Rechtssache T‑135/08

Schniga GmbH

gegen

Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO)

„Pflanzensorten – Antrag auf gemeinschaftlichen Sortenschutz für die Apfelsorte Gala Schnitzer – Technische Prüfung – Ermessen des CPVO – Einwendungen – Art. 55 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94“

Leitsätze des Urteils

1.      Landwirtschaft – Einheitliche Rechtsvorschriften – Sortenschutz – Beschwerdeverfahren

(Verordnung Nr. 2100/94 des Rates, Art. 73; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 135 Abs. 4)

2.      Landwirtschaft – Einheitliche Rechtsvorschriften – Sortenschutz – Technische Prüfung

(Verordnung Nr. 2100/94 des Rates, Art. 55 Abs. 4)

1.      Die Klage beim Gericht ist auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern des Gemeinschaftlichen Sortenamts im Sinne von Art. 73 der Verordnung Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz in der geänderten Fassung gerichtet. Diese Kontrolle muss daher anhand der Rechtsfragen erfolgen, mit denen die Beschwerdekammer befasst wurde. Es ist darum nicht Sache des Gerichts, bei ihm geltend gemachte neue Klagegründe zu prüfen. Der Prüfung solcher neuen Klagegründe steht nämlich Art. 135 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts entgegen, wonach die Schriftsätze der Parteien den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand nicht ändern können.

(vgl. Randnr. 34)

2.      Das Ermessen, das Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz dem Gemeinschaftlichen Sortenamt (CPVO) einräumt, umfasst das Recht des CPVO, falls es dies für erforderlich erachtet, die Voraussetzungen, denen es die Prüfung eines Antrags auf gemeinschaftlichen Sortenschutz unterwirft, zu präzisieren, sofern die Frist, innerhalb deren der Steller dieses Schutzantrags der an ihn gerichteten Aufforderung im Einzelfall nachzukommen hat, nicht abgelaufen ist.

Es entspricht dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung sowie dem Erfordernis, den sachgerechten Ablauf und die Effizienz der Verfahren zu gewährleisten, dass das CPVO, wenn es der Ansicht ist, dass eine von ihm festgestellte Ungenauigkeit korrigiert werden kann, die Prüfung des bei ihm eingereichten Antrags fortsetzen kann und in diesem Fall nicht gehalten ist, den Antrag zurückzuweisen. Dieses so verstandene Ermessen ermöglicht die Vermeidung unnötiger Verlängerungen des Zeitraums zwischen der Einreichung eines Antrags auf gemeinschaftlichen Sortenschutz und der Entscheidung über diesen Antrag, zu denen es käme, wenn der Antragsteller einen neuen Antrag einreichen müsste.

Im Übrigen ermöglicht ein solches Ermessen zum einen dem CPVO, sicherzustellen, dass seine Aufforderungen im Einzelfall klar sind und dass eine eventuelle Nichtübereinstimmung der Handlungen des Antragstellers mit diesen Aufforderungen allein dem Antragsteller zuzuschreiben ist, und zum anderen den Antragstellern, ihre Rechte und Pflichten unzweideutig zu erkennen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, wobei es sich um ein dem Grundsatz der Rechtssicherheit innewohnendes Erfordernis handelt.

(vgl. Randnrn. 63-65)







URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

13. September 2010(*)

„Pflanzensorten – Antrag auf gemeinschaftlichen Sortenschutz für die Apfelsorte Gala Schnitzer – Technische Prüfung – Ermessen des CPVO – Einwendungen – Art. 55 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94“

In der Rechtssache T‑135/08

Schniga GmbH mit Sitz in Bozen (Italien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. Würtenberger und R. Kunze,

Klägerin,

gegen

Gemeinschaftliches Sortenamt (CPVO), vertreten durch B. Kiewiet und M. Ekvad als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte am Verfahren vor der Beschwerdekammer des CPVO und Streithelferinnen vor dem Gericht:

Elaris SNC mit Sitz in Angers (Frankreich),

und

Brookfield New Zealand Ltd mit Sitz in Havelock North (Neuseeland),

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt M. Eller,

wegen Aufhebung der Entscheidung der Beschwerdekammer des CPVO vom 21. November 2007 (Sachen A 003/2007 und A 004/2007) über die Erteilung von gemeinschaftlichem Sortenschutz für die Pflanzensorte Gala Schnitzer

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. W. H. Meij sowie der Richter V. Vadapalas und L. Truchot (Berichterstatter),

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund der am 4. April 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 19. August 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des CPVO,

aufgrund der am 7. August 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferinnen,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2010

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 18. Januar 1999 reichte das Konsortium Südtiroler Baumschuler (KSB), dessen Rechtsnachfolgerin die Klägerin, die Schniga GmbH, ist, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227, S. 1) in geänderter Fassung einen Antrag auf gemeinschaftlichen Sortenschutz beim Gemeinschaftlichen Sortenamt (CPVO) ein.

2        Dieser Antrag wurde unter der Nr. 1999/0033 in das Register eingetragen.

3        Der gemeinschaftliche Sortenschutz wurde für die Apfelsorte (Malus Mill) Gala Schnitzer beantragt.

4        Das CPVO beauftragte das Bundessortenamt (Deutschland) mit der Durchführung der technischen Prüfung gemäß Art. 55 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94.

