SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
JÁN MAZÁK
vom 18. Mai 20101(1)
Rechtssache C‑119/09
Société fiduciaire nationale d’expertise comptable
gegen
Ministre du budget, des comptes publics et de la fonction publique
(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Frankreich])
„Richtlinie 2006/123/EG – Absolute Verbote kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe – Kundenakquise“
1. In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof zum ersten Mal über die Auslegung der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt(2) zu entscheiden.
2. Die Vorlagefrage des Conseil d’État (Frankreich) betrifft die Freiheit der kommerziellen Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe, hier Wirtschaftsprüfer, die in Art. 24 der Richtlinie 2006/123 geregelt ist. Die Frage lautet:
Schreibt die Richtlinie 2006/123 für die von ihr erfassten reglementierten Berufe vor, dass jedes allgemeine Verbot unabhängig von der Art der betroffenen Geschäftspraktik erfasst sein soll, oder belässt sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, allgemeine Verbote für bestimmte Geschäftspraktiken, wie etwa die Kundenakquise, aufrechtzuerhalten?
3. Das vorlegende Gericht hält die Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof für erforderlich, um über die von der Société fiduciaire nationale d’expertise comptable (im Folgenden: Société fiduciaire) erhobene Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets Nr. 2007-1387 vom 27. September 2007 zur Schaffung eines Kodexes der Standespflichten der Wirtschaftsprüfer, soweit es Kundenakquise verbietet, entscheiden zu können. Der Verstoß gegen die Richtlinie 2006/123 und insbesondere gegen ihren Art. 24 stellt einen der von der Société fiduciaire beim vorlegenden Gericht geltend gemachten Nichtigkeitsgründe dar(3).
4. Schriftliche Erklärungen vor dem Gerichtshof haben die Société fiduciaire, die französische, die zyprische und die niederländische Regierung sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften abgegeben. Die mündliche Verhandlung, an der die Vertreter der Société fiduciaire sowie die Bevollmächtigten der französischen Regierung, der niederländischen Regierung und der Kommission teilgenommen haben, hat am 23. März 2010 stattgefunden.
5. Die vorgeschlagenen Antworten auf die Vorlagefrage können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe besteht aus den Vorschlägen der Société fiduciaire, der niederländischen Regierung und der Kommission. Danach sollte der Gerichtshof die Vorlagefrage dahin beantworten, dass Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 für die von ihm erfassten reglementierten Berufe jedes absolute Verbot einer bestimmten Form der kommerziellen Kommunikation und damit auch ein Verbot wie das im Ausgangsverfahren, nämlich das Verbot der Kundenakquise, untersagt.
6. Die zweite Gruppe umfasst die Vorschläge der französischen und der zyprischen Regierung. Ihnen zufolge steht die angeführte Bestimmung der Richtlinie 2006/123 einer nationalen Regelung, die für reglementierte Berufe die Kundenakquise untersagt, grundsätzlich nicht entgegen.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2006/123
