröffentlichung ihrer Daten. Im Übrigen würde die Verpflichtung der zuständigen nationalen Behörden, vor der Veröffentlichung der in Rede stehenden Daten bei jeder juristischen Person, die Empfänger von EGFL- und ELER-Mitteln ist, zu prüfen, ob deren Name natürliche Personen bestimmt, diesen Behörden eine unverhältnismäßige Verwaltungslast aufbürden.

(vgl. Randnrn. 58-61, 63, 65, 79, 85-87, 89, 92, Tenor 1)

4. Wenn zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit es rechtfertigen, hat der Gerichtshof gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV, der im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV zur Beurteilung der Gültigkeit von Handlungen der Organe der Union entsprechend anwendbar ist, die Befugnis, in jedem einzelnen Fall anzugeben, welche Wirkungen der betreffenden Handlung Bestand haben.

Im Rahmen eines Urteils, mit dem die Art. 42 Nr. 8b und 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik in der durch die Verordnung Nr. 1437/2007 geänderten Fassung und die Verordnung Nr. 259/2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1290/2005 hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) für ungültig erklärt werden, und in Anbetracht der großen Zahl von Veröffentlichungen, die in den Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Rechtsvorschriften erfolgt sind, die als gültig angesehen wurden, lässt die Ungültigkeit der betreffenden Bestimmungen nicht zu, die Wirkungen der Veröffentlichung der Listen von Empfängern von EGFL- und ELER-Mitteln in Frage zu stellen, die die nationalen Behörden in der Zeit vor dem Tag der Verkündung des Urteils auf der Grundlage dieser Bestimmungen vorgenommen haben.

(vgl. Randnrn. 93-94, Tenor 2)

5. Art. 18 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass er den Datenschutzbeauftragten nicht zur Führung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Verzeichnisses verpflichtet, bevor eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne der Art. 42 Nr. 8b und 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik in der durch die Verordnung Nr. 1437/2007 geänderten Fassung und der Verordnung Nr. 259/2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1290/2005 hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) durchgeführt wurde.

(vgl. Randnr. 101, Tenor 3)

6. Art. 20 der Richtlinie 95/46 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, die Veröffentlichung von Informationen im Sinne der Art. 42 Nr. 8b und 44a der Verordnung Nr. 1290/2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik in der durch die Verordnung Nr. 1437/2007 geänderten Fassung und der Verordnung Nr. 259/2008 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 1290/2005 hinsichtlich der Veröffentlichung von Informationen über die Empfänger von Mitteln aus dem Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) der in dieser Bestimmung vorgesehenen Vorabkontrolle zu unterwerfen.

(vgl. Randnr. 108, Tenor 4)