5        Mit an den Bevollmächtigten des KSB gerichtetem Schreiben vom 26. Januar 1999 forderte das CPVO das KSB auf, ihm und dem Bundessortenamt zwischen dem 1. und dem 15. März 1999 das für die technische Prüfung erforderliche Material, nämlich zehn ruhende Triebe zur Veredelung, vorzulegen. Das CPVO wies ferner darauf hin, dass das KSB für die Einhaltung aller für die Versendung des Materials geltenden phytosanitären und zollrechtlichen Vorgaben zuständig sei.

6        Das Bundessortenamt erhielt das fragliche Material am 9. März 1999.

7        Mit an den Bevollmächtigten des KSB gerichtetem Schreiben vom 25. März 1999 bestätigte das CPVO den Erhalt des angeforderten Materials und führte aus, dass dieses in gutem Zustand und fristgerecht beim Bundessortenamt eingegangen sei, ihm jedoch kein Pflanzengesundheitszeugnis beigelegen habe. Es forderte das KSB auf, dieses unerlässliche Dokument so bald wie möglich vorzulegen.

8        Am 23. April 1999 übermittelte das KSB dem Bundessortenamt einen EU‑Pflanzenpass und wies darauf hin, dass die ausstellende Behörde, der Landespflanzenschutzdienst der autonomen Provinz Bozen (Italien), es darüber informiert habe, dass dieses Dokument als Pflanzengesundheitszeugnis diene.

9        Mit E‑Mail vom 3. Mai 1999 teilte das Bundessortenamt dem KSB mit, dass das Material fristgerecht bei ihm eingegangen und in gutem Zustand sei und dass der vorgelegte EU‑Pflanzenpass für die technische Prüfung sowie die Prüfung der materiellen Voraussetzungen für die Erteilung von gemeinschaftlichem Sortenschutz ausreiche. Es verlangte jedoch eine Kopie eines amtlichen Zeugnisses, das die Virusfreiheit des vorgelegten Materials bescheinige.

10      Im Jahr 2001 teilte das KSB dem Bundessortenamt mit, dass es das verlangte Pflanzengesundheitszeugnis nicht vorlegen könne, da sich herausgestellt habe, dass das im März 1999 für die technische Prüfung vorgelegte Material Träger latenter Viren sei.

11      Mit E‑Mail vom 4. Mai 2001 teilte das Bundessortenamt dem CPVO mit, dass es vorhabe, das infizierte Material auszureißen, um eine Übertragung der Infektion auf andere Pflanzen zu verhindern, und schlug ihm vor, das KSB aufzufordern, neues, virusfreies Material vorzulegen, um erneut mit der technischen Prüfung zu beginnen.

12      Mit an das Bundessortenamt gerichteter E‑Mail vom 8. Mai 2001 stimmte das CPVO dem Ausreißen des infizierten Materials zu und teilte mit, dass es entschieden habe, das KSB aufzufordern, im März 2002 neues, virusfreies Material vorzulegen. Weiter wurde ausgeführt, dass das KSB, da in den Anweisungen für die Vorlage des Materials nicht die Virusfreiheit, sondern lediglich die Einhaltung der Anforderungen des EU‑Pflanzenpasses verlangt worden sei, nicht für die Situation verantwortlich gemacht werden könne, dass es ungerecht sei, den Antrag für die Sorte Gala Schnitzer zurückzuweisen und dass daher die vorgeschlagene Lösung als die beste erscheine.

13      Mit E‑Mail vom 13. Juni 2001 teilte das CPVO dem KSB mit, dass es im Einvernehmen mit dem Bundessortenamt entschieden habe, dem KSB angesichts der Tatsache, dass seine Anweisungen hinsichtlich der Vorlage von Pflanzen und der Anforderungen an deren Gesundheitsstatus nicht hinreichend klar gewesen seien, zu gestatten, dem Bundessortenamt im März 2002 neues, virusfreies Material nebst einem dies bescheinigenden Pflanzengesundheitszeugnis vorzulegen, um die Prüfung des Antrags für die Sorte Gala Schnitzer wieder aufzunehmen.

14      Nach der erneuten technischen Prüfung kam das Bundessortenamt in seinem abschließenden Bericht vom 16. Dezember 2005 zu dem Ergebnis, dass die Sorte Gala Schnitzer sich von der dieser am nächsten kommenden und als Referenz dienenden Sorte, der Sorte Baigent, auf der Grundlage des zusätzlichen Merkmals „Frucht: Breite der Streifen“ unterscheide.

15      Am 5. Mai 2006 richteten die Streithelferinnen, die Elaris SNC, Inhaberin einer Lizenz in Bezug auf das Schutzrecht für die Sorte Baigent, und die Brookfield New Zealand Ltd, Inhaberin dieses Rechts, gemäß Art. 59 der Verordnung Nr. 2100/94 Einwendungen gegen die Erteilung des Schutzes für die Sorte Gala Schnitzer an das CPVO.

16      Die Einwendungen wurden auf das ältere Schutzrecht für die Apfelsorte (Malus Mill) Baigent gestützt.

17      Zur Begründung der Einwendungen wird zum einen auf Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 verwiesen und geltend gemacht, dass der Umstand, dass die Klägerin die in den Schreiben des CPVO vom 26. Januar und vom 25. März 1999 genannten Vorgaben hinsichtlich der Vorlage des für die technische Prüfung bestimmten Materials nicht eingehalten habe, die Zurückweisung des Antrags betreffend die Sorte Gala Schnitzer durch das CPVO zur Folge hätte haben müssen; zum anderen wird Art. 7 der Verordnung Nr. 2100/94 angeführt und vorgetragen, dass die Sorte Gala Schnitzer sich nicht von der Sorte Baigent unterscheide.