7. Die Richtlinie 2006/123 ist auf der Grundlage von Art. 47 Abs. 2 Satz 1 und 3 EG und Art. 55 EG erlassen worden.
8. Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 lautet:
„Ein wettbewerbsfähiger Dienstleistungsmarkt ist für die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union wesentlich. Gegenwärtig hindert eine große Anzahl von Beschränkungen im Binnenmarkt Dienstleistungserbringer, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), daran, über ihre nationalen Grenzen hinauszuwachsen und uneingeschränkt Nutzen aus dem Binnenmarkt zu ziehen. Dies schwächt die globale Wettbewerbsfähigkeit der Dienstleistungserbringer aus der Europäischen Union. Ein freier Markt, der die Mitgliedstaaten zwingt, Beschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr abzubauen, bei gleichzeitiger größerer Transparenz und besserer Information der Verbraucher, würde für die Verbraucher größere Auswahl und bessere Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen bedeuten.“
9. Im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 heißt es:
„Es ist deshalb erforderlich, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen und den Dienstleistungsempfängern und -erbringern die Rechtssicherheit zu garantieren, die sie für die wirksame Wahrnehmung dieser beiden Grundfreiheiten des Vertrags benötigen. …“
10. Im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 heißt es:
„Mit dieser Richtlinie wird ein allgemeiner Rechtsrahmen geschaffen, der einem breiten Spektrum von Dienstleistungen zugute kommt und gleichzeitig die Besonderheiten einzelner Tätigkeiten und Berufe und ihre Reglementierung berücksichtigt. …“
11. Der 100. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 lautet:
„Es ist erforderlich, absolute Verbote kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe zu beseitigen, wobei nicht Verbote gemeint sind, die sich auf den Inhalt der kommerziellen Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen, beispielsweise ein Verbot von Werbung in einem bestimmten Medium oder in einer Reihe von Medien. Hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation ist es erforderlich, die Angehörigen der reglementierten Berufe aufzufordern, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht gemeinschaftsweite Verhaltenskodizes zu erarbeiten.“
12. Art. 4 der Richtlinie 2006/123 definiert die in dieser Richtlinie verwendeten wesentlichen Begriffe. Zwei Begriffsbestimmungen sind für die vorliegende Rechtssache von Bedeutung: der Begriff „reglementierter Beruf“ und der Begriff „kommerzielle Kommunikation“.
13. Eine Definition der reglementierten Berufe findet sich in Art. 4 Nr. 11 der Richtlinie 2006/123, der auf die Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen(4) und insbesondere auf ihren Art. 3 Abs. 1 Buchst. a verweist. Danach gilt als „reglementierter Beruf“:
„eine berufliche Tätigkeit oder eine Gruppe beruflicher Tätigkeiten, bei der die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist; eine Art der Ausübung ist insbesondere die Führung einer Berufsbezeichnung, die durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auf Personen beschränkt ist, die über eine bestimmte Berufsqualifikation verfügen. …“
14. Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2006/123 definiert den Begriff „kommerzielle Kommunikation“ wie folgt:
„alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbildes eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt. Folgende Angaben stellen als solche keine Form der kommerziellen Kommunikation dar:
a) Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens, der Organisation oder der Person ermöglichen, wie insbesondere ein Domain-Name oder eine E-Mail-Adresse,
b) Angaben in Bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder einer Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung zusammengestellt werden.“
15. Art. 24 der Richtlinie 2006/123, der die Überschrift „Kommerzielle Kommunikation für reglementierte Berufe“ trägt und sich im „Qualität der Dienstleistungen“ genannten Kapitel V dieser Richtlinie befindet, sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten heben sämtliche absoluten Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe auf.
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstandes sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen. Berufsrechtliche Regeln über die kommerzielle Kommunikation müssen nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sein.“
16. Gemäß Art. 44 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 endete die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie am 28. Dezember 2009.
Nationales Recht
17. Der Kodex der Standespflichten der Wirtschaftsprüfer (im Folgenden: Kodex der Standespflichten) ist im Anhang des Dekrets Nr. 2007-1387 enthalten.
18. Art. 12 dieses Kodexes der Standespflichten lautet:
„I. – Den in Art. 1 genannten Personen ist jegliche unaufgeforderte Einleitung von Kontakten zu dem Zweck, Dritten ihre Dienstleistungen anzubieten, untersagt. Ihre Teilnahme an Kolloquien, Seminaren oder anderen universitären oder wissenschaftlichen Veranstaltungen ist zulässig, soweit sie bei dieser Gelegenheit keine Handlungen vornehmen, die mit Kundenakquise gleichzusetzen sind.
II. – Werbeaktionen sind den in Art. 1 genannten Personen gestattet, soweit sie dem Publikum eine nützliche Information vermitteln. Die Mittel, deren sie sich hierbei bedienen, sind mit Zurückhaltung einzusetzen in einer Weise, die die Unabhängigkeit, die Würde und die Ehre des Berufs sowie die Regeln des Berufsgeheimnisses und ein lauteres Verhalten gegenüber Kunden und Berufskollegen nicht beeinträchtigt. Wenn sie ihre berufliche Tätigkeit, durch welches Mittel auch immer, Dritten vorstellen, dürfen die in Art. 1 genannten Personen keine Ausdrucksformen verwenden, die geeignet sind, die Würde ihrer Tätigkeit oder das Ansehen des Berufs zu schädigen. Diese Arten der Kommunikation sind, wie alle weiteren, nur unter der Bedingung zulässig, dass sie in ihrem Ausdruck schicklich und von Zurückhaltung geprägt sind und ihr Inhalt weder Ungenauigkeiten enthält noch geeignet ist, das Publikum irrezuführen, und dass sie keine vergleichenden Elemente enthalten.“
19. Der Kodex der Standespflichten ist am 1. Dezember 2007 gemäß den in Art. 3 des Dekrets Nr. 2007-1387 vorgesehenen Modalitäten in Kraft getreten.