18      Am 14. Dezember 2006 billigte der Präsident des CPVO die Verwendung des zusätzlichen Merkmals „Frucht: Breite der Streifen“ zur Bestimmung der Unterscheidbarkeit der Sorte Gala Schnitzer.

19      Mit den Entscheidungen EU 18759, OBJ 06‑021 und OBJ 06‑022 vom 26. Februar 2007 erteilte der für die Entscheidung über die Einwendungen gegen die Erteilung von gemeinschaftlichem Sortenschutz zuständige Ausschuss (im Folgenden: Ausschuss) den beantragten Schutz für die Sorte Gala Schnitzer und wies die Einwendungen zurück.

20      Am 11. April 2007 legten die Streithelferinnen gemäß den Art. 67 bis 72 der Verordnung Nr. 2100/94 Beschwerde gegen diese drei Entscheidungen bei der Beschwerdekammer des CPVO ein.

21      Mit Entscheidung vom 21. November 2007 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) hob die Beschwerdekammer die Entscheidung über die Erteilung von gemeinschaftlichem Sortenschutz für die Sorte Gala Schnitzer sowie die Entscheidungen über die Zurückweisung der Einwendungen auf und wies den Antrag betreffend die Sorte Gala Schnitzer ab. Sie war insbesondere der Ansicht, dass Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 dem CPVO nicht erlaube, dem KSB die Vorlage neuen Materials zu gestatten, da das KSB der Aufforderung nach Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 nicht nachgekommen sei, mit der das CPVO von ihm die Vorlage eines Pflanzengesundheitszeugnisses verlangt habe, das die Virusfreiheit des vorgelegten Materials bescheinige.

 Verfahren und Anträge der Parteien

22      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem CPVO die Kosten aufzuerlegen.

23      Das CPVO beantragt,

–        die Klage für unbegründet zu erklären;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

24      In der mündlichen Verhandlung hat das CPVO seinen ersten Antrag geändert und erklärt, dass es die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantrage. Das Gericht hat dies im Sitzungsprotokoll vermerkt.

25      Die Streithelferinnen beantragen,

–        die Klage abzuweisen und demnach die angefochtene Entscheidung zu bestätigen;

–        hilfsweise, im Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Entscheidungen EU 18759, OBJ 06‑021 und OBJ 06‑022 des CPVO vom 26. Februar 2007 aufzuheben und den Antrag Nr. 1999/0033 auf Erteilung eines Sortenschutzrechts zurückzuweisen, gegebenenfalls nach Einholung von Sachverständigengutachten wie folgt: gleichzeitige Beauftragung des Bundessortenamts und des Institut national de la recherche agronomique (INRA, Frankreich) mit der Durchführung zusätzlicher Studien über die Kandidatensorte und die Referenzsorte Baigent auf der Grundlage von gleich alten Mustern während zweier Fruchtbildungszeiträume, wobei diese Studien insbesondere das Merkmal „Frucht: Streifen“ betreffen sollten;

–        weiter hilfsweise,

–        das Bundessortenamt mit der Durchführung zusätzlicher Studien über die Kandidatensorte und die Referenzsorte Baigent auf der Grundlage von gleich alten Mustern während dreier oder zumindest zweier Fruchtbildungszeiträume zu beauftragen, wobei diese Studien insbesondere das Merkmal „Frucht: Streifen“ betreffen sollten;

–        die Einholung jedes anderen vom Gericht für erforderlich erachteten Sachverständigengutachtens anzuordnen, damit die Frage, ob sich die beiden Sorten voneinander unterscheiden, in wissenschaftlich akzeptabler Weise beantwortet wird und die geltend gemachten Verstöße gegen die für die Durchführung der Prüfung der Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit geltenden zwingenden Verfahrensregeln beseitigt werden;

–        die Erstattung der Kosten anzuordnen.

26      Da der Richter Tchipev nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, ist der Richter Vadapalas gemäß Art. 32 § 3 der Verfahrensordnung des Gerichts dazu bestimmt worden, den Spruchkörper zu vervollständigen.

27      Mit Beschluss vom 5. Juli 2010 hat das Gericht (Sechste Kammer) in seiner neuen Zusammensetzung die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und den Parteien mitgeteilt, dass am 7. September 2010 eine neue Sitzung stattfinde.

28      Mit Fax vom 13., 14. und 15. Juli 2010 haben die Streithelferinnen, die Klägerin und das CPVO dem Gericht jeweils mitgeteilt, dass sie auf eine erneute Anhörung verzichteten.

29      Der Präsident der Sechsten Kammer hat daraufhin beschlossen, die mündliche Verhandlung zu schließen.

 Rechtliche Würdigung

30      Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Klagegründe, nämlich die Unzulässigkeit der an das CPVO gerichteten Einwendungen der Streithelferinnen, einen Verstoß gegen die Art. 61 Abs. 1 Buchst. b und 62 der Verordnung Nr. 2100/94 und einen Verstoß gegen Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94.

 Zur Zulässigkeit

 Zur Zulässigkeit des ersten Klagegrundes

–       Vorbringen der Parteien

31      Die Streithelferinnen tragen vor, dass der erste Klagegrund der Klägerin, mit dem diese geltend mache, dass der Ausschuss und die Beschwerdekammer die an das CPVO gerichteten Einwendungen der Streithelferinnen als unzulässig hätten zurückweisen müssen, unzulässig sei, da er erstmals vor dem Gericht vorgebracht worden sei.

32      Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Streithelferinnen entgegen. Sie macht geltend, dass die Beschwerdekammer die Zulässigkeit der Beschwerde der Streithelferinnen von Amts wegen hätte prüfen müssen.

33      Das CPVO macht geltend, dass die Beschwerdekammer dafür zuständig sei, zu beurteilen, ob es befugt sei, eine erneute Vorlage von Material zu gestatten.

–       Würdigung durch das Gericht

34      Die Klage beim Gericht ist auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beschwerdekammern des CPVO im Sinne von Art. 73 der Verordnung Nr. 2100/94 in der geänderten Fassung gerichtet. Diese Kontrolle muss daher anhand der Rechtsfragen erfolgen, mit denen die Beschwerdekammer befasst wurde. Es ist darum nicht Sache des Gerichts, bei ihm geltend gemachte neue Klagegründe zu prüfen. Der Prüfung solcher neuen Klagegründe steht nämlich Art. 135 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts entgegen, wonach die Schriftsätze der Parteien den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand nicht ändern können (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 14. Mai 2009, Fiorucci/HABM – Edwin [ELIO FIORUCCI], T‑165/06, Slg. 2009, II‑1375, Randnrn. 21 und 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Der von der Klägerin erstmals vor dem Gericht vorgebrachte Klagegrund, mit dem sie geltend macht, dass die an das CPVO gerichteten Einwendungen der Streithelferinnen unzulässig gewesen seien, ist daher für unzulässig zu erklären.

 Zur Zulässigkeit des dritten Klagegrundes

–       Vorbringen der Parteien

36      Die Streithelferinnen tragen vor, dass der dritte Klagegrund der Klägerin, mit dem diese geltend mache, dass die Beschwerdekammer gegen Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 verstoßen habe, unzulässig sei.

37      Das dem CPVO in Bezug auf Aufforderungen im Einzelfall im Sinne von Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 zustehende Ermessen, auf das sich die Klägerin berufe, habe zur Folge, dass solche Aufforderungen ohne irgendeine Bezugnahme auf eine Rechtsgrundlage ergehen könnten. Art. 73 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 sehe jedoch vor, dass ein Rechtsmittel eingelegt werden könne wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrags, dieser Verordnung oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs. Die Beschwerdekammer habe demnach, als sie den Inhalt der Schreiben des CPVO vom 26. Januar und 25. März 1999 ausgelegt habe, Tatsachen beurteilt und somit keine rechtliche Würdigung vorgenommen. Sie habe daher keinen Rechtsfehler begehen können, der als Verstoß gegen das anwendbare Recht angesehen werden und damit Gegenstand einer gemäß Art. 73 der Verordnung Nr. 2100/94 erhobenen Klage vor dem Gericht sein könnte.

–       Würdigung durch das Gericht

38      Die Beschwerdekammer hat zunächst ausgeführt, dass die Schreiben des CPVO vom 26. Januar und 25. März 1999 Aufforderungen im Einzelfall im Sinne von Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 enthielten, dann festgestellt, dass das KSB diesen nicht nachgekommen sei, und daraus schließlich die in Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehene Konsequenz gezogen, dass das CPVO den Antrag betreffend die Sorte Gala Schnitzer zurückweisen müsse.

39      Die Beschwerdekammer hat damit die genannten Schreiben rechtlich bewertet und Konsequenzen aus dieser Bewertung gezogen, indem sie die einschlägigen Vorschriften der Verordnung Nr. 2100/94 angewandt hat. Die Streithelferinnen können sich daher nicht darauf berufen, dass die Beschwerdekammer keine rechtliche Würdigung vorgenommen habe, die die Klägerin im Rahmen einer Klage gemäß Art. 73 der Verordnung Nr. 2100/94 anfechten könnte.

40      Der dritte Klagegrund ist somit zulässig.

 Zur Begründetheit

41      Der dritte Klagegrund ist zuerst zu prüfen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94

–       Vorbringen der Parteien

42      Nach Ansicht der Klägerin konnte das CPVO frei bestimmen, welchen technischen und administrativen Anforderungen das für die technische Prüfung vorgelegte Material genügen musste. Dieses uneingeschränkte Ermessen, über das das CPVO bei der Bestimmung der Beschaffenheit des Materials für die technische Prüfung sowie der Referenzmuster durch allgemeine Regelung und Aufforderung im Einzelfall verfüge, werde diesem durch Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 übertragen.

43      Die vom CPVO erteilten Anweisungen müssten klar sein, um Willkür zu vermeiden. Für die Organe der Europäischen Union bestehe nämlich eine Verpflichtung zur klaren Formulierung von Definitionen, aufgrund deren Verwaltungsmaßnahmen und Vorgaben, deren Nichtbeachtung den Verlust eines Rechts zur Folge haben könnte, hinreichend genau und klar sein müssten, damit die Unionsbürger ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und somit darauf achten könnten, nichts zu tun, was ihren Interessen zuwiderlaufen könnte. Dieser Grundsatz verpflichte das CPVO, dem Steller eines Antrags auf gemeinschaftlichen Sortenschutz genau mitzuteilen, welche Voraussetzungen er zusätzlich zu den in den Art. 7 bis 9 der Verordnung Nr. 2100/94 vorgesehenen erfüllen müsse.