Beurteilung
20. Bevor ich in die Prüfung der Vorlagefrage eintrete, möchte ich zwei Anmerkungen zu dem von der französischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen angesprochenen Umstand machen, dass das Dekret Nr. 2007-1387 nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/123, aber vor dem Ende der Frist für ihre Umsetzung erlassen und das Vorabentscheidungsersuchen vor diesem Datum vorgelegt worden ist.
21. Erstens möchte ich mich auf meine Stellungnahme in der Rechtssache C‑357/09 PPU, Kadzoev(5), beziehen, in der ich mich mit der Frage der Zulässigkeit von Vorlagefragen beschäftigt habe, die insbesondere Richtlinien betreffen, für die die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Auf der Grundlage der dort angeführten Rechtsprechung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Umstand für sich genommen der Zulässigkeit von Vorlagefragen nicht entgegensteht.
22. Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass aus der Vorlageentscheidung eindeutig hervorgeht, dass das vorlegende Gericht selbst auf den Umstand abgestellt hat, dass das durch das Dekret Nr. 2007-1387 aufgestellte Verbot der Kundenakquise, falls es als Art. 24 der Richtlinie 2006/123 zuwiderlaufend angesehen werden müsste, dessen Umsetzung ernstlich beeinträchtigen würde.
23. Ich gehe nun zur Prüfung der Vorlagefrage über, mit der der Gerichtshof im Wesentlichen um eine Entscheidung über die Reichweite der Verpflichtung nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 ersucht wird, „sämtliche absoluten Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe auf[zuheben]“.
24. In seiner Vorlagefrage selbst zieht das vorlegende Gericht zwei Ansätze für die Auslegung dieser Verpflichtung in Betracht. Nach einem ersten Ansatz beträfe die Verpflichtung, sämtliche absoluten Verbote aufzuheben, jedes absolute Verbot kommerzieller Kommunikation in jeder beliebigen Form. Nach einem zweiten Ansatz würde diese Verpflichtung lediglich absolute Verbote kommerzieller Kommunikation(6) erfassen, wodurch den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belassen würde, absolute Verbote für bestimmte Formen der kommerziellen Kommunikation aufrechtzuerhalten.
25. Ich bin der Meinung, dass die Vorlagefrage durch eine Wortlautauslegung von Art. 24 der Richtlinie 2006/123 nicht beantwortet werden kann, weil diese Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt.
26. Aus der Verwendung des Plurals anstelle des Singulars im Ausdruck „absolute Verbote“ können in der Tat zwei gegensätzliche Schlussfolgerungen gezogen werden, die beide nicht ohne Weiteres jeder Grundlage entbehren.
27. Nach einer ersten Schlussfolgerung, die insbesondere von der Kommission gezogen wird, folgt hieraus, dass nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht nur absolute Verbote kommerzieller Kommunikation aufgehoben werden sollten, sondern auch die absoluten Verbote bestimmter Formen der kommerziellen Kommunikation.
28. Nach einer zweiten Schlussfolgerung, die von der französischen Regierung vorgetragen wird, handelt es sich selbst dann lediglich um absolute Verbote kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber von „absoluten Verboten“ spricht. Denn in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten habe es bisher kein einziges absolutes Verbot gegeben, das für die Gesamtheit der reglementierten Berufe gegolten hätte, sondern ebenso viele absolute Verbote wie betroffene Berufe.
29. Angesichts der Unergiebigkeit der Wortlautauslegung von Art. 24 ist darüber hinaus auf den Zweck der Richtlinie 2006/123 und auf die Stellung von Art. 24 in der Systematik der Richtlinie 2006/123 abzustellen.