44      Im vorliegenden Fall hätte das CPVO daher, wenn das KSB zusätzliche Dokumente über den Gesundheitszustand des vorgelegten Materials hätte beibringen sollen, diese Bedingungen von Anfang an klar und eindeutig festlegen müssen.

45      Da zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags betreffend die Sorte Gala Schnitzer keine allgemeine Regelung im Sinne von Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 bestanden habe, müsse das Schreiben des CPVO vom 26. Januar 1999 als Aufforderung im Einzelfall im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden. Die in diesem Schreiben enthaltenen Informationen über die geltenden phytosanitären Voraussetzungen, die das vorzulegende Material habe erfüllen müssen, seien nicht hinreichend gewesen, so dass der Klägerin nichts anderes übrig geblieben sei, als diese Voraussetzungen, nämlich die in der Richtlinie 77/93/EWG des Rates vom 21. Dezember 1976 über Maßnahmen zum Schutz gegen das Verbringen von Schadorganismen der Pflanzen oder Pflanzenerzeugnisse in die Mitgliedstaaten (ABl. L 26, S. 20) in der geänderten Fassung genannten, selbst auszulegen. Sie habe nicht davon ausgehen müssen, dass die phytosanitären Anforderungen des CPVO höher sein würden als diejenigen, die sich aus den Vorschriften dieser Richtlinie ergäben.

46      Das Bundessortenamt habe dem KSB in seiner E‑Mail vom 3. Mai 1999 zudem mitgeteilt, dass der vorgelegte EU‑Pflanzenpass für die technische Prüfung ausreiche, wobei es das KSB gleichzeitig aufgefordert habe, so bald wie möglich ein Zeugnis vorzulegen, das die Virusfreiheit des vorgelegten Materials bescheinige.

47      Weder das Bundessortenamt noch das CPVO hätten das KSB jedoch darüber informiert, welche Folgen die Nichtvorlage des verlangten Zeugnisses haben würde. Außerdem habe das CPVO dadurch, dass es die technische Prüfung fortgesetzt habe, obwohl das genannte Zeugnis nicht vorgelegen habe, zu verstehen gegeben, dass die Vorlage eines EU‑Pflanzenpasses für die Zwecke der Gewährung des beantragten Schutzes letztlich ausreiche, und so bei der Klägerin ein berechtigtes Vertrauen darauf entstehen lassen, dass der EU‑Pflanzenpass insoweit genüge.

48      Obwohl das CPVO die Vorlage eines solchen Dokuments in Wirklichkeit nicht für ausreichend erachtet habe, habe es den Antrag betreffend die Sorte Gala Schnitzer aufgrund des berechtigten Vertrauens, das es bei der Klägerin habe entstehen lassen und das, wie jeder allgemeine Rechtsgrundsatz, die Verwaltung der Union binde, somit nicht zurückweisen können. Das CPVO habe vielmehr keine andere Wahl gehabt, als die Vorlage neuen Materials zu gestatten.

49      Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 („es sei denn, dass das Amt die Nichtvorlage genehmigt hat“) ergebe, könne das CPVO außerdem sein Ermessen zu jedem Zeitpunkt des Prüfungsverfahrens ausüben.

50      Schließlich müssten das CPVO und sein Präsident angesichts der besonderen Natur von lebendem Material wie z. B. pflanzlichem Material bei der Entscheidung, ob wegen vom Willen des Antragstellers unabhängiger oder außergewöhnlicher Umstände neues Material vorgelegt werden könne, über ein weites Ermessen verfügen.

51      Solche Umstände lägen hier vor, da eine thermotherapeutische Behandlung wie die 1996 durchgeführte, mit der man in 99 % der Fälle virusfreies Material erhalte, nicht zu dem erwarteten Ergebnis geführt habe und es über ein Jahr gedauert habe, bis festgestellt worden sei, dass Viren diese Behandlung überlebt hätten.

52      Die Beschwerdekammer hätte daher davon ausgehen müssen, dass das KSB dem Bundessortenamt im Jahr 1999 Material vorgelegt habe, von dem es habe annehmen dürfen, dass es virusfrei sei, weshalb sie mit der Entscheidung, dass der Präsident des CPVO nicht befugt gewesen sei, eine erneute Vorlage von Material zu gestatten, das diesem durch Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 übertragene Ermessen verkannt habe, wonach dieser insbesondere die Beschaffenheit des Materials und der vorzulegenden Muster bestimmen könne.

53      Das CPVO hat in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94, wonach das CPVO den Antrag auf gemeinschaftlichen Sortenschutz zurückweise, wenn und sobald es feststelle, dass der Antragsteller einer allgemeinen Regelung oder Aufforderung im Einzelfall nicht innerhalb der gesetzten Frist nachgekommen sei, nicht anwendbar sei, wenn die fragliche Aufforderung nicht klar sei.

54      Die Ansicht der Beschwerdekammer, dass seine Anweisungen bezüglich des Materials für die technische Prüfung hinreichend klar gewesen seien, um bei Nichtbefolgung die Zurückweisung des Antrags betreffend die Sorte Gala Schnitzer nach sich zu ziehen, teile es nicht.

55      Die Anweisungen, die es dem KSB in Bezug auf den Gesundheitszustand des vorzulegenden Materials erteilt habe, seien nicht hinreichend klar gewesen, es habe das KSB insbesondere nicht zutreffend darüber informiert, dass der vorgelegte EU‑Pflanzenpass nicht ausreiche, und in den genannten Anweisungen hätte ausdrücklich erwähnt werden müssen, dass das vorzulegenden Material virusfrei sein müsse, da es nicht Sache der Steller von Anträgen auf gemeinschaftlichen Sortenschutz sei, seine Anweisungen auszulegen.

56      Das CPVO habe im vorliegenden Fall wegen der Verwirrung, zu der seine Anweisungen beigetragen hätten, die Vorlage neuen Materials gestattet.

57      Die Streithelferinnen treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie sind der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Zurückweisung des Antrags erfüllt gewesen seien, da das KSB, das für die Erfüllung aller phytosanitären Formalitäten in Bezug auf das vorgelegte Pflanzenmaterial verantwortlich gewesen sei, das vom CPVO gemäß Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 geforderte Pflanzengesundheitszeugnis nicht vorgelegt habe.

58      Das KSB sei somit dieser Aufforderung im Einzelfall im Sinne von Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 nicht nachgekommen. Das CPVO habe ihm daher nicht die Vorlage neuen Materials gestatten können, ohne gegen Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 zu verstoßen.

59      In einem solchen Fall ließen sich die Folgen des Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 nur durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne von Art. 80 der Verordnung Nr. 2100/94 vermeiden. Das KSB habe jedoch keinen entsprechenden Antrag innerhalb der in dieser Vorschrift vorgesehenen Fristen eingereicht.

–       Würdigung durch das Gericht

60      Gemäß Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt das CPVO durch allgemeine Regelung oder Aufforderung im Einzelfall, wann, wo und in welcher Menge und Beschaffenheit das Material für die technische Prüfung sowie Referenzmuster vorzulegen sind.

61      Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die Beschwerdekammer davon ausgegangen ist, dass das dem CPVO durch diese Vorschrift eingeräumte Ermessen es diesem nicht erlaubt habe, dem KSB die Vorlage neuen Materials zu gestatten, da die Voraussetzungen für eine Zurückweisung des Antrags des KSB erfüllt gewesen seien. Nach Ansicht der Beschwerdekammer wäre das KSB nämlich aufgrund der Virusinfektion des vorgelegten Materials, über die es das CPVO informiert habe, niemals in der Lage gewesen, das verlangte Pflanzengesundheitszeugnis vorzulegen. Das KSB habe das verlangte Pflanzengesundheitszeugnis nicht vorgelegt und sei daher den in den Schreiben des CPVO vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall nicht nachgekommen. Gemäß Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der genannten Verordnung hätte das CPVO den Antrag betreffend die Sorte Gala Schnitzer somit zurückweisen müssen.

62      Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen, da sie den Umfang des Ermessens verkennen, das Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 dem CPVO einräumt.

63      Dieses Ermessen umfasst das Recht des CPVO, falls es dies für erforderlich erachtet, die Voraussetzungen, denen es die Prüfung eines Antrags auf gemeinschaftlichen Sortenschutz unterwirft, zu präzisieren, sofern die Frist, innerhalb deren der Steller dieses Schutzantrags der an ihn gerichteten Aufforderung im Einzelfall nachzukommen hat, nicht abgelaufen ist.

64      Es entspricht dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung sowie dem Erfordernis, den sachgerechten Ablauf und die Effizienz der Verfahren zu gewährleisten, dass das CPVO, wenn es der Ansicht ist, dass eine von ihm festgestellte Ungenauigkeit korrigiert werden kann, die Prüfung des bei ihm eingereichten Antrags fortsetzen kann und in diesem Fall nicht gehalten ist, den Antrag zurückzuweisen. Dieses so verstandene Ermessen ermöglicht die Vermeidung unnötiger Verlängerungen des Zeitraums zwischen der Einreichung eines Antrags auf gemeinschaftlichen Sortenschutz und der Entscheidung über diesen Antrag, zu denen es käme, wenn der Antragsteller einen neuen Antrag einreichen müsste.

65      Im Übrigen ermöglicht ein solches Ermessen zum einen dem CPVO, sicherzustellen, dass seine Aufforderungen im Einzelfall klar sind und dass eine eventuelle Nichtübereinstimmung der Handlungen des Antragstellers mit diesen Aufforderungen allein dem Antragsteller zuzuschreiben ist, und zum anderen den Antragstellern, ihre Rechte und Pflichten unzweideutig zu erkennen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, wobei es sich um ein dem Grundsatz der Rechtssicherheit innewohnendes Erfordernis handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 9. Juli 1981, Gondrand und Garancini, 169/80, Slg. 1981, 1931, Randnr. 17).

66      Im vorliegenden Fall steht fest, dass das CPVO mit Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 sowie E‑Mail vom 13. Juni 2001 mit dem KSB oder dessen Bevollmächtigtem kommuniziert hat.

67      In seinem Schreiben vom 26. Januar 1999 hat das CPVO das KSB aufgefordert, ihm und dem Bundessortenamt zwischen dem 1. und dem 15. März 1999 das für die technische Prüfung erforderliche Material, nämlich zehn ruhende Triebe zur Veredelung, zukommen zu lassen. In diesem Schreiben hat das CPVO darauf hingewiesen, dass „der Versender für den erforderlichen Transport sowie die Übergabe des Pflanzenmaterials zuständig ist, was die Einhaltung aller geltenden phytosanitären und zollrechtlichen Vorgaben einschließt“, und dass „das Pflanzenmaterial keiner chemischen Behandlung unterzogen worden sein darf“.