30. Auf der Grundlage des zweiten und des fünften Erwägungsgrundes ist festzustellen, dass der Zweck der Richtlinie 2006/123 in der Beseitigung von Beschränkungen zweier vertraglicher Grundfreiheiten, nämlich der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, besteht. Auf diese Weise trägt die Richtlinie 2006/123 zur Vollendung des Binnenmarkts bei.
31. Was die Systematik der Richtlinie 2006/123 betrifft, ist daran zu erinnern, dass ihr Art. 24, auf den sich meine Überlegungen konzentrieren, in Kapitel V der Richtlinie steht, das die Überschrift „Qualität der Dienstleistungen“ trägt. Meines Erachtens lässt sich kaum bestreiten, dass dieses Kapitel im Allgemeinen und Art. 24 im Besonderen vor allem dem Schutz der Interessen der Verbraucher dienen. Aus der Stellung von Art. 24 innerhalb der Richtlinie 2006/123 ergibt sich jedoch, dass dieser Artikel zur Qualität der Dienstleistungen der reglementierten Berufe im Rahmen des Binnenmarkts beitragen soll.
32. Angesichts des Inhalts von Art. 24 ist jedoch fraglich, inwiefern die Regelung der kommerziellen Kommunikation zur Qualität der Dienstleistungen der reglementierten Berufe im Rahmen des Binnenmarkts beitragen kann.
33. Ich bin mir bewusst, dass Art. 24 sich angesichts seines Inhalts nicht unmittelbar auf die Qualität der in Rede stehenden Dienstleistungen auswirkt. Die korrekte Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift stellt jedoch insbesondere bei den reglementierten Berufen(7) eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erbringung einer Qualitätsdienstleistung dar, weil das Informationsgefälle, das zwischen dem Erbringer und dem Empfänger einer Dienstleistung objektiv besteht, auf diesem Gebiet besonders ausgeprägt ist.
34. Die verschiedenen Formen der kommerziellen Kommunikation bestehen im Wesentlichen aus der Übermittlung von Nachrichten und Informationen an potenzielle Kunden, d. h. an potenzielle Empfänger von Dienstleistungen.
35. Vor dem Erlass der Richtlinie 2006/123 wurden die Besonderheiten der reglementierten Berufe, wie sie von Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen vom 23. März 2000 in den verbundenen Rechtssachen Pavlov u. a.(8) beschrieben worden sind, allgemein als mögliche Gründe für ein Verbot der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe anerkannt(9).
36. Da Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 die Mitgliedstaaten verpflichtet, sämtliche absoluten Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe aufzuheben, scheint dieser Ansatz mit der Richtlinie geändert worden zu sein. Erfordern deshalb aber die Besonderheiten der Dienstleistungen der reglementierten Berufe keine Regelung ihrer kommerziellen Kommunikation mehr, die sich von der Regelung anderer Dienstleistungen unterscheidet?
37. Im Licht von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 muss diese Frage verneint werden. Die genannte Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die kommerzielle Kommunikation durch Angehörige reglementierter Berufe die Anforderungen der berufsrechtlichen Regeln erfüllt, die im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht je nach Beruf insbesondere die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen. Nach dem 100. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 bedeutet dies, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, Verbote hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation beizubehalten.
38. Die Bestimmungen der beiden Absätze von Art. 24 der Richtlinie 2006/123 stehen zueinander nicht in einem Verhältnis von Regel, hier der Aufhebung sämtlicher absoluter Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe, und Ausnahme. Vielmehr ergänzen die Bestimmungen des Abs. 2 die in Abs. 1 aufgestellte Regel. Demzufolge sind absolute Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe untersagt, es bleibt den Mitgliedstaaten jedoch unbenommen, Verbote hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation zu erlassen.
39. Nach meiner Auffassung ergibt sich aus den vorstehenden Überlegungen, dass nach dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht nur jedes absolute Verbot der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe, sondern auch jedes absolute Verbot einer bestimmten Form der kommerziellen Kommunikation aufgehoben werden sollte. Für diese Auslegung des Art. 24 spricht auch der 100. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123, wonach mit der Beseitigung absoluter Verbote der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe nicht Verbote gemeint sind, die sich auf den Inhalt der kommerziellen Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen.
40. Dieses Ergebnis löst allerdings die mit der Vorlagefrage aufgeworfene Problematik nur unvollständig.
41. Angesichts der unklaren Bedeutung des Begriffs „Kundenakquise“ ist zu untersuchen, ob es sich hierbei um eine eigenständige Form der kommerziellen Kommunikation handelt (was bedeuten würde, dass ein Verbot nach den vorstehenden Erläuterungen nicht den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 entsprechen würde) oder lediglich um eine besondere Art (eine „Modalität“) der Werbung als Form der kommerziellen Kommunikation.
42. Die Richtlinie 2006/123 enthält nur eine allgemeine Definition des Begriffs „kommerzielle Kommunikation“, ohne ihre verschiedenen Formen zu beschreiben oder hierfür Beispiele zu nennen. Art. 4 Nr. 12 dieser Richtlinie definiert diesen Begriff auf zweifache Weise: einerseits positiv (was unter den Begriff „kommerzielle Kommunikation“ fällt), andererseits negativ (was nicht unter diesen Begriff fällt). Positiv bezeichnet kommerzielle Kommunikation „alle Formen der Kommunikation, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen oder des Erscheinungsbildes eines Unternehmens, einer Organisation oder einer natürlichen Person dienen, die eine Tätigkeit in Handel, Gewerbe oder Handwerk oder einen reglementierten Beruf ausübt“. Negativ stellen folgende Angaben als solche keine Form der „kommerziellen Kommunikation“ dar:
„a) Angaben, die direkten Zugang zur Tätigkeit des Unternehmens, der Organisation oder der Person ermöglichen, wie insbesondere ein Domain-Name oder eine E-Mail-Adresse,
b) Angaben in Bezug auf Waren und Dienstleistungen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens, einer Organisation oder einer Person, die unabhängig und insbesondere ohne finanzielle Gegenleistung zusammengestellt werden“.
43. Wie bereits erwähnt, handelt es sich hierbei um eine sehr allgemeine Definition, die zugleich jedoch offen genug ist, um mit der raschen Entwicklung des Kommunikationssektors Schritt zu halten.
44. Wie die Richtlinie 2006/123 enthält auch das übrige Unionsrecht keine Legaldefinition des Begriffs „Kundenakquise“. Darüber hinaus kann seine Bedeutung in den Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten variieren. Nach dem Kodex der Standespflichten, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, ist unter Kundenakquise im Sinne des Verbots nach Art. 12 jegliche unaufgeforderte Einleitung von Kontakten durch einen Wirtschaftsprüfer zu dem Zweck zu verstehen, Dritten seine Dienstleistungen anzubieten.
45. Nach meiner Auffassung könnte der Begriff „Kundenakquise“ durch einen Rückgriff auf drei Elemente mit Inhalt gefüllt werden. Zwei von ihnen entsprechen im Wesentlichen den von der französischen Regierung angeführten Elementen. Bei dem ersten handelt es sich um den Vorgang, der aus der unaufgeforderten Einleitung eines unmittelbaren und persönlichen Kontakts zu Dritten durch einen Angehörigen eines reglementierten Berufs besteht, und bei dem zweiten um den Inhalt, der die Übermittlung einer Werbebotschaft umfasst. Dabei geht es jedoch nicht um irgendeine Werbebotschaft, sondern nur um eine solche, die die Grenzen der Vermittlung von Informationen über die Tätigkeiten des seine Dienstleistungen anbietenden Angehörigen des betreffenden reglementierten Berufs überschreitet. Als drittes Element ist die Identifizierung des Empfängers der genannten Werbebotschaft zu nennen.
46. Nach dieser Definition ist Kundenakquise über verschiedene Medien – etwa über Fernsehen, Radio oder Printmedien – ausgeschlossen. In diesen Fällen fehlt das Element der Identifizierung des Empfängers der Werbebotschaft. Telefon, Briefpost oder E-Mail stellen hingegen typische Instrumente der Kundenakquise dar(10).