68      In seinem Schreiben vom 25. März 1999 hat das CPVO den Erhalt des angeforderten Materials bestätigt und ausgeführt, dass dieses in gutem Zustand und fristgerecht beim Bundessortenamt eingereicht worden sei, „der Sendung jedoch nicht das erforderliche Pflanzengesundheitszeugnis beigelegen hat“. In diesem Schreiben hat das CPVO das KSB ferner aufgefordert, „dieses unerlässliche Dokument so bald wie möglich … vorzulegen, um den Anweisungen nachzukommen, die [ihm] am 26. Januar 1999 übermittelt worden waren“.

69      Im Schreiben vom 26. Januar 1999 werden der Ort und das Datum, an denen das Material vorzulegen ist, sowie die Menge des vorzulegenden Materials angegeben. Die im Schreiben vom 25. März 1999 enthaltenen Ausführungen, dass das vorzulegende Material zum einen keiner chemischen Behandlung unterzogen worden sein dürfe und diesem zum anderen ein Pflanzengesundheitszeugnis beizulegen sei, betreffen darüber hinaus die Beschaffenheit des Materials. Diese beiden Schreiben enthalten daher Aufforderungen im Einzelfall im Sinne von Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94.

70      In seiner E‑Mail vom 13. Juni 2001 hat das CPVO das KSB zunächst über seine Entscheidung informiert, das von ihm vorgelegte Material, da es infiziert sei, zu zerstören, und ihm anschließend mitgeteilt, dass „das CPVO, da die von ihm übermittelten Anweisungen hinsichtlich der Vorlage von Pflanzen und des verlangten Gesundheitsstatus nicht hinreichend klar waren, entschieden hat, dem Antrag [des KSB] auf Vorlage von neuem, virusfreien Material für die drei an das Bundessortenamt Wurzen geschickten Sorten bis März 2002“ zuzustimmen, und das KSB aufgefordert „dafür zu sorgen, dass der Sendung diesmal ein von einer offiziellen Einrichtung ausgestelltes Pflanzengesundheitszeugnis beigelegt wird, das deren guten Gesundheitszustand bescheinigt“.

71      Aus dem in der Klageschrift dargestellten und insoweit unbestrittenen Sachverhalt ergibt sich, dass dieser E‑Mail die an das Bundessortenamt gerichtete Mitteilung des KSB zugrunde liegt, dass das im März 1999 für die technische Prüfung eingereichte Material Träger latenter Viren sei, weshalb das KSB nicht in der Lage sei, dem Bundessortenamt ein Pflanzengesundheitszeugnis vorzulegen, das die Virusfreiheit des fraglichen Materials bescheinige.

72      In dieser E‑Mail werden erstens der Ort und das Datum angegeben, an denen das Material vorzulegen ist. Außerdem stellt die darin enthaltene Aufforderung zur Vorlage eines Pflanzengesundheitszeugnisses eine Angabe zur Beschaffenheit des vorzulegenden Materials dar. Die E‑Mail enthält daher eine Aufforderung im Einzelfall im Sinne von Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94.

73      Zweitens spricht das CPVO in dieser E‑Mail von den „vom Amt übermittelten Anweisungen hinsichtlich der Vorlage von Pflanzen und des verlangten Gesundheitsstatus“ und verweist damit auf die in den Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall.

74      Drittens ergibt sich aus der E‑Mail vom 13. Juni 2001, dass das CPVO dem KSB die Vorlage neuen Materials gestattet hat, weil aus den in seinen Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Anweisungen nicht hinreichend klar und dadurch für das KSB zweifelsfrei hervorging, dass das vorzulegende Material virusfrei sein musste. Das CPVO war nämlich der Ansicht, dass in den genannten Anweisungen ausdrücklich hätte erwähnt werden müssen, dass das vorzulegende Material virusfrei sein müsse, da es nicht Sache der Steller von Anträgen auf gemeinschaftlichen Sortenschutz sei, seine Anweisungen auszulegen.

75      Die E‑Mail vom 13. Juni 2001 war also offensichtlich dazu bestimmt, die in Bezug auf den Umstand, dass das für die technische Prüfung vorzulegende Material virusfrei sein musste, bestehende Ungenauigkeit der in den Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall zu beheben.

76      Aus dem Schreiben vom 25. März 1999 ergibt sich nämlich, dass das CPVO dem KSB keine Frist für die Vorlage des verlangten Pflanzengesundheitszeugnisses gesetzt hat.

77      Das CPVO durfte daher in seiner E‑Mail vom 13. Juni 2001 die in Bezug auf den Umstand, dass das für die technische Prüfung vorzulegende Material virusfrei sein musste, bestehende Ungenauigkeit der in ihren Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall beheben.

78      Die Beschwerdekammer hatte folglich zu prüfen, ob das KSB der in der E‑Mail des CPVO vom 13. Juni 2001 enthaltenen Aufforderung im Einzelfall nachgekommen ist, die dazu bestimmt war, die Ungenauigkeit der in den Schreiben des CPVO vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall zu beheben.