47. Aufgrund von zwei Gesichtspunkten komme ich zu dem Ergebnis, dass die Kundenakquise im Rahmen des Unionsrechts keine besondere Form der kommerziellen Kommunikation, sondern lediglich eine besondere Art der Werbung als Form der kommerziellen Kommunikation darstellt.
48. Als Erstes ist die Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel(11) zu nennen, nach deren Art. 86 Abs. 1 „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“, als „Werbung für Arzneimittel“ gelten. Diese Bestimmung enthält darüber hinaus eine nicht erschöpfende Aufzählung der Formen der Werbung, die auch Praktiken umfasst, die unter meine Definition der Kundenakquise fallen. Dabei handelt sich z. B. um Arzneimittelwerbung bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind, oder um den Besuch von Arzneimittelvertretern bei Personen, die zur Verschreibung oder zur Abgabe von Arzneimitteln befugt sind.
49. Als Zweites ist das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Alpine Investments(12) zu nennen. In Randnr. 28 dieses Urteils hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die telefonische Kundenakquise ein „schnelles und direktes Mittel der Werbung und der Kontaktaufnahme“ darstellt.
50. Angesichts der von mir entwickelten und der in der Richtlinie 2001/83 sowie im Urteil Alpine Investments enthaltenen Definitionen der Kundenakquise ist ihr Verbot als solches deshalb nicht als Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123 anzusehen, weil die Kundenakquise keine Form der kommerziellen Kommunikation darstellt, die hinreichend eigenständig wäre, um sich von Werbung zu unterscheiden, sondern vielmehr eine bloße Form von Werbung.
51. Somit ließe sich sagen, dass mit dem Verbot der Kundenakquise für Wirtschaftsprüfer gemäß Art. 12 des Kodexes der Standespflichten von der durch Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht worden sei, den Inhalt und die Modalitäten kommerzieller Kommunikation durch berufsrechtliche Regeln zu kontrollieren, die die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität des reglementierten Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten.
52. Ob diese Hypothese Bestand haben kann, hängt letztlich von der Beantwortung zweier Fragen ab. Erstens geht es um die Frage, ob die Kundenakquise durch Wirtschaftsprüfer eine Gefährdung der Unabhängigkeit, der Würde und der Integrität dieses Berufsstands oder der Wahrung des Berufsgeheimnisses darstellt. Sofern diese Frage bejaht wird, käme es zweitens darauf an, ob das Verbot der Kundenakquise für Wirtschaftsprüfer nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
53. Im Hinblick auf die Gefährdung der in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 genannten Werte durch die Kundenakquise bin ich der Meinung, dass durch eine solche Form von Werbung im Wesentlichen die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer betroffen ist.
54. Die Unabhängigkeit stellt ein funktionales Prinzip dar, das für den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer von grundlegender Bedeutung ist. Unter entsprechender Anwendung der Definition der Unabhängigkeit, die der Gerichtshof in seinem Urteil vom 9. März 2010, Kommission/Deutschland(13), entwickelt hat, kann die Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer definiert werden als der Ausschluss jeder Weisung und jeder sonstigen äußeren Einflussnahme, sei sie unmittelbar oder mittelbar, durch die die Erfüllung ihrer Aufgaben in Frage gestellt werden könnte.
55. Es liegt meines Erachtens auf der Hand, dass der unmittelbare persönliche Kontakt zwischen einem potenziellen Kunden einerseits und einem Wirtschaftsprüfer andererseits, bei dem Letzterer seine Dienstleistungen anbietet (womit eines der Kriterien für das Vorliegen von Kundenakquise erfüllt ist), ein persönliches Verhältnis begründen kann, das die Möglichkeit der Einflussnahme einschließt. Hervorzuheben ist, dass es sich hierbei um einen anerkannten (allgemein bekannten) Erfahrungssatz handelt, der in der Regel keines Beweises bedarf. Im Einzelfall wird allerdings immer nachgewiesen werden müssen, dass der unmittelbare persönliche Kontakt einen solchen Einfluss auf den Wirtschaftsprüfer gehabt hat, dass seine Tätigkeit nicht mehr als unabhängig betrachtet werden kann.
56. Es ist jedenfalls festzustellen, dass der unmittelbare persönliche Kontakt zwischen einem potenziellen Kunden und einem Wirtschaftsprüfer, bei dem Letzterer seine Dienstleistungen anbietet, die tatsächliche Gefahr der Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers in sich birgt. Von diesem Standpunkt aus trägt das Verbot der Kundenakquise für Wirtschaftsprüfer dazu bei, Situationen zu vermeiden, die Zweifel an der Unabhängigkeit des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer aufkommen lassen können.
57. Aus dem Vorstehenden folgt, dass das im Kodex der Standespflichten aufgestellte Verbot der Kundenakquise als eine berufsrechtliche Regel anzusehen ist, die dem Schutz der Unabhängigkeit des Berufs des Wirtschaftsprüfers dient.
58. Schließlich ist zu prüfen, ob das Verbot der Kundenakquise für Wirtschaftsprüfer nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
59. Ich bin mir dessen bewusst, dass das Verbot der Kundenakquise als solches eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt. Dies kann auch für andere berufsrechtliche Regeln gelten, die die Unabhängigkeit, die Würde und die Integrität der reglementierten Berufe sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses gewährleisten sollen. Aus diesem Grund verlangt Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123, dass die im Streit stehenden berufsrechtlichen Regeln nicht diskriminierend, durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Diese Voraussetzungen müssen zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten des Binnenmarkts regelmäßig erfüllt sein.
60. Dass das im Kodex der Standespflichten enthaltene Verbot der Kundenakquise nicht diskriminierend ist, wird vorliegend nicht bestritten.
61. Bei der Rechtfertigung des Verbots der Kundenakquise durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses stellt sich die Frage, ob Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 zu berücksichtigen ist, nach dem die Mitgliedstaaten die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen dürfen, die nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sind.
62. Auf den ersten Blick scheinen berufsrechtliche Regeln, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen, nur durch die vier in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 genannten Gründe gerechtfertigt werden zu können. Eine solche Auslegung hätte jedoch zur Folge, dass Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/123 gegenstandslos würde, der die Gründe nennt, die das Bestehen einer berufsrechtlichen Regel wie des Verbots der Kundenakquise rechtfertigen können, nämlich die Gewährleistung der Unabhängigkeit, der Würde und der Integrität des reglementierten Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses. Es kann nicht verlangt werden, dass dieselben berufsrechtlichen Regeln zugleich auch die anderen Rechtfertigungsgründe berücksichtigen.
63. Demzufolge ist festzustellen, dass der Schutz der Unabhängigkeit, der Würde und der Integrität des reglementierten Berufsstands sowie der Wahrung des Berufsgeheimnisses als zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 anzusehen sind.
64. Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 ist im Verhältnis zu deren Art. 16 Abs. 1 Buchst. b lex specialis, so dass die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses, die in diesem Artikel nicht erschöpfend aufgezählt werden und sich von den Rechtfertigungsgründen des Art. 16 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie unterscheiden, zur Regelung des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation für reglementierte Berufe ebenfalls zulässig sind.
65. Wie ich in den Nrn. 53 bis 57 der vorliegenden Schlussanträge bereits ausgeführt habe, ist das Verbot der Kundenakquise aus Gründen gerechtfertigt, die den Schutz der Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer zum Ziel haben.
66. Was die Verhältnismäßigkeit des Verbots der Kundenakquise angeht, bin ich der Meinung, dass eine solche Maßnahme die Grenzen dessen, was zur Erreichung der von ihr verfolgten rechtmäßigen Ziele geeignet und erforderlich ist, nicht überschreitet.
67. In Anbetracht des in den vorliegenden Schlussanträgen(14) bestimmten Begriffs der „Kundenakquise“ stellt deren Verbot nach meiner Auffassung eine rechtliche Maßnahme dar, die geeignet ist, den Bereich des unmittelbaren persönlichen Kontakts zwischen potenziellem Kunden einerseits und Wirtschaftsprüfer andererseits, durch den Letzterer seine Dienstleistungen anbietet, zu begrenzen und damit die unabhängige Ausübung dieses reglementierten Berufs zu verstärken.