79      Nach alledem ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer dadurch, dass sie davon ausgegangen ist, dass das KSB, da es das vom CPVO in dessen Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 verlangte Pflanzengesundheitszeugnis nicht vorgelegt hat, den in diesen Schreiben enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall nicht nachgekommen ist, einen Rechtsfehler begangen hat. Mit ihrer Feststellung, dass das CPVO gegen Art. 61 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2100/94 verstoßen habe, da es dem KSB die Vorlage neuen Materials gestattet habe, während es dessen Antrag nach dieser Vorschrift hätte zurückweisen müssen, da das KSB einer Aufforderung im Einzelfall nicht nachgekommen sei, hat die Beschwerdekammer somit den Umfang des Ermessens verkannt, das Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 dem CPVO einräumt.

80      Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Streithelferinnen dem KSB und der Klägerin Bösgläubigkeit vorwerfen; diese Behauptungen sind als unerheblich zurückzuweisen, da das Verhalten des KSB und der Klägerin in keinem Zusammenhang mit der Frage steht, ob das dem CPVO durch Art. 55 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2100/94 eingeräumte Ermessen es diesem erlaubte, mit seiner E‑Mail vom 13. Juni 2001 die in Bezug auf den Umstand, dass das für die technische Prüfung vorzulegende Material virusfrei sein musste, bestehende Ungenauigkeit seiner in den Schreiben vom 26. Januar und 25. März 1999 enthaltenen Aufforderungen im Einzelfall zu beheben.

81      Der Klage ist daher stattzugeben, und die angefochtene Entscheidung ist somit aufzuheben, ohne dass die Stichhaltigkeit des zweiten Klagegrundes geprüft zu werden brauchte.

 Zum Hilfsantrag, mit dem die Aufhebung der Entscheidungen EU 18759, OBJ 06‑021 und OBJ 06‑022 des CPVO vom 26. Februar 2007 und die Zurückweisung des Antrags Nr. 1999/0033 sowie die Durchführung von zusätzlichen Studien und die Einholung von Sachverständigengutachten begehrt wird

82      Zum Antrag der Streithelferinnen, mit dem diese das Gericht ersuchen, im Fall der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Entscheidungen EU 18759, OBJ 06‑021 und OBJ 06‑022 des CPVO vom 26. Februar 2007 aufzuheben, den Antrag Nr. 1999/0033 zurückzuweisen und gegebenenfalls die Durchführung zusätzlicher Studien sowie die Einholung von Sachverständigengutachten anzuordnen, ist festzustellen, dass die Streithelferinnen im Wesentlichen den Erlass der Entscheidung durch das Gericht begehren, die das CPVO ihrer Ansicht nach hätte erlassen müssen, nämlich eine Entscheidung, mit der die Entscheidungen über die Zurückweisung ihrer an das CPVO gerichteten Einwendungen aufgehoben würden und der Antrag betreffend die Sorte Gala Schnitzer zurückgewiesen würde. Folglich beantragen die Streithelferinnen mit diesem Teil ihres zweiten Antrags eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

83      Zur Begründung dieses Antrags haben die Streithelferinnen vor der Beschwerdekammer geltend gemacht, dass der Ausschuss gegen Art. 7 Abs. 1, Art. 56 Abs. 2 und Art. 57 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2100/94 sowie die Art. 22 und 23 der Verordnung (EG) Nr. 1239/95 der Kommission vom 31. Mai 1995 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2100/94 im Hinblick auf das Verfahren vor dem CPVO (ABl. L 121, S. 37) in Verbindung mit den Punkten III 3, III 5 und III 6 des Protokolls TP/14/1 des CPVO vom 27. März 2003 über die Prüfung der Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit (Apfel) verstoßen habe, da sich die Sorte Gala Schnitzer nicht von der Sorte Baigent unterscheide, und dass das CPVO während und nach der technischen Prüfung gegen bestimmte Verfahrensvorschriften verstoßen habe.

84      Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich insoweit, dass die Beschwerdekammer diese Gründe nicht geprüft hat.

85      Da die Streithelferinnen auf die vorliegende Klage mit einem Vorbringen entgegnet haben, das von der Beschwerdekammer nicht geprüft worden ist, ist ihrem Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung nicht stattzugeben, da dies in der Sache eine Wahrnehmung von Verwaltungs‑ und Ermittlungsaufgaben bedeutete, die dem CPVO obliegen, und damit dem institutionellen Gleichgewicht zuwiderliefe, das dem Grundsatz der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem CPVO und dem Gericht zugrunde liegt (vgl. entsprechend Urteil ELIO FIORUCCI, Randnr. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Der Antrag der Streithelferinnen auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung ist daher zurückzuweisen.

 Kosten

87      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

88      Da das CPVO insoweit unterlegen ist, als die angefochtene Entscheidung aufgehoben wird, sind ihm, ungeachtet der Änderung seiner Anträge in der mündlichen Verhandlung, entsprechend dem Antrag der Klägerin seine eigenen Kosten sowie die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.

89      Da die Streithelferinnen mit ihren Anträgen unterlegen sind, haben sie ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Beschwerdekammer des Gemeinschaftlichen Sortenamts (CPVO) vom 21. November 2007 (Sachen A 003/2007 und A 004/2007) wird aufgehoben.

2.      Das CPVO trägt seine eigenen Kosten und die Kosten der Schniga GmbH.

3.      Die Elaris SNC und die Brookfield New Zealand Ltd tragen ihre eigenen Kosten.

Meij

Vadapalas

Truchot

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. September 2010.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.