68. Da die Regelung, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, hinreichend genau ist und ihre Anwendung durch ein geeignetes Mittel kontrolliert und gesteuert werden kann, überschreitet diese Regelung nicht die Grenzen dessen, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten rechtmäßigen Ziele erforderlich ist. Überdies erscheinen die Formen der kommerziellen Kommunikation, die den Wirtschaftsprüfern erlaubt bleiben, sowie die Modalitäten für ihre Anwendung ausreichend, um potenziellen Kunden Informationen über ihre Tätigkeit im Einklang mit dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers, wie er in Art. 24 der Richtlinie 2006/123 zum Ausdruck gekommen ist, vermitteln zu können.
I – Ergebnis
69. Angesichts der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Conseil d’État zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:
Da die Kundenakquise eine besondere Art des Einsatzes einer der Formen der kommerziellen Kommunikation, und zwar der Werbung, darstellt, ist Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt dahin auszulegen, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, wonach Wirtschaftsprüfern jegliche unaufgeforderte Einleitung von Kontakten zu dem Zweck, Dritten ihre Dienstleistungen anzubieten, untersagt ist, sofern diese Regelung nicht diskriminierend, durch einen der in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 beispielhaft aufgezählten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig ist.
1 – Originalsprache: Französisch.
2 – ABl. L 376, S. 36.
3 – Mit einem weiteren Klagegrund macht die Société fiduciaire eine Missachtung der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. L 178, S. 1) geltend. Die dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage betrifft diesen Aspekt der Rechtssache jedoch nicht. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Entscheidung über diesen Klagegrund nicht unabhängig von der Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefrage ist.
4 – ABl. L 255, S. 22.
5 – Die Stellungnahme ist am 10. November 2009 vorgelegt worden, Randnrn. 28 bis 47.
6 – Für die reglementierten Berufe hatte ein solches Verbot keinen Ausnahmecharakter. Die vor dem Erlass des Dekrets Nr. 2007-1387 geltende französische Regelung für Wirtschaftsprüfer enthielt im Wesentlichen ein absolutes Verbot kommerzieller Kommunikation.
7 – Die Bedeutung der Qualität der Dienstleistungen der reglementierten Berufe ist von Generalanwalt Léger in seinen Schlussanträgen vom 10. Juli 2001 in der Rechtssache Arduino (Urteil vom 19. Februar 2002, C‑35/99, Slg. 2002, I‑1529, Randnr. 112) beschrieben worden. Seine Ausführungen haben bis heute unverändert Gültigkeit.
8 – Urteil vom 12. September 2000 (C‑180/98 bis C‑184/98, Slg. 2000, I‑6451). In dieser Hinsicht ist es nicht von Bedeutung, dass diese Beschreibung aus wettbewerbsrechtlicher Sicht erfolgt ist.
9– Noch im Jahr 2008, also nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2006/123, hat der Gerichtshof eine Regelung für zulässig erklärt, die jedermann und insbesondere dem, der im Rahmen eines freien Berufs oder einer Zahnarztpraxis Dienstleistungen der Zahnbehandlung erbringt, jede Werbung im Bereich der Zahnbehandlung verbietet (Urteil vom 13. März 2008, Doulamis, C‑446/05, Slg. 2008, I‑1377). Die Ausführungen des Gerichtshofs bezogen sich allerdings im Wesentlichen auf Art. 81 EG. Zur Frage der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Regelung mit dem freien Dienstleistungsverkehr hat sich der Gerichtshof in dieser Rechtssache nicht geäußert.
10 – Im Hinblick auf die Kundenakquise per E-Mail sei daran erinnert, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation („Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation“, ABl. L 201, S. 37) die Verwendung von elektronischer Post für die Zwecke der Direktwerbung nur bei vorheriger Einwilligung der Teilnehmer gestattet werden darf.
11 – ABl. L 311, S. 67.
12 – Urteil vom 10. Mai 1995 (C‑384/93, Slg. 1995, I‑1141).
13 – C‑518/07, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 30.
14 – Siehe Nr. 45 dieser Schlussanträge.